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Ludwig Renn - Nachkrieg (1930)
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Auflösung der Sicherheitstruppe

Wie ein Kranker war ich aus dem Schloss gekommen. Bei meiner Kompanie futterte ich mich bald wieder hoch. Aber ich fühlte mich nicht heimisch. Etwas war anders geworden - vielleicht war auch ich anders geworden?
Gleich am ersten Tage war eine der üblichen Kompanieversammlungen. Da gab es eine Aussprache über unsere Besoldung. Die Freiwilligen waren allgemein unzufrieden, fühlten sich verlassen und schimpften über alles mögliche, nur nicht auf ihre Partei, die doch an allem schuld war. Zum Schluss beauftragten sie den Soldatenrat damit, eine Entschließung auszuarbeiten.
Ich saß die Zeit über da und sah mir die Freiwilligen an, große und vielfach starke Männer, aber welchen Unsinn sie schwatzten! Wiederholt war ich daran, aufzustehen und ihnen zu sagen: Was redet ihr? Die Freikorps stehen in der Stadt. Man will euch überflüssig machen! Lest die bürgerliche Presse, wie sie uns seit dem Tode des Ministers lächerlich macht! Und da tut ihr nichts, als eine Entschließung anzunehmen? Die geht auf dem Dienstwege bis zu einem General, der sie stumm zu den Akten nimmt. - Aber wenn ich aufstehe und das sage? Die alle hier sind Sozialdemokraten. Sie glauben an Entschließungen! - Und wenn ich ihnen etwas sage, dann kommen sie mir mit dem ganzen Wust ihrer ängstlichen, spießigen Bedenken: Man kann doch nicht...! Das ist doch verboten! Man muss doch Rücksicht nehmen auf die schlechte wirtschaftliche Lage!
Ich ging verstimmt in meine Stube. Man will unsere Truppe beseitigen! Sie ist ihnen noch zu revolutionär, obwohl sie eine Spießergarde ist! Aber wenn auch - die Leute werden bald auf der Straße liegen!
Vor Unruhe stand ich auf und ging durch die öden Kasernengänge. So kam ich zum Bataillonsgeschäftszimmer und sah nach, ob Falbel noch da wäre. Er schrieb einen Brief an seine Frau, die verreist war. Während er ihn zuklebte, fragte er: „Hast du schon die Geschichte von dem Leutnant Herling gehört? Vor ein paar Tagen ist er mit einem Artilleristen nach der Waldmühle hinausgeritten. Dort haben sie so gesoffen, dass er auf dem Rückweg vom Pferde gefallen ist. Er ist liegen geblieben und hat da geschlafen. Währenddessen ist sein Pferd fortgelaufen."
„Und ist ganz verschwunden?"
„Nein, am nächsten Tag haben wir ihm die Hölle so heiß gemacht, dass er herumgelaufen ist, bis er es gefunden hat. Die Artilleristen hatten es gefangen und in ihren Stall gestellt, um es zu behalten."
„Weißt du, dass er Schulden hat?"
„Ja, er spielt hoch."
„Dieser Leutnant nützt uns auch gar nichts. Die andern Bataillone misstrauen ihm."
Er schüttelte den Kopf. „Wenn wir auf die Dauer mit unserm Wahlführersystem auskommen könnten? Aber es geht nicht Der Grenzschutz und die Sicherheitstruppe sollen zusammenformiert werden. Das Ministerium verlangt, dass wir Offiziere annehmen, natürlich ohne Wahl."
„Wir haben doch noch nicht nachgegeben?"
Er wendete verlegen den Kopf zur Seite. „Nein - aber es ist fraglich, ob sie uns nicht zwingen werden."
Ich ging nach der Kompanieschreibstube und in meine Stube und fand nirgends Ruhe. Man müsste das Verhältnis unserer Truppe zum Grenzschutz einmal aufschreiben, um sich darüber ganz klar zu werden.
Ich zog meinen Tischkasten auf und nahm einen Briefbogen heraus.
„Zwischen der Sicherheitstruppe und dem Grenzschutz besteht eine Spannung", schrieb ich, und meine Gedanken liefen weiter, wie auf einen Faden gereiht. Und die Gedanken standen so klar vor mir, dass ich weiterschreiben musste. Ich fand einen großen Bogen braunes Packpapier. Darauf schrieb ich weiter: „Die Organisationsart der früheren Armee war die nach dem Dienstalter. Das bedeutet die absolute Herrschaft der Offizierskaste im Heer. Gegen diese Herrschaft gibt es nur ein Mittel, das Wahlführertum. Das muss in der ganzen Armee durchgeführt werden, wobei die Führer absetzbar sein müssen. Der Grenzschutz in seiner heutigen Verfassung ist bei der werktätigen Bevölkerung verhasst. Bei inneren Unruhen wirkt sein Einsatz aufreizend. Den Kern des neuen Heeres hat die Sicherheitstruppe zu bilden, weil in ihr schon jetzt die Führer durch ihre Untergebenen gewählt werden."
Ich stand auf und dehnte mich. Es war schon nach Mitternacht.
Am Morgen schrieb ich mein Machwerk auf reines Papier und gab es dem Soldatenrat. Während er das las, sah ich mir seine Entschließung von gestern durch: sieben langweilige Zeilen!
„Kann ich deine Ausarbeitung mitnehmen?" fragte er. „Wir haben heute Sitzung. Da möchte ich sie zur Diskussion stellen. Das trifft den Nagel auf den Kopf!"
In diesen Tagen hatte uns auch die Kommandantur wieder zu einer Besprechung der Sicherheitstruppenführer geladen. Ich schrieb dazu meine Ausarbeitung noch einmal ab und gab sie vor Beginn der Versammlung dem Vorsitzenden. Er sah darauf. „Das habe ich ja schon", und zeigte mir eine Schreibmaschinenabschrift davon. „Wir werden dich öfters zum Ausarbeiten von Entschließungen heranziehen."
Die Tagesordnung wurde bekanntgegeben. „Als erster Punkt eine Entschließung, die der Kamerad Renn ausgearbeitet hat. Ich bringe sie gleich zur Verlesung ..."
Bei der Diskussion meldete ich mich zum Wort. Ich erzählte ihnen, wie im Schloss die Truppen der Reaktion lägen, die berüchtigten Freikorps! „Glaubt ihr, dass ihr irgend etwas erreichen werdet, solange eure Spitzen, eure höchsten Vorgesetzten, dieselben Offiziere sind, die früher der Monarchie gedient haben? Und wer wählt sie aus? Wer setzt sie an die Punkte, wo sie wirken sollen und können? Das tut nicht euer Ministergenosse, der sie doch gar nicht kennt, sondern das tut der Vorstand der Personalabteilung des Kriegsministeriums, der Oberst Graf Holsten! Glaubt ihr, dass er die Offiziere so verwendet, wie es im Interesse des werktätigen Volkes liegt? Der Oberst ist der erste, der fort muss! Aber wie soll man das erreichen? Wer von euch kennt den Ministerpräsidenten und den Kriegsminister? Geht an sie heran und sprecht mit ihnen! Was ich euch aufgesetzt habe, ist nicht eine Entschließung, sondern ein Fingerzeig zum Handeln. Heizt euren Genossen endlich ein! Die Reaktion steht schon im Herzen des Landes! Es ist der letzte Augenblick! Fort mit den Offizieren! Das ist das Ziel, das jetzt vor uns steht! Sonst liegt ihr morgen auf der Straße!"
Ich setzte mich. Zuletzt hatte ich gebrüllt. Ich war heiß und erregt. Der Saal hallte von Zurufen und Händeklatschen. - Und doch war mir während der Rede ganz klar geworden, dass es nicht mehr möglich war, die Offiziere zu beseitigen, jetzt nicht mehr! Wir hatten das Spiel schon verloren. - Ich hatte mir plötzlich den grauen Kriegsminister mit seiner Leibwache vorgestellt. Dem beibringen, dass er die Offiziere seiner Umgebung hinaussetzte? Blödsinn, die sozialdemokratischen Führer zwingen zu wollen! Meine Rede war nur eine verzweifelte radikale Phrase gewesen, eine unfruchtbare Hetzrede, die den Freiwilligen das beruhigende Gefühl beigebracht hatte, dass etwas geschah. Und in Wirklichkeit geschah nichts.
Meine Entschließung wurde mit allen Stimmen angenommen. Und an Entschließungen glaubte ich nicht
Die Zeitungen berichteten unter der Überschrift: „Unterschlagungen im Schloss", dass Schladitz verhaftet worden war, ebenso einer der Beauftragten der Kommandantur. Wertvolle Teppiche waren weggekommen. Und noch unaufgeklärt war das Verschwinden einzigartiger Porzellane aus einem der Festsäle. Man hätte ihn viel früher festnehmen können. Aber vielleicht harten die Offiziere jetzt erst wieder die Macht, auch diesen Posten zu besetzen. Darum machten sie erst jetzt dem Schladitz den Prozess.
Dann kam eine Verfügung des Ministeriums, die gewählten Führer könnten auf eine Kriegsschule geschickt werden und dann allmählich zu Offizieren aufrücken, wenn sie die erforderliche Eignung nachwiesen. Die Führerstellen der Sicherheitsbataillone und Sicherheitsregimenter wären mit Offizieren zu besetzen.
Früh, noch bevor die Verfügung da war, war das Gerücht davon in die Kompanie gedrungen. In den Stuben diskutierten sie heftig darüber.
Der Matrose Karl erklärte mir mit erregten Augen: „Wir gehen fort! Wir sind nicht hier, um versorgt zu werden! Wir sind aus Liebe zur proletarischen Sache hier gewesen. Aber man hat uns verraten. Die Offiziere haben sich mit schönen Worten eingeschlichen! Vor vier Wochen erklärten sie noch, dass die Sicherheitstruppe den Kern der Reichswehr bilden sollte. Dann hieß es, Sicherheitstruppe mit dem Grenzschutz zusammen bilden ihn. Und jetzt - passt auf, sie werden noch sagen, wir sollen hinübergehen zum Grenzschutz!"
„Ja", sagte ich, „das haben sie schon erklärt."
Der eine Zugführer stand dabei. „Da seht ihr mal wieder, was das Wort eines Offiziers wert ist! - Und ich mich so einem Laffen von Leutnant unterordnen? - Ich bin der Meinung, dass wir organisiert kündigen, alle zugleich. Dann mögen die Offiziere sehen, was sie machen!"
„Ich versteh euch nicht", sagte ich. „Der Befehl geht doch von der Regierung selbst aus. Die Offiziere mögen ihn ja aufgesetzt haben, aber der Befehl ist von eurem sozialdemokratischen Kriegsminister gegeben worden und sicher unter Zustimmung eures Ministerpräsidenten. Ihr bringt nur eure eigene Regierung in Verlegenheit, wenn ihr geschlossen fortgeht, aber nicht die Offiziere. Die freuen sich nur, wenn sie euch so billig loswerden!"
„Das ist wieder dein Hass gegen die Sozialdemokratie!" sagte der Matrose. „Die Regierung konnte sicher nicht anders." Er klopfte mir auf die Schulter. „Sonst bist du aber ein ganz guter Kerl! Du wirst dich schon noch bekehren!'
Ich ging zu Falbel.
„Weißt du", fragte er ganz vergnügt, „dass ich Kommissar bei dem Sicherheitsregiment werden soll? Der Oberstleutnant Schweitzer wird Kommandeur. Übrigens ist der Leutnant Herling fort."
„Wie fort?"
„Ausgerissen! - Aber erzähle es noch niemand! - Er ist vorgestern nicht nach Hause gekommen. Der Feldwebel hat mir's gesagt, und wir haben seine Wohnung geöffnet, weil wir Verdacht hatten. Wir fanden sie leer bis auf die Bettstelle und den Stiefelknecht. Er hatte alle andern Möbel verkauft. Außerdem hatte er Schulden in der Kantine und beim Feldwebel und auch bei anderen Freiwilligen. Vor drei Tagen hat er noch einem seiner Untergebenen ein Paar Lackstiefel verkauft. Aber er wollte sie noch einmal tragen. Der andere hatte ihm trotzdem das Geld gegeben. - So ein Lump war das! Heute war sein Vater bei mir. Der hat mir wirklich leid getan." „Was ist denn der?"
„Pensionierter Lehrer. Er hat versprochen zu bezahlen, was er könnte."
„Ich bin zu dir gekommen, weil Stimmung dafür da ist, geschlossen zu kündigen. Wie denkst du darüber?"
„Die älteren Familienväter haben schon bei einigen Kompanien beschlossen zu bleiben und darauf zu bestehen, dass die Regierung sie versorgt, falls die Sicherheitstruppe aufgelöst wird. Sie sind in einer schlimmen Lage: Die Reichswehr nimmt so alte Leute nicht, und Arbeit bekommen sie auch nicht, weil das ja schon zum Teil solche Leute sind, die eben schwer Arbeit bekommen!"
„Du meinst also, dass ein gemeinsamer Beschluss, zu kündigen, aussichtslos ist?"
„Völlig aussichtslos."
In den nächsten Tagen gingen einige zwanzig Freiwillige fort, mehr nicht Der Matrose und der Zugführer mit der rauen Stimme waren darunter, und das waren die Aktivsten in der Kompanie gewesen. Als der neue Bataillonsführer kam, kümmerte sich niemand darum. Sie fügten sich in alles. Ihr Interesse drehte sich nur um ihre Versorgung.
Der Bataillonsführer war ein Hauptmannn mit einem runden, gutmütigen Gesicht. Er sprach stark rheinisch. Seine Dienststunden saß er im Geschäftszimmer ab und lachte jeden bedeutungslos an, der etwas von ihm wollte. Auch ich saß meine Dienstzeit ab. Die Kompanie war meist auf Wache, und es fiel nichts weiter vor als ein paar Diebstähle. Aber das unbeschäftigte Sitzen machte mich unruhig.
Ich ließ mir von Falbel Bücher über den Anarchismus empfehlen, um mich etwas politisch zu schulen. Er gab mir
das Buch von Max Stirner: „Der Einzige und sein Eigentum". Ich quälte mich durch den Wälzer. Nur weniges darin regte mich an. Als ich damit fertig war, hatte ich genug von der anarchistischen Literatur.
Der Sekretär des erschlagenen Kriegsministers und ein anderer sozialdemokratischer Redner hatten sich eines Tages in unserer Kaserne angesagt. Auch an andern Stellen wollten sie reden. Auf dem Kasernenhof sollte es sein. Der riesige Hof war jetzt an drei Seiten mit breiten Drahthindernissen geschützt, am stärksten gegen den Flügel, wo Wohnungslose einquartiert worden waren.
Wir schoben für die beiden Redner einen alten Packwagen hin. Der erste - ich weiß nicht mehr, wer es war -sprach über die Notwendigkeit, sich den Offizieren wieder unterzuordnen. Unter den Hörern stand auch unser Bataillonskommandeur. Er war augenscheinlich sehr zufrieden mit diesen Ermahnungen, die Soldaten aber gar nicht.
Da sprang der Sekretär des früheren Ministers auf den Kutschbock und begann mit wilden, wütenden Gebärden: „Die Offiziere sind Monarchisten! - Schwindel! Betrug! Sie sind schuld an allem!" Die Soldaten stimmten begeistert zu, aber mich konnte das gar nicht rühren. Was sollte denn das heißen? Da kommen zwei zusammen an, und der eine redete für die Offiziere, der andere dagegen?
Als er sich ausgetobt hatte, stieg er vom Bock herunter. Der andere hatte auf ihn gewartet. Nun gingen sie zusammen fort, um woanders dasselbe Theater aufzuführen.
Der Hauptmann redete mich an: „Das war doch eine unglaubliche Hetzrede!"
Er wollte wohl eine Antwort haben. Ich sagte nur: „Ja, eine Hetzrede." Denn er brauchte nicht zu wissen, was ich davon dachte: Das war übelster Volksbetrug!
Führertagungen gab es noch, aber nicht mehr im Schloss. Unser Saal gehörte jetzt den Offizieren. Wir tagten im Vereinszimmer eines Restaurants. Schon immer war das Übel dieser Tagungen das eitle Geschwätz gewisser Führer gewesen, die auf ihre Tüchtigkeit und Brutalität pochten, die sich laut rühmten, wie sie ohne Bedenken in die Arbeiter geschossen hätten. Jetzt tagten wir in einem Hinterzimmer, schon nur noch geduldet. Das machte wirklich den Eindruck von Zusammenkünften einer Verbrecherorganisation. Ich hatte jedes Interesse an diesen Diskussionen verloren, und nicht nur ich. Auch andere waren gegen das gesuchte Räubertum und das inhaltlose Schimpfen auf die Offiziere, und vor allem auf die Kommunisten. Einige der besten Führer verschwanden - ich weiß nicht, ob sie anderswo untergekommen waren oder ob sie nur die nutzlosen Tagungen mieden. So wurden diese Versammlungen immer dürftiger.
Ich hatte gelegentlich im Arsenal Munition zu holen. Wie ich vor einem der großen Schuppen stand, kam ein Zivilist vorbei. War das nicht Lößberg? Ich fragte den Arsenalarbeiter: „Ist bei euch hier ein Oberleutnant oder Hauptmann Lößberg?"
„Ja, dort läuft er", entgegnete er mit einer wegwerfenden Bewegung.
„Wie ist denn das möglich? Das war ein wirklich gemeiner Kerl draußen im Felde, und dazu auch noch feige! - Und den haben sie nicht rausgeschmissen bei der Revolution?"
Er sah mich böse an. „Ich frage dich, wie ist es möglich, dass der Sozialdemokrat Noske in Berlin die Revolution zusammengeschossen hat? - So einer wie der Lößberg wird überall ankommen, wo man auf die Worte und nicht auf die Hände sieht! - Ich kann dir nur eins sagen, Kamerad, mach dich aus der Sicherheitstruppe raus! Ihr seid Reaktionäre! Überleg dir mal das: ihr seid schlimmere Reaktionäre als die Offiziere, weil ihr dabei behauptet, revolutionär zu sein!" Er ging in den Schuppen, ohne mich auch nur anzusehen. Mir tat das weh, denn er hatte recht.
In der Kompanie wurde über die Zentralverkaufsstelle in der Kaserne geklagt. Sie machte Überschüsse, und wer bekam die? Einige behaupteten, dass die Offiziersfrauen dort besondere Vergünstigungen hätten. Ich stellte die Anklagen zusammen und reichte sie auf dem Dienstweg ein. Zu Mittag traf ich auf dem Hof unsern Bataillonsführer. „Sie haben aber eine üble Hetzschrift abgefasst!"
„Herr Hauptmann! Ich habe die Klagen meiner Untergebenen weitergegeben. Das ist meine Pflicht. Die Untersuchung wird ja ergeben, ob sie stimmen oder nicht."
„Natürlich, natürlich! Aber weshalb diese schroffe Form? Müssen wir uns denn wie Feinde gegenüberstehen?"
„Herr Hauptmann, in der Form, die geeignet ist, Missstände zu beseitigen! - Warum zum Beispiel kaufen Offiziersfrauen noch hier, deren Männer nicht mehr im Dienst sind? Meine Mutter darf auch nicht hier kaufen!"
„Ach, darauf kommt es Ihnen an? Ihrer Mutter auch was zuzuschanzen?"
„Nein, darauf kommt es mir durchaus nicht an! Meine Mutter wohnt gar nicht hier am Ort Sondern hier gibt es Klassenvorrechte!"
Er lachte und wurde plötzlich nervös. „Sagen Sie, was sind Sie eigentlich für ein Mensch?" Er wollte noch weitersprechen, aber da war es mit meiner Geduld aus und ich brüllte ihm ins Gesicht: „Ich bin Kommunist! Ich bin der Meinung, dass hier alles zerbrochen werden muss, weil hier alles faul ist!"
Er war so verwirrt, dass er verloren lächelte. „Leben Sie wohl. Wir sprechen noch darüber."
Ich war unzufrieden mit mir. Was hat es für einen Wert, einem Menschen zu sagen, dass man Kommunist sei, und man weiß selbst nicht, was das ist. Allerdings war es auch gut, dass ich ihm das gesagt hatte. Jetzt wusste er, dass ich mit den Offizieren keine Gemeinschaft mehr haben wollte.
Natürlich sprach der Hauptmann nie mehr darüber, sondern behandelte mich mit einer gewissen ängstlichen Höflichkeit
Die Kompanien wurden schwach. Ein Teil der jungen Mannschaften meldete sich zur Reichswehr, dem früheren Grenzschutz, und wurde dahin übernommen. Von den älteren Leuten waren auch viele gegangen. Sie hatten einen Tag um den andern Wache. Das war natürlich für die alten Familienväter zu anstrengend.
Jetzt gaukelte uns die Regierung etwas Neues vor. Eine neue Truppe, die Volkswehr, sollte gegründet werden. Das sollte eine Truppe sein mit Offizieren nicht nur in den Regiments- und Bataillonsführerstellen, sondern auch in denen der Kompanie- und Zugführer. Dafür sollte diese Truppe bestehen bleiben, bis die Sicherheitsfreiwilligen eine Stelle hätten.
Als diese Verfügung kam, stand bei mir fest: jetzt fort! Aber im Laufe des Nachmittags wurde ich unsicher. Jetzt hinausgehen? In meinem Beruf war sehr schwer Arbeit zu bekommen. Und vor allem zu Beginn des Winters! Ich wusste sehr genau, dass die Sache auch eine politische Seite hatte, dass ich diesen Staat hasste und dass jeder ihn stützte, der ihm diente. Aber ich stand ganz allein, und was hatte es für einen Wert, sich als einzelner aufzubäumen?
Die Unruhe der Unentschlossenheit trieb mich durch die Kasernengänge. Ich könnte in die Kantine gehen.
Der Kantinenwirt hinter seinem Schanktisch fragte, wie es mir ginge.
„Gut", sagte ich mürrisch.
Vier Mann saßen um einen Tisch. Hier passte es mir nicht. Ich kaufte mir eine Schachtel Zigaretten und ging wieder. Wohin? Vielleicht in die Stadt? Als ich in meiner kahlen Stube stand und mir den Mantel anziehen wollte, sagte ich mir: wozu? Ist es etwa in der Stadt anders? Ich setzte mich und rauchte. Zu denken hatte ich nichts. Das war alles schon zu Ende gedacht und ging an dem Widerspruch nicht weiter, dass ich immer wieder diesem Staat diente, den man zerschlagen müsste! Neulich hatte ich von französischen Anarchisten gelesen, die Bombenattentate auf Cafes und auf einen berüchtigten Staatsanwalt gemacht hatten, schon vor vielen Jahren. Begreifen konnte ich das. Aber es war eine verzweifelte Tat und nützte nichts. Gibt es denn überhaupt keinen Ausweg?
Ich stand auf, ging auf und ab. Mäuse piepten in einer Ecke. Ich horchte hinaus, ob nicht jemand käme, mich zu besuchen. Aber wer sollte denn kommen? Wer kümmerte sich um mich?
Ich ging auf und ab, setzte mich, rauchte und quälte mich mit etwas.
Ich horchte wieder hinaus, ob nicht jemand käme. Nein, diese verfluchten Mäuse! Warum tut aber auch die Kaserneninspektion nichts dagegen? Das könnte doch nicht so schwer sein in diesem Steinkasten!
Ja, wenn man noch einen Kreis von Menschen hätte, zu dem man gehört. Meine Mutter? Es war mir so unangenehm, daran zu denken, wie wir neulich auseinander gingen.
Ich versuchte, mir meine übrigen Verwandten vorzustellen. Aber sie hatten für mich gar keine Gesichter. Das mit der Familie ist vielleicht auch nur ein dummes Gerede. Man liebt einen von seinen Verwandten, aber nur zufällig. Aber eine Familienliebe, die gibt es nicht. Das ist auch ein Schwindel. Auch ehemalige Kameraden liebt man nicht. Ich habe nur immer die geliebt, mit denen ich zu tun hatte, draußen im Felde den Zug und hier die Kompanie. Und dabei ist das auch nichts Rechtes. Andere haben ihre Familie, ihre Partei, ihren Skat. Freilich, wenn man eine Partei hätte, an die man glauben könnte! Wo man gemeinsam an einer Sache arbeitet! Aber gibt es die?
Es war still. Nur die Tritte schwerer Nagelstiefel hallten manchmal in der Ferne der gewölbten Gänge draußen, und die Mäuse in ihrer Ecke piepten in ganz hohen, schrillen Tönen.
Am nächsten Morgen war ich ruhig. Ich ließ mich in die Liste der Freiwilligen eintragen, die zum Bataillon Volkswehr übertreten wollten.
Ich holte mir Bücher bei der städtischen Leihbibliothek. Als erstes erwischte ich eine Kirchengeschichte. Ich wollte wissen, wie das geworden war. Das Buch war von einem protestantischen Geistlichen in Riga geschrieben und enthielt lauter Dinge, die ich überhaupt nicht begriff. Da waren endlose Auseinandersetzungen über das göttliche Heil, über die Gnosis und über die Athanasianische Lehre, wobei es sich um den Unterschied eines einzigen Buchstaben in einem griechischen Satz handelte.
Ich saß in der Schreibstube, wo ich fast nichts zu tun hatte, und brütete über den schwierigen Sätzen. Bald merkte ich aber, dass ich bei diesem Buch, das ja auch grauenhaft langweilig war, nicht länger als zwei Seiten aufpassen konnte. Ich holte mir also einen Roman. Nun las ich immer abwechselnd. Es war der Roman „Schuld und Sühne" von Dostojewskij.
Ich las bis in die Nächte hinein. Denn vor der Nacht fürchtete ich mich, weil ich da Zeit hatte, mir einzugestehen, dass das alles Blödsinn war. Aber ich klammerte mich daran.
Bald verbesserte ich mein Lernsystem weiter. Ich las bis zu sechs Bücher zugleich. Die städtische Bibliothek verlieh so viel wissenschaftliche Werke nebeneinander, wie man wollte, aber nur zwei Romane.
Eines Nachts, auf der letzten Seite, die ich lesen musste, wurde mir auf einmal schwarz vor den Augen und so übel, dass ich sofort aufstand und nach der Tür torkelte. Ich konnte schon gar nichts mehr sehen und musste nach dem Abortschlüssel suchen. Unterdessen stieg die Übelkeit. Ich hatte schon einen bitteren Geschmack im Mund und hielt es nur mit Gewalt zurück. Jetzt hatte ich den Schlüssel und tappte völlig blind nach dem Abort. Ich kam gerade noch zurecht. Dann wich die Blindheit allmählich wieder. Ich sah die Gasflamme brennen und ging ganz langsam und leicht in meine Stube zurück, zog mich aus und legte mich ins Bett Da lag ich sehr zufrieden und dämmerte bald ein.
Das Bataillon Volkswehr begann damit, dass eines Vormittags um zehn Uhr auf dem mit Stacheldrahthindernissen durchzogenen Kasernenhof ein Trupp von etwa vierzig Offizieren stand. Das waren die neuen Führer. Wir alten Führer mit unsern rot-weißen Binden am linken Arm hatten uns in einiger Entfernung aufgestellt und betrachteten die Offiziere, ohne dass jemand einen Ton gesagt hätte. Wir waren die Abgesetzten, wussten nicht, wie unsere neuen Herren waren und wie sie uns verwenden würden. Die Offiziere unterdessen schwatzten und lachten durcheinander. Was mochten das für welche sein? Solche, die von ihren Mannschaften in der Revolution abgesetzt oder aus den Kasernen ausgeschlossen worden waren? Oder woher kamen sonst diese Massen?
„Bitte, meine Herren, kommen Sie mal her!" rief der Hauptmann mit einer unangenehm gequetschten Stimme.
Er winkte uns mit einer nervösen Handbewegung, zu den Offizieren zu treten.
„Meine Herren, rühren Sie sich! Unsere erste Aufgabe ist der Umzug nach den Schießstandbaracken. Tolle Löcher sind das, aber das hilft nichts. Die Verteilung der Herren auf die Kompanien ist im heutigen Bataillonsbefehl bekannt gegeben. Die Herren Kompanieführer regeln jetzt mit den Feldwebeln zusammen die neue Einteilung. Der Umzug muss morgen Nachmittag um fünf beendet sein. Wohnen bleiben können vorläufig noch die Inhaber von Einzelstuben, soweit sie nicht in den Revieren liegen."
Das war für mich wichtig, denn ich hatte so eine Einzelstube. Ich konnte also in der Kaserne bleiben.
Der Hauptmann schien furchtbar überreizt zu sein. Sein spitzes Gesicht wurde rot. Seine Augen blickten starr über unsere Köpfe weg. Unter den übrigen Offizieren fiel mir ein langer Hauptmann mit einem erschreckend strengen Gesichtsausdruck auf. Auf der Brust hatte er das goldene Verwundetenabzeichen. Also war er mindestens fünfmal verwundet worden. Wie ich später erfuhr, war das der Hauptmann Lönne von der dritten Kompanie, bald der beliebteste Mann im Bataillon, und der einzige beliebte Offizier. Anfangs war mir sein Gesicht immer wieder erschreckend, bis ich einmal zur dritten Kompanie musste, um mit dem Feldwebel dort etwas zu besprechen. Der Hauptmann stand am Tisch und las etwas. Er sah auf und sagte mit einer überraschend milden Stimme: „Was wünschen Sie? - Ach wegen der miserablen Betten und der Streu oder wie man das bezeichnen soll, worauf die Mannschaften liegen sollen? Ich habe eben schon eine energische Meldung darüber an das Bataillon gegeben und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch so was machten. Im übrigen: Wollen Sie mit meinem Feldwebel sprechen? Allein?" Er lächelte. „Dann würde ich hinausgehen!" Ich war betroffen, hinter diesen todernsten Zügen eine geradezu kindliche Schlichtheit zu finden, und ich sah auch auf einmal, dass die scheinbare Strenge in Wirklichkeit irgendein Leiden, ein Schmerz war, dessen Ursache ich nicht kannte. Und ich hatte dafür Verständnis, weil es mir selber schlecht ging.
Ich war jetzt Zugführer und betrachtete nun die Offiziere mit ganz anderen Augen als früher, wo ich von den Pflichten eines Kompanieführers keine Ahnung hatte. Das erste, was mir auffiel, war: sie machten es genauso wie ich und die anderen Wahlführer. Nur hielten sie es nicht für nötig, so lange in der Schreibstube zu sitzen und zu regieren. Sie kamen spät und gingen früh. Der nervöse Bataillonsführer kam höchstens für eine halbe Stunde, und auch das war ihm schon zuviel. Erregt ging er im Geschäftszimmer auf und ab und fragte seinen Adjutanten, ob es sonst noch etwas zu unterschreiben gäbe. Manchmal kam er auch gar nicht. Aber auch zu Hause hatte er keine Ruhe, wie sein Bursche erzählte, sondern schrie herum, polterte zwischen seinen Möbeln und rauchte. Seinen Burschen behandelte er sehr grob.
Vor dem Kriege und im Felde hatte ich das nie so nackt gesehen. Mir waren die Offiziere wie höhere Wesen erschienen. Jetzt betrachtete ich sie kalt und von ferne. Sogar gegenüber dem Hauptmann Lönne, an dem ich Eigenschaften schätzen musste, hatte ich ein Gefühl der Kälte, nur weil er Offizier war. Wäre er ein gewöhnlicher Mann gewesen, so hätte ich seine Freundschaft gesucht.
Falbel sah ich noch seltener. Er war politischer Kommissar, aber viel in anderen Geschäften unterwegs, von denen er nichts sagte. Ich vermutete, dass er von seiner Partei irgendwelche Aufträge hätte.
Eines Tages, zwei Stunden vor der Wache, kam er zu mir in die Schießstandbaracken. „Du, komm mal ein Stück mit!"
Die Herbstsonne schien warm durch die Birken hinter den Baracken.
„Sage mal, was ist euer Bataillonsführer für ein Mann?"
„Der ist unglaublich faul und unfähig!"
„Wir wollen einmal hier einhaken! Da schickt man uns Offiziere, die sich weder im Felde noch sonst wo bewährt haben, nur um sie unterzubringen!"
„Und was wollt ihr tun?"
„Was wir tun wollen? Wenn irgendein Freiwilliger drei Tage ohne Urlaub und ohne Entschuldigung vom Dienst fortbleibt, dann wird er fristlos entlassen! Aber wenn so ein Hauptmann dasselbe tut, da darf man nicht einmal fragen, wo er denn steckt!"
Als ich am folgenden Tag von Wache kam, ging der Hauptmann eben mit wütendem Gesicht zum Tore hinaus. Ich meldete: „Abteilung der zweiten Kompanie von Wache zurück." Er grüßte nur und ging weiter. Ich erfuhr dann, dass er zum Stadtkommandanten bestellt worden war. Was es dort gegeben hatte, wussten wir natürlich nicht. Als ich endlich einmal Falbel traf, wich er meiner Frage aus: „Ach, wir mussten Rücksicht nehmen. Man kann nicht immer so, wie man will." Er wurde mir immer fremder. Zwischen uns
stand, dass er in der Partei war und an sie glaubte oder doch an ihr seinen Halt hatte, während ich draußen herumflatterte und mir das Leben täglich sinnloser wurde. Ich freute mich an den Blumen und an dem roten Laub der Bäume in diesem Herbst mehr als sonst. Ein paar Mal ging ich in den Kasernenpark, wo um ein kleines Wasserbecken große gelbe Blumen standen. Aber ich konnte vor Unruhe nicht dableiben. Eine Pflicht schien mich zu hetzen, aber ich wusste nicht, welche. Das Gefühl irgendeiner Schuld hatte ich, die mir jede Freude verdarb. Vielleicht war es das Bewusstsein, dass ich keinem Ziele diente, dass ich ohne Wurzeln war und doch so nicht leben konnte. Und es war mir selbstverständlich, dass man einer großen Sache dienen müsste. Aber welcher? Beim Militär hatte ich gehorcht. Das hatte ich für ein großes Ziel gehalten, nicht den Nationalismus mit der Hurrabegeisterung, sondern irgend etwas, das sich nicht so genau sagen lässt. Und das war in mir vollkommen zerbrochen, war tot. Und ich musste das Letzte noch herausreißen, weil es tot und mir widerlich geworden war. Aber ich hatte nichts Neues.
Wie schön die Blumen waren! Ein kühler Wind machte sich auf. Es wurde Abend. Die Farben vergingen allmählich im allgemeinen Grau. Traurig ging ich aus dem Park und irrte an den Drahthindernissen des Kasernenhofes entlang. Wenn man sich in den Stacheldraht würfe, um wenigstens einen richtigen körperlichen Schmerz zu empfinden und das andere zu vergessen. Aber das ist ja alles Unsinn! Erst reißt man sich auf, dann wäscht man's zu Hause aus und verbindet es. Und dann fragt noch jeder: Was hast du denn da an der Hand?
Warum bin ich nur so nüchtern? Andere setzen ihr Leben ein für etwas. Und ich? Und doch habe ich das ja im Felde auch getan. Nur war es ein Dreck! Wenn man wenigstens die Fähigkeit hätte, sich darüber hinwegzusetzen. Wenn man wenigstens Humor hätte!
Von der langen Kaserne herüber stach aus einigen Fenstern kaltes Gaslicht. Ich stieg die ausgetretenen Treppen hinauf und schloss meine Stube auf. Auf dem Tisch lagen die Bücher. Mir grauste davor. Aber was sonst? Ich setzte mich, rauchte und begann zu lesen. Ohne heftig zu rauchen,
konnte ich gar nichts mehr in mich aufnehmen. Das beschäftigte einen doch äußerlich etwas, wenn man das trockne Zeug las.
Jetzt hatte ich ein Werk über deutsche Geschichte vor. Die Kirchengeschichte war durchgewürgt, auch ein Buch „Wie schreibe ich gut Deutsch". Besser gefiel mir ein Abriss der Biologie.
Einige Wochen später musste auch ich aus meiner Kasemenstube ausziehen und in die Schießstandbaracken. Da wohnte ich mit einem Feldwebel zusammen in einer winzigen Bude. Heizen wäre Wahnsinn gewesen. Der Wind zog durch. Ich hielt mich meist in der Schreibstube auf. Da glühte den ganzen Tag der Ofen, und der Kopf war einem heiß, aber die Füße eiskalt. Hier konnte ich nicht in die Nächte hinein lesen, und das war gut. Ich kam auch dadurch etwas aus meiner Vereinsamung heraus, dass ich jetzt öfter mit auf Wache zog. Bei der zweiten Wache bemerkte ich ein Jucken unter dem Kragen. Das waren Läuse. Wir hatten jetzt endlich, nach vielen Meldungen, in den Baracken frisches Stroh bekommen. Inzwischen waren aber die Läuse von dort nach den Wachen getragen worden. Und nun verlausten wir wieder von den Wachen aus das frische Stroh in den Baracken. Wenn man von Wache kam, war es unmöglich, gleich das Hemd zu lausen. Die Barackenstuben waren dann so kalt, dass sich die meisten ins Bett legten, während der Ofendienst versuchte, mit viel zuwenig Kohlen den Raum wenigstens erträglich warm zu machen. An manchen Stellen durfte man gar nicht sitzen, so zog es herein. Viele klagten über Rheumatismus. Geschimpft wurde viel, aber wie vor dem Kriege: leise. Man hatte den Soldaten ihre Rechte wieder genommen. Sie fühlten sich als Ausgestoßene, denen ein erträgliches Leben versagt war. Fortgehen konnten sie auch nicht. Es gab keine Arbeit. Und nun murrten sie, aber taten nichts. Sie waren enttäuscht und wussten nicht, wovon. Sie hielten wohl noch zusammen, aber sie bestahlen sich gegenseitig. Von Tag zu Tag wurde das schlimmer.
Eine größere Zahl, die keine Hoffnung auf Arbeit hatte, wollte siedeln. Die Regierung hatte dazu ehemalige Gefangenenbaracken freigegeben. Die sollten die Siedler erst abbauen und dann am Siedlungsort wiederaufbauen.
Einige schwärmten davon, wie das wäre, wenn sie erst eine Kuh hätten. Ich dachte anders darüber, aber sagte nichts. Es war ihre letzte Hoffnung, deshalb schwärmten sie. Das alles waren ja Arbeiter, und die kannten nicht das Leben draußen auf dem Lande. Das Siedeln geht ja nur, wenn der Staat ernstlich hilft. Aber diesem Staat fällt das ja gar nicht ein!
Die Siedler rückten an einem Morgen ab, mit Frauen und kleinen Kindern. Es war bitter kalt, der Boden hart gefroren. Dicke Wolltücher hatten sie umgeschlungen. Wie bald, dann ist bei der Arbeit alles zerrissen. Die nächsten Jahre trägt das Land noch nichts. Sie werden arbeiten müssen ohne Entgelt und werden dazu erst alles lernen müssen. Außerdem müssen sie noch ihre Baracken bauen. Da werden sie so dicht beieinander wohnen, dass es dauernd Zank gibt, weil alle Sorgen haben.

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