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Takidji Kobajaschi - Krabbenfischer (1929)
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Keiner der Krabbenfischer und Saisonarbeiter ließ sich etwas anmerken. Sie verlangsamten das Arbeitstempo immer mehr, als könnten sie selbst nichts dafür. Ob der Inspektor fluchte, ob er wütend auf sie einschlug, keiner sagte ein Wort, alle taten harmlos. Aber jeden Tag arbeiteten sie weniger. Anfangs war ihnen noch bange vor ihrem eigenen Mut, seit sie aber den toten Kameraden ins Meer gesenkt hatten, beseelte sie ein Geist der Solidarität, der sich immer mehr festigte. Es war bereits kein Geheimnis mehr, dass die Leistungen zurückgingen. Der ältere Krabbenfischer, der Mijagutschi angezeigt hatte, wollte anfangs nicht mitmachen. Da aber die Überstundenarbeit ihm selbst schwer zusetzte, fing er an, mit den anderen zu sympathisieren, und schloss sich ihnen dann ganz an. Schwieriger war es, die Fangbootführer zu gewinnen. Sie waren für die Arbeit auf ihrem Boot verantwortlich, sie standen zwischen dem Inspektor und den Krabbenfischern, sie mussten jeden Tag Rechenschaft über ihre Fangergebnisse ablegen und saßen daher gewissermaßen zwischen zwei Stühlen.
Immerhin war schließlich ein Drittel der Fangbootführer mit den Krabbenfischern einig. Die anderen zogen es vor, Handlanger des Inspektors zu bleiben machten sich zu seinem Sprachrohr und redeten den Krabbenfischern ins Gewissen: Natürlich sei die Arbeit anstrengend, aber man könne doch beim Krabbenfang keine Normen festsetzen wie bei der Arbeit in einer Fabrik. Wenn die Männer im Jauchefass vor dem Schlafengehen zusammen hockten und sich unterhielten, geschah es jetzt manchmal, dass einer der Fangbootführer sie einzuschüchtern versuchte. Wenn auch seine Worte keine unmittelbaren Drohungen waren, so wurden sie doch so aufgefasst. Einer der Krabbenfischer bekam jedesmal einen Wutanfall. Als er sich eines Tages Mut angetrunken hatte, polterte er los: „Was soll das heißen? Du willst uns doch nicht etwa drohen, du Wicht? Du bist dir wohl nicht klar darüber, dass vier Mann von uns dich bei der nächsten Fahrt im Fangboot über Bord gehen lassen können, als Frühstück für die Fische? Hier ist Kamtschatka, kein Hahn wird nach dir krähen."
Was keiner vorher auch nur zu denken gewagt hatte, das hatte dieser Mann laut ausgesprochen. Die Unterhaltung stockte, alle schwiegen. Diese Worte hatten große Wirkung. Sie waren für die Arbeiter, die bisher alle Demütigungen stillschweigend geschluckt hatten, wie ein Stoß in den Rücken. Sie waren für sie ein freudiger Schreck, Nie zuvor war ihnen so deutlich geworden, welche Möglichkeiten sie hatten. Endlich hatten sie eine Antwort auf ihre bange Frage: „Sind wir überhaupt imstande, etwas zu unternehmen?" Ja, sie waren imstande. Wie eine Erleuchtung kam ihnen diese Erkenntnis und weckte in ihnen den Willen zum Widerstand. Die grausame Ausbeutung, der sie ausgesetzt waren, hatte den Boden bereitet und die Kraft zum Widerstand geweckt. Auf einmal wichen Angst und Beklommenheit. Der Teufel Asagawa und das Jauchefass, in dem sie wie Schmeißfliegen vegetierten, verloren ihren Schrecken.
„Da hat ihnen mal einer die Zähne gezeigt!" So hieß es nun bei jeder Gelegenheit. „Man muss ihnen die Zähne zeigen!" wurde für sie ein geflügeltes Wort, ein Aufruf, zu handeln. Und es blieb nicht bei diesem einen Mal, dass einer ihnen „die Zähne zeigte".
Die Krabbenfischer verfolgten die Auseinandersetzungen gespannt. Immer waren es dieselben drei oder vier Männer, die im Brennpunkt standen. Keiner hatte sie gewählt oder dazu ausersehen. Wenn es aber zu Zwischenfällen und Reibereien kam, vertraten diese vier den Standpunkt der Mehrheit, oder die Mehrheit schloss sich ihrem Standpunkt an. Zwei von ihnen gehörten zu den
Studenten, der dritte war der Stotterer, der vierte jener, der „die Zähne gezeigt" hatte. Einer der beiden Studenten lag die ganze Nacht wach in seiner Koje, leckte immer wieder an seinem Bleistift und schrieb einen ganzen Bogen voll. Er entwarf einen Plan für die Organisation des Widerstandes. Der Plan sollte es ermöglichen, die ganze Mannschaft des Schiffes zu alarmieren und in kürzester Zeit zu einheitlichem Handeln zu bringen, falls es zu einem Zwischenfall käme. Er war sinnvoll ausgedacht und fand den Beifall der Arbeiter. Ob er sich jedoch in der Praxis bewähren würde, konnte keiner voraussagen.
„Schutzbund gegen Menschenschinderei" nannten die Studenten ihre Organisation. Sie glaubten, mit diesem Namen eine zündende Losung gefunden zu haben. Sinn und Aufgabe der Organisation war es, die Arbeiter einig und stark zu machen. Der Student erzählte den Männern im Jauchefass die Geschichte von dem Fürsten, der vor seinem Tod seinen drei Söhnen ein Bündel Stäbe in die Hand gab und sie aufforderte, es zu zerbrechen. Sosehr sich die Söhne auch anstrengten, es gelang ihnen nicht. Da nahm der Fürst die Stäbe und zerbrach sie einzeln. Das Gleichnis beeindruckte die Arbeiter. „Der einzelne vermag allein gar nichts", sagten die Studenten. „Aber wir sind mehr als vierhundert Mann. Die andern, die uns schinden, sind kaum zehn
Mann. Sie können gegen uns nichts ausrichten. Wir müssen uns nur richtig organisieren. Dann werden wir siegen, wenn es zum Kampf kommt." Es gelang den Studenten, ihren Kameraden den Sinn und die Aufgabe des „Schutzverbandes gegen Menschenschinderei" klarzumachen. Alle wussten, um was es ging, selbst die Gutgläubigen und die Trunkenbolde. Alle verstanden, dass sie nicht weiter in ihrem Stumpfsinn und in ihrer Trägheit verharren durften, denn das bedeutete eine tödliche Gefahr für sie und hatte ihrem Kameraden den Tod gebracht. Der Erfolg des Langsamarbeitens machte ihnen Mut, sie gewannen Vertrauen zu den Worten der Studenten und des Stotterers. Bei dem schweren Sturm in der Woche zuvor war die Schraube der Barkasse zerbrochen. Der Chef der Saisonarbeiter fuhr mit fünf Krabbenfischern an Land, um sie reparieren zu lassen. Als sie zurückkehrten, hatte ein jüngerer Krabbenfischer eine Anzahl „roter" Broschüren und Flugblätter bei sich. In Kamtschatka lebende ehemalige japanische Krabbenfischer hatten sie ihm heimlich zugesteckt. Alles, was in den Broschüren über Lohn, Überstunden, Riesenprofite der Gesellschaft und Streiks stand, nahmen die Krabbenfischer gierig in sich auf und unterhielten sich darüber. Einige missbilligten es, dass Japaner sich hergaben, Propaganda für die Roten zu treiben.
Nach seiner Meinung über die Broschüren befragt, erklärte der Student: „Manches ist überspitzt, aber das meiste stimmt."
Ein anderer mischte sich ein: „Worte sind schön und gut, aber wir müssen handeln! Von allein bessert sich Asagawa nicht. Wenn wir nichts unternehmen, schindet er uns zu Tode."
Eines hatten sie alle begriffen: Was sie taten, war keine Spielerei, sondern blutiger Ernst. Es ging um Leben oder Tod.
Wieder heulte die Sirene, um die Boote zurückzurufen, wie damals bei dem großen Sturm. In der feuchten Luft hörte es sich an, als blökte eine Kuh.
Einige Fangboote blieben lange Zeit draußen. Aber diesmal hatten sich die Steuerleute nicht verirrt, sondern Kurs auf die Küste von Kamtschatka genommen. Bei den heimlichen Fahrten in die russischen Hoheitsgewässer hatten sie erkundet, an welchen Stellen man anlegen konnte. Als die Boote dann zurückkehrten, waren ihre Besatzungen mit der roten Propaganda vertrauter als zuvor.
Die Firma war bei der Einstellung von Arbeitskräften sehr vorsichtig zu Werke gegangen und hatte nur solche genommen, die von ihren Bürgermeistern und Polizeipräfekten als loyale Staatsbürger bezeichnet worden waren. Als loyal galt man wenn man nicht gewerkschaftlich organisiert war. So glaubte die Firma, genügend vorgesorgt zu haben, dass alles nach ihrem Wunsch und Willen ging. Auf den Gedanken, dass die Krabbenfischer sich eines Tages selbst organisieren könnten, war sie nicht gekommen.

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