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K. Olectiv - Die letzten Tage von ... (1932)
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7. KAPITEL

Als Fritz am nächsten Morgen auf die Arbeit ging, wusste er immer noch nicht, was mit den Genossen, die die Betriebszeitung abziehen sollten, los war. Waren sie gekappt worden? Hatte irgend jemand etwas verraten?
Eins war klar: Man musste von neuem anfangen. Die Betriebszeitung musste neu geschrieben werden. Sie musste neu abgezogen werden. Aber wo? Konnte man es am alten Platze tun? Wenn man nur wüsste, wo die Genossen sind.
Die Zeit verging und verging nicht. Dabei war doch heute Sonnabend und schon um zwei Uhr Schluss. Endlich ertönte die Sirene!
Fritz ging sofort zum Bezirkskomitee. Man hatte noch nichts gehört. Auch auf der Unterbezirksleitung war nichts gemeldet worden. Keiner wusste Bescheid. Aber man war jetzt auch dort besorgt geworden. Der Apparat wurde in Bewegung gesetzt. Man lief von einem Genossen zum anderen. Alle kannten sie. Keiner hatte sie gesehen. Im Unterbezirk begann die Erregung zu steigen. Sie konnten doch nicht einfach verschwunden sein! Aber wo waren sie?
Fritz machte sich Vorwürfe, dass er nicht durchgehalten und das Abziehen überwacht hatte. Aber man konnte doch nicht alles machen. Das UB. -Büro glich einem Hauptquartier. Von allen Seiten kamen eilige Genossen. Sie hatten herausbekommen, dass niemand in der Gegend verhaftet worden war. Das wäre noch die einzige Lösung gewesen.
Gerüchte kamen auf, dass sie niemals zuverlässige Genossen gewesen waren. Fritz bestritt das aufs hartnäckigste. Auch die anderen, die sie näher kannten, stritten das ab.
Fritz musste fort und die Fertigstellung einer neuen Betriebszeitung in die Wege leiten. Alle Stunde kam er wieder mit heran. Aber immer noch keine Nachricht.
Es wurde Abend. Draußen war es schon dunkel. Man hatte jetzt den ganzen UB. durchgefragt. Alle Arbeiterlokale waren benachrichtigt. Als Fritz um 9 Uhr wieder vorbeikam, zuckten die anderen nur die Schultern.
Die beiden blieben verschwunden.
Die Betriebszeitung war jetzt fertig. Auch die Abzüge waren gemacht. Alex versteckt sie in der leerstehenden Wohnung eines Genossen. Am Montag früh würden sie dann verteilt werden.
Fritz und Alex sammelten noch ein paar andere Genossen und gingen dann in Fritzens Wohnung. Hier sollte Kriegsrat abgehalten werden, wie man die beiden anderen Genossen finden könnte. Zuerst überlegten sie, wo die Genossen nicht sind. Sie sind nicht auf der Wache. Sie sind also nicht gekappt. Ein Auto hat sie auch nicht umgekippt, sonst hätte es in der Zeitung gestanden. Verschlafen haben sie auch nicht, denn sonst wären sie mittlerweile aufgewacht. Bei anderen Genossen sind sie auch nicht; jedenfalls nicht im UB. Wo also sind sie?
Fritz schlug vor, die beiden angrenzenden UB. s zu untersuchen. Alex fand das albern. Warum sollten sie da sein, und was wollten sie da machen? Fritz gab zu, dass seine Idee gerade keine Leuchte war. Auch die anderen wussten keinen Rat. So saßen sie eine Weile bedrückt und schweigend da.
Wo waren die beiden Genossen? "Vielleicht bei den Nazis", meinte der eine.
Alle, waren wie elektrisiert. Das ist es. Da sind sie. Aber einfach von den Nazis mitgenommen? Nein, das ist doch nicht möglich. Und freiwillig? Nee! Lächerlich!
Aber etwas konnte doch dran sein. Vielleicht niedergeschlagen und dann mitgeschleppt. Man müsste die Nazilokale untersuchen. Aber wie hereinkommen? Sie selbst waren zu gut bekannt. Sie würden gleich angegriffen werden. Und vier gegen 40 ist keine Kleinigkeit. Das musste organisiert werden. Irgendein paar "blonde" Genossen aus einem anderen Bezirk. Aber schnell. Es war schon nach 10 Uhr. Sie sprangen auf und gingen in den verschiedensten Richtungen auseinander, nachdem sie noch einen Treffpunkt verabredet hatten. Nach dreiviertel Stunden trafen sie sich bei einem anderen Genossen und hatten jeder zwei blonde, blauäugige Genossen aus anderen Bezirken mitgebracht.
Die sollten also in die Nazilokale gehen und aushorchen, ob in der letzten Nacht irgend etwas passiert war. Vielleicht würden sie eine Spur finden...


FORTSETZUNG 23.10.1931, Freitag

Fritz und seine UB. -Genossen warteten auf die Rückkunft der anderen. Sie vertrieben sich die Zeit mit Kontrollfragen aus irgendeinem Lehrbuch der Partei. Nach einer Stunde waren sie zu aufgeregt, um noch aufzupassen. Die anderen waren immer noch nicht zurück. Sie begannen Skat zu spielen. Wieder verging eine halbe Stunde. Sie konnten nicht mehr still sitzen bleiben. Ab und zu stand einer auf und sah auf den Hof, ob die anderen immer noch nicht kamen. Aber alles war ruhig.
Wieder eine halbe Stunde. Es war lange nach Mitternacht. Die Lokale mussten doch bald geschlossen sein. Was war nur los. Warum kamen die Genossen nicht....
Nach einer weiteren Stunde hielten sie es nicht mehr aus. Das war unheimlich. Jetzt waren die auch noch verschwunden. Das ging nicht mit
rechten Dingen zu.

Als Fritz und die anderen auf die Straße kamen, da sahen sie von weitem die anderen friedlich nebeneinander herkommen. Was war mit ihnen los gewesen?
Sie gingen alle in Fritzens Wohnung zurück, um Bericht zu hören und von neuem zu beraten. Ganz hoffnungslos war die Lage jetzt nicht mehr. Die anderen hatten herausbekommen, dass es eine Keilerei gegeben hatte. Der Franz hatte einen Nazi aufgegabelt, der nicht mehr ganz nüchtern war und ausplauderte. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Er wollte nur von einem Angriff von zwei Kommunisten auf eine Reihe ganz harmloser Kameraden wissen - offenbar war er noch nüchtern genug, um sich an die verabredete Ausrede, falls etwas herauskäme, zu erinnern. Der Franz blieb solange mit ihm zusammen, bis das Lokal schloss, und ging dann mit ihm zusammen auf die Straße, in der Hoffnung, noch mehr herauszubekommen. Da hatte er dann die anderen getroffen, die sich anschlossen, anstatt dass gleich einer raufging und Fritz berichtete. Aber obgleich sie den Nazi noch ein ganzes Stück begleiteten, war nicht mehr aus ihm herauszuholen. Er torkelte immer mehr und legte sich dann schließlich neben eine Laterne, um zu schlafen.
Sie wollten keinen Lärm machen, und so gaben sie es auf, noch mehr aus ihm herauszuholen und gingen zurück zu Fritz, wo sie dann die anderen getroffen hatten, als sie herunterkamen.
Also wieder nichts. Es war zwar wahrscheinlich, dass es einen Zusammenstoß mit Nazis gegeben hatte, aber seit diesem Zusammenstoß waren die Beiden dann verschwunden.
Wieder wurde ein Kriegsrat abgehalten. Alle möglichen und unmöglichen Vorschläge wurden gemacht. Aber sie kamen zu keinem Entschluss. Draußen schien schon die Sonne, während sie immer noch unschlüssig waren. Plötzlich klopfte es an die Tür. Die Polizei? Sie blieben sitzen. Dann wurde nochmal geklopft. Fritz ging zur Tür.
Da standen die beiden langgesuchten Genossen.
Große Aufregung. Alles scharte sich um sie. "Wo kommt Ihr denn her? Wo wart Ihr denn? Was habt Ihr denn gemacht? " so riefen sie durcheinander.
Wie sahen die beiden auch aus! Der eine hatte den Hinterkopf verbunden, der andere hatte mitten auf dem Kopf eine Riesenbeule.
Langsam und stockend erzählten sie.
Die Zeitungen waren richtig abgezogen worden. Als sie fertig waren, wollten sie noch auf die Bude des einen gehen, um sich etwas heißen Kaffee zu machen. Draußen war es noch stockdunkel, obgleich es schon früher Morgen war.
Als sie ein paar Schritte gegangen waren, hörten sie plötzlich eine Horde Nazis hinter sich. Ihnen ahnte nichts Gutes. Aber sie gingen ruhig weiter. Plötzlich bogen vor ihnen ein paar Nazis um die Ecke, und jetzt saßen sie in der Falle.
" Dann ist eigentlich nicht mehr viel zu erzählen", meinte der eine. "Es gab natürlich eine Keilerei, denn so einfach ließen wir uns nicht unterkriegen, aber wie sie ausging, weiß ich nicht genau. Aufgewacht bin ich im Krankenhaus, wohin wir von der Rettungswache gebracht waren. Habt Ihr nichts in der Zeitung darüber gelesen? " "Nee, da stand kein Wort drüber drin."
" Na und dann, als wir heute Nacht aufwachten, sah'n wir uns erstaunt an, und heut' früh wurden wir um 6 Uhr entlassen. Wir machten uns gleich auf den Weg, und da sind wir. "
Die Aufregungen hatten alle munter gehalten. Nun, nachdem die Spannung gelöst war, wurden sie müde. Sie gingen nach Hause. Glücklicherweise - es war Sonntag. Man konnte schlafen.
Fritz pennte sich hin, als es schon bald neun war. Er hatte kaum zwei Stunden geschlafen, da klopfte es ihn schon wieder wach. Er schloss die Zimmertür auf und ließ Käte herein. Sie hatte die Zeitung in der Hand und ein paar Briefe und Zettel. Alles für Fritz. Die Begrüßung fiel einen Schein herzlicher aus als an gewöhnlichen Wochentagen. Ja - man hatte Zeit, sich vernünftig "Guten Morgen" zu sagen.
Es war Fritz leicht ums Herz: Die Genossen waren wieder da - die neue Betriebszeitung konnte Montag verkauft werden - und - ja, und Käte war auch da. Sie hatte ihm mächtig gefehlt. Er hatte sich in den letzten Tagen oft gedacht: Du lässt das Mädel zuviel laufen. Du müsstest dich öfter mit ihr ernsthaft unterhalten. Es wäre besser, wenn man zusammen arbeiten könnte.
Er nahm sich vor, dass das besser werden sollte. Und so zeigte er ihr stillschweigend die fette Zeile über dem Kopf der "Roten Fahne": "Heute Vormittag alles in den Sportpalast. " Heute war der Tag der Frauen. Das riesige Gebäude würde widerhallen von den Forderungen der Proletarierinnen.
Käte las die Zeile. Dann fragte sie: "Na und...? " "Pass mal auf, Käte. ich tu dir einen Gefallen und du tust mir einen. Wir machen uns jetzt auf die Socken und gehen in den Sportpalast... " Käte schmollte. "... nur warte doch ab... erst in den Sportpalast. Dann fahren wir raus, irgendwo. Und abends gehen wir ins Kino, Ich lade dich ein.
Gemacht? "
" Gemacht!" sagte Käte und war wieder friedlich.


FORTSETZUNG 24. 10. 1931, Samstag

Fritz zog sich schnell seine Sachen an. Käte hatte ein paar frische Stullen bei sich. Sie legte sogar eine weiße Decke auf, die sie von der Wirtin holte, und stellte zwei Tassen hin. Das war doch was anderes, als jeden Tag die Schlucke aus der Thermosflasche.
Dann gingen sie zur Untergrundbahn und fuhren nach der Bülowstraße. Da war toller Betrieb, Ganze Abteilungen Schupo standen dort. Ein Zivilist durfte nicht stehen bleiben. Die Nebenstraßen waren vollgepropft mit Bereitschaftsautos.
Sie drängten sich noch in den übervollen Saal. Es hatte gerade begonnen.
Frauen mit roten Kopftüchern bildeten Spalier. Andere trugen rote Fahnen in den Saal und marschierten unter den Klängen der Internationale durch den Mittelgang. Alles stand auf und schaute begeistert auf den Aufmarsch, dem sich eine Reihe von Frauen anschlossen, auf deren Kopftüchern mit gelben Buchstaben gestickt stand: " EVBM." (Einheitsverband Berliner Metallarbeiter).
Käte war zum ersten Mal in ihrem Leben im Sportpalast. Zuerst war sie überwältigt von der Masse der Menschen, die sich unten und in den beiden Rängen drängten. Und dann begann sie zu fragen, Fritz merkte was er alles versäumt hatte. Er hatte ihr so gut wie nichts erzählt. So erzieht man keine Kämpferinnen, sondern höchstens stille Frauen, denen der Kochtopf die Welt bedeutet. Ja, da hatte er schwere Fehler gemacht. Aber er schwor sich, dass es besser werden sollte. Sie hatten auf der unteren Galerie einen Platz gefunden. Von dort konnten sie gut sehen. Und hören konnte man überall, weil ein Netz von Lautsprechern über den Riesensaal verteilt war. Zeitungshändler gingen herum. Fritz kaufte der Käte eine "Kämpferin". Sie musste ihm versprechen, sie aufmerksam zu lesen.
Und dann ging's los: Eine Arbeiterin von Siemens spricht. Sie schilderte die Ausbeutung im Betrieb. Käte lauscht. Geht sie das was an? Ist sie Metallarbeiterin? Sie guckt Fritz an. Der nickt ihr stumm zu: Es geht sie was an. Es ist dieselbe Sache wie im Warenhaus. Käte begreift natürlich die Zusammenhänge noch nicht. Man kann so etwas nicht auf den ersten Anhieb begreifen. Das erfordert lange Denkarbeit. So ein ganz kleines Fünkchen hat sie gefangen. Was sie nie für möglich gehalten hätte: die Reden interessieren sie. Es ist nicht so, wie wenn man die schweren Artikel lesen soll. Voll mit neuen Eindrücken hängt sich Käte in Fritzens Arm, als sie nachher mit dem großen Menschenstrom auf die Straße fließen. In die Untergrundbahn ist nicht hereinzukommen. So gehen sie ein Stück zu Fuß. Nollendorfplatz. Es ist heute leer. Die Bürger, die hier wohnen, sitzen jetzt beim Mittagessen, So pendeln sie weiter, die Kleiststraße hinauf. Die Schaufenster werden, je weiter sie sich dem Wittenbergplatz nähern, immer zahlreicher. Ein Friseurgeschäft: "Dauerwellen hier nur zehn Mark!
" Billig!" meint Knie. Aber sie hat die zehn Mark natürlich nicht. Blumen - Uhren - nochmals Blumen - Konfekt - eine kleine Konditorei. Sie bleiben gewissenhaft an allen Fenstern stehen und sehen sich die Herrlichkeiten an. An der Ecke ein Anzugladen. Feine Sache' Das billigste, was es in Berlin gibt, Pelzmäntel für 68 Mark. Ein Reklameschild: "Willst du im Leben vorwärts kommen, so muß1 du gut angezogen sein."
" Na schön," meint Fritz. "Vielleicht fallen ein paar Leute drauf rein. Ich hab schon viele Leute gesehen, die sind auch im besten Anzug nicht Fabrikdirektor geworden.
Kaufhaus des Westens. Billige Grammophone - Tassen für 12 Pfennig - Handschuhe für 35 Pfennig - billige Blusen alles da. bloß kein Geld. Schuhe dahinter und dann die Delikatessen, fein aufgebaut. Grapefruits - Stück 1,50 Mark. Salat, Viertelpfund 1,75 Mark. Es ist alles da. Und daneben bettelt ein Kriegsblinder.
Die Luft ist von Autogestank verpestet. Fritz zieht Käte weiter. "Komm raus aus dem Dreck Das ist nichts für uns. Das ist was für die Reichen. Schnell gingen sie durch die Straße der Luxuslokale hin zum Bahnhof Zoo, und für 2o Pfennig fuhren sie dann in die frische Luft. Mit ein paar hundert anderen stiegen sie aus dem Stadtbahnzug und verkrümelten sich schnei! auf kleinen Waldwegen, neben denen die hohen Kiefern standen wie preußische Grenadiere.
Kätes Kopf war noch voll von dem Gehörten. Und sie war glücklich darüber, dass Fritz mit ihr hinausgefahren war. Die Sonntage waren manchmal schauderhaft, wenn man zu Hause saß und auf Fritz wartete, bis der endlich von seinen Genossen kam. Sie nahm sich vor, in Zukunft lieber mitzugehen, dann konnte sie ihn schneller loseisen. So wie heule war es sehr schön: zuerst mit zur Parteiveranstaltung, dann zu zweien.
Sie kamen an einem kleinen See vorbei, wo sie einen geduldigen Angler beobachteten. An der Wegkreuzung stand ein Mann, der auf seiner Geige zittrige Töne hervorbrachte. Vor sich hatte er eine Mütze liegen, in die Vorübergehende ein paar Münzen geworfen hatten. Als sie schon weit weg von der Station waren, da setzten sie sich auf ein trockenes Rasenstück. Ein bisschen Herbstsonne machte es ganz gemütlich. Käte holte das Stullenpaket vor, und sie fingen an, ihr fürstliches Mittagessen zu verzehren. Sie hatte fein eingekauft. Auch eine Gurke hatte sie mitgebracht. Fritz legte sich lang und ließ es sich
schmecken. Er fand, dass er glänzend aufgehoben war. Beinahe wäre
er eingeschlafen. Da fing Käte an, zu erzählen: "Die war aber kolossal
böse!"
" Wer? " fragte Fritz und dachte, dass nun die Klage über Kätes Wirtin
wieder anfing.
" Na, die Frau, die vorhin gesprochen hat." "Welche Frau denn?" "Na, die von Siemens. "
Fritz überlegte, wo sie denn eine Frau von Siemens getroffen hatten. Schließlich ging ihm ein Licht auf, dass Kätes Gedanken sich mit den Reden im Sportpalast beschäftigten. Das freute ihn. Er sagte: "Na, haben wir denn keinen Grund dazu? " "Wieso wir? " meinte Käte.
" Wir? Die Proleten natürlich. Das ist doch überall dasselbe. Wir werden eben gedrückt, damit die anderen es fein haben." "Wieso denn? Bei uns ist das nicht so, Wir haben's ganz gut im Warenhaus. "


FORTSETZUNG 25.10.1931, Sonntag

"Was? Gut habt ihr's? " Fritz richtete sich erschüttert auf. "Nu mach aber gefälligst nen Punkt! Gut nennst du das? Du mit deinen achtzig Mark? Wenn's nicht Sonntag wäre, würde ich jetzt laut loslachen." "Du brauchst mich gar nicht auszulachen. Im Vergleich zu den Arbeiterinnen haben wir's gut, " erwiderte Käte trotzig. "Na schön. Also morgens gehst du da in deinen Steinbaukasten rein, mittags lassen sie dich ein bisschen raus, und dann musst du bis abends wieder drin sitzen. Gnädige Frau vorne - gnädige Frau hinten. Und alles für achtzig Mark. "
" Und die anderen kriegen auch nicht viel mehr und müssen immer hinter der Maschine stehen."
Pause. Dann fragt Fritz: "Sage mal, Käte, wenn du ein bisschen Geld hättest, was würdest du dann anstellen? " "Dann - dann - dann würde ich...."
" Ich meine, würdest du dann auch Verkäuferin spielen." "Ach, du bist wohl verrückt geworden? "
" Siehste! Ganz so schön scheints doch nicht zu sein, da mit dem ollen Zeisig oder Schneidig oder wie der Kerl heißt. Wenn du dich abends sehen könntest, wenn du aus deiner Bude kommst, würdest du erst wissen, wie dich der Betrieb kaputt macht. "
Er sah sie vor sich, wie sie aus dem großen Portal abends um Halbacht herauskommt. Sie und viele tausend andere Mädchen, die achtzig Mark im Monat nach Hause trugen. Und mit dieser Vorstellung
schlief er sachte ein.
Hoch oben in der Luft zog ein Drachen weite Kreise. Fritz und Käte guckten. Immer tiefer senkte sich der gewaltige Vogel. Jetzt kreiste er direkt über Fritzens Kopf, und - ließ plötzlich etwas fallen. Fritz war so verblüfft, dass er nicht fortlaufen konnte. Mit einem gewaltigen Klatsch sauste ihm das ganze auf die Nase.
Donnerwetter nicht noch mal! Und damit wachte er auf, während Käte sich totlachte, wie der Kienapfel von Fritzens Nase abprallte und auf den Boden fiel.
Fritz war noch ganz verschlafen und fand sich immer noch nicht ganz zurecht. Als er sich aber die Augen gerieben und ein paar Mal hinter die Ohren geboxt hatte, musste er mitlachen.
Sie standen schnell auf, machten sich sauber, denn alle möglichen Tannennadeln, Ameisen und sonstiges Waldzeug hatte sich in die Kleider verirrt. Dann zogen sie los.
In einer halben Stunde waren sie am Bahnhof. Der Zug kam gerade und sie stiegen ein.
" Das klappte gut, " meinte Fritz. "Ja, und was machen wir nun?" fragte Käte. "Ins Kino natürlich. " "Aber in welches. "
" Weiß ich nicht. Das werden wir schon sehen, wenn wir da sind. " "Wenn wir wo sind? "
" Weiß ich nicht. Wir steigen am Alex aus und dann gehen wir durch die Straßen und passen auf, was gespielt wird. " Nach einer halben Stunde kamen sie am Alex an.
Sie gingen durch die Straßen und sahen sich gewissenhaft die Kinoplakate an. "Nich so'n Quatsch!" meinte Käte, als sie vor den kleinen Kinos hielten. Aber als sie das Plakat sahen "Meine Frau, die Hochstaplerin", feingemalt bei einem großen Kino, da meinte sie, das sei nun kein Quatsch, und da wollten sie reingehen.
Die Karten kosteten Stück für Stück eine Mark. Aber sie wollten sich doch auch mal was leisten.
Innen war alles voll. Die Vorstellung hatte noch nicht angefangen. Vorläufig liefen Reklamebilder: "Nach der Vorstellung ins Restaurant Lucullus! " - "Seide kauft man am besten bei Schulze & Co. " - 'Versichert euer Leben!" -"Wenn ihr fürs Leben was gewinnen wollt, dann spielt in der Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie!" Dann ertönte der Gong, der rote Vorhang teilte sich, Fanfaren schmetterten, und man las: Ufa-Tonwoche. Nummer 1: Karl Severing begrüßt den Oberbürgermeister von Paris. Sie sprechen ein paar höfliche Worte miteinander. Der lange Sahm steht daneben. Sie sind alle aufgebaut wie zu Kaisers Geburtstag. Witzworte fliegen im Parkett herum. Zweites Bild: Der älteste Mann von Berlin. Der alte Bendix ist gerade hundert Jahre alt geworden. Zittrig lässt er sich auf einer Bank nieder. Sein zahnloser Mund öffnet sich und er spricht zum Publikum hinunter. Warum er wohl nicht zu Hause aufgenommen wurde? Ob der alte Mann eine so hässliche ärmliche Bude hat, dass man das nicht auf die Leinewand bringen will? Bild drei: Pferderennen.
Bild vier: Reichspräsident von Hindenburg empfängt ausländischen Besuch.
Bild fünf: Heiteres Völkchen im Zoologischen Garten. Bild sechs - - nein, Bild sechs gibt es gar nicht. Bild sechs müsste den Anfang des Winters für die Erwerbslosen zeigen. Bild sechs wird unterschlagen.
Und nun Micky-Maus. Man lacht sich krank. Micky-Maus hüpft sorglos durch die Gegend. Bei den Mäusen existiert der Ernst des Lebens nicht auch nicht bei diesen angeblich vermenschlichten Mäusen. Micky-Maus singt, Micky-Maus tanzt, Micky-Maus stolpert. Alles im Programm einbegriffen.
Das Licht geht an. Alles lacht noch. Fritz lacht auch. Und nun wird's wieder dunkel. Der Kinobesitzer beehrt sich, ein paar große Stars auf die Leinewand zu schicken, die als "kleine Leute" verkleidet sind. Er ist Bankbuchhalter mit 35o Mark im Monat, was nach Aussage des Filmautors ungeheuer wenig ist. Sie ist Hausfrau im möblierten Zimmer. Sie lieben sich entsetzlich. Aber sie sind arm. Und so gehen sie beide, Arm in Arm, in ein Gartenrestaurant mit Tanz. Es kommt zur Auseinandersetzung darüber, warum man sich nicht mal eine Spazierfahrt im Auto leisten kann. Ja, warum? Der Mann sagt es: weil sie kein Geld haben. 350 Mark im Monat sind "kein Geld". Die kleine Frau, die mindestens für 700 Mark angezogen ist, während sich bei dem Mann die Armut im Tragen einer Sportmütze statt eines Hutes dokumentiert, weiß Rat. Sie hält ein elegantes Auto auf der Landstraße an. Sie klagt dem Besitzer ihr Leid: "Unser Wagen ist gestohlen worden".
Der Mann nimmt sie mit. Er fragt gar nicht, als die Frau sich als Frau Bankdirektor vorstellt. Er glaubt es. Und, wie der Himmel so spielt, er braucht Kredite für seine Wurstfabrik. Hier hofft er sie zu bekommen.


FORTSETZUNG 27.10.1931, Dienstag

Die Sache verwirrt sich. Zur rechten Zeit tauchen die rechten Leute auf. Der Mostrichmagnat aus Amerika stützt die Wurstfabrik. Der Mann der Hochstaplerin bekommt seinen Direktorsposten und einen eleganten Wagen. Alles löst sich in Wohlgefallen auf. Käte ist begeistert. Fritz schimpft. "Das war richtiger Quatsch! Das
ist gerade gut genug, uns Proleten die Köpfe zu verkleistern!" "Wieso? " fragte Käte. "Das ist doch lustig. Darf man denn bei dir nie lachen? "
" Natürlich. Aber du musst wissen, dass das nicht stimmt. Dann darfst du sogar darüber lachen. Ist das vielleicht nicht komisch, dass da immer gerade die Millionäre kommen, um die jungen Leute glücklich zu machen? Wenn du dasselbe machst wie das Mädchen auf der Leinewand kommst du ins Zuchthaus. Wenn sie das macht, dann ist das Glück komplett. Nee, danke für Obst!"
Sie konnten sich darüber nicht einigen. Im Grunde ihres Herzens meinte Käte ja nun auch, dass in Wirklichkeit solche Sachen nicht passieren. Aber warum sollte man nicht mal den Alltag vergessen dürfen? Der war doch immer traurig genug. "Hunger!" brummte Fritz, "Ich auch!" meinte Käte.
" Wollen wir... wie viel Geld haben wir denn noch? " "Was wollen wir? Essen? Können wir doch bei mir machen." Gut. Sie gingen zu Käte. Auf dem Wege dorthin kauften sie sich eine Montagszeitung, die deshalb Montagszeitung heißt, weil sie Sonntags erscheint.
Oben zog sich Fritz erst mal die Jacke aus. Er musste die Arme frei haben, dann krämpelte er sich auch die Hemdsärmel hoch. Dann schritt er wie ein Menschenfresser auf Käte los und streckte die Hände nach ihr aus. Die hatte aber gar keine Angst und blieb stehen, ja, sie kam ihm sogar ein paar Schritte entgegen. Dann legten sie die Arme umeinander und drückten mit ziemlicher Heftigkeit ihre Münder aufeinander. Nachdem sie das hinreichend oft gemacht hatten, meinte Käte: "Genug, ich muss jetzt Abendbrot machen. Sonst verhungern wir noch beide. "
Sie ging hinaus. Fritz setzte sich schmunzelnd aufs Sofa und entfaltete die Zeitung: "Karl-Liebknecht-Haus besetzt - Polizei sucht nach Sprengstoff". Was war los? Ein paar Leute sollten je zwei Koffer mit je dreiviertel Zentner Dynamit gefunden haben, das Kommunisten mit der Bahn angefahren haben sollten. Wo? Das wurde nicht gesagt. Wer? Das wurde nicht gesagt. Aber dass es so war, das wurde behauptet, und die ganze Presse druckte es nach. Das Karl-Liebknecht-Haus war besetzt. Wie lange? Fraglich.
Fritz brummte. Er ballerte mit der Faust auf den Tisch, dass beinahe die leere Blumenvase umgeflogen wäre. Dann ging er mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Dass die Polizei ebenso wenig finden würde wie sonst, das war ihm sofort klar. Aber wozu diese dauernden Haussuchungen? Na, man konnte sich's ja denken. Morgen würde man mehr hören und sehen.. Käte kam wieder mit einem Tischtuch und ein paar Tellern auf einem Tablett. "Soll ich Tee kochen? "
" Mir egal, ob das Wasser heiß oder kalt und braun oder farblos ist. " "Aber Fritz, beleidige meinen Tee nicht. Wenn ich ihn koche, dann schmeckt er bestimmt. "
" Also dann, junge Frau, dann koch in Himmels Namen Tee. Aber bleibe nicht so lange in der Küche. Das ist keine Art und Weise, dass die Frau in der Küche sitzt, wenn der Mann den Salon bevölkert. Oder soll ich mitkommen? "
" Um Gottes Willen, in die Küche? Nicht in die Tüte! Da wirtschaftet doch die Frau Sänger dauernd rum. Die fängt bloß an zu pöbeln. Ist ja auch schrecklich, wenn ich mal ihre Teller und Messer abnutze. Kannst du ihr das verdenken? "
" Kann ich ihr, Käte. Man müsste der ollen Ziege mal den ganzen Laden ein bisschen zertöppern. "
" Nein, Fritz, das ist Quatsch. Das solltest du am wenigsten sagen. Die Frau kann sich sowieso nichts kaufen. Die verdient doch nichts mit ihrem bisschen Vermieten und Reinemachen. "
" Na, schön, dann werden wir den Laden vorläufig noch stehen lassen und keine Teller vermöbeln."
Trotzdem das ja nun eigentlich gar kein Grund war, ging Fritz wieder auf das Mädel zu und schloss sie kräftig und lange in ihre Arme. "Dadrum keine Feindschaft nicht!" meinte er in einer Atempause. Dann küssten sie sich wieder, so mit einem richtigen Sonntagnachmittagsausgehkuss. Fritz hielt sein Mädel ganz fest. Und dann fragte er: "Warum stehst du denn eigentlich noch hier rum. Mach doch, dass du in die Küche kommst, damit das Teewasser nicht anbrennt. " Schließlich dampfte der Tee auf dem Tisch. Fritz und Käte saßen auf dem Sofa nebeneinander. Wegen der Gemütlichkeit. Trotzdem dieses gichtbrüchige Möbel eigentlich viel unbequemer war als ein Stuhl. Aber auf einem Stuhl kann man schlecht nebeneinander sitzen. Auf einem Teller lag ein Ende Jagdwurst. Daneben war der Harzer, der schon richtig ins Rollen kam. Margarine und Brot, für jeden ein Ei und ein bisschen italienischer Salat mit einer Scheibe Gurke drauf. Fritz ließ sich das nicht zweimal sagen. Er langte zu. Mit vollen Backen wandte er sich an seine Nachbarin und lächelte ihr zu, was ihn aber nicht hinderte, einen neuen Bissen in die Höhle zu schieben. Dann fragte er: "Weißt du, wen ich neulich getroffen habe? " "Nein, woher soll ich denn das wissen? " "Die Grete!"
" Welche Grete? Kenn ich nicht."
" Na, die aus der Schraubenabteilung, die vor einem halben Jahr mit rausgeflogen ist".
" Keinen Dunst. Hast du mir nie erzählt." "Weißt du, die bei uns immer Langbein geheißen hat... "
" Ach die, deine alte Liebe? Na, bleib mir mit der weg. Das muss ja ein nettes Pflänzchen sein."
Fritz knabberte seine Lippen, während er sich eine neue Stulle schmierte. Dann meinte er: "Weißt du, ich brauchte es di ja gar nicht zu erzählen, wenn du gleich losschimpfst. Dem Mädel geht es sehr schlecht " "Wieso? Hat sie keine Arbeit? "
" Arbeit? Na ja, gelegentlich. Aber so lala. Die steht nämlich in der Münzstraße. "
" Mit Obst? " fragte Käte interessiert.
" Obst kann man das ja nun eigentlich nicht nennen, was sie da verkauft. Es ist ihr wohl nichts anderes übrig geblieben. Sie geht auf den Strich."


FORTSETZUNG 28.10.1931, Mittwoch

Nun war's raus. Aber Käte fuhr auf: "Was, und mit der stellst du dich auf die Straße? Na, das hätte ich von dir nicht gedacht. Ich muss mich da abschuften mit den ollen Stoffen und du liest dir inzwischen die Straßenmädchen auf. Pfui Teufel!"
Fritz versuchte, sie zu beruhigen. Er traute sich nicht mehr, zu sagen, dass er Grete sogar versprochen hatte, sich mit ihr zu treffen. Nur erst mal erklären, warum es dem Mädel so schlecht geht und dass er gar nichts von ihr will. Dass er ihr nur ein bisschen helfen will, wenn's geht Und er hatte sogar gedacht, dass Käte mitmachen würde. Na, da musste man eben die Diskussion auf später verschieben und sich damit begnügen, Schritt für Schritt ein paar Vorurteile auszumerzen. Das Essen war fertig. Nur die Teekanne und die beiden Tassen blieben auf dem Tisch. Die Uhr ging auf zehn. Fritz und Käte waren damit beschäftigt, sich gegenseitig zu versichern, dass die Tage, an denen sie ungestört Zusammensein konnten, die schönsten waren. Und da sie jung aber doch erwachsen genug waren, wollten sie wieder einmal die Konsequenzen aus der Tatsache ziehen, dass sie sich schrecklich lieb hatten. Käte streifte sich ihr Kleid herunter. Fritz half ihr dabei. Beide strahlten.
Da, als ob es so sein müsste, klopfte es an die Tür: "Fräulein Freisler, es ist zehn!"
" Wissen wir!" brüllte Fritz zurück. "Na, dann richten Sie sich gefälligst auch danach!"
Schritte schlurften in die Küche zurück. Käte saß auf dem Bettrand und weinte. "Warum weinst du denn, Kindchen? Wer hat dir denn was getan?" Käte hörte auf zu weinen. "Es ist zum Kotzen!" meinte sie wütend. "immer diese Frau Sänger. Und ist's die nicht, dann heißt sie Schulze oder Müller oder Lehmann. Nicht ein bisschen glücklich soll man sein, wenn's nach diesen Spießern ginge. Ach, wenn man doch eine Wohnung hätte, wo einem keine Wirtin dazwischenquatschen kann. " "Ja", erwiderte Fritz. "Bis zehn Uhr ist's moralisch. Nach zehn ist's zwar dasselbe, aber es ist unmoralisch. Komm, mach dir nichts draus. Zieh dich wieder an... so... auch das Mäntelchen... so und nun gehen wir ein paar Ecken weiter in das hochfeudal möblierte Gelass des Herrn Fritz Kruse, dessen Wirtin schon langsam vernünftig geworden ist." Sie tappten, eng umschlungen, die Treppen hinunter und gingen durch den kühlen Abend, zwischen müden, abamüsierten Menschen hindurch in Fritzens Bude.


8. KAPITEL

Rrrrr....rrrrr....
Der Wecker rasselt vor Fritzens Ohren. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis die Schläfer munter wurden. Käte drehte sich um. Sie wollte nichts vom Aufstehen wissen. Aber Fritz ziepte sie so lange bei den Haaren, bis sie wach war.
Dann sprang er aus dem Bett und unterzog sich der täglichen Reinigungs- und Erfrischungsprozedur. Käte musste nun auch heraus. Bald waren sie angezogen. Käte ging nach Haus. Fritz trollte sich zur Straßenbahn. Er hatte sich mit Alex an der Haltestelle verabredet. Diesmal hatten sie die Betriebszeitungen dort gelassen. Es durfte nicht wieder was damit passieren. Sie teilten sich die Blätter, und jeder hatte nun eine dicke Mappe voll zu tragen.
Fritz fragte: "Hast du was gehört? Das K.-L.-Haus ist besetzt worden!? "
" Ja, ist besetzt", antwortete Alex. "Die haben angeblich irgendwo Sprengstoff gefunden. Sprengstoff in Mengen. Lauter Dynamit in Koffern. Und jetzt wird wieder der Zusammenhang hergestellt zwischen dem Dynamit und den Kommunisten." "Haben sie denn was gefunden? "
" Ach, was sollen sie denn finden? Irgendein Mann, den sie wohl von Dreiundzwanzig her kennen, ist verhaftet worden. Bei den Abgeordneten haben sie gesucht. Immunität ist ja nichts für Kommunisten. Aber gefunden haben sie nichts."
" Na ja, wo nichts ist, da kann man auch nichts finden. Aber die Bürger und die SPD. -' die werden die Sache schon richtig aufbauschen." Sie fuhren weiter. Die Elektrische war noch ganz leer. Jetzt hielten sie die Zeitungen ganz fest.
Alex erzählte: "Ich war gestern Unter den Linden. Da fuhr der Oberfaschist vorbei - - wie heißt er doch gleich? " "Hitler?"
" Nee, der Italiener, der gerade hier zu Besuch ist bei Brüningen. . "Ach, Grandi!"
" Ja, der war's. Mensch, aber Polizei war da auf den Beinen. An jeder Haustür standen ein paar. Der muss doch bannige Angst haben. "
" Muss wohl so sein", meinte Fritz.
Inzwischen waren sie angekommen. Sie stiegen aus, und vom Vorderperron kam einer von den erwerbslosen Genossen gekrabbelt, der die Betriebszeitungen verkaufen sollte. Sie hatten sich diesmal einen richtigen Schlachtplan gemacht, damit auch alle Eingänge genügend besetzt waren. Vorläufig kam alle Nase lang ein Arbeiter. Er ließ sich Zeit, denn es war ja erst Halbsieben. Fünf Minuten später liefen die drei anderen Genossen zusammen. Sie nahmen ihre Zeitungen in Empfang, jeder 75 Stück, das Stück zu 5 Pfennig. Dann verteilten sie sich auf die Eingänge.
Mittlerweile war es dreiviertel geworden. Gerade setzte die Uhr zum Schlagen an. Da klingelte an der Ecke die Elektrische, die schon voll besetzt war mit Arbeitern. Jetzt ging's los! "Die Walze! - Heute neu!-Fünf Pfennig! - Hochinteressantes Material aus dem Betrieb! - Die Amerikareise des Generaldirektors! - Warum sollen wir streiken? -Die neue Lohnabbauwelle! - Die Walze! - Heute neu! - Fünf Pfennig! -Sechs Seiten!"
Alles kaufte. Manche sahen sich dabei vorsichtig um. Der Portier hing am Telefon. Alex machte Fritz darauf aufmerksam. "Pass auf, gleich werden sie kommen - tatütata - na, wir haben ja schon die meisten verkauft. "
" Die kommen nicht. Die haben mit Grandi alle Hände voll zu tun. " "Die Walze - fünf Pfennig - "
" Nächstesmal können wir wieder fünfzig mehr machen. " "Machen wir", sagte Fritz.
Dann gingen sie beide mit dem Glockenschlag in die Metallbude rein, zogen sich um und rückten zur Schraubenabteilung ab. Vorher bog Alex zum Walzwerk ein.
Heute würde es ja eine tolle Diskussion geben. Das war saftiges Material in der neuen Betriebszeitung. Viele sprachen schon darüber. Aber man musste vorsichtig sein.


FORTSETZUNG 29..10.1931 Donnerstag

Als sie zwei Stunden gearbeitet hatten, kam einer vom Betriebsrat vorbei: "Bei Borsig wird gestreikt!"
" Was? " Fritz drehte sich um, während die Maschine Ausschuss machte. "Was? Weswegen?"
" Pst! Bloß die Reparaturwerkstatt. Da streiken sie gegen den Abbau. Es geht schon los. Von den D-Werken hört man auch so was. Das wissen wir aber noch nicht genau!"
Fritz wollte Hurra schreien. Aber er verkniff es sich. Wieder wendete er sich seiner Maschine zu und arbeitete jetzt so mächtig drauf los, als wenn er dächte, dass so die Zeit schneller zu Ende wäre bis zur Pause, wo man mehr erfahren würde.
Also bei Borsig und in den D-Werken! Das war keine Kleinigkeit. Wenn's bloß erst Halbelf wäre !
Fritz arbeitete und arbeitete. Dazwischen flüsterte er die Neuigkeit weiter. Wieder senkte sich die fieberhafte Unruhe über die große Halle. Alles wollte mehr wissen. Aber Fritz selbst wusste ja nicht mehr.
Er dachte: Morgen die Betriebsversammlung wird bestimmt voll. Da kann man sich drauf verlassen. Endlich ist Pause.
Die ganze Belegschaft ist in Aufregung. Niemand weiß etwas Genaues. Aber alle sind von neuem Geist erfüllt. Die Müdigkeit des grauen Elends ist gewichen. Borsig und die D-Werke! Donnerwetter. Die haben's gemacht. Ob wir es auch schaffen? Ruhig Blut. Natürlich werden wir es auch schaffen. "Aber erst müssen wir beim Verband anfragen, ob der den Streik sanktioniert. "
" Was heißt Verband anfragen? Wir werden das allein entscheiden können. "
" Man muss eine einheitliche Leitung wählen. " "Einen Kampfausschuss. "
So schwirrte es durcheinander. Manche wären am liebsten schon heute in Streik getreten. Andere zögerten noch. Einige wenige wollten nichts unternehmen.
Fritz sah, wie man die Situation ausnutzen müsste. Er gab die Parole aus: Heute abend eine Betriebsversammlung.
Das war eine gewagte Sache. Alles war für morgen vorbereitet worden. Ob die Referenten heute abend kommen könnten? Aber er musste es riskieren. Wer weiß, wie morgen die Lage ist. Er wollte das Eisen schmieden solange es noch heiß ist.
Bei der großen Mittagspause musste er alles umorganisieren. Er verständigte sich mit Alex, der die anderen bearbeiten sollte. Er selbst raste zum UB. , um von der veränderten Situation zu berichten. Dort erfuhr er auch genaueres über den Streik. Er war schon beendet. Die Direktion wollte die Akkorde herabsetzen. Die Arbeiter der Reparaturwerkstatt antworteten mit Streik. Wie ein Mann standen sie geschlossen. Der ganze Betrieb kam in Unordnung. Nach einer Stunde wollte die Direktion die Akkorde nur um halb soviel kürzen wie zuerst. Aber der rote Betriebsrat sagte: wir sind keine Bonzen vom DMB., die dann der Belegschaft sagen, seht, wir haben nur eine halbe Lohnkürzung für euch erkämpft. Seid dankbar und nehmt sie an. Nein! Wir fordern: keinen Pfennig Lohnraub!
Als die Belegschaft von dem Vorschlag der Direktion hörte, billigte sie einstimmig die Haltung des Betriebsrates. Der Betrieb wurde immer unregelmäßiger. Die Arbeit kam nicht vorwärts. Überall Stockungen. Und in den übrigen Abteilungen wurde die Stimmung immer streikreifer. Da gab die Direktion nach und erklärte sich bereit, die alten Akkorde weiter zu bezahlen.
Gesang der Internationale. Und von neuem ging es an die Arbeit. Die Arbeiter waren stolz auf ihre feste Haltung. Jetzt würden sie es immer so machen. Sie hatten jetzt gesehen, dass es geht, dass Streik die einzig richtige Antwort auf die Lohnabbauoffensive der Unternehmer ist. Fritz hörte mit offenem Mund und glotzenden Augen zu. Großartig. Das wird er heute abend berichten.
" Rot Front!" Und damit zog er ab. Zurück in den Betrieb. Er kam gerade noch zurecht. Mittag hatte er keins gegessen. Aber es ging auch ohne das. Die Arbeit ging schnell vorwärts. Keine elende Langeweile bei größter Anstrengung von Körper und Nerven. Die Arbeit machte beinahe Spaß.
Das würde eine feine Versammlung heute abend werden. Nach einiger Zeit traf er Alex, dem er ein Zeichen gegeben hatte, auf dem Lokus.
Der berichtete, dass die Stimmung glänzend ist. "Da wird heute abend keiner fehlen. Das kann ich dir sagen. "
Fritz klopfte ihm auf die Schulter: "Mensch, weißt du auch, dass der Streik bei D. schon zu Ende ist? Gesiegt haben sie. In zwei Stunden hatten sie die Direktion klein. Die alten Akkorde bleiben in Kraft. " Da kam auch der Meister, der sonst wenig Bedürfnisse mit ihnen gemeinsam hatte, und sie mussten sich nun der Angelegenheit widmen, um deren sie scheinbar heruntergekommen waren.
Oben angekommen ging Fritz wieder an die Arbeit. Der alte Knorr neben ihm flüsterte ihm zu. "Mensch, ick fühl mir 20 Jahre jünger. Das is ne Stimmung. Wie damals." Fritz nickte nur, und seine Hände gingen noch mals so schnell wie sonst.


9. KAPITEL

Die Sirene heulte. Arbeitsschluss.
Sie kamen in Scharen. Abteilungsweise. Keiner fehlte. Nicht einmal der Kaspar, dessen Alte heute früh "eines Knäbleins genesen war", wie Franz, der Witzbold, es ausdrückte.
Dicht gedrängt standen und saßen sie da. Die Stimmung war glänzend. Als der Referent nicht gleich erschien, wurden sie ungeduldig und wollten von sich aus beginnen.
Alex eröffnete die Versammlung und gab Fritz als erstem das Wort, damit er über die Streiklage bei Borsig und in den D-Werken berichten sollte.
Fritz begann zu erzählen. Oft wurde er von Beifall unterbrochen. Als er zum Schluss kam, und von dem Sieg erzählte, da standen sie alle auf
und klatschten und schrieen durcheinander.
Mittlerweile war auch der Referent gekommen. Fritz erzählte ihm kurz, was er eben gesprochen hatte, während Alex ein paar Worte über die Situation im Betrieb sprach.
Als Alex fertig war, gab er dem Referenten das Wort. Zuerst waren die Proleten etwas enttäuscht darüber, dass er nicht gleich auf den Streik zu sprechen kam. Denn er begann zunächst mit einem allgemeinen Referat über die Lage der Metallindustrie in Berlin. Dann aber sahen sie, dass er gute Argumente, die man später brauchen könnte, vorbrachte. 14 Prozent letzte Dividende von Siemens. Riesengehälter bei der AEG. Metallarbeiterlöhne nur 60 Prozent der amtlich berechneten Lebenshaltungskosten und anderes mehr.


FORTSETZUNG 30.10.1931, Freitag

Dann wurde das Referat immer konkreter. Er kam auf die Taktik der Unternehmer im gegenwärtigen Metallarbeiterkampf zu sprechen. Auf Streikstrategie und Streiktaktik im gegenwärtigen Zeitpunkt. Wie und wann soll man losschlagen? Wie betreibt man Streikvorbereitungen9 Was ist ein Kampfausschuss? Und was soll ein Kampfausschuss tun? Alle lauschten gespannt. Jetzt kam er wirklich zur Sache. Jetzt hatte jeder von ihnen etwas zu lernen. Jetzt musste jeder von ihnen aufpassen, damit der Streik später zu einem vollen Erfolg werde. Der Referent wurde immer eifriger. Und alle hörten zu, vom alten Knorr, der zugleich in Erinnerungen an vor zwanzig Jahren schwelgte, bis zu Kappel, dem Reformisten.
Er schloss die Rede mit der Aufforderung zur Bildung eines Kampfausschusses. Fritz übernahm jetzt die Versammlung und forderte zum Bei tritt in den Kampfausschuss auf. Wer wollte mitmachen? Streiken. Ja, das war was anderes. Wenn die anderen streikten, dann konnte man auch streiken. Aber als einzelner in den Kampfausschuss? Das war riskant.
Fritz hatte das nicht erwartet. Aber er versuchte die Situation zu retten. Er erklärte zuerst, dass natürlich er selber mitmachen würde. Dan sagte Alex, dass er natürlich auch mitmacht.
Der Referent wollte gerade eingreifen, als sich der alte Knorr meldete. Er sagte, er habe zwar Familie und er würde ganz sicher keine Arbeit mehr bekommen, wenn er fliegt. Aber es sei jetzt an der Zeit, loszuschlagen und nicht mehr wie bisher alles hinzunehmen, einen Lohnabbau nach dem anderen.
Die anderen waren sehr erstaunt über die Meldung von Knorr. Das schlug ein. Nach ihm meldete sich ein junger SPD-Arbeiter, dann noch einer und zwei Parteilose. Als die Wahl fertig war, sprach Alex noch ein paar Schlussworte und dann nahm die Versammlung eine Resolution an, in der beschlossen wurde, gegen jeden Pfennig Lohnraub zu streiken und dem Kampfausschuss aufzutragen, mittlerweile alle Streikvorbereitungen zu treffen. Der Kampfausschuss zog sich sogleich zu einer Beratung zurück. Als sie sich zwei Stunden später trennten, drückte Fritz die Hand des alten Knorr, denn dieser hatte die Situation gerettet, als er dem Kampfausschuss beitrat.


10. KAPITEL

Fritz war müde. Fritz war vergnügt. Das wäre geschafft, schneller und besser, als man glaubte. Nun trank er - zur Belohnung, wie er sagte - mit Alex eine Molle. Dann fuhren sie nach Hause. An der Münzstraße kletterten sie runter. Die Uhr war gerade Sieben vorbei. "Pass mal auf, Alex, " sagte Fritz. "Geh du mal rauf, ich komme nach. Ich will erst noch die Käte abholen. Das arme Mädel muss sonst wieder den ganzen Abend alleine rumsitzen. Gemacht?"
Er ging schnell zum Alexanderplatz vor und stellte sich an der gewohnten Stelle auf. Bald kam Käte. Sie wollte zuerst nicht mitgehen. "Brauchst, dich nicht zu genieren", sagte Fritz. "Die fressen dich nicht auf. Wir sind alle friedlich, wenn so ein Mädel kommt wie du. " Schließlich ließ sie sich mitziehen. Im Vorraum wurde sie abgesetzt, während Fritz hineinging, um mit Alex Bericht zu geben und darüber zu sprechen, was nun gemacht werden sollte.
Käte sah sich schüchtern um. Es kamen und gingen Arbeiter und Arbeiterinnen. Sie meldeten sich an, wurden in die Zimmer geholt gingen wieder. Sie waren alle sehr eifrig. Man sah es ihnen an. Doch das Gucken wurde auf die Dauer langweilig. Sie sah sich also die Zeitungen an, die da herumhingen und herumlagen. Gewerkschaftsorgane waren es hauptsächlich. Die interessierten sie nicht. Aber dazwischen hing die "Rote Fahne". Die angelte sie sich vom Haken. "Japanischer Schritt gegen die Sowjetunion. " Na schön, dachte Käte. Das ist weit von hier.
Dann las sie: "Wahlniederlage der Sozialdemokratie in England. " Das interessierte sie auch nicht besonders.
Sie blätterte weiter. Über die Karikatur auf der zweiten Seite musste sie nun doch lachen, trotzdem sie sie nicht ganz zu verstehen glaubte. Darunter: "Lügenhetze gegen die Kommunisten. " Das war ja beinahe unglaublich. Ob das Alles stimmte? Sie wollte das doch gelegentlich mal kontrollieren.
Ü ber die Löhne der Metallarbeiter war dann ein langer Artikel drin. Das wollte sie sich lieber von Fritz erzählen lassen. Lesen - da konnte man immer viel schwerer verstehen als beim Erzählen. Wieder blätterte sie um. Da sah sie unter dem Strich den Roman. Na ja, endlich was zum Lesen für sie. "Die letzten Tage von...." Von K. Olectiv. Komischer Name! 11. Fortsetzung. Sie las: "Als sie zwei Stunden gearbeitet hatten, kam einer vom Betriebsrat vorbei: Bei Borsig wird gestreikt!
Nanu, dachte Käte. Das war doch erst gestern. Das ist ja, als wenn der Romanschreiber das schon gewusst hätte.
Sie las weiter. Die Hauptrolle spielte ein Metallarbeiter mit Namen Fritz. Der verkaufte Betriebszeitungen. Genau das, was Fritz gestern gemacht hatte. Und dann die Käte aus dem Warenhaus. Das war doch
sie selber! Erstaunliche Sache!
Da kam Fritz heraus, mitten zwischen Alex und dem Sekretär des Roten Metallarbeiterverbandes. "Komm, Käte, ich habe Hunger. " Aber Käte wollte erst fertig lesen.
" Nanu ', sagte Fritz. Auf einmal bist du so scharf aufs Lesen? Und noch dazu die "Fahne" ! Natürlich der Roman." Ein bisschen verächtlich klang das. "Ja, hast du den heute schon gelesen? " fragte Käte.
" Nee. so'n Zeug lese ich nicht. Dazu habe ich keine Zeit".
" Schade, ich wollte dich gerade was fragen." "Und das wäre? "
" Hier steht immer was von Fritz und Käte und Alex und dem Metallarbeiterstreik und Betriebszeitungen und Betriebsversammlung. Das ist so, als wenn der Mann, der das geschrieben hat, alles schon gewusst hätte, was da passieren wird, aber auf den Tag genau. " "Das müsste aber ein merkwürdiger Zufall sein!", meinte Fritz. "Zeig mal her!" Er las die ersten paar Zeilen. Dann rief er ganz erstaunt: "Herrschaften, das ist doch gestern erst passiert! Na, son Zufall!" Aber der Genosse Sekretär wusste schon Bescheid: "Das ist gar kein Zufall. Das ist Absicht. Die Zeitung soll doch nicht bloß so Vergangenheitsromane und solches falscherfundenes Zeug bringen. Entweder Schilderungen von vergangenen Ereignissen, aus denen man was lernen kann, oder warum soll man's nicht mal dass da einer jeden Tag ausgerechnet eine Fortsetzung schreibt."


FORTSETZUNG 31. 10. 1931, Samstag

Die Drei sperrten die Mäuler auf. Aber der Genosse sprach weiter: "Das ist schon oft gemacht worden, von Balzac und Dumas, den großen Franzosen. Die haben Sensationsromane auf diese Weise geschrieben. Aber wir wollen keine Sensationsromane. Wir wollten mal einen Tagesroman für unsere Zeitung. Ja, ja, die Sachen werden täglich geschrieben. Jeden Tag eine Fortsetzung. " Fritz kratzte sich den Kopf: "Denn muss man das direkt mal lesen. Das
ist ja komisch. Aber wer macht denn das? Der kann doch mal krank werden. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass da Einer jeden Tag ausgerechnet eine Fortsetzung schreibt. "
" Nee, ist auch nicht Einer. Guckt euch doch mal den Namen richtig an: K. Olectiv. Das heißt, richtig gelesen, Kollektiv. Das hier ist der erste Kollektivroman außerhalb der Sowjetunion. "
" Donnerwetter!" sagte Fritz. "Das ist aber praktisch." Und Käte war begeistert. Sie als Romanfigur. Sie, eines der Tausende von Warenhausmädeln, als Hauptfigur eines Romans. Das wollte sie nun doch von Anfang an lesen. Fritz musste ihr versprechen, ihr die Nummer von Anfang an herauszusuchen.
Sie ging vorsichtshalber gleich mit zu ihm, um sie sich herauszusuchen Für den Rest des Abends war sie dann eine schlechte Gesellschafterin. Sie musste alles lesen, und zwar ganz genau. Schließlich maulte Fritz. Und dann musste sie ihm vorlesen. Sie war gerade an der Stelle, an der sie die erste Betriebszeitung machten. Sie las vor. "Quatsch!", sagte Fritz, "so war's nicht. So ähnlich - ja. Aber nicht so geheimnisvoll. Da sind sie wieder mal in die alten Romanfehler verfallen. " "Das finde ich aber nicht richtig, " meinte Käte. "Wenn man schon so einen Roman schreibt, dann müssen die Sachen stimmen. " "Na, du kannst dich ja darüber beschweren. " "Bei wem denn? "
" Bei der Redaktion! Schreibst einfach einen Brief, dass du den Roman liest, und dass da nicht alles stimmt. Damit hilfst du gleich, besser machen, nicht wahr? "
" Ja, das muss man eigentlich machen, " sagte Käte. Und dann las sie weiter.
Käte stand an ihrem Tisch. Sie hatte gerade ein paar Meter verkauft, und im Augenblick war kein Kunde da. Das Geschäft ging im ganzen jämmerlich. Aber da immer mehr Kolleginnen entlassen wurden, hatte jede einzelne mehr als vorher zu tun.
Herr Schneidig näherte sich mit dem Kollegen Goldstrom Kätes Tisch. Lässig stand er da, den rechten Ellenbogen auf die Glasplatte gestützt, die linke Hand in der Tasche.
" Ja, Goldstrom, man wird jetzt das Weihnachtsgeschäft bald vorbereiten müssen. Das wird wieder schön zu tun geben. Tausende werden wieder kommen. Aber ob einer was kaufen wird? "
" Na, so schlimm wird es ja nicht werden. Vor allem, Schneidig, müssen wir wieder gute Reklame machen. " "Sie meinen die Preisherabsetzungen? " "Ja, die meine ich. Sie wissen ja, die alten Tricks." Käte kam näher, um etwas zu suchen. De beiden schoben ab. Es waren ja keine Geheimnisse, die sie ausplauderten. Aber es war nicht nötig, dass jemand vom "unteren Personal" zuhörte, was sie sprachen.
Da kam eine Kundin, und Kate war beschäftigt. Das alte Spiel begann von neuem. Gnädige Frau... Ja, bitte schön... usw. Schneidig und Goldstrom gingen hinunter zum Essraum für das "bessere Personal" und setzten da ihre Unterhaltung fort.
Von dem Weihnachtsgeschäft kamen sie auf die notwendigen Neueinstellungen. Ob man die Frieda wieder nehmen sollte. Goldstrom war dagegen, denn sie hatte ihm beim letzten Male Schwierigkeiten gemacht. Selbst mit einem Kinobillet war sie nicht mehr zu haben. Die hatte jetzt da irgendeinen Freund. Der soll ihr nur aushelfen. "Ja, und die Hanna, " fiel Goldstrom wieder ein und machte selig verzückte Augen. "Wenn ich da an letztes Jahr denke. Die hat's in sich. " "Unsere Weihnachtsvorbereitungen", schmunzelte Schneidig. " Wir können nicht früh genug damit beginnen. Wir wollen doch morgen eine Liste der Kandidatinnen zusammenstellen. Die Kartothek ist doch noch da?"
" Natürlich, unten im Personalbüro. Wir müssen nachher mal eine erste Durchsicht machen. "
Beide schmunzelten. Man muss doch auch seine Weihnachtsfreude haben. Sie aßen noch einen Nachtisch - Grießflammerie mit Himbeersoße -und dann gingen sie wieder an ihre Arbeit.
Als Schneidig in sein Revier gekommen war, sah er Kätie halb verborgen hinter einem Riesenhaufen von Stoffen. Davor eine spindeldürre Dame mit Püffchen. Ein langes enges Kleid. Sie sah wie ein Ofenrohr aus.
Als Schneidig die beiden zusammen sah, ärgerte er sich wieder, dass er die Käte noch nicht rum hatte. Aber es würde noch alles klappen. Bis nach Weihnachten hat es ja noch Zeit. Bis dahin wird er wohl versorgt sein. Aber danach heißt es biegen oder brechen. Entweder sie gibt nach, oder sie fliegt. Irgend etwas lässt sich ihr schon nachweisen. Er wollte nicht Schneidig heißen, wenn er das nicht fertig brachte.
Aber vorläufig.... Nun wie gesagt.....
Hochgereckt ging er an ihr vorbei, sie still überprüfend. Käte war viel zu beschäftigt mit den Kunden, die sich jetzt um sie drängten, um Schneidig zu beachten. Herauf auf die Leiter und wieder herunter. Erst diesen Stoff, dann diesen. Erst Stoff für Kindermäntel, dann für ein Nachmittagskleid. So ging es unaufhörlich. Und so wird es auch bis zum Abend gehen.
Und dann. Ja dann würde Fritz unten stehen und sie abholen. Aber sie durfte nicht daran denken, sonst wurden die Kunden unzufrieden. Mit einem Ruck schüttelte sie alle Gedanken an heute abend ab und widmete sich ganz ihren Kunden, wie es die gute und solide Verkäuferin eines Warenhauses tun soll. Währenddessen durchwanderte Herr Schneidig sein Gebiet wachsamen Auges, dass alles gut funktionierte.
Und Herr Goldstrom tat genau wie Herr Schneidig eine Abteilung weiter.
Es herrschte Hochbetrieb und keiner hatte mehr viel Zeit für Nebengedanken.


FORTSETZUNG 1.11.1931, Sonntag
11. KAPITEL

Fritz kam aus dem Betrieb. Man hatte diskutiert. Man hatte fast ausschließlich über die Versammlung gesprochen. Ein paar Leute fingen vom Sechstagerennen an. Diese Kollegen sahen müde und übernächtigt aus. Sie hatten den Start mitgemacht und dafür drei Mark geopfert und sich nicht ausschlafen können. Aber sie waren begeistert. Die meisten wollten nichts davon wissen. Sie hatten allmählich gemerkt, dass es wichtigere Sachen auf dieser Erde zu diskutieren gab. Fritz hatte absichtlich groß die Zeitung auf den Tisch gelegt. Da stand drüber: "Sowjetunion erhöht die Metallarbeiterlöhne um 23, 5 Prozent!" Ein Ausrufungszeichen dahinter. Na, das war auch ein fettes Ausrufungszeichen wert. Hier rüstet man zum Abbau, immer wieder und immer wieder. Drüben erhöht man in einem fort die Löhne. Ihr könnt euch denken, wie darüber gesprochen wurde. Einer zweifelte, jener staunte, ein anderer war begeistert. Jeder beschäftigte sich mit dieser Frage. Fritz hatte heute nicht viel reden müssen. Diese Sache sprach für sich.
Andere wieder wussten, dass die Entscheidung über den neuen Lohnabbau bis um 14 Tage verschoben worden sei. Man brauche also die Streikvorbereitungen nicht sehr zu forcieren. Aber dem fuhren ein paar Kollegen übers Maul, dass die Funken sprühten. Von allen Seiten hagelte es: "Du denkst woll, nu können wir wieder einschlafen? Wie? " Ein anderer: "Und rückwirkende Lohnsenkung - davon haste wohl noch nie was gehört? " - Noch einer: "Nu, erst recht! Wenn die Unternehmer in der Verteidigung sind, dann müssen wir vorstoßen. Dann gehts noch mal so gut. "
" Recht hat er!" meinten die meisten. Und dann gingen sie wieder an die Arbeit.
Nach Betriebsschluss fuhr Fritz nach Hause, reinigte sich, zog sich eine andere Jacke an und ging zum Bezirksausschuss des Roten Metallarbeiterverbandes, um die neuen Flugblätter zu holen, die morgen verteilt werden müssen. Gegen sieben Uhr war er fertig. Langsam schlenderte er durch die Straßen, um sich die Zeit bis Halbacht, wo er Käte abholen wollte, zu vertreiben. Plötzlich wurde er angerufen:
" Na, Fritz? Auch stolz geworden? Ich konnte es mir ja denken, dass du nicht Wort halten würdest. "
Er drehte sich um und sah Grete vor sich, die Exkollegin, die sich auf der Münzstraße "geschäftlich betätigte", wie man es nannte. Wieder hingen ihr die Zöpfe um die Schultern, um bei den zugereisten Tapergreisen den Eindruck zu erwecken, dass sie hier ganz junges Fleisch kaufen könnten. Wenn man genauer hinsah, merkte man, dass von Fleisch nicht mehr groß die Rede sein konnte. Die Knochen standen dem armen Mädel zum Leibe heraus.
" Nee, Grete", erwiderte Fritz, "wenn ich sage, ich komme, dann komm ich auch. Aber du weißt ganz genau, dass ich viel zu tun habe. " "Ja, du immer mit deiner Politik. Ne Freundin dürftest du nicht haben. Die würde streiken. "
" Du wirst lachen, sie streikt nicht. Ich habe eine. " "Die muss schön dumm sein, wenn sie sich das gefallen lässt. " Sie unterhielten sich noch eine Weile so obenhin, bis das Gespräch doch ernster wurde. Sie gingen durch die Straßen, und Fritz musste von Betrieb erzählen. Grete sagte: "Hätte es nicht gedacht, dass mich der ganze Schwindel interessiert. Aber jetzt, wo du's erzählst, da kommt' mir vor, als wenn das wichtig wäre. "
" Ist es auch!" meinte Fritz. "Nicht nur für uns. Für dich auch. Diese ganze verfluchte Schinderei für die paar Kröten, - das ist ja unmenschlich. Und dann fliegen die Leute raus auf die Straße, und da bleiben sie dann. So ein junger Kerl wie du. Pfui Teufel! Dich treibt man raus, statt deine Kräfte anders und besser zu verwenden." Grete wurde sehr ernst. Sie musste es Fritz noch einmal im einzelnen erklären, wie es gekommen war. Leise begann sie zu schluchzen dabei trotzdem sie sich sehr lange beherrschte.
" Wenn man wenigstens davon leben könnte? ! Aber da läppern sich ein paar Pfennige zusammen. Da läuft man den ganzen Tag in dem Dreckwetter auf der Straße umher, musst immer ein Gesicht machen, als hätte man keine Sorgen, und dann Kannst du dich nicht mal satt essen. " Fritz überlegte. Wenn Fritz überlegte, dann nicht nur, um zu trösten, sondern um zu helfen. Und schließlich sagte er: "Hast du schon Mittagbrot gegessen?"
" Nein, nicht einen Happen!" heulte Grete jetzt los. "Na, dann komm' mit. Viel bekommst du nicht, aber mehr als gar nichts. Es wird schon reichen." Damit zog er sie herum, und sie gingen dieselbe Straße zurück, die sie gekommen waren. Sie mussten sich beeilen, denn die Uhr zeigte schon zwei Minuten vor halb acht. Gerade kamen sie noch zurecht, um Käte, die sich ärgerlich umgesehen hatte, zu erwischen. "Tag, Käte, ich habe noch jemanden zum Abendbrot mitgebracht. Hier, das ist meine Freundin Käte. Und das ist eine frühere Arbeitskollegin von mir."
Käte und Grete gaben sich die Hand. Käte war nicht sehr erfreut. Wie kam der Fritz dazu, irgend so ein Mädel mitzubringen? Und noch dazu in so einem Aufzug. Mit herunterhängenden Zöpfen. Käte lief los, um nicht von ihren Kollegen und Kolleginnen gesehen zu werden. Sonst würde sie morgen mächtig aufgezogen werden.
Bald waren sie oben angekommen. Grete setzte sich still in eine Ecke und sackte in sich zusammen. Sie verfolgte aufmerksam und ein bisschen neidisch die Begrüßung der beiden Leute, die sie hier, im geschlossenen Zimmer, ungeniert nachholten. Das heißt: nicht ganz ungeniert. Für Fritz war es allerdings nicht besonders zum Schämen, dass er seiner Genossin ein paar herzhafte Küsse gab. Aber Käte hätte lieber gesehen, wenn das ohne Zeugen vor sich gegangen wäre.
Nachdem sie sich's bequem gemacht hatte, ging sie in die Küche. Grete wollte ihr helfen, aber sie lehnte energisch ab. So setzte sich das Mädel wieder hin.
Fritz las. Grete döste vor sich hin. Draußen hörte man das Klappern von Tellern und Tassen. Der Grete war es einerseits lieb, hier so ruhig im geheizten Zimmer sitzen zu dürfen. Andererseits kam sie sich furchtbar überflüssig vor. Ja, so war es, Niemand wollte sie haben. Diese beiden Menschen, die sich lieb hatten, waren sich selbst genug. Sie verdienten beide. Nicht sehr viel, aber für Gretes augenblickliche Begriffe waren es Reichtümer.
Fritz sah über den Rand seiner Zeitung weg zu ihr hinüber: "Na, Grete, so ein unglückliches Gesicht? " Grete versuchte zu lächeln: "I bewahre. Ich bin doch ganz vergnügt."


FORTSETZUNG 3.11.1931, Dienstag

"Na, na, das ist eine etwas übertriebene Behauptung. Aber lass nur, die Käte ist ein gutes Mädel. Sie tut nur manchmal so, als wäre sie grob. Lange kann sie das gar nicht sein.
Durch das Lächeln hindurch brachen sich ein paar Tränen Bahn: "Aber Grete, heule doch nicht. Ist doch alles nicht so schlimm. " Fritz stand auf und ging zu ihr hinüber: "Nicht doch weinen. Wir wollen doch nicht traurig sein. Davon wird's doch nicht besser.
" Besser nicht. Aber mir kommen die Tränen jetzt immer hoch. Ich kann doch nichts dafür."
" Und von dir haben wir immer gesagt, die kann uns die Stimmung verderben. Du warst die einzige, die immer gelacht hat. Nanu, hör mal auf. So - das Taschentuch - weg ist die Träne - nochmal auf der anderen Seite - auch weg - und dürfen keine mehr kommen - so - und
jetzt die Nase - tüchtig, na nochmal----"
Käte trat mit dem Tablett ins Zimmer. Sie guckte nur kurz zu Fritz und Grete hinüber. Sie glaubte, dass ihr das Herz stehen bleiben musste.
Fritz sagte lächelnd: "Hat die Grete doch tatsächlich hier geweint!" Spitz erwiderte Käte: "Du scheinst sie aber ganz nett getröstet zu haben".
" Nichts mehr als meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit war, " sagte Fritz.
" Vielleicht gehen da unsere Begriffe ein bisschen auseinander." Grete, um die sich da ein Streit zu entwickeln schien, saß wie ein verschüchtertes Kind in ihrer Ecke und wusste nicht, ob sie eingreifen sollte oder nicht. Sie wollte um Himmels willen keinen Krach zwischen den beiden. Sollte sie erklären? Sollte sie einfach gehen? Aber da standen auf dem Tisch so allerhand Sachen zum Essen, die sie mit magischer Gewalt festhielten. Unschlüssig saß sie da.
Käte sah in der hereingeschneiten Grete eine Rivalin. Die Stellung, in der sie die Beiden angetroffen hatte, war doch eindeutig genug gewesen. Sie war nicht auf Fritz böse, sondern auf das Mädel, das sich da plötzlich zwischen sie stellen wollte.
Fritz nahm sie bei der Hand und ging mit ihr hinaus. Draußen flüsterte er mit ihr. "Eine Stunde kannst du zu dem armen Mädel doch wirklich mal nett sein. Der geht's dreckig genug. Kommt in keinen Betrieb mehr rein und muss sich verkaufen, hat dabei nicht mal satt zu essen..." "Ach, das ist dies Früchtchen, " fuhr Käte dazwischen. "Und du genierst dich nicht, die mit raufzubringen. Pfui Teufel! Hast du denn nicht ein bisschen mehr Achtung vor mir? " Nun fing auch sie an zu weinen. "Straßenmädchen bringst du mit - so wenig Achtung hast du vor mir... " Fritz kratzte sich den Kopf. Nun stand die Käte draußen und weinte. Grete saß drin und tat offenbar dasselbe. Wie konnte man aus dieser Situation wieder rauskommen?
Es blieb ihm nicht viel Zeit zum Überlegen. Die Tür öffnete sich und Grete trat heraus. Sie hatte verweinte Augen und sagte: "Ich will nicht stören, Fritz. Ich gehe jetzt." Sie wischte sich die Augen. "Schade... " setzte sie noch hinzu, aber weiter kam sie nicht. Denn schon flossen die Tränen wieder.
Fritz ließ sie gehen. Was sollte er machen? Nun saß er der weinenden Käte gegenüber am gedeckten Tisch. Der Tee dampfte. Niemand aß. Er hatte sich diesen Abend verdammt anders vorgestellt. "Nu hör doch mal endlich auf zu weinen. Das ist ja zum Kotzen. " "Wenn's dir bei mir nicht passt, dann geh' doch zu deinem Stückchen runter!"
" Zum Donnerwetter, wenn du jetzt nicht bald mit deinen dummen Redensarten aufhörst, dann hau ich ab. Das hält ja der stärkste Mann nicht aus. Du bist zu dem armen Mädel so kratzbürstig wie noch nie zu einem Menschen, und dann schimpfst du mich noch aus. Und dann soll ich noch sagen, es ist alles gut und schön. " Mit langen Schritten wanderte er im Zimmer auf und ab. "Hör doch auf zu weinen, Käte.
Warum heulst du eigentlich dauernd? "
Sie hörte nicht auf. Fritz wusste nicht, was er tun sollte. Er setzte sich an den Tisch und trommelte mit den Fingern darauf herum. Schließlich goss er sich eine Tasse Tee ein. Wieder war Stille, nur von gelegentlichen Schluchzern Kätes unterbrochen. Langsam hatte sie sich ausgeweint. Fritz säbelte sich verzweifelt eine Stulle von dem Brot, schmierte sich etwas darauf und fing an zu essen. Dann holte er sich ratlos die Zeitung aus der Tasche und tat so, als ob er las. In Wirklichkeit blieben die Buchstaben nicht in seinem Auge haften. Es wurden keine Wörter daraus. Er überlegte dauernd, was er tun solle. Mal wollte er einfach aufspringen und zornig das Zimmer verlassen. Das wäre der Schluss gewesen.
Langsam richtete sich Käte auf. Sie griff ebenfalls nach der Teekanne. Traurig goss sie die Tasse voll, die vor ihr stand. Dann setzte sie ein paar Mal zum Sprechen an. Schließlich brachte sie's heraus, wie sie es wohl mal in irgendeinem Schundroman gelesen hatte. "Wir haben uns wohl nun nichts mehr zu sagen."
" Wie?" fragte Fritz. Er glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. Sie wiederholte es ihm mit den gleichen Worten.
Da stand er auf, haute mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte, nahm seine Jacke und rief, während er das Zimmer verließ. "Wenn der Mensch verrückt wird, fängt's im Kopf an. " Und gemäßigter fügte er hinzu: "Wenn du dir's überlegt hast, dann weißt du. ja, wo ich zu erreichen bin. " Dann schlug er die Tür zu und stürmte die Treppe hinunter. Spät nachts kam er polternd nach Hause. Er war zum ersten Mal nach drei Jahren richtig betrunken.
Käte tat in dieser Nacht kein Auge zu. Immer wieder überlegte sie sich, dass sie eigentlich gleich loslaufen müsste, um ihren Fritz zurückzuholen Sie hatte sich kindisch benommen. Aber ihre Ehre! So ein Strichmädchen ihr mitzubringen! Nein. Und selbst wenn sie Unrecht hätte, dürfte sie nicht einlenken. Sie nicht. So hatte sie es gelernt.


12. KAPITEL

In der Mittagspause fragte Alex den Fritz: "Mensch, was ist denn mit
dir los? Brummige Laune. Grün und gelb im Gesicht. Wo hast du dich
denn rumgetrieben? "
Fritz brummelte irgendetwas vor sich hin.
Aber Alex gab nicht auf. "Irgend was mit Käte los? "
Fritz biss immer noch nicht an.
Da klopfte ihm Alex auf die Schulter: "Mensch, nu leg schon los. "
Und Fritz legte los und erzählte, was gestern Abend vorgefallen war.


FORTSETZUNG 4.11.1931, Mittwoch

Als Alex gehört hatte, kratzte er sich hinter den Ohren. "Mensch, so was kann aber nur dir passieren. Mitten zwischen zwei weinenden Frauenzimmern. Und nu mit beiden verkracht. Und selber schlechter Laune. Ich hätt der Käte ein paar drauf gegeben. Und die Grete. Na, da hättest du den Boden besser vorbereiten sollen. " "Was heißt Böden besser vorbereiten? " fuhr Fritz auf. "Sie stammt doch nicht aus Pommerellen. Und warum soll ich der Grete nicht die Nase putzen? Was da schon dabei ist!"
" Nu ja, " meinte Alex, "ich hab ja bisher nur meine eigene geputzt und auch das nur ganz selten. Aber das kommt von diesen vornehmen Modischkeiten. Wozu überhaupt die Nase putzen? Nase putzen! Als ob es anders nicht ebenso gut geht. Und dann gegenseitig die Nase putzen! Mensch, das kommt davon! Hättest du ihr nicht die Nase geputzt, dann wär das ganze nicht passiert. "
Fritz musste lachen. Aber die Karre war immer noch im Dreck. "Was soll ich nur machen? "
" Na, zuerst musst du mit der Grete sprechen. Die Käte kommt schon alleine wieder, wie ich die Weiber kenne. Du weißt ja, wo die Grete steht. Gehst heut abend hin, und dann macht ihr irgendwas zusammen." "Ja, aber was sollen wir denn zusammen machen? " "Na, eins will ich dir sagen, die Nase putzt du ihr nicht mehr. Wenn schon, dann lieber deine eigene. "
" Na ja, was ich nicht tun soll, weiß ich schon. Aber was meinst du weiter? Soll ich mit ihr irgendwo essen gehen? Und was soll ich ihr nur sagen? "
" Ganz einfach sagst du, dass die Käte noch rückstündig ist. Ist doch klar. Die Käte ist he Abweichung. 'Ne Abweichung ins moralische mit Gänsebeinchen. Ja, weißt du, jetzt hab ich's. Sag ihr doch, dass die Käte noch nicht auf ihren eigenen Beinen stehen kann und oft auf Gänsebeinchen rumläuft. "
Fritz war begeistert. "Das ist ein guter. Wenn sie nur erst mal lacht, dann wird schon alles gehen. "
" Na siehst du, komm nur immer zu mir, wenn du Sorgen hast. Ein Mensch mit meiner Lebenserfahrung wird dir schon immer raushelfen." Guter Laune ging Fritz wieder an seine Arbeit. Der Alex ist schon ganz knorke, gab er in Gedanken zu.

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