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B. Traven - Der Marsch ins Reich der Caoba (1933)
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DRITTES KAPITEL

Der Celso, begann Gabino zu erzählen, ist ein verteufelt guter junge, ein vortrefflicher Compafiero, ein richtiger und vollwertiger Kamerad, der dich nicht sitzenläßt. Was aber für die Monteria von Wert ist: Er gilt als einer der tüchtigsten Arbeiter, ganz gleich, was er anfasst.
Der Celso hat da in Ishtacolcot ein Mädchen. Er hätte sie sich einfach greifen und mit ihr fortrennen können. Aber der Junge hat Herz. Das ist sein Fehler. Er wollte dem Vater des Mädchens das nicht antun.
Der Vater gibt ihm das Mädchen nicht billig. Sie ist hübsch, stark und gesund. Der Vater meint, dass sie ihm leicht fünfzehn Kinder geben kann, wenn sich der Junge dranhält. Und darum will der Vater für das Mädchen einen hübschen Berg haben.
In Ishtacolcot kann der Celso den Berg nie verdienen. Er hat sich angeboten, für den Vater drei Jahre um das Mädchen zu arbeiten. Aber der Alte will sichtbare Güter haben. Ich weiß nicht, wie viel Schafe, wie viel Ziegen, Mais, Wolle, Tabak er dem Jungen aufgehängt hat für das Mädchen. Du magst José fragen, der da drüben an dem zweitnächsten Feuer sitzt, der ist aus derselben Comarca. Vielleicht weiß er es genau.
Nun hat sich Celso für eine Kaffeeplantage anwerben lassen, da unten irgendwo in der Region von Tapachula. In zwei Jahren hatte er unter Schwitzen, Keuchen und Sparen sich ein gutes Sümmchen zusammengewirtschaftet. Im Kaffeetal zu arbeiten ist keine Freude.
Da waren nun zwei Jahre für Celso um, und er hatte ein Sümmchen. Er machte sich auf den Heimweg, den kürzesten und schwierigsten: über Niquivil und Salvador. In jedem Dorfe, durch das er marschierte, wurde ihm vom Alcalden, dem Ortsvorsteher, ein Zehner abgenommen für das Recht, durch den Ort zu gehen. Und wenn da eine morsche Brücke irgendwo am Wege war, wurden ihm zwanzig Centavos abgenommen für Brückengeld. Überall am Wege wurde ihm verbotener Branntwein angeboten.
Überall wollte man den Jungen besoffen machen, damit man ihn verhaften und in die Carcel sperren konnte für Trunkenheit. Wenn er am Morgen aufwachte und weitermarschieren wollte, hatte er natürlich kein Geld mehr, keinen einzigen Centavo. Du kannst doch nicht erwarten, dass ein Polizeichef dich umsonst in die Carcel sperrt, und wenn du dich beschwerst, dass dir das Geld vom Polizeichef abgenommen wurde, dann arbeitest du einen Monat im Dorfe Strafarbeit für Beleidigung der Autorität.
Celso aber hatte genügend in der Plantage gelernt, aus den Erfahrungen der übrigen Peones und trank keinen Schluck.
Jovel war die letzte Stadt, durch die er kam, ehe er seinen Heimatort erreichte. Von hier waren es nur noch einige zwanzig Kilometer.
In Jovel fühlte er sich bereits in der Heimat. Jede Woche oder wenigstens zweimal im Monat war er nach Jovel gekommen, um hier für seinen Vater Mais, Wolle, gehacktes Holz, rohe Felle oder Chile zu verkaufen. Er kaufte sich für fünf Centavos Bananen bei einem kleinen Händler, der seine Ware auf einer Matte in den Kolonnaden des Stadthauses ausgebreitet hatte. Dann kreuzte er die Straße und hockte sich auf den nackten Boden der Plaza.
Auf der Plaza waren freilich Dutzende von Bänken aufgestellt.
Diese Bänke jedoch waren nur für die Ladinos bestimmt, für die zivilisierte Bevölkerung der Stadt.
Freilich reichte jene Zivilisation nicht in allen Fällen bis zu jener Stufe, wo sich ein jeder verpflichtet fühlt, sich an jedem Morgen richtig zu waschen und zu rasieren. Mit solchen nebensächlichen Dingen kann man gut bis Sonntag Nachmittag warten und deshalb doch nicht das Recht verlieren, als Ladino zu gelte.
Celso, ein wandernder Indianer, wäre von den Polizisten weggejagt worden, wenn er es gewagt hätte, sich auf eine der unbenutzten Bänke zu setzen. Aber von dem nackten gepflasterten Boden der Plaza trieben die Polizisten ja keine herrenlosen Hunde fort. Darum ließ man die Indianer, die rasten wollten, dort gleichfalls hocke.
Auf einer der Bänke saßen zwei Ladinos. Caballeros. Sie rauchten ihre Zigaretten und kritisierten die Regierung.
Der eine der beiden Caballeros sagte: »Da laufen so viele hier herum in dieser Ciudad, denen nicht das Hemd auf dem schwarzen Hintern gehört und die eine Miene aufsetzen, als hätten sie die Stadt in Erbpacht. Und dann andere dagegen -sehen Sie sich einmal den Chamulaburschen an, der da am Boden hockt und Bananen frisst. Sieht aus, als ob Sie ihm einen Centavo geben müssten, damit er am Leben bleiben kann. Und dieser dreckige Bursche hat siebzig Pesos in der Tasche oder eingedreht in seinem Hosengurt.«
»Woher wissen Sie das so genau?« fragte der andere Caballero.
»Er ist ja von meiner Finca, wo er zwei Jahre im Kaffee gearbeitet hat. Celso heißt er. Ist der Sohn von Francisco Flores in Ishtacolcot.«
»Wirklich?«
»Bestimmt. Aber was kümmert mich der Muchacho. Wie viel Tausend und Tausend von blanken Pesos hat doch nun schon der Gobernador eingesackt für die Autostraße nach Arriaga, und wie viel tausend und tausend Pesos wird er noch einsacken, ehe man wirklich einmal auf der Straße mit einem Auto heil durchkommt. Aber die Sache ist eben die... « Der andere Caballero hörte nicht mehr hin, als weiter schmählich über die Regierung gewettert wurde, sondern rief zu dem Indianer Celso hinüber: »He, du, komm einmal her.«
Celso drehte sich um, und als er einen Ladino sah, der ihn anrief, sprang er dienstfertig auf und kam auf den Caballero zu. Die Bananen, die in Ruhe zu essen er eben begonnen hatte, ließ er in der Hast liege. Als er vor dem Caballero stand, sagte er: »A sus ordenes, patroncito, zu Ihren Diensten.«
»Du kennst mich doch«, sagte der Caballero.
»Ja, Patroncito, freilich kenne ich Sie. Sie sind Don Sixto.«
»Richtig. Und ich habe deinem Vater zwei junge Ochsen verkauft. Er hat mir nur einen Teil bezahlt. Und dein Vater hat mir unter einem Bürgen, das ist Cornelio Sanchez, den du ja auch kennst, unter heiligem Versprechen versichert, dass er den Rest bezahlen wolle an demselben Tage, an dem du von der Kaffeefinca mit dem Gelde heimkommst. Das sind genau sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos, die dein Vater zu bezahlen hat. Gib das Geld her, dann braucht dein Vater nicht hier zur Stadt zu kommen und den langen Weg zu machen. Ist die Sache richtig mit der Schuld, Don Emiliano?« fragte Don Sixto.
»Die Schuld ist richtig und ganz in der Ordnung verbürgt«, antwortete Don Emiliano.
Für einen Augenblick kam Celso der Gedanke, dass Don Emiliano nicht gut wissen könnte, ob die Schuld richtig sei, aber er wusste auch gleich, dass gegen das Wort eines Caballeros das Wort eines Indianers nicht gilt. Wenn der Caballero sagt, dass die Erde sich um die Sonne drehe, so hat der Indianer das als Wahrheit anzusehen, auch wenn er mit eigenen Augen deutlich sehen kann, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Und so geht das mit allen Dingen, die ein Caballero sagt.
Don Sixto ging sehr rasch vor. »Raus mit dem Geld, Muchacho!« sagte er kurz und ohne irgendein Erbarmen. »Wenn du nicht zahlst, rufe ich die Polizei, und
in der Carcel magst du dann überlegen, was verbürgte Schuld ist.«
Aus der traurigen Erfahrung vieler seiner Stammesbrüder wusste Celso, dass die Carcel sehr teuer für einen Indianer wurde. Das Geld wurde ihm auf alle Fälle abgenommen, weil er es nicht verbergen konnte.
Aber als Dreingabe hätte er wahrscheinlich noch drei Monate Strafarbeit aufgeurteilt bekommen, wegen eines Vergehens, das »Verschleiern einer Schuldverpflichtung« hieß.
Celso wickelte den roten, wollenen Gürtel ab. Dabei fiel ihm die kurze weiße Baumwollhose herunter, und er stand in seiner schlichten Menschlichkeit vor Don Sixto. Er bemerkte es nicht, denn er fühlte eine Bitterkeit im Munde, im Magen, im Gemüt.
Er hatte den Gürtel nun völlig aufgedreht. Um zu verhindern, dass das Geld auf die Erde rolle, hockte er sich nieder. Dann nahm er jeden Peso einzeln aus dem Gürtel und legte jeden Peso einzeln in die offene Hand des Don Sixto.
Celso zählte nicht. Aber Don Sixto sagte die Zahlen, jede einzeln, so einzeln, wie die Pesos in seine Hand gelegt wurde.
Jedes Mal, wenn er zehn Pesos in der Hand hatte, leerte er die Hand dadurch, dass er das Geld in die Hosentaschen gleiten ließ, einmal in die rechte, dann in die linke, dann in die rechte hintere, dann in die linke hintere, dann wieder in die rechte vordere.
Don Emiliano sah ihm dabei zu, und er zählte im stillen mit. Geldzählen war interessanter, als sich über die unbrauchbare Autostraße des Gouverneurs zu ärgern.
Es kam die Zeit, dass Don Sixto siebzig Pesos in den Taschen hatte. Er öffnete die Hand wieder, hielt sie Celso hin, und als er weitere sieben Pesos hatte, sagte er: »Basta, Muchacho. Hier gebe ich dir jetzt vier Reales zurück. Ehrlichkeit ist Ehrlichkeit. Nicht einen Centavo mehr, als mir zusteht. So, und nun will ich dir die Quittung schreiben. Du sollst nicht denken, dass ich ein zweitesmal komme und das Geld haben will. Anständigkeit und Ehrlichkeit regieren die Welt.«
Er nahm ein kleines, zerknittertes Notizbüchlein aus der Hemdtasche, riss mit geiziger Sorgfalt ein Blättchen heraus und schrieb eine Quittung, dass er von Francisco Flores die volle Summe für zwei Ochsen erhalten habe durch Restbezahlung von sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos am heutigen Tage. Er schrieb seinen Namen darunter mit einem zehnfach verschnörkelten Schwung, von dem er annahm, dass kein Fälscher diesen Schwung nachahmen könnte.
»Komm«, sagte er zu Celso, »ich werde gleich das mit den Steuern erledigen, damit du eine vollwertige Quittung für deinen Vater hast.«
Er ließ den Burschen draußen warten, während er im Amtsraum der Steuermarkenfiliale die Marken aufzukleben und abzustempeln veranlasste. Er kam heraus, ging mit dem Burschen wieder zur Plaza zurück, wo noch immer Don Emiliano auf der Bank saß, Zigaretten rauchte und über die Schäbigkeit einer Regierung nachdachte, der er nicht angehörte. Don Sixto setzte sich neben ihn nieder, und nun gab er dem Celso den Quittungszettel.
»Hier hast du die Quittung unter Zeugen«, sagte er, »Don Emiliano ist Zeuge, dass du bezahlt hast für die Ochsen, und die Quittung ist mit den Marken nun gesetzlich, und die Brandzeichen der Ochsen sind auch eingetragen. Denke nur nicht von mir, dass ich dir dein Geld abnehme.« Er winkte befehlend mit dem Kopfe zu dem Burschen, um zu sagen: Nun, marsch, fort, ich habe andere Dinge zu tun.
Wie auf den Kopf geschlagen, trottete Celso mit schweren Schritten auf die Kathedrale zu, die eine Seite der Plaza ausfüllte und deren Seiteneingang gegenüber dem Cuartel, der Kaserne der Soldaten, lag. Er blieb an dem Verkaufstisch, den eine Händlerin im Eingang der Kathedrale aufgestellt hatte, stehen, kaufte zwei grüne Kerzen, ein silbernes Sternchen und ein silbernes Herzchen.
Eine Kerze widmete er der Heiligen Jungfrau, weil sie ihn auf dem Wege beschützt hatte, eine Kerze widmete er einer Figur, von der er glaubte, sie sei der San Andres, der Schutzpatron seiner Heimat, das silberne Sternchen gab er einer weiblichen Figur, einer Heiligen, die er nicht kannte; er wusste auch nicht, warum er ihr das silberne Sternchen gab. Aber das Sternchen hatte ihm die Händlerin als ein Glücksopfer verkauft. Und das silberne Herzchen legte er auf das Geländer des Hauptaltars mit der Erwartung, dass in der Nacht die Jungfrau aus ihrem dicken, goldenen Rahmen heraussteigen und sich das Herzchen holen würde.
Als er das Herzchen auf das Geländer legte, dachte er an das Mädchen, das er hatte heiraten wolle.
In diesem Augenblicke erst, und nicht ein einziges Mal während des Handels mit Don Sixto, kam es Celso zum Bewusstsein, dass er zwei Jahre in der Kaffeeplantage umsonst gearbeitet hatte. Das Mädchen als Frau zu haben war für ihn jetzt ebenso weit entfernt wie an dem Tage, als er sich für die Kaffeefinca hatte anwerben lassen.
Celso kniete auf den Steinboden, der dick mit Tannennadeln bestreut war, und betete: »Ave Maria, Madre de Dios, ora pro nobis.« Er wiederholte das zehnmal. Er wusste nicht, was es hieß, was es bedeutete, warum er es sagte und welchen Zweck es hatte. Aber seine Mutter hatte es ihm so lange vorgesprochen, bis er es nachsprechen konnte, als er fünf Jahre alt war und zum ersten Male in der Kathedrale zu Jovel gewesen war. Es war alles, was er an Gebeten wusste. Seine Mutter wusste nicht mehr, und sie konnte ihm darum auch nicht mehr vorsprechen.
Als er mit seinem schlichten Gebet zu Ende war, nahm er die Spitzen seines Zeigefingers und seines Daumens zusammen, klopfte sich damit auf die Lippen und küsste sich dann die Fingerspitze.
Nun stand er auf und verließ die Kirche. Er hatte alles getan, was ihm seine Mutter geraten hatte, als er zur Kaffeefinca abmarschierte. Sie hatte ihm gesagt, dass, wenn er zurückkomme und in Jovel, der letzten Stadt, anlange, er zwei grüne Kerzen kaufen und sie in der Kirche anzünden solle als Opfer für die gesunde Heimkehr.
Bei der indianischen Händlerin, wo er die Bananen gekauft hatte, lag ein Reisepacken, den er dort für eine Weile zur Aufbewahrung zurückgelassen hatte. Er ging hin zu der Händlerin, nahm seinen Packen auf und machte sich auf die letzte Strecke zu seinem Heimatdorf.
Das letzte Haus am Ausgang der Stadt war eine kleine Tienda, ein kleiner Laden, in dem alles, was ein Indianer gebrauchen konnte, zu haben war. Die wenigen Waren, alle verstaubt und niemals angefasst, die hier auf den wackligen Regalen lagen, dienten nur dazu, kontrollierenden Beamten nachzuweisen, dass hier Waren feilgeboten wurden. Freilich, jeder Beamte wusste, dass diese Waren nur da waren, damit er schwören könne, er habe geglaubt, es handele sich um eine legale Tienda. Dass er Geld bekommen und angenommen hatte, um so zu kontrollieren, wie es dem Eigentümer des Ladens gefiel, brauchte der Beamte nicht zu beschwören. Wenn es je zu einer Beschwerde kam, so war der Richter, der aus derselben Schüssel aß, aus der auch alle übrigen Beamten aßen, gütig und verständig genug, nicht zu fragen, ob Geld angeboten und angenommen worden war.
Der Eigentümer des Ladens hätte mit seinen Waren, auch wenn sie von der besten Art gewesen wären, keine großen Geschäfte machen können. Denn niemand kauft seinen Bedarf im letzten oder im ersten Hause einer Stadt, solange er nicht geprüft hat, wie der Preis und der Wert der Waren im Innern der Stadt sind, wo die Konkurrenz die Kaufleute zwingt, die Preise niedrig zu halten.
Das Geschäft, das der Mann hier machte, war einfacher Natur. Er verkaufte unversteuerten Aguardiente.
Am unversteuerten Branntwein wird mehr verdient als am versteuerten. Der Verkäufer teilt sich mit dem Trinker das Geld, das die Regierung aus dem Laster zieht. Und weil hier der Verkäufer auch noch gleichzeitig der Fabrikant des Branntweins ist, so hat er den Verdienst doppelt.
Der Geschäftsinhaber hat keine Lizenz zum Branntweinverkauf. Das wäre lästig, denn dann würden die Inspektoren kommen und die Fässer nachzählen, die unversteuerten finden und mit fünfzigfacher Steuer belasten.
Der Mann verkauft auch keinen Branntwein in Gläschen; dann müsste er eine Kantinenlizenz haben, oder die übrigen Kantinenbesitzer, die ehrlich ihre Steuern bezahlen, würden ihn anzeigen.
Der Kaufmann hier verkauft den Branntwein in Flaschen, weil er ja keine Cantina hat. Niemand darf im Innern des Ladens trinken. Das ist verboten, weil es ja keine Cantina ist. Alles übrige, was der Mann tut, ist auch verboten. Aber dass er das Gesetz respektiert und sich nicht außerhalb des Gesetzes stellt, beweist er damit, dass er jeden Käufer veranlasst, seine Flasche hinter dem Hause oder neben dem Hause auszutrinken.
Vor dem Hause, neben dem Hause, hinter dem Hause und entlang den Wegen zu den Dörfern der Indianer liegen Männer, Frauen, Burschen, alle sinnlos betrunken, in der Sonne. Alle in Lumpen, das Haar verfilzt und verlaust, die betrunkenen Weiber, ihre Röcke hoch bis an den Hals gezogen, Hemden haben sie keine, um sie auch mit hochzuziehen, die betrunkenen Männer grölend, kreischend, schlafend, tanzend.
Jeder Bewohner der Stadt, ja jedes Kind weiß, dass hier ohne Lizenz unversteuerter, hochprozentiger Aguardiente in Flaschen an die Indianer verkauft wird. Jeder Inspektor der Steuer weiß es. Aber jeder gibt vor, es nicht zu wissen; denn der Mann, der den fetten Laden hat, lässt andere Leute, die ihm das Geschäft verderben könnten, wie Steuerinspektoren, Bürgermeister, Richter, Polizeichef, reichlich mitverdienen.
Darum ist der Mann mächtig und von jedermann gefürchtet. Und das Land ist so voll von guten und schönen Gesetzen, dass man sich nicht einmal auf dem Absatz umdrehen kann, ohne in ein Gesetz hineingetreten und drei andere übertreten zu haben. Aber alle Gesetze bestehen nicht, um Land und Volk gesittet und zivilisiert zu halten, sondern sie bestehen, damit Abgeordnete, Gouverneure, Bürgermeister, Richter, Gefängnisverwalter, Polizeichefs und alle, die das Glück hatten, ein Amt zu erwischen, aus den Bürgern Geld herausschinden können, das nicht in den Gehaltslisten verbucht wird.
An diesem Laden, ein Lehmhaus, ohne Fenster und mit Holzschindeln gedeckt, kam Celso an. Er setzte sich eine Weile an den Rand der sandigen Straße, mit dem Rücken gegen seinen Packen gelehnt.
Er hatte in Jovel viele Dinge einkaufen wollen, um sie als Geschenke mit nach Hause zu bringen. Für seinen Vater Sandalen, für seine Mutter ein neues rotes Wollband, in die Zöpfe zu flechten, und für sein Mädchen eine glitzernde Perlenhalskette. Nun kehrte er ohne Geschenke heim und ohne Geld für die Heirat. Für Don Sixto waren die sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos gerade so viel wie ein lässiger Fingerschnipp. Er verspielte das Doppelte in einer Stunde am Roulett auf der Plaza oder beim Würfeln in der Cantina. Für Celso waren dieselben sechsundsiebzig Pesos fünfzehn Kinder und alles, was er benötigte, um sich eine Welt aufzubauen, damit sein Leben einen Sinn bekam.
Celso ließ seinen Packen liegen und ging in den Laden. Er deutete auf ein rotes Wollband, das an einem Faden von einer Latte herunterhing. Es war völlig verstaubt und sah infolge des Staubes grau aus. Der Händler hatte nie die Absicht, dieses Wollband oder irgend etwas anderes, das er im Laden hatte, zu verkaufen. Darum war es ihm gleichgültig, ob die Sachen verstaubten oder nicht.
Er bohrte sich gelangweilt mit einem Zahnstocher im Munde, zog den Mund schief, kniff ein Auge halb zu und sagte: »Wo kommst du denn her, Muchacho? Wo bist du denn her? So, von Ishtacolcot.«
»Wie viel kostet das Band?« fragte Celso wieder.
»Ja, sieh doch einmal einer an«, sagte der Händler erstaunt. »Bist wohl jetzt dick und fett geworden.
Willst du einen Schluck nehmen? Schenke ich dir.«
Celso drehte sich um und wollte gehe.
»He, du«, rief ihn der Händler an, aus seiner Faulheit ein wenig aufgescheucht, »lauf nicht davon! Das Band kannst du haben. Kostet acht Reales.«
Der Preis im Innern der Stadt war zwei Reales.
Celso drehte seinen Gürtel etwas auf. Es waren siebenundvierzig Centavos, die er noch besaß.
»Kannst du mir das Band für siebenundvierzig Fierros lassen?« fragte er den Händler.
»Nein, das kann ich ganz gewiss nicht, bei der Santisima Virgencita und bei San José und dem Kinde, ich kann es dafür nicht hergeben.« Der Zahnstocher in seinem Munde schob sich nun von selbst aus dem einen Mundwinkel in den anderen. Der Mann stützte beide Hände auf die Ladentischplatte und sagte:
»Ich will dir etwas sagen, was ich für dich tun will. Eine Halbliterflasche voll kostet fünfzig. Dir will ich sie für siebenundvierzig geben, so dass du siehst, wenn ich etwas für weniger Geld verkaufen kann, dann bin ich immer dazu bereit.«
Celso kam heim in sein väterliches Haus ohne Geschenke, ohne Geld für die Heirat, ohne seinen Packen, den er irgendwo am Wege verloren hatte. Er fiel lang in das Haus und in den Schoß seiner Mutter, die am Erdboden beim Feuer hockte und das Abendessen kochte.
Am nächsten Tage, als mit Celso wieder menschlich zu reden war, fragte ihn sein Vater, wo er das Geld gelassen, das er in zwei Jahren verdient habe.
»Das hat mir Don Sixto abgenommen.«
»Es ist richtig«, sagte der Vater, »ich schulde Don Sixto das Geld für die beiden Ochsen. Aber es ist keine Rede davon, dass ich ihm das Restgeld für die Ochsen von deinem Lohne versprochen habe. Wir haben verabredet, dass ich den Kauf mit dir besprechen werde, wenn du von der Kaffeefinca heimkommst, weil du die Ochsen erst sehen und beurteilen sollst. Ich wollte dir die Ochsen geben, wenn dir das erste Kind geboren wird. Und wenn dir die Ochsen nicht gefallen, dann könnte ich sie zurückbringen zu Don Sixto, und er würde mir die Zahlung, die ich gemacht habe, wiedergeben oder sie mir gutrechnen für ein Mule.
Wir haben verabredet, dass ich Don Sixto jedes Vierteljahr sechs Pesos bringe, bis die Ochsen bezahlt sind, und dass wir den Kaufkontrakt in Jovel beim Amt richtig machen würden, wenn du zurückgekommen bist. So ist die Abmachung.«
Das sah so einfach aus hier in seinem väterlichen Hause, wo im Schatten des Palmdaches seine Mutter auf dem Metate die Maza für das Mittagessen rieb. Das hörte sich so wahrhaft und schlicht an aus dem Munde seines Vaters. Es tönte so klar und ohne Hinterhalt hier in seinem Dorfe, eingezäunt von einer dichten Magueyhecke, wo Hunde gelangweilt kläfften, Esel trompeteten, Truthühner glucksten, Hühner gackelten, Kinder kreischten und alles und jedes in Frieden und Eintracht mit der Umgebung in einem Ton zusammenklang.
Aber alles hatte so anders geklungen aus dem barschen Munde des Don Sixto, der nicht diskutierte,
sondern befahl. Weder Celso noch sein Vater kamen auf den Gedanken, nach
Jovel zu gehen und das Geld von Don Sixto zurückzufordern. Es wäre vergebens gewesen. Und wenn sie sich aufregen und Don Sixto auch nur ein böses Wort sagen würden, dann kämen beide in die Carcel.
Am selben Tage ging Celso seinen Packen suchen. Er fand ihn auch. Und weil auf dem Wege, den er gekommen war, nur Indianer wanderten, so war sein Packen unberührt.
Celso schämte sich, zu seinem Mädchen zu gehen.
Aber nachdem Celso mehr als eine Woche daheim war und täglich mit seinem Vater in der Milpa gearbeitet hatte und von allen Leuten im Dorf gesehen wurde, wie er sich abmühte, die Ochsen zum Pflügen einzudrillen, kam eines Nachmittags, kurz vor Sonnenuntergang, der Vater des Mädchens zum Hause des Francisco Flores.
Hinter dem Vater, in einem längeren Abstand, kam die Tochter hergegangen.
Der Vater des Mädchens, Manuel Laso, trat in den Hof, grüßte und setzte sich auf die Bank.
Das Mädchen blieb draußen vor der Hecke stehen. Sie war barfuss, trug den üblichen schwarzen, rohen Wollrock, der ihr bis zu den Knien reichte, und hatte eine grüne Glasperlenkette um den Hals. Ihr dickes Haar war mit rotem Wollband in Zöpfen gedreht und hoch auf dem Kopfe aufgetürmt. Beide Arme hatte sie vor der Brust gekreuzt und das Gesicht in den Händen versteckt. Aber sie blickte lebhaft durch die Finger, und jeder konnte sehen und sollte sicher auch sehen, dass ihr nichts entging, was sich im Hause oder im Hofe zutrug.
Die Mutter des Celso stand auf vom Feuer, kam aus der Hütte, verneigte sich halb vor dem Gast, reichte ihm die Fingerspitzen hin, die er leicht betastete, ging dann zu der Einfriedung und lud das Mädchen ein, in den Hof zu komme.
Als ob sie etwas verbrochen habe, wischte das Mädchen an der Seite der Frau entlang, und mit einem Husch war sie in der Hütte, wo sie sich mit der Frau am Feuer niedersetzte und beide zu schwatzen begannen.
Celso hatte hinter dem Hause gearbeitet. Er beschäftigte sich mit der Anfertigung des Geschirres für die Ochse.
Er kam in den vorderen Hof und begrüßte den Vater des Mädchens so beiläufig, als ob es ihm gleich sei, ob er hier sei oder nicht. Das Mädchen kümmerte ihn nicht. Er beachtete sie nicht einmal. Er vermied, in die Hütte zu gehen, obgleich er wusste, dass sie drin war, oder besser gesagt, weil er wusste, dass sie drin war. Lange konnte er es jedoch nicht ertragen. Er ging zur Tür der Hütte und fragte die Mutter, ob sie nicht wüsste, wo sein Messer sei. Er wusste, wo es war. Es war im Hause in einen Pfosten gesteckt, und um es zu erlangen, musste er die ganze Hütte durchqueren. Er ging auf den Pfosten zu, mit geradeaus gerichteten Augen, ohne das kauernde Mädchen zu beachte.
Das Mädchen hatte sofort, als der Bursche in die Hütte kam, ihr Gesicht in den hochgezogenen Brustteil ihres Rockes versteckt. Jedoch von der Seite und von unten herauf folgte sie allen Bewegungen des Burschen. Wenn sie auch wenig Einfluss auf die Wahl ihres Mannes ausüben konnte, weil das Angelegenheit der beiden Väter und des heiratsfähigen Mannes war, so war sie dennoch immer begierig, einen Blick auf den zu werfen, der ihr seit mehr als zwei Jahren als Mann versprochen worden war.
Sie war jetzt sechzehn Jahre alt. Und es war Zeit für sie und ihre Eltern, ernsthaft an ihre Zukunft zu denken. Mit zwanzig Jahren galt sie als alte Jungfer.
Die beiden Väter hatten einiges geredet. Als Celso nun wieder aus der Hütte kam, rief ihn Manuel Laso an: »He, du, Muchacho, warum bist du denn nicht einmal zu mir herübergekommen, >Guten Tag< zu sagen? Ich habe auf dich gewartet.«
»Ich habe noch keine Zeit gehabt, Don Manuel«, sagte Celso.
»Wir haben nun die Ochsen, und ich will sie für den Vater zum Ziehen bringen, ehe ich wieder fortgehe.«
»Ehe du wieder fortgehst?« fragte Manuel Laso.
»Wohin fortgehst, Junge?« fragte auch der Vater des Celso. Es kam ihm ebenso unerwartet, wie es Manuel Laso gekommen war.
»Das Geld verdienen für die Heirat«, erklärte Celso, als wäre es selbstverständlich.
Manuel Laso knitterte das Gesicht zusammen und sagte: »Ich glaubte, du bringst das Geld von der Kaffeefinca zur Heirat. Du hast zwei Jahre tüchtig gearbeitet.«
»Ich habe aber das Geld nicht, Don Manuel, und darum muss ich wieder fort und sehen, wie ich das Geld verdiene.«
Er sagte nicht, dass er das Geld für die Ochsen bezahlt habe. Auch sein Vater sagte es nicht. Denn wo das Geld war, das war in diesem Handel ohne jeden Belang. Von Wichtigkeit allein war nur, dass Celso die Sachen heranschaffte, die er als Heiratsgut zu geben hatte. Es handelte sich nicht um Geld, sondern um die Hochzeitsgabe.
Manuel Laso hatte vielleicht eine leise Idee, dass jenes Geld wahrscheinlich etwas mit den Ochsen des Francisco Flores zu tun habe. Aber es war nicht seine Sache, das zu ergründen; denn es änderte nichts an der Tatsache, dass Celso das Geld nicht hatte, das er brauchte, um die Brautgabe zu kaufen Francisco Flores sagte: »Ich habe dem Celso die beiden Ochsen versprochen, wenn das erste Kind geboren ist.
Weißt du, Don Manuel, ich kann auch gern dem Celso die beiden Ochsen heute geben.«
»Diese beiden Ochsen sind nicht wichtig in dem Handel, den ich mit Celso habe, Don Francisco«, sagte Manuel Laso. »Er muss von sich selbst und ohne deine Mithilfe das Geld heranschaffen, um das Heiratsgut zu bezahlen. Verflucht noch mal, ich muss doch wissen, ob der Vagabund überhaupt Geld verdienen kann. Celso ist mir recht, und das Mädchen sagt meiner Vieja, meiner Alten, dass ihr der Celso sehr recht und sehr angenehm ist. Aber das dauert nicht lange. Was allein dauert, ist die Fähigkeit, zu arbeiten und Geld zu verdienen. So, und das ist nun mein letztes Wort in der Sache: Celso, ich gebe dir noch einmal zwei Jahre. Aber mehr als zwei Jahre kann das Mädchen nicht warten.«
Manuel Laso stand auf, reichte Francisco Flores die Hand hin und rief zur Tür der Hütte: »Ich gehe.«
Die Mutter des Celso kam zur Tür und sagte: »Adiosito, Don Manuel.«
»Hasta luego«, antwortete Don Manuel, »bis später«. Er ging seiner Wege.
Das Mädchen kam wie ein verscheuchtes Hündchen auf Francisco Flores den erhofften Schwiegervater, zu, beugte sich nieder und küsste seine Hand.
Er legte seine andere Hand auf den Kopf des Mädchens und sagte: »Vaya con Dios, geh mit Gott, chiquita mia.«
Ohne aufzusehen und ihren gebeugten Oberkörper in derselben Stellung, wie sie Don Francisco gegrüßt hatte, haltend, drehte sie sich rasch um und lief mit kurzen, raschen Schritten hinter ihrem Vater her.
Außerhalb der Hecke wandte sie sich jedoch ein wenig und lugte über ihre Schulter zurück in den Hof.
Aber sie hielt ihre beiden Hände über das Gesicht gedeckt.
Celso stand an einem Pfosten des Hauses und schnitzte mit einem Messer an einem Knüppel herum.
Die Art, wie er sich mit dem Knüppel beschäftigte, erweckte den Eindruck, dass dies eine ungemein wichtige Arbeit sei für das Geschirr des Ochsen. Aber in Wahrheit schnippelte er an dem Stecken hin und her ohne bestimmte Absichten hinsichtlich der Verschönerung oder der Nutzbarmachung des Holzes.
Er sah nicht dem Mädchen nach, und er kümmerte sich nicht um den Blick des Mädchens. Dieser eingeschüchterte Blick hinter ihren Händen, als wäre es hinter den Gittern eines Fensters, war das einzige Zeichen, das sie äußerte, um zu offenbaren, dass Celso für sie der einzige Mann unter dem Himmel sei.
Erst als nach seiner Schätzung der Vater mit dem Mädchen wenigstens zweihundert Schritte von dem Hause entfernt war, sah Celso auf. Seine Hand jedoch schnippelte mit dem Messer, ohne zu stocken, weiter an dem Knüppel herum, so dass, wenn er bemerkt hätte, dass ihn jemand beobachtete, er nur die Augenlider fallen zu lassen brauchte, um gegenüber jedem Verdacht gewappnet zu sein, dass er nur dies Mädchen und kein anderes als Mutter für seine fünfzehn Kinder wolle. Er hatte, als er noch ständig daheim in seinem Dorfe war, zuweilen das Mädchen von nahem gesehen. Einmal, als der Cura kam, um in der zusammenfallenden Kirche des Ortes Kinder zu taufen. Ein anderesmal bei einer Hochzeit, wo er mit dem Mädchen viermal getanzt hatte. Und mehrere Male hatten sich die beiden Familien auf dem Heimwege vom Markt in Jovel getroffen. Wenn er gut und sehr sorgfältig aufgerechnet haben würde, so wäre alles, was er während seiner Lebenszeit mit dem Mädchen bis heute gesprochen hatte, sicher nicht auf mehr als achtzehn oder zwanzig Worte gekommen. Selbst zum Tanz hatte er sie nicht mit einem einzigen Worte aufgefordert, sondern er war nur etwas näher getreten und hatte sein rotes Halstuch in ihren Schoß geworfen, um ihr zu zeigen, dass er ihr die Ehre antäte, mit ihr tanzen zu wollen.
Wenn die beiden heiraten, so wird einst der Tag kommen, wo sie dreißig Jahre miteinander verheiratet sein werden. Ohne Kirche, ohne Staatsregister, lediglich mit Zustimmung der Väter. Ob das Paar dann, nach dreißigjähriger Ehe, glücklich ist oder glücklich war, wissen beide nicht. Eheliches Glück steht außerhalb ihrer Empfindungen. Sie haben Kinder, einige sind gestorben, andere leben, viele sind verheiratet. Sie leben in steter harter Arbeit. Sobald sie aufhören zu arbeiten, auch nur einen Monat, so haben sie keinen Mais zu essen und keine Bohnen. Sie leben in Frieden miteinander. Die Frau gehorcht ihrem Manne von dem Tage ihrer Eheschließung an mehr, als sie Gott gehorcht. Was er sagt und anordnet, ist für sie und alle Kinder, ob sie mit ihm noch im Hause wohnen oder ihr eigenes Haus haben, unabänderliches Gesetz.
Für Celso war dieses Mädchen, und gerade dieses, ebenso wichtig und ebensoviel wert, wie für irgendeinen anderen Mann ein Mädchen ist, von dem er meint, dass er es sich selbst ausgesucht habe und dass er ohne sie nicht leben kann.
Das Mädchen, das ihm zugewiesen war, für sich aufzubewahren und für sich mit allen seinen Kräften zu gewinnen, betrachtete Celso ebenso als seine nächste und härteste Aufgabe, wie sich ein junger Bankangestellter in New York, London oder Berlin bemüht, die Bedingungen zu schaffen, unter denen er sein Mädchen endlich heiraten kann.
Nichts ist umsonst in diesem Leben, weder für den Bankangestellten noch für Celso. Und darum muss Celso wieder fort, um erneut das Geld heranzuschaffen, das er schon einmal zu haben glaubte.
Celso packte wieder auf, und eines Morgens um drei Uhr war er auf dem Marsche nach Jovel.
Es waren keine Agenten in Jovel, um Leute für die Cafetales anzuwerben. Es schien Celso auch, dass beim Arbeiten im Kaffee nicht genügend zu verdienen war und dass er vielleicht etwas finden könnte, wo er schneller zu seinem Gelde kommen würde.
Er stand in einem Laden an der Plaza und kaufte rohe Tabakblätter ein, um für den Weg Zigarren zu haben. Im Laden war ein Ladino anwesend. Der Caballero redete mit dem Ladeninhaber über eine Möglichkeit, einen Brief mit Dokumenten nach der Monteria Agua Azul zu schicken. Er hatte bereits einige Tage lang nach Arrieros gesucht. Das waren die Maultiertreiber, die Waren auf Maultieren in die fernen Distrikte beförderten, wo es keine Straßen gab. Aber keiner der Arrieros hatte eine Karawane nach einer Monteria. Vielleicht in zwei Monaten oder in vier, wenn der Türke mit seinem Handel nach den Monterias zieht. Aber heute oder innerhalb von zwei oder drei Wochen auf keinen Fall.
Der Caballero hatte daraufhin nach einem einzelnen Boten gesucht. Aber keiner wollte allein reiten, sie alle hatten Furcht vor dem langen Marsch durch den Dschungel, ein Marsch von zehn Tagen; dazu kam noch der Rückmarsch. Der Marsch von Jovel bis zur letzten Siedlung vor dem Dschungel dauerte sechs Tage. Die nötigen Ruhetage mit eingerechnet, war es ein Botenmarsch von vierzig Tagen. Und vierzig Tage mussten dem Boten bezahlt werden. Dazu kam sein Pferd, und dazu kam sein Mule, auf dem er seinen eigenen Reisepacken beförderte. Und das Mule diente auch dazu, gelegentlich mit dem Pferde auszuwechseln, um keines der Tiere zu ermüden. Wenn Pferde oder Mules im Dschungel ermüden, legen sie sich hin, fressen nicht mehr und sterben weg wie in Traurigkeit. Aber ein einzelner Bote fürchtete sich. Er wollte einen Burschen zur Begleitung haben. Eine solche Forderung war nicht unbillig. Dieser begleitende Bursche musste auch mit vierzig Tagen Lohn bezahlt werden, gleichfalls sein Pferd.
Auf den Brief einfach eine Briefmarke für zwanzig Centavos aufzukleben und den Brief in den Kasten zu stecken und schnell wegzurennen, half dem Caballero auch nichts. Der Brief würde ihm am nächsten Tag im Hotel wieder zugestellt werden mit dem Vermerk »No hay correos - dahin gibt es keine Postverbindung«.
Sagte der Ladeninhaber: »Hören Sie, Don Apolinar, warum schicken Sie denn nicht den Brief mit einem Chamula, hier mit einem Indio? Fragen Sie gleich mal den Burschen, der hier auf der Bank sitzt und sich Zigarren dreht. Ich bürge für ihn, kenne ihn und seinen Vater.«
Ursprünglich hatte Celso, wie alle seine Stammesangehörigen, nur die Sprache seiner Nation gesprochen, Tsotsil. Aber bereits ehe er nach den Kaffeefincas zur Arbeit gegangen war, hatte er begonnen, spanisch zu lernen, als er für einige Monate in einer Säge des Don Prisciliano für fünfundzwanzig Centavos den Tag arbeitete. In den Kaffeefincas, wo so viele Burschen verschiedener Sprachen zusammenkamen und Spanisch notwendig war, um sich miteinander verständigen zu können, hatte er dann Spanisch so vollkommen gelernt, wie das nur für einen Indianer notwendig ist, der nie eine Schule besucht hat.
Er hatte gehört, was die beiden Caballeros gesprochen hatten, tat jedoch, als ob er nicht genügend spanisch verstünde, um genau zu wissen, was verhandelt wurde.
In Dingen wie diesen hier ist ein Indianer, der in seinem Pueblo, seinem Dorfe, lebt, sehr langsam im Begreifen und noch viel langsamer im Erfassen einer Gelegenheit, für sich einen Vorteil zu erhaschen.
Durch sein Leben in den Kaffeefincas, wo nicht nur rein indianische Arbeiter aufeinander treffen, sondern auch die gerissenen, eilfertigen und geschmierten aus dem Kehricht der Städte, die sich zuweilen in jene fernen Kaffeeplantagen zum Arbeiten begeben, um der Polizei und dem Richter aus dem Gesichtskreis zu entschlüpfen, hatte Celso jedoch begonnen, die angeborene Schwerfälligkeit im Denken abzuschütteln.
Völlig hatte er sie noch nicht abgeworfen, sonst wäre er ja nicht so taumelnd dem Don Sixto in das Netz gegangen, sondern er hätte sich gewehrt, und er hätte erst einmal abgewartet, ob wirklich das Gefängnis auf ihn wartete, wenn er Don Sixto nicht zahlte.
Das wenige aber, was er bis heute in den Kaffeeplantagen an Fähigkeit, seinen eigenen Vorteil in dieser Welt wahrzunehmen, gewonnen hatte, kam ihm jetzt sehr zugute.
Ohne diese Lebenserfahrung erworben zu haben, wäre er wahrscheinlich aufgesprungen und hätte sich dem Don Apolinar angeboten, den Brief nach Agua Azul zu bringen. Aber er ließ das bleiben, weil er gelernt hatte, dass ein Arbeiter, der sich anbietet, nur halb soviel wert ist wie ein Arbeiter, der gesucht wird.
So blieb er ruhig auf seiner Bank sitzen und drehte an seinen Zigarren weiter. Und weil er so unschuldig tat, redeten die beiden Caballeros unbefangen über den Preis für den Bote.
»Denken Sie, dass er es für zwei Reales - fünfundzwanzig Centavos - den Tag macht?« fragte Don Apolinar.
»Er kann es in dreißig Tagen machen, das wären dann sieben Pesos und fünfzig Centavos«, rechnete der Kaufmann aus.
»Höre mal, du Chamula!« rief Don Apolinar. Celso stand auf und kam näher. Als er von dem Briefe und der Schwierigkeit, ihn zu befördern, hörte, begann er, ohne es merken zu lassen, an einem Plan zu arbeiten. Und eine Minute darauf hatte er erfasst, dass das größte Glück, das ihm in seiner gegenwärtigen Lage helfen konnte, nichts anderes war, als einen wichtigen Brief nach einer Monteria zu bringen.
Seine Absicht war es, wieder nach den Kaffeefincas zu gehen, als er aber vernahm, dass kein Agent da sei, dachte er als einzigen anderen Ausweg an die Monterias. Es war schwere Arbeit, man konnte sie mörderisch nennen, jedoch er fürchtete sich nicht. Was er vermeiden wollte, waren die hohen Unkosten, Arbeit in der Monteria zu erhalten. Der Agent verlangte zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Pesos Kommission für das Anwerben. Der Arbeitskontrakt kostete in Hucutsin fünfundzwanzig Pesos Steuer beim Bürgermeister. Der Marsch, oder besser, was er auf dem Marsch verzehrte, kostete sein Geld. Es waren beinahe drei Monate Arbeit, die er zu leisten hatte nur für die Unkosten der Tatsache, dass er überhaupt arbeiten durfte.
Und nun, während er so über seine Lage nachdachte, fiel ihm der Brief mit den wichtigen Dokumenten in den Schoß. Der Weg wurde bezahlt. Er kam in der Monteria an. Es wurden in der Monteria immer und ewig Arbeiter gebraucht, weil sie wegstarben wie Läuse unter einer Gasolinpumpe. Er arbeitete ohne Vertrag in der Monteria, konnte gehen, wann er wollte und wenn er glaubte, so viel Geld zu haben, wie er zur Heirat benötigte.
»Wie heißt du denn, Muchacho?« fragte Don Apolinar. »Celso, Celso Flores, a sus ordenes, patroncito.«
»Kennst du den Weg in die Monterias?« »No, mi patroncito.«
Don Apolinar begann, ihm den Weg klarzumachen. Er nahm ein Stück Einwickelpapier, das auf dem Ladentisch lag, zu Hilfe und zeichnete die Linie auf. Da Celso nicht lesen konnte, so machte er kleine Vierecke überall dorthin, wo ein Dorf war, und er zeichnete für jedes einzelne Dorf ein Merkmal hin, das entweder in einem besonderen Merkmal der Kirche oder der Plaza oder eines großen Baumes oder in der Lage des Cementerios, des Friedhofes, bestand. Damit war der Weg für das Verständnis des Celso ebenso gut, vielleicht besser bezeichnet als für einen Handelsreisenden der Eisenbahnfahrplan. In der Weise zeichnete Don Apolinar den ungemein beschwerlichen Weg auf, den er mehrere Male bis zu der letzten Siedlung am Rande des Dschungels gemacht hatte. Von hier an ließ sich der Weg nicht mehr so gut auf dem Papier darstellen. Er konnte Celso nur sagen, dass er in der letzten Siedlung übernachten und sich hier den Weg durch den Dschungel bis in alle Einzelheiten beschreiben lassen solle.
Er möge in der letzten Siedlung auch alles einkaufen, was er an Essen durch den Dschungel brauche; denn im Dschungel sind keine Kaufläden, keine Hütten und ist keine Menschenseele, und der Weg durch den Dschungel dauere neun bis zwölf Tage, je nach der Raschheit des Marschierende.
»Du siehst also hier, Celso, wie der Weg geht und wie lange du etwa brauchen wirst bis Agua Azul «, sagte Don Apolinar. »Wir wollen nun über deinen Lohn reden. Du kannst den Weg recht gut in dreißig Tagen machen, fünfzehn hin und fünfzehn zurück. Für jeden Tag gebe ich dir zwei Reales. Das sind dann sieben Pesos und fünfzig Centavos, und wenn du das gut ausrichtest, gebe ich dir freiwillig vier Reales drauf als Belohnung.«
Celso hörte sich das an, ohne mit dem Kopf zu nicken, ohne etwas zu verneinen, ohne durch irgendeine Miene im Gesicht auszudrücken, dass er überhaupt verstanden habe, was man von ihm wolle. Hatte er einmal begonnen, auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, so konnte er das nun auch gleich fortsetzen, sonst lohnte sich der Anfang nicht. Während Don Apolinar auf ihn einredete, kam ihm der Gedanke, dass er von Apolinar zurückgewinnen könne, wenn auch nur zum Teil, was ihm Don Sixto abgenommen hatte.
Schüchtern, unterwürfig und dumm sagte Celso: »Con su amiable permiso, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, Patroncito, ich glaube nicht, dass ich gehen kann. Das ist sehr, sehr weit. Ich fürchte mich durch die Jungla. Da leben die wilden Caribes, die Indianer, die Frauen stehlen und die alle Indios, die nicht Caribes sind, erschlagen, wenn sie nahe kommen.«
»Die Caribes sind gute Leute, die tun dir nichts«, mischte sich der Kaufmann ein.
»Ich fürchte mich aber doch«, sagte Celso wieder. »Es sind auch Tiger und Löwen und Schlangen im Dschungel, und ich habe kein Gewehr.«
»Du hast doch deinen Machete, dein Buschmesser«, wandte Don Apolinar ein. »Die Machete ist zuweilen mehr wert als zwei gute Gewehre«, meinte Don Apolinar beruhigend.
»Gewehre können gerade dann nicht losgehen, wenn ein Tiger zum Sprung ansetzt, und was machst du dann?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht, was ich dann machen werde«, sagte Celso. »Ich muss das erst einmal sehen, wie das aussieht.«
Don Apolinar und der Kaufmann lachten auf und fühlten sich groß und reich gegenüber der Unschuld und der Dummheit des Celso.
»Willst du erst einmal einen Schluck nehmen, Celso?« fragte Don Apolinar.
»Mil gracias, patroncito, no tomo, ich trinke nicht«, erwiderte Celso.
»Bueno, bueno«, sagte Don Apolinar. »Pues, also, du gehst, Celso.«
»Muy lejos, demasiado lejos, ei camino«, sagte Celso, sich wehrend, scheinbar wehrend. »Der Weg ist weit, viel zu weit.«
»Ich werde dir etwas sagen, Celso. Ich gebe dir drei Reales für den Tag, drei Reales, siebenunddreißig Centavos, für jeden Tag.«
»Und das Essen, gran patroncito? Wo bekomme ich das Essen her?«
»Das Essen musst du dir freilich vorher kaufen.« »Von drei Reales, mi buen patroncito mio?« »Kostet dich doch nur einen halben Real oder gar nur einen Quinto.«
»Aber dann habe ich doch keine drei Reales mehr den Tag für meine Arbeit, patroncito, con su permiso.«
Celso sprach immer demütiger, immer ergebener, immer höflicher. Scheinbar immer dümmer und immer weniger begreifend, hätte ihn auch der barscheste Polizeichef nicht anschreien können, dass er sich ungehörig benehme. Und der gerissenste Arbeiteragent würde nicht entdeckt haben, dass nicht der Ladino mit dem Indianer spielte, sondern der Indianer mit dem Ladino. Das Spiel war um so reizvoller darum, weil weder Don Apolinar noch der Kaufmann, die sich beide so hoch und erhaben dünkten, merkten oder auch nur ahnten, dass Celso mit ihnen spielte. Je demütiger und unterwürfiger Celso wurde, um so gottähnlicher fühlten sich die beiden Caballeros und um so nachgiebiger und achtloser wurden sie im Unterhandeln mit Celso.
»Gut, mein letztes Wort, Celso, ich gebe dir vier Reales den Tag«, sagte Don Apolinar in einem Tone, mit dem er andeutete, dass der Handel nun endgültig abgeschlossen sei.
»Aber mein Patroncito, Señorito, mein gütiges Herrchen und Väterchen, mit Ihrer Erlaubnis, wenn Sie mir vergeben wollen, wie kann ich denn diesen Weg in fünfzehn Tagen gehen. Nicht einmal ein Pferd kann den Weg in fünfzehn Tagen gehen«, sagte Celso weinerlich.
Don Apolinar kam die Erinnerung, dass kaum eine halbe Stunde vorher von vierzig Tagen, zwanzig hin und zwanzig zurück, geredet worden war und dass, falls er einen berittenen Boten senden müsste, vielleicht gar mit Begleitung, der Brief ungemein teuer würde. Nun, im Vergleichen der Summen, fand er den Indianer so billig, dass er eine Anwandlung von Freigebigkeit fühlte.
»Der Weg ist freilich weit, Celso, du hast recht«, sagte er. »Alles, was ich tun kann und tun will für dich, ist, dass ich dir fünfunddreißig Tage mit je vier Reales bezahlen werde. Wenn du den Brief in vierzehn Tagen in der Montera abgeben kannst, erhältst du acht Reales Belohnung. Das schreibe ich in einem besonderen Brief an den Señor Gerente in der Monteria, an Don Eduardo. Den Brief gibst du nur an Don Eduardo ab. «
Als er Don Eduardo erwähnte, kam ihm in den Sinn, dass Don Eduardo ihn um Chinin ersucht hatte.
»Es ist natürlich nicht nur der Brief allein, den du nach der Monteria zu bringen hast«, sagte er zu Celso, und er sagte es so gleichgültig, als wäre die ganze Zeit über von mehr Gepäck als nur gerade dem Brief die Rede gewesen. Der Brief war dick und schwer, und er bildete für jemand, der zu Fuß zu marschieren, über hohe Gebirge zu klettern hatte, durch Flüsse zu schwimmen, durch Sümpfe zu waten, durch Dschungelgestrüpp sich seinen Weg zu schlagen hatte, genügend Gepäck, wenn man beachtet, dass der Marschierende Essen für zehn Tage zu schleppen hatte, Decke, Matte, Moskitonetz hinzugerechnet.
»Nein, es ist nicht der Brief allein, Celso. Eines Briefes wegen werde ich keinen Boten schicken.
Der Brief wiegt ja kaum etwas, so dass man überhaupt nicht von Gewicht sprechen kann. Nimmst noch ein Päckchen mit, das ich dir gleich geben werde. Warte hier, ich laufe nur einmal zur Botica, gleich hier nebenan. Es ist besser, du kommst gleich mit. Nein, lass nur deinen Packen hier im Laden liegen, Don Pedro sieht schon hin, dass ihn dir niemand stiehlt. Überhaupt, hier stiehlt niemand.«
Don Apolinar ging zur Botica und kaufte fünf Kilo Chinin und tausend Gelatinehülsen zum Füllen.
Der Botiquero packte es gut ein in Papier, von dem er behauptete, es sei beinahe wasserdicht, und dann packte er alles in ein Kistchen. Da er ein passendes Kistchen nicht fand, so war das Kistchen viel größer, als notwendig gewesen wäre. Er sagte beruhigend zu Don Apolinar: »Für den Chamula macht das nichts aus, ob das ein halbes Meter größer oder kleiner ist und ob es zehn Kilo mehr oder weniger wiegt. Der spürt das gar nicht.«
Fünf Kilo mehr oder weniger Last können die Ursache sein, dass ein Träger nach einem heftigen tropischen Regen in einem Dschungelfluss hinweggeschwemmt wird und ertrinkt oder dass er sich noch retten kann.
Don Apolinar und Celso kamen zurück zum Laden.
Don Apolinar schrieb, über den Ladentisch gelegt, einen besonderen Brief an Don Eduardo, in dem er ihm mitteilte, was Celso brächte, also Brief und Chinin. Dann rechnete er auf, wie viel Don Eduardo dem Celso noch an Restlohn zu zahlen habe.
Er wickelte den großen Brief und den kleinen zusammen in eine reichliche Menge von Packpapier, schnürte das Päckchen gut ein und gab es Celso.
»Wo du dieses Päckchen mit den Briefen trägst, ob in deinem Packen oder auf deinem Arsch oder auf der Brust festgebunden, ist mir gleichgültig. Aber eines sage ich dir, das Päckchen darfst du nicht verlieren, nirgends liegenlassen, wo du schläfst, dir nicht stehlen lassen, es nicht im Fluss zerweichen oder gar fortschwimmen lassen. Ich lasse dich zwanzig Jahre in das Gefängnis sperren, wenn du die Briefe verlierst, und vielleicht lässt dich der Gobernador obendrein auch noch erschießen oder erhängen.
Was er machen wird, weiß ich noch nicht. Er kann dir auch den Kopf abschneiden. Aber wenn du die Briefe gut abgibst an Don Eduardo, bekommst du den Restlohn von ihm ausgezahlt, das sind zwölf Pesos fünfzig Centavos, und wenn du am vierzehnten Tage dort ankommst, gibt er dir einen Peso außerdem als Belohnung.«
Celso nahm das Päckchen und schob es in seinen Brustlatz, als ob es eine Zeitung vom vergangenen Monat gewesen wäre.
Don Apolinar sagte nichts. Er ließ den Burschen gewähren. Und Celso wusste genau, was er tat. Der Brief war wichtig. Das konnte jemand wissen, jemand konnte ihn beobachten. Und wenn er nun den Brief so behandelte, wie Don Apolinar wollte, dass der Brief behandelt werden sollte, dann mochte jemand, der Celso beobachtete, glauben, dass der Brief Geld enthalte. Man würde ihm auf dem Wege folgen und ihn irgendwo erschlagen des Briefes wegen. Erst dort, wo Celso genau wusste, dass ihn niemand beobachten könne, würde er den Brief da verstecken, wo er während des Marsches bleiben sollte.
Celso hatte seinen ganzen Reisepacken nach der Art der Leute seiner Nation in einem Netz. Das Netz war daheim aus starken, rohen Bastbindfäden gefertigt. Es konnte so weit auseinander gezogen werden, dass man das Fleisch eines ganzen Ochsen hineinstecken konnte, und es konnte so zusammengeschrumpft aussehen, dass man glauben mochte, nicht einmal zwei ausgewachsene Kaninchen könnten darin Platz finde.
Er zog das Netz auf und verstaute darin, zwischen allen den eigenen Sachen, die er mit sich schleppte, das Kistchen mit dem Chinin. Er ordnete den Packen nun so, wie er ihn zum Tragen wünschte.
Dann sah er auf.
Don Apolinar hatte ihm zugesehen, auf der Bank im Laden sitzend und eine Zigarre rauchend. Nun zog er fünf Pesos aus der Tasche und sagte zu dem Kaufmann. »Don Pedro, wechseln Sie mir fünf Pesos in Kupfer und Kleinsilber, Fünfer, Zehner und Zwanziger. Der Muchacho kann auf dem Wege kein großes Geld gebrauchen, denn niemand kann ihm wechseln.«
»Zwei Pesos fünfzig kann ich wechseln in kleinem Gelde«, sagte der Kaufmann, »die übrigen zwei Pesos fünfzig kann er gut in Fünfzigern tragen. Die ersten vier Tage kommt er durch Dörfer und Fincas, wo man einen Fünfziger schon immer wechseln kann.«
»Gracias, Don Pedro.«
»No hay porque, es ist nicht der Rede wert«, antwortete der Kaufmann auf das Danke.
»Bueno, Celso«, sagte Don Apolinar, »hier sind fünf Pesos, also vierzig Reales. Das ist die Vorauszahlung auf deinen Lohn. Don Eduardo gibt dir den Rest, oder wenn er dir einen Scheck gibt, bezahlt Don Pedro hier den Scheck an dich. Aber Don Eduardo wird das Geld wohl dort haben. Und morgen früh, muy tempranito, das heißt sehr früh, ehe die Sonne hervorkommt, bist du auf dem Marsch.«
»Con su permiso, patroncito«, fiel Celso ein, »mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gleich jetzt gehen. Ich kaufe nur Salz, Chile, Tortillas und grüne Blätter. In einem Augenblick bin ich auf dem Wege.«
»Besser, besser«, nickte Don Apolinar. »Bist hinter dem Peso Belohnung her. Bueno, dann los, mach dich fort und renne.«
Don Apolinar gab ihm nicht die Hand. Er stieß ihn väterlich gegen die Schulter.
Celso nahm seinen Packen hoch. Dann machte er eine Verbeugung, schob die Daumen beider Hände unter das Stirnband, um über der Stirn das Tragband, das ihn drückte, zurechtzurücken. Er drehte sich um, zu gehen. Don Apolinar, ohne sich von der Bank zu regen, sagte: »Buena suerte, viel Glück auf den Weg.«
»Gracias, patroncito, me voy, ich gehe«, antwortete Celso und war raus aus dem Laden.
Celso, von einem Glück zum anderen taumelnd, traf in der Siedlung am Rand des Dschungels einen kleinen mexikanischen Händler an. Dieser Händler hatte drei Eselchen, beladen mit billigen Krämereien, und zur Hilfe einen Jungen von zwölf Jahren. In allen Dörfern und Haciendas, wo der Händler herumgereist war, hatte er die denkbar traurigsten Geschäfte gemacht. Die großen arabischen Händler, die mit zwanzig, ja vierzig Maultieren reisten, konnten nicht nur alles viel billiger verkaufen, sondern ihre Waren galten als besser und moderner. Die Monterias waren nun die letzte Hoffnung des Don Policarpo, der in Socoltenango zu Hause war. Aber er fürchtete sich, allein nur mit dem kleinen Handlungslehrling, den er hatte, durch den Dschungel zu ziehen. Er wartete, dass vielleicht einige Caobaarbeiter kommen würden, die auch auf dem Wege zu den Monterias waren und mit denen er zusammen reisen könnte.
Jedoch niemand kam. Er hatte bereits beschlossen, am nächsten Morgen wieder zurückzureisen.
Da kam, mit Sonnenuntergang, Celso angetrottet.
Je näher Celso dem Dschungel kam, desto mehr wurde er sich der Schwierigkeiten bewusst, die ihm bevorstanden. Denn dieser Dschungel war sehr verschieden von den Dschungeln, die er kannte, wo er Kaffee angepflanzt und die Reihen zwischen den Kaffeebäumen gejätet hatte. Das war ein kultivierter Dschungel gewesen, mit lichten und reinen Wege.
Als ihm Don Apolinar von dem Dschungel gesprochen hatte, war in seiner Vorstellung der kultivierte Dschungel der Kaffeeplantagen gewesen. Nur dachte er sich den Dschungel ein wenig verwachsener und die Entfernungen von der einen Finca zur anderen weiter. Aber in seiner Vorstellung war doch immer noch der Begriff verblieben, dass er in erreichbarer Nähe anderer menschlicher Gesichter, Stimmen und Handlungen sei.
Auf dem bisherigen Marsche hatte er nun Weggenossen getroffen, die den großen Dschungel kannten, und einige, die den Weg zu den Monterias marschiert waren. Abends hatte er dann in den Hütten indianischer Bauern, bei denen er die Nacht verweilte, gleichfalls von erfahrenen Männern Einzelheiten über den Marsch durch den Dschungel gehört.
Jeder einzelne hatte ihm gesagt: »Allein kannst du den Marsch nicht machen. Niemand kann ihn allein machen. Das ist der Grund, warum die Monterias ihrer Leute so sicher sind, wenn sie erst einmal dort sind.« Und jeder brachte andere Gründe vor, warum ein einzelner Mensch, auch wenn er Indianer sei, und als Ladino noch viel weniger, den Marsch allein nicht durchstehe. Jeder Grund, der ihm erläutert wurde, leuchtete Celso ein. Wer es gut mit ihm zu meinen schien, warnte ihn ernsthaft, den Marsch zu unternehmen, weil es ganz sicher sei, dass er im Dschungel umkomme.
Er hatte den Auftrag übernommen, den Brief und das
Kistchen zur Monteria Agua Azul zu bringe.
Zu niemandem auf dem Wege oder in den Hütten sprach er von dem Briefe. Er war vorsichtig, selbst gegenüber seinen eigenen Volksangehörigen. Er sprach immer nur von dem Kistchen mit Medizinen, das er für die erkrankten Leute nach den Monterias bringen müsste. Medizin für erkrankte Leute stiehlt ihm niemand. Vielleicht darum nicht, weil die erkrankten Leute ohne Medizin sterben könnten und dann als böse Geister den Dieben der Medizin das irdische Leben höllisch heiß machen würden, Wie auch die verschiedenen Geschichten über den Dschungel auf Celso einstürmten und wer auch erzählte und in welcher Weise auch berichtet wurde, alles, ohne Ausnahme, trug dazu bei, in Celso eine ungeheuerliche Furcht vor dem Dschungel zu erregen.
Mit diesen Geschichten, Meinungen und Ratschlägen bis oben hin gefüllt, kam Celso in der letzten Siedlung an. Einen gewissen Eindruck von dem, was ihm bevorstand, hatte er am letzten halben Tage bekommen. Die Siedlung lag bereits einen halben Tag weit tief im Dschungel, wenn auch dieser Teil des Weges noch nicht voller Dschungel war, sondern Übergang von einer Landschaft zu der anderen.
Aber es war doch schon genügend Dschungel, um zu wissen, wie der große Dschungel aussehen würde.
Auf dieser letzten halben Tagereise hatte Celso auch nicht einen einzigen Menschen getroffen, dagegen schon die Spuren gewaltiger Tiger; und auf einem Aste hatte er eine Tigerkatze bemerkt, die dort niedergeduckt angekrallt war.
Kurz vor Mittag war er durch das letzte Dorf auf seinem Marsche gekommen. Es war ein Dorf, das nur aus fünf Hütten und einem Lehmhause bestand. Gleich hinter dem Dorf durchwatete Celso einen großen Fluss, der aber hier genügend flach war und in dem das Wasser Celso gerade bis an die Hüften reichte.
Hinter dem Fluss begann der Dschungel sich zu zeigen. Zuerst noch offen und licht, so etwa wie sehr verwildertes Land, das vor vielen Jahren einmal kultiviert war. Dann langsam, aber doch deutlich bemerkbar, immer dichter, dunkler und mächtiger werdend. Und drohender mit jedem Schritte, den Celso weitertrabte.
Er trabte in leichter Gangart, um die Siedlung vor der Nacht zu erreichen. Vor der Siedlung, als er schon die Hunde bellen hören konnte, war abermals ein Fluss zu durchwaten, der hier aber schmaler und in der Mitte reichlich tief war, so dass Celso, mit den Füßen und mit einem Stecken vorantastend, eine Stelle suchen musste, wo er durchkam, ohne schwimmen zu müssen. Dass dieser Fluss bereits ansehnliche Herden von Alligatoren beherbergte, wusste Celso nicht, und niemand hatte es ihm gesagt.
Weil er nichts von Alligatoren in diesem Flusse wusste, darum durchwatete er das Wasser ohne Furcht.
Die Alligatoren unterhielten sich gerade in anderer Weise, und darum kümmerten sie sich nicht um Celso.
Als Celso dann endlich in der Siedlung ankam, sagte er zu dem Mayordomo der Siedlung: »Ich habe heute Nachmittag schon einen guten Begriff von dem Dschungel bekommen; ein hässlicher, fürchterlicher Marsch.«
Der Mayordomo schlug ein Bein über das andere, sah Celso an, drehte sich eine Zigarette und meinte so ganz nebenbei: »Heute Nachmittag? Ja, du hast einen guten Begriff von dem Dschungel bekommen, recht, recht. Da, wo du marschiert bist, da ist kein Dschungel. Das ist unser Erholungspark, wenn wir am Sonntagnachmittag ein wenig spazieren gehen wollen. Am zweiten Marschtage, von hier gerechnet, da beginnt das, wovon ich gewöhnlich sage: Hier fängt das Gelände nun an, sehr wenig unterbrochen und undurchsichtig zu werden. Aber, Muchacho, hab' nur keine Angst, die Tiger beißen gewöhnlich nicht am Tage, da schlafen sie; sie interessieren sich mehr für einen Burschen, der schläft und sich im Schlafe herumwirft. Aber ich kenne genügend Leute, die nie von einem Tiger belästigt worden sind.«
Der Erholungspark für den Sonntagnachmittag! Es war nun dunkel. Celso sah sich um. Zwanzig Schritte hinter der primitiven Hütte, vor der er mit dem Mayordomo saß, erhob sich der Dschungel in einer steilen Wand von Bäumen, die den Himmel so weit verdeckten, dass, wenn Celso einen Stern sehen wollte, er den Kopf beinahe in den Nacken zurücklegen musste. Eine Wand, sechzig, achtzig, hundert Meter hoch. Finster und dicht, unzugänglich und ohne Öffnung.
»Was brauchst du denn für den Marsch, Chamula?« fragte der Mayordomo. »Ich habe geröstete Tortillas, eine besondere Art, die nicht schimmelt oder fleckig wird. Andere Tortillas kannst du nicht brauche. Ich habe Reis, Bohnen, Rohzucker, Salz, Zündhölzer, Kien, frischen gemahlenen Kaffee, Zitrone.
Kannst auch frischen Posol haben. Posol aber nur mit einem halben Tag Bestellung voraus. Damit er frisch ist und nicht so rasch grün wird und sauer. Rohe Tabakblätter genügend und billiger als Einwickelpapier, das ich nicht habe. Etwas Zigarettenpapier kannst du haben. Aber du machst dir ja Zigarren, brauchst kein Papier. Und überhaupt ist es für dich besser, du wartest einmal morgen den Tag hier. Wir können dir dann einen guten Posol kneten. Hast ja keine Eile. Hier ist es so, wer durch den Dschungel muss, hat keine Eile. Es hilft ihm nichts. Es hilft ihm nicht einmal irgend etwas, wenn er mitten drin ist im Dschungel. Nimm dir Zeit, und nimm dir recht viel Zeit. Der Dschungel läuft dir nicht davon, und Brücken brechen auch keine durch, denn es sind keine da.«
Der Mayordomo stand auf und ging in die Hütte, wo er sich bemühte, eine verräucherte Laterne in Bewegung zu bringen. Es war nun völlig Nacht geworden. In dem Hof vor der Hütte brannte schläfrig ein Feuer, das einige Helligkeit verbreitete, genügend kräftig, um zu sehen, wo der Steckenzaun des Hofes war.
Celso saß auf einem Balken, der auf dem Boden lag. Der Balken war ein roher Stamm, von dem die Rinde abgefallen war. Sie abzuschälen hatte sich niemand die Mühe gemacht.
»Nimm dir Zeit, hast ja keine Eile.« Diese Bemerkung des Mayordomo kam Celso jetzt in den Sinn.
Es klang ihm wie der Ruf: »Warte, mein Junge, ich helfe dir.«
Während der letzten beiden Tage, in seinem Gemüt immer mehr unter den Einfluss der Erzählungen über den Dschungel geratend, und besonders während der zweiten Hälfte des heutigen Tages hatte Celso begonnen, seine Aufgabe von anderen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Er hatte aufgehört, an den Peso Belohnung für besondere Raschheit in der Beförderung des Briefes zu denken. Aber er hatte versprochen, den Brief und das Kistchen zur Monteria zu bringen. Was er versprochen und zu verrichten übernommen hat, erfüllt er. Jedoch, um einen Ausweg aus der Bedrängnis, in die er infolge der Warnungen vor dem Dschungel geraten ist, zu finden, hat er sich damit beschäftigt, nach einer Lösung seiner Aufgabe zu suchen, die weniger gefährlich für ihn ist.
Als er in der Siedlung anlangte, hatte er zwei Lösungen gefunden. Es fehlte ihm nur, die Lösungen so zu begründen, dass er weder für sich selbst noch gegenüber Don Apolinar die Empfindung hatte, seine übernommene Aufgabe ungetreu ausgeführt zu haben. Als Indianer fehlt ihm der Begriff Zeit, verbunden mit Notwendigkeit. Nichts hat große Eile in seinem Leben. So, wenn er den Brief innerhalb von vierzehn Tagen abliefert, dann bekommt er einen Peso Belohnung. Aber in seinem Auftrage ist mit keinem Worte gesagt worden, dass der Brief auf alle Fälle in einem bestimmten Tage in der Monteria sein muss.
Und weil nichts davon gesagt wurde, dass der Brief an einem bestimmten Tage bei Don Eduardo sein muss, so kann Celso jetzt in der Siedlung warten, bis er Begleitung findet. Ihm wurde eine bestimmte Anzahl von Marschtagen bezahlt. Benötigt er mehr Tage, so geht es auf seine Kosten. Er beraubt Don Apolinar nicht um einen Centavo.
Celso sagt sich so: Wenn ich im Dschungel umkomme auf diese oder jene Weise, so geht der Brief verloren und das Kistchen auch, und ich kann weder Brief noch Kistchen an Don Eduardo abliefern.
Um den Brief sicher abliefern zu können, muss ich mein Leben beschützen. Ich beschütze es am sichersten, wenn ich nicht allein durch den Dschungel gehe, sondern auf Begleitung warte.
Am meisten gelegen kam ihm darum die Bemerkung des Mayordomo: »Nimm dir Zeit, hast keine Eile, warte hier.«
Der Mayordomo war Ladino. Der sagte, dass es besser sei, zu warten. Der weiß es am besten. Celso kann sich gegenüber Don Apolinar und gegenüber Don Eduardo immer auf den Mayordomo berufen.
So fand sich Celso, als der Mayordomo endlich mit der schwelenden Laterne angezottelt kam, in einer so beruhigten Verfassung, als hätte er den bekannten Weg von seinem Dorf nach Jovel zu gehen.
Er schabte an seinen nackten Füßen herum, zog sich eingetretene Stacheln aus, pickte sich Niguas, die bestialischen Sandflöhe, aus den Zehen, kratzte sich Garrapatos, die Zecken, aus der Haut und rieb sich mit einem Stückchen Kampfer Moskitostiche ab. Alles tat er mit der bedächtigen Ruhe des wandernden Indianers, der weiß, dass er am folgenden Tage nicht zu marschieren hat, sondern einen Ruhetag einschiebt.
Als er mit diesen hygienischen Arbeiten zu Ende war, nahm er eine Fruchtschale aus seinem Packen und fragte den Mayordomo, wo das Wasser sei.
Der Mayordomo schaukelte sich in der hausgemachten Hängematte, die zwischen zwei Pfosten des Portico der Hütte aufgespannt war, um die Zeit bis zum Abendessen nicht unnütz zu verbringen.
Mit der Stiefelspitze winkte er nach einer Richtung und sagte: »Da drüben ist der Bach, reines, klares, gesundes, eiskaltes Wasser.«
Celso verschwand in der Dunkelheit. Er wusch sich die Hände und klatschte sich Wasser in das Gesicht.
Dann trank er Wasser aus seiner Schale und brachte darauf die Schale, gefüllt mit Wasser, zurück zu dem Balken, wo er sein Lager aufgeschlagen hatte.
Er zog seinen Packen weiter nach dem ersten Pfosten des Hauses zu, um mehr entfernt von dem Tisch zu sein, der unten in Portico stand und an dem die Familie des Mayordomo zu Abend essen würde.
Aus den Tiefen seines Packens zog er zerknitterte Tortillas hervor, die bereits anfingen, brüchig zu werden. Dann schwarzes, getrocknetes Fleisch, das wie frisches Leder war; breiig gekochte schwarze Bohnen, eingewickelt in ein frisches Bananenblatt; Salz in rohen Körnern, eingewickelt in ein Stück
Bananenblatt und verschnürt mit einem dünnen Bastfaden; einige grüne Chileschoten und eine Handvoll grüner Blätter, die Geschmack zum Essen geben sollte.
Das alles nahm Celso in eine kleine Matte aus geflochtenen Bastfäden, und dann ging er, ohne um Erlaubnis zu fragen, zu ein Feuer im Hofe. Das Feuer steht jedem Wanderer, sei er Indianer oder Ladino, zur Verfügung, soweit es nicht zur selben Zeit vom Gastgeber in Anspruch genommen wird.
Celso schürte das Feuer auf, legte frisches Holz zu, und der Hof und die Hütte wurden grell beleuchtet.
Gegen diese aufflammende Beleuchtung hob sich die Wand des Dschungels nur um so drohender ab.
Der Bursche legte die Tortillas gegen das Feuer, wendete sie, blies die Asche ab und wendete sie wieder; und als sie zu sengen begannen, zog er sie zurück und legte sie, um sie warm zu halten, in heiße Asche, die er mit einem Ästchen unter dem Feuer hervorgezogen hatte.
Den Lederfetzen von getrocknetem Fleisch spießte er auf einen Stecken und legte dann den Stecken auf zwei Stämmchen, die er hochgestellt hatte, damit das Fleisch nicht von den Flammen gefressen werden sollte. Die Bohnen ließ er in ihrem Bananenblatt, aber er bettete das Bananenblatt in heiße Asche ein, die er aus dem Feuer gekratzt hatte.
Als das Fleisch zu schmoren begann, breitete er sein Mahl auf der kleinen Matte aus, zog die Matte ein wenig ab vom Feuer, wendete das Fleisch noch einige Male um, nahm es dann mit dem Stecken herunter und begann sein Abendessen.
Er hatte weder Messer, Gabel noch Löffel. Dennoch gebrauchte er die Finger nur, um die Salzprisen aufzunehmen, die er nicht auf das Essen streute, sondern die er unmittelbar in den Mund schob. Das Fleisch und die Bohnen aß er so, dass er ein Stückchen Tortilla abriss und mit diesem Tortillafetzen das
Fleisch und die Bohnen so aufgriff, als wäre es mit einem Lappen. Hatte er Fleisch oder Bohnen in dieser Weise aufgepickt, dann rollte er das Stück Tortilla flink wie eine kleine Tüte zusammen und schob die Tüte, gefüllt mit Fleisch und Bohnen, in den Mund.
Dazu trank er das Wasser, das er in der Schale vom Bach geschöpft hatte. Er nahm sich unendlich viel Zeit zum Essen. Wie alle ermüdeten Arbeiter betrachtete er das Essen als einen Teil des Ausruhens von schwerer Arbeit.
Während er noch aß, brachten die indianischen Mädchen des Mayordomo die Schüsseln mit dem Abendessen. Als die Schüsseln, Teller und Blechtassen auf dem rohen, wackligen Tisch aufgebaut waren, erschien die Frau des Mayordomo. Sie war fett, schwerfällig und bewegte sich watschelnd vorwärts.
Sie war barfuss und trug einen langen, bis auf den Erdboden reichenden Kattunrock, der zu verschleißen begann wie die weiße Kattunbluse, die sie halb offen am Oberkörper hatte und die gleichfalls aussah, als ob ein heftiger Wind sie in Nebel zerfallen lassen würde.
Als die Frau im Portico erschien, stand Celso von dem Feuer auf, kam auf sie zu, verbeugte sich und sagte: »Buenas noches, señora.« Die Frau erwiderte den Gruß und sagte, nur um etwas zu sprechen:
»Wo bist du denn her, Chamula?« Dann hörte sie aber auch schon nicht mehr hin, was der Bursche antwortete; denn es war ihr gleichgültig, wo der Muchacho herkam. Sie setzte sich auf einen ganz niedrigen Schemel. Es waren nur zwei Stühle da. Aber der niedrige Schemel schien der Frau bequemer zu sein als irgendein gewöhnlicher Stuhl. Und weil sie niedrig saß, so dass sie den Tisch gerade noch mit den Augen übersehen konnte, so nahm sie ihre Teller in den Schoß.
Als die Frau bereits zu essen begonnen hatte, gähnte der Mayordomo laut und inbrünstig, räkelte sich in der Hängematte einige Male hin und her und richtete sich dann auf, so stöhnend, als ob er nach einem langen schönen Schlafe an eine unangenehme Arbeit gehen müsste.
Messer und Gabel hatte auch der Mayordomo nicht. Es waren nur einige Esslöffel auf dem Tische, die, als sie einmal neu waren, sicher wie nachgeahmtes Silber ausgesehen hatten, die aber jetzt so abgescheuert waren, dass nun das rohe, bleiern erscheinende Blech sichtbar wurde. Die Frau des Mayordomo aß mit den Fingern in derselben Weise, in der auch Celso aß. Sie riss immer ein Stückchen von einer heißen Tortilla ab, pickte damit ihr Fleisch oder ihre Bohnen oder ihren Chile oder ihren Reis auf, knitterte den Fetzen mit den darin gehaltenen Speisen zusammen wie ein Läppchen und schob die Packung in den Mund.
Der Mayordomo hätte am liebsten ebenso gegessen. Aber da er fühlte, dass er als Mayordomo sich von allen anderen Sterblichen unterscheiden musste und Respekt aufrechtzuerhalten hatte, gebrauchte er sein Taschenmesser und gelegentlich einen Löffel zum Essen. Jedoch wenn er glaubte, dass er unbeobachtet war und selbst seine Frau ihm nicht zusah, aß er genau in der Art wie Celso.
Die Mägde hockten weit hinten, irgendwo im Dunkeln, an einem glimmenden Feuer am Boden.
Man sah sie nicht, man hörte sie nur schwatzen und kichern. Wenn sie zu laut wurden, rief die Frau:
»Verflucht noch mal, Gesindel, ich schmeiße euch einen Knüppel an die Schädel, wenn ihr uns hier nicht in Ruhe essen lasst. «
Eine Weile verstummten die Mädchen eingeschüchtert, dann kicherten sie aufs neue los, bis die Frau endlich etwas ergriff, was ihr gerade zur Hand lag, und es in jene Dunkelheit feuerte, wo die Mägde hockten und aßen.
Zuletzt tranken sie Kaffee aus Emailletassen, die außen auf dem Boden das Wort Bayern aufgestempelt hatten. Warum es aufgestempelt war und was es bedeutete, wusste niemand dort auf fünfhundert Meilen im Umkreise. Niemand kümmerte sich auch darum. Die Mädchen tranken ihren Kaffee aus solchen Fruchtschalen, wie auch Celso stets eine mit sich trug.
Sobald der letzte Schluck getrunken war, rief die Frau, die Tasse noch am Munde: »Lleven«. Darauf kamen die Mägde angefegt und räumten den Tisch ab.
Als die Mägde die zerbeulte Kanne, in der sich der Kaffee befand, aufnehmen wollten, rief der Mayordomo:
»Ven, Chamula, hier hast du Kaffee.«
Celso kam mit seiner Schale zum Tisch, und der Mayordomo goss ihm den ganzen Rest von Kaffee, der noch in der Kanne war, in die Schale. »Gracias, patroncito«, sagte Celso lachend und ging, die Schale, die bis an den Rand gefüllt war, vorsichtig zu seinem Feuer tragend. Der Kaffee war schwarz, aber er war mit braunem Rohzucker zusammen aufgekocht.
Die Frau stand auf von ihrem Schemel. Sie tat es in einer Weise, als ob es eine gewaltige Anstrengung für sie sei, sich von dem Schemel zu erheben. Sie beugte sich erst ganz weit vor, so dass ihre Nase die Knie antippte, dann warf sie den Oberkörper halb zurück, und mit diesem Schwung erhob sie sich.
Der Mayordomo warf sich sofort wieder in die Hängematte und begann zu schaukeln. Die Beine ließ er über die Hängematte an beiden Seiten heraushängen. Dann zog er sich schmatzend die Überreste des Abendessens aus den Zähnen, während er die Hände hinter dem Kopf zusammengefaltet hielt, um ein Kissen zu haben. Sooft es ihm angenehm schien oder seiner Verdauung half, grunzte er behaglich.
Ob er es aus reinem Wohlbehagen tat oder aus einer physischen Notwendigkeit heraus oder um seiner Frau auf diese Weise zu sagen, dass sie eine gute Köchin sei, war nicht zu ergründen. Aber man trifft das Richtige, wenn man annimmt, dass er alles das tat, weil er sich zu Hause fühlte und weil er hier allmächtiger Herrscher war, der sich um das Wohlgefallen keines Menschen zu bemühen hatte, und wem es nicht behagte, wie der Herrscher sich benahm, der konnte seiner Wege gehen. Celso war inzwischen auch mit seinem Abendmahl zu Ende gekommen. Er ging mit seiner Schale zum Bach, wusch sich die Hände, spülte und gurgelte sich den Mund sauber und kam, die Schale wieder mit Wasser gefüllt, zurück zum Feuer. Er packte seine Sachen zusammen und verstaute alles in seinem Netz. Er zog den Packen dann zurück zu dem Balken in der Nähe des Portico, brachte eine selbstgedrehte Zigarre hervor, zündete sie mit einem glimmenden Stöckchen am Feuer an und hockte sich nun endlich in behaglicher Sorglosigkeit breit auf den Balken, sich mit dem Rücken gegen den ersten Pfosten des Portico lehnend.
»Wer schickt dich denn nach Agua Azul?« fragte der Mayordomo, nur um zu reden. »Don Apolinar.«
Der Mayordomo zog Tabak aus der Hemdtasche und wickelte ihn in dünnes, weißes Papier, das als Zigarettenpapier verkauft wurde, das aber gewöhnliches Einpackpapier für leichte Dinge war, in keiner Weise besser und für Zigaretten mehr geeignet als unbedrucktes Zeitungspapier.
Dienstfertig sprang Celso auf, als er sah, dass die Zigarette gedreht war, und kam mit einem glimmenden Ästchen zu dem Mayordomo, um ihm die Zigarette anzuzünden.
»Es ist ein gottverflucht böser Weg bis zur Monteria. Aber manchmal, denke ich, kommt man viel leichter durch zu Fuß als mit Reittieren und Tragmules.«
Celso sagte nichts darauf.
Der Mayordomo wusste nicht, was er nun noch Neues sagen könnte. Alles, was in Frage kam, war erörtert.
Aber er hörte ein Geräusch von Stimmen, die näher kamen, und das brachte ihn zu neuer Anregung:
»Vielleicht könntest du mit Don Policarpo gehen. Zu zweit oder zu dritt ist der Weg nicht so traurig.«
Auch Celso hatte die Stimmen gehört, und als er zur Seite sah, bemerkte er zwei undeutliche Gestalten, die schließlich aus der Dunkelheit heraustraten. Ein Mann und ein Junge.
»Buenas noches«, sagte der Mann, trat in den Portico und setzte sich auf einen Stuhl, den er vom Tisch fortzog. Der Junge setzte sich auf das andere Ende des Balkens, auf dem Celso hockte.
»Como estas, Chamula, wie geht's?« wandte er sich an Celso.
Celso stand auf, verbeugte sich vor dem Manne und sagte: »Buenas noches.«
»Das hier ist Don Policarpo von Socoltenango, ein Händler, der auch nach den Monterias gehen will, könntest mit ihm gehen, Chamula«, sagte der Mayordomo.
Auf nichts hatte Celso in den letzten Tagen mit mehr Sehnsucht gewartet als auf jemand, der auch nach den Monterias wanderte und mit dem er den Weg gemeinschaftlich machen könnte.
Celso war aber nicht mehr derselbe ungeschickte und weltungewohnte Indianer wie damals, als er von den Kaffeefincas heimkehrte. Er selbst fühlte, dass er sich gewandelt hatte. Die erste Wandlung war vor sich gegangen, als ihm Don Sixto sein Heiratsgeld so ohne jegliche Zeremonie abgenommen hatte; die zweite Wandlung geschah, als er kein Geschenk für seine Mutter kaufen konnte, weil ihm der Händler einen vierfachen Preis gemacht hatte, wie er später erfuhr, nur um ihm Branntwein verkaufen zu können; eine weitere Wandlung begab sich als er von seinem Vater hörte, dass Don Sixto kein Recht gehabt hatte, ihm das Geld abzunehmen; und eine fernere Wandlung trug sich in ihm zu, als er sah, wie sich sein Mädchen nach ihm umwandte, obgleich er sich den Anschein gab als habe er es nicht bemerkt. Alle diese Wandlungen hatten seinen Charakter beeinflusst. Er war seiner Unschuld entwachsen.
Er hatte gelernt, dass in dieser Welt nichts geschenkt wird und dass, wenn du deinen Vorteil nicht wahrnimmst, der sich dir bietet, ein anderer seinen Vorteil gegen dich wahrt. So hatte Celso, aus diesen bösen Erfahrungen heraus, die einmal wehe taten, gelernt, rascher zu denken und langsamer »Ja« und »Zu Ihren Diensten, Patroncito« zu sagen. Und weil ihm das rasche Denken und das langsame Ja einen ansehnlichen Vorteil in seinem Handel mit Don Apolinar gebracht hatten, so war in ihm beschlossen, dies System in Zukunft weiter anzuwenden. Vor seinen Wandlungen würde er gesagt haben:
»Ich bin ja so glücklich, Patroncito, dass ich Sie getroffen habe und dass wir beide zusammen durch den Dschungel gehen können.« Nun aber wusste er, die Folge seiner Freimütigkeit wäre, dass der Händler ihn sofort ausnützen würde, zum Vorteil des Händlers und zum Schaden des Indios.
Celso sagte nichts auf die Worte des Mayordomo. Er ließ den Mayordomo wie den Händler ganz im unklaren, wie er es aufnahm, ob es ihm gelegen oder ungelegen käme. Er sah sich Don Policarpo an, unauffällig, aber gut beobachtend.
Don Policarpo war bronzebraun wie er selbst. Untersetzt, knochig und sehnig wie er. Hatte die schwarzen, leicht schräg gesetzten Augen wie er. Und wie er hatte Don Policarpo dichtes, schwarzes, drahtiges Haar, das ihm tief in die Stirn hineinwuchs und bei Celso den Eindruck erweckte, dass er eine sehr niedrige, unentwickelte Stirn habe, während der obere Teil des Hinterkopfes wie ein Kegel geformt war und es aussah, als habe er eine schwarze Turbanhaube auf den Schädel gestülpt. Es war kein Zweifel, dass beide Großväter, vielleicht sogar auch beide Großmütter des Don Policarpo noch reine Indianer in den Dörfern ihrer Stämme gewesen waren und dass der Vater und die Mutter des Don Policarpo vielleicht als Hausbedienstete in die Stadt gekommen waren, sich hier verheiratet und ihre Kinder dann in der Stadt erzogen hatten. Dadurch war Don Policarpo zu einem Ladino geworden, der sich durch einen kleinen Handel im Umherziehen selbständig und unabhängig gemacht hatte. Er sprach ebenso geläufig Indianisch wie Spanisch. Das kam ihm bei seinem Handel sehr gelegen, und er war dadurch sehr im Vorteil anderen kleinen Händlern gegenüber, die nur Spanisch sprachen. Weil er nicht nur Indianisch sprach, sondern auch durchaus wie ein Indianer aussah und, wenn es ihm von Vorteil erschien, indianische Gebräuche zeigte und anwandte, so gewann er in den kleinen indianischen Dörfern und unter den indianischen Peones der großen Fincas immer Vertrauen. Er war in seiner Weise ehrlich im Handel und begnügte sich mit weniger Gewinn als irgendein anderer der zahlreichen kleinen Händler mexikanischer oder arabischer Herkunft, die im Lande umherzogen. Der Nachteil war, dass er nur geringes Kapital hatte und deshalb nur mit wenig Ware reisen konnte. Die großen Händler, besonders die arabischen, reisten mit gewaltigen Vorräten, und diese Händler hatten die Leute mit ihrer reichen Auswahl verwöhnt. Gegen diese großen Händler hatte Don Policarpo einen schweren Stand. Um seine Auskommen zu finden, musste er hart arbeiten und ewig auf den Beinen und auf dem Marsche sein.
Das alles aber kümmerte Celso nicht. Er kannte die Geschäftsverhältnisse des Don Policarpo nicht. Er sah nur den Händler in Don Policarpo, einen Händler, der verdiente. Obgleich er in Don Policarpo den Bruder erkannte, so erwies er ihm doch den vollen Respekt als Ladino. Und weil Don Policarpo Ladino sein wollte, darum schob ihn Celso in die Kette ein, die auf irgendeine Weise von ihm gebraucht wurde, von Don Sixto das Geld wieder einzukassieren, das der ihm abgenommen hatte.
Celso fasste Mut. Er wagte es, die Begleitung, die sich ihm hier bot, aufs Spiel zu setze.
»Perdoneme, patroncito«, sagte er höflich und untergeben zu dem Mayordomo: »Vergeben Sie mir, mein Herrchen, aber ich glaube, ich kann nicht mit Don Policarpo zusammen reisen.«
»Warum denn nicht, Muchacho?« fragte Don Policarpo.
»Sehen Sie«, sagte er, zu beiden Männern gewandt, »ich habe den Befehl von Don Apolinar bekommen, auf dem schnellsten Wege das Kistchen mit den Medizinen nach Agua Azul zu bringen, weil die Peones krank sind. Die haben alle Sumpffieber, Paludismo und Calentura. Was weiß ich davon.
Und Don Apolinar hat mir einen Peso noch besonders versprochen, wenn ich das Kistchen rasch hinbringe.«
Don Policarpo begann zu handeln. »Lass das nur gut sein, Chamula. Beruhige dich. Ich kenne Don Apolinar gut. Er ist mein Freund. Ich werde das schon alles mit ihm regeln. Und ich will dir etwas sagen, Muchacho - wie heißt du? - Celso. Gut. Du läufst natürlich mit deinen Beinen viel rascher als ich mit meinen Eseln, und ich gebe zu, du verlierst deinen Peso Belohnung, wenn du mit mir reist. Aber das mache ich gut mit dir. Ich gebe dir zwei Pesos, wenn du mit mir gehst und wir zusammen reisen.«
Don Policarpo zog seinen Stuhl näher an Celso heran. Er nahm eine kleine Packung fabrikgefertigter Zigaretten heraus, öffnete diese und reichte Celso eine Zigarette. Celso rauchte noch immer an seiner dicken Zigarre. Aber er nahm dennoch die Zigarette und verbarg sie im Brustlatz.
»Nun, sei nicht so hartnäckig, Celso«, redete der Händler auf ihn ein. »Ich muss auf alle Fälle in die Monterias gehen mit meinem Kram. Der Junge hier, der mit mir arbeitet, ist ein guter, fleißiger Bursche.
Aber er ist noch klein und schwächlich. Bei einem solchen Marsch, da muss man schon jemand haben, der zupacken kann. Ich werde dir etwas sagen, Muchacho, ich gebe dir drei Pesos bis Agua Azul, wenn du mit mir gehst. Und ich will dir auch gleich noch etwas mehr sagen. Du isst mit mir auf der ganzen Reise. Du brauchst nichts dafür auszugeben. Als Vergütung dafür, dass ich dir das Essen gebe, gehst du mir auf dem Marsch ein wenig zur Hand. Morgens beim Suchen der Esel und beim Aufpacken. Sei ein guter Muchacho, Celso. Du weißt nicht, wie wir uns einmal wiedertreffen und ich auch für dich etwas tun kann.«
»Bueno, patroncito«, sagte Celso, »bueno, ich werde mit Ihnen gehen.«
Nicht am folgenden Tage, wohl aber tags darauf zogen der Händler, sein Lehrjunge, Celso, mit seinem Packen auf dem Rücken, und drei Eselchen, beladen mit den Handelswaren des Don Policarpo, nach den Monterias. Der Weg war noch sehr viel schlimmer, als er ihnen geschildert worden war. Es wäre eine umgekehrte Ordnung in gewöhnlichen Geschehnissen gewesen, wenn nicht Celso die schwerste Arbeit auf diesem Wege zugefallen wäre. Er war willig und wollte sich redlich das Essen, das ihm Don Policarpo versprochen hatte, verdienen. Es war abgemacht worden, dass er für das Essen hie und da auf dem Marsche dem Händler ein wenig zur Hand gehen sollte. Aber aus der Willigkeit des Celso entwickelte sich bereits am zweiten Tage des Marsches eine Schuldigkeit, wenn nicht Verpflichtung.
Don Policarpo begann zu kommandieren, als ob er der Herr und Celso der Knecht wäre.
Es begann damit, dass Don Policarpo am ersten Abend auf dem Wege, als sie am Rastplatz ankamen, sich hinfallen ließ und erklärte, er sei so müde, dass er nicht einen Finger krumm machen könnte.
»Pack die Burritos, die Eselchen, ab, ich helfe dir später«, sagte Don Policarpo. Und Celso packte ohne Hilfe die Tiere ab.
»Bringe die Packen hierher!« ordnete Don Policarpo dann an.
Der kleine Lehrjunge bemühte sich, vor den Augen des Don Policarpo den Anschein zu erwecken, als ob er wacker mit zufasse. In Wirklichkeit aber lief er nur hin und her, rollte die Packleinen auf und legte sie für den Morgen auf.
»Wir müssen Laub für das Eselchen schneiden«, sagte Don Policarpo. Aber das Wir bedeutete, dass Celso mit dem Machete loszog, Laub abhieb und das Laub herbeischleppte, damit die Esel zu fressen hatte.
Don Policarpo blies ein Feuer an, um das Essen zu kochen. Celso aber hatte das Wasser heranzubringen, hatte trockenes Holz zu suchen, die Töpfe zu waschen und das Essen zu bewachen, dass es nicht verbrannte. Am Morgen musste Celso die Eselchen zusammensuchen, die Tragsättel aufriemen und die Packen heranholen und sie aufschnüren. Hierbei ging ihm Don Policarpo freilich zur Hand und tat hier das, was nach den Abmachungen des Handels die Mithilfe Celsos hätte sein sollen. Beim Laden von Tragtieren hat immer einer die schwere Arbeit zu verrichten; die leichtere Arbeit ist das Zureichen der Leinen und Schlingen für das Festpacken. Celso tat die schwerere Arbeit, das eigentliche Laden und Verschnüren der Lasten.
Während Celso die Burritos im Dschungel suchte, frühstückte Don Policarpo. Und wenn die Eselchen geladen waren, trotteten sie los und Don Policarpo hinter ihnen her. Dann erst gewann Celso einige Minuten Zeit, seinen Kaffee zu trinken und sich einige Tortillas anzuwärmen. Den Kaffee hatte ihm Don Policarpo in die Schale geschüttet, die Tortillas beim Feuer hingelegt und die Bohnen auf eine der Tortillas geschüttet. Celso aß nun. Er musste in Eile essen, um nicht zu weit zurückzubleiben.
Hatte er gegessen, scharrte er Erde auf das Feuer, um es zu löschen. Dann nahm er seinen schweren Packen auf und begab sich auf einen Eilmarsch, um Don Policarpo wieder einzuholen.
Endlich erreichte er die kleine Karawane. Es traf sich gewöhnlich so, dass ein Tier oder gar zwei oder drei die Last abgestoßen hatten und dass nun Celso wieder aufs neue zu laden hatte. Oder es mochte auch sein, dass Don Policarpo nicht genügend Acht gegeben hatte, und ein Tier war mit der Last auf eigenem Wege irgendwo in den Dschungel gelaufen. Celso musste das Tier suchen. Und wenn er den Esel antraf, hatte der die Last vielleicht abgeworfen und unter sich am Bauche hängen. Celso konnte allein nicht laden; er befreite den Esel völlig von der Last, nahm ihn an den Lasso und lud sich selbst die Last auf, um sie dorthin zu schleppen, wo Don Policarpo mit den übrigen Tieren wartete, um die Last hier mit Hilfe des Händlers wieder aufzuladen.
Es mochte auch geschehen sein, dass die wartenden Tiere ungeduldig wurden und Don Policarpo unfähig war, sie zu halten. Sie marschierten los und Don Policarpo hinter ihnen her, bis die Esel von selbst irgendwo hielten und sich hinwarfen. Die ganze Strecke lief dann Celso, mit der Ladung eines Esels auf seinem Rücken, hinter Don Policarpo her, bis er ihn traf und mit ihm laden konnte. War geladen, zog Don Policarpo sofort weiter. Celso musste den Weg nun wieder zurücklaufen, um seinen eigenen schweren Packen zu hole.
Celso aber wandelte sich auch im Dschungel weiter. Als er bemerkte, dass ihn Don Policarpo bis zum letzten Rest auspumpen wollte, und als er einsah, dass Don Policarpo wohl müde, aber mehr noch nur faul war auf Kosten des Celso, vollzog sich in Celso wieder eine Wandlung.
Beim Erklettern eines sehr steilen und felsigen Pfades fiel Celso mit seinem Packen hin, und er fiel so unglücklich und auch noch gerade vor den Augen des Don Policarpo, dass der Händler sehen konnte, wie sich Celso den rechten Arm verstauchte. Celso, ganz und gar gegen seine Sitte, nie ein Gefühl des Schmerzes zu offenbaren, stöhnte und zeigte ein gequältes Gesicht.
Mit dem linken Arm konnte er kein Laub von den Bäumen schlagen, er musste das Füttern der Esel nun Don Policarpo überlassen. Und beim Laden der Esel war es nun Celso, der die Leinen und Schlingen unter dem Bauche des Esels dem Packer zureichte. Und auf dem Marsche gewöhnte sich Celso an, dem Händler vorauszugehen und einen Esel vor sich herzutreiben. Er begründete das damit, dass die übrigen Esel dann leichter folgten. Rutschten dem Don Policarpo die Packen ab, so konnte er mit seinem Lehrjungen wieder aufpacken, und sollte der Esel, den Celso vor sich hertrieb, die Last verrücken, so wartete er, bis Don Policarpo herankam. Diese Art der Arbeitsverteilung schien Don Policarpo nicht zu gefallen. Er sagte am Abend, bei Ankunft am Rastplatz, als er abgepackt hatte: »Oye, Celso, kannst mir gut mit deinem linken Arm helfen, das Laub von den Bäumen zu schlagen. Bist genauso geschickt mit dem linken Arm wie mit dem rechten.«
»Ich werde das versuchen, Patron«, sagte Celso willig. Er brachte auch eine gute Last frisches Laub aus den Tiefen des Dschungels hervor.
Als sie dann später, am Abend, nach dem Essen beim Feuer hockten und rauchten, sagte Celso so nebenbei: »Ich glaube nicht, Patron, dass ich so viel Zeit auf meinem Wege verlieren kann. Die Esel gehen zu langsam, ich muss schneller mit meinem Kistchen in Agua Azul sein. Don Apolinar wird mich verprügeln, wenn ich nicht zeitig genug mit der Medizin bei Don Eduardo bin. Die Leute sind alle krank in der Monteria.«
Don Policarpo hatte in den drei Tagen des Marsches eine genügend eindrucksvolle Vorstellung von dem Dschungel erhalten, um jetzt einen Schrecken zu bekommen, als er die Möglichkeit vor sich sah, dass Celso ihn verlassen und sich von ihm, mitten im Dschungel, trennen könnte. Ganz gleich, ob er voran marschierte oder zurück -, der Gedanke daran allein ließ ihm das warme Wasser in die Sandalen laufen.
»Wir wollen uns eine Büchse Sardinen teilen, Muchacho«, sagte Don Policarpo. Er rückte einen Packen heran und kramte darin herum, bis er eine kleine Blechbüchse mit spanischen Ölsardinen hervorbrachte.
Die Sardinen waren auf seinen Wanderungen der Luxus, den er sich zuweilen gönnte, wenn er ein gutes Geschäft am Tage gemacht hatte. Sie waren gleichzeitig seine eiserne Notration, eine Notnahrung für Fälle, dass ihm alle übrige Nahrung vom Regen oder von Ratten zerstört war. Sein Lehrling konnte sich nicht erinnern, dass er ihn jemals gesehen habe, wie er eine Büchse öffnete, obgleich der Händler stets wenigstens sechs Büchsen mit sich führte. Eine Büchse Ölsardinen war das kostspieligste Essen, das sich der Händler, in Anbetracht seiner Einkünfte, auf seinen Reisen leisten konnte.
Der Lehrling bekam ein Sardinchen und ein halbes und er durfte das Blechschächtelchen auslecken.
Den Rest der Sardinen und das Öl teilten sich, genau zur Hälfte, Don Policarpo und Celso.
Mit dieser Teilung der Sardinenbüchse, die Don Policarpo so ehrfürchtig und andächtig vollzog, als begehe er die Zeremonie des heiligen Abendmahls, nahm er Celso als seinen gleichberechtigten Weggenossen auf. Er ging darin so weit, dass er, wenn irgend etwas zum Feuer heranzuholen oder wenn eine nebensächliche Verrichtung zu tun war, dem Lehrling zurief, es zu tun, und zu Celso sagte: »Bleibe du nur sitzen auf deinem Hintern, der Chamaco kann das machen. Der hat ja so nichts zu tun und verdient sich nicht das Salz, das er mir wegisst. Wir beide sind genügend müde, der Junge hat flinkere Beine.«
Und am nächsten Tage auf dem Marsche, als Celso ihn rief: »Patron, Patron, der Pietro schmeißt ab!«, da kam Don Policarpo heran, half die Last zurechtrücken und sagte dann, als der Zug wieder weiterging: »Höre, Celso, sag einfach Señor zu mir. Das ist kürzer. Wenn wir nichts zu essen haben, hungerst du so gut wie ich.«
Als Don Policarpo einen Tag in der ersten Monteria war, die sie angetroffen hatten, da war ihm auch nicht ein Zwirnfaden übrig geblieben, den er hätte verkaufen können. Alle Waren, die er seit Wochen mit sich in den Fincas und in den kleinen Dörfern herumschleppte, hatte er mit gutem Gewinn losgeschlagen.
Er kaufte zu lächerlich geringen Preisen Felle ein, die er nach Hause bringen wollte, damit die Esel nicht leer laufen, sondern sich bezahlt machen sollten. An den Fellen konnte er abermals verdienen. Er wartete jetzt nur noch auf Begleitung; denn sowenig wie er allein zu reisen gedacht hatte auf dem Herwege, sowenig oder noch viel weniger dachte er daran, allein zurückzumarschieren.
Celso hatte noch zwei Tagemärsche weiter zu gehen als Don Policarpo, der gleich in der ersten Monteria geblieben war. Aber Celso brauchte nicht allein zu wandern; denn mehrere Burschen, die hinüberwechselten zu einer Monteria auf der anderen Seite des Stromes, hatten den gleichen Weg zu gehe.
Celso lieferte den Brief und das Kistchen an Don Eduardo ab. Er erhielt seinen Lohn in barem Gelde ausbezahlt, weil er sagte, dass er vorläufig nicht zurückwandern wolle und ihm ein Scheck darum nicht von Nutzen sei. Die Leute, die von den Monterias heimwanderten, gleich, ob sie Arbeiter, Angestellte oder Händler waren, zogen es immer vor, nur ein wenig Geld in bar zu nehmen und den Rest in Schecks auf den Namen des Trägers. Selbst die Händler, die ihre Waren hier verkauften, gaben das bare Geld in den Büros der Monterias ab und ließen sich dafür einen Scheck geben. Schecks gingen nicht so leicht verloren, und weil sie auf den Namen des Trägers lauteten, konnten sie auch nicht gestohlen werden. Bares Geld hatte Gewicht, und jeder Reisende, ob er zu Fuß oder zu Pferd reiste, beschränkte das Gewicht seines Gepäcks auf das kleinste Maß. Die Schecks der Monterias wurden überall angenommen, gleich barem Gelde, ohne irgendeinen Abzug.
Celso hatte gehofft, dass er in Agua Azul Arbeit bekommen würde. Nicht des Briefes wegen, sondern der Arbeit wegen war er zu den Monterias gewandert. Aber Agua Azul nahm gerade jetzt keine Arbeiter an. Die Monteria hatte das Gelände, das sie zur Ausbeutung erworben hatte, abgebaut. Die Direktoren, Kanadier und Schotten, verhandelten mit der Regierung, um neue Konzessionen für weitere Ländereien zu bekommen. Aber diese Verhandlungen gingen sehr langsam voran.
Celso musste sich also aufmachen, eine andere Monteria zu suchen, wo er hoffen konnte, Arbeit zu finden.
Die Monterias liegen nicht so dicht beieinander wie Kohlenminen an der Ruhr. Jede Monteria hat zu ihrer Ausbeutung ein Gelände von der Größe eines europäischen Herzogtums oder eines mittleren Königreiches.
Die Mahagonibäume wachsen nicht dicht beieinander wie Erbsenstauden. Und darum ist von dem Verwaltungsgebäude der einen Monteria zum Hauptverwaltungsgebäude der nächsten, nach jeder Richtung hin, ein guter Tagesmarsch notwendig. Zuweilen drei Tagesmärsche.
Celso hatte nicht lange zu laufen. Die nächste Monteria, die er erreichte, nach einem und einem halben Tag Marsch, nahm ihn an. Sie würde auch einen Ertrunkenen angenommen haben, wenn sie gewiss gewesen wäre, dass der Ertrunkene wenigstens zur halben Arbeitskraft ins Leben zurückgerufen werden konnte.
Je verrufener eine Monteria schlechter Bezahlung und unmenschlicher Behandlung wegen war, um so größeren Bedarf hatte sie. Nicht etwa, weil die Arbeiter flohen und sich anderswo Arbeit suchten, sondern weil man sie mitleidlos hinopferte. Nur ihre Hände wurden gerechnet und ihre Arme. Kopf, Seele, Herz waren Anhängsel, die in Kauf genommen werden mussten, auf die aber die Capataces der Monteria mit Wohlgefallen verzichtet hätten, wenn es sich hätte einrichten lassen. Man würde auch auf den Magen der Peones verzichtet haben; aber der Magen der Arbeiter konnte sowenig aufgegeben werden wie der Feuerungsrost eines Dampfkessels.
Eine solche Monteria war es, in der Celso Arbeit nahm. Der Capataz, der Aufseher, Auspeitscher, Anpeitscher und Foltermeister der Peones, fühlte die Hände des Celso ab, und dann presste er ihm die Armmuskeln und Gelenkknochen. »Hast du schon mit der Axt gearbeitet?« fragte er Celso.
»Wenig mit der Axt, aber ich bin ein guter Machetero«, antwortete Celso, »ich habe in den Kaffeefincas einige Jahre mit dem Machete gearbeitet.«
»Vier Reales den Tag«, sagte darauf der Capataz, »und zehn Pesos für mich, weil ich dich annehme. Die zehn Pesos gehen von der ersten Zahlung ab. Weglaufen zweihundertfünfzig Hiebe für das erste Mal und fünfzig Pesos Strafe. Ein zweites Fortrennen wirst du ja bleibenlassen, denn dann wird gepeitscht und gehenkt. Frage gelegentlich deinen Nebenmann, was das ist. Gekauft wird nur in der Tienda der Monteria. Und von einem Händler kaufst du nur, wenn er Erlaubnis vom Gerente, dem Verwalter, hat. Du bist eingestellt. Ein Jahr unwiderruflicher Vertrag. Hast Glück, sparst die Vertragssteuer.
Aber Vertragssteuer oder nicht Vertragssteuer, denke nicht, dass du laufen kannst, wann du willst. Ein Jahr ist das wenigste. Unter einem Jahr nehmen wir nicht an. Name? - Alter? - Dorf? -Bueno, gut. Werde dir den Semanario, die Kolonne des Don Paulino geben.«
Von den fünfzig Centavos, die Celso den Tag bekam, gingen zwanzig Centavos ab, die an den Koch der Kolonne für das Essen bezahlt werden mussten. Celso wollte gelegentlich rauchen und musste sich Tabakblätter kaufen. Er benötigte Kampfer, um die Moskitostiche zu kurieren und die Bisse und Stiche anderer Insekten und Reptilien. Chinin gab gelegentlich die Verwaltung her in einigen Dosen, wenn die schweren Anfälle von Fieber zu häufig wurden - und wenn Chinin vorhanden war.
Dann musste er zuweilen Talg kaufen, um nach einer Auspeitschung den Rücken zu salben. Gepeitscht wurde nicht nur für Weglaufen, was kaum vorkam, sondern für alle möglichen Vergehen, worunter das häufigste war: unzureichende Tagesleistung. Es wurde nicht in Betracht gezogen, welches die Ursachen ungenügender Tagesleistung sein konnten. Und der Ursachen waren viele, an denen der Peon ganz und gar unschuldig war und die meist an schlechten Äxten oder Zughaken und an den natürlichen Hindernissen, die der Dschungel bietet, lagen. Auch Fieber oder andere Krankheit war keine Entschuldigung für das Fehlen der angeordneten zwei Tonnen reinen, abgeschälten und für das Abtrecken fertigen Mahagoniholzes. Es gab Stellen im Dschungel, wo nur junge Bäume waren, die keinen Wert hatten, oder morsche oder rissige oder vom Wurm angefressene, wo der Peon sich mit dem Machete im Dschungel Wege bahnen musste, um geeignete Bäume zu suchen. Zuweilen dauerte das Stunden. Das alles wurde dem Arbeiter nicht zu seinen Gunsten gebucht. Er hatte zwei Tonnen erstklassiges und fahrbereites Mahagoniholz täglich zu liefern. Wie er das tat, war seine Sache. Er war dafür bezahlt, das Holz zu liefern. Glückte es ihm aber, dass er besonders günstiger Umstände wegen an einem Tage drei oder gar vier Tonnen geschafft hatte, so wurden sie ihm zuweilen, je nach Laune des Kolonnenführers, vielleicht innerhalb einer Woche für einen anderen Tag, der mager für ihn ausfiel, gutgeschrieben und ihm angerechnet. Wenn aber der magere Tag eine Woche später fiel, verlor er die Vergünstigung. Meist, oder man möchte sagen, immer, vergaß der Kolonnenführer die überzähligen Tonnen eines günstigen Tages, und er vermerkte nur die fehlenden Leistungen eines mageren Tages und buchte den Peon für das Fest, wenn der Capataz kam, die Strafen zu vollziehen. An Kleidung sparte Celso mehr, als was für die Kleidung eines verwöhnten Hundes einer amerikanischen vertrockneten Jungfer ausgegeben wird. Er arbeitete nackt, um keine Ausgaben für Hemd oder Hose zu haben.
Um die Hüften hatte er Baumwollfetzen gewickelt. Das war alles, was er an Arbeitskleidung trug.
Da es nie einen Sonntag oder einen Feiertag gab, jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet wurde, brauchten die Peones weder Hemd noch Hose, um sich feiertäglich zu kleiden.
Es war den Peones freigestellt, den Rest des Tages zu feiern, wenn sie aus glücklichen Bedingungen heraus ihre zwei Tonnen geschafft hatten, ehe die Sonne untergegangen und ihr eigentlicher Arbeitstag beendet war.
Wenn sie einen solchen Viertelfeiertag gewannen, was ungemein selten vorkam, dann gingen sie einmal zum Fluss baden, pickten aus ihren Zehen die eingebohrten Würmer und deren Brut, kurierten Schnitte, Risse und Wunden in ihrer Haut, schnitten sich Stacheln und Splitter aus dem Körper oder unter den Fingernägeln hervor und brieten sich einen schmackhaften Pescuintle, wenn sie Glück gehabt hatten, einen solchen zu erwischen, um einmal wenigstens in Monaten den Geschmack der sich ewig gleich bleibenden schwarzen Bohnen, in Wasser gekocht und mit grünen und roten Pfefferschoten gewürzt, zu vergessen.
Der einzige Tag im Jahr, der ihnen freigegeben wurde, war der sechzehnte September, der Erinnerungstag der Unabhängigkeitserklärung Mexikos von der spanischen Krone.
Denn die Eigentümer der Monterias waren gute Republikaner. Die Republik bot ihnen bei weitem mehr Freiheiten in ihren Geschäften, als eine Monarchie und nun gar die spanische Monarchie ihnen gewährt hatte. Darum war ihnen dieser Revolutionsfeiertag so heilig wie einem Mohammedaner das Grab Mahomets. Die Monteria bezahlte sogar den Tag wie einen Arbeitstag, und die Eigentümer waren deshalb sehr stolz auf ihre gut republikanische Gesinnung. Es war nur der eine Nachteil in dieser republikanischen Gesinnung zu verbuchen, dass in den Kolonnen, die in den Tiefen des Dschungels arbeiteten und die nur alle zwei oder drei Monate einmal Verbindung mit dem Verwaltungsgebäude hatten, ein Kalender nicht zu finden war. In den weitaus meisten Fällen wusste selbst der Contratista, der Kolonnenführer, nicht, ob es Sonntag oder Mittwoch oder Freitag sei. Er hatte nur eine unklare Vorstellung, dass es Juli oder Dezember sein müsse. In seinem Büchelchen hatte er soundso viele Arbeitstage verbucht. Aber er war aus Versehen völlig aus der Kalenderrechnung herausgekommen. Und wenn er aus irgendeinem Grunde es nötig fand, das genaue Datum eines bestimmten Tages festzustellen, so rechnete er von dem Tage des Abmarsches seiner Kolonne vom Platz des Verwaltungsgebäudes.
Dieser Tag lag fest, weil sein Vertrag an diesem Tag begann. Nun rechnete er an den Arbeitstagen zurück, um auf den Abmarschtag zu kommen und auf diese Weise das Datum des heutigen Tages genau festzustellen. Aber dieses Zurückrechnen und Hinundherrechnen ermüdete ihn, weil er sich verzählte.
Celso dachte nur an seine Heirat und an seine fünfzehn ungeborenen Kinder, die er mit seinem Mädchen ans Licht der Welt befördern wollte. Der Gedanke an sein Mädchen ließ ihn alle Qualen in der Monteria erdulden.
Als ein volles Jahr der Arbeit in der Monteria um war und Celso sein Vermögen in barem Gelde in seinem Guthaben bei der Verwaltung zusammenrechnete und noch hinzuzählte, was er für die Beförderung des Briefes und für die Hilfeleistung von dem Händler Don Policarpo verdient hatte, fand er, dass er dreiundfünfzig Pesos und sechsundvierzig Centavos an Hab und Gut auf Erden besitze. Diese Summe reichte nicht aus, um den Eindruck bei dem Vater seines Mädchens zu erwecken, den hervorzurufen er sich vorgenommen hatte. Er wollte nicht weniger als achtzig Pesos besitzen, wenn er die Monteria verließ.
Er verdingte sich für ein zweites Jahr.
Es schien ihm, dass das zweite Jahr rascher verginge als das erste. Er war einer der geübtesten Schläger geworden. Er hatte gelernt, so geschickt seine Bäume zu wählen und so wohldurchdacht die beste Stelle am Baum für das Anschlagen zu finden, dass es viele Tage gab, wo er bereits am Nachmittag seine Leistung geliefert hatte. Er half jetzt schon oft irgendeinem armen Neuling, der mit seiner Leistung nicht fertig wurde und Gefahr lief, für die Fiesta, für das Fest, gebucht zu werden. Als die erste Hälfte des zweiten Jahres um war, gab ihm der Kolonnenführer fünf Reales den Tag anstatt der vereinbarten vier. Der Kolonnenführer tat es nicht aus Gutmütigkeit, sondern um Celso für ein drittes Jahr zu gewinnen. Celso war klug genug, niemand zu sagen, dass er hier nur arbeite, um eine bestimmte Summe zu gewinnen, und dass er gehen werde, sobald er diese Summe habe. Er nahm sich vor, selbst bei seiner Abmusterung nicht zu sagen, dass er endgültig fortgehe, sondern dass er seinen Vater und seine Mutter besuchen müsse und wahrscheinlich bald zurückkehre. Erfahrung mit seinen Arbeitskameraden hatte ihn gelehrt, auf seine Haut aufzupassen und gut Acht zu geben, nicht unbedacht in eine der vielen Fallen zu gehen, die gelegt wurden, um abwandernde Arbeiter aufs neue einzuhaken.
Abmusternde Peones erneut einzuhaken war das Geschäft von menschlichen Parasiten, von so genannten Coyotes, die sich in den Monterias und in deren Rekrutierungsbezirken einnisteten.
Es war die leichteste Arbeit, Leute, die ihren Vertrag beendet hatten, durch List, Betrug, Betrunkenmachen und mit Hilfe von verkommenen Weibern der alleruntersten Schicht des Kehrichts der menschlichen Rasse für einen neuen Vertrag einzufangen. Nur wenige Leute, nur die völlig charakterfesten und willensstarken, entkamen diesen Coyotes.
Liefen keine Verträge ab, dann begaben sich die Coyotes auf die Jagdzüge. Sie gruppierten sich und suchten in den Dörfern und Fincas, die nahe dem Dschungel lagen, entflohene Sträflinge, die sich hier zuweilen verbargen. Die Behörden setzten keine Belohnung für das Ergreifen von Verbrechern aus.
Die Coyotes hingegen gaben den Leuten, die ihnen versteckte Verbrecher und Flüchtlinge anzeigten und deren Versteck verrieten, Belohnungen von fünf bis zu sechzig Pesos für den Kopf und für das Paar Hände.
Die Coyotes kümmerten sich nicht um die moralische Vergangenheit ihrer Fänge; sie kümmerten sich nur um deren kräftige Arme. Die Eingefangenen wurden so gut gebunden und so gut verwahrt, dass sie leichter einem zementierten Gefängnis hätten entweichen können als diesen Jägern. Gefesselt in Reihen, wurden sie durch den Dschungel geschleppt. Beim geringsten Verstoß gegen eine Anordnung auf dem Marsch wurden sie so aus gepeitscht, dass sie keinen Fetzen heil hatten, wenn sie in den Monterias ankamen. Jeglichen, auch den allerbescheidensten Versuch, auf dem Marsche auszubrechen, gaben die Burschen, die einmal in den Händen der Coyotes waren, auf, sobald sie eine Stunde auf dem Marsche waren, ganz sicher aber, nachdem sie die erste Henkung eines ihrer Genossen gesehen, der versucht hatte zu entweichen. Die Henkung war darum so grauenerregend und so abschreckend für eine versuchte Widerspenstigkeit der Gefangenen, weil sie nicht tödlich war. Wäre sie tödlich gewesen, hätte sie weniger Eindruck gemacht. Aber Henkungen mit der Absicht, den Gehenkten zu töten, verübten die Coyotes nicht. An einem zu Tode Gehenkten hatten sie kein Interesse. Nur der Lebende brachte Geld ein.
Die Enganchadores, die rechtmäßigen Agenten für die Monterias, kauften Indianer aus den Gefängnissen der Dörfer auf, indem sie die Geldstrafe für den Indianer an den Alcalden des Dorfes oder an den Sekretär der Regierung bezahlten, der dort im Auftrage der Federalregierung war, um als Standesbeamter, Statistiker, Postmeister und Telegrafist zu wirken. Die Geldstrafen, die dieser über Indianer verhängte, betrachtete er als seine wichtigste Einnahmequelle. Für die bezahlte Geldstrafe wurde jenen konzessionierten Agenten der Indianer ausgeliefert, und der Agent verkaufte den Indianer als Peon an die Monterias. In den Monterias hatte der so verkaufte Indianer die Geldstrafe, die der Agent für ihn bezahlt hatte, sowie die hohe Anwerbungskommission für den Agenten und die Steuer für den Kontrakt abzuarbeiten, ehe er irgendeinen Lohn erhielt.
Die Coyotes versuchten, ihre Leute billiger zu erwerben, um ihre Kommission erhöhen zu können.
Sie kauften keine Indianer aus den Gefängnissen auf. Diese Ausgabe war für sie fortgeworfenes Geld.
Sie zogen des Nachts in die kleinen Dörfer, brachen die Gefängnisse auf und schleppten die Gefangenen weg. Am Morgen, wenn der Sekretär nach seinen Gefangenen sah und sie nicht fand, das Gefängnis aber erbrochen sah, glaubte er, wie das ganze Dorf, dass die Gefangenen selbst ausgebrochen seien oder dass sie von Freunden befreit worden waren. Niemand, selbst ihre eigene Familie nicht, erwartete, dass die Entwichenen zurückkommen würden; denn beim Wiederergreifen hatten sie höhere Strafen zu gewärtigen. So blieben sie verschollen. Die Coyotes jedoch, um die gestohlenen Gefangenen einzuschüchtern, erklärten ihnen, dass, wenn sie nicht freiwillig in die Monterias marschieren würden, sie, die Coyotes, vor dem Richter angeben würden, dass die Indianer das Gefängnis aufgebrochen und die Coyotes gebeten hätten, sie nach den Monterias zu bringen. Sie redeten ihnen ein, dass ein Entweichen aus dem Gefängnis und ein Zerstören des Gefängnisses, was als Zerstören eines öffentlichen Gebäudes galt, obgleich es nur aus Lehmfladen gebaut war, mit Füsilieren bestraft würde. Die Indianer wussten, dass vor dem Richter dem Coyote, der Ladino war, geglaubt wurde und die Dinge so sein mussten, wie der Ladino sagte.
Es waren diese Coyotes, vor denen jeder Arbeiter in der Monteria Furcht hatte, sobald das Ende seiner Vertragszeit sich näherte. Soviel war in den Camps von den Coyotes erzählt und mit so vielen Beweisen belegt worden, dass jeder Arbeiter wusste: Es gab keine Untat und es gab kein Verbrechen, die ein Coyote nicht beging, wenn er einen Peon erneut einzuhaken versuchte. Tot zu sein oder Selbstmord zu verüben schien das einzige Mittel zu sein, mit dem sich ein Peon vor den Coyotes mit Sicherheit retten konnte.
Es gibt kein Land auf Erden, wo der Coyotismus, die Tätigkeit der Coyotes, so am Lebenssaft des Volkes saugt wie in Mexiko. Bliebe der Coyotismus auf die Monterias beschränkt, möchte es erträglich sein; aber der Coyotismus verseucht das ganze wirtschaftliche, politische und private Leben der Mexikaner. Und weil es im Lande Coyotes gibt, die Generäle sind, Minister, Couverneure, Bürgermeister, Polizeichefs und Direktoren von Hospitälern, darum darf man sich nicht wundern, wenn die kleinsten Coyotes die Monterias und deren Arbeiter als ihr Ausbeutungsfeld betrachten, und darum darf man sich noch weniger wundern, dass niemand im Lande sich um diese kleinen Coyotes kümmert.
Wenn die Coyotes in den Monterias gelegentlich den Jefe Politico, den politischen Chef des Distriktes, in dem die Monterias lagen, sowie zuweilen auch den Bürgermeister des Ortes, wo die nächste Behörde ihren Amtssitz hatte, mitverdienen ließen, dann hatten sie einen Freibrief für jegliche Handlung, die sie verübten.
Es war dieser Coyotes wegen, dass sich Celso vornahm, niemand zu sagen, dass er für dauernd von den Monterias fortgehe. Und es war seines Kolonnenführers wegen, dass er nicht sagte, was er beabsichtigte.
Er hatte bemerkt, dass sein Kolonnenführer ihn nicht schlecht behandelte, ihm gute Plätze und gute Bäume anwies. Er tat das, weil er einen tüchtige n Arbeiter in Celso sah, den er sich für weitere Jahre erhalten wollte. Von Beginn des zweiten Halbjahres an erzählte Celso herum, dass er für vier Wochen unbedingt nach Hause müsse, um nach seinem Vater und seiner Mutter zu sehen und ihnen das Geld zu bringen, das er verdient habe, weil sie sich Vieh kaufen wollten. Geschickt flocht er ein, dass dieses Geld nicht genügend sei, dass er zwei weitere Jahre in der Monteria arbeiten müsse, um so viel zu verdienen, dass sein Vater sich ein bestimmtes Stück Land hinzukaufen könne, auf dem er, Celso, leben wolle, wenn er nach vier Jahren heimkehre, um sich zu verheiraten und in seinem Dorfe dauernd sesshaft zu werde.
So kam endlich die Zeit, mit der Celso sein zweites Jahr in der Monteria beendete. Aber er hätte allein durch den Dschungel zurückmarschieren müssen, wäre er sofort losgezogen. Er hielt es für besser, einige Tage zu warten, bis ein größerer Trupp von abgedienten Arbeitern heimzog, die alle auf ihrem Heimweg das Candelariafest in Hucutsin besuchen wollte.
Das Candelariafest in Hucutsin war mit nüchternen Augen betrachtet von jemand, der ähnliche Heiligenfeste in anderen Städten des Landes gesehen hat, recht armselig und trocken. Aber Hunderte von angeworbenen Peones erleben ein solches Fest zum ersten Male in ihrem Dasein. Von dem Bereich ihrer kleinen Dörfer und von dem engen Bezirk ihrer so ärmlichen Palmhütten und Lehmbuden aus gesehen, erscheint ihnen das Fest in dem Städtchen als ein Ereignis, wie es größer, schöner, lustiger, wollüstiger, sündiger, prachtvoller, pompöser, verschwenderischer nicht gedacht werden kann.
Je länger die Arbeiter in den Tiefen des Dschungels arbeiten, je mehr Zeit hinter ihnen verweht, um so glanzvoller und um so berauschender wächst in ihrer Erinnerung die Erscheinung des Candelariafestes in Hucutsin an. Welche Phantasie, sei es während des Tages oder sei es während der langen Nächte im Dschungel, sie auch immer erregen mag, jede Phantasie und jeder irdische Wunsch verknüpft sich in ihnen mit dem Candelariafest. Wünsche, sich eine bunte Decke kaufen zu können, oder sich gründlich zu betrinken oder zu spielen oder Tänzerinnen und Komiker in den Carpas zu sehen oder ein heißes Mädchen unter sich zu haben oder den Kerzenqualm und den Weihrauchdunst der Kirche einzuatmen oder sich mit einem anderen Burschen zu prügeln, ohne dafür ausgepeitscht zu werden, die Frauen und Mädchen an den Verkaufstischen feilschen zu sehen, der Musik der barfüßigen braunen Musikanten auf den Gassen zuzuhören, sich stundenlang hinzustellen, nichts zu tun und den schmelzenden Liedern der Corridosänger zuzuhören oder - oder - und vieles, vieles mehr.
In den langen Monaten schwerer Arbeit im Dschungel keimen so viele hundert Wünsche heran, dass die Ewigkeit im Paradiese der Frommen nicht ausreicht, alle diese Wünsche zu erfüllen.
Je näher die Zeit des Candelariafestes dann kommt, desto erregter werden die Arbeiter. Und wie Seeleute nach langer Fahrt auf die Schankwirtschaften, Mädchensalons, verräucherten und verdreckten Tanzböden losgehen wie wilde Stiere, so gehen die Caobaarbeiter los, wenn sie nach abgedienten Arbeitsjahren auf dem Candelariafest eintreffen. Und wie Seeleute, die sich während der Fahrt vornahmen, sobald sie heimkehrten, ihr Mädchen zu heiraten und sesshaft zu werden, in den Tabernen des Hafens ihre ganze Heuer in drei Tagen und drei Nächten über den Stiel hauen und dann erneut auf große Fahrt gehen müssen, so geschieht es auch mit Dutzenden von Arbeitern der Monterias, die nach einer halben Woche Festtaumel keinen anderen Ausweg sehen, als einem Enganchador nachzulaufen und ihn zu fragen, ob er sie nicht wieder anwerben wolle.
So leicht war nun Celso freilich nicht zu fangen. Das Fest ließ ihn in jeder Weise nüchtern. Er war kein unerfahrener indianischer Bauernjunge, der nichts gesehen hat von der Welt und ihren Freude.
Er hatte ähnliche Feste gesehen in den kleinen Orten in Soconusco, wo er in den Kaffeeplantagen gearbeitet hatte.
Während die Mehrzahl der Burschen im Dschungel an die Berauschungen des Candelariafestes dachten und davon träumten, wie sie alle Entbehrungen eines Jahres oder gar mehrerer Jahre auf dem Candelariafeste gutmachen würden, träumte Celso von nichts anderem als von seinen fünfzehn ungeborenen Kindern, denen er mit seinem Mädchen zur Welt helfen wollte. Es war der scheue und dennoch warme Blick, den er von seinem Mädchen erhalten hatte, woran er während der zwei Jahre seiner Arbeit in den Monterias gedacht hatte und wovon er träumte, wann immer er sich bei Einbruch der Nacht auf seinem Petate niederlegte.
Der Kolonnenführer des Celso hatte den Verwalter der Monteria davon in Kenntnis gesetzt, dass wahrscheinlich der Celso nicht zurückkommen würde, dass aber ein Bursche wie Celso der Monteria nicht verloren gehen dürfe. Der Verwalter sandte mit einem anderen Burschen einen Brief an Don Gabriel, den Agenten, von dem er wusste, dass er zum Candelariafeste in Hucutsin sein werde, um einen großen Transport von Arbeitern in den Monterias abzuliefern.
Der Brief enthielt mehrere Anweisungen für alle möglichen Bedürfnisse, die der Verwalter der Monteria in Hinsicht auf die benötigten Peones hatte. Soweit sich diese Anweisungen auf Celso bezogen, lauteten sie so: Ein weiteres, Don Gabriel; ein Bursche, ein Chamula, namens Celso von Ishtacolcot, hat all seinen Lohn abgehoben, und ich vermute, er hat die Absicht, nicht mehr anzuhaken. Wir können ihn nicht entbehren, er ist ein zu guter Schläger. Ich gebe Ihnen fünfzig Pesos für den Burschen, die übliche Kommission natürlich extra. Der Bursche kommt durch Hucutsin mit dem abziehenden Trupp, und Sie können ihn dort treffen.
Für fünfzig Pesos extra würde Don Gabriel einen Verstorbenen ausgegraben, ins Leben zurückgerufen und für die Monteria angeworben haben. Und um wie viel leichter war es, einen lebenden Arbeiter einzufangen, und um noch hundertmal leichter, einen indianischen Burschen für die Monteria zu haken.
Ob der indianische Bursche seine sterbende Mutter besuchen wollte oder sich zu verheiraten gedachte oder Heimweh hatte, das kümmerte ihn nicht. Es kümmerte ihn viel weniger als den Staat, der jungen Burschen befiehlt, sich in einer Militärkaserne einzufinden und sich hier abrichten zu lassen, Willen, Sittlichkeit und Menschlichkeit zu verleugnen, um einer nicht existierenden Ehre wegen Verbrechen zu begehen, sobald das Signal geblasen wird.
Am selben Tage, an dem der Brief aus der Monteria in Hucutsin eintraf, hatten die Burschen, die als Unteragenten des Don Gabriel arbeiteten, Celso in dem Haufen von Leuten, die aus den Monterias zu dem Feste gekommen waren, entdeckt. Von diesem Augenblick an wurde Celso von jenen Zutreibern nicht mehr aus den Augen gelassen.
Sie beobachteten alle seine Schritte, und sie waren enttäuscht, als sie bemerkten, dass Celso keinen Aguardiente trank. Das Opfer betrunken zu machen und in der Trunkenheit einzufangen, war der übliche Trick, weil der leichteste. Celso war einem heftigen Schluck kräftigen Comitecos nicht abgeneigt.
Aber er hatte den Willen, nur dann zu trinken, wenn es ihm zusagte, und nicht zu trinken, wenn er dachte, es sei besser, nüchtern zu bleiben. In den zwei Jahren in der Monteria hatte er durch seine Genossen genügend Erfahrung gesammelt, wie die Enganchadores und Coyotes arbeiten. Darum nahm er den Aguardiente selbst dann nicht an die Lippen, als er ihm geschenkt wurde.
Es war ihm aufgefallen, dass er stets zwei Burschen in seiner Nähe sah, ganz gleich, wo er sich befinden mochte, und dass es immer dieselben beiden Burschen waren, zwei Mestizen in halb städtischer Kleidung. Er kannte den Typus. Es waren die Typen, aus denen die Monterias ihre Capataces aussuchten, die Peitscher und Henker, die den Titel Capataz, Unteraufseher, trugen, um eine offizielle Bezeichnung zu haben, wodurch sie sich von den Peones unterschieden. Beim Anwerben waren sie die Zutreiber des Wildes, es waren diejenigen, die für den Agenten oder für den Coyoten die Morde, Schlägereien, Messerstechereien und die rohen Verbrechen begingen, die der Agent anordnete. Der Agent behielt immer reine Hände dem Gesetz gegenüber, und die Zutreiber verschwanden, wenn etwas zu heiß war; sie wurden von dem Agenten unterhalten und kehrten zu ihm zurück, wenn die Verbrechen, die sie verübt hatten, verblichen waren oder wenn Freunde des Agenten ins Amt kamen.
Der Agent war der vornehme Ladino, der das Anwerben von Arbeitern für die Monterias als ehrliches und gesetzlich geschütztes Geschäft ausübte. Die Schäbigkeiten des Geschäftes wurden von den Capataces verübt, die keinen Wert darauf legten, als gesittete und ehrliche Menschen betrachtet zu werde.
Als Celso diese beiden Burschen unausgesetzt in seiner Nähe herumstreifen sah, kannte er den Inhalt des Briefes, den ein Agent bekommen haben musste. Er wusste, dass er von jetzt an alles zu erwarten haben würde, was nur immer ein Agent sich ausdenken mochte, um einen Arbeiter einfangen zu können. Es gab nur eine Tat, vor der er sicher war, das war Mord. Er würde nicht ermordet werden, denn an einem toten Indianerburschen hatte niemand ein Interesse, nicht einmal der Teufel, der, wie Indianern wohlbekannt ist, sich nur Weiße aussucht, um sie zu braten und zu schmoren.
Celso bekam Furcht. Es war die grauenhafte Furcht eines Menschen, der zusieht, wie eine Falle aufgebaut wird, ihn einzufangen, und der gleichzeitig erkennt, dass er dieser Falle nicht entrinnen kann, was er auch immer versuchen mag.
Hätte er gewusst, in welcher Weise der Agent arbeiten würde, um ihn zur Bestätigung eines neuen Vertrages zu verführen, so hätte Celso vielleicht einen Gegenplan ausdenken können. Aber er wusste ja nicht einmal, wer der Agent war, für den die Hyänen herumstrichen. Diese Burschen erhielten für die gelungene Arbeit, wenn sie gut bezahlt wurden, drei Pesos, und wenn sie außerordentlich gut bezahlt wurden, fünf Pesos. Dafür aber hatten sie so lange zu arbeiten, bis Celso völlig im Vertrag war.
Celso hatte beabsichtigt, drei Tage in Hucutsin zu verweilen. Einmal wollte er sich ausruhen und seine Wunden, die er auf dem Marsche durch den Dschungel erhalten hatte, heilen. Dann wollte er etwas von dem Fest genießen, wollte den Corridosängern und den wandernden Musikanten zuhören, wollte in die Kirche gehen und eine Kerze der Heiligen Jungfrau weihen für die gesegnete Rückkehr aus der Monteria, und dann wollte er Geschenke für seine Mutter, für sein Mädchen, für den Vater seines Mädchens und für seinen eigenen Vater einkaufen, um allen daheim eine Freude zu mache.
Während der zwei Jahre, die er von seinem Dorfe fort war, hatte er keine Nachricht von sich an seine Eltern senden können, noch hatte er irgendeine Mitteilung von ihnen erhalten. Schreiben konnte er nicht und lesen auch nicht. Selbst wenn er die Absicht gehabt hätte, nach Hause zu berichten, es hätte ihm niemand helfen können, denn keiner von seinen Arbeitskameraden konnte schreiben. Es hatte auch weder er noch einer seiner Mitarbeiter Zeit, einen Brief zu schreiben. Es blieb den Peones nicht einmal so viel Ruhe, dass sie über einen Brief hätten nachdenken können. Während der langen Monate im Dschungel, arbeitend ohne Unterlass, sanken sie in allen ihren Lebensinteressen so weit herunter, dass sie sich von den Ochsen und Mules, die neben ihnen beschäftigt wurden, nur durch das Aussehen unterschieden. Sie hatten keine anderen Bedürfnisse, als zu schlafen und zu essen, und sie hatten keinen anderen Wunsch, als gute Bäume zu finden, die sich leicht schlagen lassen, und keinen anderen Gedanken, als nicht ausgepeitscht zu werden. Briefe zu schreiben lag ihnen so fern wie einem Ochsen der Gedanke, den Südpol zu erforschen.
Als Celso jene Burschen auf der Lauer sah, gab er seinen Plan, einige Tage in Hucutsin zu verbringen, auf.
Er beschloss, durch einige geschickte Wendungen auf dem Feste den Zutreibern auszuweichen, sich zu verstecken und sich in der Nacht aufzumachen und den Hochpass von Teultepec zu gewinnen. Der Weg zu dem Hochpass war bei weitem schwieriger als der Weg über Sibacja. Die Zutreiber würden annehmen, dass er den leichten und kürzeren Weg über Sibacja wählen würde, und er war gewiss, dass sie ihm auf diesem Wege folgen würden, wenn sie bemerken sollten, dass er entwischt sei.
Hätte er keinen Packen gehabt, wäre es ihm leicht gelungen, unbemerkt von den Zutreibern zu entwischen.
Aber Gepäck ist immer hinderlich für rasches Reisen. Das Gepäck enthielt jedoch seine ganze weltliche Habe, von dem baren Gelde abgesehen, das er in seinem Wollgürtel eingedreht trug. So konnte er seinen Packen nicht zurücklassen.
Celso hatte an der Lehmmauer eines Hauses, unter dem weit hervortretenden Schindeldach, sein Lager aufgeschlagen. Es rasteten hier noch mehr indianische Burschen seiner Nation. Wenn einer sich fortmachte, dann blieb immer ein anderer zurück, der für die übrigen Burschen, die das Fest sehen wollten, die Packen bewachte.
Die beiden Einfänger, die hinter Celso her waren, gaben mehr acht auf den Packen als auf Celso selbst. Sie wussten recht gut, dass ein Indianer seinen Packen nicht zurücklassen kann; denn der Packen enthält alles, was ein Indianer auf seinen langen Märschen braucht, Petate oder Palmenmatte, auf der er schläft, Wolldecke, Moskitonetz, Kien für das Feuer, Sandalen für Wege, die dornig sind oder wo die Erde dick mit Splittern von Muscheln aus unbekannter Vorzeit her bedeckt ist. Dann hat er in dem Gepäck noch sein Feuerzeug aus Stahl, Steinen und Lunte, seine rohen Tabakblätter und getrocknetes Fleisch, gequetschte kalte Bohnen, Tortillas, Salz und grüne Gemüseblätter, die er benötigt des Gewürzes und unentbehrlichen Vitamingehaltes wegen.
Celso dachte darüber nach, wie er seinen Packen fortbringen könnte, ohne dass es die Zutreiber sehen würden. Er konnte sich mit einem anderen indianischen Burschen verabreden, der ihm den Packen vor das Städtchen brachte, wo ihn Celso aufnahm und sich auf den Marsch begab. Er konnte aber auch den Packen in einem kleinen Laden abgeben und verabreden, dass er den Packen morgen abholen würde.
Er selbst konnte sich davonmachen und außerhalb des Ortes irgendwo unter einem Baum übernachten.
So könnte er die Häscher irreführen und sie glauben machen, dass er sich fortgeschlichen habe.
Vielleicht gaben sie es dann auf, sich weiter um ihn zu bekümmern.
Aber alles, was er sich ausdachte, dachten sich auch seine Verfolger aus. Er hätte etwas ganz außerordentlich Neues und etwas ganz Unerwartetes erfinden müssen, um solchen Burschen zu entgehen.
Hungrige Wölfe können hinter ihrer Beute nicht ausdauernder her sein als diese Zutreiber hinter einem starken Indianer, den der Werbeagent auf seiner Liste hatte. Ihrem Herrn gut zu dienen gab ihnen nicht nur die Sicherheit, an dem einen oder anderen Opfer drei oder fünf Pesos zu verdienen, sondern für gute Arbeit und ständig gute Dienste erhielten sie als Belohnung dauernd angenehme Arbeit.
Sobald diese Zutreiber ihre Arbeit hier am Ort beendet hatten, das Heiligenfest vorüber war und der Abmarsch in die Monterias begann, wurden sie beschäftigt als Treiber auf dem Marsche. Nicht als Treiber der Packtiere, sondern als Treiber der angeworbenen Indianer. Es war ihre Aufgabe, den Trupp zusammenzuhalten, darauf zu achten, dass niemand zurückblieb, dass niemand ausbrach und zu fliehen versuchte. Es wurden ihnen Peitschen, Lassos und die besten Pferde für diese Aufgabe gegeben, aber der Agent hütete sich, ihnen Revolver anzuvertrauen, und wenn er wusste, dass einer der Burschen einen Revolver besaß, so musste er ihn an den Agenten abgeben. Diese Burschen waren wie toll darauf, einen Indianer erschießen zu können, um sich an dem qualvollen Sterben eines niedergeschossenen Menschen erfreuen zu können. Sie würden alle möglichen Umstände angeführt haben, um gegenüber dem Agenten nachzuweisen, dass sie keinen anderen Ausweg gehabt hätten, als einen fliehenden oder zurückgebliebenen Mann zu erschießen. Sie schossen nur, wenn sie wussten, dass es der Agent nicht sah und er nicht nachprüfen konnte, ob ein oder gar mehrere der angeworbenen Arbeiter etwa Meuterei versucht hatten.
Würde der Agent ihnen Revolver anvertraut haben, so hätte er oft wohl kaum die Hälfte der Angeworbenen in den Monterias abliefern können, weil die übrigen auf dem Marsche wegen Meuterei oder Angriff auf die Treiber erschossen worden wären. Der Agent hatte unausgesetzt darauf zu achten, dass diese Treiber nicht gelegentlich einen Mann, der zurückblieb, erhenkten, um sich zu vergnügen. Der Agent hatte genügend andere Mittel, meuternde Leute auf dem Marsche so zu bestrafen, dass sie den Tod durch Erschießen vorgezogen haben würden. Das einzige Interesse, das der Agent hatte, war, die Leute lebend und arbeitsfähig in der Monteria abzuliefern; denn die Monterias zahlten nichts für Leute, die auf dem Marsche wegen Meuterei erschossen oder gehenkt worden waren.
Waren die angeworbenen Arbeiter in den Monterias vollzählig abgeliefert, so blieben die besten und rohesten Treiber als Capataces, als Aufseher, Auspeitscher und Strafvollstrecker bei den Trupps, die sie hergetrieben hatten.
Hätte Celso erraten können, was seine Häscher tun würden, um ihn in denkbar kurzer Zeit einzufangen, so hätte er doch nicht ausweichen können. Das, was die beiden Burschen sich ausgedacht hatten, um Celso innerhalb zwölf Stunden am Haken zu haben, war so geschickt, dass nur ein ganz seltenes Wunder ihn hätte retten können, ein Wunder, so selten, dass es nicht einmal die Romanschreiber der biblischen Geschichten hätten erfinden können.
Celso machte sich reisefertig. Er beabsichtigte, sich während der Nacht davonzuschleichen. Es war gegen elf Uhr nachts. Die Stadt, obgleich der Handelsmittelpunkt eines Bezirkes von etwa sechzigtausend Quadratkilometern, hatte keine Straßenbeleuchtung. Es liegt im Wesen des Mexikaners, sein persönliches Geld oder die öffentlichen Gelder lieber für Festlichkeiten, Bankette, Empfänge und Dekorationen der Straßen auszugeben als für Straßenbeleuchtung oder Wasser oder Kanalisierung seiner Städte. Mexiko City, eine moderne Millionenstadt, hat nachts kein Wasser, aber die Stadtverwaltung gibt leichten Herzens zweihunderttausend Pesos aus, um die Straßen und Plätze der Stadt für den Karneval zu dekorieren, und sie gibt eine halbe Million Pesos aus, um die Stadt für einen großen Nationaljahrmarkt während der Jahreswende festlich zu illuminieren. In einer Entfernung von weniger als hundert Kilometern nach jeder Richtung hin ist so reichlich trinkbares Wasser vorhanden, dass die Stadt täglich viermal völlig unter Wasser gesetzt werden und dabei jedes Mal das Wasser bis an die höchste Spitze der Kathedrale reichen könnte; aber weil der Mexikaner mehr Freude an Festlichkeiten, Dekorationen, häufigem Wechsel der Uniformen seiner Polizei hat, darum hat er des Nachts keine Wasserzufuhr; er kann seine Aborte des Nachts nicht spülen, kann vor sieben Uhr morgens nicht baden, und wenn nachts ein großer Brand ausbricht, kann der Brand nicht gelöscht werden.
Celso stand vorsichtig auf und schlich sich durch die Straße, um zu sehen, ob seine Häscher in der Nähe wären. Er sah weder sie noch irgendeinen Burschen, von dem er den Eindruck gewinnen konnte, dass er mit den Häschern arbeite.
Als er so die Umgebung sicher fand, schlich er sich wieder zurück zu dem Portico, wo er zu übernachten gedacht hatte, und nahm vorsichtig und leise seinen Packen auf.
Er erreichte den tiefen Schatten des Winkels zweier aneinander gebauter Häuser, von denen das eine weiter zurückstand als das andere. Hier in dieser Finsternis legte er sich die Riemen des Traggurts zurecht und nahm endlich den Packen marschmäßig auf.
So tief gebückt, als dies der Packen nur immer zuließ, eilte er nun, sich geschickt im Schatten der Häuser haltend, die Straße hinunter. Am Ende der Straße bog er nach links ab, um auf einen Pfad zu gelangen, der bereits außerhalb des Städtchens sich hinzog. Er gedachte, den Pfad so weit zu verfolgen, bis er in die Nähe des alten Friedhofes kam. Hier wollte er abermals links abbiegen, um auf einigen Kreuz- und Querpfaden den Maultierweg zu erreichen, der auf den Hochpass von Teultepec führte.
Aber als er das letzte Haus an der nordwestlichen Ecke der Stadt zur Seite sah, deutlich abgehoben gegen den schimmernden nächtlichen Himmel, und er einbiegen wollte hinüber zum alten Friedhof, sprangen vor ihm drei Burschen auf.
»He, du, Chamula«, rief einer, »wo willst du denn mitten in der Nacht mit dem gestohlenen Packen hin?«
»Nichts gestohlen«, sagte Celso stehen bleibend, »das ist mein Packen, und ich muss mich zeitig auf den Weg machen, wenn ich heute Nachmittag in Oshchuc sein will.«
»Wo bist du denn her, Chamulote?« fragte der zweite Bursche.
»Das geht dich einen Dreck an«, antwortete Celso.
»Bist hier schon dreist, mein Söhnchen«, sagte der dritte, und er stieß Celso mit der Faust in die Seite.
»Was wollt ihr überhaupt von mir?« fragte Celso, obgleich er wusste, was die Burschen wollten; denn selbst in der Dunkelheit hatte er seine beiden Häscher unter den Burschen erkannt.
»Wir können hier ebenso gut des Nachts auf dem Wege sein wie du, oder ist dir das nicht recht?« sagte einer.
»Freilich könnt ihr das«, antwortete Celso darauf, »und ich werde mich nun weiter auf meinen Marsch machen.«
Er wandte sich, zu gehen. Aber einer versetzte ihm einen solchen Fausthieb gegen den Kopf, dass Celso taumelte und von seinem schweren Packen niedergeworfen wurde. Ein anderer fiel über ihn her.
Celso wollte sich frei machen, und er balgte sich mit dem Burschen, der über ihn hergestürzt war, auf dem Boden herum.
Die beiden Häscher, als sie sahen, dass Celso am Erdboden lag und sich wehrte, um freizukommen, liefen ein paar Schritte auf die ersten Häuser der Stadt zu und schrieen wild: »Policia, policia, asesinos, Mörder, auxilio, Hilfe!«
Es war nun recht verwunderlich, dass keine Viertelminute verging und sofort zwei Polizisten zur Stelle waren.
Celso wusste, was ihm bevorstand. Er sprang auf und versuchte fortzurennen, ohne seinen Packen mitzunehmen. Aber der Bursche, der mit ihm am Boden raufte, war darauf vorbereitet. Er klammerte sich so fest an den Beinen, dass Celso wieder und wieder hinstürzte. Als er mit voller Kraft und mit einem heftigen Faustschlag sich endlich doch befreit hatte und ansetzte zu rennen, warfen die Polizisten, die nun ganz nahe heran waren, ihm ihre Knüppel zwischen die Beine, und einer der Häscher warf sich auf den strauchelnden Celso, riss ihn zu Boden und wälzte sich hier mit ihm herum, bis die Polizisten Celso fest am Arm packten und die Mündung ihrer Schrotflinten auf seinen Rücken pressten. Der Bursche, der sich mit Celso am Boden gebalgt hatte, schrie nun gellend: »Ermorden hat er mich wollen, der stinkige Chamula, gestochen hat er mich mit dem Messer, hier ins Bein, oh, ich armer, armer Mann, nun werde ich auch noch mein Bein verlieren. Ay, sergantes, hombres, hier habe ich das Messer, mit dem mich der Chamulote hat ermorden wollen und mit dem er mich gestochen hat. Hier ist das Messer.«
Celso wusste, dass er sein Messer im Packen hatte, wo es in einen Lappen eingewickelt war, zusammen mit dem getrockneten Fleisch.
Der eine der Polizisten sagte zu ihm: »Nimm deinen Packen auf, Chamula, wir gehen zum Jefe, zum Polizeichef, was der dazu sagt.«
Er wurde in die Amtsstube des Polizeichefs gebracht. Der Jefe saß da ohne Jacke, war seit einer halben Woche nicht rasiert und war betrunken.
»Was ist mit dem Chamula?« fragte er die Polizisten. »Schlägerei hier mit diesen Leuten.«
»Ich habe mich nicht geschlagen, Jefecito«, sagte Celso schüchtern. Den Packen hatte er immer noch auf seinem Rücken.
»Testigos, Zeugen?« fragte der Chef.
»Ja, drei, die sind hier«, sagte der Polizist und deutete auf die drei Bursche.
»Mich hat er mit dem Messer ins Bein gestochen, hier, hier oben«, sagte der eine der Burschen laut und hastig.
»In das Bein gestochen? Mit dem Messer? Wo?« fragte der Chef.
Der Bursche streifte das Hosenbein auf, und da war wirklich Blut an der baumwollenen Unterhose.
Er ließ auch die Stichwunde sehen. Aber er kam nicht dicht zu dem Tische des Polizeichefs, der infolge seiner Eingeweichtheit mit den Augen schläfrig blinzelte und wenig sehen konnte.
So kamen Umstände zusammen, die es für Celso, selbst wenn er im Umgang mit Autoritäten gewandter gewesen wäre, schwierig machten, zu beweisen, dass er hier nur eingekesselt werden sollte, so gut, dass er nicht entweichen konnte. Er war zu schüchtern im Angesicht des Polizeigewaltigen; denn er wusste aus Erfahrung, wenn er auch nur einen Zweifel an dem Verfahren geäußert hätte, so wäre er nicht nur angeschrieen worden, sondern er hätte sofort zehn Pesos aufgebrummt bekommen wegen Respektwidrigkeit gegenüber einer Behörde. Er hatte nur das Recht, ja oder nein zu sagen, nichts weiter.
Hätte er angedeutet, dass ein Agent hinter ihm her sei und dass jenes Agenten wegen, der ihn zu den Monterias erneut einfangen wollte, sich diese Schlägerei ereignet habe, so würde man ihn ausgelacht habe.
Er war, aus dem Bewusstsein heraus, ein armer indianischer Bursche zu sein, der vor dem Polizeichef als Angeklagter stand, so eingeschüchtert, so verwirrt, so verängstigt, dass er es nicht wagte, sich selbst die Wunde anzusehen, die er gestochen haben sollte. Er vergaß das in seiner Verwirrung. Und dass er es nicht wagen würde, in der Amtsstube der Polizei nach der Wunde genauer zu fragen, hatten seine Häscher voraus gewusst. Die Wunde war etwa sechs Stunden alt, schon gut eingetrocknet. Der Bursche, der die Wunde aufwies, hatte sie am Nachmittag bei einer Schlägerei in einer Cantina bekommen, von wem, wusste er nicht. Aber diese Wunde war den Häschern des Celso gelegen gekommen.
Sie hatten den Burschen für fünfzig Centavos gemietet, die Rauferei mit Celso zu unternehmen und die Wunde als Folge dieser Rauferei bei der Polizei anzugeben.
Am nächsten Morgen, wenn die Polizeiverhandlung des Celso war, sah die Wunde schon so aus, dass sie vortrefflich in die Zeugenvernehmung passte. Selbst ein Arzt hätte vielleicht nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Wunde dann zehn Stunden alt war oder sechzehn.
Celso brachte die Nacht im Polizeigefängnis zu. Als seine Häscher ihn so gut verwahrt sahen, gingen sie einen Comiteco trinken, und dann legten sie sich nieder, um ruhig und sorgenfrei zu schlafen.
Sie brauchten ihren Fang nicht mehr zu bewachen, die Behörde tat es nun für sie.
Infolge des Heiligenfestes war an jedem Vormittag auf dem Amtszimmer der Polizei reichlich Arbeit.
Schlägerei, Betrunkenheit, Streitigkeiten von Händlern untereinander und von Händlern mit ihrer Kundschaft, Diebstahl von Kleinigkeiten, kleine Betrügereien, Beleidigungen, Fehlen von Lizenzen, Fälschung von Lizenzen und Konzessionen, Steuerbetrug und Weigerung, den Befehlen von Behörden und Autoritäten zu folgen. Celso kam gegen zwölf Uhr an die Reihe.
Sein Fall lag sehr einfach. Die Zeugen waren da, wurden aber nicht vernommen, weil der Polizeirichter im voraus wusste, was sie sagen würden, und es darum nur Zeitvergeudung gewesen wäre.
Celso wurde von den beiden Polizisten, die ihn eingefangen hatten, vorgeführt.
»Du kommst von den Monterias, Chamula?« fragte der Polizeirichter.
»Ja, mi jefe.«
»Wie lange hast du da gearbeitet?« »Zwei Jahre, Patroncito.«
»Wegen Schlägerei mit tödlicher Waffe hundert Pesos Multa. Der nächste Fall.«
Celso wurde zu einem der Seitentischchen gerufen, wo der Sekretär saß.
»Hundert Pesos, Chamula.«
»Ich habe keine hundert Pesos, Patroncito.«
»Du hast doch aber zwei Jahre in den Monterias gearbeitet?«
»Ja, Patroncito.«
»Dann musst du doch aber wenigstens hundert Pesos haben.« »Ich habe nur etwa achtzig Pesos.«
»Gib die achtzig Pesos her. Für die zwanzig Pesos Rest und die fünfundzwanzig Pesos Polizei- und Gerichtskosten gehst du in die Carcel. Her mit den achtzig.«
Celso war in der Nacht nicht untersucht worden. Niemand von der Polizei hatte ein Interesse daran, was er in seinem Packen habe; wie viel Geld er habe, würde der Polizeirichter schon ausrechnen, falls es ihm nicht der Agent Don Gabriel vorher gesagt haben sollte.
Celso begann, sein Geld aus dem Wollgürtel auszudrehen und zählte es auf dem Tischchen auf. Er hatte etwa drei Pesos mehr als achtzig.
»Die paar Pesos kannst du vorläufig behalten, Chamula, damit du dir hier in der Carcel Tabak kaufen kannst und was du sonst brauchst. Beeile dich, damit du den Rest der Strafe herbeischaffst, dann brauchst du hier in dem Calabozo nicht so lange zu bleiben.«
Der Sekretär hatte recht. Celso brauchte nicht lange in der Carcel zu sitze.
Zwei Stunden später kam Don Gabriel, der Agent für die Monterias. Er wollte mit Celso sprechen.
Celso kannte ihn nicht.
Ein Polizist brachte Celso heraus, und Don Gabriel sagte zu ihm: »Ich möchte mit dir reden, Chamula, komm hier vor die Tür.«
Außen, auf der Straße, vor der Amtsstube der Polizei, war eine Bank. Don Gabriel setzte sich auf die Bank und lud Celso ein, sich neben ihn zu setzen. Er gab ihm eine Zigarette.
»Willst du einen Schluck nehmen, Chamula?« fragte Don Gabriel.
»Nein, patroncito, gracias.«
»Wie viel Multa hast du?«
»Hundert Pesos und fünfundzwanzig Pesos für die Kosten.«
»Wie viel hast du denn bezahlt?«
»Achtzig Pesos.«
»Alles, was du mit dir hattest?«
»Beinahe alles. Ich habe nur noch einige Pesos übrig für Tabak.«
»Für die fünfundvierzig Pesos, die bleiben, werden die dich hier wohl drei Monate in dem Calabozo halten.« »Das glaube ich wohl, Patroncito.«
»Die drei Monate, die du hier für die fünfundvierzig Pesos in der Carcel zu sitzen hast«, sagte jetzt Don Gabriel, »sind weggeworfen. Wenn du herauskommst, hast du nicht einen Centavo. Ich will dir etwas sagen, Muchacho, was ich für dich tun will. Ich werde die fünfundvierzig Pesos für dich bezahlen, und in fünf Minuten bist du heraus aus der Carcel.«
In fünf Minuten heraus aus dem Gefängnis. Dafür hätte in dieser Minute Celso zehn Jahre seines Lebens geopfert. Gegenüber diesen zehn Jahren, die er zu opfern bereit war, erschien es ihm ein Geschenk, als Don Gabriel sagte: »Du machst einen neuen Vertrag für die Monteria. Ich bezahle die fünfundvierzig Pesos, die schreibe ich auf dein Konto, dazu kommen meine Kommission, ich werde sie dir für fünfundzwanzig Pesos rechnen, und die fünfundzwanzig Pesos für die Stempelung, und ich gebe dir hier zehn Pesos in barem Gelde als Vorschuss. Du gehst nur mit hundertundfünf Pesos á conto in den Vertrag. Wenn du in der Monteria die hundertundfünf Pesos herunterverdient hast, dann ist aller weiterer Verdienst dein eigenes Geld.«
Für eine Sekunde wachte Celso auf. Wie lange es dauern würde, ehe er die hundertundfünf Pesos Vorschuss heruntergearbeitet haben würde, kam ihm für eine Sekunde zum Bewusstsein. Er rutschte unschlüssig auf der Bank hin und her.
Aber Don Gabriel zog die Schlinge, die sich öffnen wollte, rasch zu: »Du bist doch dann aber wenigstens draußen in der Sonne und im Grünen und liegst nicht hier in der Jauche der Besoffenen jede Nacht. Du hörst die Vögel singen und jagst gelegentlich rasch eine Antilope. Du bist ein sehr geübter Bursche mit guter Erfahrung. Wie viel haben sie dir bezahlt? Gut, ich mache dir den Vertrag mit sechs Reales.«
Zwei Polizisten schleiften einen Betrunkenen heran. Celso wandte sich um und sah, wie der Mann auf den Boden gepfeffert wurde und wie man die vergitterte Tür hinter ihm verriegelte. Er sah die Gesichter seiner Mitgefangenen hinter dem Gitter der Tür.
Ein Polizist kam und sagte: »Don Gabriel, ich muss den Gefangenen jetzt wieder zurückbringen, wir haben hier niemand zur Bewachung, alle sind auf der Plaza. Komm, Chamula!«
»Der Chamula geht mit mir«, sagte Don Gabriel, »ich gehe mit ihm hinein zum Jefe.«
»In Ordnung«, sagte der Polizist. Ohne eigenen Willen zu haben, folgte Celso Don Gabriel in die Amtsstube.
»Ich bezahle für den Chamula den Rest der Multa«, sagte er zum Sekretär. »Ich nehme ihn mit in die Monterias.« »Gut, gut, Don Gabriel«, sagte der Sekretär.
Er rief den Polizisten heran: »Der Chamula ist frei und kann gehen.«
»Muy bien, jefe«, sagte der Polizist. Er winkte Celso zu sich und sagte: »Komm und hol dir deinen Packen!«
Draußen wartete Don Gabriel. Er hatte den Vertrag bereits fertig. Seit gestern schon, weil er ja wusste, dass er gute Zutreiber hatte, auf die er sich verlassen durfte. »Hast du deine Sachen, Chamula?« fragte er. »Gut, gut. Dann wollen wir hier gleich zum Präsidenten gehen, um den Vertrag zu unterzeichnen und zu stempeln.«
Alle Behörden des Ortes waren in einem Gebäude. Dieses große Amtsgebäude nahm einen ganzen Häuserblock ein.
Don Gabriel brachte Celso zum Sekretär. Celso konnte nicht schreiben und machte ein paar Strichelchen dahin, wo der Sekretär mit dem Finger hintippte. Die a conto vorgeschossenen Summen erkannte Celso als richtig an, und um gar keinen Zweifel zu lassen, gab ihm Don Gabriel vor den Augen des Sekretärs die versprochenen zehn Pesos Vorschuss.
Als sie dann wieder im Portico des Amtsgebäudes standen, sagte Don Gabriel: »Du kannst dein Lager bei den übrigen Burschen machen, die mit mir in die Monterias marschieren. Die liegen da draußen «, Don Gabriel schleuderte lässig den Arm in jene Richtung, »da auf dem steinigen Gelände am Wege zum neuen Friedhof. Frage nur nach dem Engancho, nach dem geworbenen Trupp des Don Gabriel.
Ich werde euch Bescheid sagen lassen durch die Capataces, wann abmarschiert wird. Fortlaufen wirst du mir ja nicht. Ich kriege dich, und wenn ich dich aus dem Inferno, aus der Hölle, herausholen muss. Und was dir dann bevorsteht wegen Desertion, das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Du bist doch kein Neuling. Warst ja zwei volle Jahre in den Monterias und kennst die Regeln. Hier, nimm dir das Päckchen Zigaretten, und hier ist auch noch eine Tafel Chicle, Kaugummi, damit dir die Zeit nicht lang wird und du die Zähne bewegen kannst. Mach dich fort zu den Burschen!«
Celso kam zu dem Lagerplatz und legte seinen Packen in der Nähe eines der Campfeuer ab, wo er Burschen seiner Nation fand.
Im Gefängnis hatte man ihm nichts zu essen gegeben. Man kann sich dort nicht um alles kümmern; die Gefangenen bekommen etwas, wenn die Polizisten Zeit und Lust haben. Celso hatte auch kein Verlangen gehabt zu essen. Er fühlte sich niedergedrückt wie ein gefangenes Reh, und würde das Verhungern nicht so lange dauern und einem nicht so viel Zeit lassen, es sich anders zu überlegen, hätte er vielleicht versucht, freiwillig sich durch Hunger zu töten.
Aber jetzt am Feuer, wo alle Burschen, wohin er auch blickte, kochten, aßen, lachten, schwatzten, wo er mit jeder Minute mehr das Gefühl von Verlassenheit und Gefangensein verlor, weil alle die Haufen von Burschen an demselben Strick hingen, an dem er hing, und weil selbst das Hängen einem weniger schauerlich erscheinen mag, wenn man in Gesellschaft anderer gehenkt wird, begann auch Celso sich wieder zurechtzufinden.
Er bekam Hunger und öffnete seinen Packen. Er kramte sein Essen heraus.
Die gequetschten Bohnen fingen an, schimmelig zu werden. Aber er hatte keine besseren. Er schnitt sich die Streifen getrockneten Fleisches klein und legte sie in die Pfanne, um sie zu rösten. Er erbat sich Wasser aus dem Kessel eines seiner Campgefährten und stellte sein Blechkännchen mit Kaffee gegen das Feuer. Lässig rührte er in der Pfanne herum und rückte das Blechkännchen hin und her.
Zuweilen blinzelte er und presste das Wasser aus den Augen; denn wenn ein leichter Windhauch gegen ihn blies, so kam ihm der Rauch des Feuers in das Gesicht. Weil er hier an diesem Feuer ein Fremder war, niemand ihn kannte, wurde nur wenig geredet. Man musste sich erst warm reden, ehe man ins Gespräch kam und gegenseitig Zutrauen gewann.
Als der Kaffee überbrodelte, blies er heftig in das Kännchen, um den aufkochenden Kaffee zurückzuhalten.
Dann stellte er das Kännchen weiter fort vom Feuer, aber genügend in die hervorgezogene heiße Asche, um den Kaffee warm zu halte.
Das Fleisch brutzelte in dem Fett, das er aus einem Blechfläschchen in die Pfanne geschüttet hatte.
Dann schien ihm das Fleisch heiß genug zu sein, und er mengte die schimmeligen Bohnen hinzu. Er klaubte einige grüne Pfefferschoten, den Chile, aus einem Lappen und pflückte von den Schoten kleine Stückchen ab, die er in die Bohnen warf, um sie zu würzen. Die Tortillas, die er hatte, waren alle bröcklig geworden; er konnte nur die Bröckchen in die heiße Asche legen.
»War einer von euch schon einmal in den Monterias?« fragte er beiläufig. Er konnte es den Burschen ansehen, dass sie Neulinge waren und von der Monteria nur das wussten, was ihnen erzählt worden war. Darum hätte er eigentlich nicht zu fragen brauchen. Er fragte auch nur, um denen, die das Feuer angefacht hatten und hier in gewissem Sinne die Gastgeber waren, zu offenbaren, dass er sprechen könne. Diese Frage, obgleich sie eine gute Zeit nach seinem Herhocken an das Feuer gestellt worden war, betrachtete er gleichzeitig als Gruß. Und als Gruß wurde sie von den Muchachos auch aufgenommen. Die Art, wie er an das Feuer gekommen war und wie er sich hier hingehockt hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen, und das Gesicht, das er aufgesetzt hatte, ließen es keinem der Feuergefährten einfallen, mit ihm auch nur einen leichten Händel anzufangen. Er sah durchaus so aus, als ob er nur darauf warte, dass er einen Grund haben möchte, jemand das Maul mürbe zu hauen. Die Burschen, einer nach dem anderen, sagten: »Nein, hier von uns ist noch keiner in einer Monteria gewesen.«
»Ich war«, sagte er darauf, seinen Kaffee beobachtend, »zwei volle Jahre. Bin gestern zurückgekommen.«
»Und du gehst nun wieder in die Monterias hier mit uns?« fragte einer.
»Ja, ich gehe nun mit euch.«
»Dann gehst du diesmal freiwillig.«
»Genauso freiwillig, wie ihr geht, ihr Nenes, ihr Säuglinge von gestern.«
So lässig, wie er gekocht hatte, so lässig aß er nun. Obgleich das Essen kaum drei Esslöffel hätte füllen können, aß er dennoch wohl eine Stunde daran.
Zwei der Burschen waren inzwischen aufgestanden, hatten ihre Packen unter der Aufsicht eines dritten Burschen gelassen und waren losgetrottet zur Plaza, wo der Festlärm sich zu beleben begann, um gegen sieben Uhr abends seinen Höhepunkt zu erreiche.
Celso kramte seine Pfannen und Kännchen zusammen, wischte sie rein von Speiseresten, packte sie in das Netz und schnürte den Packen zusammen, nachdem er sich rohe Tabakblätter herausgeholt hatte.
Er drehte sich andächtig eine Zigarre, zündete sie an, rutschte einige Schritte weit fort vom Feuer, legte sich auf dem dürren Gras nieder, zog seinen Packen als Kopflehne heran und rauchte, dem leichten Nebel, in den die Tabakwolken rasch zerflatterten, nachsehend. Er versuchte, einige Fetzen des zerflatternden Nebels so weit zu verfolgen, wie es seine Augen vermochten. Aber der Nebel zerfloss, und Celso sah nur den weiten, offenen Himmel.
Celso begann sich wohl zu fühlen, so unter dem offenen Himmel liegen zu können und die Zuversicht zu haben, auch in den nächsten Monaten Himmel, Sonne, Sterne und den grünen Dschungel sehen zu können. Er wälzte sich unruhig einige Male auf dem mageren Boden, als er, angesichts des offenen Himmels, an die Carcel dachte, in der er drei oder vier Monate hätte zubringen müssen, wenn nicht Don Gabriel gekommen und ihn herausgekauft hätte.
Als er so lässig auf dem Erdboden lag, sorgenlos eine Zigarre rauchte, den Magen angewärmt von Pfefferschoten, gedörrtem Fleisch und Bohnen und reichlich heißem Kaffee, begann an Celso ein Gedanke zu rütteln. Erst zaghaft, dann deutlicher und endlich stark und mit Nachdruck. Celso konnte sich nicht gleich auf diesen wachsenden Gedanken konzentrieren. Der Gedanke schien sich bald hier, bald dort, in seinem Körper und in seinem Gemüt festsetzen zu wollen. Aber als Celso endlich völlig sorgenlos in den weiten Himmel sah, dessen Farbe mit dem nahen Untergang der Sonne sich brünstig vertiefte und sättigte, als er sich der Behaglichkeit der warmen, schimmernden Luft bewusst wurde und sich eine müde Schwere, die er seit vielen Stunden in seinem Kopfe gefühlt hatte, aufzulösen begann, als er sich freute, am Leben zu sein, da fegte durch seine Seele wie ein Hieb die Erinnerung an sein Mädchen und mit ihr die fünfzehn Kinder, die er ihr verschaffen wollte. Er riss hastig die Zigarre aus dem Mund, und mit einem Ruck setzte er sich auf.
»Verflucht«, sagte er, mit trockener Kehle, »verflucht, gottverflucht und gottverschitt. Die zwei Jahre sind um. Verflucht. Sie kann nicht warten. Sie wird alt, und niemand nimmt sie. Der Vater kann nicht warten. Nicht mehr. Er hat mir zwei Jahre gegeben. Zwei schöne, lange Jahre. Sie kann nicht mehr warten. Sie wird zu alt.«
Durch ewige Wiederholung seiner Worte versuchte er, sich die Situation klarzumachen, in die er geschlittert war, ohne auch nur einmal an das Mädchen zu denken. Er hatte nur an die Sonne und an den Himmel und an den grünen Dschungel gedacht. In diesen Himmel und in diese Sonne und in das Grün, an die er seit dem Augenblick, als man ihn in die Carcel stieß, gedacht hatte, war sein Mädchen mit einbegriffen gewesen, ohne dass er sich das Einbegriffensein in Einzelheiten klargemacht hätte.
Wenn er nach diesen weiteren zwei Jahren zurückkam, fand er sein Mädchen mit einem anderen Manne wohl und sicher versorgt. Das zu sehen hätte er kaum ertragen können. Viel härter aber war es zu ertragen, auf dem Gesicht des Mädchens und auf dem Gesicht ihres Vaters die bittere Anklage zu lesen, dass er sein Wort nicht eingelöst habe gegenüber dem Vater des Mädchens, dass er einen Treuebruch an dem Mädchen verübt habe. Er war verachtet nicht nur von dem Mädchen und von dessen Vater, sondern von allen Männern und Frauen im Dorfe, ohne deren Achtung er unter den Seinen nicht hätte leben können. Der Gedanke, dass er von denjenigen seiner Stammesmitglieder, die er schätzte, ehrte und liebte, verachtet werden könnte, wurde in ihm so unerträglich, dass er glaubte, es sei besser, zu sterben.
Freiwillig körperlich zu sterben ist für einen Indianer schwer. Es geht gegen seinen Instinkt. Er kann, gleich einem gefangenen Tier, so unendlich traurig werden, dass er nicht mehr isst und an Verhungerung zugrunde geht. Aber die Natürlichkeit seines Wesens ist so gesund, dass er einen Hungertod nicht bis zum Ende durchzuführen vermag. Der Erhaltungsinstinkt ist bei ihm noch nicht degeneriert.
Einen Tod freiwillig durch mechanische Mittel irgendwelcher Art herbeizuführen ist ihm in seinem Wesen fremd.
Dennoch kam er, im Gedanken an das Sterben, auf einen Ausweg, den er für gut und für den einzigen hielt. Er kehrt weder jetzt noch später in sein Heimatdorf zurück. Er gibt auch keine Nachricht von sich. So wird man daheim glauben, dass er in den Monterias gestorben und verschollen sei. Damit bleibt ihm das erhalten, was er gegenüber seinem Stamme am meisten schätzt: die Achtung seiner Sippe.
Nun ist Celso alles gleichgültig. Er gehört zu den Toten und kann tun, was ihm beliebt. Er ist tot, und einmal kann der Mensch nur sterben. Und weil ihm alles gleichgültig ist, kann er recht gut oben auf der Liste anfangen und von seinen Freiheiten, die ihm als Toten von Teufels wegen zustehen, gut Gebrauch machen.
Er kümmert sich nicht um seinen Packen, den er unbewacht am Feuer zurücklässt. Er geht auf die Plaza und kauft eine ganze Flasche Aguardiente. Wenn er schon mit dem Trinken beginnen will, so kann er ebenso gut es auch wirtschaftlich tun, um mit dem Gelde recht lange auszukommen, und in ganzen Flaschen ist der Branntwein immer billiger als in Gläsern, gleich, ob sie klein oder groß sind.
Er trank auf einen Zug die viertel Flasche, gab einigen indianischen Burschen, die vor der Tienda, wo er den Branntwein gekauft hatte, herumlungerten, einen Schluck zu kosten, und dann zog er wieder einen heftigen ein.
Nach einer Stunde bekam er Lust, irgendwen zu ermorden oder doch wenigstens niederzuschlagen.
Es blieb aber so viel Besinnung in ihm, dass er sich nicht einfallen ließ, nach Don Gabriel zu suchen, um seine Mordlüste an ihm zu befriedigen. So sinnlos berauschen kann sich kaum ein Indianer jener fernen Distrikte, um zu vergessen, dass einen Ladino anzugreifen weder zu den Rechten noch viel weniger zu den Gelüsten eines Indianers gehört.
Aber er begann in der dösenden Benommenheit seiner Sinne und seines Urteilsvermögens nach den beiden Zutreibern zu suchen. Er würde sich auch begnügt haben mit dem Burschen, der geschworen hatte, dass er von ihm ins Bein gestochen worden sei. Gegenüber diesen drei Burschen war kein Zweifel, dass, wenn Celso sie getroffen hätte, er sie geschlachtet haben würde. Aber entweder waren sie hinter anderen Opfern her, oder sie hatten Celso herumstreichen sehen, betrunken und mit Kampfgier im Gesicht. Seine Trunkenheit ließ es auch nicht zu, dass er mit Bedacht und Ausdauer gesucht hätte. Er wurde schwerfällig, und weil er sonst nicht wusste, wohin zu gehen, torkelte er zurück zu dem Camp.
Er hockte sich hier am Feuer hin, redete Unsinn, polkte Steine aus dem Erdboden heraus und warf sie gegen verkümmerte Sträucher.
Da kam zu dem Feuer ein Neuer. Es war Andres, der auch von Don Gabriel für die Monterias angekauft worden war und nun auf dem Felde nach den Gruppen suchte, die zu dem Trupp des Don Gabriel gehörten. Obgleich er nach Indianerart einen schweren Packen trug, so unterschied er sich in der Kleidung und im Hute von den indianischen Burschen, die hier lagerten und auf den Befehl zum Abmarsch warteten.
Celso hatte seine Wut an den Häschern nicht kühlen können. Aber der neuankommende Andres sah so aus, wie wohl ein Capataz zuweilen aussehen mag.
So kam es, dass er, um seine Wut zu kühlen, sofort den ankommenden Andres zu beschimpfen begann und gleich auf ihn losschlug, so heftig, dass es wirklich aussah, als ob Andres hier die Erde zu schlucken haben würde.
Aber Andres war harte Arbeit ebenso gewohnt wie Celso, und obgleich er bis auf das letzte Restchen seiner Kraft müde war von dem anstrengenden Marsch über das Hochgebirge, mit einem ungemein schweren Packen auf dem Rücken, so war er Celso dennoch überlegen, weil er völlig nüchtern und Celso betrunken war. Celso hielt nicht lange durch. Das Ende kam rasch und schmerzvoll. Er schloss Waffenstillstand und torkelte mit verbeultem Gesicht zu dem Bach, wo er seinen eigenen Doktor und seine eigene Krankenschwester machte.

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