Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Wilhelm Nitschke – Der neue Glaube (1929)
http://nemesis.marxists.org

Kriegspläne.

„Sollen mit einem Schlage an hundertfünfzigtausend Holzarbeiter brotlos werden?" rief ein vielgelesenes Blatt hinaus in die Öffentlichkeit.
In dieser Frage lag die Mahnung an die Vernunft der Unternehmer. Erfahrung hatte die Kleinbürger gelehrt, dass die Wogen der Arbeiterbewegung auch ihre Existenz unterspülen. Die Angst vor der heraufziehenden Gefahr wuchs sich zu etwas Furchtbarem aus; denn diesmal lauerten ein wenig seitwärts die Gewaltigen vom Baufach, und im Hintergrunde standen die Metallkönige, um sofort einzuspringen, wenn sich die Holzindustriellen als zu schwach erwiesen.
Unglück gereicht dem Bösen zum Glück.
So spannten auch die Fabrikanten das Unglück vor ihren Hoffnungswagen: Das immer dichtere Aneinanderrücken mächtiger feindlicher Heere im fernen Morgenlande machte die Geldleute ängstlich, denn gar leicht konnte sich das europäische Pulverfass entzünden und den Kriegsbrand ins eigene Land tragen. Darum taten sie jedes Goldstückchen, das durch ihre Hände ging, in den Geldschrank und ließen es nicht wieder heraus. Danach verlor das Land täglich an Kraft wie ein Mensch, dem man fortwährend Blut abzapft. Dies gereichte aber vor allen anderen den Armen zum Unglück. Arbeitsmärkte und Arbeitslosenbörsen füllten sich immer dichter, je mehr sich die Geldschränke der Reichen mit Gold füllten.
„Hei, das ist ja eine Lust, anzusehen! Das muss diesmal gelingen!" riefen die Fabrikanten und rieben sich froh die Hände, wenn sie an den Geschäftsstellen der großen Zeitungen vorübergingen. Mit jedem Tage schwollen dort die an der Mauer entlanggezogenen Menschenketten mächtiger an. Männer und Frauen mit kaum der Schule entwachsenen Burschen und Mädchen standen durcheinander. Hei, wie alle nach Arbeit gierten; wie sie sich mit gereckten
Hälsen und in der Luft ragenden Armen nach vorn schoben, als der Verteiler einen Arm voll Zeitungsblätter einem kurz anhaltenden Auto entnahm. Hunderte Hände zugleich griffen nach dem Papier, wie Ertrinkende nach einem Strohhalm. Im Nu waren die Spalten überflogen. Die Hoffnungsvollen zerstoben nach allen Richtungen in die Straßen. Sie rannten; manche sprangen auf fahrende Straßenbahnen. Der größte Teil blieb enttäuscht zurück. Männer spuckten den letzten Priem verärgert im Bogen von sich und schlenderten gleichgültig davon. Frauen zogen ihr Tuch fester um Hals und Schultern und schritten bedrückt ihren Wohnungen zu.
Frühmorgens überflogen die Arbeiterfrauen zuerst den gewerkschaftlichen Teil ihres Blattes, um zu sehen, wie die Sache der Holzarbeiter stehe. „Vater, es sieht sehr bös' aus! Die Protzen verhandeln nicht, sie diktieren!" riefen sie ihren Männern zu.
„Wird's zum Krach kommen?" ging's auf allen Treppenfluren von einer Tür zur anderen. Wussten die, meisten Frauen doch noch zu gut, was es hieß, einen großen Kampf mit dem Unternehmertum durchzuhalten.

*

In einer stillen Nebenstraße der Friedrichstadt saßen im Hinterzimmer einer vornehmen Wirtschaft etwa zwei Dutzend Männer. Am hinteren Ende der langen, weißgedeckten Tafel stand Alexander Freudental, Vorsitzender des Holzindustriellenverbandes. Er begründete die Notwendigkeit einer allgemeinen Aussperrung.
„Meine Herren, die Zeit arbeitet für uns!" rief er am Schluss seiner Rede. „Wir wollen es diesmal den Herren vom Holzarbeiterverbande zeigen, dass der Vertrag auch uns Vorteile bringen kann! Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung werden glatt herausgestrichen! Denn unsere Arbeiter müssen endlich von dem Wahn befreit werden: für weniger Arbeit, höheren Lohn fordern zu können."
Ein graumelierter Fünfziger, der Generalsekretär Grasse, das Sprachrohr der großen Industrieherren, nahm das Wort.
„Bedenken Sie stets, meine Herren: uns wird solche Kampfstellung leider aufgezwungen! Wessen Gefühl spräche nicht gegen die Not, die unsere Gegenmaßnahmen im Gefolge haben muss; jedoch immer und immer wieder tritt die Frage in den Vordergrund: Wer trägt die Schuld? Und mit der Antwort auf diese Frage sind wir sofort aller Verantwortung ledig. Jene gewissenlosen Elemente, die Führer unserer Arbeiter, die fortgesetzt das Feuer schüren, bis es zur hellen Flamme auflodert, laden alle Schuld auf sich. Darum, meine Herren, beachten Sie eins: Irremachen müssen wir die Arbeiter an ihren Führern, an ihrer Sache!" Und mit erhobener Stimme wandte sich Grasse an den Vorstand des Holzgewerbes: „Sperren Sie geschlossen aus, zwingen Sie Ihre Leute auf die Knie, bewilligen Sie dann, ganz wie aus sich heraus, eine Kleinigkeit, nehmen Sie die Einsichtigen im geeigneten Augenblick in Ihren Betrieben auf; und es müsste mit dem Teufel zugehen, sollten die Arbeiter nicht einsehen, dass ihnen ihr Verband gar nichts nützt!"
Die grauen Köpfe wackelten leicht, ihr Einverständnis mit der Rede bekundend. Nur Behrend, Freudentals Kollege, sagte:   „Was?   Bewilligen?   Machen wir nicht!"
Auf Behrends Widerspruch begann Grasse noch einmal:
„Täuschen wir uns doch nicht, meine Herren! Einen offenen Kampf auf Sein oder Nichtsein können wir mit unserem Gegner heute nicht mehr wagen! Sie verstehen mich doch, ich meine, mit Diplomatie ist mehr zu--"
„Ach was, Diplomatie hin, Diplomatie her!" fuhr Behrend dazwischen. „Helfen, helfen sollen Sie uns, nichts weiter!"
„Das vollen wir auch!"
„Ja, aber wie denn, Herr Grasse? Bis jetzt haben Sie es noch nicht verraten!"
„Meine Herren, Sie verlangen doch nicht etwa, dass das gesamte Unternehmertum mit seinen acht Millionen Arbeitern auf die Beine gebracht werden soll?"
„Haha!" rief Behrend und suchte aufgeregt in seiner Mappe. „Farbe bekennen, Herr Grasse! Hier, bitte, verantworten Sie, was Sie in der letzten Nummer des Fachblattes schreiben!"
„Nichts leichter als das. Bemühen Sie sich nur, Herr Behrend, zu begreifen, dass man nach außen hin-"
„Diplomatisch sein muss! Das Gegenteil von dem tun, was man schreibt!" versetzte Behrend.
„Selbstverständlich! — Aber meine Herren von der Holzindustrie, Sie sind Ihrem Gegner, dem Holzarbeiterverbande, doch nicht gewachsen!"
„Nach Ihrer Ansicht!" rief Behrend.
„O nein, bitte sehr," fuhr Grasse mit seiner rechten Hand im halben Bogen herum, „alle Herren sind meiner Ansicht. Also, ich warne Sie! Denn schon viel zu oft zeigten Sie Ihre schwache Seite. Doch fühlen Sie sich jetzt stark genug, dann zeigen Sie aber nicht wieder nur Ihre gesunden Zähne, sondern beißen Sie zu! Nehmen Sie sich die Herren vom Bau und ganz besonders die vom Metall als Beispiel, das ist Granit, das ist Diamantstahl, daran zerschellen die hohlen Phrasen der Hetzer. Kurzum, es gibt nur eins: entweder lückenlose Aussperrung, oder Sie bringen so schnell als möglich Ihre Haut in Sicherheit und kriechen unter den Vertrag der Gesellen!"
„Das dacht' ich mir," bemerkte Behrend und rückte unwirsch auf seinem Sitz umher. „Ich denk', wir haben uns zusammengeschlossen, uns gegenseitig zu schützen und zu stützen?"
„Das soll auch geschehen! Die Herren stehen alle als drohende Macht hinter Ihnen!" erwiderte Grasse und schlug wieder den halben Bogen mit seiner Rechten. Behrend legte sein glattrasiertes Gesicht in tiefe Falten. „Uhu, auwei! Von der „drohenden Macht im Hintergrunde" wird der Holzarbeiterverband schon in die Knie sinken!"
„Herr Schönfeld hat das Wort!" rief Freudental, das Zwiegespräch unterbrechend.
Schönfeld war wohl der Jüngste von den Versammelten. Er sagte gleich frei heraus, dass er grundsätzlich von seinen Vorrednern abweiche.
„Das wussten wir," nickten sich Behrend und Freudental zu.
„Ja, meine Herren, ganz unumwunden gestehe ich den Arbeitern das Recht zu, sich zu organisieren."
„Doch; wohl nur Ihren Arbeitern!" rief Grasse herausfordernd.
„Nein, nein, allen Arbeitern!"
„Unerhört!" raunte es durch die Sitzung.
„Ihr Widerspruch, meine Herren, gibt mir Anlass, mehr zu sagen, als ich ursprünglich wollte."
Protestierend regten sich alle in ihren Sesseln.
Indes, je länger, desto fesselnder ward Schönfelds Rede. „Wissenschaft und Technik schreiten mit Riesenschritten vom Alten zum Neuen; politische Umwandlungen folgen; alte Regierungssysteme stürzen, die man eben noch für unerschütterlich hielt; und die gesamten Erdenbewohner werden davon ergriffen und beunruhigt."
„Eine sozialdemokratische Agitationsrede," bemerkte Baumeister Zimmer dazwischen.
„Tut nichts, Herr Regierungsbaumeister! Nachweisen will ich, dass es Selbsttäuschung ist, wenn jemand meint, eine so gewaltige Vorwärtsbewegung, die gut dreiviertel unseres Volkes erfasst hat, aufhalten zu können. Diese Bewegung ist doch nicht von außen den Arbeitern aufgepfropft! Der Erhaltungstrieb denkender Wesen ist es, der sich ebenso wenig aufhalten lässt wie die Lust zur Fortpflanzung; denn beides ist der Wille zum Leben. Und genau wie die Sonnenstrahlen die Erde fruchtbar machen, so erwärmt und erleuchtet die Bewegung das arbeitende Volk und erweckt in ihm den höheren Menschheitssinn."
„Die reine Sonntagnachmittagpredigt", sagte Zimmer.
„Verkappter Sozialdemokrat!" rief Behrend.
„Ich spreche zu Ihnen als Mitglied vom Vorstand der Holzindustriellen; habe allerdings auch den Menschen mitgebracht, der, wie es scheint, bei Ihnen die Schwelle des Familienheims nicht überschreiten darf."
Ein Räuspern erhob sich, alle rückten unruhig in ihren Polstern. „Gemeinheit!" Unverschämtheit! Beleidigung!" begann es zu flüstern.
Jedoch Schönfeld sprach ruhig weiter: „Soweit ich Sie kenne, herrschen in Ihren Häusern fromme, vornehme Sitten, und doch scheinen Sie der Meinung zu sein: ein Recht auf Menschlichkeit beginne erst bei zwanzigtausend Mark Jahreseinkommen."
„Das ist eine freche Beleidigung, Sie junger Mann!" schrie der Regierungsbaumeister aufspringend und lief wutschnaufend hin und her. Auch die anderen erhoben sich, um ihren Herzen durch Bewegungen Luft zu machen.
„Mäßigen Sie sich!" rief Grasse dem Redner zu. Sprach beruhigend auf seine Freunde ein und bat sie: Die Rede ruhig mit anzuhören, denn es sei doch beachtenswert, wenn ein Vorstandsmitglied des Arbeitgeberschutzverbandes sozialistische Ideen entwickle. „Und die Wirkung der Rede auf diesen Kreis brauchen wir wohl nicht zu fürchten", fügte er höhnend hinzu.
„Nein, gewiss nicht, aber in helle Wut kann einen solches Geschwätz bringen!" ereiferte sich der Geheime Kommerzienrat Gräulich, Vorsitzender der Metallindustriellen, und spülte seinen Ärger mit einem Glas Wein hinunter. Ein wenig beruhigt lehnte er sich wieder im Sessel zurück und, blies dicke Rauchwolken über den Tisch gerade zu Schönfeld hinüber.
Dieser lächelte überlegen und sprach ruhig weiter: „Ja, meine Herren, leider ist es auch hier so: erst kommt der Ärger, dann das Nachdenken. Gut ist es aber für den, der es umgekehrt macht, der erspart sich den Ärger. Und deshalb will ich meinen Herren Kollegen erst einiges zu bedenken geben, ehe sie sich und andere eine zu große Enttäuschung bereiten."
„'s ist ganz überflüssig!" protestierte Behrend.
„Bei Ihnen! — Mag sein, jedoch weiß ich: Tausende Tischlermeister danken es mir, wenn sie von der Aussperrung verschont bleiben!"
Schönfeld verlieh seiner Rede immer höheren Schwung und hielt die Hörer in Bann: „Sie werden die Arbeiterbewegung am Vorwärtsschreiten nicht hindern, weil sie von Gerechtigkeit und menschlicher Vernunft getragen wird. Techniker, Ingenieure, Wissenschaftler aller Art, Männer der schönen Künste und sogar Geistliche gehen mit ihr. Und ich sehe die Zeit nahen, wo alle diese geistreichen Menschen nur dem Volksganzen dienen werden. So wächst sich die Arbeiterbewegung zu einer gewaltigen Menschheitsbewegung aus!"
„Zukunftsstaat! — Bebel! —" schwadronierten alle durcheinander.
„Zur Sache!" rief Grasse.
„Ich gebe zu, ich habe mich ein wenig von unserm Beratungsgegenstand entfernt. Dennoch gestatten Sie wohl noch ein paar Worte."
„Gibts nicht!" widersprach Behrend.
Da sonst niemand Einspruch erhob, sprach Schönfeld weiter: „Sie sind verloren, meine Herren, sobald das arbeitende Volk erst einmal die Macht des Geldes für sich ausnützt!"
„Uh, das kann ja fürchterlich werden", höhnte Grasse.
„Die Anfänge sind schon da: die Genossenschaften der Arbeiter mit ihren Banken. Da werden eben eines Tages die Milliarden der kleinen Sparer, die heute durch die Sparkassen und Banken der privaten Wirtschaft zugeführt werden, in ihren eigenen Unternehmungen zum Wohle des Ganzen arbeiten. Geld ist der Lebenssaft unserer Wirtschaft. Und fortwährend fließen Hunderte von Millionen als Lohn oder Gehalt durch die Hände der Arbeiter. Und so werden sie eines Tages fast ihren gesamten Bedarf an Waren in ihren eigenen Geschäften decken; sie werden Fabriken bauen; sie werden Ländereien erwerben und Landwirtschaft in der modernsten Art betreiben. Keine Macht der Erde wird sie daran hindern können, weil sie selber bald die gewaltigste Macht sein werden. Kurzum, ich kann nicht glauben, dass sich das arbeitende Volk noch lange mit seinem eignen Gelde ausbeuten lassen wird!"
Behrend sprang voller Wut auf. „Himmelkreuzbombensakrament, was wollen wir uns heut noch alles bieten lassen, meine Herren?! Das ist ja himmelschreiend! Vor der ganzen Welt machen wir uns lächerlich mit solchem Gequatsche!
Darauf fuhren die andern erschreckt aus ihrer Spannung auf und stimmten halb verschämt Behrend zu, als dieser weiter sprach:
„Was gehts uns an, was in fünfzig oder hundert Jahren wird! Bis dahin wird unsere Regierung den Sozialdemokraten schon noch den Zukunftsstaat versalzen! Für uns heißt es jetzt: Auf der ganzen Linie aussperren; und damit basta! Die Zeit ist günstig wie noch nie: Aufträge drängen nicht: die Gesellen sind durch die Arbeitslosigkeit schlapp, ausgehungert; ihre Weiber stehen auf unserer Seite, das weiß ich! Na, und dann haben wir doch unsere friedlichgesinnten Arbeiter; deren Verein uns ein schönes Stück Geld kostet. Und am Ende haben wir doch auch die Polizei und das Militär! — Ach, wissen Sie, Herr Schönfeld, dutzenderlei Mittel gibt es, Ihren kindlichen Traum zu zerstören."
„Herrn Schönfeld tötet ja die Lächerlichkeit. Wenn ich dennoch bitte, ihn aus Ihrem Bunde auszuschließen, so geschieht es deshalb: uns nicht dem Verdacht seiner Narrheiten auszusetzen", sagte Grasse ruhig mit gesenktem Blick.
Dann gab er noch einmal das Versprechen, dass die anderen Industrieherren dem Holzgewerbe zur Seite stehen würden, sobald 60 000 Arbeiter ausgesperrt seien, woran er nach Behrends mutiger Rede nicht mehr zweifle.
„Fenster auf! Luft, Luft!" rief Frau Klara Schönfeld, hastig ins Zimmer tretend, dessen Balkontür hinaus in den großen Garten führte. Nachdem sie Fenster und Tür weit geöffnet hatte, ließ sie sich am Klavier nieder und sang in den stillen Frühlingsabend hinein:
„Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, Es gibt nur noch Herren und Knechte. Die Falschheit herrschet, die Hinterlist, Bei dem feigen Menschengeschlechte... " Eine  mitsingende   Männerstimme  machte  sie   aufhorchen.   „Ach du", sagte sie, sich umwendend.
„Immer weiter, weiter, mein Kind, es passt in meine Stimmung." Schönfeld legte ihr die Hand leicht auf die Schulter.
„In meine auch, du! Trafst du nicht eben dein geliebtes Kleeblatt auf der Treppe?"
„Nein", er setzte sich zu ihr.  „Wen meinst du?"
„Na, der weibliche Vorstand des Holzindustriellenverbandes Deutschlands war hier. Die dicke Behrend, die dünne Freudenthal und dein frommes Tantchen Klingström."
„O, du heil'ge Dreieinigkeit, was wollten die? Seit meiner Mutter Tod übertraten sie ja unsere Schwelle nicht mehr."
„Na, zuerst fragten sie, in meiner Abwesenheit, das Dienstmädchen ordentlich aus, dann schnüffelten sie in allen Ecken der Wohnung umher, entrüsteten sich über unseren Wandschmuck, über unsere Lektüre, durchstöberten unser Schlaf- und Badezimmer, sogar die Küche verschonten sie nicht; und sie fanden, dass aus allem unsere heidnischrote Gesinnung schimmere. Als ich von meinem Spaziergang heimkehrte, empfingen sie mich mit ausgesuchter Höflichkeit und setzten mir folgenden Plan auseinander:  Da die Arbeiter wieder ganz unverschämte Forderungen im neuen Vertrage festgelegt haben, es aber an der Zeit sei, dass die Fabrikanten auch einmal an sich dächten, so solle kein Mittel unversucht bleiben, die Arbeiter zur Vernunft zu bringen. Zu diesem Zwecke sei eine Versammlung für die Frauen der Holzarbeiter in Aussicht genommen.   Sollte
alles dies keinen Erfolg haben, dann--"
„Dann gibt es einen Kampf auf Tod und Leben, bums, bums, bums! Ich kenne die Parole", fiel Schönfeld seiner Frau ins Wort, „O Gott, hätte ich doch ein Fünkchen Anzengruberschen Geist! Dieses gibt ja vorzüglichen Stoff zu einer neuen Kreuzelschreiberkomödie, genannt: Die klugen Angstmeier. — Für dich war die Sache recht peinlich, wie?"
„Peinlich? O nein! Laut ausgelacht hab' ich sie." „Wirklich?"
„Na, gewiss! Was soll ich weiter tun? Als sie dann vor Ärger gar nicht mehr wussten, was sie anfangen sollten, zauberten sie den Geist deiner seligen Eltern hervor: Welch frommes, sittenreines Haus hier einst war, in dem sie frohe, sowie Stunden heiliger Andacht verlebten; ein wahrer Tempel sei es gewesen. Und dieses alles habe ich nun — grausam vernichtet. Und was das schlimmste sei: Du — ständest ganz in meiner Gewalt!"
„Das ist ja wahr! — Welche Seelenkenner!"
„Das sagte ich auch. Ich sagte ihnen aber auch noch, dass sie das alles gar nichts angehe."
„Sehr recht von dir, ganz ausgezeichnet! Einmal mussten wir ja doch mit der Gesellschaft endgültig brechen. Ich hab' heute auch frei von der Leber heruntergeredet."
„Und — was nun?"
„Ausgeschlossen werd' ich."
„O bravo! Dann kannst du dich wenigstens frei bewegen."

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur