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K. Olectiv - Die letzten Tage von ... (1932)
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FORTSETZUNG 15.11.1931, Sonntag
19. KAPITEL

Käte stand an ihrem Verkaufstisch und hatte gerade alles weggeräumt, was sie der letzten Kundin vorgelegt hätte, da kam Herr Schneidig angelaufen: "Fräulein Freisler, melden Sie sich bei Herrn Silberstein in der Spielwarenabteilung. Da muss heute noch fertig aufgebaut werden. Aber ein bisschen schnell. Lassen Sie Ihren Schatz ruhig ein bisschen warten."
Herr Schneidig war schon in Hut und Mantel. Er brauchte seinen "Schatz nicht warten zu lassen.
Käte wollte noch etwas sagen. Aber sie überlegte es sich. Wegen des einen Abends Stunk machen, das lohnte sich nicht. Sie hatte gar keinen Appetit auf Erwerbslosigkeit. So trollte sie sich denn, natürlich in nicht ganz rosiger Stimmung, in den vierten Stock. Dort hockten schon viele herum, um im Schweiße ihres Angesichts die niedlichen, kleinen, leichten Sachen, die nachher so lustig aussehen sollten, auszuzeichnen und aufzubauen.
Sie meldete sich bei Herrn Silberstein, der, die Hemdsärmel aufgekrempelt, mit der Zigarre trotz Rauchverbots im Mund, herumlief. "Was wollen Sie denn hier?" Wie? Helfen? Wer sind Sie denn? Von
Schneidig kommen Sie? Weiß ich nichts davon. Kommen Sie morgen wieder... Halt mal, helfen sollen Sie? Ja, lassen Sie sich mal da drüben zeigen, was Sie zu tun haben, bei den Puppen. Fräulein Gadebusch, hier ist ein Fräulein vom Stofflager, die will Ihnen helfen. " Nun, mit dem Wollen sah es ja nun etwas anders aus. Aber das interessierte Herrn Silberstein nicht. Der war schon wieder über alle Berge.
So machte sich Käte laut Anweisung mit den Puppen zu schaffen, während am Nebentisch die Zinnsoldaten aller Größen und Sorten vom vorigen Jahr hervorgeholt wurden. Liegende, stehende, schießende, reitende Franzosen, Deutsche, Engländer, Polen usw. Ganze Tische voll! Und daneben die Soldatenausrüstungen für die Kinder: Papphelme, Säbel, Gewehre mit und ohne Knall. Kein Wunder, dass Kinder, die mit diesen Dingen spielen, als Heranwachsende den Wunsch haben, ihr Spiel fortzusetzen. Käte musste erst an achtzig Kartons den Preis ändern. Vorher hatte drauf gestanden: 1, 85 Mark. Jetzt klebte sie einen Zettel darauf, der den Preis von 1,20 Mark trug. Dann musste sie an die linke Hand jeder Puppe ein Nummernschild befestigen. Trostlose langweilige Arbeit! Und Fräulein Gadebusch, die in der gleichen Gehaltsklasse wie Käte stand, sonst ein ganz nettes Mädel, kam sich vor wie eine Herrscherin, weil man ihr zwei Gehilfinnen zugeteilt hatte. Sie meinte vielleicht, nun sei sie Chef und war entsprechend hochfahrend.
Käte machte mechanisch ihre Arbeit. Jetzt musste Fritz unten warten. Ob er sehr böse war? Eigentlich hätte sie versuchen sollen, ihm Bescheid zu sagen. Das ging nun nicht mehr. Aber kaum hatte sie es gedacht, da kam Pinke mit einem Wagen voll kleiner Spielzeugkartons vorbeigefahren, den bat sie, er möge Fritz Bescheid sagen, sie würde ihn nachher besuchen. Pinke versprach, es zu tun.
Und da einmal selbst die langweiligste Arbeit vorbeigeht, wurde auch diese einmal fertig. Um halbzehn konnte Käte weggehen. Vor Fritzens Tür flötete sie. Fritz kam herunter und ließ sie herein. Er hatte auf seinem Tisch einen Atlas liegen. Den kannte Käte noch nicht. "Willst du wegfahren, Fritz? " "Nee, ich gucke mir bloß mal Japan an", antwortete er. "Japan? Du bist wohl größenwahnsinnig geworden? " "Wieso? Da ist doch allerhand los. Das muss man doch wissen." "Ach, Fritz, ich bin ja so dumm. Ich weiß gar nicht, was da los ist. " Fritz staunte, als ob er sich gar nicht denken könne, dass es einen Menschen gäbe, dem heute noch nicht bekannt sei, dass da die Japaner gegen die Chinesen losmarschiert waren und chinesische Städte mit Bomben belegten. Er erklärte ihr, wie der Völkerbund im ersten Ernstfall grandios versagte. Mit Papiernoten führte man Krieg gegen den Krieg. Japan antwortete fleißig und ließ seine Truppen weitermarschieren.
Und jetzt...
" Sieh mal hier. Hier ist die Ostchinesische Bahn. Die geht durch die Mongolei. Die Sowjets brauchen diese Bahn, weil sie zwei Zipfel ihres Gebiets, und zwar zwei wichtige, miteinander verbindet. Jetzt kommen die Japaner in die Stadt Tsitsikar. Siehst du - hier... " "Moment... Tsi-tsi-kar..." Käte buchstabierte. "Ja, das haben sie bombardiert. Und hier: Agantschi... " "Das habe ich noch nicht" Der Zeigefinger Kätes fuhr neben der Ostchinabahn herum. "Ah, hier - A-gant-schi- ja, und was ist damit?" "Das haben die Japaner angeblich schon besetzt. " "Na und?"
" Na und? Du bist großartig. "
" Was geht dich das an, wenn die Kerle sich da totschießen? " "Was mich das angeht? Das geht mich einen Haufen an. Weil die Japaner nämlich gar nicht die Chinesen meinen, sondern die Sowjetunion. Sie wollen bloß, dass die Rote Armee losschlägt, damit die anderen Imperialisten, die da im Völkerbund zusammensitzen, mitmachen können, um das arme unschuldige Japan zu schützen und den Friedensstörer zu vernichten. "
" Ach, Unsinn! Das sind wieder so Phantasien von euch. Wie kann denn zum Beispiel Frankreich in der Mongolei Krieg führen? " "Braucht's ja gar nicht. Du weißt doch - nee, daran kannst du dich nicht mehr erinnern - - am 28. Juni 1914 wurde irgendwo auf dem Balkan ein Mann erschossen. Ein einziger Mann, der immerhin im politischen Leben stand. Das war keine Kriegshandlung, sondern ein Attentat. Und ein paar Wochen später gab es schon mindestens vier Kriegsschauplätze."
Käte überlegte. Dann sagte sie: "Das war doch gar nicht deswegen. Hast du mir doch selbst gesagt. Da waren doch die Wirtschaftsverhältnisse dran schuld. "
" Richtig. Und im Fernen Osten sind auch die Wirtschaftsverhältnisse schuld. Den Kapitalisten wird der Markt zu eng. Sie brauchen einen kleinen Krieg. Sie sagen China und meinen die Sowjetunion..." Käte guckte sich noch einmal die Karte an. Sie sah Wladiwostock, den eisfreien Sowjethafen, der östlich von der Mongolei lag, und verfolgte die rote Linie, die ostchinesische Bahn, die in das neu erschlossene Sowjetsibirien führt. Dann fing sie wieder an zu fragen. Fritz antwortete ihr so lange und so geduldig, bis ihr klar war, warum es eine besondere Provokation darstellte, wenn die Japaner gerade die Ostchinabahn besetzten.


FORTSETZUNG 17.11.1931, Dienstag

Dann sah sich Käte, weil die Karte von Ostasien gerade einmal aufgeschlagen war, auch einmal China an. Sie konnte in wenigen Sekunden mit dem Finger durchreisen. Aber Fritz sagte ihr, dass dieses Riesenreich zweiundzwanzigmal so groß sei wie Deutschland. Da fing sie doch an, zu staunen und zu begreifen, weshalb China so wichtig ist. Um einige Stücke war mit Rotstift eine Grenze gezogen. Das waren die chinesischen Provinzen, die rote Volksarmeen ausgerüstet und sich freigemacht hatten. Täglich mussten sie allerdings gegen die imperialistischen Generalshorden kämpfen. Der japanisch-chinesische Konflikt gab ihnen größere Bewegungsfreiheit. Die sowjetchinesischen Gebiete vergrößerten sich jetzt täglich.
Fritz erklärte: "Peinlich für die Imperialisten. Sie wollen die Sowjetunion treffen. Die steht aber fest. Und während sie dorthin ihre Kräfte konzentrieren, wächst noch ein Stück Sowjetland aus dem Boden. Die armen Kerle können machen, was sie wollen - was sie anfassen, läuft schlecht ab. Man möchte direkt Mitleid mit dem Kapitalismus kriegen. " "Ja, und was tun wir, wenn Japan wirklich direkt gegen die Sowjetunion vorgeht?" fragte Käte.
" Das wird sich schon ergeben. Im Augenblick kommt es für uns in Deutschland darauf an, die revolutionäre Bewegung immer stärker, immer mächtiger zu machen. "
" Ja, und was kann ich zum Beispiel dafür tun?", fragte Käte. "Arbeite in deinem Betriebe! Da sind doch Hunderte von Mädels, mit denen du über all diese Dinge sprechen kannst. Ich werde dir morgen mal Material für Angestellte mitbringen. Lies das ordentlich durch. Da wirst du genau sehen, mit welchen Tricks ihr ausgebeutet werdet. Tricks, von denen ihr gar nichts oder nur wenig merkt... " Auf dem Nachhausewege dachte Käte darüber nach, wie sie im Betriebe diskutieren soll und was sie überhaupt tun kann. Sie musste mal mit den Mädels sprechen, die mehr davon verstanden als sie. Da war die rote Frieda, die Parteimitglied war. Die wurde was gehetzt. Aber entlassen war sie bisher noch nicht. Ja, mit der wollte sie mal darüber sprechen.
Schon der nächste Morgen zeigte Käte einen Weg, wie sie mitarbeiten könnte.
Als sie bei Pinke und Panke vorbeikam, steckte ihr der eine einen Zettel zu. Noch war kein Kunde an ihrem Platz, und so konnte sie den Zettel schnell durchlesen. Es war eine Aufforderung, zur nächsten Betriebsversammlung zu kommen. Betriebsversammlung - bis jetzt hatte sie sich immer davor gedrückt, weil das ja doch nur Zeit wegnahm, und außerdem wollte sie nichts von Politik wissen. Das war für Männer. Wählen? Ja, das war was anderes. Aber da diskutieren? Da konnte sie ihre Zeit besser verbringen.
Als sie den Zettel genauer besah, bemerkte sie., dass da nichts von Politik stand. Da standen ganz andere Dinge drauf, die sie ganz stark angingen. Sie las eine Reihe von Forderungen, die an die Geschäftsleitung gestellt werden sollten.
Zunächst über die Sitze. Ja, da konnte sie mitmachen, ohne zu überlegen. Irgendwo hinter dem Tisch stand ja ein Stuhl. Aber nicht zum draufsitzen. Wenn Kunden kamen, war das schon unmöglich. Denn Kunden durften nicht im Sitzen bedient werden. Und wenn keine Kunden da waren. Ja, da sollte man stehen, damit die Kunden jederzeit bedient werden können. Das nannte man Kundenbereitschaft. Und außerdem traute man sich sowieso nicht, sich zu setzen. Denn wenn man sich setzte, dann konnte Herr Schneidig denken, man wolle nichts tun, oder man sei überhaupt überflüssig und könnte "eingespart" werden. Wups saß man auf der Straße.
Das mit dem Essen war auch richtig, dass das endlich ernsthaft behandelt werden sollte. Seit Monaten schon war es so, dass die dritte Schicht in der Kantine immer nur kaltes Essen bekam, wenn überhaupt noch irgend etwas da war.
Gemein war das auch mit den Fahrstühlen. Da war ein Anschlag gemacht worden, in dem es dem "Personal streng verboten war, die Fahrstühle zu benutzen. Die Fahrstühle sind für unsere werten Kunden da. Das Personal hat die Treppen zu benutzen. " So stand es in dem Anschlag. Und als eine Kollegin mit einem Haufen Pakete, die sie aus dem Keller schnell geholt hatte, den Fahrstuhl benutzte, da war sie entlassen worden, da "sie sich nicht in die Regeln des Geschäftsbetriebes einfügte."
Und dann die D-Kontrolleure. Zuerst hieß es, sie sollten die Kunden beobachten. Als Kunden verkleidet gingen sie durch die einzelnen Abteilungen. Aber einen Kundendiebstahl hatten sie bisher noch nicht festgestellt. Wohl aber hatten sie"das Personal" bespioniert. Das waren sicher D-Kontrolleure gewesen, die für die letzte Entlassungsliste die "Roten" festgestellt hatten. Das waren sicher die D-Kontrolleure, die herausbekommen hatten, dass die Erna die Handzettel für die letzte Betriebsversammlung verteilt hatte. Ja, da war sie unbedingt dafür, dass diese Denunzianten endlich aus dem Betrieb entfernt werden. Das sind wirklich vernünftige Forderungen, dachte die Käte. Da muss man hingehen. Wenn wir das durchsetzen! Am schönsten wär's, wenn wir auch den 1-Uhr-Sonnabend-Schluß durchbekommen, so wie es ja schon in den Banken ist. Gott, was kann man nicht alles an so einem Sonnabend machen. Die ganzen Flickarbeiten, so dass der Sonntag dann ganz frei ist. Oder man kann mal raus ins Freie für zwei Tage. Aus ihren schönen Träumen, wie sie mit Fritz ein Wochenende verbringen würde, wurde sie durch die spitze Stimme einer Kundin aufgeschreckt...
In der Mittagspause redete sie ihre Nachbarin am Tisch, die Dora aus der Spielwarenabteilung an: "Du kommst du heute nach Schluss in die Versammlung? " "Was für 'ne Versammlung? "
" Na Betriebsversammlung. Hast du nicht gehört? Wir wollen Forderungen aufstellen."
'Forderungen? Ach du meinst für Streik und für den Sozialismus und solche schönen Dinge. Nee, dazu hab ich keine Zeit." "Nein, nein", ereiferte sich Käte. "Richtige Forderungen für uns. Vielleicht muss man auch streiken, wenn wir sie nicht durchsetzen. Aber richtige Forderungen."
'Was heißt richtige Forderungen? Lass mich jetzt essen. Du siehst doch es ist schon wieder mal ganz kalt."
" Ja siehst du, das ist gerade eine unserer Forderungen. Wir wollen fordern, dass auch die dritte Schichte heißes Essen bekommt. " "Das ist ja ganz vernünftig", meinte die Dora. "Davon hat man wenigstens etwas. Und was fordert ihr weiter?"
" Ihr? Du meinst wohl, was wir alle zusammen fordern sollen1." "Na ja, nun sag' schon. "
" Zuerst wollen wir mal die Sitzfrage regeln, dass man nicht die ganze Zeit stehen muss, und dann die Fahrstuhlfrage, und dann die 1-Uhr-Schlußfrage und all das andere."


FORTSETZUNG 18.11.1931, Mittwoch

"Und das soll alles heute abend besprochen werden?
" Ja, natürlich, wir wollen ein Programm von Forderungen aufstellen. " "Gut, da komme ich auch!"
Käte war froh. Das ging ja ganz leicht, das Diskutieren, wenn man nur die rechten Argumente hatte.
Und mit diesen Gedanken wandte sie sich an die Kollegin an ihrer anderen Seite, während Dora das gleiche tat.
Als das- Essen zu Ende war, waren durch Käte vier Kolleginnen dazu gebracht worden, zur Betriebsversammlung zu kommen. Fünf Minuten nach sieben legte Käte den letzten Stoffballen ins Regal und machte sich fertig. So früh wie heute war sie noch nie weggegangen. Sie lief durchs Tor hinaus und zu dem Lokal, in dem die Betriebsversammlung stattfand. Es waren erst ein paar Kollegen anwesend. Aber langsam füllte sich der Raum.


20. KAPITEL

Grete hatte heute erst zwei dünn mit Margarine beschmierte Stullen heruntergegessen. Abends sollte sie zu Käte kommen, dort auf sie und Fritz warten, damit sie zusammen essen konnten. Jetzt war es Halbacht. Die Menschen strömten nach Hause. Es war großer Betrieb. Die Geschäfte hatten größtenteils noch Licht, aber eins nach dem anderen wurde dunkel. Nur in den Schaufenstern blieb die Reklamebeleuchtung. Man konnte also keineswegs sagen, dass die Straßen dunkel waren.
Grete ging am Rathaus vorbei, das von starken Schupostreifen gesichert war, weil die Herren Stadtväter über den Verkehrsabbau und verschiedene andere Abbausorten berieten. Als Grete vor der Haupttür stehen blieb, um sich den fabelhaften Aufgang durch die Türscheibe anzusehen, kamen zwei Blaue mit den bekannten Worten: "Wollen Sie bitte weitergehen!"
Grete ging weiter, die beiden blieben ihr noch eine Weile auf den Fersen. Sie hatten strikten Auftrag, keine Ansammlungen zu dulden. Grete dachte darüber nach, warum die Bevölkerung, die doch den ganzen Kitt bezahlt, Stadtverordnete, Magistrat, Verkehr, Schupo und alles andere, keine Erlaubnis bekam, sich ihre eigenen Herrlichkeiten auch einmal anzusehen.
Gegenüber vom Rathaus promenierten ein paar Leute. Vor dem Kaufhaus auf der anderen Seite ebenfalls. Manche sahen aus wie Arbeiter. Andere, die zum größten Teil außerordentlich jung waren, trugen gelbbraune Jacken, den Uniformersatz der Nazis. An den Bordkanten vermischten sich die Zivilisten, Nazis und Arbeiter, wobei nicht gesagt sein soll, dass unter den Nazis keine Arbeiter waren. Grete blieb dort stehen und hörte sich die Gespräche an, die solange geführt wurden, bis die Schupos von der anderen Seite kamen und die Ansammlungen zerstreuten. Es dauerte dann immer eine Weile, bis sich eine Reihe von Diskutierenden wieder ansammelten. Jetzt standen sie hinter dem Rathaus. Von oben schienen die Lichter herunter. Auf dem Turm die Uhr zeigte genau 8 Uhr. Grete hörte zu: "Klagges? Mensch, geh weg mit dem! Was hat denn der gemacht - hat die Winterauszahlungen gestoppt. Und der nennt sich Arbeitsminister? " "Na, nu sei aber stille. In Sowjetrussland ist's ja viel schlimmer. Da werden überhaupt keine Unterstützungen gezahlt... " "....an wen sollten denn die gezahlt werden? Da gibt's ja gar nicht so viel Arbeiter, wie Arbeit da ist. Damit fangt bloß nicht an. " Die Unterhaltung zog immer mehr Leute an. Ein Nazi und ein Kommunist argumentierten gegeneinander.
" Hessenwahl? Meint ihr denn wirklich, die Leute da haben Adolf Hitler gewählt? Die haben eure große Schnauze gewählt, die ihr immer aufsperrt, um den Stehkragenproleten zu erzählen, dass ihr soziale Maßnahmen treffen werdet, wenn ihr mal an der Krippe seid. Geh doch weg. Die werden sich schon überzeugen, dass die Unterstützungen noch mehr abgebaut werden, wo Hitler oder Klagges oder sonst jemand von euren Bonzen was zu sagen haben. "
" Hau doch den Kerl in die Schnauze!" sagte so ein Nazijüngling, dem die Argumente fehlten.
Ein paar Braunjacken machten Miene dazu. Aber besonnene Arbeiter stellten sich dazwischen und sagten: "Ruhe hier, wir wollen jetzt hören, was ihr zu sagen habt. " Aber noch bevor sie etwas zu sagen hatten, fuhr der Kommunist schon fort: "Die Stimmen, die ihr kriegt - das sind Proteststimmen gegen die Bourgeoisie. Lange geht das nicht, dass ihr die Leute heranzieht, die Schluss machen wollen mit diesem System, und dann stärkt ihr mit ihnen gerade diesem System den Rücken." "Wer stärkt dem Kapital den Rücken? Wir? Wir sind gegen das Kapital. Das schaffende Kapital - ja - das ist etwas anderes. Aber die Bankjuden - die müssen weg. "
" Ach Quatsch - die Bankjuden. Katzenellenbogen und Goldtschmidt -Hitler nimmt das Geld von jedem, von dem er's bekommt. Und Goebbels kauft sich Autos dafür."
" Ach, ihr immer mit der Karre von Goebbels! Hat Thälmann vielleicht kein Auto? "
" Nee, Thälmann nich. Der kann sich das nicht leisten. Der ist bloß Führer von einer Arbeiterpartei. Aber lest doch heute in der Zeitung: Goebbels ist eins von seinen Autos in Steglitz geklaut worden. Wozu braucht der Mann die Autos, wenn "seine" Leute hungern? He?" Von hinten wurde gedrängelt. Zuerst glaubten die Leute, dass Polizei gekommen wäre. Einige fingen an zu laufen. Dann merkten sie, dass ein Rollkommando der Nazis einzugreifen begann. Immer, wenn die Diskussionen brenzlich für sie werden, schicken die Nazis diese Argumente vor.
Ein breitschultriger SA-Mann mit blauer Mütze bahnte sich einen Weg zu dem kommunistischen Sprecher. Grete schaute angestrengt hin. Sie stand ziemlich im Mittelpunkt der Ereignisse. Der Breite holte mit der Hand aus und brüllte den Kommunisten an: "Mach dich dünne hier -aber 'n bisschen plötzlich. "
Der antwortete ruhig: "Weiter habt ihr nichts zu sagen, wenn man diskutiert? "
Der Breite wollte zuschlagen. Als er seine Flosse in Bewegung setzte, sprangen drei oder vier Arbeiter hinzu und hielten den Arm fest. Sie ließen auch nicht los, als der Kerl zu brüllen begann. Er schaute nach seinen Kumpanen aus, doch die waren gerade abgedrängt worden. Die Arbeiter, keineswegs alle Kommunisten, ein paar sogar mit dem Reichsbannerabzeichen, hatten einen Kordon gebildet, um den kommunistischen Sprecher zu schützen.


FORTSETZUNG 20.11.1931, Freitag

Als der breite Nazimann sich allein sah, da griff er mit der Linken, als sie einen Augenblick frei war, in die Tasche und holte ein Schießeisen hervor. Gerade als er losdrückte, bekam er von einem Arbeiter einen furchtbaren Schlag auf die Hand. Bevor der Revolver zu Boden fiel, war aber schon ein Schuss gefallen. Er hatte einen der Festhaltenden leicht am Arm getroffen, war dann nach hinten gegangen und der Grete unter die linke Schulter gedrungen. Ohne einen Ton war sie zusammengesunken.
Im Nu entstand eine wütende Keilerei. Die Nazis gingen mit Messern, Dolchen, Schlagringen und ähnlichen Instrumenten gegen die Arbeiter los. Diese gebrauchten ihre Fäuste, und noch ehe die Polizei angekommen war, hatten eine ganze Reihe von Nazis geschwollene Augen und Beulen an allen möglichen Stellen. Von den Arbeitern waren bereits drei durch Stiche verwundet worden.
Als die Polizei kam, riegelte sie den ganzen Kreis der Kämpfenden ab und suchte sie auseinanderzureißen.
Endlich gelang es, die Gegner zu trennen. In zwei Gruppen getrennt standen sie sich gegenüber. Zwischen ihnen ein blutiger, zuckender Haufen Fleisch. Die Grete.
Die Rettungswache, die sofort von der Polizei alarmiert wurde, holte sie ab.
Nazis und Arbeiter wurden aufgeschrieben. Von den Uniformierten wurde keiner zur Wache mitgenommen. Von den übrigen im ganzen zehn. Grete war bewusstlos. Sie hatte viel Blut verloren und war grässlich zertreten worden. Der benagelte Schuh eines uniformierten Nazis hatte auf ihrer Brust einen scharfen Abdruck hinterlassen.
Eine Schwester kam, um den Körper zu waschen. Sie hatte schon vieles gesehen. Aber sie musste sich erst langsam an das Bild gewöhnen, das die Grete bot.
Grete wurde gewaschen, die Wunde wurde untersucht - aussichtslos. Operation lohnte gar nicht mehr. Es handelte sich um Stunden. "Wenn man nur wüsste, wer dies Mädel ist, dann könnte man wenigstens noch die Angehörigen benachrichtigen, " meinte der Arzt. "Ob sie noch mal zum Bewusstsein kommt? " fragte die Schwester? "Schon möglich, aber wir wollen hoffen, dass sie so rüber dämmert." Grete regte sich. Aber zu Bewusstsein kam sie nicht. Die Schwester hatte anderes zu tun, als bei der dreiviertel Leiche zu sitzen. Es war ja alles für sie getan, was getan werden konnte. Als die Schwester nach zehn Minuten wieder an Gretes Bett kam, flackerten ihre Augenlider. Sie kam doch noch mal zum Bewusstsein zurück.
" Schade!" dachte die mitleidige Schwester. "Das hätte ihr erspart bleiben können."
" Fritz komm zu mir!" hörte die Schwester sie flüstern. Die Schwester beugte sich ganz dicht über die Sterbende, und fragte: "Wo wohnt Fritz? "
Grete gab die Adresse, aber dann war es mit ihr vorbei. Sie versank wieder in Bewusstlosigkeit.
Die Schwester benachrichtigte sofort die von Grete gegebene Adresse. Aber Fritz war nicht zu Hause. Er war schon bei Käte, wo er auf Grete wartete.
Fritz war also nicht zu erreichen. Die Schwester ging zurück an Gretes Bett.
Es ging jetzt rapid abwärts mit ihr. Der Atem kam immer schwerer. Die Wunde blutete stärker, und der Verband wurde rot. Langsam sickerte das Blut durch. Langsam ging der Atem. Die Schwester glaubte schon, es sei endgültig aus. Da schlug die Grete noch einmal die Augen weit auf. Aber sie sah die Schwester nicht. Sie sah den Fritz. Und der Fritz wurde immer größer und stärker. Und es war nicht ein Fritz, neben ihm wuchsen immer neue Fritze, Hunderte Tausende, Hunderttausende, Millionen, die ganze Welt war voll. Und mit mächtigem Schritt zog diese Armee von Fritzen am Rathaus vorbei. Und ganz niedriges Gewürm, das auf dem Boden herumkroch, wurde von ihren Stiefeln zertreten. Aber wenn die Fritzen ihre Schuhe im Marsch wieder emporhoben, dann waren sie ganz sauber, als ob sie gar kein Gewürm zertreten hätten. Immer neue Scharen zogen vorbei. Der Zug der Marschierenden wollte kein Ende nehmen. Grete zog es immer stärker, auch mitzumarschieren. Jetzt sah sie, dass auch Frauen unter den Marschierenden waren. Da hob sie ihre Hände und bat die anderen, sie mitzunehmen. Und ganz behutsam fasste sie einer der Marschierenden und stellte sie auf die Füße mitten in die Reihen, wo gerade ein Platz frei war.
Als sie den ersten Schritt tat, um mitzumarschieren, da fühlte sie sich auf einmal ungeheuer glücklich. Sie war gar nicht mehr schwach. Sie war riesig stark wie all die anderen, die mit ihr marschierten. Sie gab ihrem ganzen Körper einen gewaltigen Ruck, und sah plötzlich, dass sie eine von vielen geworden war, groß und stark und einig. Die Schwester rief den Arzt und dieser sah, dass Grete gestorben war. Sie lag seitlich auf dem Bett. Den Kopf schief zurückgeworfen, von einer letzten ruckartigen Bewegung, die der Körper von der endgültigen Ruhe und Starrheit noch einmal versucht hatte.
" Lassen wir sie hier, bis jemand von der Adresse kommt, die sie angegeben hat. Sie haben doch die Leute benachrichtigt? " Die Schwester nickte: "Ja..."


21. KAPITEL

Um 11 Uhr abend war Fritz nach Hause gekommen. Der Abend war ganz anders gewesen als er ihn sich vorgestellt hatte. Grete war nicht gekommen und Käte hatte unendlich viel von der Betriebsversammlung und ihrer Arbeit, die jetzt übernommen hat, zu erzählen. So kamen sie vom Hundertsten ins Tausendste - aber alles hatte mit Partei- und RGO-Arbeit zu tun.
Käte musste feststellen, dass sie sich noch nie so gut mit Fritz unterhalten hatte. Sie hatten sich jetzt so sehr viel mehr zu sagen und konnten einander noch viel mehr sein.
Als Fritz auf die Uhr sah, war es ein Viertel vor elf. Fritz sprang auf Ein schneller Kuss und schon ging er los, denn er wollte zu Hause noch einiges arbeiten, und morgen hieß es wieder früh an der Arbeit stehen.


FORTSETZUNG 21.11.1931, Samstag

Zuhause angekommen, berichtete seine Wirtin von dem Besuche des Boten vom Krankenhaus. Fritz bekam einen Schreck. Solle die Grete wieder irgendeinen Unsinn gemacht haben?
Er lief die Treppe runter, die Straße, entlang und kam ganz außer Atem an. Die Schwester führte ihn, nachdem er sich ausgewiesen hatte, an Gretes Bett.
" Tot? " fragte Fritz und wusste, dass diese Frage überflüssig war. Was war geschehen?
Die Schwester konnte ihm einige Auskunft geben. Von anderen erfuhr er mehr. Später hörte er noch weiteres von Genossen, und so hatte er bald die ganze Geschichte beisammen.
Drei Tage später lag die Grete unter der Erde. Fritz und Käte waren als einzige zur Beerdigung erschienen. Käte weinte.
Als sie nach Hause gingen, konnte sich Käte nur sehr schwer beruhigen Sie schluchzte noch leise vor sich hin. Ihr war es, als hätte sie eine Schwester verloren, trotzdem sie die Grete doch nur ganz kurz gekannt hatte. Und sie bedauerte es, dass sie anfangs so grässlich zu ihr gewesen war.
Langsam dämmerte neben dem Schmerz ein zweites Gefühl in ihr auf: das der Wut. "Sie hat doch gar nichts getan... " sagte sie zu Fritz. "Sie ist in die Hände der Nazis gekommen. Das hat schon manchem die heilen Knochen und vielen das Leben gekostet", antwortete Fritz. "Und die dürfen einfach drauf losschießen?"
" Was heißt: dürfen? Die sind doch so legal! Kannst du jetzt wieder sehen auf der Polizeiministerkonferenz. Der Polizeiminister hält eine Rede, dass er von Herrn Hitler Material über das Wüten des roten Terrors bekommen hat. Meinst du vielleicht, dass Hitler auch nur ein Wörtchen über den Naziterror darin erwähnt hat? "
Sie stampften weiter. Käte überlegte. Dann fragte sie: "Und die Arbeiter können sich gar nicht dagegen wehren? "
" Natürlich können sie sich wehren. Und sie fangen auch langsam damit an. In Braunschweig zum Beispiel haben sie Straßenschutzstaffeln gegründet. Da trauen sich die Nazis nicht mehr gegen die Arbeiterviertel. Immer sind sie bewacht. Nicht bloß von Kommunisten. Da stehen alle zusammen - SPD-Arbeiter, Kommunisten, Indifferente. - Alle." "Und hier? " fragte Käte. "Warum gibt's das hier nicht? " "Warte nur, das kommt hier auch. Schneller als du denkst. Warum macht denn die SPD wieder ihr Einheitsfrontgeschwafel...? " "Wieso? Was heißt Geschwafel? Wenn von Einheitsfront die Rede ist, das ist doch kein Geschwafel!"
" Na ja, wenn die Arbeiter davon reden, dann ist's natürlich kein Geschwafel, und viele SPD-Arbeiter reden schon davon. Aber gerade deswegen haben sich doch jetzt die SPD-Bonzen eingemischt und die Parole scheinbar aufgenommen. Haben den Kommunisten hintenrum die Einheitsfront von oben andrehen wollen..."
" Was ist denn nun das wieder - Einheitsfront von oben? " fragte Käte dazwischen.
" Das nennt man -- das ist so -- wenn sich nämlich die Spitzen der beiden Parteien zusammensetzen würden und sich gegenseitig von ihrem Programm was abhandeln würden... " "Na, das wäre doch gar nicht das Schlimmste..." "Erlaube mal, Käte! Den Kampf gegen das herrschende System kann man nicht mit Kompromissen führen. Da muss man schon durchgreifen. Bloß keine Politik des kleineren Übels. Damit stopft man auch den Nazis nicht das Maul. Höchstens, dass man den Bankrott der SPD eine Weile bremst. Daran haben wir wirklich kein Interesse!" Käte musste es erst wieder verdauen. Dann fragte sie weiter: "Und was wollt ihr nun dagegen setzen? "
" Wir wollen gar nichts dagegensetzen - wir haben schon was dagegen gesetzt: die Einheitsfront von unten. Die Arbeiter aller Richtungen zusammen gegen den Kapitalismus und seine augenblickliche Herrschaftsform, den Faschismus. Und zwar radikal. Keine Duldung von kleineren Übeln und so. Anders geht's nicht. Und weil die Einheitsfront von unten nämlich schon im Anmarsch ist, haben die SPD-Bonzen Angst gekriegt und wollen nun von oben dazwischenfunken. Nee, danke für Obst!" "Das kommt mir eigentlich beim ersten Nachdenken ganz vernünftig vor."
" Und beim zweiten wird's dir noch viel vernünftiger vorkommen", meinte Fritz. Käte ging eingehakt neben ihm her. Sie kam sich mächtig stark vor heute, als ein Glied in der großen Front der Werktätigen. Das Gefühl der Stärke - woher kam es eigentlich? Sie war so oft kleinlaut und verzagt gewesen! Ja, das kam davon, dass Käte anfing, bewusst zu leben, ihr kleines Leben nicht mehr als Einzelschicksal, nicht mehr als gottgewollt hinnahm. Sie machte sich Gedanken. Diese Gedanken suchten sich ein Ziel. Das Ziel hieß: Befreiung des Einzellebens durch Befreiung der ganzen arbeitenden Klasse. Das Ziel war so groß und schön, dass es sich wohl lohnte, dafür zu kämpfen. Fritz und Käte gingen durch die Straßen, als marschierten sie mit ihrer ganzen Klasse über die breiten Wege der Befreiung. Stumm gingen sie nebeneinander her. Aber jeder wusste, was den andern beschäftigte.


22. KAPITEL

"Kollegen und Kolleginnen!...."
Stühle rückten. Stimmen summten. Nur langsam kehrte Stille ein. "Kollegen und Kolleginnen! Ich eröffne die heutige Betriebsversammlung Auf der Tagesordnung steht als erster Punkt der Krieg in der Mandschurei, Dazu erteile ich dem Kollegen Ganske das Wort." Kollege Ganske erhebt sich. Ein junger Genosse, der die Mandschurei bestimmt nicht aus eigener Anschauung kennt. Aber ist denn das unbedingt notwendig? Es geht ja doch nicht in erster Reihe um die Mandschurei. Es geht um viele Länder, es geht um viele Völker. In der Mandschurei brennt's, aber morgen schon kann es in zwei Dutzend anderen Ländern brennen. Genosse Ganske schildert noch einmal die Entwicklung des "Konflikts" zwischen Japan und China. Er erzählt von den maßlosen Provokationen der Sowjetunion durch Japan. Die Sowjetunion will nicht Krieg führen. Sie will den friedlichen Aufbau. Sie tut nichts -keine kriegerische Handlung - nur die japanische Gerüchtemacherei weist sie zurück: es ist nicht wahr, dass wir den chinesischen General Ma mit Kriegsmaterial versorgt haben.
Doch schon stürzt sich der japanische Imperialismus auf diese Äußerung der Sowjets. Unerhört! schreien sie. Niemals haben wir das" behauptet. Und im gleichen Atemzug behaupten sie diese Lüge nochmals. Und sie marschieren weiter vor, überschreiten und besetzen ein Stück der Ostchinabahn, die für die Sowjets lebenswichtig ist.


FORTSETZUNG 22.11.1931, Sonntag

Aber der Arbeiterstaat lässt sich immer noch nicht zu kriegerischen Handlungen hinreißen.
An den Börsen von London und Paris gibt es zwischen den wahnsinnigen Kursstürzen eine fieberhafte Aufwärtsbewegung aller Papiere von Kriegslieferanten. Die Motorenwerke Rolls Royce bekommen telegraphische Aufträge auf Flugzeugmotoren für Japan. Schneider-Creuzot lässt mit zwei Schichten arbeiten. Bald wird er die dritte einlegen müssen. Amerika erklärt durch den Mund des Herrn Dawes sein Ein-
Verständnis mit den Zielen Japans. Welche sind das? Der Völkerbund tagt in Paris hinter verschlossenen Türen. China droht mit Austritt.
Der Völkerbund ist das von der Sozialdemokratie stets gepriesene Instrument des Friedens. Sozialdemokraten haben viele dieser Sitze inne. Aber der Völkerbund tut nichts gegen den Krieg in der Mandschurei. Er erwägt die Einsetzung einer autonomen Regierung in der Mandschurei. Autonom - das heißt in diesem Falle: abhängig vom japanischen, mit den großen Ländern der Welt verbündeten Imperialismus. Das heißt: Vorschieben der imperialistischen Positionen gegen die Sowjetunion. Das heißt: Abschneiden der Ostchinabahn.
Kollege Ganske schließt: "Die Antwort der Arbeiter aller Länder heißt: Hände weg von der Sowjetunion! Hände weg vom Vaterland aller Werktätigen!"
Kaum hatte der Kollege Ganske geendet, als Fritz aufspringt und loslegt:
" Kollegen und Kolleginnen! Hände weg von der Sowjetunion hat der Kollege Ganske gesagt. Jawohl: Hände weg von der Sowjetunion! Wir alle werden eine große gewaltige Front gegen die Angreifer der Sowjetunion bilden, und keiner wird diese Front durchbrechen. Aber wir müssen weit mehr tun. Wir müssen heute schon mit unserer Arbeit beginnen. Wer weiß, ob unsere Firma nicht bald Kriegsaufträge bekommt. Aufpassen Kollegen! Ihr habt gehört, dass die Aktien der Kriegslieferanten schon steigen. Und wer sind die größten Kriegslieferanten? Natürlich wir Metallproleten. "
Bald schloss die Betriebsversammlung den ersten Punkt der Tagesordnung ab. Man ging zum zweiten Punkt über: die Lage in der Metallindustrie. Alex hatte zu referieren. Zuerst sprach er allgemein und manche hörten nicht zu. Dann aber kamen die tollsten Verrätereien der Gewerkschaftsbonzen und der bisher noch nicht üblichen Unternehmermanöver zur Sprache, und alle hörten zu.
"... Mein Schwager, " sagte Alex, "der arbeitet in Frankfurt. Was haben sie da gemacht? Sie haben der ganzen Belegschaft gekündigt, und nur, wer einen Lohnraub von 15 Prozent hinnimmt, darf weiterarbeiten. In einer Woche ist Entscheidungstag. Und hier werden sie's genau so . machen. Einfach kündigen. Und wer weiterarbeiten will, dem wird das gnädig erlaubt, aber nur zum halben Lohn. Wir müssen unbedingt weiter zum Streik rüsten. Der Kampfausschuss muss noch viel tätiger werden. Jede Abteilung muss absolut streikfertig sein, um auf Abruf
lahm gelegt zu werden. Nur so werden wir's schaffen.....
Als dritter Punkt der Tagesordnung wurden noch ein paar betriebliche Fragen behandelt, und bald schloss man mit dem Gesang der Internationale. Es war inzwischen halb sechs geworden. Fritz hatte sich abends wie- der mit Käte verabredet. Bis er sie abholen konnte, waren es noch rund zwei Stunden. So ging er mit Alex mit.
Sie schlenderten die Straße entlang und blieben vor einer Bankfiliale stehen. Handels- und Grundbesitzerbank stand mit großen Buchstaben auf dem Schild. Darunter war ein gedruckter Zettel angebracht: Geschlossen.
" Natürlich geschlossen", meinte Fritz, der die Zeitung noch nicht gesehen hatte. "Um sechs Uhr ist doch keine Bank mehr auf." "Nee", meinte Alex, "die ist, glaube ich, pleite"
" Ja, pleite ist sie", sagte ein kleiner Tischler, der neben ihnen stand und ihr Gespräch gehört hatte.
" Pleite? Das scheint doch ne ganz große Bank zu sein. " "Ist sie auch. Zwanzig Filialen. 36000 Kunden. Meistens kleine Leute, wie ich, Handwerker. Ich hab auch meinen letzten Hunderter dabei verloren.... Die gehört der Wirtschaftspartei. Die wird wahrscheinlich unser Geld aufgebraucht haben. "
" Nichts da", mischt sich ein anderer, der auch stehen geblieben war, dazwischen. "Alles verspekuliert. Haben Sie die Abendzeitungen noch nicht gelesen? Der Direktor ist geflohen. Erst hat er sich zwölf Millionen gepumpt, und jetzt ist er nicht mehr aufzufinden. Nen Revolver hat er sich auch mitgenommen. Den wird er bestenfalls irgendwo verkloppen. Die Leute gehn nicht drauf. "
" Nee, nee, da haben Sie recht. Wir zahlen unser Geld ein, und die spielen damit rum. Und wenn sie Glück haben, dann werden sie Wirtschaftsführer. Und wenn sie Pech haben - na dann passiert ihnen auch nichts."
" Stimmt schon, " meinte wieder der andere. "Den Katzenellenbogen haben sie auch freigelassen. Aber wir - neulich wollten sie mich pfänden wegen 3, 50 Mark. Gott sei Dank hat mir noch jemand das Geld gepumpt, sonst säße ich heute auf der Straße. "
" Ja, ja, die Zeiten sind schwer, " seufzte der Tischler. Jetzt mischte sich Alex dazwischen: "Das ist einfach Ihre Schuld, wenn die Zeiten schwer sind. "
" Was heißt unsere Schuld?" fuhr der zuletzt Dazugekommene auf. "Nicht direkt, so meine ich das nicht, " antwortete Alex. Und Fritz fuhr dazwischen. "Natürlich, das ganze Wirtschaftssystem ist schuld daran."
" Was meinen Sie mit Wirtschaftssystem? " fragte der Tischler. Nun legte Fritz los: "Wirtschaftssystem? Ich meine den Kapitalismus. Glauben Sie, der Fall dieser Bank ist ein Einzelfall? Es gibt tausende solche Fälle und wird noch viele tausend mehr geben. Haben Sie von Schultheiß gehört? Haben Sie von Nordwolle gehört? Den ganzen Tag kann ich Ihnen solche Geschichten erzählen. Und wer ist der Betrogene? Immer die Proleten sind's. Die Arbeiter oder die kleinen Handwerker oder die Bauern. Haben Sie mal einen Unternehmer auf der
Stempelstelle gesehen, einen verkrachten Bankdirektor, oder irgendson
anderen Schieber? Ich noch nicht. Wenn die alles verlieren, haben die
noch tausendmal so viel wie wir je haben werden. "
" Na ja, das stimmt schon, " meinte der Tischler. "Aber was sollen
wir daran ändern? Ich wähle immer die Wirtschaftspartei, weil die
fürs Handwerk ist. "
" Die fürs Handwerk? Passen Sie mal auf, ob sie noch einen Pfennig
von dem rauskriegen werden, was Sie auf die Bank gebracht haben.
Keinen Pfennig werden Sie wieder sehen."


FORTSETZUNG 24.11.1931, Dienstag

"Aber der Direktor", warf Alex dazwischen, "und der Herr Ladendorff, der doch einer der Führer der Wirtschaftspartei ist und der doch die Bank mitverwaltet hat, glauben Sie, dass der sein Geld verliert? Der wird keinen Pfennig verlieren, da können Sie sicher sein. " "Sie sind wohl von den Kommunisten? " fragte der Tischler. "Ja, das sind wir", erklärte Fritz. "Wir werden dem Handwerk helfen. Wir betrügen das Handwerk nicht wie die anderen Parteien. Wir sind für die kleinen Gewerbetreibenden."
Immer eifriger hatten sie gesprochen. Und ein paar Vorübergehende blieben schon stehen, um zuzuhören. Da kam aber auch schon ein Schupo und trieb sie auseinander. "Weitergehn, nicht stehn bleiben, keine Ansammlungen bilden."


23. KAPITEL

In der Redaktion der "Roten Fahne" war Hochbetrieb. Wie immer. Genossen kamen und gingen, Arbeiterkorrespondenten, Redakteure, Setzer, Photographen, Zeichner. Es wimmelte von Menschen. Kurze Unterredungen jagten einander. Bis der täglich Ruf durch die Redaktionskorridore hallte: "Redaktionskonferenz!"
Wenn Redaktionskonferenz ist, müssen alle anderen Unterredungen und Arbeiten unterbrochen werden. Denn einmal am Tage müssen alle Redakteure zusammenkommen, um die letzte Nummer zu kritisieren, die nächste zu bestimmen.
Diesmal kam auch wieder der Roman zur Sprache, der schon manchmal Gegenstand der Aussprache gewesen war. Vor allen Dingen vor seiner Geburt. Ein Teil der Genossen Redakteure war dagegen gewesen, weil es gefährlich werden konnte, eine Roman zu drucken, dessen Manuskript am Anfang nicht zur Prüfung vorlag. Andere Skeptiker meinten, dass ein aktueller Roman, dessen Fortsetzung jeweils am Tage des Erscheinens geschrieben würde, unbedingt Menschen und Papier
und Druckerschwärze ans Tageslicht fördern müsse. Andere wieder stimmten damals für diesen Roman, weil er zum ersten Male, als kollektive Arbeit, auch unter dem Strich die brennendsten Gegenwartsfragen behandeln konnte.
Heute begannen sich die Parteien darüber einig zu werden, dass sie beide recht gehabt haben. Dass dieser Roman "Die letzten Tage von...." stellenweise doch recht fesselnd, an anderen Stellen ganz ledern geworden sei. Kritiken aus dem Leserkreis wurden zur Kenntnis gegeben. Die waren unterschiedlich, aber zum größten Teil lobend. Ein Leser hatte mit Recht angeprangert, dass die tote Grete, die von den Nazis erschossen wurde, nicht von der revolutionären Arbeiterschaft zu Grabe getragen wurde. Lediglich Käte und Fritz seien mitgegangen.
Man wurde sich darüber einig, dass der Roman ein wichtiger Versuch auf dem Gebiete der proletarisch-revolutionären Literatur sei. Aber im Hochbetrieb einer proletarischen Redaktion, die mit einem Bruchteil der Redakteurzahl einer bürgerlichen Zeitung arbeiten müsse, hätte nicht immer die notwendige Sorgfalt darauf verwendet werden können. Man solle deshalb langsam zum Schluss kommen.
" Und was wird mit Käte und Fritz? " fragte ein Genosse des Kollektivs. "Sie müssen sich doch entschließen, was sie tun wollen. Wir können doch die Käte zum Beispiel nicht einfach in politischen Halbheiten schwimmen lassen."
Ein anderer Genosse meinte: " Ich habe einen Vorschlag: wir laden die beiden einmal zur Redaktionskonferenz ein. Sie sollen selbst sagen, wie sie sich ihre Zukunft denken." Mit diesem Vorschlag waren alle einverstanden.
Der Versuch des aktuellen Kollektivromans wurde als nur halbwegs geglückt bezeichnet. Einer vom Kollektiv sagte: "Man soll den Versuch wiederholen. Wir haben jetzt gelernt, wie man's machen muss. Die Sache war sehr lehrreich. Wir müssen sie unbedingt noch einmal besser machen. "
" Nach der Machtergreifung!" entgegnete ein anderer. "Dann haben wir vielleicht ein bisschen mehr Zeit, uns alle der Geschichte liebevoll anzunehmen. "
Aber er fand nicht die ungeteilte Zustimmung.
Nun warten wir ab! Erst sollen Käte und Fritz einmal ihre Meinung sagen. Und die anderen Leser, die nicht im Roman vorkommen, haben schließlich auch ein Wörtchen mitzureden.


24. KAPITEL

Käte las jetzt häufig abend, wenn sie nach Hause kam. Die "Rote Fahne" bekam sie regelmäßig, wenn sie nicht gerade verboten war. Die las sie vom ersten bis zum letzten Buchstaben durch. Sie lernte viel daraus. Aber auch Bücher las sie. Ihr war, als hätte sie erst jetzt lesen gelernt. "Mira lächelte dem Grafen freundlich zu, als wollte sie sagen; auf dich habe ich gerade gewartet... "
" Quatsch!" rief Käte und pfefferte das Buch in die Ecke. Wenn der Graf die Mira beachtet, dann hat er seine Gründe. Und zwar will er sie keineswegs heiraten. Aber auf der letzten Seite des Buches, die sie gleich zu Anfang gelesen hatte, standen Graf und Mira vor dem Traualtar. Sehr feierlich übrigens. Und Mira war in diesem Buch eine kleine Verkäuferin wie Käte selbst. Sie musste lachen über den Blödsinn. Aber Fritz hatte ganz recht. Mit dem Lachen ist es nicht geschafft. Man muss es schaffen, dass auch andere Leute über so einen Unfug lachen, ihn nicht mehr ernst nehmen, sich keineswegs ihr Weltbild daran formen. Es gab ja doch so viel proletarische Bücher. Die waren zwar nicht so bequem zu lesen, weil sie die Wirklichkeit schilderten, aber man konnte sich wenigstens für die Praxis eine Scheibe davon abschneiden, was dort gesagt wurde.
Halt! dachte Käte. Das ist doch merkwürdig: Man findet etwas, was man alle Tage sieht und deshalb gut kennt, weniger bequem als das, was in Wirklichkeit nicht vorkommt, wie die Geschichte von Mira und dem reichen Grafen. Sie überlegte. Aber sie kam nicht sofort dahinter dass nämlich die Lektüre der Wirklichkeit zum Kampf anspornt. Und ist eigentlich das Hindämmern und auf die tägliche Vertiefung des Elends warten, bequem?
Jedenfalls nahm Käte sich vor, die wenige Zeit, die sie zum Lesen hatte, nie mehr mit dem bürgerlichen Quatsch voll zu stopfen, den die herrschende Klasse in Millionenauflagen den Arbeitern in die Hand drückt: da, nimmt und lies und lass dich davon einlullen!


FORTSETZUNG 25. 11. 1931, Mittwoch

Also raus mit den bürgerlichen Schundbüchern aus den Proletenhäusern! Raus mit der Kleinleuteideologie aus Proletenköpfen! Sie haben nichts darin zu suchen, weil sie nur der Verdummung dienen. Käte hatte schon von Fritz gehört, dass auch in diesem Jahr wieder ein Monat des proletarischen Buches veranstaltet werden wird, und zwar im Dezember. Mehr noch als in den vergangenen Jahren soll er die politische Aufgabe der proletarisch-revolutionären Literatur zeigen. Für Käte war dieser Monat schon nicht mehr nötig. Sie war durch eigenes Nachdenken dazu gekommen, dass der Mist aus der bürgerlichen Rotationspresse keine Bildung, sondern Unbildung, Verbildung brachte.

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