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B. Traven - Der Marsch ins Reich der Caoba (1933)
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ACHTES KAPITEL

Der Marsch am nächsten Tage war so eintönig, so trottend und so schleppend, wie die Märsche an den vorhergehenden Tagen gewesen waren, seit die letzte Siedlung verlassen war. Den Schwanz hatte nun El Camaron. Durch den Unfall seines Spießgesellen war er furchtsam geworden. Er hatte in der Nacht nicht gut geschlafen. Immer wieder war ihm das Schicksal seines Genossen in den
Sinn gekommen. Er fühlte sich unbehaglich seit dem Morgen. Es nagte in ihm etwas, worüber er sich nicht klar wurde. Während des Marsches grübelte er darüber nach, wie es möglich gewesen sei, dass ein so geübter und erfahrener Bursche wie El Zorro vom Pferde fallen konnte. Und selbst wenn er vom Pferde gefallen war, was ja jedem geschehen kann, wie es nur möglich war, dass er das Pferd nicht anhalten und sich aus dem Steigbügel befreien konnte. Seine einzige Erklärung war, dass El Zorro beim Fallen mit dem Kopf auf einen nackten Fels geschlagen sei, was ihm die Besinnung raubte; ehe er die Besinnung wiedererlangt hatte, war er dann wohl so zerschlagen, dass er einem Toten glich. Am Schluss eines Trupps durch den Dschungel zu reiten ist beinahe so gefährlich wie völlig allein zu reiten. Stößt dem, der am Schluss reitet oder wandert, etwas zu, niemand im Trupp erfährt es. Der Trupp
marschiert weiter. Man wird des Fehlenden erst gewahr, wenn der Trupp am Nachmittag im Lager ankommt und der Mann vermisst wird. Dann wird erst einige Stunden gewartet, in der Hoffnung, dass der Nachzügler aufkommen wird. Kommt er nicht, dann werden zwei Burschen, zu Fuß oder zu Pferde, auf
die Suche geschickt. Darüber wird es Nacht, die Burschen können in der Nacht nicht viel ausrichten und kehren zurück zum Lager, um am Morgen die Suche wiederaufzunehmen. Inzwischen kann alles mögliche, was im Dschungel nur immer geschehen kann, dem Vermissten zugestoßen sein.
El Camaron machte sich gut Freund mit den Nachhinkern, damit sie in seiner Nähe blieben, und er gab sich große Mühe, so dicht dem Trupp aufzubleiben, wie das nur möglich war. Jedoch die Peones, gewandt wie Katzen und seit ihrer Kindheit an Märsche und Wanderungen gewöhnt, schnitten hier und dort den Weg ab. Sie konnten trotz ihrer schweren Packen an den Felsen hinuntergleiten, über sumpfige Stellen leicht hinweghüpfen, über gefallene Urwaldriesen hinwegklettern.
El Camaron musste auf seinem Pferde den Weg völlig auswandern. Nur selten konnte er im Trab reiten. Das Gelände ließ es nicht zu. So fand er sich oft viertelstundenlang und mehr ganz allein im Dschungel. Und es war in diesen Viertelstunden, wenn die Burschen durch Querpfade ihm weit voraus waren, dass er von heftiger Angst befallen wurde. Wie eine geheime Stimme, die unausgesetzt auf ihn einredete, glaubte er, in dem Wispern der Bäume und Büsche zu hören, dass El Zorro seinen Tod nicht ganz durch einen Unfall gefunden habe, sondern durch ein Zusammenwirken verschiedener Umstände, das etwas Unnatürliches an sich hatte.
Er mäßigte seine Brutalität gegen die angeworbenen Indianer so weit herab, dass er sich selbst lächerlich erschien.
Mit allen möglichen kleinen Kniffen suchte er sich die Nachzügler nahe zu halten. Er gab ihnen Zigaretten, er redete mit ihnen über ihre Familien, und nicht ein einzigesmal peitschte er auf einen los. Dennoch ließ sich auch nicht einer der Peones einsäuseln. Jeder wusste, dass El Camaron den Teufelspelz nur darum mit Engelspuder bestreute, weil er begonnen hatte, sich zu fürchten. Sie wussten auch recht gut, dass El Camaron, so lieblich er sich jetzt auch gebärdete, alles Versäumte nachholen werde, sobald erst einmal die Monteria erreicht war und er das Amt des Capataz hatte. Und weil die indianischen Burschen keine Heuchler und Anschmeißer waren, darum nahmen sie seine gebutterte Freundschaft nicht an. Sie verweigerten seine Zigaretten mit der Ausrede, dass sie gerade jetzt nicht rauchen mochten, und auf seine Versuche, sich mit ihnen in vertrauliche Gespräche einzulassen, knurrten sie nur und taten, als ob sie nicht hörten oder als ob sie zu müde seien, voll zu antworten.
Sobald sie eine Abkürzung erkannten, rissen sie aus und verschwanden.
Das Verhalten der Peones machte El Camaron nur noch unsicherer und erfüllte ihn mit tieferer Furcht. Jetzt wurde es ihm zur Gewissheit, dass irgendeiner oder einige der Burschen nachgeholfen hatten, dass El Zorro sein Ende auf dieser Erde fand. Damit stieg in ihm das würgende Bewusstsein auf, dass er der nächste sein werde, der El Zorro folgen müsse.
Aus irgendwelchen Gründen war Celso der Bursche, an den er am wenigsten von allen dachte. Celso machte auf ihn immer den Eindruck eines geistig trägen Indianers, der seine Arbeit verrichtete wie ein Ochse und zufrieden war, wenn er nicht gepeitscht wurde. Celso war nicht der einzige Bursche im Trupp, den er und El Zorro durch eine erbärmlich gemeine Handlung für die Agenten, die ihn bezahlten, eingefangen hatten.
In seinen Gedanken überdachte er alle Peones im Trupp, um zu dem gelangen zu können, vor dem er sich zu hüten habe. Es waren mehrere, die er als die Burschen betrachtete, die ihm gefährlich erschienen.
Unter ihnen befand sich Andres. Aus irgendeinem Grunde biss er sich auf dem Gedanken fest, dass er sich am meisten vor Andres zu hüten habe. Andres war intelligent, war frech zuweilen, gab Widerworte und ging nicht für seine eigene Person, sondern für seinen Vater in die Monteria.
Sehr früh, um ein Uhr mittags, langte der Trupp an den Ufern des Santo-Domingo-Flusses an.
Die Arrieros, die Muletreiber, hatten am Morgen mit allen ihren Kräften gearbeitet, um so zeitig abzumarschieren, wie es nur durchführbar war. Sie hatten das getan im Hinblick auf den Übergang über den Fluss.
Das Lager befand sich auf dem jenseitigen Ufer.
Die Arbeit dieses Tages war nicht der Marsch, sondern der Übergang über den Fluss.
Es waren schon Schwierigkeiten genug für einen solchen Übergang zu bewältigen, wenn es sich nur um ein paar Reisende handelte; aber je größer ein Trupp war, um so verwickelter wurden die Probleme, die sich hier ergaben.
Es konnten nur wenige Tiere mit ihren Packen bis dicht ans Ufer in einer Gruppe heran. Der Pfad war schmal und sumpfig. Der Fleck, wo die Tiere zu halten hatten, war nur etwa drei Meter breit und etwa acht Meter lang. Der Dschungel war zu dicht, als dass man den Platz hätte erweitern können; es hätte eine
Arbeit von vielen Stunden verursacht. Alle Tiere wurden abgeladen.
Die Uferböschung war steil und ungefähr zwei Meter hoch. Das Wasser des Flusses war schwarz, undurchsichtig und morastig. Durch den Dschungel, der sich dicht bis an das Ufer drängte, wurde der Fluss in seiner Farbe noch unheimlicher.
Auf dem langen Marsche waren wohl drei Dutzend Flüsse zu durchqueren. Es waren nicht immer andere Flüsse, sondern in vielen Fällen nur andere Windungen desselben Flusses, bis der Trupp in ein neues Flussgebiet kam. Die Mehrzahl dieser Flüsse war jedoch leicht zu kreuzen. Ihr Wasser war klar, und die Tiere konnten bis auf den Grund sehen, der meist sandig, von Kieselsteinen bedeckt oder felsig war. Der Einmarsch in jene Flüsse war meist flach oder erfolgte doch wenigstens von niedrigen Ufern aus. Hier am Santo-Domingo-Fluss jedoch scheuten sich die Tiere vor dem unheimlich schwarzen und morastigen Wasser, dessen Tiefe sie nicht abschätzen konnten. Und besonders die bedächtigen und vorsichtigen Tragmules zu bewegen, von der hohen, steilen Böschung geradeaus in den Flug zu springen und hinüberzuschwimmen, gelang auch den besten Arrieros nicht. Die Tiere zu schlagen hilft nicht; es wird von den erfahrenen Leuten auch gar nicht versucht.
Die gefährlichsten Wasserläufe im Dschungel sind nicht die breiten, sondern diejenigen, die schmal sind und sehr steile, häufig zehn bis zwölf Meter hohe Ufer haben. Diese sind ungemein schwer für die Tiere zu nehmen.
Es würde vielleicht gelingen, die Tiere von dem hohen Ufer durch Scheuchen, Schreien, Nachdrängen der anderen Tiere in den Fluss zu jagen. Aber wenn sie dann im Fluss schwimmen, können sie nicht mehr heraus. Sie können am gegenüberliegenden hohen Ufer nicht hinaufklettern; denn sie sind ja keine
Katzen. Sie legen die Vorderbeine gegen das Ufer, aber die Hinterbeine, die sie zum Nachschieben und zum Springen gebrauchen, finden keinen Halt in dem Morast. An vielen Stellen ist das Ufer auch noch unterwaschen. Die Tiere schwimmen zwei Stunden hilflos im Wasser herum, bis sie endlich, völlig erschöpft, abtreiben und vielleicht zwei oder drei Meilen weiter unten ein flaches Ufer erreichen können. Aber sie können von dort nicht mehr herbeigeholt werden, weil das dazwischenliegende Gelände Sumpf
ist.
Der Fluss musste an dieser Stelle gekreuzt werden oder gar nicht.
Gute Krieger kehren nicht um. Und die Arrieros, die Händler, die ihre Waren nach den Monterias bringen, und die Agenten, die ihre angeworbenen Indianer in den Monterias verkaufen wollen, sind alle gute Krieger.
Wenn diese Leute einen Kriegsmarsch unternehmen, so erreichen sie ihr Ziel, auch wenn eine Anzahl von Tieren verloren geht und der eine oder andere Mann auf der Strecke bleibt. Ein Unmöglich kennen sie nicht. Sie kennen nur Schwierigkeiten. Es geschieht in der Tat, dass sie einen vollen Tag an einem Ufer oder an einer steilen Felsenrinne sitzen und überlegen, wie es zu machen sei, um durchzukommen. Niemals drängt sich in ihr Überlegen der Gedanke an ein Umkehren.
Die erste Gruppe der Tiere wurde abgeladen. Das Gepäck wurde von den Peones aufgenommen. Weiter oben war der Fluss schmaler, aber die Ufer waren höher, und der Dschungel kam bis dicht an den Uferrand heran. Hier lag ein riesiger Baum quer über dem Fluss. Auf diesem Stamm balancierten die
Indianer das Gepäck auf die andere Seite des Flusses.
Sobald die erste Gruppe der Tiere abgeladen war, wurde sie auf dem engen Wege, den man rasch gelichtet hatte, zurückgeführt auf einen offenen Platz, der zwar sumpfig war, wo aber die Tiere stehen konnten. Dadurch wurde der enge Platz am Ufer frei, und eine zweite Gruppe von Tieren konnte herbeigeführt, abgeladen und dann ebenfalls auf jenen offenen Platz getrieben werden.
Emsig wie Ameisen schleppten die Indianer die Packen, sobald sie abgeladen waren, über den Baum auf das andere Ufer.
Als alle Tiere befreit waren und hier am Ufer Platz zum Arbeiten war, wurden sowohl auf dieser wie auf der gegenüberliegenden Seite Brücken gebaut.
Es wurden sehr lange Stämme geschlagen. Die Stämme wurden mit abgeschältem Bast und mit Lianen nebeneinander verflochten. Darauf wurden Quersprossen eingeflochten. Dann wurde diese Brücke, die einem Floß ähnlich war, in den Fluss geschoben, bis sie den Grund erreichte. Oben wurde sie mit Lianen verankert, um nicht abzurutschen. So wurde ein Weg geschaffen, auf dem die Tiere von dem hohen Ufer allmählich und furchtlos in das Wasser gehen konnten. Wenn sie das Wasser erreichten, rutschten sie ab von der Brücke, weil hier absichtlich keine Quersprossen eingeflochten waren, und sie begannen zu schwimmen. Umkehren konnten sie nicht mehr, weil oben an der Brücke schon das nächste Tier stand. Eine Weile schwammen die Tiere unsicher herum, aber bald fanden sie die Brücke, die am anderen Ufer in gleicher Weise gebaut und ins Wasser gelassen worden war. Jene Brücke hatte Quersprossen von unten auf, so dass die Tiere sofort Fuß fassen konnten. Sobald sie festen Boden fühlten, liefen sie rasch und mutig die Brücke hinauf und waren vergnügt am anderen Ufer angelangt.
Die ersten Tiere hinüberzubringen war nicht immer ganz leicht. Darum wurden die ersten drei oder vier Tiere an lange Lassos genommen. Der Lasso wurde auf das andere Ufer geworfen, hier von Burschen aufgefangen, und sobald das Tier schwamm, wurde es mit Hilfe des Lassos zur Brücke gezogen. Die Tiere, die zu folgen hatten, wurden eines nach dem anderen dicht hintereinander geführt und mit infernalischem Geschrei und einem wilden Aufwerfen der Arme und mit kleinen Steinen, die ihnen auf die Schinken geworfen wurden, auf die Brücke gescheucht. Die Tiere bekamen keine Zeit, zu überlegen und zu scheuen oder sich zu fürchten. Wenn sie sahen, dass den vorausgehenden Tieren nichts geschah, so folgten sie willig und ohne Widerstreben in solcher Ordnung, als ob sie auf dem gewöhnlichen Marsch auf fester Erde wären.
Die Arrieros besitzen eine ganz erstaunliche Fähigkeit in der Kunst, Brücken und andere Hilfsmittel zu bauen in solcher Weise, dass sie haargenau nur für ihren eigenen Transport ausreichen und, wenn das letzte Tier hinüber ist, zusammenfallen. Und es ist merkwürdig, dass die Brücke immer hinter dem letzten Tier zusammenfällt, ganz gleich, ob die Karawane aus sechzig Tieren besteht oder aus sechs.
So etwas soll erst einmal ein europäischer Brückenbauer nachmachen; mit allen seinen mathematischen Kunststückchen wird es ihm nicht gelingen, eine Eisenbahnbrücke so zu bauen, dass sie genau für fünfzig Eisenbahnzüge ausreicht und unter der Lokomotive des einundfünfzigsten Zuges zusammenbricht.
Aber Arrieros haben keine Mathematik studiert, und das mag vielleicht der Grund sein, dass sie etwas können, was die Diplomingenieure nicht können.
Die Krieger, die in das Land zogen, wo die Caoba erobert wird, um der Zivilisation zugänglich gemacht zu werden und sich in Dividenden verzaubern zu lassen, waren die genügsamsten und schlichtesten Krieger, die je ein Feldherr zur Verfügung hatte. Sie waren die genügsamsten Krieger und dennoch vielleicht unter allen Kriegern die tapfersten. Sie kämpften nicht für Ruhm und Orden, nicht für das Vaterland, aber sie bluteten, litten, wurden getötet, und wenn sie lebten und kämpften, so lebten sie genügsamer, als je ein Soldat Hannibals gelebt haben würde. In ihren Kochtöpfen Frijoles und Chile am Morgen und Chile und Frijoles am Abend. Schwarze Bohnen mit roten oder grünen Pfefferschoten zusammengekocht.
Und dazu als Labe dünner schwarzer Kaffee mit einem Bröckchen braunem Rohzucker. Tagein, tagaus. Woche für Woche, Monat für Monat. Und wenn sie es erlebten, jahrein, jahraus. Manchmal in Fett gerösteter Reis mit rotem Pfeffer. Zuweilen ein Streifen getrocknetes Fleisch, hart wie ein Lederriemen. Kein Sonntag, kein Feiertag. Zuweilen das Fest, La Fiesta, wo die Tänzerin die Peitsche des Capataz war, mit der der Peon, je nach der Notierung, die er hatte, fünfzig oder hundert oder zweihundertfünfzig Male zu tanzen hatte.
Kein Krieger in irgendeiner Armee, in alten Zeiten oder in denen von heute, trug je einen schwereren Packen auf seinem Rücken als diese ruhmlosen Krieger, die ohne Musik, ohne Trommeln und Flöten und ohne Lieder ihren Weg marschierten. Umschwärmt und geplagt von Moskitos, Bremsen, Stechfliegen, Wespen und Zecken; marschierend ohne Schuhe über felsiges Gestein, durch
Sumpf und Wasser, durch Dornengestrüpp, steil hinauf, steil hinab; von Sonnenaufgang bis in den Nachmittag hinein, mit Arbeit hier und dort am Wege; marschierend unter der strömenden und nie versiegenden Hitze, die schwer und drückend war in der dunkelgrünen, lastenden Feuchtigkeit des
Dschungels.
Dann kamen sie am Lagerplatz an, wo es erneut Arbeit gab. Sie schliefen unter freiem Himmel, ob es in Gießbächen regnete oder ob ein dicker Nebel, der im Dschungel lastete und sich nicht verzog, ihre Glieder schwellen ließ und lähmte. Nun freilich lebten auch ihre Führer nicht in Schlafwagen oder in den reichen Luxuszelten klassischer Heerführer.
Sie hatten überhaupt keine Zelte und nichts, was Zelten ähnlich war.
Sobald der Trupp auf dem Lagerplatz ankam, wurden von den Peones Casitas für die Ladinos gebaut. Diese Häuschen hatten mit Häusern nur den Namen gemeinsam. Die Burschen zogen mit ihren Macheten in das Dickicht und schlugen Stämmchen ab. Zwei Stämmchen wurden in etwa vier Meter Entfernung voneinander senkrecht in die Erde gepickt. Oben wurde ein
Stämmchen quer darübergelegt, auf die Gabeln, die man an den Stämmchen gelassen hatte. Gegen dieses quergelegte Stämmchen wurden lange, dünne Stämmchen schräg angelehnt. Diese angelehnten Stämmchen wurden mit einigen Striemen Liane leicht verbunden. Dann wurden diese Stämmchen mit Laub und Palmblättern bedeckt. Wenn das ganze Häuschen fertig war, so sah es aus wie ein halbes Dach, das auf dem Erdboden ruhte. Es war auch nichts weiter als ein halbes Dach, welche Bezeichnung man dieser Casita auch immer geben mochte. An beiden Seiten und an der Vorderfront war das Häuschen offen. Wenn der Regen von der Vorderseite aus in das Häuschen getrieben wurde, dann hatten die Bewohner genau dasselbe Erlebnis, als ob sie ganz im Freien schliefen.
Don Gabriel trauerte an diesem Abend. Er redete von nichts anderem am Feuer als von dem grausamen Schicksal, das ihn betroffen.
Einer der Peones, die er auf einer Finca angekauft hatte, war, um zu seiner Kolonne zu gelangen, von der er zurückgeblieben war, auf dem Marsche an der Seite des Pfades marschiert, um ein Tragmule zu überholen.
Als der Bursche gerade neben dem Mule war, brach eine Platte aus dem Fels heraus, auf die das Mule trat. Das Mule mit seinem schweren Packen überkugelte sich und fiel auf den Burschen. Der Bursche, bereits arg auf der Brust gequetscht, vermochte sich an dem Abhang nicht zu halten. Der Gurt seines Packens, den er über der Stirn trug, rutschte herunter und würgte seinen Hals. Der Packen war ungemein schwer, und wie auch der Bursche um sich tastete, um sich an einem Gebüsch festzuhalten, er rutschte dennoch den Felsen hinunter. Die Burschen, die sofort in die Schlucht stiegen, ihn zu suchen, fanden ihn tot. Sie gruben ihn an derselben Stelle ein, wo sie ihn gefunden hatten.
Don Gabriel ritt an der Spitze des Zuges. Er bemühte sich immer, in der ersten Kolonne zu marschieren, und wenn möglich als der Vorreiter. Er wollte, wie er dachte, den Weg besser kennen lernen.
Er sagte jedoch zu Don Ramon, seinem Geschäftsteilhaber, dass er darum an der Spitze marschiere, weil die Burschen zu sehr stänkerten auf dem Wege, der vielen Bohnen wegen, die sie ewig äßen.
Don Gabriel hörte erst am Nachmittag im Lager, was ihm heute zugestoßen sei. Sofort zog er sein Büchelchen hervor, rechnete und sagte: »Caray, chinga la matricula, hundertachtzig Pesos im Ursch.«
Darüber vergaß er, nachträglich ein Ave-Maria für den verunglückten Burschen zu beten.
Und da auch kein anderer der Caballeros sich die Mühe gab, ein Ave-Maria zu schnurren, muss der arme Indianer ungeweiht in Gottes Erde ruhen.
Don Gabriel strich den Namen des Peons wohl zwanzigmal durch, immer wieder und wieder. Er tat es gedankenlos, sagte aber ein paar Mal: »Der reine Betrug. Hundertachtzig Pesos. Hätte ich ihm doch wenigstens keinen Vorschuss in Hucutsin gegeben. So wird man um sein Geld betrogen. Don Alban, Sie haben solche Sorgen nicht wie wir. Ihr Geschäft wickelt sich einfacher ab.«
Er zuckte auf. Ein Hoffnungsstrahl leuchtete ihm. Er rief einen der Burschen herbei, die zugegen gewesen waren. Er fragte: »Er war vielleicht gar nicht tot? Ihr habt ihn doch nicht etwa lebendig eingegraben?«
»No, patroncito, gewiss nicht. Der war so sehr tot, dass ihm der halbe Kopf fehlte. Wir haben ihn gesucht, um ihn hinzuzulegen, aber wir haben ihn nicht finden können.«
»Da seht ihr«, sagte Don Gabriel, »was euch Hähnen auf diesem Marsch alles geschehen kann, wenn ihr nicht gut auf euch Acht gebt.«

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