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Martin Andersen Nexø - Die Passagiere der leeren Plätze (1938)
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BIGUM HOLZBEIN

Eigentlich war es eine Anmaßung von ihm, mit einem Holzbein herumzulaufen, da er doch niemals im Kriege gewesen war. Aber allmählich gewöhnten sich die Leute daran und nahmen es ihm nicht länger übel; sie gaben ihm sogar seinen Namen danach. Bigum Holzbein nannten sie ihn, er selber aber nannte sich Folmer Sänger.
Bei der Musterung fragte ihn der barsche Musterungskommissar, ob er mit dem Bein geboren wäre. Bigum lächelte - er wusste einen guten Witz zu schätzen. Der Beamte aber war sich nicht bewusst, etwas Spaßhaftes gesagt zu haben, und fragte bissig: „Zum Teufel, warum lacht Er denn? Kann Er nicht antworten?" Da ging es Bigum auf, dass man über den Ursprung des Holzbeines Bescheid zu haben wünschte, und erzählte also, dass er auf einer Walfangreise den kalten Brand in den Fuß bekommen hätte, so dass er abgenommen werden musste.
Er wohnte allein draußen auf den windgepeitschten, unfruchtbaren Sanddünen im Norden der Stadt, in einer kleinen Hütte, die gerade über dem hohen Küstenhang lag. Er besaß eine Büchse und ein altes Boot, und in den frostklaren Frühlingsnächten, wenn das Meer ohne Regung blank dalag, ließ er sein Boot draußen zwischen den großen Felsen des seichten Wassers treiben. Er selbst lag im Vordersteven, die Büchse im Anschlag, und ahmte den lang gezogenen Gesang der Strandvögel nach, bis er auf Schussnähe an sie herankam. Oder er geriet unversehens über einen Seehund, der auf einem der großen Steine schnarchte, und stieß ihm seine Harpune in den Leib.
Und im weißen Winter, wenn das Meereis alles bedeckte, so weit das Auge reichte, und die Wildenten auf der Suche nach offenem Wasser durch die dicke Luft hin und her sausten, dann schlug er eine große Lücke ins Eis und baute sich aus den Eisblöcken ein Häuschen. Dort lag er dann im Hinterhalt und schoss Enten — oft drei, vier auf einen Schuss.
Aber im Laufe der Jahre fuhr ihm die Kälte dieses Lebens selber in den Leib; er wurde von der Gicht geplagt und musste zu Hause bleiben. Am schlimmsten saß ihm die Gicht in dem Glied, das er gar nicht mehr hatte, und immer wieder war es den Leuten ein Vergnügen zu sehen, wie er ans äußerste Ende seines Holzbeines fasste, Gesichter schnitt und sich beklagte, er hätte so sehr das Reißen im großen Zeh.
Deshalb nahm er die Schuhmacherei wieder auf, die sein Handwerk gewesen war, ehe er zur See fuhr. Diese Beschäftigung aber hatte er stets gehasst, und er rührte die Hand nicht mehr, als zum knappsten Lebensunterhalt eben nötig war.
Den größten Teil der Zeit dichtete, musizierte und philosophierte er.
Als Dichter lag seine Stärke in dem Sentimental-Gefühlvollen. Er dichtete von ungetreuer Liebe, von den Schrecken des Türkenkrieges und vom Untergang der Bark „Albatros". In seiner Musik hingegen war er ein Fürsprech der Lebensfreude — er spielte gern zum Tanze auf.
Auf diesen beiden Gebieten hatte er bedeutende Vorgänger gehabt, nicht so in seiner Art zu philosophieren. Hier war er absolut original. Er hatte ein ganzes philosophisches System entwickelt, aufgebaut auf die Beobachtung der Fußbekleidung des Menschen, und konnte augenblicks sagen, ob einer verschlossen war oder weitschweifig, verschwenderisch oder knickrig: alles zusammen durch Betrachtung der Schuhe des Betreffenden.
Mit solcher Beschäftigung vertrieb er sich den langen Winter, und wenn sein Magen vor Hunger knurrte, hielt er ihm eine längere Ermahnungspredigt und suchte ihn scherzend zu überzeugen, wie unvernünftig es von ihm wäre, ständig randvoll sein zu wollen: „Was, knurrst du schon wieder? Du solltest dir ein bisschen mehr Genügsamkeit zulegen, ja, das solltest du - vor allem
Genügsamkeit! Weißt du nicht, dass der Mensch nicht vom Fleisch alleine lebt? Brot ist auch gut, mein Alter — und ein halber Pahl (Anm.: Altes dänisches Flüssigkeitsmaß (34 Liter). Die Red.) dazu! Steht vielleicht nicht geschrieben, dass wir alle einen Pfahl im Fleische haben müssten?" Und nicht gar so ganz selten schlug er sich ein Pahl ins Fleisch.
Als echtes Original nahm er nicht die geringste Rücksicht darauf, ob Besuch da war oder nicht, sondern folgte unbeirrt seinen Gewohnheiten, sprach mit sich selbst oder seinem Magen, rülpste oder tat ähnliches — und zog sich manchmal aus und ging ins Bett, ehe die Leute noch gegangen waren.
Wenn aber der erste Star über das Meer geflogen kam und sich vor seinen Fenstern niederließ, wurde er närrisch — ganz und gar närrisch. Es wäre, als ob ihm alle Knochen im Leibe vereiterten, sagte er, so sehr gärte es ihm im Leibe. Und dann saß er an seinem Fenster, flickte Schuhe und starrte übers Meer hinaus, während der Frühling seinen Einzug hielt. Er sah das Eis brechen und forttreiben; die Schiffe im Hafen takelten auf und stachen eins nach dem anderen in See, der Schnee verschwand vor seinen Augen und das Gras begann zu sprießen.
Und Frühjahr um Frühjahr geschah das gleiche: mitten im Nähen warf er die Arbeit weit weg, lief in di e Stadt und kaufte sich ein Paar blaue Baumwollhosen — jedes Mal blaue Baumwollhosen. Und wenn er heimkam, schnitt er von dem einen Hosenbein — dem für das Holzbein — ein Stück ab, heftete das abgeschnittene Ende an dem einen Rande zusammen, so dass eine bequeme kleine Gardistenmütze daraus wurde, und setzte sie auf. Selig wie ein Kind zog er die neuen Baumwollhosen an, die alten aber nahm er und nähte sie oben am Bund zusammen, so dass sie einen Beutel mit zwei Niedergängen — den Beinen — bildeten. Und da hinein packte er seine Lieder, Violinsaiten, eine Schnapsflasche und was er sonst nötig haben konnte. Dann nahm er seinen Ranzen bei den Beinen und warf ihn sich über den Rücken, band die Hosenbeine vorn am Halse in einem Knoten zusammen und wanderte hinaus in den Frühling. Die Tür ließ er hinter sich
•weit offen stehen; da konnten die Leute selber kommen und sich ihre halbfertigen oder noch nicht angefangenen Schuhe abholen.
Und nun begann Bigum Holzbein eine Tournee, die bis zum nächsten Winter dauerte und die ganze Insel umfasste. Die Bauern, die beim Frühjahrspflügen mit dem Lenkseil um den Leib hinter ihren Pferden herwateten, behielten die Landstraße im Auge, und wenn sie Bigum Holzbein daherkommen und ihn die Geige streichen sahen, sagten sie: „Jetzt wird es bald Sommer!" — wie man sonst sagt, wenn man den ersten Storch sieht.
Und Bigum fiedelte sich durch die ganze Insel, die Länge und die Quere, sang seine Lieder vor Knechten und Mägden, verkaufte sie allen, die sie haben wollten, und spielte willig die Melodie, bis man sie auswendig konnte. Sie standen mitten auf dem Hof im Kreise um ihn herum und sangen mit. Manchmal waren sie schwer von Begriff, manchmal aber auch ganz gewitzt. Dann stellte Bigum den Stock unter die Hüfte, um das Holzbein darauf auszuruhen, quälte die Saiten, dass sie schrieen wie verhungerte Katzendärme, und sang wohl zum zwanzigsten Male:
„Komm her, o Mägdelein, und winde den Kranz. Ich weiß, du willst es so ge-erne, so ge-erne..."
Das Bargeld steckte er in die Tasche, und was an Esswaren abfiel, rutschte durch die leeren Hosenbeine hinab in den Ranzen. Und wenn der Holunder in Blüte stand und der Hering eingelegt werden musste, sang man Bigum Holzbeins Lieder in jedem abgelegenen Winkel. Es war ein Triumphzug der Poesie, der jeden Freund der Dichtkunst erfreuen musste.
Wenn aber der Kuckuck längst zum Habicht geworden war und die Ernte der Felder eingefahren wurde, ging Bigum auf seine zweite große Tournee. Es war die Zeit der Ernte- und Tanzfeste, und monatelang war Bigums Violine Nacht um Nacht im Gange. Es war eine Zeit, die an den Kräften zehrte; Bigum nannte sie selber seine Zeit der Drangsal. Aber stolz stand er sie durch.
Es war im Laufe der Zeit Sitte geworden, dass auf den Festen jeder Mann einzeln Bigum Holzbein zuzutrinken habe; man wollte feststellen, wie viel er aushielte. Aber es gehörten viele Männer dazu, ehe man Bigum etwas anmerkte, und so betrunken machte man ihn nie, dass er unter den Tisch fiel.
Die erste Wirkung des Alkohols war häufig die, dass er gegen den Namen Bigum Holzbein protestierte und sich laut als Folmer Sänger proklamierte. Danach hub er etwa wie rasend zu spielen an, besonders wenn er merkte, dass man ihm Schweiß abzapfen wollte. Dann hörte er auch zwischen den Tänzen nicht auf, sondern ging von dem einen Tanz in den andern über, und so begann ein wilder Wettlauf zwischen Spielmann und Tänzer. Die Männer hieben die Absätze auf den Boden und riefen ihm Herausforderungen zu, wenn sie mit ihren Mädchen an ihm vorüberjagten; und Bigum nahm den Takt noch rascher, bis sich der Bogen blitzschnell über nur den Bruchteil eines Zolles bewegte und die Musik zu einem zitternden, endlosen Kreischen wurde. Dann wirbelten Staub und Lärm der Klänge zu so wildem Hexentanz empor, dass es gewöhnlichen Sterblichen das Trommelfell gesprengt hätte und sich die Mädchen schließlich halbtot vor Müdigkeit zu Boden warfen.
Nach einer solchen Tour konnten die Männer das Wasser aus ihren Jacken wringen, dass der Fußboden davon schwamm. Bigum aber saß da und spielte während der Pause ganz langsam weiter — nicht ein Mal ließ er sich herbei, aufzuhören.
Ab und zu kam es vor, dass es Schlägerei gab, besonders wenn das Gesinde schwedisch war. Dann füllte sich Bigums Gemüt mit heimlicher Erwartung. Er wusste, dass er zu gar nichts taugte, wenn er stand — ein Kind vermochte ihn dann umzuwerfen. Dafür besaß er in den Armen große Kräfte, das Fehlen des einen Beins hatte sie stark gemacht. Er konnte mit seinem Mann sehr gut fertig werden, wenn er dabei nur sitzen durfte. Dann warf er die Geige von sich, kroch nach vorn und setzte sich auf die Kante seines Musikpodiums — eines breiten Tisches. Er schraubte eifrig das Holzbein ab, und mit dem in der Hand wartete er in gieriger Spannung darauf, dass sich die Schlägerei in seine Saalecke zöge und auch er auf seine Kosten käme.----
Aber das Laub fiel von den Bäumen, die Herbststürme jagten wieder übers Land und trieben die Schaumspritzer des Meeres bis ganz zu Bigums Hütte hinauf. Bigum selbst begann Gesichter zu schneiden und mit der Hand ans Ende seines Stelzfußes zu greifen. Und eines schönen Tages ging er ins Winterlager.
Und so verlief das eine Jahr nach dem anderen, ohne Abwechslung.
Aber einmal schickte ihn der Frühling doch in den April!
Hatte er nicht da am Fenster gesessen und ihn heransteigen sehen und ihn als Reißen in allen Gliedern gespürt? Und dann — anstatt sich neue Baumwollene zu kaufen und aus dem einen Bein eine Gardistenmütze zu schneidern und die alten Hosen zu einem Ranzen umzunähen — geht er hin und reicht dem öffentlichen Ausrufer und Trommelschläger der Stadt ein Heiratsangebot ein! Will er seiner Freiheit abschwören und den Sklavenrock anlegen und sich wie andere Sterbliche für den Unterhalt von Weib und Kind abrackern — er, der Dichter? Er muss ja irrsinnig geworden sein!
Der Trommelschläger geht durch die Längsstraße der kleinen Stadt und durch deren Querstraße und ruft die Leute an Fenster und Türen:
„Bommelomme-lom! Bom! Bom! Heiratsangebot! Eine einsame Seele, die auf einem Holzbein geht, sucht eine treue Lebensgefährtin. Auf das Äußere wird nicht gesehen, wohl aber auf ein gutes Herz. Gute Behandlung zugesichert. — Antwort kann unter den großen Stein auf den Seehügeln gelegt werden."
Die Stadt reckte den Hals nach dem Trommelschläger und war von dieser neuen Art, sich eine Frau zu suchen, so verwirrt, dass sie nicht einmal auf den Gedanken kam, darüber Witze zu machen.
Und Bigum Holzbein ging nicht auf Tournee.
Jeden Morgen ging er fieberig erregt hinaus und stellte den großen Stein auf den Kopf, um nach Briefen zu sehen, aber immer ohne Resultat. Es würde sich niemand melden, man würde schon sehen! Natürlich war es die Sache mit dem Holzbein, was abschreckte!
Anfangs hatte er daran gedacht, in der Kundmachung sein Gebrechen gar nicht zu erwähnen, aber dann hatte seine Ehrlichkeit gesiegt. In Liebesaffären muss man honett sein; und war er etwa nicht selber der Dichter und Zuchtmeister ungetreuer Liebe? Es würde sich schon zeigen, dass man mit Ehrlichkeit am weitesten kam!
Eines Morgens endlich lag ein Papier unter dem Stein: „Ich bin Witwe mit zwei begrabenen Kindern. Ich habe ein liebevolles Gemüt und etwas zum besten.
Deine Ane Peters
bei meiner Mutter in der Sackgasse."
Bigum war glücklich, so glücklich, dass er nach Hause lief und seine Büchse steil in die Luft hinauf abschoss. Dreimal schoss er, und nach gar nichts in der Welt. Hurra! Jetzt kam der Lohn seiner Ehrlichkeit. Sie nahm ihn! Trotz. Holzbein und allem nahm sie ihn! Und dazu war sie schon früher verheiratet gewesen; das war die beste Garantie, dass sie umgänglich war!
Bigum wanderte mit würdigen langen Schritten zur Stadt — einen gut und zwei gestottert. Er wollte zum Schneider und einen neuen Anzug bestellen — den Hochzeitsanzug. Nicht blaue Baumwolle, nein, echter wollener Düffel! Oder vielleicht war Kammgarn noch feiner; er wollte den Schneid er fragen. Und zum Pfarrer wollte er hinauf und gleich das Aufgebot bestellen. Erst aber musste er noch hin und sich den Taufschein des jungen Mädchens holen, da konnte er sie sich ja gleich ein wenig betrachten.
Als Bigum eintrat, saß Ane Peters groß und breit am Webstuhl und webte Grobleinen. Was für eine Frau, Donnerwetter! Bigum triumphierte in seinem Herzen, aber nach außen hin war er schwer verlegen, und sobald es sich machen ließ, schlich er wieder hinaus. Erst draußen auf der Straße richtete er eine siegesstolze Rede an sich selbst.
Bigum Holzbein war selber in der Kirche, als sie aufgeboten wurden; er wollte sicher sein, dass es ordentlich erledigt würde.
Pfarrer betrogen einen häufig um den vollen Text, wenn sie Gelegenheit dazu hatten, aber nicht ein Wort sollten sie dabei erübrigen! Und zum zweiten Aufgebot wanderte er in die Sackgasse hinaus, um die Liebste mitzunehmen; sie sollte an dem Vergnügen teilhaben.
Die Schwiegermutter traktierte ihn mit Kaffee aus frischgebranntem Roggen, und Bigum trank zwei Tassen mit Branntwein darin. Das schmeckte gut, verteufelt gut sogar, trotzdem schien es ihm, als träte Ane Peters mit dem einen Fuße so schwer auf, als sie in ihrem Staat zu ihm hereinkam. Er stutzte gleich ein wenig, vergaß es aber wieder vor Entzücken über ihre prächtige große Gestalt. Sie war wie eine Bark unter vollen Segeln, wie die „Albatros" selbst, ehe sie unterging. Was für ein Weib! Donnerwetter!
Pfeifend hinkte er auf dem guten Bein die Treppe hinab, während Ane Peters hinterherkam. Sie hob nicht den Rock, als sie die Treppe hinunterstieg — sie war ja drauf und dran, darüber zu stolpern! Allerdings, auf der letzten Stufe war sie gezwungen, den Rock aufzuheben, weil gerade davor der Rinnstein war. Und da fiel Bigums Blick auf ihren einen Fuß — und es war ein Klumpfuß.
Sprachlos zeigte er mit dem Stock auf den Fuß, und Ane Peters vergaß, den Rock darüber fallen zu lassen und lächelte verlegen. Bigum aber machte kurz kehrt und trabte heim zu seiner Hütte.
Krach!
Er konnte auf den Tod keine krüppelhaften Menschen vertragen, am allerwenigsten hinkende. Und da musste gerade ihn das Schicksal treffen! Klumpfüßig war sie, schlechthin klumpfüßig! Geprellt hatte sie ihn, betrogen hatte sie ihn und schändlich an der Nase herumgeführt!
Er lehnte an der Giebelwand seiner Hütte und grübelte und starrte vor sich hin, bis er in sich selber einen betrogenen Liebhaber mit gebrochenem Herzen erkannte. Seine Augen belebten sich, er humpelte in seine Hütte und setzte sich zum Dichten nieder. Und mit heimlicher Befriedigung fühlte er, dass er niemals
so groß und schön von ungetreuer Liebe gedichtet hatte wie gerade jetzt. Aber nun war sie ja auch Wirklichkeit geworden:
„Die Tauperle funkelt im Rosenblatt, Ein Diamant in blassrotem See. Ein Schmetterling trank von dem duftenden Bad, Gurkemee!
Berauscht er zappelt und springt in die Höh', Sein Herzblut färbt die Tauperle rot. Als die Sonne erwacht, war der Schmetterling tot. Gurkemee!"
Seine Dichtung hatte ihre schönste Blüte getrieben! Und mit diesem Ausbruch war in seinen Zorn ein Loch geschlagen, so dass er abfloss und schließlich nichts als Wohlwollen hinterließ.
Klumpfüßig, na Herrgott! Deshalb konnte sie ja eigentlich doch ein vortrefflicher Mensch sein! Ganz gewiss hatte sie ihr Gebrechen verheimlicht, aber hatte er nicht selber auch daran gedacht, es zu tun? —Es würde ein Hauptspaß sein, sich eines ihrer Stiefel zu bemächtigen, wenn sie erst verheiratet wären — und nachzusehen, was er enthielte. Hätte er nur ihre Stiefel vorher gesehen, dann hätte er mit Leichtigkeit vorausgesagt, dass sie hinkte. Aber das hatte nun einmal nicht sein sollen.
Und Bigum ging wieder umher und freute sich auf den Tag, der da kommen sollte, und träumte von seiner Liebe.
Aber am Hochzeitstag geschah etwas, wodurch beinahe alles in die Brüche gegangen wäre. Der Schneiderjunge kam mit dem blauen Düffelanzug, und Bigum zog ihn an, um in die Kirche zu gehen. Da — den Donner! — stellte es sich heraus, dass sich der Schneider geirrt und das falsche Hosenbein abgeschnitten hatte.
Aber Bigum war nicht gesonnen, sich um seine Braut narren zu lassen; resolut drehte er die Hosen um und zog sie mit dem Hinterteil nach vorne an. Besonders schön war es nicht, es sah aus, als wären sie für einen mit Hängebauch geschneidert worden, und rückwärts sah es womöglich noch schlimmer aus. Sehr praktisch war es auch nicht - aber es würde wohl gehen!
Und gehen tat es. Aber lustig muss es gewesen sein, noch lustiger als damals, wo Schweden-Anders vor dem Altare stand und auf die feierlichen Fragen des Pfarrers jedes Mal geantwortet hatte:
„Ja, zum Teufel!"
Und so war denn Bigum Holzbein verheiratet mit Ane Peters, im alltäglichen Umgang Ane Klumpfuß genannt.
Sie waren noch nicht sehr lange verheiratet — nicht länger als man braucht, um ein gutes Essen zu verdauen —, als sie aneinander gerieten. Die Sache war die, dass Ane an vieles Essen gewohnt war und Bigum sich mit wenigem behelfen konnte. Solange Ane das Essen verdaute, das sie am Hochzeitstag zu Hause bei ihrer Mutter eingenommen hatte, ging es gut. Als es sie aber nach neuer Versorgung verlangte und in Bigums Speisekammer nichts zu finden war, wurde sie kriegerisch.
Bigum schien es, dass die Frage des Essens in einem Liebesverhältnis von untergeordneter Bedeutung sei, und versuchte es mit seinem alten Universalmittel, den Reden und Ansprachen. Aber Ane war nicht so leicht zur Vernunft zu bringen wie sein Magen. Sie schnitt ihm das Wort vorm Munde ab und verlangte zu essen, und als er gar nicht hinhörte und ruhig in seinem Text fortfuhr, wurde sie wild. Zweimal fuhr sie ihm in die Haare, aber glücklicherweise saß er beide Male, so dass sie den kürzeren zog.
Nach der zweiten Niederlage versuchte sie nicht mehr, ihre Kräfte mit ihm zu messen, dafür fing sie an zu zetern und zu kreischen und ihn auszuschimpfen. Bigum gebrauchte nicht die Zunge — das war unter seiner Würde; stattdessen setzte er die Geige unters Kinn und ahmte darauf all ihr Geheul und Gekreische nach.
Eines Tages ging es besonders heiß zu. Ane weinte und machte ihm Vorwürfe, Bigum saß und strich klagend auf seiner Violine. Das erregte sie bis zur Raserei, und sie fing an zu kreischen, in den himmelhöchsten Tönen. Aber sogleich fiel Bigums Geige ein, mit akkurat den gleichen hohen Tönen.
Es war mit ihm kein Auskommen — es war nicht länger auszuhalten... Ganz außer sich stürzte sie hinaus und die Seehügel hinunter. Bigum folgte ihr mit der Violine unter dem Arm langsam nach.
Ane Peters lief über den Strand und watete hinaus, um ihren Qualen in den Wellen ein Ende zu machen; wo das Meer sich verläuft, stand Bigum und hatte das Holzbein auf seinen Stock gelegt. Es war ein sehr flacher Strand, und Ane watete und watete. Endlich reichte ihr das Wasser bis zu den Armhöhlen — zwei Schritte noch, und sie wäre aller Sorgen ledig!
Warum aber stand Bigum so unerschütterlich auf dem Strande, als ob ihn die ganze Sache gar nichts anginge? Er konnte doch mindestens den Versuch machen, sie zu retten, da sie doch nun für ewig scheiden sollten! Gelingen sollte es ihm ganz bestimmt nicht, denn sobald er käme, wollte sie die letzten paar Schritte tun und sich sinken lassen. Ein bisschen Liebe wäre trotzdem ganz schön gewesen, wenn sie jetzt für immer ihn verließe.
So stand sie da und überlegte, und das Wasser wurde immer eisiger; aber Bigum kam nicht. Es war das beste, Schluss zu machen!
Sie wollte den letzten Schritt tun, verfehlte aber die Richtung und watete dem Lande zu.
Nun aber war Bigum dran, er warf die Geige hin und watete hinaus. Ah, Gott sei Dank — da brachte er es also doch nicht übers Herz!... Ane watete ihm rasch entgegen. Aber Bigum hob seinen Stock, schlug sie damit und zwang sie Schritt für Schritt wieder hinaus, bis ihr das Wasser am Halse stand. Da bat sie um ihr armseliges Leben — und so jämmerlich, dass Bigum Gnade vor Recht ergehen ließ.
Als sie wieder auf dem Trockenen waren, ergriff Bigum die Geige. Er marschierte wie in Prozession vor seiner Frau her, strich einen Marsch auf der Violine und dichtete den Text dazu: „Meine Frau wollt' sich ertränken,
ertränken! Nun tat sie sich bedenken, bedenken!"
Bei der "Wasserpartie hatten sich alle beide erkältet und mussten sich hinlegen, und da lagen sie zwei Nächte und zwei Tage, die Rücken gegeneinander gekehrt, in dem breiten Bett. Mitten auf dem Fußboden lagen das Holzbein und der Klumpstiefel in schöner Eintracht beisammen, zwischen den beiden Ehegatten aber brütete als ein zweischneidiges scharfes Schwert der Geist der Unverträglichkeit.
Am Morgen des dritten Tages indes drehte sie den Kopf ein wenig und drehte er den Kopf ein wenig, und sie lächelten beide zu gleicher Zeit. Nach und nach drehten sie sich weiter zueinander, drehten sich und lächelten, bis sie schließlich in der höchsten ehelichen Vereinigung zusammenschmolzen.
Und als das Eis einmal gebrochen war, ging es wie von selber.
Sie wollten beide aufstehen und einer dem anderen Fliedertee kochen, und bald saßen sie auf der Bettkante und tratschten, während er ihr den Klumpstiefel zuschnürte und sie ihm das Holzbein anschnallte. Die lieben, lieben kleinen Leibesschäden! Dass sie ihm das jemals hatte vorwerfen können — oder er ihr! Das war es doch gerade, was den einen dem andern so wert machte — und weshalb sie nicht waren wie andere Leute.
Es war, als habe der Geist der Eintracht selber seine Wohnung in ihnen aufgeschlagen. Sie brauchten die Dinge gar nicht erst zu bereden — sie waren sich von vornherein darüber einig. Vor dem Frühstück wurden die blauen Baumwollenen gekauft, Ane schnitt die Mütze ab und nähte die alte Hose im Bund zusammen, und Bigum packte den Ranzen. Und als die Sonne am höchsten stand, zog das Ehepaar Bigum auf Tournee — hinaus in den Frühling. Die Bauern hielten den Pflug an, wo sie erschienen. „Jetzt wird es bald Sommer", sagten sie — wie man sonst sagt, wenn man den ersten Storch sieht.
Und niemals gab es größeren Krach zwischen den beiden Ehegatten — sie waren wie extra füreinander geschaffen. Bigum Holzbein spielte, Ane Klumpfuß sang, und sie zogen durch die Insel die Kreuz und die Quer.
Und wenn Bigum müde wurde, war es Ane, die die Hosen trug.
1898


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