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B. Traven - Regierung (1931)
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ZEHNTES KAPITEL

1

Während sich diese Ereignisse auf der Plaza abwickelten, lagen der Sekretär, seine Frau und seine Kinder vor dem Muttergottesbilde ihres Altars in der Wohnstube auf den Knien, haspelten nervös die Perlen an den Rosenkränzen herunter, die sie fromm in ihren vor Angst verschwitzten Händen hielten, und flehten innig die Heilige Jungfrau an, sie vor der Wut der Salvajes, der Wilden, zu schützen. Sie gelobten der Gottesfrau eine andächtige Pilgerung nach Tila, zwanzig Pesos in barem Gelde und zwölf Ein-Peso-Kerzen.
La madre del dios poderoso, die Mutter des allmächtigen Gottes, wie die Jungfrau genannt wurde, hatte darauf hin ein Einsehen mit ihren frommen Anhängern und trug das Ihrige dazu bei, dass die Indianer sich rasch und ruhig entfernten, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass der Amtsstab in die rechten Hände übergegangen war.
Die Indianer hatten nie die Absicht gehabt, in dieser Angelegenheit den Sekretär zur Rechenschaft zu ziehen. Er war kein Angehöriger ihrer Nation und war darum auch nicht deren Sitten und Gebräuchen unterworfen. Es war ihr Plan gewesen, den Platz zu verlassen, sobald sie ihren Zweck erreicht sahen. Und sie verfolgten ihren Plan ohne Rücksicht darauf, ob Don Abelardo und seine Frau Rosenkränze herunterbeteten oder nicht. Mit dem persönlichen Wohlwollen der Heiligen Maria hatte ihre Nationalversammlung nichts zu tun.
Dennoch redeten sich Don Abelardo und seine Frau ein, dass sie es allein nur der Gottesmutter und ihren andächtigen Gebetsformeln und materiellen Gelöbnissen verdankten, dass die Indianer sich um den Secretario nicht kümmerten, sondern sich so benahmen, als wäre er gar nicht auf der Welt.
Don Abelardo und seine Frau unternahmen die gelobte Pilgerfahrt nach Tila natürlich nicht, was menschlich durchaus verständlich ist, denn jene Pilgerfahrt war mit allerlei Unbequemlichkeiten und mit noch mehr Kosten verknüpft. Sie opferten auch die versprochenen zwanzig Pesos nicht, gleichfalls begreiflich, denn einige Tage später kam ein arabischer Händler durch den Ort, der mehrere schöne Kleider auslegen konnte, von denen eines der Frau des Sekretärs so gut gefiel, dass sie erklärte, für den Besitz des Kleides sterben zu wollen. Um es kaufen zu können, wurden jene zwanzig Pesos mit herangeholt. Ferner musste sich das Muttergottesbild in der Wohnstube des Sekretärs anstatt der versprochenen Ein-Peso-Kerzen mit gewöhnlichem Brennöl begnügen, an dem auch noch in der Weise herumgespart wurde, dass die Frau nur ganz dünne Dochte verwandte, die auf einer Blechscheibe in dem Öl schwammen und von denen das Dutzend zehn Centavos kostete.

 

2

Noch am selben Tage gelang es dem Sekretär, Telefonische Verbindung mit Jovel zu bekommen. Das war etwa gegen Mittag. Aber der Garnisonkommandant selbst konnte noch nicht erreicht werden, denn es war Neujahrstag, und jedem Neujahrstage geht bekanntlich ein Silvesterabend voraus. An jenem Silvesterabend hatte auch der Garnisonkommandant teilgenommen, so erfolgreich, dass er erst gegen fünf Uhr nachmittags seinen Adjutanten zu fragen imstande war, was inzwischen irgendwo sich vielleicht zugetragen haben könnte.
Das Telefongespräch war, infolge der vortrefflichen Leitung, die wie gewöhnlich auf dem Erdboden schleifte, verstümmelt im Dienstzimmer der Kommandantur angekommen. Der Sekretär hatte keine direkte Leitung mit der Kommandantur. Das Gespräch wurde durch Vermittlung mit anderen Stellen weitergegeben. Jede Vermittlung gab den Bericht mündlich weiter, und jeder Vermittler fühlte sich berufen und verpflichtet, das Gespräch je nach seiner Laune, seinem Temperament, seiner Erfindungsgabe und seiner Hörfähigkeit aufzunehmen und weiterzugeben. So gelangte im Dienstzimmer der Kommandantur der Bericht an, dass fünfzigtausend Indianer in Pebvil in heller Rebellion gegen die Regierung seien und dass sie den Präsidenten und den Sekretär der Zentralgemeinde und deren Familien ermordet hätten. Im Cuartel war nur die Wache anwesend, weil die Soldaten infolge des Neujahrsfestes freien Ausgang hatten und vor zwölf Uhr nachts nicht in den Cuartel zurückkamen, eine gute Anzahl von ihnen reichlich eingeweicht.
Der Kommandant hatte für den Neujahrsabend bereits andere Pläne. Er wollte auch die friedliche Stadt, die im Nachrausch des Silvesterabends schwankte, nicht unnötig aufregen, was geschehen wäre, wenn er durch Mobilmachungssignale die Soldaten, die in allen möglichen Winkeln und Ecken der Stadt mit ihren Mädchen sich daran erfreuten, dass nun wieder ein neues Jahr begonnen habe, hätte zusammenblasen lassen. Er wurde in seinem neutralen Verhalten bestärkt, als am späten Nachmittag das Telefongespräch durch Rückfragen berichtigt wurde und es sich herausstellte, dass die Indianer alle abgewandert seien und nur der Jefe, ein Indianer, ermordet worden sei, während der Sekretär, ein Ladino, am Leben sei und persönlich Telefoniert habe. Der Kommandant gab darum den Befehl aus, dass am nächsten Morgen ein Capitan mit dreißig Mann Kavallerie nach Pebvil abmarschieren solle, um an Ort und Stelle zu erfahren, was eigentlich geschehen sei und ob Ursache vorliege, eine größere Truppe abzuschicken und dort für einige Zeit einzulagern.

 

3

Es war am Vormittag des nächsten Tages, als Don Gabriel, der die unabhängigen Dörfer der Indianer absuchte, um Arbeiter für die Monteria aufzukaufen, in Pebvil eintraf.
Don Abelardo erzählte ihm die Ereignisse so heiß, wie sie ihm noch in seinem ganzen Körper kochten.
Don Gabriel, der sich, seinem Geschäft zuliebe, Mühe gab, die große Kunst zu lernen, den Charakter der Menschen aus ihrem Gesicht und ihrem Benehmen abzulesen, um diese Kenntnis erfolgreich für sein Geschäft gebrauchen zu können, versuchte die erlernten Anfangsgründe jener Wissenschaft gleich anzuwenden. Es muss freilich gesagt werden, dass Don Gabriel nur glaubte, eine neue Wissenschaft praktisch zu verwerten; denn die Wahrheit ist, dass er Don Abelardo genügend lange kannte, um zu wissen, wie er ihn zu behandeln habe, um auf den Knotenpunkt des Lebens zu stoßen, das heißt, auf Geschäfte, die Geld bringen.
Er sagte, als Don Abelardo sich die Geschichte von Leib und Seele heruntergeredet hatte: »Ich muss gestehen, Don Abelardo, dass ich Sie bewundere für diesen geradezu unerhörten persönlichen Mut, den Sie angesichts von dreißigtausend rebellischen Indianern gezeigt haben. Ich vermute, die ganze mexikanische Geschichte kennt nicht ein einziges zweites Beispiel solcher Kaltblütigkeit und solcher Tapferkeit gegenüber den Tausenden von mordgierigen Indianern. Wie Sie das zuwege gebracht haben, gerade in dem Augenblick, als die Hände jener Wilden noch vom Blute der Hingerichteten träufelten, allein, mutterseelenallein und ohne Revolver, so ohne weiteres offen aus der Tür zu treten und auf den Platz zu gehen und diese erregten Massen zur Besinnung aufzurufen und ihnen kalt den Befehl zu geben, ruhig nach Hause zu gehen und in
Frieden und Ordnung zu gehen, das ist bewundernswert. Ich hätte das gewiss nicht vermocht. Ich würde mich mit meiner Frau im finstersten Winkel meiner Wohnstube verkrochen haben und würde nichts anderes unternommen haben, als vor der Purisima zu knien.«
Bescheiden antwortete darauf Don Abelardo: »Die Wahrheit gesprochen, Don Gabriel, la verdad es asi, ich habe mächtig gezittert für einige Augenblicke, als die Stücke von der Veranda herunterflogen.«
»Das ist doch ganz klar, dass Sie ein wenig nervös waren«, sagte Don Gabriel geschickt, »darin zeigt sich eben der rechte Held, dass er die Gefahr kennt. Und gelegentlich einmal zu zittern, ist das gute Recht eines jeden Helden; denn wenn jemand nie zittert, dann kennt er eben die Gefahr nicht, und wer die Gefahr nicht richtig einzuschätzen vermag, kann nie ein Held genannt werden, wenn er dieser Gefahr ins Auge sieht.«
»Richtig, richtig, Don Gabriel, genau, aber ganz genau so war es mit mir. Ich habe mich aber bezwungen, und ich habe den Burschen einmal gezeigt, was ein Ladino unter solchen Umständen zu tun vermag. Ich habe die Autorität hochgehalten. Das haben diese Wilden auch sofort erkannt, dass sie mit mir nicht herumspielen können. Darum haben sie auch willig meinen Befehl, ruhig und in Frieden nach Hause zu gehen, so rasch und widerstandslos erfüllt.«
Als ob er bereits vor dem Gouverneur stände, sagte Don Gabriel: »Ich werde schon dafür sorgen, dass Ihre tapfere Tat hier weit bekannt wird. Überlassen Sie es nur ganz mir und meiner guten Bekanntschaft mit dem Gouverneur und den Jefes Politicos, dass ich Ihr grandioses Verhalten an die richtigen Stellen lenke. Eine solche Tat wie die Ihre darf nicht in Vergessenheit geraten. Sie muss als strahlendes Beispiel der Tapferkeit eines Beamten auf verlorenem Posten durch das ganze mexikanische Volk leuchten. Sobald ich nach Tullum komme, werde ich sofort mit allen Korrespondenten der
Periodicos sprechen, dass diese Geschichte publiziert wird. Steht es einmal in den Zeitungen, dann wird Ihre Tat in Ewigkeit nicht vergessen. Zeitungen leben, wenn auch alle Menschen nach und nach zugrunde gehen müssen. Ich kenne die Korrespondenten alle persönlich, und sie alle sind willig, mir eine Gefälligkeit zu erweisen.«
Man darf Don Gabriel nicht für einen solchen Dummkopf halten, dass er im Ernst die Geschichte glaubte, die ihm der Sekretär vorgewärmt hatte. Er selbst war ja Sekretär gewesen. Er selbst wusste am besten, wie er sich benehmen würde bei einem solchen Ereignis, wie es sich angeblich in Pebvil zugetragen haben sollte. Und dass irgendein Sekretär, ganz gleich, wie er aussah, ganz gleich, wie er hieß, ganz gleich, wie viele Revolver er im Gürtel trug, ganz gleich, welche gewaltigen Reden er schwenken konnte, wirklich gehandelt haben würde, wie Don Abelardo behauptete, gehandelt zu haben, das würde sogar der Erzbischof von Mexiko dem Don Gabriel nicht mit Erfolg einreden können. Don Gabriel kannte sich, und er kannte einige Dutzend von Sekretären, und dass er selbst oder auch nur ein einziger aus den Dutzenden eine Ausnahme gemacht haben würde, darauf hätte Don Gabriel nicht einen Peso gegen hundert gewettet.
Aber weil er sich selbst genügend gut kannte, darum kannte er auch genügend gut Don Abelardo. Und er hatte ihn richtig eingeschätzt.
Don Gabriel hätte nach dieser Unterredung von dem Sekretär alles bekommen können, die Frau, das beste Pferd und hundert Indianer für die Monterias, wenn Don Abelardo frei darüber hätte verfügen können.
Don Gabriel war hier nicht, um die Prahlereien des Sekretärs hinunterzuschlucken, ihn über den Unbekannten Soldaten hinaus zu loben und ihm versteckte Versprechungen auf die Präsidentschaft der Republik zu machen, sondern er war hier, Indianer für die Monterias aufzukaufen. Und alles, was er tat und sagte, galt diesem edlen Zwecke.
Bis jetzt sah er noch nicht ganz klar, wie ihm die Indianer in die ausgespannten Netze laufen würden. Aber er hatte bereits seine Ideen und Pläne.
Er benötigte nur noch die Ankunft der Soldaten, um mit der Arbeit zu beginnen. Er hoffte, dass der Mayor oder der Coronel, der die Soldaten herbrachte, guten Vorschlägen zugänglich sein werde. Auch Coroneles waren Menschen, und sie hatten darum ihre ewigen Geldnöte. Wer in Geldnöten ist, kümmert sich gewöhnlich nicht sonderlich um die Geschicke anderer Menschen, soweit diese Geschicke nicht in irgendeine Verbindung mit der Lösung seiner finanziellen Schwierigkeiten gebracht werden können. Wenn diese Geschicke sich nun gar noch auf Menschen beziehen, die Indianer sind und aus diesem Grunde nicht eigentlich den vollen Anspruch darauf erheben können, als Menschen angesehen und behandelt zu werden, dann schert sich das Gewissen nicht darum, ob jene Kreaturen Geschicke haben oder nicht.

 

4

Don Gabriel und Don Abelardo saßen gerade beim Frühstück, als der Trupp Kavallerie mit einem Capitan Primero als Kommandant vor dem Cabildo ankamen.
Der Trupp hatte sich für den Ritt hierher reichlich Zeit genommen. Der Capitan ließ auf dem Wege einen vollen Tag halten, um einen kleinen Ausflug nach einem Rancho in der Nähe zu unternehmen, weil dort ein Ranchero lebte, dessen sehr hübsche Nichte gerade auf Besuch war.
Der Capitan besaß die übliche Intelligenz von Offizieren. Auf Grund dieser Intelligenz sagte er sich, dass die Indianer warten könnten und dass er sie auch dann antreffen würde, wenn er zwei Tage später ankäme. Die Indianer liefen nicht fort, weil sie ihre Erde liebten. Dagegen war es nicht so sicher, dass die Nichte auch morgen noch anzutreffen war, denn sie wohnte in Tapachula, und es mochte wohl sein, dass sie ihren Aufenthalt hier nicht lange ausdehnte.
Der Capitan war aber nicht nur intelligent, er war auch klug in weltlichen Dingen, die an sich mit Kriegführung und Soldatendrillen nicht gerade viel zu schaffen haben. Er bekam für die gefährliche Expedition hohe Diäten, Kriegszahlung. Andere Volker machen häufig Krieg mit ihren Nachbarn, um ihren Offizieren Kriegslöhnung bewilligen und auszahlen zu können. Mexiko hat diesen Vorteil nur in sehr beschränktem Maße. Darum müssen Militärrevolten und Indianerrebellionen nachhelfen, um den Generalen und den übrigen Rängen Kriegslöhne zukommen zu lassen. Wenn Offiziere nicht gelegentlich Kriegslöhne erhalten können oder ihnen wenigstens diese erhöhten Diäten mit Hilfe schreiender Zeitungsartikel in steter Aussicht stehen, dann werden sie sauer und manschen gar in Politik herum.
Man soll darum dem Capitan nicht verdenken, dass er auf seinen Vorteil bedacht war und versuchte, die Expedition in die Länge zu zerren. Selbst Vierteltage wurden als ganze Tage bezahlt. Hätte Pebvil kein Telefon gehabt, das gelegentlich doch einmal ernsthaft arbeiten mochte, dann würde der Capitan wahrscheinlich einen großen Bogen geschlagen haben, ehe er in dem Bestimmungsort eintraf. Und er würde den Bogen damit begründet haben, dass er reportiert hätte, er habe den Indianern mehrere Schlachten liefern müssen, ehe er Zutritt zu dem Ort gewinnen konnte.
Es ist keineswegs so selten, wie man in Grönland vielleicht glaubt, dass Offiziere aufständischen Indianern und Banditenhorden Schlachten liefern, bei denen den Indianern oder den Banditen Maschinengewehre und die dazugehörige Munition in die Hände fallen, weil Kriegsglück schwankt. Aber die Generale werden von diesem schwankenden und trügerischen Kriegsglück nicht getroffen. Denn am Tage nach der Schlacht kommt der Banditenführer und bezahlt dem General ein schönes Sümmchen für die eroberten Maschinengewehre. Der Banditenführer oder der Häuptling der rebellischen Indianer weiß den Wert der Maschinengewehre zu schätzen. Außerdem gibt ihm der General einige Tage vorher genau zu wissen, wie viel der Banditenführer für die Maschinengewehre, die er in der Schlacht erobern wird, zu zahlen hat. Von Vaterlandsverrat und von Verschleudern staatlichen Eigentums zu reden, ist billig in einem solchen Falle. Denn es handelt sich hier nur um kleine Geschäfte. Auf den Schlachtfeldern Europas, wo, nach dem Glauben der erregbaren Bürgerchen, um Ehre und Staatsbestand gekämpft wird, sind diese Geschäfte lediglich umfangreicher. Das ist der Unterschied. Und es kommt nur in sehr verunglückten Fällen dem Bürgerlein zur Kenntnis, wenn Magnaten den fremden Mächten Öl, Kohle, Unterseeboote, Kanonen, Kriegsschiffe und Panzerplatten um die Hälfte billiger verkaufen als dem eigenen und geliebten Vaterlande. Die Tat eines mexikanischen Generals sieht nur darum schäbig aus, weil sie ehrlich ist, ganz offen betrieben wird und weil sie sich in Ziffern abwickelt, die der Bürger begreift. Erst wenn die Geschäfte mit hundert Millionen beginnen, besteht eine Möglichkeit, ja die Sicherheit, geheime Staatsgründe vorzuschieben, um Untersuchungen und Prozesse zu vermeiden. Denn sobald es sich um Staatsgründe handelt, wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen; und weil alle Beteiligten, einschließlich der Richter des obersten Staatstribunals, alle an derselben Krippe sitzen, wird nicht aus der Schule geschwatzt. Man darf hierbei nicht vergessen, dass an allen Geschäften, bei denen die niedrigste Ziffer nicht geringer ist als hundert Millionen Dollar, Pfund oder Mark, sich nur solche Leute beteiligen können, die das Recht haben, am Klingelknopf der Regierung nach Belieben drücken zu dürfen.

 

5

Das Kapitänchen dieser Expeditionstruppe betrachtete sich schon auf gutem Wege, wenn es hundert Pesos am Rande verdienen konnte. Würde ein General den Trupp geführt haben, dann hätte Don Gabriel wahrscheinlich kein Geschäft mit dem Wahlsystem der Indianer machen können.
Der Capitan befahl Absitzen, und er übergab dem Sargento Primero das Kommando.
Don Abelardo und Don Gabriel waren herausgekommen, und sie begrüßten den Offizier.
Die Herren schüttelten sich kräftig die Hände. Dabei dachte jeder bereits bei sich, wie viel er wohl an dem andern und durch den andern in irgendeiner Weise verdienen könnte. Ein indianisches Hausmädchen brachte eine Kürbisschale mit Wasser, und der Capitan wusch sich den Staub ab. Dann folgte er der Einladung des Don Abelardo, an dem eben begonnenen Frühstück teilzunehmen. Das kam Don Gabriel sehr gelegen, weil sich beim Essen, besonders aber nach einem guten Essen, Geschäfte schmiegsamer abwickeln als unter trockenen Umständen.

 

6

Die Caballeros begannen auch gleich auf den Punkt zu kommen, um keine Zeit mit Reden zu verbringen, die nichts eintragen. »Der Ort scheint wie ausgestorben«, sagte der Capitan. »Richtig, Capitan«, antwortete Don Abelardo. »Die Männer haben sich alle davongemacht. Es sind nur die Frauen hier und die Kinder.«
»Wissen Sie, wer den Presidente und dessen Familie erschlagen hat?« fragte der Offizier.
»Nein, das weiß ich nicht«, erwiderte Don Abelardo. »Ich habe von der Tür aus die Mörder herankommen sehen. Aber sie rannten so schnell und so dicht aufgruppiert, dass ich kein Gesicht erkennen konnte. Sie trugen keine Hüte. Und weil die Hüte das einzige Merkmal sind, an denen man den Stamm erkennt, zu dem ein Indianer gehört, kann ich nicht einmal bestimmt sagen, wo die Männer her waren. Ich habe die Überzeugung, dass die Mörder nicht zur Nation hier gehörten, sondern nur hergerufen wurden, um die Hinrichtung zu vollziehen. Das haben die Granden der Nation absichtlich getan, um jeden Verdacht von der Nation abzulenken und so zu verhüten, dass gegen die Nation eine Strafexpedition legalerweise unternommen werden kann. Ungesetzlich können wir aber gegen die Nation nicht vorgehen. Würden wir die Nation in irgendeiner Form zur Rechenschaft ziehen, ohne bestimmt zu wissen, dass die Mörder zur Nation gehören oder von der Nation gedungen wurden, dann begehen wir eine ungesetzliche Handlung, die weder Sie, noch ich, noch der Señor Gobernador gegenüber der Regierung verantworten können.«
»Dann weiß ich nicht, was ich hier tun soll«, sagte der Offizier. »Ich bin hierher kommandiert worden, um Ruhe und
Frieden zu schaffen. Aber es ist auch nicht eine Seele hier anzutreffen. Der neue Jefe ist vor dem Gesetz unschuldig; denn wir können nicht beweisen, dass er die Mörder gedungen hat. Wir haben auch kein Mittel, einen solchen Beweis zu erbringen. Ganz im Gegenteil, wir müssen den neuen Jefe als berechtigten Häuptling der Nation anerkennen, ob es uns nun gefällt oder nicht. Lehnen wir ihn ab, wählen die Leute ihn wieder und wieder.«
»Das alles ist richtig, mi Capitan«, meinte der Sekretär. »Jedoch wir können den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen, weil er eine Störung des öffentlichen Friedens bedeutet. Aus Gründen der Autorität müssen Sie irgend etwas hier unternehmen, um der Nation zu offenbaren, dass sie nicht tun kann, was ihr beliebt, und dass Decretos und Verordnungen der Regierung befolgt werden müssen.«
»Bueno. Muy bien, muy mucho bien. Pero, pero - ja, was meinen Sie, was ich hier tun kann?«
»Das weiß ich selbst nicht genau. Wären einige Männer hier am Ort, so könnten wir sie aufjagen und als Warnung füsilieren. Das wirkt immer und zeigt der Nation, dass wir regieren und die Macht haben, die Forderungen der Regierung durchzusetzen.«
»Ich befinde mich in einer üblen Lage«, sagte der Offizier. »Ich muss einen Report an den Jefe de las Operaciones Militares machen. Und ich muss irgend etwas hier tun. Ich kann hier nicht einfach abziehen und reportieren, dass ich den Ort in Frieden gefunden habe und ich nichts weiter getan habe, als meine Soldaten hier einige Tage einzulagern und sie dann wieder abmarschieren zu lassen. Das kann mich sehr leicht einen schweren Vorwurf kosten. Wenn Sie mir doch nur sagen wollten, was ich tun kann. Sie kennen die Nation, und Sie wissen, in welcher Weise man ihnen die Macht der Regierung beibringt. Unverrichtetersache hier abzumarschieren, macht uns lächerlich. Die Indios glauben, dass sie die Herren hier sind. Das können wir nicht zulassen.« Nun mischte sich Don Gabriel ein:
»Vielleicht warten Sie einen Tag oder zwei, Capitan. Zuweilen ergibt sich etwas ganz von selbst, wenn man der Zeit vertraut.«
»Das ist gut«, sagte der Offizier. »Warten wir einmal, was sich heute im Laufe des Tages oder morgen zuträgt.« Nach dem Frühstück versuchte der Capitan Verbindung mit der Garnison zu bekommen, um Instruktionen einzuholen. Es wurde ihm gesagt, dass der General angeordnet habe, er möge nach eigenem Gutdünken handeln und zurückkommen, sobald er sicher sei, dass ähnliche Vorfälle sich nicht wiederholen würden. So wurde dem Capitan, einem jungen Manne, die volle Verantwortung aufgeladen, und der General blieb ungeschoren.

 

7

Die Caballeros vertrieben sich nun die Zeit mit Kartenspielen und Trinken.
Der Sekretär hatte den Ort beauftragt, Verpflegung für die Soldaten herbeizuschaffen.
Bald kamen die Frauen mit Eiern, Hühnchen, Tortillas, Bohnen. Der Sekretär bezahlte ihnen dafür einige Centavos. Wenig genug, dass es ihm nicht wehe tat. Er wusste schon, wie er diese Ausgaben für die Verpflegung der Soldaten mit Gewinn für sich verrechnen würde. Grundprinzip im Leben ist, keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, an der man verdienen kann. Gelegenheiten haben keinen anderen Zweck.
Gegen vier Uhr nachmittags kam endlich eine Gelegenheit, die allen drei Caballeros aus den Schwierigkeiten half, die jeder einzelne von ihnen hatte.

 

8

Vierzehn Indianer, Angehörige der Nation, kamen über den Platz marschiert, um zu ihrem Barrio, der östlich des Zentralortes lag, heimzukehren.
Sie waren in Balun Canan zum Weihnachtsmarkt gewesen, wo sie Felle, Schweinchen, Petates und Wolle verkauften und für den Erlös ihrer Produkte Waren erwarben, die sie in ihrem Haushalt und für ihre Arbeit auf den Feldern benötigten An den Vorfällen, die sich am Neujahrstage hier zugetragen hatten, waren sie völlig unschuldig; denn sie waren ja nicht hier gewesen. Sie wussten auch nichts von den Vorgängen, sonst wären sie ganz gewiss nicht hier offen über den Platz gezogen. Und ganz offenbar hatten sie auch niemand auf den Wegen angetroffen, der ihnen etwas hätte berichten können, um sie davor zu warnen, den Zentralort zu berühren. Sie waren über die Höhe gekommen, weil dies der kürzeste Weg zum Cabildo war. Wären sie einen anderen Weg gegangen, so hätten sie die Soldaten rechtzeitig hier lagern sehen können.
Die Anwesenheit von Soldaten ist immer verdächtig. Überall auf Erden. Und ob man nun ein zivilisierter Europäer ist oder ein halb zivilisierter Indianer, man geht Soldaten instinktiv aus dem Wege. Und man tut gut daran. Denn man weiß nie, was geschehen mag. Ganz besonders in Mexiko ist ein jeder Soldaten gegenüber vorsichtig. In Mexiko gibt es keine Wehrpflicht. Aber in Revolutionen und Militärrevolten geschieht es tausendmal, dass ein unschuldiger Mann, der ruhig seines Weges daherkommt, von den Soldaten aufgegriffen und zwangsweise in die Truppe eingezogen wird, um je nachdem, wie es sein Glück gerade will, entweder für die Federalregierung oder für den rebellischen General oder für den Führer einer großen Banditenhorde zu kämpfen. Fällt er bei einem Kampf in die Hände des Gegners, so wird er entweder füsiliert wegen Verrats, oder er wird in die Truppe des Gegners eingereiht, um bei einem neuen Wechsel des Schlachtenglückes dann von dem früheren Trupp wegen Verrats und Desertion füsiliert zu werden. Wenn diese Anwerbung schon Mexikanern und oft genug Fremden, Amerikanern oder Engländern, geschehen kann, dann um so mehr einem Indianer, der als herrenloses menschliches Gut von jedem angesehen wird, der ihn antrifft.
Aber als die Indianer auf ihrem Wege die Höhe überschritten hatten, waren sie auch schon so dicht an dem ausgestellten Posten, dass sie nicht mehr umkehren konnten. Das würde den Verdacht des Postens erweckt haben, und er würde sofort auf die Indianer schießen. Und weil die Soldaten Pferde hatten, wären alle Indianer schnell eingefangen.
Aus diesen Gründen gingen die Männer ruhig ihres Weges auf den Cabildo zu. Da sie friedlich auf den Cabildo zugingen, ließen die Soldaten die Leute ruhig passieren, ohne sie festzunehmen und ihrem Chef vorzuführen.
Der Grund, warum die Männer den Weg über den Zentralort gewählt hatten, war nicht allein, weil dieser Weg am kürzesten zu ihrem Barrio führte, sondern auch, weil einige der Männer ein Geschäft mit dem Secretario abzuwickeln hatten. Der eine von ihnen brachte Briefe von der Post mit. Ein anderer sollte eine Botschaft von einem Kaufmann an den Sekretär ausrichten. Wieder ein anderer hatte von dem Sekretär den Auftrag erhalten, einige Sachen für ihn in Balun Canan einzukaufen, die er nun abliefern wollte. Die Mehrzahl der Leute wollte diese Gelegenheit benutzen, um fällige Abgaben an den Sekretär zu entrichten, was sie jetzt tun konnten, nachdem sie in Balun Canan bares Geld für ihre Produkte eingenommen hatten. Alle aber gedachten im Schatten des Cabildo zu rasten, sich ihren Posol anzurühren, eine Zigarre zu rauchen und vielleicht einen kleinen Comiteco von dem Sekretär zu kaufen. Denn von hier aus hatten sie noch einen Marsch von etwa drei Stunden vor sich.

 

9

Die Caballeros saßen an einem Tisch im Portico des Cabildo. Hier saßen sie und spielten Karten, während die Comiteco-Flasche auf einem Schemel in leicht erreichbarer Nähe stand. Die Indianer kamen heran. Sie warfen ihre schweren Packen ab und traten dicht an die Pfosten des Portico, wo sie höflich stehen blieben, um zu warten, bis der Secretario es für geeignet fand, sie anzusprechen und sie zu fragen, was sie wollten. Sie begrüßten ihn und die beiden anderen Caballeros, wobei sie jedes Mal die flache Hand an ihren Kopf legten und dann, mit einer Verbeugung, die flache Hand jedem Begrüßten zustreckten, aber ohne sie ihm zu reichen.
Der Sekretär sagte zu seinen beiden Mitspielern: »Con su permiso, Caballeros«, stand auf und ging auf die Männer zu. Er lud sie ein, in das Amtszimmer zu kommen und ihre Aufträge auszuführen. Die Indianer gaben ihre Briefe und die bestellten Waren ab, und diejenigen, die Abgaben schuldeten, bezahlten die Sümmchen an den Sekretär aus.
Während dieser Zeit waren Don Gabriel und der Offizier allein im Portico.
Sie reckten sich gelangweilt, sahen über die Plaza hin, schenkten sich einen neuen Comiteco ein und zündeten sich eine Zigarre an. Sie standen lässig auf, traten mit den Füßen auf dem Boden herum, um die Beine zu beleben, und setzten sich wieder.

 

10

»Hören Sie, Capitan«, begann Don Gabriel, »hier ist eine vortreffliche Gelegenheit für Sie, etwas zu tun. Die Gelegenheit, die sich Ihnen hier und jetzt bietet, kommt nicht bald wieder. Wenn Sie mit Ihrer Truppe in die Barrios ziehen, treffen Sie nicht einen einzigen Mann dort an. Das verbreitet sich wie ein Kanonenschuss in der ganzen Nation, dass Sie die einzelnen Barrios aufsuchen, um dort Leute herauszuholen und abzuurteilen. Das beste, was Sie tun können, und das einzige ist, dass Sie diese vierzehn Burschen hier festnehmen und als Gefangene zur Garnison bringen. Überlassen Sie es dann dem General oder dem Gericht, was sie mit den Gefangenen tun wollen. Aber Sie sind dann wenigstens nicht ganz unverrichtetersache hier hergekommen, um Frieden zu schaffen. «
»Maravilloso«, rief der Capitan aus. »Das ist eine vorzügliche Idee von Ihnen, Don Gabriel, caray. Nichts Besseres in der Welt als das. Sie haben recht, ich überlasse es dem General, was er mit den Leuten tun will, und mir kann von niemand die Hautgekitzelt werden. Ich sehe, Sie sind einmal ein guter Sekretär gewesen. Sie wissen, wie man solche Sachen behandelt.« Der Capitan rief den Sergeanten herbei und befahl ihm, die Leute festzunehmen, sobald sie alle wieder beieinander seien und ihre Geschäfte mit dem Sekretär abgewickelt hätten. Die vierzehn Indianer wurden ins Gefängnis gesperrt, das gerade genügend Raum hatte, um vier Mann unbequem unterzubringen.

 

11

Der Tag ging zu Ende, die Caballeros saßen beim Abendessen. Sagte Don Gabriel, als die Teller von dem indianischen Mädchen abgeräumt waren: »Es lässt sich mit den gefangenen Muchachos noch etwas anderes tun, mi Capitan.«
Don Gabriel hatte vor dem Abendessen, als der Capitan die Abendparade abhielt und der Sergeant die Posten für die Nacht bestimmte, mit Don Abelardo alles, was nötig war, bereits besprochen und dessen Zustimmung erhalten, ohne dass der Capitan etwas davon wusste.
»Was meinen Sie, Don Gabriel«, fragte der Capitan, »was ich mit den Prisioneros, mit den Gefangenen, tun sollte?«
»Die Leute mitzunehmen«, erklärte Don Gabriel, »kann seine Schwierigkeiten haben. Sie können auf dem Wege weglaufen. Es kann geschehen, dass die ganze Nation über Ihren Trupp herfällt, um die Leute zu befreien, und dann bleiben weder Sie noch sonst einer Ihrer Leute am Leben.«
»Vielleicht richtig«, erwiderte der Offizier nachdenklich. »Und was wird man mit den Leuten in Jovel tun? Gar nichts!« beantwortete sich Don Gabriel selbst. »Man lässt sie frei, weil sie nachweisen können, dass sie während der Rebellion nicht am Orte waren. Sie waren in Balun Canan, worüber kein Zweifel besteht. Dann war die ganze Mühe hier umsonst. Ich würde nun raten, dass Sie die Gefangenen hier gleich selbst aburteilen.«
»Ich habe aber kein Recht, sie zu füsilieren«, wandte der Capitan ein.
»Gerade darum«, sagte Don Gabriel. »Gerade darum, weil Sie kein Recht haben, die Burschen zu erschießen, darum können Sie etwas anderes tun, was ebenso wirksam ist. Nehmen Sie die Gefangenen in eine genügend hohe Geldstrafe. Da die Leute zu der Nation gehören, die hier den Mord begangen oder angeordnet hat, so wird die Nation die Geldstrafe auf sich nehmen. Jeder einzelne der Nation wird seinen Anteil beitragen müssen, um die Geldstrafe dieser Leute zu übernehmen. Dadurch wird jeder der Nation getroffen, und die Nation lernt, dass sie mit der Regierung nicht herumspielen kann.«
»Das ist richtig«, meinte der Offizier. »Was meinen Sie dazu, Don Abelardo? Sie sind ja hier el Secretario und haben ein gewichtiges Wort mitzureden.«
»Ich bin der Ansicht«, erwiderte der Sekretär, »dass der Vorschlag des Don Gabriel der beste ist, der in Frage kommt. Mit einer Geldstrafe trifft man die Burschen heftiger als mit Füsilieren oder mit Gefängnis. Aus Füsilieren und aus Gefängnis machen sie sich gar nichts. Das ist ohne Wirkung. Ich weiß das aus Erfahrung. Und ich denke, ich bin hier lange genug Secretario, um zu wissen, wie man die Leute zu behandeln hat, um sie zur Anerkennung der Regierung zu bringen.«
»Wenn Sie dieser Meinung sind, Don Abelardo«, sagte darauf der Capitan, »dann kann ich handeln. Mir ist anbefohlen worden, mich mit Ihnen über geeignete Strafmittel und Verhütungsmaßregeln fernerer Rebellionen zu beraten und Ihren Vorschlägen zu folgen, soweit es sich mit meiner militärischen Expedition verträgt.«
»Gut denn«, sagte nun Don Gabriel, »über das Prinzip wären wir einig. Können wir jetzt die Einzelheiten besprechen. Ich schlage vor, dass für jeden Prisionero die Geldstrafe auf einhundertfünfzig Pesos festgesetzt wird. Aber, wie Sie wissen, wir alle müssen leben. Auch Sie, mi Capitan. Sagen wir, dass Sie von je hundertundfünfzig Pesos fünfzig Pesos erhalten, die wir nicht verrechnen. Das bleibt hier unter uns, Caballeros. Fünfzig Pesos bleiben für uns beide, für Don Abelardo und für mich. Und fünfzig Pesos für jeden Mann bringen Sie zu Ihrem Chef, dem General. Wir stellen hier die Strafquittungen auf fünfzig Pesos  aus.  Die  Burschen  wissen ja  nicht,  wie viel   sie unterschreiben, und der General wird nie Gelegenheit haben, die Burschen zu befragen. Er lässt sich mit solchen Unwichtigkeiten, wie das Befragen von Indianern, die nicht Spanisch sprechen können, nicht ein. Außerdem schaffen wir die Burschen sofort aus dem Wege, weit genug, dass niemand sie befragen kann.«
»Wie aus dem Wege?« fragte der Offizier.
»Ich nehme sie einfach mit nach den Monterias, wo sie die Geldstrafen abverdienen können. Ehe sie von dort wieder zurückkommen, hat die Garnison in Jovel zehnmal den Platzkommandanten gewechselt.«
Don Gabriel vermochte das so vortrefflich klarzumachen, dass der Capitan das als die schönste Lösung der schwierigen Aufgabe dieser Strafexpedition ansehen lernte.

 

12

Der Offizier war kein Schurke. Er war nur in ewiger Geldnot, das war der Nachteil seines Lebens. Geld war ihm ebenso willkommen wie jedem anderen Menschen, der mehr Ausgaben hat als Einnahmen.
Als ein wirklich guter und brauchbarer Offizier kannte er die Charaktereigenschaften seiner Vorgesetzten vorzüglich. Eine vortreffliche Kenntnis und richtige Beurteilung des Charakters ihrer Vorgesetzten hat wohl mehr Untergebenen geholfen, Rangstufen zu überspringen und bevorzugte Stellungen in der Armee und in Ministerien und Gesandtschaften zu erhalten, als irgendeine andere Kenntnis, etwa gar eine eingehende Kenntnis militärischer Wissenschaften. Seine Vorgesetzten gut zu kennen und richtig zu beurteilen, ist für eine rasche Beförderung eines Offiziers hundertfach wichtiger als eine bewundernswerte Tapferkeit vor dem Feinde oder das kühne Nehmen eines gepanzerten Forts. Offiziere, die einen feinen Fühler für ihre Generale haben, finden keine Gelegenheit, Forts oder befestigte Stellungen zu nehmen; denn sie kommen dem Feind nicht nahe genug. Sie sind, ihrer besonderen Kenntnisse wegen, weit hinter der Front wichtiger. Und weil Krieg ja ein Geschäft ist wie jedes andere, so liegt hier nichts verborgen, was man als eines Offiziers unwürdig bezeichnen könnte, um so weniger, als alle Armeen auf Erden die gleiche Ansicht haben über das, was nötig ist, um von einem Manne sagen zu können, dass er ein vortrefflicher Offizier sei. Weil der Capitan seinen General sehr gut kannte, so kannte er auch dessen Lebensnöte. Und seinem General die Lebensnöte zu erleichtern, war seine Pflicht als Untergebener. Dem General waren vierzehnmal fünfzig Pesos in barem Gelde bei weitem willkommener als vierzehn verlauste Indianer, die als Gefangene eingebracht wurden.
Der Capitan war sich dessen durchaus bewusst, dass der Kommandant ihn beloben würde, weil er die Strafexpedition so wirkungsvoll und so taktvoll zu Ende gebracht habe. Die Staatskasse wurde bei dieser Banktransaktion natürlich nicht vergessen. Indianer waren wegen öffentlicher Ruhestörung und wegen Gefährdung des öffentlichen Landfriedens mit Geldstrafen belegt worden. Bei der Jahresabrechnung des Budgets des Staates kamen diese Geldstrafen zum Vorschein: Catorce Indigenas, Habitantes del Districto Pebvil, wegen Landfriedensbruchs bestraft mit je Pesos 1.50.
Die Öffentlichkeit sowie insbesondere die Berichterstatter der großen amerikanischen Zeitungen konnten nicht sagen, dass arme Indianer in Mexiko hart behandelt würden, wenn sie wegen einer so schweren strafwürdigen Handlung, wie es ein Landfriedensbruch war, nur einen und einen halben Peso Geldstrafe bezahlten. Eine Regierung, die aufständische Indianer so milde bestrafte, trug den Namen davon, dass sie eine hochzivilisierte und gerechte Regierung genannt werden darf, weil sie Verständnis und Mitleid mit dem armen menschlichen Bruder Indio hat. Der Capitan, an den bei der Verrechnung der Geldstrafen so gut und vorsorglich gedacht wurde, nahm sich nicht die Mühe, über einen Fehler in der Kalkulation nachzudenken. Dieser Fehler war nebensächlich. Er bedeutete nur, dass die Nation keine Gelegenheit bekam, die Strafe der vierzehn unschuldigen Männer unter die Volksgenossen aufzuteilen. Denn ob die Nation das tat oder nicht, hatte auf das Schicksal der vierzehn Gefangenen keinen Einfluss. Diese vierzehn Mann wurden von Don Gabriel in die Monterias abgeführt, um dort ihre Geldstrafen und die Gebühren des Agenten abzuverdienen. Für Don Gabriel war allein wichtig, dass er vierzehn kerngesunde, junge und bärenstarke Männer für die Monterias bekam.

 

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Die Gefangenen wurden am nächsten Tage vorgeführt. Der Capitan machte ihnen, mit Hilfe des Don Gabriel und des Don Abelardo als Übersetzer, begreiflich, dass sie wegen der Ermordung des Presidente und seiner Familie zu je hundertfünfzig Pesos Geldstrafe verurteilt seien und dass sie, da sie das Geld nicht besaßen, dem Don Gabriel als Kontraktarbeiter in die Monterias zu folgen hätten. Es wurde ihnen angedroht, dass sie nicht entlaufen dürften, und wenn sie das täten, dann würden nicht nur sie füsiliert, sondern auch ihre Söhne und ihre Väter.
Die vierzehn Indianer durften nun, nachdem sie den Kontrakt als richtig bestehend anerkannt hatten, in ihre Barrios gehen, um Abschied von ihren Familien zu nehmen und sich bereit zu halten für den Tag, an dem der Marsch zu den Monterias begann. Sie betrachteten es als ein großes Glück, dass sie für eine Rebellion, die sie nicht begangen hatten, so billig davongekommen waren. Und sie bedankten sich dafür mit Verbeugungen bei dem Capitan, bei Don Abelardo und bei Don Gabriel.

 

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Mexiko ist ein zivilisiertes Land. Darum hat es auch eine geregelte Gerichtsordnung mit mehreren Berufungsinstanzen. Aber davon wussten die Indianer nichts. Niemand sagte es ihnen. Und niemand sagte ihnen, wie sie sich dieser Berufungsinstanzen zu nähern hatten. Dazu hätten sie Licenciados gebraucht. Und Licenciados können, wie Rechtsanwälte in anderen Ländern, nichts umsonst tun. Das lassen schon deren Frauen nicht zu. Die Nationen oder, genauer gesagt, die Führer der Nationen unterschreiben Friedensverträge und schwere Militärlieferungen. Diese Verträge und diese Lieferungen zu erfüllen wird denen überlassen, die auf jene Verträge keinen politischen Einfluss ausüben können, den kleinen arbeitsamen Bürgern, dem Proletariat und den Indianern, die rechtloses Gut sind. Es ist das anerkannte System aller zivilisierten Länder, ob sie in Europa, Asien oder in Amerika liegen. Die geographische Lage der Länder ist nur zufällig.

 

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Der Capitan zog noch am selben Tage mit seiner Truppe ab. Er gebrauchte für den Rückmarsch zur Garnison reichlich Zeit, weil er zwei Tage auf dem Rancho verbrachte, wo die hübsche und gutgewachsene Nichte des Rancheros zu Besuch war. Er versprach der Nichte eine goldene Armbanduhr, wenn sie, allein oder mit ihrem Onkel, für einen Tag oder für zwei, nach Jovel kommen würde, um mit ihm im Kasino zu tanzen. Die Nichte vergaß nicht, sich die goldene Armbanduhr abzuholen, als sie auf der Rückreise nach Tapachula war.
Sie blieb einen vollen Tag und eine noch vollere Nacht in Jovel. Der Onkel hatte keine Zeit gehabt, weil er wichtige Arbeit auf seinem Rancho hatte.
Da der Capitan sechs Wochen später die Nichte heiratete, so erwuchs aus der goldenen Armbanduhr kein weiteres Unheil. Sein General versprach ihm, dafür zu sorgen, dass er in zwei Monaten zum Major befördert werden würde. Und der General hielt sein Wort. Don Gabriel, nachdem er den Kontrakt mit den vierzehn Indianern, die ihm in den Weg gelaufen waren, mit Bürgen und mit der Autorität des Sekretärs gesichert hatte, machte sich dann auf, die Fincas zu besuchen, um verschuldete Peones von den Finqueros, die Geld brauchten, aufzukaufen. Don Gabriel war unschuldig an allem, was geschah. Es waren die Monterias, die Indianer hundertweise auffraßen und verdauten, damit die zivilisierten Bürger und Bürgerinnen in den Vereinigten Staaten und in Europa Mahagonimöbel und die Bankiers und Industriegötter Mahagonischreibtische bekommen konnten. Die Tonne Mahagoniholz kostete im Hafen von New York zwischen siebzig und hundertzwanzig Dollars, je nach den Bewegungen des Marktes.
Bei solchen Preisen darf man es nicht so sehr genau nehmen mit den so genannten Menschenrechten von Indianern und ähnlichen Phrasen von menschlichem Mitbruder und Achtung vor Menschenwürde. In dem geordneten Verlauf eines Geschäftes, das Gewinn abwerfen soll, darf man nicht über die Berechtigung oder Nichtberechtigung von schönen Phrasen und Weltverbesserungsideen nachgrübeln. Das überlässt man Idealisten, die dafür bezahlt werden, solche Phrasen in Filmen zu verwenden, bei denen die Tränendrüsen gelockert werden müssen, um gute Kassen zu haben.
Ein Esel ist, wer die Macht hat und sie nicht zu seinem Vorteil gebraucht. Niemand schenkt einem etwas, und wenn man in seinem Geschäft bankrottiert, wird man von den Gläubigern angespuckt. Nur nicht bange machen lassen. Zugegriffen, wann und wo es etwas zum Zugreifen gibt. Das Gleichgewicht wird zurechtgerückt in der Oper; und im Ostergottesdienst, wo von der Auferstehung des Erlösers der Menschen gepredigt wird. Die Kirche will nicht leer ausgehen. Mit Gewissensskrupeln, die einem in der Kehle würgen sollten, kann man keine Dollars verdienen. Dass Dollars vom Himmel herunterregnen werden, darf man nicht erwarten. Es fehlen die Beispiele, um solche Hoffnung zu unterstützen. Dollars müssen hart verdient werden. Viele Hände und Hirne müssen kräftig am Werke sein, ehe man hundert Dollars für eine Tonne Mahagoniholz einsacken kann. Und wenn niemand Mahagoniholz in den Urwäldern Amerikas hackt und keiner das gehackte Mahagoniholz die Urwaldströme hinunterschwemmt, so gibt es eben keine Mahagonischränke und keine Mahagonischmuckkästchen. Billiges Mahagoniholz und zugleich Schutz von unschuldigen Indianern, die zu Tausenden in den Dschungeln, dem Mahagoniholz zuliebe, hingeopfert werden müssen, kann man nicht haben. Entweder das eine oder das andere. Entweder billiges Mahagoniholz oder Achtung vor der Menschenwürde des Indianers. Beides zugleich lässt die Zivilisation der heute lebenden Menschheit nicht zu, weil die Konkurrenz, hochgezüchtet in der gegenwärtigen
Zivilisation, das nicht aushält. Erbarmen ja, mit Freuden und mit vollem christlichem Herzen, aber der Dollar darf nicht gefährdet werden. Verflucht noch mal!

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