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Willi Bredel - Rosenhofstraße (1931)
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Kapitel IV.

Vor dem Verhandlungssaal 237 des Strafjustizgebäudes saßen die Angeklagte Trudel Merker und Fritz und Else, die als Zeugen geladen waren. Etwas abseits von ihnen sprach eine Frau unausgesetzt auf eine andere ein. Einige Neugierige schlichen herum und spitzten die Ohren. Sie suchten „interessante Fälle" auszukundschaften. Orpowachtmeister standen herum. Ein Staatsanwalt im Talar ging vorüber, Gerichtsdiener liefen hin und her. Es war ein lebhafter Betrieb.
Die Tür, an der Nr. 237 stand, öffnete sich und die Teilnehmer der eben beendeten Verhandlung kamen langsam, erregt sprechend und gestikulierend, heraus.
Ein kleiner, beleibter Mann mit einer vollgepressten Aktentasche trat schnaufend an die beiden Frauen heran, die auf der anderen Bank «aßen. Nach einer Weile zeigten sie auf Trudel Merker und er lief auch zu der hin und stellte sich vor. Er war der Rechtsbeistand, den sie von der Wohlfahrt gestellt bekommen hatte. Er beruhigte die aufgeregte Trudel lächelnd und meinte, es sei doch gar nicht so schlimm.
Trudeis Augen waren voller Angst auf die wieder geschlossene Tür gerichtet. Gerade als Fritz ihr abermals Mut zusprechen wollte, kam der Gerichtsdiener aus dem Verhandlungsraum und las mit lauter Stimme von einem Papier: „Frau Reinhardt!".
„Hier!" rief eine der Frauen auf der anderen Bank.
„Frau Kuzinskil"
„Hier!" rief die andere, die neben ihr saß.
„Fräulein Merker!"
„Hier!" presste Trudel hervor und ging zögernd auf ihn zu.
„Na, denn sind wir ja alle beisammen!" nickte der Uniformierte zufrieden. „Setzen Sie sich dort hin! Ja dort!" Der Gerichtsdiener wies den drei Frauen die Plätze auf der Anklagebank an. Dann öffnete er die Tür zum Zuhörerraum. Heftig drängte sich ein sehr gemischtes Publikum in den lächerlich kleinen Raum. Trudel starrte entsetzt in die fremden Gesichter und drehte ihnen schnell wieder den Rücken zu Sollten die alles mit anhören? Sie wurde über und über heiß. Einige junge Bengel grinsten unverschämt frech.
Kurz darauf kamen einige Männer aus einer kleinen Tür hinter dem Richtertisch heraus Einige hatten einen Talar an. Alle erhoben sich, auch die drei Frauen.
„Setzen Sie sich bitte!" Es war ein verhältnismäßig junger Richter, der dies sagte. Er hatte ein scharfes Profil und mehrere Schmisse am Kinn. Ihm zur Seite saßen noch je ein Richter im Talar und zwei Schöffen. Der Staatsanwalt, ein Mensch mit verbissenem Gesicht, saß links vom Richtertisch, auf eigenem Podium. Dicht neben Trudel hockte der Gerichtsschreiber und sie fühlte dessen lüsterne Augen abschätzend an ihrem Körper.
„Ist die Angeklagte Hintz da?" „Jawohl!" erwiderte der Gerichtsdiener, „Lassen Sie dieselbe vorführen!"
Der Gerichtsdiener klopfte an einer kleinen Tür, die sich nun öffnete und der Wachtmeister, der mit der Frau Hintz dahinter gewartet haben musste, trat ein. Der Angeklagten wurde ein Platz neben den anderen angeklagten Frauen angewiesen.
„Sie sind Frau Anna Pauline Hintz, geboren in Stralsund?" „Jawohl!" „Ihr Beruf?" „Ich bin Witwe!" „Hm!"
Das wiederholte sich nun bei jeder Angeklagten. Dann flüsterte der junge energische Richter mit seinem Beirichter und den beiden Schöffen und erklärte darauf: „Die Verhandlung findet nach Gerichtsbeschluss unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt!"
Der Gerichtsdiener ließ die enttäuschten Zuhörer wieder hinaus. „Fräulein Gertrud Merker!" Trudel erhob sich von ihrem Platz, „Was hat Frau Hintz mit Ihnen gemacht?"
Trudel sah ganz fassungslos den Richter mit den scharfen, hellen Augen an. „Wie meinen Sie das?" stotterte sie dann.
„Erzählen Sie, was mit Ihnen bei Frau Hintz vor sich ging!" Ratlos sah sich Trudel um und sah dann sekundenlang in die geilen Augen des Gerichtsschreibers. „Aber — das kann ich doch nicht!" brachte sie dann mühsam hervor. „Und — und, das wissen Sie doch auch schon aus dem Protokoll!"
„Sie haben nur auf meine Fragen zu antworten!" Mit tränenerstickter Stimme erzählte dann Trudel stockend. Nach allen Einzelheiten fragte der Richter. Sie wurde nicht nur vor diesen Männern ausgezogen, sondern der Eingriff mit allen seinen Widerwärtigkeiten wurde in Worten noch einmal an ihr vorgenommen. Ihre Augen schwammen in Tränen und das Blut arbeitete heiß in ihrem Kopf. Vor ihr aber saßen Richter und formulierten kalt und ungerührt immer wieder neue Fragen.
„Frau Reinhardt!" hörte sie dann endlich die Stimme des Richters und sank auf ihren Platz zurück.
Bei den beiden anderen Frauen wiederholte sich dasselbe. Der Richter fragte und fragte, er wollte die Angeklagten und besonders die Hauptangeklagte, Frau Hintz, möglichst schnell und einwandfrei der Übertretung des § 218 überführen. Neben ihm saßen die beiden Schöffen mit unbewegten Gesichtern und wagten sich nicht zu rühren. Der eine grinste unausgesetzt blöde die vier Frauen an.
„Ja richtig! Was haben Sie eigentlich der Frau Hintz für den Abort zahlen müssen, Fräulein Merker?" wandte sich der Richter noch einmal an diese. „50 Mark!"
„Warum Sie nur 30 Mark?" fragte der Richter die angeklagte Frau Kuzinski.
„Ich hatte nicht mehr!" flüsterte diese. „So, — und was haben Sie gezahlt, Frau Reinhardt?" „Auch 50 Mark!"
„Hm!" Der Richter machte sich einige Notizen. „Nun, Frau Hintz, Sie haben ja alles gehört, was haben Sie darauf zu sagen?"
„Nichts!" antwortete die vollkommen ruhig. Die beiden Schöffen sahen sie ganz entsetzt an. Auch der Staatsanwalt betrachtete sie interessiert
„So-o!" erwiderte der Richter, ohne sich bei seinen Notizen, die er sich machte, stören zu lassen. „Sie sind unvorbestraft, Frau Hintz. Wie sind Sie denn zu diesem ,Geschäft' gekommen?"
„Ich habe mehrere Jahre im Krankenhaus als Pflegerin gearbeitet und kenne das Gebiet. Ich bin eine überzeugte Gegnerin des Abtreibungsparagraphen und alles, was ich tat, war Hilfe an den unglücklichen Arbeiterfrauen und kein Geschäft für mich!" „Nun, Sie haben sich doch bezahlen lassen!" „Wenn einer aus Not nicht zahlen konnte, habe ich ihm auch geholfen!"
„Also geben Sie zu, auch noch an anderen Frauen Eingriffe vorgenommen zu haben?"
„Was fragen Sie! Sie wissen ja selbst aus Ihren Kreisen, wie viele Eingriffe trotz des Verbots gemacht werden. Nur, dass sich die Frauen der Bourgeoisie keiner Gefahr dabei aussetzen, denn die haben ihren Hausarzt, oder durch ihr Geld sicherere Abortmöglichkeiten!"
„Das ist das übliche Gerede und gehört hier gar nicht her! Sie haben mir nur auf meine Fragen zu antworten!" fuhr der junge Richter die alte, grauhaarige Angeklagte barsch an.
„Schildern Sie, wie Sie zu diesen Dingen gekommen sind!" wandte sich jetzt ihr Rechtsanwalt an sie. Die Angeklagte schwieg.
„Erzählte Sie, was Sie mir von Ihren Erfahrungen und den verbrecherischen Folgen dieses Abtreibungsparagraphen in den Kreisen der Arbeiterschaft erzählt haben!"
„Vollkommen überflüssig, Herr Doktor!" erwiderte ruhig die alte Frau. „Von den Herren dort würde mich doch keiner verstehen wollen!"
Der Rechtsanwalt zuckte ärgerlich mit den Achseln. „Herr Doktor!" wandte sich der Richter an den Verteidiger. „Das Gericht interessieren nicht die persönlichen Erlebnisse der Angeklagten, sondern einzig und allein die Vergehen gegen das Gesetz!" „Sehen Sie!" riet ironisch die Hintz ihrem Verteidiger zu.
„Sie haben zu schweigen und nur auf die Fragen zu antworten!" fuhr der Richter auf. — „Ich glaube, die Dinge liegen klar?" wandte er sich dann an die Schöffen.
Die nickten eifrig.
„Draußen sind noch zwei Zeugen!" rief der Gerichtsdiener.
„Was sollen die noch bezeugen?" beugte sich der Richter fragend an den Wohlfahrts-Rechtsanwalt.
„ÄäÄh! Äääh!" machte dieser und tat, als ob er nachdenke. In Wirklichkeit hatte er keine blasse Ahnung.
„Sie haben mir das Geld geliehen!" rief Trudel. „Aber sie wussten nicht, wozu ich es brauchtet"
Der Richter flüsterte wieder mit den beiden Schöffen und dem Beirichter.
„Das Gericht verzichtet auf die Zeugen!'* erklärte er dann.
Der Staatsanwalt erhob sich nun und schnarrte etwas vor sich hin. Es waren höchstens zehn Sätze, die er sprach. Trudel verstand etwas von zwei Jahren Zuchthaus und acht Monaten Gefängnis; sie begriff aber nicht, wie dies gedacht und wer von den Angeklagten überhaupt gemeint sei.
Der Wohlfahrts-Rechtsanwalt hob beschwörend die Hände und bat das Gericht um größtmöglichste Milde. Dann setzte er sich wieder. Der Rechtsanwalt der Frau Hintz wagte eine vorsichtige Attacke gegen die Staatsanwaltschaft. Er nannte zwei Jahre Zuchthaus für eine Frau, die nicht aus Geldgier, sondern aus Mitleid und überzeugter Gegnerschaft zum Abtreibungsparagraphen gehandelt habe, für ungeheuerlich und gab zu bedenken, dass heute schon viele Stimmen, auch von hervorragenden Männern, laut werden, die diesen Paragraphen abgeschafft wissen wollten. Auch er appellierte schließlich an die Hochherzigkeit des Gerichts und bat um mildernde Umstände für seine Klientin.
Die Angeklagten verzichteten auf das Wort und das Gericht zog sich zurück. Der Wohlfahrts-Rechtsanwalt stürzte sofort auf den Staatsanwalt und sie begrüßten sich wie alte Freunde. Sie unterdrückten gleich darauf beide 3in Lachen, als ob sie sich den neuesten Mikosch-Witz erzählt hätten.
Der andere Rechtsanwalt machte unterdessen seiner Klientin, Frau Hintz, Vorwürfe über ihr Verhalten. Sie hätte das Gericht brüskiert, sagte er.
Die alte Frau aber lachte nur kurz auf und sagte ihm: „Man hätte denen ganz was anderes ins Gesicht schleudern müssen!"
Trudel hörte von ihrem Platz diese Unterhaltung und sie bewunderte die Frau, die so gefasst sprach. —
Nach kurzer Zeit kam das Gericht wieder herein. Die Angeklagten erhoben sich.
„Die Öffentlichkeit ist wieder hergestellt!"
Der Gerichtsdiener schloss die Tür zum Zuhörerraum auf, aber es trat niemand ein
Dann verkündete der Gerichtsvorsitzende das Urteil des Gerichts: 18 Monate Zuchthaus für die Angeklagte Hintz, für die übrigen drei Angeklagten die Mindeststrafe von je 6 Monaten Gefängnis mit dreijähriger Bewährungsfrist Hinterher redete er noch einiges zur Begründung des Urteils, dann schloss er die Verhandlung.
Frau Hintz wurde wieder von dem Wachtmeister durch die kleine Tür abgeführt. Trudel sah ihr hilflos nach, und der Gerichtsdiener musste sie erst auffordern, den Saal zu verlassen.
Der Wohlfahrts-Rechtanwalt renommierte auf dem Korridor vor den beiden anderen Frauen, dass er das Urteil so erwartet habe, denn er kenne den Vorsitzenden persönlich. Trudel aber taumelte auf Fritz und Else zu.
„Na," fragten die wie aus einem Munde.
„18 Monate Zuchthaus!" stammelte Trudel.
„O Gott!" rief Else.
„Für Frau Hintz!" stellte Fritz fest.
Trudel weinte. Neugierige sammelten sich um die Drei und horchten. Da traten die beiden mitangeklagt gewesenen Frauen an die schluchzende Trudel heran.
„Freuen Sie sich doch, Kindchen!" beruhigte sie die eine. „Es ist doch alles gut abgelaufen!"
Trudel weinte nur noch heftiger. Else nahm sie am Arm, und langsam gingen sie den Korridor entlang zum Ausgang. Eine Schar Neugieriger folgte ihnen äußerst interessiert.
Nach schier übermenschlichen Anstrengungen kam der Streik der proletarischen Mieter in Gang. Tausende Bedenken mussten bei den Bewohnern der Rosenhofstraße zerstreut werden. Ein Mieterstreik ist keine Alltagserscheinung, keine so verhältnismäßig einfache Angelegenheit wie ein Streik einer Belegschaft oder einer ganzen Berufsgruppe; ein Mieterstreik war etwas Neues für die Arbeiter, etwas bisher noch nicht Dagewesenes. Da wollte jeder Mieter genau wissen, ob er nicht auf die Straße gesetzt werden könne, ob auch sein Mietegeld absolut sicher aufbewahrt werde, ob man sich durch derartigen Streik nicht strafbar mache und schließlich dafür eingesperrt werden könne.
Olfers hatte sich gewiss keinen Illusionen hingegeben und gewusst, dass solch ein Mieterstreik, wenn er gut organisiert und schließlich erfolgreich sein sollte, ein ungeheures Pensum Kleinarbeit erfordern würde. Aber alle Vorstellungen wurden übertroffen. Olfers war Abend für Abend bis in die Nacht auf den Beinen. Er musste persönlich die Mieter aufsuchen und bearbeiten. Fritz oder Else konnten diese Arbeit, ihrer Jugend wegen, nicht mitmachen. Olfers musste einzeln die Mieten einsammeln und immer wieder von neuem alle Zweifel und Bedenken bei den Mietern überwinden. Der Arbeiter, der die Monatsmiete nicht dem Hauswirt oder seinem Vizen übergab, sondern einem ihm nur flüchtig bekannten Mitbewohner, der zum Vertrauensmann des Streiks gewählt war, wollte tausende Sicherheiten sehen, damit sein mühsam erarbeitetes Mietsgeld nicht verloren gehe. Allerdings gab es auch einige, die ihre Miete Olfers ins Haus brachten. Aber das waren nur sehr wenige und nur solche, die genau wussten, um was es ging.
Aber es wurde geschafft Kummerfeld musste wohl oder übel seinen Namen für den Streik hergeben und unter seinen Parteifreunden für Olfers' persönliche Lauterkeit bürgen. Das war aber auch alles, was er zur Organisierung des Mieterstreiks tat. Heimlich hoffte er, dass sich die ganze Aktion totlaufen würde und er dann als Vermittler zwischen Hauswirt und Mieter hervortreten könne. Er sah sich aber am Monatsersten furchtbar enttäuscht, denn die Streikfront stand. Zirka dreißig bis vierzig Prozent der Mieter verweigerten dem Vizen die Miete und überreichten ihm statt des Geldes einen weißen Zettel, auf dem die Forderungen der gesamten Mieterschaft gedruckt standen. Für diese Forderungen zeichneten der Mieterverein und die Streikleitung der Mieter gemeinsam verantwortlich.
Vierzig Prozent mieteverweigernde Einwohner der Rosenhofstraße genügten, um eine Stadtsensation hervorzurufen und den Hausbesitzern einen Heidenschreck einzujagen. Die bürgerliche Presse begann sofort im Interesse der Hausbesitzer mit einer infamen Hetze gegen die unverantwortlichen Elemente, die, wie sie schrieben, keine Miete mehr zahlen wollten. Der Hausbesitzerverein schrie nach dem Staatsanwalt und drohte mit Massenexmittierungen. Das ganze Besitzbürgertum kam in Bewegung.
Die Arbeiter aber begrüßten das mutige und entschlossene Vorgehen ihrer Klassengenossen in der Rosenhofstraße. Belegschaftsversammlungen fassten Sympathiebeschlüsse. Die kommunistische Tagespresse behandelte den Streik in mehrspaltiger Aufmachung, teilte jede Einzelheit mit und forderte die Mieter zur Verbreiterung des Kampfes auf. Dieser Ruf verhallte nicht ungehört. Schon begannen sich in anderen Arbeiterstraßen und Stadtteilen Aktionsausschüsse zu bilden. Wo der Mieterverein versagte, stellten die kommunistischen Stadtteilleitungen Aktionsprogramme zum Kampf gegen die Mietserhöhungen auf. Die proletarischen Mieter der Stadt horchten auf und begannen sich zu regen. Die hässliche Rosenhofstraße, die das Verdienst hatte, den ersten Anstoß gewagt zu haben, war mit einem Schlage in aller Munde.
Mit einer solchen Resonanz des Kampfes hatten weder Olfers, noch Fritz, noch sonst einer der Genossen gerechnet. Mit einem Male fühlten sie die ungeheure Verantwortung, die sie sich aufgebürdet hatten. Tausende und aber tausende Arbeiter blickten jetzt auf sie und ihren Kampf. Nun hieß es, den Arbeitseifer zu verdreifachen und noch stärker als bisher an der festen Kampffront des Streiks zu arbeiten. Dieser Kampf durfte nicht verloren gehen, durfte nicht zerbröckeln, sie mussten siegen und — sie wollten siegen.
Am 1. April war nun bei Olfers eine Sitzung der Vertrauensleute der Mieter der Rosenhofstraße von Nr. 1—20. Kummerfeld war auch dabei. Trotzdem immerhin noch viele Mieter den Streik ablehnten, andere ihn wohl unterstützten, indem sie dem Hauswirt keine Miete zahlten, aber sie auch nicht der Streikleitung gaben, sondern, wie sie sagten, selbst verwahrten, hatte die Mieterstreikleitung insgesamt 2124 Mark Miete kassiert. Das Geld wurde von den Vertrauensleuten noch einmal durchgezählt und jede Miete für sich in einen Umschlag gelegt und notiert.
Zwei Zigarrenkisten dienten als Geldkassetten.
„Kollege Kummerfeld, nimm Du das Geld an Dich!" wandte sich Olfers an diesen, „und wenn morgen kein Entscheid der Hauswirte vorliegt, so deponieren wir es auf der Arbeiter- und Angestelltenbank."
„Gibt's nicht!" rief Kummerfeld, der noch immer gegen die Streikleitung verärgert war und nur auf den Zusammenbruch des Streiks wartete, um dann hervorzutreten. „Behalt es nur bei Dir!"
„Es handelt sich hier nur um die Sicherheit!" meinte Olfers.
„Ist es denn bei Dir nicht sicher," fragte ironisch der Alte.
Es ist schon richtiger, Du behältst es hier!" fiel den beiden der Zigarrenhändler Rienau ins Wort. „Und das mit der Bank eilt ja nicht so, schließlich ist die ganze Angelegenheit in einigen Tagen beigelegt!"
Und dabei blieb es. In zwei Tagen sollte eine neue allgemeine Mieterversammlung bei Petersen stattfinden. Die übrigen Streikbezirke sollten dann ebenfalls Versammlungen einberufen. Der Mieterverein wollte einen Aufruf zur Festigung und Verbreiterung des Streiks herausgeben, und fast alle waren zuversichtlich und siegessicher. Als einziger war Kummerfeld schlecht gelaunt. —
Nach der Sitzung suchte Olfers einen Platz für die beiden Zigarrenkisten. Erst wollte er sie in den großen Kleiderschrank hinter die Kleider stellen. Dann überlegte er, ob sie nicht besser unter dem Sofa ständen. Aber auch der Platz gefiel ihm dann nicht. In der Küche im Geschirrschrank? Als er überlegte und einen passenden Platz suchte, kam er sich schließlich lächerlich vor und stellte die beiden Zigarrenkisten mit den 2123 Mark kurzentschlossen hinter den Radiolautsprecher.

Die Vizenfrau Kollmar flüsterte leise, aber erregt mit der Brothändlerin. Sie fürchteten scheinbar, dass der Mann der Brothändlerin Worte aufschnappen und weitertragen könnte.
„Kummerfelds, Heubergers, Höhleins, Schwartaus, Langfelds!1* zählte sie auf. Die Brothändlerin schüttelte bei jedem neuen Namen erstaunt mit dem Kopf.
„Die Menschen sind meschugge!" zischte die Mechanikerfrau. „Als ob auf diesem Wege etwas zu erreichen sei!"
„Wie ist man nur darauf gekommen?" fragte flüsternd die Brothändlerin.
„Der Olfers soll ja so gehetzt haben!"
„Aber Kummerfelds und Heubergers?"
„Das verstehe ich auch nicht! — Statt der Miete habe ich überall diesen Wisch bekommen! ,Geben Sie das dem Hauswirt!' erklärte man mir einfach. Sie kennen es doch?"
„Nein! Nein!, mir ist es noch nicht gezeigt worden!" log die Brothändlerin.
Die Mechanikerfrau suchte umständlich in ihrem Handkorb.
„Da!" Sie reichte der Brothändlerin einen kleinen weißen Zettel hin.
Die las: „Wir Einwohner Ihres Grundstückes lehnen die Mietserhöhung ab. Wir verlangen, dass Sie uns weiterhin keine vagen Versprechungen machen, sondern sich unverzüglich bereit erklären, auf eine Mieteerhöhung zu verzichten und sofort die Häuser und Wohnungen zu überholen und zu renovieren. Bevor nicht Ihrerseits eine restlose Bewilligung dieser Forderungen, also eine Verzichterklärung auf die für uns untragbare Mietserhöhung vorliegt, zahlen wir keine Miete. — Unterschrieben? Streikleitung der Mieter der Rosenhofstraße, Römpter — Mieterverein e. V."
„Was sagen Sie dazu?" fragte die Kollmar, als die Brothändlerin zu Ende gelesen hatte und wieder aufsah.
„Gut eingefädelt ist das! Weiß Gott!"
„Das nimmt noch ein schlechtes Ende!" sprudelte die Vizenfrau los.
Später kam die Fritt. Die fand es unerhört, dass man einfach die Miete zu zahlen verweigere. „Das wäre genau so", verglich sie, „als wenn ich ein Brot von Ihnen nehmen und mich dafür zu zahlen weigere, weil der Reichstag den Brotpreis erhöht hat." Die Brothändlerin, durch diesen Vergleich besonders erschreckt, stimmte eifrig zu. —
Trudel Merker hatte ein Riesenglück, dass ihr Prozess ausgerechnet in diese Zeit gefallen war. Sie, deren Geschichte sonst von den Weibern hier durch alle Gossen geschleift worden wäre, war fast völlig vergessen worden. Das großer Ereignis des Mieterstreiks 6tellte alles andere in den Schatten. Auch die Brothändlerin wurde erst an den „Skandal" erinnert, als Else in den Laden trat.
„Es ist alles in Ordnung!" antwortete sie ausweichend auf die Frage, was mit der Trudel geworden sei.
„Das Mädel tut mir ja so leid!" heuchelte die Kuhlmann.
„Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!" fuhr Else sie kalt' an und wunderte sich selbst über ihren Mut.
„Wie... wie können Sie nur so etwas sagen?"
Else wurde rot bis zum Halse, aber sie schwieg.
„Ich kenne das Mädel schon die ganzen Jahre. Schon als kleines Kind. Sie ist ein so fröhliches und sonniges Geschöpf!" beteuerte die Brothändlerin.
„Na, — Sie haben doch mitgeholfen, dass sie vor's Gericht musste!" Else sah sie herausfordernd mit zusammengekniffenen Augen an.
„Wa-a-as?" stieß die Brothändlerin hervor und glotzte Else an, als wenn sie ein Gespenst wäre. „Wie... Kommen Sie darauf?"
„Man kann bei Ihnen Brot kaufen", erwiderte eisig und ruhig Else, „aber das scheint bei Ihnen Nebengeschäft zu sein, zur Hauptsache haben Sie doch hier eine Klatschzentrale!"
Die Brothändlerin riss den Mund weit auf.
„Ja! Ja!" bekräftigte Else, die immer kühner wurde, ihre Worte. „Ihr Geschäft ist doch mehr ein Schluderbüro als eine Brothandlung, und alle diese Klatschereien, die Sie hier dulden, haben das Unheil angerichtet, über das Sie jetzt Mitleid heucheln!"
„Aber... er . . lauben... . Sie... !"
„Ich bin über diesen Betrieb hier orientiert, Frau Kuhlmann!" Else wurde jetzt erregt. „Und wenn es Ihnen nicht passt, dass ich Ihnen die Wahrheit ins Gesicht sage, nun — es wird auch noch anderswo Brot gebacken und verkauft!" Und damit drehte sie sich resolut um und verließ den Laden.
Die Brothändlerin stand hinter der Tonbank, als habe sie plötzlich die Sprache verloren. Emil, ihr Mann, hatte von den hinteren Räumen aus die erregt sprechende Else gehört, war vorsichtig herausgeschlichen und hatte gelauscht. Er war begeistert über das, was sie sagte. Als er sich nun aber wieder zurückziehen wollte, knarrte der Boden. Die Brothändlerin stürzte hinzu und entdeckte ihn hinter der Tür. Nun hatte sie einen, auf den sie ihre grenzenlose Wut ausschütten konnte. Wie eine Furie fuhr sie auf ihn los und fand mit einem Male ihre Sprache wieder: „Du elender Lump!" schrie sie gellend. „Wenn solche rotznasige Deern deine Frau beleidigt, das ganze Geschäft beleidigt, stehst Du hinter der Tür und grinst! Du Memme! — Du Stück Mist! — Hinter meinem Rücken frohlockst Du über die Beleidigungen, die man mir an den Kopf Wirft!"
Schließlich brach sie in nervöses Weinen aus.
Emil benutzte diese günstige Gelegenheit! um zu entwischen.

Der ungewöhnliche Kampf der Einwohner der Rosenhofstraße erstarkte von Tag zu Tag. Einige Mieter, die noch am ersten dieses Monats ihre Miete der Vizenfrau ausgehändigt hatten, bedauerten es jetzt und teilten Kummerfeld oder Olfers mit, dass sie für die kommenden Monate in die Streikfront einrücken würden. Die Stimmung war ausgezeichnet. Helle Freude herrschte bei allen Arbeitern über die hilflose Wut der Hausbesitzer, die sich in den bürgerlichen Pressen austobten, alle Register der Bolschewistenhetze spielen ließen und fortgesetzt nach dem Polizeibüttel schrieen. Die Arbeiter ließen sich aber weder einschüchtern noch verwirren. Alles ging in voller Ruhe seinen Gang, nur bekamen die Hausbesitzer keine Miete.
Den übergroßen Anforderungen jedoch, die dieser Kampf an Olfers stellte, war dessen Körper nicht gewachsen. Die ganzen Abende, bis spät in die Nacht, waren mit immer neuen Arbeiten ausgefüllt. Für die Parteitageszeitung mussten informierende Artikel geschrieben werden. Von der Parteileitung wurde er, der Initiator des Streiks in der Rosenhofstraße, als Referent zu Versammlungen in anderen Stadtteilen vermittelt, denn auch dort versuchten die Genossen, einen Mieterstreik zu organisieren. Auch hatte er für die Mieter der ersten zwanzig Häusernummern der Rosenhofstraße an drei Abenden in der Woche Sprechstunden eingerichtet; außerdem war jede Woche eine Zusammenkunft der Gesamtstreikleitung. So war jeder Abend für Olfers mit Arbeit ausgefüllt. Er war in den wenigen Tagen im Gesicht fahl geworden und die Verantwortung, die auf ihm lastete, machte ihn unruhig und nervös. Er, der sonst die Ruhe und Überlegenheit selber war, brauste bei dem geringsten Anlass heftig auf und lief wie ein gereizter Tiger unruhig im Zimmer auf und ab. Dazu kam, dass er gegen jeden misstrauisch geworden war. Den dummen Zwischenfall mit der Trudel Merker schob er Else und Fritz zu und äußerte einmal sogar erbittert dem alten Kuhlmann gegenüber, dass auf diese Kinder nicht der geringste Verlass sei. Fritz war darüber wieder verärgert und sein Arbeitseifer für den Streik und die Partei ließ nach. Kummerfeld aber schmückte diese Äußerung Olfers noch mit allerlei Zutaten aus und sorgte für ihre Verbreitung.
Es war eben das ungeheure Maß Arbeit, das Olfers reizbar gemacht hatte. Er arbeitete aber auch wie ein Pferd und nahm die Stunden der Nacht zu Hilfe, wenn die Abende nicht reichten.
An einem Abend hatte er eine Kartothek hergestellt. Sämtliche Mieter der Rosenhofstraße von 1—20 waren darin zusammengefasst. Diejenigen, die in der Streikfront standen, hatten rote Karten mit einer fortlaufenden Nummer und jede Nummer hatte wieder einen Briefumschlag, in dem das Mietegeld des betreffenden Mieters steckte. Jeder Einwohner, der vom Streik noch nicht erfasst war, hatte eine weiße Karte. Durch diese systematische Einteilung wollte sich Olfers die Arbeit erleichtern. Zwei Zigarrenkisten hatte er sich zurecht gemacht. In der einen standen die Kartothekkarten, in der zweiten lagen nummeriert die Umschläge mit den Mietegeldern.
Es war während dieser Arbeit wieder einmal tiefe Nacht geworden. Die Wanduhr schlug zweimal. Zwei Uhr. Olfers war aber auch mit seiner Arbeitsleistung vollauf zufrieden. Er nahm die beiden Zigarrenkisten und stellte sie an ihren Platz auf dem Ecktisch in der Stube, hinter dem Radiolautsprecher, zwischen Anodenbatterie und Akkumulator. Dann ging er ins Schlafzimmer und legte sich ins Bett. Bei der kleinen Nachtlampe wollte er im Bett noch schnell einmal die Tageszeitung durchblättern. Seine Frau schlief bereits und wurde dadurch nicht gestört. Aber er war so abgespannt, dass er die Zeitung bald wieder beiseite legte und die Nachtlampe ausknipste. Und doch konnte er nicht schlafen. Die Gedanken jagten ihm durch den Schädel. Er erinnerte sich, morgen dieses und jenes erledigen zu wollen, überlegte einen Artikel, den er für die Zeitung schreiben sollte, dachte an Römpter, den Seehundbärtigen, mit dem er gestern ein außerordentlich interessantes Gespräch geführt hatte und überdachte schließlich, schon halb im Schlaf, seine heutige Arbeitsleistung. Nach dieser Registratur waren künftig Fehler so gut wie ausgeschlossen und für jede Auskunft, jede Zusammenstellung hatte er immer sofort das Material beisammen. Er lächelte und freute sich über seine Kartothek. Plötzlich vermeinte er aber einen Fehler in der Zusammenstellung begangen zu haben. Bei den Eintragungen musste er ihm unterlaufen sein. Der Kupferschmied Böhlein aus der Nebenterrasse hatte ihm am ersten ja nur die halbe Miete gegeben — den Rest wollte er nachbringen —, aber er meinte, die ganze Miete schon gebucht und kuvertiert zu haben. Das muss ich morgen gleich ändern, dachte er. Aber er fand keine Ruhe. Hin und her wälzte er sich. Der Fehler quälte ihn und lastete auf ihm wie ein Albdruck. Morgen kann ich es vergessen haben, dachte er und wälzte sich unruhig im Bett herum. Schließlich sprang er heraus, ging in die Stube, nahm die Kiste mit den Kuverts und durchblätterte sie.
Es war kalt und ihn fror, aber den vermeintlichen Fehler wollte er erst richtig stellen.
Bald fand er. dass die Miete Böhleins doch richtig eingetragen war und er stellte die Kasten auf ihren Platz zurück.
Es schlug drei Uhr, als er wieder ins Schlafzimmer ging und gleich darauf müde in die Kissen sackte. Bleischwer waren ihm die Augenlider; sein überanstrengter Körper konnte nicht zur Ruhe kommen und mit pochenden Schläfen starrte er noch lange in die Finsternis. Plötzlich glaubte er, Geräusche in seiner Wohnung wahrzunehmen. Eine entsetzliche Angst um das Geld packte ihn. Regungslos lag er da und horchte angestrengt.
„Da knisterte doch wieder was!" Olfers stemmte sich vorsichtig in seinem Bett auf. „... wie vorsichtige Schritte!"
Dann war es wieder still.
„Ich leide schon an Halluzinationen", sagte er sich, und warf sich stöhnend zurück in die Kissen. Morgen soll ich ja auch den Artikel für die Mieterzeitung fertig haben. Und er dachte darüber nach, wie er anfangen und welche Fragen er besonders hervorheben wollte. Plötzlich schnellte er wie gestochen wieder auf. Deutlich glaubte er schlürfende Schritte vernommen zu haben. Er tastete mit der Hand zum anderen Bett. Seine Frau lag dort und schlief.
„Da knarrte doch wahrhaftig eine Tür?"
Olfers saß heiß im Bett und horchte.
„Das waren doch wieder schleichende Schritte?"
Leise schlug er die Bettdecke zurück und erhob sich. Fieberheiß schlich er auf bloßen Füßen zur Schlafzimmertür und öffnete diese. Vor ihm lag der stockdunkle Korridor. Nun stand er im Türrahmen und starrte und horchte. Wieder war nicht das Geringste zu hören. Olfers wollte schon, ärgerlich über sich und seine überreizten Nerven, wieder umkehren, als er aus der undurchdringlichen Finsternis deutlich ein mühsam unterdrücktes Atmen vernahm. Olfers flog vor Kälte und fiebernder Aufregung am ganzen Körper. Ganz in seiner Nähe musste eine Mensch stehen, daran war kein Zweifel mehr. Instinktiv ging er zur Haustür. Er untersuchte gar nicht erst, ob sie verschlossen oder offen war, sondern legte hastig die Sicherheitskette vor. Dann ging er langsam, Schritt für Schritt, durch das Dunkle in der Richtung zum Wohnzimmer. Alle Sinne waren wach. Er merkte, wie ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand. Er sah nichts, aber er spürte deutlich, wie vor ihm jemand Schritt für Schritt zurückwich.
Nun musste er bald bei der Wohnzimmertür sein. Da quietschte ein wenig die Türangel.
„Halt!" schrie er mit entsetzlich greller Stimme.
„Halt!"
Er erhielt einen Stoß und taumelte zurück. An ihm vorbei rannte jemand zur Haustür, riss an der Sicherheitskette. Olfers schrie wieder wie wahnsinnig: „Halt! Ha-a-alt!" und immer nur „Halt!" Ganz von Sinnen schnellte er zur Tür. Jetzt packte er den Einbrecher, riss ihn zurück, umklammerte ihn. Der wehrte sich verzweifelt. Olfers brüllte wie ein Tier.
Seine Frau stürzte aus dem Schlafzimmer heraus auf den Korridor zur Haustür, kettete auf und schrie durch das nächtliche Haus:
„Mörder! Mörder! Zu Hilfe! Zu Hilfe!"
Mit einem röchelnden Aufschrei fiel Olfers hintenüber. Blitzschnell rannte nun an Olfers' Frau ein Mann vorbei, aus der Tür und die Treppen hinunter. Olfers lag stöhnend am Boden.
„Das Geld! Das Geld!" keuchte er mühsam.
Inzwischen war es im Treppenhaus lebhaft geworden. Einige Mitbewohner traten notdürftig bekleidet aus ihren Wohnungen. Der Postbeamte Presche vom vierten Stock kam mit Licht herunter. Haberland, der Etagennachbar und der Barkassenführer Bartels aus dem Parterre. Einige Frauen standen im Treppenhaus. Einer fragte den anderen; aber niemand wusste die Schreie zu erklären.
Der Elektriker lief in seine Wohnung, holte Streichhölzer und zündete bei Olfers die Gaslampe an.
Olfers lag wie leblos am Boden. Zwei der Männer wollten ihn aufheben, aber er schrie gellend auf. Da ließen sie ihn Hegen.
Auf dem Boden des Korridors verstreut lagen Briefumschläge, Geldstücke und Geldscheine. Nahe der Haustür lag eine Zigarrenkiste.
Frau Olfers stand im Nachthemd wie erstarrt da und sah immerfort auf ihren Mann, der zusammengekrümmt am Boden lag und leise stöhnte.
„Ich lauf zur Polizei!" Der Postbeamte Presche lief in seine Wohnung hinauf, um sich anzuziehen.
„Wir werden ihn immerhin aufs Bett legen müssen!"
„Lasst uns lieber erst mal das Geld aufsammeln!"
Olfers musste das Wort Geld gehört haben. „Geld! Das Geld ist gestohlen, . , . gestohlen!"
„Aber was!" beruhigte ihn Bartels. „Das Geld ist da!"
Die beiden Männer fassten Olfers unter und hoben ihn auf. Er stöhnte schrecklich. Als er dann auf dem Bett lag, wimmerte er wieder: „Das Geld! Das Geld!"
„Mann, Mann, das Geld ist doch hier! Sieh!" Damit hob seine Frau die Zigarrenkiste mit den aufgelesenen Briefumschlägen und dem Geld hoch. Aber Olfers sah und hörte nichts mehr; er hatte das Bewusstsein verloren.
Es dauerte eine volle Stunde, ehe der Polizeiarzt kam. Inzwischen war die Einwohnerschaft des ganzen Hauses in Aufregung. Die tollsten Gerüchte gingen von Mund zu Mund.
„Olfers ist von Einbrechern niedergestochen!" „Olfers ist von politischen Gegnern ermordet!"
„Ach wo, aber das ganze Geld der streikenden Mieter ist gestohlen!"
Jede Vermutung wurde gierig aufgegriffen und als bestimmte und erwiesene Tatsache weitergetragen.
Der Sohn des Postbeamten, ein junger Reichsbannermann, lief in die Terrasse zu Pohl. Er trommelte solange an der Haustür, bis sie geöffnet wurde.
„Und das Geld?" Das war das Erste, was Pohl ihn fragte. „Von Geld weiß ich nichts!"
Der Schauermann zog sich in aller Hast an und rannte die Rosenhofstraße hinunter zu Fritz.
„Bei Olfers haben sie eingebrochen!"
Fritz starrte den verstört und atemlos vor ihm stehenden Schauermann an.
„Nein!" schüttelte sich Fritz.
„Ja! Ja!"
„Mensch, Karl!"
Wenige Augenblicke später liefen die Beiden zu Olfers.
Im Schlafzimmer war der Arzt. Olfers' Frau stand immer noch wort- und bewegungslos da. In der Aufregung dachte sie nicht an sich und ihr verunstaltetes Gesicht. Die zerfressene Nase und die angefressene Oberlippe sahen scheußlich aus. Auf die offenen roten Wunden war weißer Puder gestreut. Aus den blutunterlaufenen Augen rannen ununterbrochen Tränen.
„Ein schwerer Lungenstich!" drehte sich der Arzt zu ihr um. „Ich habe einen Notverband angelegt und werde veranlassen, dass sofort ein Krankenwagen kommt!"
„Ist es schlimm?"
„Schlimm schon, doch wohl nicht lebensgefährlich! — Wo kann ich mich waschen?"
Beide gingen in die Küche. Olfers Frau wurde auf dem Korridor mit Fragen bestürmt
„Was sagt der Arzt?"
„Ist es lebensgefährlich?"
„Kommt er ins Krankenhaus?"
Sie antwortete nur immer: „Ein schwerer Lungenstich!"
Fritz und Pohl hatten schon jeden nach dem Geld gefragt, aber nur ungenügende und auch widerspruchsvolle Antworten erhalten. Als Olfers' Frau wieder aus dem Zimmer kam, konnte Fritz nicht länger an sich halten, er trat an sie heran und fragte.
„Doch, das Geld ist da. Er hat doch mit dem Einbrecher um das Geld gerungen!"
Fritz atmete erleichtert auf.
„Wissen Sie eigentlich, wer es war?" mischte sich jetzt der Schauermann ein.
„Nein!" — Sie überlegte: „Groß war er. Groß!"
„Meine Herrschaften, nun müssen Sie aber die Wohnung verlassen!" Der Arzt trat, sich die Hände abtrocknend, aus der Küche und wandte sich an die in der Wohnung zusammengelaufenen Menschen.
Langsam leerte sich der Korridor.
„Es ist Ihnen doch recht, wenn wir bleiben?"
Olfers' Frau stand, still vor sich hinweinend, an der Schlafstubentür. Sie bejahte leise.
Es war inzwischen hell geworden. Olfers lag immer noch in der Wohnung und fieberte. Er stöhnte, wälzte sich hin und her und lallte abgerissene Worte.
Ratlos saß seine Frau an seinem Bett, hielt den unruhigen Kranken an der Hand und blickte ihn mit ihren schrecklichen, kranken Augen unsagbar liebevoll an.
Pohl und Fritz saßen auf dem Korridor und unterhielten sich im
Flüstertone.
„Wir müssen heute noch eine Versammlung einberufen!" „Und wer wird Olfers Arbeit übernehmen?" „Kummerfeld!"
„Der Schleimscheißer!" stieß der Schauermann hervor. „Unsinn!, Römpter!"
„Gut, dass das Geld gerettet ist!"
„Das ist gerettet, aber Olfers wird vielleicht abkratzen!"
„Der wird schon durchkommen!-------Aber ich möchte verflucht
gerne wissen, wer es war. Der musste von dem Gelde und von allem gewusst haben!"
Olfers Frau kam heraus.
„Er spricht im Fieber, als ob das Geld gestohlen seil"
„Das ist nicht gut, das regt ihn nur auf!"
„Bringen Sie mir doch bitte ein Glas Wasser!"
Fritz lief in die Küche. Als er sich nach einem Glase oder einer Tasse umsah, fiel ihm auf, dass alles peinlich sauber war. Vor dem zerfressenen Gesicht hatte er sich geekelt. Aber es war in dieser Küche reinlicher als in den meisten Haushaltungen, die er kannte.
An der Haustür klopfte es. Römpter trat ein. Fritz und der, Schauermann informierten ihn über alles Vorgefallene. Der Seehundbärtige hörte schweigend zu.
„Welch ein Glück, dass das Geld da ist", murmelte er dann. „Heute abend noch müssen wir eine Versammlung festsetzen, damit keine falschen Gerüchte auftauchen und keine Verwirrung im Streik entsteht." „Ja!"
„Du wirst Olfers Arbeit übernehmen müssen!" „Hm! Warum ich?" brummte Römpter. „Sollen wir uns Kummerfeld ausliefern?" „Na schön, aber dann werde ich auch Mitglied der Partei!" „Mensch, Römpter, um so besser!" strahlte Fritz. Zwei Männer standen mit der Bahre vor der Tür. Auf dem Hausflur drängten sich wieder neugierige Hausbewohner.
Vorsichtig wurde Olfers auf die Bahre gelegt, ganz zugedeckt und hinausgetragen. Die Frau schloss sich im Nebenzimmer ein. „Wohin kommt er?" fragte Fritz noch schnell. „Ins Hafenkrankenhaus!"
Draußen tuschelten und flüsterten erregt die Hausbewohner. Eine Frau fragte den Schauermann; „Ist er tot?"
„Quatsch!" antwortete Pohl grob.
Später kamen zwei Kriminalbeamte. Fritz klopfte an Wohnzimmertür. Frau Olfers kam heraus und hielt sich jetzt ein weißes Tuch vor das Gesicht.
„Haben Sie auch was abbekommen?" fragte der eine Beamte sogleich.
„Nein!"
Nun sah er etwas vom Gesicht der Frau und blickte verlegen weg. 78
Die Beamten ließen sich den ganzen Vorgang noch einmal genau erzählen.
Den Zigarrenkasten nahmen sie schließlich mit.
„Möglich, dass Fingerabdrücke vorhanden sind!" meinte der eine, als sie gingen.
„Glaubst Du, dass die den Täter finden?"
Fritz zuckte die Achseln.
„Ich nicht!" beantwortete der Schauermann selber seine Frage. „Diese Fettfressen!"
Sie fragten Frau Olfers, ob sie noch etwas für sie tun könnten, ob sie noch bleiben sollten.
Sie verneinte durch Kopfschütteln.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Einbruch unter den Einwohnern der Rosenhofstraße. In den Terrassen und Hauseingängen diskutierten Arbeiter und Arbeiterfrauen. Haltlose Gerüchte tauchten auf und kursierten trotz aller Richtigstellungen. Einige charakterlose Kommunistenhasser machten sich diese Situation bewusst zunutze und versuchten, durch Ausstreuen falscher Angaben und Behauptungen Verwirrung unter den streikenden Mietern anzurichten.
Fritz und Pohl taten alles mögliche, um dem entgegenzuarbeiten« Römpter war zur Arbeit gegangen, wollte aber versuchen, sich früher freizumachen.
„Und wenn sie mich rausschmeißen", sagte Fritz, „heut' geh' ich nicht!"
Auch der Schauermann ging nicht in den Stall. „Die Aussichten sind sowieso gleich Null!" meinte er.
Fritz fuhr in die Stadt zum Parteibüro und zur Zeitung. Pohl blieb auf der Straße vorm Terrasseneingang, kämpfte gegen wilde Gerüchte und grübelte über den Täter nach. Er vermutete in dem Einbrecher einen politischen Gegner. Es musste einer sein, der in der Mieterversammlung gewesen war, oder sich doch zumindest über alle Einzelheiten unterrichtet hatte. Wie sollte sonst der Einbrecher wissen, dass Olfers das Mietsgeld in seiner Wohnung verwahrte? Von der Findigkeit der Polizei hatte der Schauermann, da es sich um Streikgelder handelte, auf die der Dieb es abgesehen hatte und weil es ein Kommunist war, der niedergestochen wurde, die denkbar schlechteste Auffassung.

Nicht nur der Saal bei Petersen, auch das Klublokal wimmelte abends von Menschen. Das nächtliche Ereignis hatte alles auf die Beine gebracht.
Arbeiter, junge und alte, waren da; Frauen, lebendige, erzählende; und alte, schweigsame, mit ledernen, faltigen Gesichtern. Laute, frische Arbeiterjungens saßen zwischen den Ehepaaren, schwatzten, lärmten, rauchten. Zwei stritten sich. Erregte Worte hallten durch den Saal. Nun mischten sich mehrere ein. Es wurde eine heftige, vielstimmige Debatte. Einige schrieen: „Ruhe! Ruhe!" Die ganze
Versammlung war ein brodelnder, quirlender Menschenknäuel Während einige ununterbrochen durcheinander schwadronierten, saßen andere wieder regungslos unter den erregten, gestikulierenden, schreienden Menschen, sahen und hörten sich alles mit stoischer Ruhe an und schmauchten ihr Pfeifchen.
Else hatte ziemlich vorne beim Vorstandstisch zwei Plätze für Fritz und Pohl freigehalten. Fritz selbst besprach sich noch mit Römpter im Klublokal. Kummerfeld machte Schwierigkeiten, Jetzt fühlte er sich mit einem Male zurückgedrängt und verlangte als zweiter Vertrauensmann der Streikenden dieses Häuserabschnittes die Übertragung der Berichterstattung über das Vorgefallene. Der alte Wohlfahrtspfleger benahm sich nach dem Einbruch bei Olfers äußerst interessiert und eifrig. Schließlich einigten sich Römpter und Kummerfeld, indem sie sich die Berichterstattung teilten.
Kummerfeld und ein Vertreter des Mietervereins nahmen am Vorstandstisch Platz.
„Der Alte führt was im Schilde. Wir müssen höllisch aufpassen!"
„Da hat er aber den denkbar ungünstigsten Moment gewählt!" antwortete Römpter.
„Das sag nicht!" meinte Fritz weniger zuversichtlich.
Dann gingen auch sie durch die Saalmitte zum Vorstandstisch. Einige Arbeiter aus der Versammlung wandten sich an den Seehundbärtigen, stellten Fragen, zupften ihn am Ärmel.
„Gleich! Gleich!" wiederholte er auf alle Fragen und unbeholfen, und, als wisse er nichts mit seinen beiden langen Armen anzufangen, schlenkerten sie ihm von seinen breiten, waagerechten Schultern herab.
Kaum hatte er sich zu den beiden an den Vorstandstisch gesetzt, als der Mietervereinsvertreter aufstand und mit der Hand auf eine Versammlungsschelle schlug.
Der Lärm im Saal ebbte langsam ab.
Der Versammlungsleiter eröffnete die Mieterversammlung und erteilte Kummerfeld das Wort zum ersten Teil des Berichts. Der Wohlfahrtspfleger erhob sich
Es wurde noch geflüstert und getuschelt und Kummerfeld wartete, bis absolute Ruhe im Saal war. Aller Blicke hingen an dem kleinen, graumelierten Alten, der, wie verlegen, seine Brille zurechtschob, sich dann mit der Hand auf den Vorstandstisch stützte und nach passenden Worten zu suchen schien.
„Durch einen Zufall", begann er mit leiser Stimme, „sind die streikenden Kollegen vor einem schweren Schaden bewahrt worden. Vielen der Anwesenden wäre um ein Haar die ganze Monatsmiete gestohlen worden. Wir streiken um ein gutes Recht. Zweifellos. Trotz aller Versprechungen maßgebender Regierungsinstanzen, mit der großen Lohn- und Gehaltsabbauoffensive auch die Lebenshaltungskosten der werktätigen Massen herunterzusetzen, bleiben diese jetzt, nach dem durchgeführten Lohnabbau, nicht nur unverändert, sondern verteuern sich unaufhörlich. Die Erhöhung der Mieten ist nur ein Glied in dieser Kette!" „Wie der redet?"
„Wart' nur ab!" flüsterte Fritz dem Schauermann zu.
„So kämpfen wir ohne Frage einen gerechten Kampf, aber wir müssen uns dennoch fragen: kämpfen wir auch einen Erfolg versprechenden Kampf?"
Im Saale räusperten sich einige.
„Markst Müs?" flüsterte Fritz.
„Nur ein verhältnismäßig niedriger Prozentsatz Mieter der Rosenhofstraße streikt. Ich bezweifle entschieden, dass dieser isolierte Teilstreik erfolgreich verlaufen wird!"
„Hoho! Hoho!" rief man ihm entgegen.
„Aber selbst dieser lächerlich kleine Teilstreik ist mangelhaft organisiert. Jeder Kampf muss heute bis ins Letzte durchdacht und vorbereitet sein. Wir dürfen die Klassenkräfte des Gegners nicht unterschätzen und unsere als unüberwindlich hinstellen. Hinzu kommt, dass die erfahrensten Bewohner und bekanntesten Sozialdemokraten planmäßig von der Streikleitung ausgeschlossen wurden. Den Enthusiasmus junger Arbeiter in Ehren, aber mit Enthusiasmus allein ist es noch nicht getan, das haben wir alle am eigenen Leibe erfahren müssen!"
„Sehr richtig!" ging wieder eine Welle der Unruhe durch den Saal,
„Miesmacher!" kam eine Stimme aus den hinteren Reihen.
„Ich habe den Mut", rief Kummerfeld mit erhöhter Stimmenkraft, „Euch zu sagen, dass ich den auf wenige Mieter isolierten Streik für aussichtslos halte. Ich und meine Freunde haben von Anfang an gewarnt. Ein Mieterstreik ist keine Kleinigkeit. Mit den Schicksalen seiner Klassengenossen darf man nicht leichtfertig spielen. Wenn mit polizeilicher Gewalt einige Mieter exmittiert werden, will ich die Verantwortung dafür nicht tragen!"
„Was soll denn nach Deiner Meinung geschehen?"
Der Schauermann rief das ganz ruhig, sogar etwas ironisch dem Alten zu, er saß aber geduckt da, als wolle er, sprungbereit, jeden Augenblick dem Alten an die Kehle fahren.
Kummerfeld sah sich kurz nach Pohl um und antwortete sofort:
„Nur ein Weg ist gangbar, Sofort Verhandlungen mit den Vertretern der Hausbesitzer und gütige Beilegung der Differenzen!"
Sofort setzte von allen Seiten ein Gejohle ein. Es wurde gerufen, Schimpfworte schwirrten durch den Lärm. Aber es wurde von einigen auch zustimmend geklatscht
Der Alte schrie mit gellender Stimme!
„Wenn unser Geld erst gestohlen und die ersten Mieter auf der Straße liegen, dann ist es zu spät!"
Das Widerspruchsgeschrei wurde nur noch ärger. „Bremser! —- Miesmacher! — Tappergreis! — Verräter!" und zahlreiche andere, in dem Tumult unverständliche Rufe schrie die Versammlung dem Alten zu.
Der Vorsitzende schlug dauernd auf die Schelle. Aber deren leises Ping-ping erstickte im Lärm.
Etwas verwirrt setzte sich Kummerfeld.
Römpter stand auf und ging einen halben Schritt auf die Versammelten zu Er ruderte mit seinen langen Armen in der Luft. Allmählich trat Ruhe ein.
In kurzen, abgehackten Worten schleuderte er in die Versammlung:
„Was vertritt eigentlich Kummerfeld hier? Er spielt doch eine merkwürdige Rolle. In der Streikleitung sind er und seine Gesinnungsgenossen in der Mehrheit, hier aber stellt er es so hin, als würden alle Nichtkommunisten von den Kommunisten terrorisiert. Er will den Streik abgebrochen wissen. Warum? Weil beinahe die Mietsgelder gestohlen wurden? Überhaupt: Kein Glückszufall, sondern das mutige, aufopfernde Verhalten unseres Genossen Olfers tat uns vor Schaden bewahrt!" „So ist es!" riefen viele.
„Dee olle Graukopp wär in de Ohnmacht fullen, wenn em dat passiert wär!"
„Nicht Abbruch des Streiks, Verbreiterung, das ist die Aufgabe. Nicht wir werden zu den Hausbesitzern gehen, sie werden zu uns kommen müssen. Und sie werden kommen, denn sie wollen Miete haben. Kummerfeld redet hier, wie es seine Minister- und Senatorengenossen verlangen. Und er redet, als ob er auch dafür bezahlt bekäme!"
„Unerhört!" kreischte eine Frauenstimme. „Ich bin dreißig Jahre in der Arbeiterbewegung organisiert!" schrie mit hochrotem Kopf Kummerfeld. Er sprang von seinem Platz auf. „Ich verbitte mir diese infamen... .“
Sein Geschrei ging in einem tosenden Spektakel unter. Auf der einen Seite des Saales »ahm der Tumult bedrohlichen Umfang an. Arbeiter drangen aufeinander ein. Einem wurde die Mütze vom Kopf geschlagen.
Römpter brüllte mit ganzer Lungenkraft:
„Genossen, lasst euch nicht provozieren! Durch Auffliegen der Versammlung glaubt man auch ein Auffliegen des Streiks erreicht zu haben!"
„Hier sind Nazis!" schrieen einige Arbeiter ihm zu, „Schmeißt sie raus!" „Raus mit den Hunden!" „Die Arbeitermörder!"
Vier junge Leute erhoben sich und drängten sich zum Ausgang. „Wir wollen uns nicht die Polizei auf den Hals hetzen lassen!'' rief Römpter. „Lasst sie raus!"
Der Versammlungsleiter schlug auf der Schelle herum. „Unser Streikfront ist nicht nur unerschüttert, sie wird noch wachsen!" redete Römpter sich Ruhe. „Die Hausbesitzer werden sich vor Exmittierungen hüten. Kummerfeld malt den Teufel an die Wand... Wenn wir aushalten, dann sind die Hausbesitzer mürbe, Schlechte Proleten sind es, die... ."
„Heil Hitler!" brüllte der eine Nazi an der Tür und lief hinaus. Die Versammlung brach in ein Gelächter aus. „Schlechte Proleten sind es, die den Kämpfen ihrer Klassengenossen indifferent, passiv gegenüberstehen und sie nicht unterstützen. Schlechter aber sind noch die, die in den Reihen der Kämpfenden planmäßig Verwirrung anrichten und auf eine Niederlage der Arbeiter hinarbeiten!"
Lautes Beifallklatschen und -rufen folgte diesen Ausführungen.
„Abstimmen!"
„Abstimmen!"
„Worüber soll ich denn abstimmen?" flüsterte hilflos der Versammlungsleiter zu Römpter.
„Lass über die Weiterführung des Mieterstreiks abstimmen!"
Der Versammlungsleiter schlug verzweifelt auf seine Schelle, Als es etwas ruhiger wurde, rief er:
„Ich lasse abstimmen!"
Sofort verstummte die Unruhe.
„Wer für den Streik ist, — bitte das Handzeichen!"
Ein Wald von ausgestreckten Armen.
„Wer für Abbruch des Streiks ist!"
„Ich protestiere!" schrie Kummerfeld, „ich bin nicht für bedingungslosen Abbruch des Streiks, sondern für sofortige Aufnahme von Verhandlungen!"
„Wofür Du bist, interessiert uns gar nicht!" raffte sich die Mietervereinsvertreter auf. „Wir stimmen ab über Weiterführung oder Abbruch des Streiks! Wer ist für Abbruch des Streiks?" wiederholte er dann.
Keine zwei Dutzend Arme erhoben sich und davon sanken einige noch wieder zurück.
Kummerfeld saß steif am Vorstandstisch.
„Die Mehrheit ist für Fortführung des Streiks!"
Nun erhob sich Römpter noch einmal:
„Das Mietsgeld ist in sicherem Verwahrsam. Die Streikleitung wird den Ersatzmann für Olfers bestimmen!" —
Als die Versammlungsbesucher aus dem Saal strömten, schwang sich Fritz auf einen Stuhl und rief:
„Genossen, Olfers hat mit dem Einsatz seines Lebens das Mietsgeld und damit unseren Mieterstreik verteidigt. Olfers ist ein alter Kämpfer in den Reihen der Arbeiterbewegung und wir Kommunisten sind stolz auf ihn. Nun füllt die Lücke, die durch Olfers1 Verletzung in unseren Reihen entstanden ist. Reiht Euch ein in die Kommunistische Partei! Werdet bewusste, aktive Mitkämpfer in der proletarischen Klassenfront!"
Langsam leerte sich der Saal. Im Klubzimmer ließen sich noch einige Mieter in die Streiklisten eintragen.

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