DRITTER AKT
  In der Frühe des nächsten Tages. Schenks Zimmer.  Mansardenstübchen. Der Dachstuhl bildet an der rechten Seite die  schräge Zimmerdecke über dem kleinen Fenster, an dem saubere Gardinen  hängen. Auf dem Fensterbrett eine leere Blumenvase. An der Hinterwand  rechts die Ausgangstür mit Kleiderhaken. In der Mitte der Wand  Kleiderschrank. Weiter links einfache Waschkommode, daneben Eimer.  Viereckiger kleiner Spiegel. An der linken Seite hinten Tür zur Küche.  In der Ecke links runder Eisenofen mit langem Rohr. An der Wand links  eiserne Bettstelle. Unter dem Fenster langes Brett mit Büchern. In der  Mitte des Zimmers ungedeckter Tisch und ein paar Rohrstühle. Im  Vordergrund rechts ein stark abgenützter Liegestuhl. Auf dem Tisch  Schreibzeug und Papier. Über dem Bett hängen ungerahmte „Jugend"-Bilder. Unter  dem Tisch Strohmatte. Das Bett ist aufgewühlt. 
       
    SCHENK (in  Hemdärmeln vor dem Spiegel. Er wäscht sich die letzten Spuren der  Rasierseife ab, trocknet das Gesicht und legt das Rasiermesser in die  Schublade des Waschtisches): Mutter! 
    FRAU SCHENK (von der Küche): Ja, mein Junge! Gleich  kriegst    du Kaffee. Ist's schon warm im Ofen?  
    SCHENK: Ja, Feuer  hab' ich gemacht. — Hast du die Rosette    aufgenäht? 
    FRAU SCHENK (öffnet die Tür links): Da — zieh mal  an. (Gibt ihm den schwarzen Rock.) An der linken Seite — ist's recht so? 
    SCHENK: Natürlich links. — Aber wart. Ich muss mir doch  erst    den Kragen umlegen.  
    FRAU SCHENK: Ja, mach' dich nur fein  für den großen Tag.  
    SCHENK: Aber Mutter, an den Überzieher muss auch eine  Rosette.  
    FRAU SCHENK: Sei nur unbesorgt. Rosa Fiebig hat gleich zwei    hergegeben, deinen Mantel hab' ich schon in der Küche. So, 
    mach' dich fertig, Ralf, ich hol' den Kaffee. (Ab.)  
    SCHENK (legt den Kragen um und bindet die Krawatte. Zieht den Rock an und besieht die Rosette vor dem Spiegel.  Ruft): Sieht gut aus, Mutter.  
    FRAU SCHENK (bringt Tablett mit  Kaffeekanne, Tassen, Brot, Messer und Marmelade; stellt es auf den Tisch): Lass  dich 
    mal anschauen, Junge.  
    SCHENK: Sitzt der Kragen ordentlich? 
    FRAU SCHENK (zupft die Krawatte zurecht): So. —  Richtig    schmuck siehst du aus. — Aber jetzt komm' frühstücken.  
    SCHENK: Ach, Mutter, möchtest du vielleicht erst das Bett    machen? — Ich kriege vielleicht bald Besuch.  
    FRAU SCHENK:  So früh schon?  
    SCHENK: Ich sage dir gleich, wer kommt.  
    FRAU SCHENK: Na, wie du  willst. (Macht das Bett in Ordnung.)  
    SCHENK (sieht sich im Zimmer  um): Ach, der Eimer! (Er gießt das Waschwasser in den Eimer und trägt ihn hinaus.)  
  FRAU   SCHENK: Was hat er bloß heute? (Streicht das Bett glatt.)  
    SCHENK (zurück): So, Mutter, jetzt können wir Kaffee trinken. 
  (Setzen sich an den Tisch.)  
    FRAU SCHENK (streicht  Brot): Nein — die Marmelade ist auch    ein Zeug. Das reine Viehfutter, und dann muss man noch 
    betteln, dass man's für das Sündengeld überhaupt kriegt.  
    SCHENK: Mutter, noch mal aufkehren ist wohl nicht nötig —    meinst du? 
    FRAU SCHENK: Aber, Ralf, ich hab' doch erst gestern Abend bei dir  ausgefegt. Du tust ja, als wenn Ostern wäre. Was ist das bloß heute mit  dir? 
    SCHENK: Ja, Mutter, wenn du wüsstest! 
    FRAU SCHENK: Du — Schlingel — ich glaube bald, du bist  verliebt. — Kommt dein Schatz her? 
    SCHENK: — Nein--so darf man Flora nicht nennen. 
    FRAU SCHENK: Flora? — Was ist das für ein ausgefallener  Name! 
    SCHENK: FLORA: Severin heißt meine — meine Freundin.  
    FRAU  SCHENK: Ist das nicht die Studentin, von der du schon    erzählt hast?  
    SCHENK: Ja, Mutter. 
    FRAU SCHENK: Nein — und die ist jetzt deine — ?--Ihr    wollt euch doch nicht heiraten?  
    SCHENK: Wer kann wissen,  was noch wird!  
    FRAU SCHENK: Nein, sag doch! — Aber so was! — Und die    kommt hierher — zu uns?  
    SCHENK: Sie wollte ganz früh hier  sein. — Ach, dass ich keine    Blumen in der Vase habe.  
    FRAU SCHENK: Mein Gott, nein —  mitten im Winter! — Aber    du, ich will mir dann doch lieber das gute Kleid anziehen. 
    So im Arbeitskleid — das geht doch nicht.  
    SCHENK: Du  bleibst, wie du bist, Mutter. Flora soll sehen, dass    sie zu Proletariern kommt. Und das will sie auch sehen.  
    FRAU SCHENK: Wird sie denn auch dabei sein, heut' Nachmittag?  
    SCHENK: Das  kannst du glauben? Sie hat auch die Flugblätter    geschrieben. 
    FRAU SCHENK: Ist's möglich? Das sollte man nicht meinen,  dass die von einer Frau geschrieben sind. 
    SCHENK: Sie ist auch keine Frau wie die andern. — Sie denkt und lebt  nur mit dem Volk. Sie will es aufwiegeln zum Aufstand — zur Revolution. 
    FRAU SCHENK: Aber Ralf - Revolution, — das ist doch etwas  Schreckliches? 
    SCHENK: Ehe wir die Revolution nicht haben, hört der Krieg    nicht auf, Mutter.  
    FRAU SCHENK: Dieser abscheuliche Krieg!  — Ja, wenn das    wahr ist, was du sagst, dann muss man ja selbst die  Revolution    wünschen. 
    SCHENK: Wenn das glückt, was Flora und ich wollen, dann  haben wir sie heute noch. 
    FRAU SCHENK: Ach du mein Gott, — es ist aber doch keine  Gefahr dabei für dich? 
    SCHENK: Mutter! Wenn ich mein lahmes Bein und die kranke Lunge nicht  hätte, wäre ich doch immer in Gefahr. Das müsstest du auch aushalten. 
    FRAU SCHENK: Ja, du gehst überhaupt viel zu leichtsinnig um mit deiner  Gesundheit. Du wirst dich wieder schrecklich aufregen, — und du weißt  ja, dann kommt das Husten wieder. 
    SCHENK: Was du dir doch einbildest! — Mir geht es jetzt  viel besser. — Ich habe heute Nacht kaum einmal gehustet. (Er hüstelt.) 
    FRAU SCHENK: Siehst du — siehst du! 
    SCHENK: Na ja, man muss nicht daran denken. — Wenn ich  Flora sehe, vergesse ich meinen ganzen Husten. 
    FRAU SCHENK: Bei deinem Vater war es geradeso. Als er noch jung war und  recht verliebt in mich, hat er oft tagelang gar nicht gehustet Und  dann, als du geboren warst, da war er vor Freude beinahe ganz gesund.  Aber 2 Jahre drauf hat ihn die Schwindsucht doch hingeworfen. 
    SCHENK: Sag', Mutter, war Vater eigentlich Sozialist? 
    FRAU SCHENK: Gott, wie das so war damals. In der Gewerkschaft war er  ja, und bei den Wahlen hat er immer den Sozialdemokraten geholfen. Aber  sonst hat er sich nicht viel um das Ganze gekümmert. 
    SCHENK (schaut auf die Taschenuhr): Es ist gleich 8  Uhr. 
    FRAU SCHENK: Ja, natürlich. - Ich hab' dich doch heut' nicht früher  geweckt, weil du doch nicht zur Arbeit gehst wegen dem Streik. — Du  hast mir aber noch gar nicht erzählt von gestern Abend. 
    SCHENK: Ach — ich hab' mich geärgert. 
    FRAU SCHENK: Wohl wieder über die Malerinnen und die  vornehmen Herrschaften? 
    SCHENK: Die durften sich gestern gleich drücken. Das  Generalkommando hatte ja alles verboten. — Nein, über Seebald selber. 
    FRAU SCHENK: Über den Professor selber? Aber wie kann das  sein, Ralf? 
    SCHENK: Na ja, er sollte heute reden vor der Wachsmannschen Fabrik und  dann den Zug anführen. Aber da hat er plötzlich so viel Bedenken, so  viele Wenn und Aber-- 
    FRAU SCHENK: Wird er denn nun hingehen? 
    SCHENK: Ich soll mir um 1 Uhr bei ihm Bescheid holen. —  Ich hätte Lust, ihn einfach laufen zu lassen. 
    FRAU SCHENK: Ist's möglich? 
    SCHENK (sieht wieder nach der Uhr, schüttelt den Kopf): Kann ich noch ein Stückchen Brot haben, Mutter? 
    FRAU SCHENK: Das wird schlecht gehen, Ralf. Meine  Brotmarken sind fast ganz alle — 
    SCHENK: Gib nur noch eins her. Vielleicht treib' ich noch ein paar  Brotmarken auf. Aber heut muss ich gut im Stande sein. Heut' gibt's  noch zu tun. 
    FRAU SCHENK (seufzt): Das ist ein Kreuz mit dem  Brot — und überhaupt. (Streicht ihm ein Brot.) Was sind das bloß für  Zeiten! 
  (Es läutet.) 
    SCHENK: Es hat geschellt, Mutter. Das ist sie — sie weiß  nicht, dass die Flurtür offen ist. — Bleib' da, ich mache auf. Er  geht zur Ausgangstür hinaus. Frau Schenk streicht sich rasch das Kleid  glatt, läuft zerfahren umher. Draußen hört man Stimmen. Schenk und  Flora treten ein. 
    SCHENK: Ja, hier herein — bitte. — Komm', Mutter. — Ja,  das ist meine Mutter, Flora! 
    FLORA: (gibt ihr die Hand): So sieht Raffael Schenks  Mutter aus! — Guten Morgen, Frau Schenk! 
    FRAU SCHENK: Grüß Gott, Fräulein.--Ja, jetzt hab' ich    den Namen wieder vergessen. 
    SCHENK: Flora, Mutter. — Und Fräulein brauchst du auch  nicht zu sagen. 
    FLORA: Nein, bitte nicht. — Ich bin Genossin.  
    SCHENK: Leg  doch ab, Flora. 
    FLORA: Hast du eine Vase? Ich hab' ein paar Rosen  mitgebracht. (Gibt sie ihm.) 
    SCHENK (sie aus dem Papier nehmend): Oh, sieh doch,  Mutter, wie schön! 
    FRAU SCHENK (nimmt die Vase vom Fenster, stellt die  Blumen hinein, riecht daran): Oh,  wie herrlich. Und Ralf hat gerade geklagt, dass wir keine Blumen im  Zimmer haben für Sie. — Hilf doch beim Ausziehen, Junge. 
    SCHENK: Ach ja. (Zerrt ungeschickt an Floras  Jackettärmel.) 
    FLORA: Geh' nur! (Legt ab, gibt ihm Jackett und Mütze,  die er an die Tür hängt). 
    SCHENK: Mutter, hast du noch eine Tasse für Flora? 
    FLORA: Ich habe schon gefrühstückt. — Bitte keine  Umstände. 
    FRAU SCHENK (läuft in die Küche): Oh, es ist noch  genug da. Einen Augenblick. 
    SCHENK: Ich bin so glücklich, dass du hier bist! 
    FLORA: (gibt ihm ihren Mund): Mein lieber Freund! (Kuss). 
    FRAU SCHENK (kommt wieder herein, bleibt in der Tür  stehen, will zurück). 
    SCHENK: Komm' nur herein, Mutter. — Hast du was gesehen? 
    FRAU SCHENK: Ich? - Nein. - Was denn? 
    SCHENK: Es macht nichts, Mütterchen. Dir auch nicht,  Flora,    wie? — Ich hab' vor Mutter keine Geheimnisse.  
    FLORA: Das  ist schön, — und selten. 
    FRAU SCHENK: Wenn er nur glücklich ist, — da haben Sie  eine schöne Aufgabe, mein Kind. (Gießt ihr ein.) Auch ein Marmeladebrot? 
    SCHENK (schiebt ihr seines zu): Da, iss dies, — das  hab' ich liegen lassen. — Aber Mutter, bring doch die Milch für Flora. 
    FRAU SCHENK: Von deiner Milch? 
    SCHENK: Ja, natürlich. Andere hast du doch nicht? 
    FLORA: Die ist wohl für dich extra verordnet? — Nein, mein  Lieber, die trinkst du, aber ich nicht. 
    SCHENK: Ich trinke bloß mittags ein Glas, und wenn heute soviel darin  fehlt wie du brauchst, um deinen Kaffee zu weißen, dann bekommt sie mir  dreimal so gut. 
    FRAU SCHENK (holt die Milch aus der Küche. Währenddem  sitzen Schenk und FLORA: wortlos Hand in Hand. Kommt zurück): So, nun  bedienen Sie sich, und mich entschuldigen Sie. Ich muss Einholen geh'n. (Nimmt  aus dem Kleiderschrank ein Umschlagetuch, während sie es umlegt.) Das  Frühstücksgeschirr stell' dann nur auf den Küchentisch, Ralf!  
    SCHENK:  Unbesorgt, Mutter. Geh' nur. 
    FRAU SCHENK: Kann sein, dass ich ein bisschen länger Wegbleib. Ich gehe  noch bei Frau Päpke vorbei und sehe mal nach ihr und dem Baby. Sie hat  vorige Woche entbunden. 
    FLORA: Wohl eine Nachbarin? 
    FRAU SCHENK: Nein — sie wohnt ein tüchtiges Stück Weg.    Aber sie ist ein Patenkind von mir. — Aber jetzt muss ich 
    laufen. Guten Morgen, Kinder. (Ab.)  
    FLORA: Hast du  eine liebe Mutter! 
    SCHENK: Nicht wahr? — Sonst geht sie nie vor 1/2 10 Uhr einkaufen. Und  dass sie zu der Wöchnerin muss, ist auch nur, damit sie die Zeit  hinbringt und uns nicht zu früh stört. — Und jetzt einen Kuss, Flora! 
    FLORA: Noch einen. (Küsst ihn.) Und damit ist's  genug. Zum Schnäbeln haben wir später Zeit. Heut' haben wir Ernsteres zu tun. —  Weißt du etwas Neues? 
    SCHENK: Das Morgenblatt ist nicht erschienen. — Sind  Telegramme angeschlagen? 
    FLORA: Nur Anschläge vom Generalkommando und den Gewerkschaften:  Warnungen, Beschwichtigungen, Drohungen — du kennst die Tonart. 
    SCHENK: Und weißt du Näheres von den Fabriken? 
    FLORA: Ich traf die Fiebig. Bei Wachsmann feiert alles.  Bei Bartels & Moser soll ein Teil zur Arbeit gegangen sein. 
    SCHENK: Und bei der Motorengesellschaft? 
    FLORA: Das weiß ich noch nicht. — Und wie ist's in eurer  Druckerei? 
    SCHENK: Da bin ich gewiss. Die hab' ich gut bearbeitet. Du  siehst ja auch — keine Zeitung. Das spürt der gute Bürger zuerst. 
    FLORA: Also pass auf. Ich war heute früh schon weit herum.  
    SCHENK: Heut' früh schon? — Herrgott, und ich steh' jetzt erst auf. 
    FLORA: Du sollst dich auch schonen. Ich war schon bei  Trotz und bei Fischer. Die Sache geht folgendermaßen vor sich: 
    Um 2 Uhr sammeln sich die Streikenden bei ihren Betrieben und gehen von  dort in Kolonnen — aber ohne Fahnen — zur Wachsmannschen Fabrik. Dort  stellt sich der Zug auf. Die Fahnen und Plakate werden gegen 1 Uhr  hierher gebracht — zu dir. Sie werden erst an Ort und Stelle verteilt.  
    SCHENK: Warum  das? 
    FLORA: Damit nicht eine einzelne Gruppe vorzeitig  abgefangen wird. 
    SCHENK: Das kann man auch, wenn sie keine Fahne hat.  
    FLORA: Aber man wird nicht. Der Stier wird erst wild, wenn    er das rote Tuch sieht.  
    SCHENK: Und weiter? 
    FLORA: Der Zug formiert sich nach Betrieben und Berufen im großen  Vorhof der Fabrik. Und am Eingang, wo das Gitter aufhört, steht doch  der hohe vierkantige Stein, — du kennst dich doch dort aus? 
    SCHENK: Du meinst den Sockel, der eigentlich für die  Pforte    bestimmt war?  
    FLORA: Ja. Von diesem Stein aus spricht  Seebald.  
    SCHENK: Das bezweifle ich, Flora. 
    FLORA: Wie denn? Bist du nicht einig geworden mit ihm? —    Ich hatte mich darauf verlassen.  
    SCHENK: Ich habe getan,  was ich konnte.  
    FLORA: Und er hat nein gesagt? 
    SCHENK: Weder ja noch nein. Er wollte sich's bis heute  Mittag    überlegen.  
    FLORA: Das bedeutet eine Absage. 
    SCHENK: Der Ansicht bin ich auch. Um 1 Uhr soll ich bei ihm Bescheid  holen. — Aber sagtest du nicht, um eins kommen die Genossen hier  zusammen? 
    FLORA: Ja, Trotz und Dietrich und Rosa Fiebig mit den  Fahnen. 
    SCHENK: Dann geh' ich gar nicht erst hin.  
    FLORA: Ob ich  noch einmal mit ihm sprechen soll?  
    SCHENK: Nein, Flora. Lassen wir ihn gehen. —  Er meint es gut, — aber er ist nicht der Mensch, für den wir ihn hielten.  
    FLORA: Was meint denn Lecharjow? 
    SCHENK: Der kommt. — Er fand, wir reden aneinander vorbei    — Seebald und ich.  
    FLORA: Wer soll dann aber sprechen?  
    SCHENK: Es bleibt nur ein Ausweg. — Du!  
    FLORA: Ich glaube, das werde ich nicht  können. — Möchtest    du nicht — ? 
    SCHENK: Ich bin kein Redner — und dann mein schwaches    Organ.  
    FLORA: Oder Trotz? 
    SCHENK: Der kommt ins Stottern. Er kann nicht vor vielen    Leuten sprechen.  
    FLORA: Und Dietrich? 
    SCHENK: Das ist ein braver Kerl. Aber mit großen Phrasen  ist doch jetzt nicht geholfen. 
    FLORA: Ich habe noch nie vor Massen gesprochen. 
    SCHENK: Aber du kannst es. Du kannst alles. Du musst es  tun! (Er nimmt ihre Hände.) Flora — ja? 
    FLORA: Schmeichler! (Sie küsst ihn. Es klopft. Sie  fahren auseinander.) 
    SCHENK: Herein! (Es tritt ein Klagenfurter.) Du  bist's, Stefan? 
    KLAGENFURTER:Ja - ich bin's. Ich bin von Hause fort.  
    SCHENK: Was heißt das? 
    KLAGENFURTER:Um 7 Uhr war ein Soldat da und brachte die  Einberufung. Ich soll heut' Vormittag um 8 in der Infanteriekaserne  eintreten. 
    FLORA: 8 Uhr ist längst vorüber. 
    KLAGENFURTER:Sie haben mich abgelauert gestern Abend bei    der „Hütte". Den ganzen Weg hatte ich Spitzel hinter  mir.  
    SCHENK: Das hat Strauß gemacht. — Der kennt dich.  
    KLAGENFURTER:Ja — um  mich heute unschädlich zu machen.    Denk mal: vorgestern erst gemustert.  
    SCHENK: Wie die  Gesellschaft arbeitet! Um 7 Uhr der Zettel    und um 8 Uhr antreten.  
    FLORA: Nur gut, dass sie Sie nicht  gleich mitgeschleppt haben.  
    KLAGENFURTER:Dass ich durchbrennen werde, haben  sie sich    wohl nicht gedacht. 
    SCHENK: Jedenfalls werden sie dich so schnell nicht  suchen.    Bleib nur erst hier.  
    FLORA: So sicher bin ich nicht. Ich  denke mir aber, dass sie ihre    Häscher schon ausgesandt haben.  
    SCHENK: Aber bei mir  werden sie ihn kaum vermuten.  
    FLORA: Vielleicht gerade. Glaubst du, über die  Freundschaften    unter den revolutionären Arbeitern werden keine Listen  geführt?  
    KLAGENFURTER:Wohin soll ich denn gehen? Wozu raten Sie?  
    FLORA: Heute Nachmittag  werden Sie am sichersten unter der    Menge sein. 
    KLAGENFURTER:Ja — da wird's schwer werden, mich  rauszusuchen. — Aber bis dahin? 
    SCHENK: Am besten wär's, du gingst zu irgend einem  unverdächtigen Bourgeois. 
    KLAGENFURTER:Wer sollte mich wohl aufnehmen? 
    FLORA: Ich hab's. Gehen Sie zu der geschiedenen Frau, die  im Neuen Menschen immer auf unseren Nerven Harfe spielt 
    SCHENK: Zu der alten Hysterikerin! — Das ist. ein Gedanke.  Wart, ihre Adresse habe ich. (Sieht im Notizbuch nach.) Hier: Frau Werra  Adler — ich schreib' dir's auf. (Schreibt einen Zettel, gibt ihn  Klagenfurter.) 
    FLORA: Aber sehen Sie sich vor, dass sie Sie nicht in  ihren Netzen fängt. 
    KLAGENFURTER:Dann lieber gleich freiwillig in die  Kaserne! 
  (Draußen Schritte. Klopfen. Es tritt ein Dietrich.)  
    DIETRICH:  Oha! — Ich hab' mir's gedacht, dass ich den Ausreißer    hier finde. — Du musst sofort weiter!  
    SCHENK: Warum? Was  ist los? 
    DIETRICH: Ich komme eben von deiner Frau, Stefan. Es waren gerade zwei  Soldaten dagewesen, um dich zu holen. Dann wollte ich zu mir heim.  Gerade kamen sie bei mir die Treppe herunter, diese Kanaillen. 
    FLORA: Hat Sie niemand zur Rede gestellt? 
    DIETRICH: Sie kannten mich doch nicht. Ich bin dann gleich umgekehrt  und hierher. Wahrscheinlich sucht die Polizei auch schon. 
    FLORA: Wieso glauben Sie? 
    DIETRICH: Weil ich die Burschen auf der Straße mit einem Zivilisten  sprechen sah, der mir verflucht nach Kriminaler aussah. Ein Kerl im  Pelz. Der schlug sein Buch auf und gab dann offenbar eine andere  Adresse an. Sie gingen dann miteinander die Gertrudstraße hinunter,  also wahrscheinlich zu Braun oder Färber. 
    SCHENK: Ja, mein Lieber, da wird's wohl das beste sein, du läufst  gleich weiter, dass du ihnen hier unten nicht grad in die Arme fällst. 
    KLAGENFURTER:Dietrich kann ja vorangehen. Der kennt sie 
    ja schon.  
    DIETRICH: Aber wohin? 
    FLORA: Da sind wir schon einig: Ins Villenviertel zu Frau  Adler.  
    DIETRICH (lacht mächtig): Das ist großartig! Das hat natürlich    unsere Severin ausgeheckt! Na, jedenfalls wird man dir ein 
    gutes Weinchen vorsetzen, Alter!  
    KLAGENFURTER:Sag', war  die Miezl sehr aufgeregt?  
    DIETRICH: Na ja — geheult hat sie ja ein bisschen.  
    KLAGENFURTER:Verdammt! In ihrem Zustand jetzt die Angst!  
    SCHENK: Denk' jetzt  nicht an deine Frau. Der geschieht nichts.    Denk' an dich selbst und lass dich nicht erwischen.  
    KLAGENFURTER:Wenn sie mich kriegen, — in den grauen Rock    steig ich nicht.  
    SCHENK: Bist du fest entschlossen? 
    KLAGENFURTER:Du kannst dich drauf verlassen. Sie mögen mich an die Wand  stellen, dann weiß ich wenigstens, wofür ich sterbe. Soldat werde ich  nicht! 
    FLORA: (schüttelt ihm die Hand): Brav,  Genosse Klagenfurter. — Jetzt gehen Sie aber, Dietrich als  Schrittmacher zuerst. — Und um Ihre Frau werde ich mich kümmern. Das  verspreche ich Ihnen. 
    DIETRICH: Dann kannst du beruhigt sein, Stefan. Bei der  ist sie    in guten Händen.  
    KLAGENFURTER:Das weiß ich. Vielen Dank,  Flora. — Also    hoffentlich am Nachmittag. (Mit Dietrich ab.)  
    FLORA:  Das alles sieht mir nicht danach aus, als ob es friedlich    ablaufen wollte. 
    SCHENK: Sie arbeiten tüchtig, — das muss man ihnen lassen. 
    FLORA: Es zeigt, dass sie sich noch sicher fühlen. Es ist kaum zu  fassen, diese Verblendung. Aber es ist gut so. — Verheimlichen lässt es  sich an der Front nicht, wie es in der Heimat zugeht. Auf jeden Fall  wird die Niederlage beschleunigt. 
    SCHENK: Glaubst du, dass die Front revoltieren wird, wenn  es bekannt wird? 
    FLORA: Das glaube ich nicht. Aber du weißt ja, wie die Urlauber reden;  alle hoffen aufs Hinterland. Rührt sich hier erst mal etwas, dann  werden sie sich doch nicht mehr so einreden lassen, dass nur Stürmen  und Siegen sie aus dem Elend des Schützengrabens befreien kann. Wenn  unsere Landsleute draußen lesen, dass zu Hause gestreikt wird, und dass  man in die Arbeiter hineinschießt — 
    SCHENK: Und die Namen der Verhafteten! Denke nur, wenn  dastände, Seebald ins Gefängnis geworfen! 
    FLORA: Ja, das würde Eindruck machen. — Aber wenn der sich  doch zurückzieht — 
    SCHENK: Feigheit ist es nicht 
    FLORA: Gewiss nicht. An seine Person denkt er zuletzt —  Weißt    du, was gut wäre?  
    SCHENK: Was? 
    FLORA: Wenn sie ihn trotzdem verhafteten, — auch wenn- er    nicht dabei ist?  
    SCHENK: Hältst du das für möglich? 
    FLORA: Wahrscheinlich ist es nicht. Aber Strauß hasst ihn — und ich  glaube, der und die anderen so genannten Arbeiterführer haben das ganze  Spiel in den Händen. 
    SCHENK: Sie werden ihn ab Rädelsführer angeben? 
    FLORA: Das ist er ja im Grunde auch. Ohne seine Tätigkeit  hätten wir die Arbeiter nicht aus den Werkstätten bekommen. 
    SCHENK: Trotzdem — sie werden es nicht wagen. — Wenn ich mir vorstelle,  dass man ihn womöglich an den Arbeitern vorbeiführt. — Von seiner  Wohnung zum Gefängnis müssten sie ja an der Wachsmannschen Fabrik  vorüber.-- Ob man ihn befreien würde? 
    FLORA: Raffael, du phantasierst. Das ist doch alles  Unsinn. 
    SCHENK: Ja, — ja, — natürlich.--Hast du fertig  gefrühstückt,    Liebste? Kann ich abräumen?  
    FLORA: Ja, danke, ich nehm'  nichts mehr.  
    SCHENK (stellt das Geschirr aufs Tablett): Einen  Augenblick. 
  (In die Küche ab.)  
    FLORA: (blickt ihm nach,  seufzt schwer auf): Oh, mein Gott! 
  (Sie steht auf, geht durchs Zimmer, setzt sich auf den  Liegestuhl,nimmt das Taschentuch vor die Augen, schluchzt auf.)  
    SCHENK (zurück, auf sie zu): Flora! Du weinst? — Was hast    du? (Kniet bei ihr nieder, küsst ihre Hände.) Du!  
    FLORA: (fährt ihm über das Haar): Verzeih', Lieber. — Ich bin    doch nur ein schwaches Weib.  
    SCHENK: Aber was ist dir  denn? 
    FLORA: (unter Tränen): Es wird Tote geben und  Verwundungen.    Man wird brave Menschen in den Kerker werfen. — Es ist 
    schwer, das alles zu verantworten.  
    SCHENK (ratlos): Nicht  mutlos sein, Liebling — bitte nicht!  
    FLORA: (legt den Arm um seinen Hals): Wir  haben einander    Vertrauen gelobt, Raffael. Du darfst sehen, dass es mir  nicht    leicht wird, du allein.  
    SCHENK (küsst sie  leidenschaftlich): Oh, ich weiß — du bist gut,    du bist weich. 
    FLORA: (richtet sich auf, steht): Nein, ich will  nicht weich sein. 
    Ich will nicht! Wir müssen fest bleiben, du und ich. —  Hart    müssen wir sein!  
    SCHENK: Du bist schön, Flora! — Du bist  schön! (Umschlingt sie. Es läutet.) 
    FLORA: (lächelnd): Hörst du? Wir werden zum zweiten  Mal gemahnt, vernünftig zu sein. — Geh', mach' die Tür auf. 
    SCHENK: Kann man mich denn nicht einmal fünf Minuten  glücklich sein lassen! (Ab zum Korridor. Die Tür bleibt offen. Noch  draußen.) Sie sind's Frau Laßmann? - Ja, bitte, treten Sie ein! 
    FRAU LASSMANN: Störe ich nicht? 
    FLORA: Nein, — aber haben Sie etwas mit Schenk zu reden,    wobei ich störe?  
    FRAU LASSMANN: Nein, gewiss nicht. Ich  wusste ja nur nicht,    an wen ich mich wenden soll. 
    SCHENK: Was ist denn passiert? — Sie sind aufgeregt, Frau  Laßmann. — Setzen Sie sich. (Schiebt ihr einen Stuhl hin.) 
    FRAU LASSMANN (setzt sich): Ach Gott, — helfen  können Sie mir ja auch nicht — aber vielleicht doch einen Rat geben. 
    SCHENK: Sprechen Sie doch. Worum handelt es sich denn? 
    FRAU LASSMANN: Sie wissen doch, wie es uns jetzt geht, — mit der  Invalidenrente die paar Mark und dann mit dem blinden Mann und mit den  sechs Kindern. — 
    FLORA: Sie sind in Verlegenheit, Frau Laßmann? Da wird  sich schon Rat schaffen lassen. 
    FRAU LASSMANN: Ja, sehen Sie — es ist mit dem Mietzins, — unsere Leni  war doch so krank im letzten Herbst. Und da sind wir seit drei Monaten  im Rückstand geblieben mit der Miete. Ich hab' den Hausherrn gebeten  und gebeten, er soll noch etwas Geduld haben, — und heute — heute früh  — haben wir die Exmission gekriegt. 
    SCHENK: Die Exmission? — Das gibt es jetzt gar nicht. 
    FRAU LASSMANN: Ach, das gibt es alles noch. Sie wissen immer, wo heraus  aus den neuen Bestimmungen, die Reichen. Und jetzt sollen wir bis heut'  Abend die 78 Mark bezahlen oder sonst morgen früh raus aus der Wohnung. 
    FLORA: 78 Mark! Ich müsste sehen, dass ich sie heute noch  zusammenbrächte. — Ließe sich denn der Wirt nicht auf eine Teilzahlung  ein? 
    FRAU LASSMANN: Ich hab' ihm schon angeboten — 20 Mark. Da meinte er,  übermorgen ist der 1. Februar, das wäre ja noch nicht mal genug für den  neuen Monat Er will uns ja nur raushaben — mit den vielen Kindern. Kein  Mensch mag ja mehr Kinder im Haus haben. 
    SCHENK: Das sind die veredelnden Wirkungen des Krieges. 
    FRAU LASSMANN: Und dann, wenn ich mal paar Groschen in der Hand hab', —  ja, dann denk' ich ja auch nicht gleich an den Hausherrn. Die Kinder  kriegen ja so viel zu wenig Milch, — die Großen gar keine mehr; und was  es auf die Marken gibt, davon kann man ja rein verhungern. 
    FLORA: Das stimmt. Unsere vorbildliche  Lebensmittelorganisation kann sich sehen lassen. 
    FRAU LASSMANN: Dann muss man eben sehen, hinten rum was zu erwischen  und dabei wird einem die Haut ganz heruntergezogen. Aber das ist doch  das erste, dass man die Kinder sattkriegt. Und dann brauchen sie  Kleider und Schuhe — und alles wird immer teurer — 
    SCHENK: Und immer schlechter. 
    FRAU LASSMANN: Vor 14 Tagen hatte mein Mann mal die Brille abgenommen,  weil er sich das Auge auswischen wollte, — und ich war gerade nicht da.  Und als er sie dann auf dem Tisch wieder gesucht hat, da hat er sie  heruntergestoßen — und beide Gläser kaputt. Jetzt die teuren, schwarzen  Gläser — 
    SCHENK: Aber die muss doch der Staat zahlen! 
    FRAU LASSMANN: Nein, sie haben sich geweigert, weil es aus  Unvorsichtigkeit geschehen ist. Als wenn er was dafür könnte, dass er  blind ist. 
    FLORA: Jedenfalls müssen wir jetzt zunächst nachdenken,  was man jetzt gegen die Exmission machen kann. 
    SCHENK: Was sagt denn Ihr Mann dazu? 
    FRAU LASSMANN: Ach, mit Ernst ist ja gar nicht mehr zu reden. Der sagt,  ich soll mich gar nicht sorgen. Heute gibt's Revolution — und dann  sollte der Hausherr schon sehen, wer herausfliegt, wir oder er selbst.  Der ist ja wie närrisch. 
    FLORA: Ich glaube, am besten ist es, ich gehe gleich mal  mit Ihnen und nehme mir zunächst den sauberen Hauswirt vor. 
    FRAU LASSMANN: Ach, wenn Sie das tun wollten! 
    SCHENK: Meinen Sie denn, dass es nützen könnte? 
    FRAU LASSMANN: Doch. Mit uns Proletariern glauben sie ja, können sie  alles machen. Wenn aber einmal ein anderer mit ihnen spricht, dann  wollen sie nicht wie Unmenschen aussehen. — Das ist immer so. 
    FLORA: Also gut, — gib mir mein Jackett, Raffael, bitte. 
    SCHENK: Aufschieben kannst du den Weg nicht? 
    FLORA: (streng): Ich bitte dich. — Solche Dinge  schiebt man nicht auf. 
    SCHENK: Du hast recht - Verzeih! 
    FLORA: Ich geh von dort aus gleich zu Frau Klagenfurter.  Gegen Mittag bin ich wieder hier. — Also auf Wiedersehen, Raffael. 
    FRAU LASSMANN: Ich bin so froh, dass ich Sie getroffen  hab', Flora. 
  (FLORA:  und Frau Laßmann ab. Schenk begleitet sie hinaus. Man hört draußen noch  ihre Stimmen, dann die Korridortüre zufallen. Schenk tritt wieder ein.  Er nimmt die Rosen in die Hand und berührt sie mit dem Mund. Öffnet das  Fenster, holt einen Stuhl heran und beugt sich weit vor, um auf die  Straße hinabzusehen. Schließt das Fenster wieder, stellt den Stuhl  zurück. Macht sich am Ofen zu schaffen. Es klopft.)  
    SCHENK (springt  auf, zur Tür): Mutter, bist du's? Kannst schon hereinkommen. Flora ist eben  fort. (Er öffnet und prallt zusammen mit Seebald.) Sie — ja, das  überrascht mich. — Dass Sie zu mir kommen!  
    SEEBALD (gibt im die Hand). Guten  Morgen, Raffael. Ja — ich möchte Ihnen den Besuch bei mir doch nicht zumuten.  Sie werden dann genug zu tun haben.  
    SCHENK: Ich wäre auch nicht gekommen.  
    SEEBALD: Das habe ich mir gedacht — Sie sind doch ein    rechter Trotzkopf.  
    SCHENK: Bis Mittag mussten wir alle Anordnungen doch ohne Rücksicht auf  Sie treffen. — Und wenn Sie sich für uns entscheiden wollten, hätten  Sie den Weg zu Wachsmann ja auch allein gefunden.  
    SEEBALD: Sie sind bitter, lieber Freund. — Aber schön warm    haben Sie's hier drinnen. Darf ich ablegen?  
    SCHENK: Oh,  entschuldigen Sie! (Will ihm helfen.)  
    SEEBALD: Danke, lassen Sie nur! (Er  legt ab und hängt Hut und Mantel auf.)  
    SCHENK: Nehmen Sie doch bitte  Platz. (Setzen sich an den Tisch.) 
    SEEBALD: Was mich herführt, ist — Raffael! Wir müssen uns einmal  aussprechen. Der Schatten von gestern Abend darf nicht zwischen uns  liegen. 
    SCHENK: Ich kann Ihnen leider nichts anbieten. — Doch!  Mögen Sie ein Glas Milch? 
    SEEBALD: Milch? — Wenn ich sie Ihnen nicht wegtrinke. 
    SCHENK: Nein, nein — bitte einen Moment. (Ab in die  Küche.) 
    SEEBALD (allein, sieht sich im Zimmer um. Riecht an den  Rosen. Schenk kommt mit einem Glas Milch): Vielen Dank! — Rosen im Januar! 
    SCHENK: Sie sind von FLORA: Severin. — Wollen Sie eines  nehmen? 
    SEEBALD: Nein, die nehm ich Ihnen nicht weg. Die sind für    Ihre Gesundheit! (Trinkt.) Ah — das ist ein  seltener Genuss    jetzt, gute Milch.  
    SCHENK: Nun haben Sie sich doch noch  entschlossen. — Das    freut mich wirklich.  
    SEEBALD: Hören Sie mich an, Raffael.  — Ich bin hergekommen,    um Sie zu warnen.  
    SCHENK: Warnen — wovor? 
    SEEBALD: Ich habe diese Nacht wenig geschlafen. Unser  kurzes    Gespräch gestern Abend hat mich tief beunruhigt.  
    SCHENK:  Mich auch. 
    SEEBALD: Drum eben müssen wir uns verständigen. — Sie    waren von mir enttäuscht. (Schenk schweigt.)--Ich  begreife Sie gut. Sie sagen sich, dieser Mann hat sich zur  Lebensaufgabe die Bekämpfung des Krieges gestellt. Er hat sich durch  diesen Kampf die Liebe und das Vertrauen des Volks errungen. — 
    SCHENK: Nicht eigentlich dadurch, sondern, weil Sie nicht wie die  anderen Pazifisten einen Verständigungsfrieden zwischen den Regierenden  verlangen, — weil Sie sich ans Proletariat wenden. 
    SEEBALD: Gut! Ich habe immer gelehrt: Wer unter einem Zustand leidet,  dessen Aufgabe ist es, ihn zu ändern. Und ich habe den Soldaten gesagt:  Wenn ihr den Frieden wollt, führt keinen Krieg — und den Arbeitern:  Wenn ihr die Freiheit wollt, arbeitet nicht für die Knechtschaft! —  Jetzt stehen Sie vor einem Rätsel. In dem Augenblick, wo die Arbeiter  zum ersten Mal nach meinen Worten handeln, scheine ich mich  zurückzuziehen. Das erbittert Sie gegen mich. Ist es so, Raffael? 
    SCHENK: Ja, so ist es. 
    SEEBALD: Nun sagen Sie mir: Halten Sie mich für feige? 
    SCHENK: O nein, — das weiß ich, dass Sie für sich selbst  nicht fürchten. 
    SEEBALD: Das freut mich, dass ich mich dagegen nicht zu verteidigen  brauche. Also weiter: Sie wissen, dass bei allen Verfolgungen und  Schikanen mich die Behörde stets in Ruhe gelassen hat. Wie erklären Sie  sich das? 
    SCHENK: Sie sind zu berühmt. Ihre Werke werden in der ganzen Welt  gelesen. Wenn überall alles Deutsche geächtet ist, heißt es doch immer:  Es gibt Ausnahmen, vor allem Matthias Seebald. — Sie haben Verehrer in  allen Kreisen, selbst unter den Offizieren. 
    SEEBALD: Die rücken aber jetzt weit von mir weg. 
    SCHENK: Ja, aber immer mit Respekt. Vor ein paar Tagen las ich noch in  der Tageszeitung, die doch vor Patriotismus Purzelbäume schlägt, von  den bedauerlichen Verirrungen unseres großen Mitbürgers, dessen Namen  aber man doch mit Ehrfurcht nennen müsste. Wenn man an Sie Hand  anlegte, wäre der Skandal ungeheuer. Vom feindlichen Ausland will ich  nicht reden, daran würden sich die Generäle wohl nicht viel kehren, —  aber auch in ganz Deutschland und besonders bei den Neutralen. — Es  wäre dasselbe, als wenn sie in Belgien den Kardinal Mercier einsperrten. 
    SEEBALD: Nicht ganz dasselbe, — bei Mercier gäbe es  Konflikte mit dem Vatikan. 
    SCHENK: Aber bei Ihnen ginge der letzte Rest Achtung vor den Deutschen  verloren. Und den möchten sich unsere Politiker gerne retten. —  Vielleicht brauchen sie mal mildernde Umstände. 
    SEEBALD: Raffael, Sie sind ein ungewöhnlich kluger und  gebildeter Mensch. — Sie sind Buchdrucker, nicht wahr?  
    SCHENK: Schriftsetzer. 
    SEEBALD: Mit Ihnen kann ich anders sprechen, als sonst mit Arbeitern.  Ich will Ihnen meine Meinung sagen. Das alles wäre für die Regierung  noch kein Grund, mich gewähren zu lassen. Sie kennen das schöne Wort:  Staatsraison! — Die steht den Herren weit höher als das bisschen  moralische Ansehen. Um ihren guten Ruf in der Welt sind sie viel  weniger bange als Sie glauben. — Ich will nun nicht gerade annehmen,  dass Sie meine agitatorische Tätigkeit bloß für eine unschuldige  Gelehrten-Marotte nehmen. —  
    SCHENK: Aber, dann  wüsste ich nicht —  
    SEEBALD: Der Grund sitzt viel tiefer. Ich muss Ihnen da  vielleicht    ein wenig metaphysisch kommen. Sie verstehen, was das    heißt? 
    SCHENK: Ja, gewiss: Übersinnlich. 
    SEEBALD: Ungefähr. — Haben Sie etwas von mir gelesen? 
    SCHENK: Ich kenne Ihre „Philosophie der  Nächstenliebe". (Nimmt das Werk vom Bücherbrett.) Hier ist sie. 
    SEEBALD: Dann wissen Sie also, worauf meine ganze Weltanschauung sich  gründet: Ablehnung der Gewalt, in jeder Form und unter allen Umständen.  Wenn Tolstoi mit Christus sagt: Widerstrebe nicht der Gewalt, so lehre  ich: Nimm niemals teil an der Gewalt und lasse die Gewalt nie an dich  herankommen. — Das heißt: Begehe keine Handlung, die die Gewalt  herausfordert! — Wenn mich nun bisher die Behörde nicht gefasst hat, so  entnehme ich daraus, dass ich meiner eigenen Lehre treu geblieben bin  und die Forderung der Gewaltlosigkeit nicht selbst zum Anlass der  Gewaltentfesselung gemacht habe. 
    SCHENK: Angenommen aber, heute oder morgen besänne sich die Behörde  anders und verhaftete Sie, — wäre dann nicht Ihre ganze Theorie  widerlegt? 
    SEEBALD: Nein, es wäre ein Beweis, dass ich falsch gehandelt hätte. Ich  glaube, dass der Wille zum Guten, wo er die Seele eines Menschen ganz  erfüllt, sich selbst die Abwehrmittel schafft, um das Böse fernzuhalten. 
    SCHENK: Dann wäre ja jeder schuldig, dem Unrecht  geschieht? 
    SEEBALD: Das ist auch so, wenn Sie das Wort Schuld richtig verstehen.  Im Drama z. B. spricht man von einer tragischen Schuld; das ist die im  besten Glauben begangene fehlhafte Handlung, die das Verderben des  Menschen bewirkt. — Dass Sie, Raffael, mit Ihrer großen Liebe zur  Menschheit und zum Frieden nicht mit den andern in die Kaserne und ins  Feld müssen, das führe ich zurück auf die Abwehrmittel, die sich Ihr  Wille zum Guten unbewusst geschaffen hat. 
    SCHENK: (lachend): Dann soll ich für mein lahmes  Bein und meine kranke Lunge wohl noch dankbar sein? 
    SEEBALD: Ich glaube zuversichtlich, dass Ihre Lunge noch heilen wird,  wenn mit Ihrer Mithilfe lebenswürdige Verhältnisse unter den Menschen  entstanden sein werden.— Und Ihr Bein? (Lächelt.) Denken Sie  einmal nach: Macht es Ihnen den Genuss des höchstausdenkbaren irdischen Glückes  unmöglich? (Er neigt sich zu den Rosen.) 
    SCHENK: Nein, — das ist wohl wahr. 
    SEEBALD: Sehen Sie also, und nun verstehen Sie auch das Dilemma, in das  mich Ihr Verlangen versetzte, ich solle heute an der Demonstration  teilnehmen. Diese Demonstration ist — das fürchte ich sehr — an und für  sich eine Herausforderung der Gewalt. 
    SCHENK: Sie können ja in Ihrem Sinne zu den Arbeitern  reden.  
    SEEBALD: Das würde nichts ändern. Es bleibt ein Spiel mit dem Feuer. 
    SCHENK: Aber Sie wissen auch, was geschehen wird, wenn Sie fernbleiben?  — Dann werden die Gewerkschafts- und Parteiführer zur Stelle sein, die  Herren Weber oder Tamm oder Strauß, — und werden die Massen auf ihre  Art besänftigen und zurückschicken in ihre Werkstatt, und der Krieg  wird weitergehen wie bisher, und die Kriegsschuldigen mit all ihrer  „tragischen Schuld" werden weiter ihre Geschäfte machen mit dem Unglück  des Volkes. 
    SEEBALD: Das alles habe ich mir selbst auch schon gesagt. Und deshalb  bin ich hier, um Sie zu bitten — zu beschwören: Verhindern Sie den  ganzen Umzug. Die Arbeiter sollen streiken, aber nicht die Gewalt  herausfordern. Raffael, mein Freund, mein liebster Schüler, — hören Sie  auf mich! 
    SCHENK: Das kann ich nicht. — Das ist ganz unmöglich. (Hüstelt.) 
    SEEBALD: Das ist gar nicht unmöglich. — Das Gute geht  immer. 
    SCHENK: Das Ganze ist bis ins Kleinste organisiert. Um  zwei Uhr sammeln sich die Arbeiter vor ihren Betrieben. 
    SEEBALD: Dann sind noch über vier Stunden Zeit. Gehen Sie jetzt sofort  zu Ihren nächsten Genossen. Machen Sie Anschläge an den Fabriktoren,  dass die Demonstration nicht stattfindet, um Blutvergießen zu  vermeiden. Fordern Sie die Arbeiter auf, weiter zu streiken. — 
    SCHENK (springt auf): Nein!  — Das tue ich nicht! — Ich bin selber Proletarier, —das vergessen Sie.  Ich weiß, was die Arbeiter denken und wollen und fühlen. — Was meinen  Sie wohl, was folgen würde? Morgen früh hieße es einfach, alle  Reklamationen sind aufgehoben. Wer nicht arbeitet, wird sofort  eingezogen. — Streikbrecher gibt es ohnehin genug. 
    SEEBALD: Und das wollen Sie mit der Demonstration  verhindern? 
    SCHENK: Vielleicht kann ich es. — Die Regierung soll sehen    dass das Proletariat eine Macht ist.  
    SEEBALD: Ja — wollen  Sie denn die Gewalt?  
    SCHENK: Wenn es sein muss — ja! 
    SEEBALD: Raffael! Raffael! Sie sind auf einem schlimmen  Weg! Sie wissen, auf welcher Seite alle Waffen sind. 
    SCHENK: Ich weiß aber auch, wo Waffen zu finden sind. 
    SEEBALD: Besinnen Sie sich, Mensch I Wollen Sie das Blut von Hunderten  friedlichen Arbeitern, von Frauen und Kindern auf Ihr Gewissen nehmen? 
    SCHENK: Auch das kann ich tragen. (Seebald ist  aufgestanden und steht mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen das  Fenster.) Wird  durch unseren Aufstand der Krieg auch nur um einen Tag abgekürzt, dann  rettet er zehnmal soviel Menschen das Leben, wie im schlimmsten Falle  dabei geopfert werden. 
    SEEBALD: Welche verwegene Rechnung! — Wollen Sie Schicksal  spielen? Ist das die Frucht meiner Arbeit?! 
    SCHENK: Allerdings. Mit schönen Worten allein ist uns Arbeitern nicht  gedient. Wer uns sagt: Weigert euch, für das Unrecht zu arbeiten, — der  muss wissen, dass er damit zum Kampf auffordert. — Das ist  Herausforderung der Gewalt. — Habe ich aber einmal die Gewalt  herausgefordert, dann setze ich ihr auch die Gewalt entgegen. 
    SEEBALD: Dann wäre ich der Urheber von Gewaltsamkeiten? —  Raffael Schenk, das kann nicht Ihre wahre Meinung sein. 
    SCHENK: Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf deswegen. Wir Arbeiter  haben Ihnen viel zu danken. Sie haben uns den Weg gezeigt, den wir  gehen müssen. Jetzt, wo er betreten ist, müssen wir ihn ganz gehen,  auch wenn Sie uns nicht begleiten. 
    SEEBALD: Aber das ist furchtbar, was Sie sagen. — Hätte  ich    denn in einem Wahn gelebt?  
    SCHENK: Möglich. — Glauben Sie  immer noch, dass Sie durch    Ihren geistigen Schutzpanzer gegen die Staatsgewalt  gesichert    sind? 
    SEEBALD: Spotten Sie nicht, der Panzer hat mich gedeckt, solange mich  mein Gewissen freisprach von Gewalt. Jetzt fühle ich ihn von mir  abfallen.  
    SCHENK: Ach, Ihnen wird auch weiterhin nichts geschehen, wenn Sie heute  schön daheim bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen, Professor Seebald.  Die Schuld an dem, was passiert, werden nicht Sie haben, sondern die  Arbeiter, die fallen oder ins Gefängnis wandern. Und die Schuld am  Kriege haben nicht die Kapitalisten, sondern die Proletarier, die in  Drecklöchern verfaulen; die Laßmanns, denen man die Augen  herausgeschossen hat. Aber die wahren Tugendhaften, das sind die  Schwindsüchtigen wie ich, oder die Idioten in den Narrenhäusern, — die  haben ja ihren Schutzmantel, — so war doch Ihre Theorie!  
    SEEBALD: Sie lästern, Schenk. — Sie wissen genau, dass Sie jetzt  entstellen, solange Sie in dieser Verfassung sind, kann ich nicht mit  Ihnen reden.  
    SCHENK: Es wäre auch überflüssig. Die Demonstration findet statt. Mit  Ihnen oder ohne Sie. Und ich werde die Arbeiter nicht nach Hause  schicken, sondern sie zum Kampf aufrufen. Sie mögen tun, was Ihnen  beliebt.  
    SEEBALD: Raffael! Ich bin Ihnen wegen der Sprache, die Sie gegen mich  führen, nicht böse, Sie sind erregt. Aber wenn Sie nachher allein sind,  denken Sie nach, ob nicht Ihr eigenes schlechtes Gewissen Sie ungerecht  macht gegen andere. 
    SEEBALD: Dann sind noch über vier Stunden Zeit. Gehen Sie jetzt sofort  zu Ihren nächsten Genossen. Machen Sie Anschläge an den Fabriktoren,  dass die Demonstration nicht stattfindet, um Blutvergießen zu vermeiden.  Fordern Sie die Arbeiter auf, weiter zu streiken. — 
    SCHENK (springt auf):  Nein! — Das tue ich nicht 1 — Ich bin selber Proletarier, —das  vergessen Sie. Ich weiß, was die Arbeiter denken und wollen und fühlen.  — Was meinen Sie wohl, was folgen würde? Morgen früh hieße es einfach,  alle Reklamationen sind aufgehoben. Wer nicht arbeitet, wird sofort  eingezogen. — Streikbrecher gibt es ohnehin genug. 
    SEEBALD: Und das wollen Sie mit der Demonstration  verhindern? 
    SCHENK: Vielleicht kann ich es. — Die Regierung soll sehen    dass das Proletariat eine Macht ist.  
    SEEBALD: Ja — wollen  Sie denn die Gewalt?  
    SCHENK: Wenn es sein muss — ja! 
    SEEBALD: Raffael! Raffael! Sie sind auf einem schlimmen  Weg! Sie wissen, auf welcher Seite alle Waffen sind. 
    SCHENK: Ich weiß aber auch, wo Waffen zu finden sind. 
    SEEBALD: Besinnen Sie sich, Mensch! Wollen Sie das Blut von Hunderten  friedlichen Arbeitern, von Frauen und Kindern auf Ihr Gewissen nehmen? 
    SCHENK: Auch das kann ich tragen. (Seebald ist  aufgestanden und steht mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen das  Fenster.) Wird  durch unseren Aufstand der Krieg auch nur um einen Tag abgekürzt, dann  rettet er zehnmal soviel Menschen das Leben, wie im schlimmsten Falle  dabei geopfert werden. 
    SEEBALD: Welche verwegene Rechnung! — Wollen Sie Schicksal  spielen? Ist das die Frucht meiner Arbeit?! 
    SCHENK: Allerdings. Mit schönen Worten allein ist uns Arbeitern nicht  gedient. Wer uns sagt: Weigert euch, für das Unrecht zu arbeiten, — der  muss wissen, dass er damit zum Kampf auffordert. — Das ist  Herausforderung der Gewalt. — Habe ich aber einmal die Gewalt  herausgefordert, dann setze ich ihr auch die Gewalt entgegen. 
    SEEBALD: Dann wäre ich der Urheber von Gewaltsamkeiten? —  Raffael Schenk, das kann nicht Ihre wahre Meinung sein. 
    SCHENK: Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf deswegen. Wir Arbeiter  haben Ihnen viel zu danken. Sie haben uns den Weg gezeigt, den wir  gehen müssen. Jetzt, wo er betreten ist, müssen wir ihn ganz gehen,  auch wenn Sie uns nicht begleiten. 
    SEEBALD: Aber das ist furchtbar, was Sie sagen. — Hätte  ich    denn in einem Wahn gelebt?  
    SCHENK: Möglich. — Glauben Sie  immer noch, dass Sie durch    Ihren geistigen Schutzpanzer gegen die Staatsgewalt  gesichert    sind? 
    SEEBALD: Spotten Sie nicht, der Panzer hat mich gedeckt, solange mich  mein Gewissen freisprach von Gewalt. Jetzt fühle ich ihn von mir  abfallen. 
    SCHENK: Ach, Ihnen wird auch weiterhin nichts geschehen, wenn Sie heute  schön daheim bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen, Professor Seebald.  Die Schuld an dem, was passiert, werden nicht Sie haben, sondern die  Arbeiter, die fallen oder ins Gefängnis wandern. Und die Schuld am  Kriege haben nicht die Kapitalisten, sondern die Proletarier, die in  Drecklöchern verfaulen; die Laßmanns, denen man die Augen  herausgeschossen hat. Aber die wahren Tugendhaften, das sind die  Schwindsüchtigen wie ich, oder die Idioten in den Narrenhäusern, — die  haben ja ihren Schutzmantel, — so war doch Ihre Theorie! 
    SEEBALD: Sie lästern, Schenk. — Sie wissen genau, dass Sie jetzt  entstellen, solange Sie in dieser Verfassung sind, kann ich nicht mit  Ihnen reden. 
    SCHENK: Es wäre auch überflüssig. Die Demonstration findet statt. Mit  Ihnen oder ohne Sie. Und ich werde die Arbeiter nicht nach Hause  schicken, sondern sie zum Kampf aufrufen. Sie mögen tun, was Ihnen  beliebt.  
    SEEBALD: Raffael! Ich bin Ihnen wegen der Sprache, die Sie gegen mich  führen, nicht böse, Sie sind erregt. Aber wenn Sie nachher allein sind,  denken Sie nach, ob nicht Ihr eigenes schlechtes Gewissen Sie ungerecht  macht gegen andere. 
    SEEBALD: Dann sind noch über vier Stunden Zeit. Gehen Sie jetzt sofort  zu Ihren nächsten Genossen. Machen Sie Anschläge an den Fabriktoren,  dass die Demonstration nicht stattfindet, um Blutvergießen zu  vermeiden. Fordern Sie die Arbeiter auf, weiter zu streiken. — 
    SCHENK (springt auf}: Nein!  — Das tue ich nicht! — Ich bin selber Proletarier, —das vergessen Sie.  Ich weiß, was die Arbeiter denken und wollen und fühlen. — Was meinen  Sie wohl, was folgen würde? Morgen früh hieße es einfach, alle  Reklamationen sind aufgehoben. Wer nicht arbeitet, wird sofort  eingezogen. — Streikbrecher gibt es ohnehin genug. 
    SEEBALD: Und das wollen Sie mit der Demonstration  verhindern? 
    SCHENK: Vielleicht kann ich es. — Die Regierung soll sehen 
    dass das Proletariat eine Macht ist.  
    SEEBALD: Ja — wollen  Sie denn die Gewalt?  
    SCHENK: Wenn es sein muss — ja! 
    SEEBALD: Raffael! Raffael! Sie sind auf einem schlimmen  Weg! Sie wissen, auf welcher Seite alle Waffen sind. 
    SCHENK: Ich weiß aber auch, wo Waffen zu finden sind. 
    SEEBALD: Besinnen Sie sich, Mensch! Wollen Sie das Blut von Hunderten  friedlichen Arbeitern, von Frauen und Kindern auf Ihr Gewissen nehmen? 
    SCHENK: Auch das kann ich tragen. (Seebald ist  aufgestanden und steht mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen das  Fenster.) Wird  durch unseren Aufstand der Krieg auch nur um einen Tag abgekürzt, dann  rettet er zehnmal soviel Menschen das Leben, wie im schlimmsten Falle  dabei geopfert werden. 
    SEEBALD: Welche verwegene Rechnung! — Wollen Sie Schicksal  spielen? Ist das die Frucht meiner Arbeit?! 
    SCHENK: Allerdings. Mit schönen Worten allein ist uns Arbeitern nicht  gedient. Wer uns sagt: Weigert euch, für das Unrecht zu arbeiten, — der  muss wissen, dass er damit zum Kampf auffordert. — Das ist  Herausforderung der Gewalt. — Habe ich aber einmal die Gewalt  herausgefordert, dann setze ich ihr auch die Gewalt entgegen. 
    SEEBALD: Dann wäre ich der Urheber von Gewaltsamkeiten? —  Raffael Schenk, das kann nicht Ihre wahre Meinung sein. 
    SCHENK: Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf deswegen. Wir Arbeiter  haben Ihnen viel zu danken. Sie haben uns den Weg gezeigt, den wir  gehen müssen. Jetzt, wo er betreten ist, müssen wir ihn ganz gehen,  auch wenn Sie uns nicht begleiten. 
    SEEBALD: Aber das ist furchtbar, was Sie sagen. — Hätte  ich    denn in einem Wahn gelebt?  
    SCHENK: Möglich. — Glauben Sie  immer noch, dass Sie durch    Ihren geistigen Schutzpanzer gegen die Staatsgewalt  gesichert    sind? 
    SEEBALD: Spotten Sie nicht, der Panzer hat mich gedeckt, solange mich  mein Gewissen freisprach von Gewalt. Jetzt fühle ich ihn von mir  abfallen. 
    SCHENK: Ach, Ihnen wird auch weiterhin nichts geschehen, wenn Sie heute  schön daheim bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen, Professor Seebald.  Die Schuld an dem, was passiert, werden nicht Sie haben, sondern die  Arbeiter, die fallen oder ins Gefängnis wandern. Und die Schuld am  Kriege haben nicht die Kapitalisten, sondern die Proletarier, die in  Drecklöchern verfaulen; die Laßmanns, denen man die Augen  herausgeschossen hat. Aber die wahren Tugendhaften, das sind die  Schwindsüchtigen wie ich, oder die Idioten in den Narrenhäusern, — die  haben ja ihren Schutzmantel, — so war doch Ihre Theorie! 
    SEEBALD: Sie lästern, Schenk. — Sie wissen genau, dass Sie jetzt  entstellen, solange Sie in dieser Verfassung sind, kann ich nicht mit  Ihnen reden. 
    SCHENK: Es wäre auch überflüssig. Die Demonstration findet statt. Mit  Ihnen oder ohne Sie. Und ich werde die Arbeiter nicht nach Hause  schicken, sondern sie zum Kampf aufrufen. Sie mögen tun, was Ihnen  beliebt. 
    SEEBALD: Raffael! Ich bin Ihnen wegen der Sprache, die Sie gegen mich  führen, nicht böse, Sie sind erregt. Aber wenn Sie nachher allein sind,  denken Sie nach, ob nicht Ihr eigenes schlechtes Gewissen Sie ungerecht  macht gegen andere. 
    SCHENK: Mein Gewissen ist rein.  
    SEEBALD: Das glauben Sie  jetzt — Ich bitte Sie nur noch um    Eines. Gehen Sie noch einmal mit sich zu Rate und tun Sie    nichts, was Sie später bereuen könnten. (Er will zur  Tür.Währenddessen tritt Frau Schenk ein.)  
    FRAU SCHENK:  So, Ralf, da bin ich wieder. - Oh, der Herr    Professor! Grüß Sie Gott, Herr Professor! (Gibt ihm die Hand.) Haben Sie selbst hergeschaut nach meinem  jungen?  
    SEEBALD: Guten Tag, liebe Frau Schenk. — Ja, — wir hatten    eine kleine Auseinandersetzung.  
    FRAU SCHENK: Müssen Sie  denn schon wieder gehen, Herr    Professor? 
    SEEBALD: Ja. — Meinen Zweck werde ich hier doch nicht  erreichen können. 
    SCHENK (hat  wortlos im Hintergrund des Zimmers zugehört, nimmt das leere Milchglas  vom Tisch und trägt es in die Küche, deren Tür er hinter sich schließt). 
    FRAU SCHENK: Was ist denn mit Ralf? — Er geht einfach aus  dem Zimmer. 
    SEEBALD: Haben Sie ein Auge auf ihn, Frau Schenk! Es ist    nicht gut, was er vorhat.  
    FRAU SCHENK: Der Streik und der  Umzug heute? — Nein,    da kann ich ihm nicht hineinreden. Das muss er selbst    wissen. 
    SEEBALD: Haben Sie gar keinen Einfluss auf ihn? 
    FRAU SCHENK: Ja — das weiß ich nicht. Er sagt mir alles.    Wir sind wie gute Freunde.  
    SEEBALD: Eben. Das habe ich  schon gemerkt. — Können Sie    ihn da nicht abhalten von offenbaren Unbesonnenheiten?  
    FRAU SCHENK: Unbesonnen? — Nein, das ist mein Ralf nicht,    — das glaub ich nicht. Und in seine Politik misch ich mich    nicht Da hör ich ihm bloß zu. Das wäre ja auch gerade, als    wenn er sich um meine Küche kümmern wollte.  
    SEEBALD:  Halten Sie es nicht für möglich, dass er vielleicht    gerade im Augenblick unter einem gefährlichen, seelischen    Eindruck steht? 
    FRAU SCHENK: Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr  Professor. 
    SEEBALD: Nun — gerade heraus: Er hält doch jetzt enge Freundschaft mit  Fräulein Severin! Meinen Sie nicht, dass da ungünstige Einwirkungen  stattfinden könnten? 
    FRAU SCHENK: Herr Professor, ich bin seine Mutter — und ich will sein  Glück. Und heute früh habe ich ihn zum ersten Male glücklich gesehen.  Da wüsste ich nicht, was ich da ungünstig finden sollte. 
    SEEBALD: Ich meine, ob sie ihn nicht vielleicht auf Wege  drängt,    die er aus eigenem Antrieb nicht betreten würde.  
    FRAU   SCHENK: Das kann er nur selbst wissen. — Ich kann    das nicht sagen.  
    SEEBALD: Aber Sie haben doch Vertrauen zu  mir? Sie sind    doch überzeugt, dass ich in Wirklichkeit Raffaels Freund    bin? 
    FRAU SCHENK: Er wäre ja für Sie auch durchs Feuer gegangen. — Aber was  ihm taugt, Herr Professor, das können Sie so wenig sehen wie ich. Dazu  ist er selbst alt genug. 
    SEEBALD: Nun, ich sehe schon, dass ich in Ihnen keine  Bundesgenossin finde. 
    FRAU SCHENK: Nein, Herr Professor. — Nehmen Sie's nicht  übel auf. 
    SEEBALD: Bewahre. Ihre Liebe zu Raffael ist herrlich schön, und die  will ich gewiss lassen, wie sie ist. Auf Wiedersehen, liebe Frau Schenk. 
    FRAU SCHENK: Grüß Gott, Herr Professor! (Händedruck.  Sie lässt ihn hinaus, schüttelt verwundert den Kopf, macht die Küchentür auf.) Ralf,  ja — hast du dich denn versteckt? 
    SCHENK (tritt ein): Ist er fort? 
    FRAU SCHENK: Nicht einmal Adieu hast du ihm gesagt.  
    SCHENK: Ich mochte nicht. — Er hat dir wohl gesagt, du sollst    mich zur Vernunft bringen?  
    FRAU SCHENK: Wieso? - Hast du  gelauscht?  
    SCHENK: Das war nicht nötig. Ich kann's mir so denken.  
    FRAU SCHENK:  Ja, Ralf, ich hab* gar nicht recht gewusst, was er    wollte. Und ich hab' ihm auch gesagt, dass ich in deine  Sachen 
    nicht dreinrede.  
    SCHENK: Recht so, Mütterchen. 
    FRAU SCHENK: Er war so merkwürdig heute, Ralf. — Gar nicht  so frei wie sonst. 
    SCHENK (läuft erregt umher, hüstelt): Ja, Mutter —  man täuscht sich manchmal. 
    FRAU SCHENK: Du hustest wieder, Junge. Du hast dich wohl    aufgeregt bei eurem Gespräch?  
    SCHENK: Ziemlich. — Aber ich  möchte von dir hören. Was hat    er noch gesagt?  
    FRAU SCHENK: Gar nichts Bestimmtes. — Aber  zuletzt meinte er, ob Flora nicht auf dich einen ungünstigen Einfluss hätte.  
    SCHENK (bleibt stehen, schlägt auf den Tisch): Hab' ich's mir doch  gedacht! (Läuft wieder umher, hustet stärker.) Hab ich's mir doch  gedacht!  
    FRAU SCHENK (läuft ihm nach): Um Gottes willen, reg' dich doch  nicht so auf, Kind! Wie du wieder hustest! (Klopft ihm auf den Rücken.)  
    SCHENK:  Nun ja--Flora damit hineinziehen. (Starker Hustenanfall.) Mich--von--Flora:  — trennen--wollen. (Er bricht unter Keuchen und Atemnot auf einem Stuhl zusammen.)  
    FRAU SCHENK: Um Gottes willen! - Wart', Ralf — ich komme    — ich bring' deine Milch. Die hilft dir gleich. (In  die Küche.)  
    SCHENK (winkt ihr ab. Der Husten legt sich allmählich. Er atmet noch schwer).  
    FRAU SCHENK (aus der Küche  zurück): Die Milch ist ja weg!    — Hat Flora das Ganze getrunken? 
    SCHENK (noch angestrengt): Nein — nein, nur einen  kleinen    Tröpfen. Das Übrige hab' ich Seebald gegeben.  
    FRAU SCHENK: Aber Ralf! Du weißt doch, was der Doktor gesagt hat. Dass  du auch ja jeden Tag deinen viertel Liter Milch trinken sollst.  
    SCHENK: Schon gut, Mutter. — Schon  gut. (Es klopft. Frau Schenk zur Tür, öffnet vorsichtig.)  
  TESSENDORFF (tritt  ein: Pelz, runder Hut): Bin ich hier recht    bei Herrn Raffael Schenk?  
    SCHENK (ihm entgegen, will  sprechen. Ein Hustenanfall, den er krampfhaft bekämpft, hindert ihn).  
  FRAU SCHENK:  Jawohl. — Das ist mein Sohn. 
    SCHENK (mit Anstrengung): Der bin ich. — Was  wünschen Sie! 
    TESSENDORFF: Mein Name ist Tessendorff, — Polizeirat. 
    FRAU SCHENK: Können Sie nicht ein andermal —? Mein Sohn  ist gerade so schlecht mit seiner Lunge. 
    TESSENDORFF: Ich höre zu meinem Bedauern. Aber es ist gar  nichts von Bedeutung, — ich  meine, mein Auftrag. — 
    SCHENK (hat den Anfall überwunden): Mutter, geh  solange hinaus, bitte. 
    FRAU SCHENK (ängstlich): Ja, wenn du meinst — gewiss. (Rückwärts (ab in die Küche.)  
    SCHENK: Was führt Sie zu mir, bitte? 
    TESSENDORFF: Erlauben Sie, dass ich mich setze? (Nimmt  einen Stuhl.) 
    SCHENK (bleibt stehen): Bitte, Sie scheinen es  nicht eilig zu haben. 
    TESSENDORFF: Offen gestanden — ich bin etwas müde gelaufen und bin hier  heraufgekommen, nur um meine Pflicht zu tun, aber ohne große Hoffnung,  den zu finden, den ich suche. 
    SCHENK: Sie suchen also jemanden bei mir? 
    TESSENDORFF: Allerdings. Ich habe den Auftrag, einen  Stellungspflichtigen Eisendreher —, Stefan Klagenfurter, der heute in  der Infanteriekaserne hätte einrücken sollen, aber offenbar flüchtig  gegangen ist, zu verhaften und einzuliefern. 
    SCHENK: Ich weiß nicht, was dieser Auftrag mit Ihrem  Besuch bei mir zu tun haben kann. 
    TESSENDORFF: Nach bestimmten Auskünften, die die Polizei erhalten hat,  sollen Sie ein Freund des betreffenden Fahnenflüchtigen sein. 
    SCHENK: Über meine Freundschaften brauche ich ja wohl  keine Rechenschaft zu geben. Jedenfalls halte ich niemand verborgen. 
    TESSENDORFF: Nun ja — das habe ich mir gedacht. 
    SCHENK: Wenn Sie sich überzeugen wollen. Dies ist der einzig größere  Raum der Wohnung. Nebenan ist die Küche und die Kammer, wo meine Mutter  schläft. Das ist alles. Meine Mutter kann Sie auch noch in den Keller  führen, wenn Sie mögen. 
    TESSENDORFF: Aber ich bitte Sie, Herr Schenk. Ihre  Versicherung, dass sich der Herr Klagenfurter nicht bei Ihnen 
    aufhält, genügt mir vollständig. Hätte ich die Absicht gehabt, die  Wohnung zu durchsuchen, dann wäre ich ja selbst gar nicht  heraufgekommen, sondern hätte die beiden Soldaten geschickt, die die  Verhaftung vorzunehmen haben. 
    SCHENK: Dann wäre unser Geschäft wohl erledigt? 
    TESSENDORFF: Ich muss natürlich noch die Frage an Sie richten: Wissen  Sie, wo sich der flüchtig gegangene Dreher Stefan Klagenfurter aufhält? 
    SCHENK: Wenn ich es wüsste, würde ich es jedenfalls Ihnen  nicht erzählen. 
    TESSENDORFF: Ganz richtig — selbstverständlich. — Ich  musste mit der Frage ja auch nur meiner formellen Pflicht genügen. (Bleibt  sitzen, fixiert Schenk.) SCHENK (trommelt nervös auf der Stuhllehne, auf  die er aufgestützt steht. Hüstelt).  
    TESSENDORFF: Sie haben es auf der  Brust, Herr Schenk?  
    SCHENK (schroff): Interessiert Sie mein  Gesundheitszustand?  
    TESSENDORFF: Aber ich bitte. — Man ist doch nebenbei auch  noch Mensch. 
    SCHENK: Sehr liebenswürdig. Der Arzt hat mir verordnet,  nach Möglichkeit unerwünschte Unterhaltungen zu vermeiden. 
    TESSENDORFF: Gestatten Sie mir trotzdem noch ein paar Minuten. Sehen  Sie, ich bin persönlich hier zu Ihnen gekommen, obwohl solche  Verhaftung in der Regel natürlich die Angelegenheit subalterner Organe  ist. 
    SCHENK: Wenn Sie mich etwa verhaften wollen, sagen Sie es  bitte gleich. 
    TESSENDORFF: Wo denken Sie hin? — Davon ist gar keine  Rede. 
    SCHENK: Dann sehe ich wirklich nicht ein, was Sie noch von  mir wünschen. (Hüstelt heftig.) 
    TESSENDORFF: Herr Schenk, Sie sollten doch mal ein paar Wochen  ausspannen und in einem Sanatorium die Lunge auskurieren lassen. 
    SCHENK: Ich möchte Sie jetzt im Ernst bitten, mir zu sagen, was Sie  noch von mir wollen und weiter kein Mitleid an mich zu verschwenden. 
    TESSENDORFF: Sie behandeln mich wie einen Feind, Herr Schenk. Das bin  ich gar nicht. Ich möchte mich mit Ihnen ganz zwanglos unterhalten. 
    SCHENK: Aber worüber denn in aller Welt? 
    TESSENDORFF: Über einen Gegenstand, der uns beide im  Augenblick ganz gleichmäßig interessiert. 
    SCHENK: Das wäre? 
    TESSENDORFF: Na, ich denke, es liegt nicht so ferne. — Vielleicht führt  Sie der Hinweis auf die Fährte, dass ich im Polizeipräsidium das  Referat für die öffentliche Sicherheit unter mir habe. Darunter fallen  natürlich auch alle Arten von Streikbewegungen und Tumulten. 
    SCHENK: Sie kommen also wegen des Proteststreiks der    Arbeiter? 
    TESSENDORFF: Vor allem wegen der Demonstration heute  Nachmittag. 
    SCHENK: Ja, — aber was hätten wir beide da — (plözlich  auffahrend) Herr! Wollen Sie etwa von mir Auskünfte einziehen?! — 
    TESSENDORFF: Auskünfte? — Ach nein, die brauchen wir nicht  mehr. — Ich möchte Sie nur um Ihren Rat bitten. 
    SCHENK: Die Polizei will meinen Rat haben? 
    TESSENDORFF: Ich will es Ihnen sofort erklären. Sehen Sie, Herr Schenk,  wir von der Polizei beschäftigen uns natürlich nicht bloß mit  Tatsachen, sondern vor allem auch mit Personen. Das bringt unsere ganze  Tätigkeit so mit sich. So sind wir — und das wird Sie ja gar nicht  überraschen — über die eigentlichen Leiter der gegenwärtigen Bewegung  ganz genau informiert. 
    SCHENK: Dass Sie Spitzel beschäftigen, ist mir nichts  Neues.  
    TESSENDORFF: Es hätte ja auch gar keinen Zweck, wenn ich vor Ihnen  Komödie spielte. Ich weiß also auch über Ihre Person vieles, was für  Ihre Anschauungen und Stimmungen kennzeichnend ist. Ich glaube, über  Ihre Wünsche für den heutigen Nachmittag ziemlich gut Bescheid zu  wissen. Ich glaube, Sie sähen es gar nicht so ungern, Herr Schenk, wenn  die Regierung — oder sagen wir, das Militär, etwas sehr Entschlossenes  gegen die Arbeiter unternehme. Ich kann mir Ihren Gedankengang dabei  auch recht gut vorstellen. Sie denken sich, ein blutiger Zusammenstoß  zwischen Militär und Zivil in diesem Moment könnte im Lande und an der  Front einen derartigen Kriegsüberdruss erregen, dass dem Reich gar  nichts anderes übrig bliebe, als — so oder so — Frieden zu schließen.  Vielleicht hoffen Sie auch auf das Versagen der zum Eingreifen  kommandierten Truppen im entscheidenden Moment, was dann ja die offene  Revolution gleich nach sich ziehen könnte. 
    SCHENK: Das alles haben Ihnen Ihre Zuträger über mich  mitgeteilt? 
    TESSENDORFF: Es ist natürlich auch zum guten Teil meine eigene  Kombination. Man muss doch etwas Psychologe sein in meinem Beruf — und  ich lasse Sie schon recht lange beobachten und kenne viele Äußerungen  von Ihnen. 
    SCHENK: Das ist ja sehr schmeichelhaft. — Aber was für  einen Rat soll ich Ihnen denn geben können? 
    TESSENDORFF: Herr Schenk! Unsere Wünsche für den Verlauf des  Unternehmens gehen gar nicht weit auseinander, natürlich aus ganz  entgegengesetztem Interesse. Sie wollen eine Art Kraftprobe. — Und wir,  sowohl Polizei wie Militär, sind ebenfalls bereit, es auf eine  Kraftprobe ankommen zu lassen. 
    SCHENK: Ich muss gestehen, Herr Polizeirat, dass ich dieses ganze  Gespräch außerordentlich peinlich empfinde. Wollen Sie vielleicht  endlich zur Sache kommen. 
    TESSENDORFF: Ich bin mitten drin in der Sache. Wenn es doch schon einen  Aderlass geben soll, dann, meine ich, soll er nicht gar zu blutig  ausfallen — und mindestens für Ihre Partei, also die Arbeiter, nicht  obendrein lächerlich ausgehen. 
    SCHENK: Und nun kommt sozusagen der General der einen Armee zum  feindlichen Generalstab und möchte mit dem einen Schlachtplan entwerfen. 
    TESSENDORFF: Warum nicht lieber einen anderen Vergleich? — Vor einem  ritterlichen Turnier setzen die Gegner in aller Kameradschaft die  Bedingungen fest und prüfen die Chancen. 
    SCHENK: Tun Sie doch, was Sie für gut halten! — Ich habe    mit Ihren frivolen Späßen gar nichts zu schaffen.  
    TESSENDORFF (steht auf): Wie  Sie wünschen. — Ich will Ihnen nur sagen, was geschieht, wenn wir nicht  irgendwie einig werden. Die Arbeiterzüge, die von den verschiedenen  Fabriken kommen, stellen sich auf. Man verteilt rote Fahnen, und  irgendwer will vielleicht eine Ansprache halten, angenommen Professor  Seebald. Dann rückt eine Kompagnie Soldaten an. Der Leutnant geht sehr  höflich zum Redner und sagt! Bitte sehr, Herr Professor, wollen Sie  mich mal durchlassen! Und bevor der Zug formiert ist, fordert er die  Leute auf, auseinander zu gehen. Hinter ihm stehen die Soldaten mit  angelegtem Gewehr. Glauben Sie, Ihre Arbeiter bleiben stehen? — Ich  nicht. — Aber angenommen, es laufen nicht gleich alle weg. Was kommt  dann? Ein Schreckschuss — und die Revolution ist aus. Völlig aus, Herr  Schenk, — an ihrer eigenen Lächerlichkeit verendet. Nachher kommen dann  die Prozesse. — Möchten Sie den Ausgang? — Ich auch nicht. SCHENK (ist erregt umher gelaufen, bleibt stehen): Professor    Seebald wird nicht sprechen.  
    TESSENDORFF: Das ist ja ganz  egal, wer dasteht.  
    SCHENK: Nein — das ist nicht egal. (Nach einem inneren  Kampf — mit plötzlicher Eingebung.) Herr Polizeirat, ich will Ihnen    einen Rat geben!  
    TESSENDORFF: Also doch? Wir wollen uns  doch hinsetzen. 
  (Setzen sich.) 
    SCHENK: Sie müssen Professor Seebald verhaften!  
    TESSENDORFF: Bitte, Herr Schenk - zum Narren halten lasse    ich mich nicht gern.  
    SCHENK: Ich halte Sie nicht zum  Narren.  
    TESSENDORFF: Dann erlauben Sie, dass ich gleich das Geschäftliche mit  Ihnen regle. (Zieht ein Briefkuvert aus der Tasche.) Ich habe hier  zunächst 500 Mark für Sie. Und da ist die Quittung — bitte!  
    SCHENK (ist  aufgefahren): Was! Geld wollen Sie mir geben! — Stecken Sie das sofort  wieder ein! (Er schüttelt die Fäuste.) 
    TESSENDORFF: Ich muss wissen, dass ich nicht gefoppt werde. Ich kann  doch nicht erwarten, dass Sie mir derartige Dienste um meiner schönen  Augen willen leisten. Die Polizei muss in jeder Hinsicht sicher gehen. 
    SCHENK (lacht auf): Ach so — das ist auch wieder  wahr. (Setzt sich wieder.) 
    TESSENDORFF (gibt ihm die Quittung): Wollen Sie  hier unterschreiben? — Das Vertrauen zu unserer absoluten Verschwiegenheit  haben Sie wohl. 
    SCHENK (ironisch): Durchaus. (Unterschreibt.  Steckt das Geld mit einer Gebärde des Abscheus in seine Brieftasche. Hüstelt.) 
    TESSENDORFF: Vielleicht macht es Ihnen die Kur in einem  Lungensanatorium möglich. 
    SCHENK: Um die Verwendung machen Sie sich nur kein  Kopfzerbrechen. — Ich darf Ihnen also jetzt meinen Plan auseinandersetzen. 
    TESSENDORFF: Ich bitte darum. 
    SCHENK: Welches Ansehen Seebald bei den Arbeitern genießt, brauche ich  Ihnen nicht zu sagen. In dem Augenblick, wo Hand an ihn gelegt wird,  wird das das Signal zum Losbrechen sein. Da er wohl nicht an Ort und  Stelle sein wird, ist es wahrscheinlich, dass irgend ein gemäßigter  Parteiführer beschwichtigen wird und dann fällt die ganze Aktion ins  Wasser. Lassen Sie ihn also als geistigen Urheber des Ganzen in seiner  Wohnung festnehmen, und wenn die Masse im Wachsmannschen Vorhof  versammelt ist, vorbeiführen. Dann haben Sie, was Sie wollen. Der Weg  zum Gefängnis führt ja ohnehin dort vorüber. 
    TESSENDORFF: Sie meinen bestimmt, man wird versuchen, ihn  zu befreien? 
    SCHENK: Das überlassen Sie nur mir. Wenn Sie es nicht von    selber tun, werde ich sie dazu veranlassen.  
    TESSENDORFF (ist  aufgestanden): Ich glaube, Sie haben recht.    — Da müsste ich also das Militär instruieren, vorher  nichts 
    zu unternehmen. — Wenn nun aber Seebald doch dort sein    sollte? 
    SCHENK: Dann müssten Sie ihn eben vom Platz weg verhaften. 
    TESSENDORFF: Ich werde auf jeden Fall rechtzeitig dort  sein.    Wir können uns ja an Ort und Stelle immer noch  verständigen.  
    SCHENK: Dass wird wohl schlecht gehen, dass ich dort mit    Ihnen rede. 
    TESSENDORFF: Oh, seien Sie ganz ruhig, den Pelz werde ich    dabei nicht anhaben.  
    SCHENK: Noch eines: Können Sie mir  versprechen, dass außer    Seebald von den führenden Personen niemand festgenommen    wird? 
    TESSENDORFF: Selbstverständlich. — Seebald genügt uns  vollständig. 
    SCHENK: Sonst bin ich ja noch da, wenn Sie noch einen  Rädelsführer brauchen.  
    TESSENDORFF: Wir werden sehen, Herr Schenk. Also wenn er nicht  hinkommen sollte, wird Professor Seebald Punkt 3 Uhr 15 an der  Wachsmannschen Fabrik vorübergeführt. — Das wäre wohl alles. Dann  schönen guten Morgen, Herr Schenk. (Streckt ihm die Hand hin, die Schenk ostentativ  übersieht.)  
    SCHENK: Guten Morgen (Tessendorff ab).  
    SCHENK (bleibt  eine Weile unschlüssig stehen, öffnet dann die Tür zur Küche): Mutter, bitte meinen Mantel.  
    FRAU  SCHENK (kommt mit dem Überzieher): Das war ja eine    lange Visite. — Du willst fortgehen, Ralf?  
    SCHENK: Ja, ich  war noch gar nicht draußen heute. — Mir ist    etwas eng auf der Brust.  
    FRAU SCHENK: Die Luft ist ja auch  ganz dick hier im Zimmer.  
    SCHENK: Du brauchst mit dem Mittag nicht auf mich zu  warten.    Ich esse unterwegs etwas in der Volksküche.  
    FRAU SCHENK:  Ja, geh nur. — Du gefällst mir heute gar nicht recht.  
    SCHENK: Bis ein Uhr komme  ich wieder.— Also guten Morgen, Mutter. (Küsst sie.) Luft muss ich  haben, — frische Luft! (Ab.)  
    FRAU SCHENK (öffnet das Fenster): Woher  mag es bloß hier so stickig sein? 
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