»Y tu, como te llamas?« fragte der Contratista, Don Remigio Gayosso, den jungen Tseltal-Indianer, vor dem er stand.
»Andres Ugaldo, su humilde servidor!« antwortete der Bursche höflich.
»Bueno. Y de que sabes trabajar, muchacho? Welche Art von Arbeit hast du bisher verrichtet? Machete-Arbeit? Oder gearbeitet mit der Hadia, mit der Axt?«
»No, patron, ich habe für Don Laureano in Socton mehrere Jahre als Carretero gearbeitet.« »Dann verstehst du gut mit den Ochsen zu arbeiten?« »Si, patron, muy bien.«
»Boyero!« sagte Don Remigio, sich an den Capataz, den Aufseher, wendend, der ihm wie ein Feldwebel mit einem Notizbuch in der Hand folgte.
Der Capataz pokte sein Stückchen zerkauten Bleistift in den Mund, betrachtete dann die stumpfe Spitze eine Weile und sagte endlich:
»Name, puerco sucio, du dreckiges Schwein?« »Andres Ugaldo.«
»Su humilde servidor, jefe! fügst du hinzu, wenn ich dich nach deinem stinkigen Namen frage, du im Mist geborener Wurm. Verstehst du? Noch mal. Name?«
»Andres Ugaldo ist mein Name«, sagte der junge Indianer, dem Aufseher hartnäckig die Höflichkeitsphrase verweigernd, die er dem Contratista freiwillig geboten hatte. Der Contratista, der eigentliche General hier, hätte gar keinen Wert darauf gelegt und nicht ein Wort darüber verloren, wenn ihm der Bursche einfach den Namen genannt haben würde, ohne eine Ehrenbezeigung in Worten hinzuzufügen. Es ist immer nur das winzige menschliche Piepsken, das von einem Untergebenen und Wehrlosen die steifste Ehrenbezeigung unerbittlich verlangt, weil es sich über seine wahre Würde nicht im klaren ist und darum nicht im klaren sein kann, weil es so wenig davon besitzt. Wer nie vergisst, seine Medaillen auf die Brust zu kleben, ist seiner Verdienste nicht ganz sicher.
»Wie heißt du, du Stinktier?« brüllte der Capataz.
»Andres Ugaldo.«
»Ihr sehr untertäniger Diener, mein Herr! fügst du hinzu, wenn ich dich frage!« schrie der Capataz und wurde tiefrot im Gesicht. »Noch mal. Wie heißt du, du Schwein?«
»Andres Ugaldo von Lumbojvil.« Der Bursche verzog keine Miene in seinem Gesicht. Er stand ruhig da, als wäre er aus braunem Holz geschnitzt. Selbst im Blick seiner dunklen Augen zeigte er weder Furcht noch Erregung. Kalt und fest heftete er seinen Blick auf das Gesicht des Capataz, das vor Wut zu platzen schien.
»Dir werde ich schon das blinde Gehorchen beibringen, du Kröte, warte nur, wenn wir erst einmal allein und unter uns sind, ich und du«, sagte der Aufseher, während er den Namen in sein Notizbuch schrieb und in der nächsten Rubrik hinzufügte: Boyero.
Boyero war Ochsenknecht.
Als er geschrieben und einige Minuten lang das Geschriebene mit Wohlwollen betrachtet hatte, sehr stolz darauf, so schön und schwungvoll schreiben zu können, blickte er auf und sah Andres an. Er gedachte ihm gerade eine weitere kräftige Warnung für die Zukunft in das Gesicht zu brüllen, als Don Remigio ihn rief: »He, Ambrosio, du gottverfluchter Lepero, Hund von einem Faulenzer, wo steckst du denn mit deiner gottverdammten
Schreiberei? Komm hierher und schreibe hier den Muchacho auf.
Hat im Holz gearbeitet mit der Axt. Den nächsten notierst du als Machetero. Sagt, er kann tüchtig mit dem Machete arbeiten. Vier Wochen nur, dann geben wir ihm die Axt.«
»A sus ordenes, jefe«, rief der Capataz sofort, als er angerufen wurde, und sprang pflichteifrig mit einem Satz hinter seinem Herrn her. »Bin schon hier, Don Remigio, und stets zu Ihren hochgeschätzten Befehlen.«
»Schreib schon und prassele nicht so viel Quatsch. Mach voran, du Esel. Jede Stunde hier unnötig verbracht, kostet mich einen Sack teures Geld. Himmel und Hölle, Madre Santisima en el lado de Dios, warum habe ich mich je dazu verdammen lassen, Caobakontrakte zu übernehmen? Jeder Tag hier in dieser Wildnis, unter den Barbaren, kostet mich ein volles Jahr meines schönen und gesunden Lebens. Meine arme Mutter, eine Heilige wie es keine zweite gibt, würde sich in ihrem armen Grabe noch verrenken, wenn sie wüsste, wie ich mich hier abplagen muss und was ich unter dieser Gluthitze zu erdulden habe, um ein armseliges Leben fristen zu können und ein paar verbogene Centavos zu verdienen, um in Ehren grau zu werden.«
Don Remigio war am Ende der langen Reihe der Caobaleute angelangt, die zur Arbeit im Dschungel angeworben worden und heute eingetroffen waren. Er hatte sechzig Burschen angefordert, aber die Werbeagenten hatten ihm nur fünfundvierzig schicken können. In einem Brief, den der Capataz überbrachte, hatten sie ihm mitgeteilt, dass er froh sein möge, eine so hohe Zahl von Leuten zu bekommen, andere Contratistas hätten sich mit einem geringeren Satz begnügen müssen, und ihn hätten die Agenten, Don Ramon und Don Gabriel, nur darum besser berücksichtigt, weil sie wüssten, dass er an den Werbeprovisionen nie herumknabbere, sondern willig die ausgelegten Vorschüsse einlöse und die Provisionen zahle.
Don Remigio hatte jeden einzelnen der aufgestellten Monteriaarbeiter, meist Indianer und einige Mestizen, nach dem Namen gefragt, die Namen verglichen mit den Namen auf den Listen, die ihm die Agenten geschickt hatten, und dann begonnen, die Leute in die Arbeitsgruppen zu verteilen, in denen die jungen Burschen infolge ihrer körperlichen Kräfte und Fähigkeiten oder ihrer Erfahrung in bestimmten Arbeiten am nützlichsten für seinen Kontrakt sein würden.
Nachdem er mit dieser ungemein schweren und verantwortungsreichen Arbeit zu Ende war, gefiel er sich darin, über sein Schicksal zu wehklagen und sein elendes Dasein zu bejammern. Da ihn sonst niemand auf Erden je bemitleidete, so gab es, in dieser Umgebung wenigstens, keinen anderen Weg, bemitleidet zu werden, als sich selbst etwas vorzujammern.
Â
Diese Vernehmung und Verteilung der angeworbenen Caobaleute in Arbeitskolonnen ging auf dem weiten Gelände der Administracion oder Verwaltung der Caoba-Ausbeutungs-Company vor sich. Das Gelände war eine Halbinsel, gebildet von zwei Urwaldflüssen, die hier zusammentrafen und von hier aus vereint weiterflossen, um nach einer langen Wanderung durch Dschungel und tropischen Busch endlich in den gewaltigen Ushumacintastrom einzumünden. Ob es sich um eine Wanderung von hundert oder zweihundert oder gar vierhundert Kilometer handelte, wusste niemand, weil Entfernungen nie gemessen wurden und auch niemand Zeit dafür fand oder Lust dazu hatte, es zu tun. Für wissenschaftliche Forschungen hatte hier niemand Interesse, und erst recht kümmerte sich hier niemand um irgendwelche Schönheiten der Natur. Das Gelände war flach und von dürrem Präriegras überwuchert. Auf diesem Gelände lastete von etwa acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags eine erstickende tropische Glut, die das an sich schon sehr magere Gras noch weiter verkümmern ließ und beinahe versengte. Nur wenige Bäume und Sträucher standen verschüchtert herum, als schämten sie sich ihrer Existenz inmitten des dürren Grases. Je mehr das Gras verdorrte, je mehr wurde der sandige Boden bloßgelegt. Von diesem glühenden Boden prallte die brüllende Hitze zurück in die kochenden und flirrenden Lüfte, so dass, wenn man in dem offenen Gelände stand, man sich fürchtete, einen tiefen und gesunden Atemzug zu tun, weil man glaubte, die Lungen müssten einem plötzlich vertrocknen.
Die Verwaltungsgebäude, die Oficinas Centrales, waren nichts anderes als die üblichen Indianerhütten des tropischen Amerikas, nur in größerem Maßstab gebaut. Eine Anzahl kräftiger Stämme war in den Boden gegraben worden. Darüber wurde ein Dachstuhl gelegt, gleichfalls aus rohen Stämmen gebildet, und dann durch Lianen mit den aufrecht stehenden Stämmen verbunden. Nur Äxte wurden gebraucht und keinerlei Nägel verwendet. Das Dach wurde mit Palmblättern gedeckt.
Die Wände wurden von dünnen Baumstämmchen geformt, die, eines dicht an das andere gereiht, in den Boden gesteckt und dann mit dünneren Lianen miteinander verbunden wurden. Die Türen waren roh behauene dicke Bretter aus Mahagoniholz, und sie hingen in roh gearbeiteten Angeln aus hartem Holz von anderer Art. So war jedes einzelne Gebäude beschaffen.
Innerhalb eines jeden Gebäudes waren Räume abgeteilt, deren Wände gleichfalls nur aus nebeneinander gereihten dünnen Stämmchen bestanden. Die Türen, die von einem Raum in den anderen führten, sofern überhaupt Türen vorhanden waren, bestanden entweder aus rohen Brettern oder aus mit Bast verflochtenen Stämmchen. An einigen der Türen war ein Stück grauer Pappe angepickt, auf der geschrieben stand der Name des Contratista oder des Angestellten, der hier sein Büro hatte. Einzelne dieser Pappstückchen trugen noch den Vermerk >Privat<. Irgendwo anders würde ein solcher Vermerk lächerlich und ironisch gewirkt haben; denn auch nicht das Geringste, was man >Privat< hätte nennen können, konnte in dem Gebäude oder in einem der abgetrennten Räume vorgenommen werden, ohne dass ein jeder, der gerade in der Nähe war, es ebenso deutlich zu sehen und zu hören vermochte, als geschähe es unter offenem Himmel. Aber das Wort >Privat< hatte hier den Zweck, zu offenbaren, dass es sich bei den Gebäuden um regelrechte und zivilisierte Bürogebäude handle und nicht etwa, wie ein hergelaufener Zeitungsreporter vielleicht meinen möchte, um Hütten, in denen Kannibalen ihren Unterschlupf hatten.
Auf Tischen, gefertigt aus roh zugehauenen Mahagonibrettern, lagen Geschäftsbücher von derselben Art, wie man sie auch sonst überall auf Erden antrifft, wo Geschäfte betrieben werden. Nur Tinte sah man wenig. Und die wenige, die auf hundert Meilen im Umkreis angetroffen werden konnte, war in dem Privatbüro des Gerente, des Verwalters, zu finden, wo sie dazu dienen sollte, Schecks zu unterschreiben. Aber selbst diese Tinte war häufiger vertrocknet als flüssig. Alle Eintragungen in Bücher oder auf Listen wurden mit Tintenstift oder mit gewöhnlichem Bleistift vollzogen, wodurch sie absolut nichts von ihrem Wert verloren; denn, wem es so nicht gefallen sollte, der konnte ja hier herkommen und es besser machen. In gewissen Wochen und Monaten des Jahres durften die Bücher des Nachts nicht auf den Tischen oder auf den rohen Regalen liegen bleiben, sondern mussten an Schnüren, die mit Kreolin getränkt waren, an den Balken aufgehängt werden. Wurde das vergessen, so geschah es häufig, dass man das Buch am Morgen nicht mehr vorfand oder nur einige vergessene Fetzen. Ameisen, Käfer oder Cucarachas hatten das Buch auf ihren Streifzügen angetroffen und entweder aufgefressen oder stückweise davongeschleppt und in ihren Bauten aufgespeichert.
Eine noch größere Vorsicht musste mit Briefumschlägen geübt werden. Von Briefumschlägen wurde alles das weggefressen, was gummiert war. Gelang es jedoch, die Umschläge vor Insekten zu bewahren, so konnten sie dennoch unbrauchbar werden in der Regenzeit, wo sie zusammenklebten, und so gut zusammenklebten, dass sie nur durch Aufschneiden wieder geöffnet werden konnten. Eines der Gebäude war modernisiert worden und unter den Einfluss futuristischer Architekten geraten. Es handelte sich um das Gebäude, das dem Gerente, dem Verwalter oder Administrador, als Hauptbüro und als Villa diente. Bei diesem neuzeitlichen Gebäude waren die Stämmchenwände mit Schlamm beworfen worden, der, sobald er trocken war, an den Stämmchen festklebte, die Wände undurchsichtig machte und sogar, bei oberflächlicher Betrachtung, den Eindruck von Zementwänden vorschwindelte.
Auf dieses Gebäude war die Company, insbesondere aber der Administrador, ebenso stolz wie eine New Yorker Versicherungsgesellschaft    auf    ihren    sechzigstöckigen
Wolkenkratzer.
Einige Nachahmungen dieser Villa wurden im Laufe der Zeit neu hinzugefügt und erhielten den Namen Bungalows, aber nicht Villen.
Es war der ewige Wunsch des Administradors, das Haus mit roter oder grüner Farbe anstreichen zu können. Jedoch, es war keine Farbe vorhanden. Er hätte natürlich die Farbe mit einer der Händlerkarawanen bestellen können. Aber er vergaß das Bestellen immer, wenn dazu Gelegenheit war, und erinnerte sich seines Wunsches nur dann, wenn die Karawane bereits abgewandert war.
Dachte er aber dennoch rechtzeitig an die Bestellung, dann war er gewöhnlich betrunken. Und betrunken oder nicht betrunken, es kostete ihn eine zu große Mühe, auszurechnen, wie viel Farbe er für das Gebäude brauchen würde.
Bei einer dieser mathematischen Berechnungen war er einmal auf die Zahl von vierzehntausend Kilo Farbe gekommen, die er zum Anstreichen des Hauses benötigte. Und diese hohe Zahl für ein Haus von zwölf Meter Länge und acht Meter Breite und lediglich einem Stockwerk zu ebener Erde erschreckte ihn so sehr, dass er es für eine Zeit aufgab, die Menge der Farbe, die er benötigte, auszurechnen.
Und immer, wenn er entweder vergessen hatte, den Auftrag für Farbe mit einer Karawane mitzuschicken, oder wenn seine Berechnung so herauskam, dass eine Karawane von vierhundert Mules nötig gewesen wäre, die Farbe hierher in den Dschungel zu bringen, befreite er sich von diesem Wunsche dadurch, dass er sich einen Vortrag hielt oder eine Ansprache an sich selbst und darin erklärte, dass ein grüner oder roter Anstrich des Gebäudes oder überhaupt irgendwelcher Ausputz lediglich ein Luxus degenerierter Hosenschitter sei und dass vollwertige Männer keines Luxus bedürfen. Aber das war nur eine Entschuldigung. Der wahre Grund bestand darin, dass weder er noch sonst irgendeiner der Angestellten hier je daran dachte, genügend lange Zeit in dieser gottvergessenen brutalen Wildnis zu verbringen, um ein ernsthaftes Interesse daran zu finden, wie das Haus, in dem er zu wohnen verpflichtet war, beschaffen sei oder wie es aussehe.
Die Oficinas oder die Administracion, wie die gesamte Anlage mit den verschiedenen Gebäuden genannt wurde, machte auf jeden Neuankommenden den Eindruck, dass sie nur angelegt und aufgebaut worden sei, um den Bewohnern für eine kurze Zeitdauer, vielleicht für sechs Monate, als Arbeitscamp und Unterschlupf zu dienen, ähnlich wie die Gebäude in einem Gelände, wo Öl gebohrt werden soll.
Aber hier, wie in allen übrigen Monterias oder MahagoniÂCamps, kam es dann stets darauf hinaus, dass die provisorische Anlage eine dauernde wurde und oft genug fünf, ja selbst zehn Jahre den Verwaltern und Angestellten als Wohn- und Arbeitsort zu dienen hatte.
Obgleich die Zahl der Gebäude beschränkt war, konnte man die Anlage doch recht gut eine Stadt nennen. Die Bewohner dieser Stadt gewöhnten sich an diese Verhältnisse gewöhnlich sehr rasch nach ihrem Eintreffen, und sie wurden so gleichgültig, dass sie nie oder nur gelegentlich auf den Gedanken kamen, die Stadt durch gute, gesunde und menschenwürdige Bungalows zu verschönern.
Â
Der Verwalter, die Rechnungsführer, die Schreiber, alle waren Leute mit einer gewissen Bildung, zuweilen sogar mit sehr guter Bildung. Ständig hatten sie Sehnsucht nach guten Häusern und guten Betten und reinlicher Umgebung. Aber unter dieser glühenden Sonne, die tagaus, tagein auf ihrem Hirn lastete, und inmitten einer Armee von Indianern, die in ihrer Mehrheit nicht einmal Spanisch, sondern ihre Ursprache redeten und die ihren eigenen Gewohnheiten nachlebten, und außerdem zwanzig Tagesritte von der nächsten kleinen Stadt entfernt, in solcher Umgebung und unter solchen Bedingungen kostete es zu viel geistige Anstrengung, Pläne für eine zivilisierte Stadt auszuarbeiten, und noch viel mehr geistige Anstrengung kostete es, diese Pläne auszuführen. je weniger man zu denken gezwungen war, desto besser war das Leben hier zu ertragen.
Außerdem glaubte auch ein jeder der Angestellten, vom Administrador bis hinunter zum jüngsten Lohnschreiber, dass sich morgen vielleicht etwas ereignen werde, wodurch ihm die Möglichkeit gegeben würde, die Stellung hier zu verlassen und mit der nächsten Händlerkarawane zum zivilisierten Leben zurückzukehren. Da aber alle Angestellten nur hier waren, weil sie von ihrem Arbeitslohn leben mussten, und sie die Stellung nur angenommen hatten, weil sie anderswo keine bessere finden konnten, so gab es nur zwei Möglichkeiten für sie, von hier fortzukommen. Die eine war die Nachricht, dass ihnen eine gute Erbschaft zugefallen sei, die andere, dass man ihnen einen guten Posten in einer Stadt angeboten habe. Auf eine solche Nachricht warteten sie von Monat zu Monat, versuchten gelegentlich zu sparen, um sich ein kleines Kapital zu verschaffen und damit eine Weile leben zu können, bis sich eine andere gute Stellung böte. Auf eine solche Veränderung hofften sie so lange, bis sie endlich entweder bei Ablauf ihres Vertrages mit einer Karawane abzogen, ohne Rücksicht auf unangenehme wirtschaftliche
Folgen, oder vom Fieber mitleidlos erschlagen wurden. Auch das wurde als Befreiung angesehen.
Alle Beschäftigten kamen freiwillig hierher, so freiwillig jedoch, wie die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen es ihm aufzwang. Aus reiner Abenteuerlust kam wohl selten einer zu den Monterias.
Geschah das aber doch, vielleicht verführt durch schöne Dschungelgeschichten, die von einem bunten und aufregenden Leben erzählten, so war der Verführte nach vier Wochen Aufenthalt bereit, seine Seele an irgendwen zu verschachern, der ihm nur von hier forthalf. Er war dann davon überzeugt, dass es in der Hölle nicht schlimmer sein könne, als es hier sei.
Für einen Büroarbeiter war es viel schwieriger, von einer Monteria fortzulaufen, als für einen Indianer. Und selbst ein Indianer tat es nur, wenn er keinen anderen Ausweg sah, sein armseliges Leben zu schützen. Fünfzehn Tage allein durch den Dschungel zu wandern oder selbst zu reiten, war so schwierig, dass es von einem, der wusste, was es bedeutete, nicht unternommen wurde. Es waren auch Reittiere und Tragtiere nötig. Zum Ankaufen dieser Tiere und der Verpflegung benötigte man Geld. Der Administrador gab aber einem Abreisenden kein Geld, sondern nur einen Scheck auf die Gesamtsumme, den niemand hier einlösen konnte. Und selbst für tausend Pesos konnte kein Reittier oder Tragtier gekauft werden.
Alle brauchbaren Tiere gehörten der Verwaltung. Der Administrador wollte und konnte keinen Angestellten verlieren, solange er keinen Ersatz für ihn hatte. Darum verkaufte er keine Tiere. Stahl aber der Flüchtige die Tiere und die Verpflegung, so wurden ihm drei Capataces auf guten Pferden nachgeschickt, und er war in weniger als zwei Tagen zurück. Der Administrador war nicht nur der oberste, sondern auch der alleinige Richter; und, wenn er so wollte, konnte er auch gleichzeitig der Strafvollstrecker sein. Wenn der Beraubte, der
Geschädigte, der Verärgerte gleichzeitig auch der Richter und Strafvollstrecker ist, dann ist es eine Dummheit, sich von ihm fangen zu lassen, und man versucht es besser auf eine andere Art als durch eine schlecht organisierte Flucht, sich aus seinem Machtbereich zu befreien.
Â
Es war eine wirkliche Stadt, ein Pueblo, was hier aufgebaut war. Die Gebäude der Company waren zwar die größten Häuser, aber weder waren sie die einzigen, noch waren sie in der Mehrzahl. Mehr als dreißig andere Baulichkeiten waren über das Gelände verstreut. Einige dieser Häuser waren im Stile der Companygebäude errichtet, nur um vieles kleiner. Andere waren sehr dürftig aufgebaut, ohne Sorgfalt und ohne Zeitvergeudung. Wieder andere waren nichts weiter als auf den Boden gesetzte Palmdächer und so niedrig, dass die Bewohner entweder nur gebückt oder gar nur auf den Knien rutschend in das Haus gelangen konnten.
In diesen Häusern wohnten Leute, die nicht Arbeiter der Company waren, die entweder ein unabhängiges Geschäft betrieben oder in irgendeiner Form für die Company tätig waren, ohne einen Kontrakt als Angestellte oder Arbeiter zu haben. Hier waren indianische und mischblütige Frauen, die für die Angestellten die Wäsche besorgten, deren Kleider in Ordnung hielten, die Hemden flickten, Strümpfe stopften und Schuhe reinigten und ausbesserten. Dann war ein Barbier mit einem Jungen anwesend, der hier sein Geschäft ausübte. Ferner wohnten hier die Artesanos oder Handwerker, die für die Company arbeiteten, aber in mehrfacher Hinsicht dennoch unabhängig waren und mehr nach eigenem Willen arbeiteten als unter den Befehlen des Verwalters. Das waren die Schmiede, die Geschirrmacher und die Cayuqueros oder Canoefahrer. Hinzu kamen, als Bewohner der Stadt, die Schar der Zacateros, die Burschen, denen die Pflege der Ochsen, Pferde und Mules oblag, der Tiere, die das Unternehmen für den geregelten Fortgang des Betriebes benötigte.
Auch wohnten hier Familienangehörige der Arbeiter, die ihnen in den Dschungel gefolgt waren, weil sie keine andere
Heimat hatten als den Platz, wo der Sohn oder der Mann Arbeit gefunden hatte.
Manche dieser Familienangehörigen übten ein kleines Gewerbe aus. Sie besaßen einen winzig kleinen Kramladen für solche Dinge, die in der großen Tienda der Company nicht geführt wurden, weil sich der Verkauf nicht lohnte. Einige andere nähten Kleider für Frauen und Mädchen oder Hemden und Hosen für andere unabhängige Leute der Stadt.
Und dann wohnten hier die Parasiten, die sich überall einfinden, wo Arbeiter außer ihrer Arbeit kaum irgendwelche Zerstreuung finden. Es war der Nachtrab des kämpfenden Heeres. Es war der unbestimmte, aber geduldete, weil unentbehrliche Trupp, der sich in Goldgräbersiedlungen, Ölfeldern, Minendörfern einfindet, sobald Leute begonnen haben, hart zu arbeiten. Wo dieser Trupp herkommt, auf welche Weise er von den neuentdeckten Ölcamps erfährt, wie er sich in unglaublich kurzer Zeit bildet und organisiert und wie er selbst Gefahren auf sich nimmt, um an den Ort des Profits zu gelangen, das erscheint ebenso geheimnisvoll wie das Auftauchen von Geiern über einem Kadaver, der nur eine Stunde alt ist.
An Verdienste, wie sie in Goldfeldern oder Ölcamps möglich waren, konnte hier nicht entfernt gedacht werden. Aber selbst die armseligen Löhne, die in einer Monteria gezahlt wurden, schienen genügend Anreiz zu bilden, dass selbst hier das Schlachtfeld nicht frei von Hyänen blieb.
Es wurde unversteuerter Mescal und Comiteco verhökert. Das war streng untersagt, denn nur die Company hatte das Recht, Branntwein zu verkaufen. Aber es wird überall am meisten an den Dingen verdient, die verboten oder hoch besteuert sind. Wurde eine dieser Branntweinschenken entdeckt, so ordnete der Verwalter die Zerstörung der Hütte an, und er untersagte den Bewohnern den weiteren Aufenthalt auf dem Gelände. Der Vertriebene machte sich nichts daraus. Er packte auf und zog zu einer anderen Monteria, wo er seine Schenke aufmachte, bis er auch dort fortgejagt wurde. Abermals wanderte er zu einer Monteria, wo nach einigem erfolgreichen Aufenthalt er gleichfalls den Betrieb verlegen musste. In manchen der Monterias wurde es nicht so streng genommen, und es musste erst zu grässlichen Skandalen, verschärft durch einige Morde, kommen, ehe er den Ausweisungsbefehl erhielt.
Nach einigen Monaten konnte er es versuchen, nach der ersten Monteria zurückzukehren. Entweder war hier nun ein neuer Administrador im Amt, oder der Verwalter hatte inzwischen so viele andere Schenkwirte forttreiben müssen, dass er sich des Zurückgekehrten nicht erinnerte oder zuweilen so tat, als ob er ihn nicht kenne.
Solch unerlaubte Branntweinverkäufer gab es in jeder Hauptstadt einer jeden Monteria oft gleich ein halbes Dutzend. Es war merkwürdig, oder es mochte für die Uneingeweihten merkwürdig erscheinen, dass solche wilde Schenken überhaupt auch nur einen Tag bestehen konnten, ohne dass der Administrador davon hörte. Der Grund, warum er nichts davon erfuhr, war, dass diejenigen, die eine wilde Schenke kannten und besuchten, die Kenntnis ihres Vorhandenseins als tiefstes Geheimnis bewahrten. Zu denen, die auf das Vorhandensein dieser wilden Schenken nicht verzichten wollten, gehörten sogar auch die Angestellten, also dieselben Leute, die den eigentlichen Generalstab des Verwalters bildeten. Und nicht selten war selbst der Verwalter in jenen Hütten anzutreffen, entweder bereits schwer geladen oder besten Willens, sich so gotterbärmlich voll zu pumpen, dass er in einen Zustand geriet, wo er der Überzeugung war, Administrador einer Monteria zu sein, als wäre es das Beneidenswerteste, was ein Mann in seinem Leben erreichen könne.
Manchmal waren die Ursachen seiner Duldsamkeit weniger in seiner Herzensgüte zu suchen als vielmehr darin, dass die Schenken ihm entweder eine Duldsamkeitssteuer zahlten oder die Rechnungen, die er für seine eigene Person in der Schenke machte, nie zur Bezahlung vorlegten.
Die Branntweinschenken erfüllten eine weitere Aufgabe als soziale Einrichtung. Die Besucher kamen nicht nur, um sich hier mit billigem, aber schwer berauschendem Comiteco voll zu füllen, sondern um einige andere Erregungen zu haben, von der Art, die man allein nicht genießen kann. Es ist kein Vergnügen, den Inhalt seiner linken Hosentasche gegen den Inhalt der rechten Hosentasche auszuspielen. Der Genuss und die Aufregung stellen sich nur dann ein, wenn man sein eigenes Geld anlegt, um das der anderen Gäste zu gewinnen. Je mehr Gäste willens sind, vom andern zu gewinnen, um so aufregender ist das Geschehnis und um so weniger fühlt man, dass man Zeit nutzlos vergeudet habe. So war es ganz natürlich, dass in diesen Schenken heftig und mit Eifer gespielt wurde. Es wurde alles mögliche gespielt, von dem man aus Erfahrung weiß, dass man dabei gewinnen und verlieren kann. Um Abwechslung zu schaffen, führte man zuweilen neu erfundene Spiele ein, die ein paar Wochen in der Mode waren und dann wieder abgesetzt wurden, und reumütig kehrte man zu den mehr zuverlässigen und länger erprobten Karten und Würfeln zurück. Es war meist das Spielen, das zu Skandalen, Feindschaften und Morden führte.
Wenn inmitten eines zivilisierten Landes die härtesten Strafen und die tüchtigste Polizei nicht verhindern können, dass offen oder unter allen möglichen Verkleidungen um Gewinn gespielt wird, bei Tag und bei Nacht, so darf man sich nicht wundern, wenn auch hier der Administrador das Spielen nicht zu unterdrücken vermochte. Es war um so schwerer für ihn, es zu verbieten oder sonst unmöglich zu machen, weil er selbst, hätte es keine Spielgelegenheit gegeben, nicht gewusst hätte, wie die Abende verbringen. Er wurde meist nur dann wütend und trieb alle Schenkwirte auf einmal von der Monteria fort, wenn er zu oft oder gar ständig verlor. Jedoch er wie auch die Company, wie alle übrigen Verwalter in den Monterias vergaßen nie, dass die Schenken und die Spielgelegenheiten unentbehrlich für den geregelten Fortgang des Unternehmens waren. Ohne die wilden Schenken und Spielhütten wäre das Leben der Leute, die hier zu arbeiten hatten, oft wohl kaum zu ertragen gewesen, wenigstens nicht für lange Zeit. Den hier wohnenden Handwerkern und Angestellten musste etwas geboten werden, was sie den Sinn ihres Lebens nennen konnten. Andernfalls würden sie vergessen haben, dass zwischen ihnen und den Ochsen und Mules der Monterias ein Unterschied bestand. Ochsen und Mules hatten kein Bedürfnis, Aguardiente zu trinken und um Geld zu spielen; sie waren zufrieden, ihre harte Arbeit und ihr Futter zugewiesen zu bekommen. Besonders neu angekommene Angestellte gebärdeten sich, nachdem sie begonnen hatten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, wie eingefangene Coyoten oder Jaguare, die man an eine Kette gelegt hatte. Sie verfielen in Tobsucht, versuchten den Verwalter oder die übrigen Büroschreiber zu ermorden. Sie nahmen sich ein Pferd und ritten ohne Lebensmittel auf und davon, ohne einen bestimmten Weg zu nehmen, und sie mussten dann gesucht werden und wurden fieberkrank irgendwo im Dschungel gefunden.
Sie erholten sich, hatten das Fieber für immer in ihrem Körper eingefressen, begannen zu arbeiten und gleichzeitig zu trinken und zu spielen. Unter der ewig gleich glühenden Sonne an einem Himmel, der ständig zu schmelzen schien, und in einer Luft, die wie kochender Dampf war, verrichteten sie ihre Arbeit im Halbschlaf und mit einem Empfinden, als läge eine bleierne Last auf ihrem Hirn. Mangels irgendwelcher anderer Zerstreuung verfielen sie nach einigen Wochen in einen Zustand, in dem sich während des ganzen Tages, beginnend mit dem Aufstehen am Morgen, ihr Lebensinteresse lediglich auf Branntweintrinken und auf das Spielen am Abend konzentrierte.
Darüber vergaßen sie das Sparen, vergaßen den Wunsch, in eine zivilisierte Stadt zurückzukehren, dort zu heiraten und ein geordnetes Leben zu führen.
Alles wurde ihnen gleichgültig, und wichtig war ihnen nur noch, dass stets genügend Aguardiente, Zigaretten und Tabak in der Tienda waren, und von einigem Interesse die Höhe des Betrages, den sie am letzten Abend verspielt oder gewonnen hatten, und wie viel es an diesem Abend sein werde.
Die Leute alles vergessen zu machen, was es außerhalb ihrer augenblicklichen Umgebung gab oder geben mochte, war ein Vorteil für die Company, wie es für einen Diktator von Nutzen ist, wenn er die von ihm Beherrschten so weit herunterzuwürdigen vermag, dass sie völlig uninteressiert am politischen Leben werden und sich glücklich fühlen, weil sie es nicht länger mehr nötig haben, selbst zu denken und für sich selbst irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Das Schaf fühlt sich am wohlsten, am sichersten und am glücklichsten innerhalb der Herde, in der es nichts weiter zu tun hat als zu grasen, Wolle zu liefern und kleine Schäflein zu zeugen. Wenn die neuen Angestellten diesen Zustand erreicht hatten, wenn ihr Denkvermögen und ihr Ehrgeiz denen der Schafe in einer Herde gleichgeworden war, dann hatten sie begonnen, brauchbare und verlässliche Stützen der Company zu werden, für die sie arbeiteten und die ihnen die Gehälter zahlte.
Â
La Ciudad, die Stadt, wäre nicht vollständig gewesen ohne eine weitere Anziehungskraft der Cantinas.
Aguardiente und Spiele allein können einen Menschen, dessen Hirn sich im Zustand der Vernebelung befindet, nicht völlig und ausgiebig genug erfreuen. Ebenso wenig kann man ja auch von einem Schaf erwarten, dass es glücklich ist, wenn es nur grasen und Wolle liefern darf. Störe den Mann nicht in der Ausübung seines Zeugungstriebes, sondern belohne ihn für die rege Betätigung seiner Gelüste, und du hast einen zufriedenen und gehorsamen Bürger, der dir keinerlei Schwierigkeiten macht in der Befriedigung deines Hungers nach Macht. Hier handelte es sich nicht um Hunger nach Macht, sondern um Hunger nach Geld. Beide Machtgelüste sind freilich identisch, nur zeigen sie nach außen hin ein anderes Gesicht. Wer die Macht besitzt, hat auch gleichzeitig alles Geld; und umgekehrt, wer genügend Geld hat, besitzt jede Macht, die er zu besitzen wünscht. In diesem besonderen Falle erfüllten die Schenkwirte eine weitere soziale Aufgabe. Sie bemühten sich, die Männer, die hier zu arbeiten und zu wohnen verpflichtet waren, so zufrieden zu stellen, dass deren Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nicht allzu sehr gestört wurde, was den Zwecken der Company gewiss nicht dienlich gewesen wäre.
In den Cantinas fanden sich immer Frauen vor, die ihr Bestes taten, damit dieses Leben für die Männer nicht zu eintönig wurde. Sie bemühten sich aus eigenen Kräften und unter Mithilfe der Cantineros, ihren eigentlichen Beruf zu verschleiern. Einige betätigten sich als Kellnerinnen. Sie brachten den Männern den Aguardiente an den roh gezimmerten Tisch, und wenn sie das bestellte Glas auf den Tisch stellten, so stellten sie ein zweites Glas daneben für sich selbst. Dieses zweite Glas freilich enthielt nur gefärbtes Zuckerwasser mit einem Tropfen Comiteco hineingeschenkt. Aber das Glas wurde berechnet, als wäre es reiner Comiteco. Gehalt bekamen die Kellnerinnen nicht, jedoch eine kleine Kommission für die Gläschen Zuckerwasser, die sie selbst tranken. Sie verstanden es so einzurichten, dass für jedes Glas, das der Besucher bestellte, drei auf die Kellnerin kamen. Wenn der Mann dann endlich betrunken war, dann kamen auf jedes weitere Glas, das er bestellte, sechs bis zehn für die freundliche Kellnerin. Inzwischen hatte der Mann sein Urteilsvermögen so weit eingebüßt, dass er in der Kellnerin, die selten unter fünfundvierzig war und auch sonst keinerlei Schönheiten aufwies, eine junge, frische, schöne Blüte des weiblichen Geschlechts erblickte. Der Preis wurde vereinbart, und darauf verließen der Mann und die Frau die Schenkhütte in einer Weise, dass man leicht glauben konnte, es handle sich um ein Brautpaar, das sich vom Hochzeitsmahl entferne, um nun endlich zu erfahren, ob sich die Sache verlohnt oder ob man sich ineinander verrechnet habe. Zuweilen kam die Krankenschwester nach einer Stunde zurück, um sich nach einem anderen Siechen umzusehen, der ihre Kur benötigen mochte. Oft auch kam sie nicht zurück, sondern ward erst am nächsten Tag wieder öffentlich gesehen.
Andere Frauen, deren Reize weit unter denen standen, die hier von einer Kellnerin verlangt wurden, Frauen, die, wenigstens nach ihrem Aussehen, ihr erstes halbes Jahrhundert hinter sich hatten, die oft voller Pockennarben waren, schielten, schiefe Mäuler besaßen, und, weiß die Hexe von Patzcuaro, welche Unzahl von Warzen und überflüssiger Bärte sie haben mochten, alle diese Frauen mussten sich anderweitig vor den kritischen Augen der Welt hier betätigen. Sie waren Köchinnen, Flickerinnen, Näherinnen, Wäscherinnen, Spül- und Aufwaschmädchen dem öffentlich zugegebenen Amte nach.
Aber da diese Ämter nur Vorwand waren, so brachten sie nichts ein, und der eigentliche Beruf, um dessentwillen sie hier hergekommen waren, wurde in den Vordergrund gerückt. Da sie niedrige Preise machten und sich in dieser Stadt ohne Straßenbeleuchtung nur nachts sehen ließen, so fehlte es ihnen nie an Kundschaft.
Viele dieser Frauen, um nicht offen zu sagen alle, waren in vieler Hinsicht hier glücklicher als im versprochenen Paradies. Wo sie bisher gewesen waren, in einer Stadt oder selbst in einem Dorf, hatten sie während der vergangenen dreißig sicherlich ein züchtiges und jungfräuliches Leben geführt. Nicht weil sie das so wünschten, sondern weil sie, selbst wenn sie Goldstücke dafür hätten bezahlen können, nicht einmal einen verkrüppelten Mann gefunden hätten, der sich ihrer Person und ihrer heißen Wünsche auch nur für eine halbe Stunde angenommen haben würde.
Hier jedoch waren alle Männer so kerngesund und wohlerhalten in ihrer Natur, dass sie nicht einmal ahnten, was Abweichung vom Natürlichen sei, viel weniger wäre einer dieser Männer auf den Gedanken geraten, durch Umwege etwas zu bekommen, was unter den Umständen auf geradem und natürlichem Wege nicht zu erhalten war. Für die Männer hier war eine Frau eben eine Frau. Und da sie Frauen, nach denen sie sich vielleicht zuweilen sehnten, nicht um sich haben konnten, so nahmen sie, was eben zu haben war. Aussehen und Alter der Frau war ihnen gleichgültig, denn davon wollten sie ja keinen Gebrauch machen.
Solange eine Frau das in Ordnung und in nützlichem Zustande besaß, was die Männer verlangten und benötigten, war die Frau eine willkommene Bereicherung des anderweitig so trostlosen Lebens.
Und weil es sich in allen Fällen um Frauen handelte, die seit den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr darauf gehofft hatten, zu derartigen Herrlichkeiten des Lebens zu kommen, gaben sie aus Dankbarkeit alle ihre Kraft her, um auch nicht eine einzige Minute des letzten Restes ihres irdischen Daseins unversüßt zu verschwenden. Männer, die einige Erfahrung besaßen, kamen zu der Überzeugung, dass derjenige, der nie eine verschrumpfte alte Leier einmal versucht habe, nicht wisse, was ein wahrer Genuss sei. Sie schwangen sich zu der Behauptung auf, dass sie ein frisches Jüngferchen selbst dann nicht haben möchten, wenn es ihnen auf einem seidenen Polster angeboten würde, denn nur der Kenner wisse echte Kunst zu schätzen.
Der Verwalter, als oberste Behörde, erhielt von den Cantineros das Privileg des Brinco Primero, des ersten Sprunges, zugestanden, um ihn in guter Laune gegenüber den wilden Schenken zu halten. In vielen Fällen, man darf sagen in der Mehrheit der Fälle, war der Administrador freilich allen seinen Göttern dankbar, dass dieses Recht auf den ersten Sprung eben nur ein Privileg war und keine Pflicht.
Wäre es eine Pflicht gewesen, so hätte der Verwalter es wohl doch bei vielen Gelegenheiten vorgezogen, sich in die Tiefen des Dschungels zurückzuziehen und erst dann wieder zum Vorschein zu kommen, wenn er sicher war, dass das Objekt sich so weit vom Pflichtplatze entfernt habe, dass es innerhalb vierundzwanzig Stunden selbst nicht einmal mit einem Flugzeug wieder hergeschafft werden könnte.
Â
Waren einige neue Kurschwestern in der Stadt angelangt, so schickte sie der Cantinero, bei dem sie Unterkunft und Arbeit erhalten hatten, in die Oficina Particular, das Privatbüro des Senor Administrador, um von ihm die Aufenthaltserlaubnis einzuholen; denn da das Gelände als Konzession der Company gehörte, so konnte der Verwalter das Wohnen auf dem Gelände verbieten, wem immer er wollte. Die Neuangekommene stellte sich vor, bescheiden und lächelnd, ihr Bestes angezogen, mit stark parfümierter Seife gewaschen, sich züchtig auf den angebotenen harten Stuhl setzend und so gewählt und elegant sprechend, wie sie glaubte, dass es in guter Gesellschaft richtig sei.
Die Vorstellung geschah immer gegen sechs Uhr abends, wenn von dem Verwalter erwartet wurde, dass er die Sorgen des Tages nun hinter sich habe und sich freudigeren Gedanken hingeben könne. Er betrachtete die Besucherin und fragte: »Wie heißen Sie?«
»Amalia Zarraga, Ihre sehr untertänige Dienerin, Caballero.« »Harte Reise durch den Dschungel gehabt, Senorita?«
»Oh, Dios mio, mein allmächtiger Gott, hätte ich das vorher gewusst, wäre ich gewiss nicht hier hergekommen. Aber ich wusste nicht, was tun. Ich bin von Puxtacan. Mein armer Mann starb vor zwei Jahren.«
Nun nahm sie ein weißes Tüchelchen hervor, weil sie jetzt bereit war, Tränen zu vergießen.
Das war der Moment, in dem nach Programm der Verwalter zu sagen hatte: »Ein bedauernswertes Schicksal, Sie arme Frau.«
Er stand dann auf, kam auf sie zu und klopfte ihr auf die Schulter. Das geschah freilich nur dann, wenn die sich vorstellende Frau einen begehrenswerten Eindruck auf ihn zu machen verstand. Und das hing davon ab, ob er sich an jenem Tage und zu dieser Stunde in harten Nöten befand. Unter solchen Umständen nahm er es nicht so genau mit dem Aussehen und der Gestalt der Besucherin. War er jedoch am vorhergehenden Tage gut versorgt worden, oder hatte er etwas Besseres mit größerer Beständigkeit in der Nähe, dann war mit dem ausgesprochenen Bedauern der Hauptteil der Vorstellung beendet. Er sagte lediglich: »Bei wem können Sie arbeiten? Bei Don Prisciliano? Gut. Sie wissen, dass hier im Camp auf Ordnung gesehen wird. Kein Herumtreiben hier. Keine Skandale. Oder ich sehe mich genötigt, Sie mit dem nächsten arabischen Händler, der herkommt, nach Jovel zurückzuschicken.«
»Ich danke Ihnen ja so sehr, Caballero, dass ich hier bleiben darf, um meinen traurigen Verlust zu verschmerzen und hier in einem anständigen und ehrenwerten Berufe mein tägliches Brot zu verdienen. Con su permiso, caballero, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, ich werde mich nun zurückziehen.« Sie stand auf, machte eine demütige Verbeugung und verließ das Büro.
In dem Falle jedoch, dass der Senor Administrador ein gewisses Gefallen an der Besucherin fand, sagte er: »Sie müssen viel gelitten haben, Senora, in Ihrem Leben.«
Darauf sagte sie: »Gracias, caballero, mil gratias, tausend und aber tausendmal Dank für Ihr Verständnis meiner Herzensqualen. Mi alma y mi corazon sangran, meine Seele und mein Herz bluten, Caballero, der vielen Leiden wegen, die ich durchgekostet habe, seit mein armer Mann, gesegnet sei sein Grab, mich allein in dieser grausamen Welt zurücklassen musste. Warum habe ich mich nicht sofort getötet, gleich am selben Tage, als ich ihn in das kalte, nasse Grab versenkte. Aber, por la Santisima Madre de Dios, das wäre ja eine Sünde gegen Gott gewesen. Und vergessen Sie nicht, Caballero, ich bin eine fromme Christin und keine von denen, die es nicht so genau nehmen.«
Der Verwalter hatte sich inzwischen eine Zigarette angezündet und mehrfach mit dem Kopf genickt, um der Beklagenswerten zu verstehen zu geben, dass er die Welt und deren grausame Tücken kenne und dass er ähnliches im Leben durchgemacht habe.
Die Besucherin nahm nun wieder ihr Tüchelchen zur Hand und fegte sich damit an den Augen entlang, sorgfältig darauf achtend, dass die Pinselei an den Augenwimpern und unter den Augen nicht verwischt wurde. Auch den Mund tupfte sie sich ab, ohne das Tüchelchen rot zu färben, denn sie hatte nicht viele dieser feinen Tüchelchen, oder, um ganz deutlich zu sein, sie besaß nur dieses eine, das sie nur bei hochfestlichen Angelegenheiten zu gebrauchen sich vorgenommen hatte.
Sie seufzte endlich tief auf mit einem nachfolgenden Schlucken in der Kehle. Darauf sagte sie: »Ich hoffe nun, hier in dieser Einsamkeit alles das vergessen zu können, was ich erlitten habe, Senor Administrador, und für jedes Entgegenkommen, das Sie gütig genug wären, mir zu erweisen, werde ich Ihnen bis an mein Lebensende, das wohl bald erfolgen wird, ewig und ewig dankbar sein.«
Der Verwalter stand nun auf, ging auf die leidende Frau zu, klopfte ihr abermals auf die Schulter und sagte: »Es wird schon alles gut werden.« Dabei rutschte er mit der Hand höher hinauf und streichelte ihr Haar, eine Schmeichelung, die der armen Frau so gefiel, dass sie ihren Kopf dicht an seine Brust legte, tief aufschnupfte und das Tüchelchen gegen die Nase brachte. Sie war so unendlich dankbar für diese Tröstung, dass sie sich nicht enthalten konnte, die Hand plötzlich zu ergreifen und gegen ihr Gesicht zu pressen. Im Überschwang ihrer dankbaren Gefühle ließ sie sich dazu hinreißen, die Hand heftig zu küssen, so kräftig, dass sie ihre Zähne in die Hand eindrückte.
Nun kam sie zu sich, als erwache sie aus einem Traum, und sagte: »Perdone me, Senor, entschuldigen Sie mich für meine Handlung, aber ich weiß ja gar nicht, was ich tu, ich bin wie betrunken.
Sie sind so sehr gütig, Senor, viel gütiger, als ich es verdiene. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Wenn ich doch nur mit einem Worte wüsste, wie ich mich Ihnen für Ihre große Güte erkenntlich zeigen könnte.«
Sie vollführte nun eine taumelnde Bewegung mit ihrem Oberkörper, als falle sie in Ohnmacht.
Diese Geste gab dem Verwalter die erwartete Gelegenheit zu sagen: »Wollen Sie nicht eine Copita, ein kleines Gläschen mit mir trinken, damit Sie wieder zu Kräften kommen? Ich habe einen guten Cognac hier. Natürlich nicht hier im Büro. In meiner Wohnstube. Darf ich Sie einladen?«
Sie lächelte nun. »Un caballero tan noble y tan fino, wie könnte ich einem Herrn, so edel und so großmütig, eine so ehrlich gemeinte Einladung ablehnen!«
Sie stand auf und ging ihm voraus in der Richtung, die er angedeutet hatte. Es folgten dem ersten Gläschen einige mehr. Er rückte näher, und sie sagte: »Nicht unter den Armen, por favor, da bin ich sehr kitzlig.«
Nach einer Weile hörte man sie laut auflachen: »Unter den Hüften kann ich es auch nicht ertragen.«
Es wurde ein weiteres Gläschen eingeschenkt, und der Verwalter fand dann eine Stelle, wo die arme Frau weniger kitzlig zu sein schien oder das angenehme Gefühl das unangenehme so weit überwog, dass es Sünde gewesen wäre, sich über das Kitzeln zu beschweren.
Von nun an ging alles schnell vonstatten. Man hörte die Frau mit deutlicher Stimme ablehnen. Sie gab sich ersichtlich Mühe, recht energisch in ihrer Ablehnung zu erscheinen. Zweifellos kannte sie ihre Leute und wusste, gegen welchen Mann sie sich sehr willig zu zeigen hatte und bei welchem ein besserer Erfolg zu erzielen war, wenn man eine kleine Vorstellung veranstaltete, um den Aufgescheuchten glauben zu machen, dass er eine stolze
Feste kühn bezwungen und nach herrlichem Kampfe erobert habe. Jedenfalls wurden die Ablehnungen immer seltener und immer leiser. Die letzten Worte, die man außen vernehmen konnte, bezogen sich nur noch auf die Moskitos, die auf die erhitzten Beine der Besiegten loszustechen begannen.
Hatte der Verwalter erst einmal die Idee aufgenommen, dass es sich lohnen könnte, mit einer Besucherin eine Stunde zu verbringen, dann ließ er willig die langen Reden über sich ergehen. Nur wenn die sich Vorstellende schon so weit abgegriffen erschien, dass der Verwalter, selbst wenn er sehr in Verlegenheit sein sollte, nicht einmal mehr auf einige kleine verborgene Reize zu hoffen wagte und er aus dem Verhalten der sich Anbietenden den richtigen Schluss zog, dass, abgesehen vom Mangel an körperlichen Annehmlichkeiten, es ihr auch noch an den Talenten fehlte, durch verfeinerte und hochkultivierte Handlungen besonderer Art ihren Mangel an körperlichen Vorzügen reichlich auszugleichen, dann verabschiedete er sie so rasch, dass sie gar nicht dazu kam, ihm zu erzählen, sie habe eine kranke Mutter und ein halbes Dutzend jüngere Geschwister zurücklassen müssen, die sie alle zu versorgen habe und die ohne ihre fleißige Arbeit alle Hungers sterben müssten. jedoch in Fällen wie dem, der jetzt zur Verhandlung stand, wo entweder die Anwesende noch genügend Reize besaß, ihn zu interessieren, oder sie das Glück hatte, zu einer Stunde zu kommen, wo er nichts Besseres zur Verfügung hatte, gefiel er sich in der Rolle, sich Geschichten aufmerksam anzuhören und sie sogar mit Trostworten und Ausrufen des Erstaunens oder eines tiefgefühlten Verstehens zu begleiten. Er wusste recht gut, dass sicher das meiste, was ihm vorgetragen wurde, wenn nicht gar die ganze Geschichte erlogen oder aus üblen Romanen auswendig gelernt worden war und vielleicht hundertmal oder fünfhundertmal für gleiche oder ähnliche Zwecke erzählt worden sein mochte. Die Frau, die eine gute und wahr klingende Geschichte geschickt vorzutragen weiß, ist sich bewusst, dass sie damit manchen anderen Mangel, den sie haben könnte, vortrefflich verdecken kann. Wie beim Häuser- oder Automobilverkauf macht es sich immer gut bezahlt, wenn der Verkäufer gut zu reden versteht. Damit umnebelt er das kritische Urteil des Käufers.
Der Administrador, der hier die höchste Persönlichkeit war und von jedem, der herkam, Respekt forderte oder wenigstens erwartete, konnte nicht einfach zu einer der wilden Schenken gehen, sich dort besinnungslos voll gießen und dann eine der so genannten Kellnerinnen mit sich nach seinem Bungalow schleppen. Er hätte keine Frau dort gefunden, die nicht wahrscheinlich am Abend vorher oder gar nur eine Stunde vorher sich mit irgendeinem dreckigen Ochsenhirten oder einem Canoeburschen eingelassen hatte, weil er einen Peso besaß, und die jetzt vielleicht Läuse, wenn nichts Ärgeres an sich trug.
So leicht konnte der Verwalter seine königliche Würde nicht gefährden. Und darum, wenn die Cantineros wünschten, dass er ihnen stillschweigend erlaubte, Aguardiente zu verkaufen und Spielbanken zu halten, so übernahmen sie eine stillschweigend anerkannte Verpflichtung, jede neuankommende Dame, die zu Berufszwecken herkam, dem Verwalter zur Begutachtung ins Haus zu schicken, was unter dem Vorwand geschah, dass sie sich die Erlaubnis zum Aufenthalt bei ihm zu holen habe.
Jede Dame wurde von den erfahrenen Cantineros einige Stunden lang eingehend unterrichtet, wie sie sich gegenüber dem Verwalter zu benehmen habe. Die Verwalter wechselten zuweilen. Und jeder Verwalter hatte seine eigenen und besonderen Ideale in dieser menschlichen Notwendigkeit. Es war die Aufgabe der ersten zwei oder drei Frauen, die mit einem neuen Verwalter Stundenfreundschaft schlossen, seine Eigenheiten und seinen Geschmack zu erforschen und diese Kenntnis dann den Cantineros mitzuteilen.
Â
Der gegenwärtige Verwalter, Don Leobardo Chavero, fand nur dann Geschmack an einer Besucherin, wenn sie es verstand, in ihm den Eindruck hervorzurufen, dass sie eine verhältnismäßig anständige Frau sei. Dass sie wirklich eine hochachtbare Bürgerin sei, das erwartete er nicht. Sie wäre ja sonst nicht hier. Aber er wollte doch stets den Eindruck haben, dass die Frau nur aus Unglück, aus einem Unglück, an dem sie schuldlos war, gezwungen worden sei, den untersten Markt aufzusuchen, der für diese Frauen noch in Frage kommen konnte. Die Monteria war der letzte Markt. Nach diesem gab es keinen anderen mehr. Selbst Gefangene, die dafür bezahlen konnten und denen gelegentlich aus Gesundheitsgründen diese Rechte zugestanden wurden, würden wohl die Mehrzahl dieser Frauen abgelehnt haben. Je mehr eine Besucherin bei Don Leobardo den Eindruck zu erwecken verstand, dass sie nur aus Zufall oder Unkenntnis hier hergekommen sei, um so größere Aussichten hatte sie, tage-, ja wochenlang in seinem Bungalow verweilen zu dürfen und von allen Bewohnern der Stadt so behandelt zu werden, als wäre sie seine Frau. Geschah dies, so erlaubte Don Leobardo nicht, dass die Frau im Camp blieb, nachdem er ihrer müde geworden war. Er wartete, bis eine Händlerkarawane zur Monteria kam, deren Eigentümer er vertrauen konnte, und er schickte die Frau, mit einem ansehnlichen Scheck versehen, in ihre Heimatstadt zurück. Jedoch, wenn sich eine Frau schlecht betrug, sich mit ihm prügelte, dann warf er sie mitleidlos hinaus, kümmerte sich nicht mehr um sie, und es blieb ihr keine andere Wahl, als zurückzutreten in die Reihe der Kämpferinnen gegen heftige Konkurrenz.
Don Leobardo, wie auch sonst kein einziger Verwalter in den Monterias, war moralisch durchaus nicht engherzig. Wenn er eine Frau für Wochen hatte, so hinderte ihn diese Tatsache nicht daran, neue Besucherinnen zu empfangen und auf ihre Fähigkeiten hin zu prüfen, vorausgesetzt, dass sie seinem Geschmack entsprachen. Und traf es sich so, dass eine der neuen Besucherinnen sein besonderes Gefallen fand, so nahm er sie gleichfalls für einige Wochen in sein Haus, ohne die frühere Frau, falls sie ihm immer noch genügend zusagte, aufzugeben. Die neue Gehilfin wurde aufgenommen als Gesellschafterin der ersten Frau. Wem von beiden diese Art eines traulichen und glücklichen Familienlebens nicht zusagte oder wer von beiden zänkisch war, wurde mit einem Scheck entlassen. Es geschah, dass während der sechzehn Monate, die Don Leobardo in dieser Monteria als Verwalter zubrachte, er einmal für drei Monate und zwei Wochen, wie die Bevölkerung ausrechnete, eine Frau und drei Gesellschafterinnen zu gleicher Zeit in seinem Bungalow unterhielt. Es war ein sehr fröhliches Familienleben, und wäre es nach Don Leobardo gegangen, so hätte er es für ein volles Jahr aushalten können. Aber zwei Angestellte, die gleichfalls Gefallen an zwei Gesellschafterinnen fanden und deren Neigung gelegentlich erwidert wurde, und zwar dann, wenn Don Leobardo mit der Frau und einer Gesellschafterin lebensphilosophische Probleme zu lösen suchte, brachten Unfrieden in das häusliche Glück. Die Schuld an dem Unfrieden trug nicht Don Leobardo, der sich bereit erklärt hatte, sowohl den beiden sündhaften Gesellschafterinnen als auch den beiden Angestellten zu vergeben und die Vorfälle zu vergessen, sondern die Schuld trugen die beiden Gesellschafterinnen, die nach drei Tagen entdeckten, dass jede von ihnen den unrichtigen der beiden Angestellten erwischt habe, und sie darum tauschen wollten. Das führte zu Revolverschüssen, von denen die meisten fehlgingen, aber zwei trafen, ohne Schuld der Schützen freilich, die, wie sie sagten, nicht die Absicht gehabt hätten, sich gegenseitig zu ermorden. Es blieb Don Leobardo daraufhin nichts anderes übrig, als die beiden Gesellschafterinnen in einem Raum einzusperren und dort eingesperrt zu halten, bis er sie mit der Karawane eines arabischen Händlers nach Balun Canan schicken konnte.
Â
Wer als Uneingeweihter, aus Versehen vielleicht, herkam, in diese Stadt, so hastig aufgebaut im Dschungel und so schmucklos und nüchtern, gewann den Eindruck, dass es sich um ein Camp handle, in dem jedes Gebäude, jede Hütte, jedes Wesen, Mensch oder Tier, keinem anderen Zweck diene als dem, Mahagoniholz zu gewinnen. Diesen Zweck verfolgten freilich die Stadt und deren Bewohner, wie in einem Bergwerksort jede Tätigkeit, mittelbar oder unmittelbar, dem Gewinn von Kohlen oder Erzen dient.
Was außerhalb der Arbeit in diesem Camp vor sich ging, sah einer nur dann, wenn er hier Wochen zubrachte. Er durfte aber diese Wochen nicht zubringen als Besucher oder als Zeitungsschreiber oder als Mitglied einer Inspektionsbehörde, sondern er musste hier sein als Beteiligter, sei es als Angestellter, als Handwerker, als Contratista, als Händler, als Arbeiter oder als Mitglied der großen Heerschar, die für das Vergnügen sorgte und die Lustbarkeiten verkaufte, ohne die das Leben hier schwerlich zu ertragen gewesen wäre.
Waren die Gebäude der Administracion in ihrer Bauart und ihrem Aussehen schon weit entfernt von dem, was man sich unter Bürogebäuden selbst in Zucker- und Kaffeeplantagen vorzustellen gewohnt ist, so waren nun erst recht die Baulichkeiten, die allen anderen Zwecken dienten, noch hundertmal weiter von dem entfernt, was man sich unter Schenken, Spielhallen, Tanzsälen und den Häusern für weibliche Hilfeleistung etwa in einem kleinen Hafen an der pazifischen Küste Zentralamerikas vorstellt.
In jenen kleinen Häfen, wo nur Trampschiffe anlegen, deren Bestimmung und Eigentümer nicht immer klar sind, halten diese Stätten wenigstens noch einen Schimmer des Glanzes oder der Räuberromantik aufrecht, die ein durstiger und weibbedürftiger
Seemann anzutreffen hofft. Er ist durchaus zufrieden und findet es ganz in der Ordnung, wenn die zwei oder drei Tavernen des Hafens und die Tanzsäle, die den Tavernen angehängt sind, aus alten Kistenbrettern, flachgehämmerten Konserven- und Petroleumkanistern und durchlöcherten Stücken verrosteten Wellbleches gebaut sind.
Solche Gebäude stehen in ihrer Architektur und in dem verwendeten Baumaterial immer noch in gewisser Verbindung und Beziehung zur Zivilisation; denn sie erinnern leise an die verwahrlosten Hütten, die man in Gartenkolonien am Rande großer Fabrikstädte in den zivilisierten Ländern gelegentlich sieht, wo Arbeiter ihre Sonntage verbringen und Salat pflanzen, der stets von anderen geerntet wird.
Gegenüber den Baulichkeiten, die man jedoch in den Mahagoni-Camps als Stätten der Lustbarkeit zur Verfügung hat, konnten sich die Bretterhöhlen der kleinen Häfen wahrhaft Paläste nennen. Denn hier in den Monterias gab es nicht einmal Kistenbretter, kein Stück Wellblech, keine Nägel, keinen Draht, keine eisernen Haken oder irgend etwas von dem, was selbst in dem elendsten Hafen der armseligsten Küste immer noch gesehen werden kann.
Tische und Stühle gab es nur in den Gebäuden der Verwaltung, und selbst diese Möbel waren selten mit einer Säge, sondern meist nur mit der Axt und mit dem Machete angefertigt worden. Einige der Angestellten schliefen nur in Hängematten, weil sie der Schlangen, Skorpione und großen Taranteln wegen nicht auf dem bloßen Boden schlafen konnten. Andere Angestellte, darunter der Verwalter und der Hauptbuchführer, besaßen Bettstellen. Diese Bettstellen waren, wie alle Möbel hier, aus dem feinsten Mahagoni- oder Ebenholz gefertigt. Das Holz war Tausende von Dollars wert, in New York oder London natürlich. Hier diente es sogar als Brennholz, wenn es nicht gut genug oder groß genug war, das verlangte Maß für den Markt zu liefern. Aber obgleich das Holz der Bettstellen das edelste Holz war, so waren die Bettstellen selbst so dürftig aus zugehackten Brettern zusammengezimmert, dass sie den Namen Bett nirgendwo sonst hätten verdienen können, nicht einmal bei einem armen Bauern in Albanien. Kreuzweise waren über das Gestell Riemen aus roher Ochsenhaut gespannt. Auf diesem Geflecht lag ausgebreitet eine Bastmatte und darüber eine Matratze, die von Indianern sehr geschickt aus dem Bast einer besonderen Pflanze gearbeitet wurde. Sie war etwa drei Zentimeter dick und verhältnismäßig weich. In europäischen Ländern würde man glauben, sie sei aus Torf gefertigt.
Die Farbe ist ähnlich der des hellen Torfs. Gute Kissen wurden hergestellt aus Inletts, die dick mit ausgesuchtem Louisianamoos, so genanntem Musgo, voll gestopft wurden, das hier reichlich wuchs.
Diese Art Betten und Matratzen galten in der Stadt als der höchste Luxus, den jemand besitzen könne. Und wenn der Verwalter oder ein Angestellter sich eine Frau in seinen Bungalow nahm, so war durchaus zu verstehen, warum die Frauen sich behaglich genug fühlten und überzeugt waren, dass eine englische Herzogin nicht weicher schlafe, denn in ihren eigentlichen Behausungen schliefen die Mädchen entweder in einer Hängematte oder auf einer auf dem Erdboden ausgebreiteten Bastmatte.
Eine Hängematte war schon ein Luxus, den sich nur wenige Frauen leisten konnten; denn selbst wenn sie Geld hatten, konnte es geschehen, dass die Tienda der Company keine im Vorrat hatte, und es war nicht sicher, ob die nächste Karawane einige mitbringen würde. jedoch waren zuweilen indianische Männer oder Frauen im Camp, die es als ihr Geschäft betrieben, Hängematten aus Bastfäden zu knüpfen.
Die Schenken und Spielsäle bestanden zumeist nur aus einem oder zwei rohen Tischen, aufgestellt unter freiem Himmel. Diese Art galt bereits als vornehm. Die weniger vornehmen Trink- und Spielsäle waren nichts anderes als der nackte
Erdboden, wo sich die Besucher nach Indianerart hinhockten und den Mescal entweder gleich aus der Flasche oder aus Fruchtschalen tranken. Auch das Spielen ging auf dem nackten Erdboden vor sich.
Andere Schenken hatten ein halbes Palmdach, das gegen einen Baum oder einen Pfahl so gestellt war, dass es gegen den Wind oder, in den meisten Fällen, gegen die Sicht der Verwaltungsgebäude gerichtet war.
Dann gab es auch wieder Häuser, die aus einem vollen Palmdach bestanden, das ohne Pfähle auf den Boden gestülpt war. Die beiden Giebelseiten wurden mit trockenem Strauchwerk verstellt. Die eine Giebelseite galt als Tür. Wurde das Strauchwerk hinweggeschoben, dann war die Tür offen; und wurde das Strauchwerk vorgeschoben, dann war die Tür geschlossen. Dieser Art waren die Häuser, in denen die Kellnerinnen und sonstigen Frauen wohnten, wo sie ihre Gäste empfingen, um sich mit ihnen über Anatomie zu unterhalten.
Schlafen muss der Mensch, und wenn er kein Bett hat, muss er eben auf dem Boden schlafen. Die Frauen, wie die Mehrzahl der Handwerker, Branntweinwirte und Arbeiter, hatten als Behausung nur solche Hütten, die lediglich ein Palmdach waren, deren Giebel nicht hoch genug reichte, dass man darunter aufrecht hätte stehen können. Da viele, wohl die meisten Bewohner dieser Häuserchen, weder Bett noch Hängematte besaßen, schliefen sie auf einer Matte auf dem Erdboden. Jeder einzelne, der am Morgen aufwachte, ohne von einer Schlange oder einem Skorpion oder einem sonstigen der zehntausend Dschungelkreaturen gestört worden zu sein, betrachtete sich vom Schicksal ebenso begünstigt wie ein Soldat, der unverwundet aus einem langen Krieg heimkehrt.
Die Handwerker hätten sich natürlich bessere Hütten bauen können; denn sie besaßen die notwendige Geschicklichkeit. Aber es fehlte ihnen an Zeit. Alle Zeit, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, Sonntag eingerechnet, gehörte der Company.
Nachts waren sie zu müde, und sie hätten diese Arbeit nachts auch nicht tun können. So blieb es für immer bei dem Dach, bis es eines Tages verbrannte oder von einem heftigen Hurrikan zerstört wurde. Dann hatten sie gerade genügend Zeit, um ein neues Dach zu bauen, das in den meisten Fällen dürftiger ausfiel als das frühere. Jeder hoffte, von den Schulden, die er bei der Company hatte, freizukommen, um in seine Heimat zurückzukehren.
Weil jeder hoffte, dass dies in kurzer Zeit geschehen würde, darum nahm ein jeder vorlieb mit dem primitiven Hause, wie er es hatte. Aber je länger er hier in der Monteria arbeitete, um so tiefer geriet er in Schulden bei der Company und um so aussichtsloser war die Hoffnung fortzukommen. Die Schulden mussten erst abgearbeitet sein, ehe der Mann das Camp verlassen durfte.
Es gab freilich noch eine andere Art von Häusern. Bei diesen war das Dach auf Pfähle gesetzt, hoch genug, dass man unter dem Dach aufrecht stehen konnte und sogar noch ein wenig Raum über einem frei blieb. Einige der Aguardienteverkäufer besaßen solche Häuser. Oft wurden diese Häuser verschönert dadurch, dass eine der Seiten mit Buschwerk bedeckt wurde, so dass eine Wand entstand.
Zuweilen wurde eine zweite Wand auf diese Weise geschaffen, und der Wirt trennte einen Raum ab, den er nach allen Seiten mit Buschwerk verkleidete. In diesem Raum schlief er mit seiner Frau oder, wenn er keine Frau mitgebracht hatte, der Reihe nach mit einer der Meseras oder Kellnerinnen, die in seiner Schenke bedienten.
Einige der Handwerker, die zu den intelligenteren gehörten, Maestro, Meister, genannt wurden, ihre Arbeit gut bezahlt erhielten und, weil sie unersetzbar für den geregelten Betrieb, wie der Schmied, der Geschirrmacher, der Postreiter, der Mayordomo der Arrieros, unabhängig waren und respektiert wurden wie die Angestellten, wohnten in Hütten, die, nur in verkleinertem Maßstabe, den Gebäuden der Verwaltung nicht unähnlich schienen. An den Umständen gemessen, konnten diese Häuser als das Beste angesehen werden, was überhaupt für die Bewohner dieser Stadt erreichbar war.
Â
Am äußersten Rande des Geländes und nahe dort, wo bereits der Dschungel begann, stand eine verwahrlost aussehende Hütte ohne Wände. Das morsche Palmdach zeigte an mehreren Stellen große Löcher, und zerbröckelnde Sparren ließen darauf schließen, dass beim nächsten Sturm mit Sicherheit damit gerechnet werden konnte, dass von dem Dach nichts mehr übrig bleiben werde. Ein morsches Brett, angenagelt an einen der Hauptpfähle, trug eine verwitterte Inschrift, geschrieben offenbar mit einem dicken Zimmermannsbleistift. Einige der Buchstaben waren unleserlich geworden. Aber wer sich auf das Entziffern von mysteriösen Hieroglyphen verstand, vermochte mit einiger Geduld zu entdecken, dass die Inschrift einst gelautet hatte. Escuela, Schule.
Die Monterias waren durch Gesetz verpflichtet, Schulen für die Kinder ihrer Arbeiter und Angestellten und aller übrigen Leute, die hier wohnten, zu bauen und zu unterhalten. Das Gesetz hatte mit dieser Anordnung gemeint, dass die Monterias die Schulen voll auszurüsten und auch für den Lehrer zu sorgen und ihn zu bezahlen hätten. Da dies aber in der Verordnung nicht ausdrücklich Wort für Wort geschrieben stand, sondern in der Konzession nur gesagt worden war, dass eine Schule erbaut und unterhalten werden müsse, so war die Company dieser Verordnung so nachgekommen, wie sie von der Company ausgelegt wurde.
Ein Dutzend Pfähle waren in den Boden gegraben und darüber war ein Palmdach gelegt worden.
Um zu vermeiden, dass sich irgend jemand hinsichtlich der Bedeutung dieser Hütte Irrtümern hingeben konnte, wurde das Brett mit der Aufschrift Escuela Rural, Landschule, angenagelt. Es war seit dem Bestehen dieser Monteria nie ein Kind darin unterrichtet worden. Und die Hütte diente jetzt während der heißesten Stunden des Tages zum Unterstellen der Mules und Esel, um sie ein wenig Schatten genießen zu lassen.
In den Jahresbilanzen der Company, von denen einige Kopien den Behörden eingereicht werden mussten, fand sich auch die Escuela als Vermögen der Company mit aufgezählt, und zwar als ein Vermögensbestand in der Höhe von zweitausendsechshundert Pesos. Der wahre Wert belief sich lediglich auf die verwendete Arbeitszeit einiger Peones und betrug vier Pesos und achtzig Centavos.
Jede Monteria hatte eine solche Schule, weil sie laut gesetzlicher Bestimmung eine haben musste.
Die hier geschilderte war die beste von allen. Die Schulen der übrigen Monterias hatten längst weder Dach noch Dachsparren. Die Schule der Monteria La Tumba bestand nur noch in einem Pfahl, der von entschwundener Pracht Zeugnis ablegen konnte; die anderen Pfähle waren seit Jahren entweder verfault, oder es hatte jemand die noch brauchbaren für bessere Zwecke verwendet. Es war nicht ironisch gemeint sondern zufällig wirklich Tatsache, dass der einzelne Pfahl, der noch stehen geblieben war, das Brett trug, auf dem man noch zwei Buchstaben,.s...1., lesen konnte. Die anderen Buchstaben waren verblichen.
Alle diese Schulen hatten vor der Diktatur nicht bestanden. jetzt aber waren sie unter der Zahl der Landschulen in den Berichten des Unterrichtsministeriums aufgeführt und zeigten der ganzen Welt, welche Anstrengungen El Caudillo, der Führer, gemacht habe, um den Bildungsstand der Nation zu erhöhen. Der Diktator diktierte, dekretierte und verordnete und, siehe da, ein neues Volk wurde geboren und nahm seinen ihm gebührenden Platz unter den zivilisierten Nationen der Erde ein. Auf dem Papier!
Â
Zuweilen schien es, dass hier Zeit sehr kostbar sei. Dann wieder geschah es, dass mit der Zeit so verschwenderisch umgegangen wurde, als wären selbst Ewigkeiten ohne irgendwelchen Wert.
In vieler Hinsicht war es ähnlich wie auf den Exerzierplätzen der Soldaten. Mit viel Geschrei, mit Drohungen und Püffen werden die Soldaten früh um halb fünf aus den Betten gejagt. Dann wird um Viertelminuten gekämpft, geschimpft, gestritten, weil Sergeanten den Eindruck erwecken, als hinge das Wohl der gesamten Menschen davon ab, dass die Kompanie in genau fünf Sekunden von einer Ecke des Platzes auf die andere geschleudert wird, um genau sechs Uhr neunundfünfzig Minuten und fünfundvierzig Sekunden aufgereiht dazustehen.
Der Kapitän der Kompanie kommt um sieben Uhr zwanzig, wandert die Reihen auf und ab, um hier nach einem losen Faden, dort nach einem schiefsitzenden Knopf zu suchen und endlich zu seiner Genugtuung zu entdecken, dass die Schnalle des Leibriemens bei einem Soldaten um genau einen und einen viertel Millimeter zu weit nach links geschoben ist, eine so welterschütternde Begebenheit, dass der Sergeant sie in seinem Notizbuch einzutragen hat, um sie der Ewigkeit zu erhalten, Zwei Stunden später beginnt dann endlich etwas zu geschehen. Der Kapitän gibt Befehl, dass morgen die Kompanie eine halbe Stunde früher anzutreten habe, weil sie heute zu spät aufgestellt worden sei. Dann wird nach und nach damit begonnen, die Soldaten davon zu überzeugen, dass sie noch nicht laufen können, sondern das nun erst zu lernen haben, um brauchbare Landesverteidiger zu werden. Da die Zeit, die darauf verwendet wird, jungen Männern beizubringen, dass sie weder imstande sind, ihre Arme und Augen natürlich zu bewegen, noch sich zu erinnern, wie sie heißen, nicht von dem Kapitän und auch nicht von den Sergeanten bezahlt wird, sondern vom steuerzahlenden Volke, so wird diese Affenkomödie jahrelang täglich wiederholt bis zur völligen Verblödung; und eine Erziehung und Schulung, die an jedem normalen, gesunden, jungen Mann in vier Monaten mit vollem Erfolg beendet sein könnte, benötigt drei volle Jahre mit dem Ergebnis, dass die Leiter des Systems mit Ernst und Eifer und nach reiflicher Erwägung befürworten, dass sechs Jahre nötig seien, um wirkliche Erfolge erzielen zu können.
Hier war es nicht viel anders. Aber die Ursachen waren verständlich und auch vernünftig. Don Remigio hatte begonnen, sein Leben und sein Schicksal zu verfluchen angesichts der Vergeudung an Zeit, die es kostete, die eingetroffenen Arbeiter zu vernehmen und in ihre Arbeitsgruppen einzuteilen.
Er war mehrfach auf dem Sprung gewesen, seinen Sergeanten, den Capataz Ambrosio, zu erschießen, weil er nicht schnell genug mit dem Notizbüchlein zur Hand war, wenn Don Remigio ihn benötigte.
Nachdem die Vernehmung dann endlich vorüber war, geschah trotz des Beeilens und Hetzens nichts weiter.
Don Remigio ließ die Burschen, die seit ein Uhr morgens auf dem Marsch gewesen waren, um von der letzten Lagerstelle her gegen Mittag hier sein zu können, in der tropischen Sonnenglut stehen, als ob sie Steinklötze wären. Ob sie dort verbrannten, zusammenbrachen oder irrsinnig wurden, schien ihn wenig zu kümmern. Sie kosteten freilich sein teures Geld. Für jeden einzelnen hatte er die Schulden bezahlen müssen, um deretwegen der Mann hierher verkauft oder verhandelt worden war. Für jeden einzelnen hatte er die Steuer für den Arbeitskontrakt in Höhe von fünfundzwanzig Pesos an den Präsidenten der Municipalidad von Hucutsin zahlen müssen, damit die Behörde den Mann einfange, falls er fortlaufe. Ferner hatte er den Werbeagenten, die in den Fincas, den Domänen und in den Dörfern verschuldete Peones gegen Bezahlung der Schuld an deren Herren sowie andere Indianer gegen Bezahlung ihrer Polizeistrafen aufkauften, um sie hier herzubringen, hohe Kommissionen zahlen müssen. Niemand konnte erwarten, dass die Enganchadores, die Werbeagenten, umsonst arbeiteten, um so weniger, als es ein Geschäft war, bei dem sie hofften, sehr reich zu werden. Endlich war noch jedem angeworbenen Mann von den Agenten ein Vorschuss in barem Geld gezahlt worden, um die Leute leichter zu verlocken, den Vertrag vor dem Presidente Municipal zu bestätigen und so gegenüber der zivilisierten Welt den Eindruck hervorzurufen, dass es sich um einfache Arbeitsverträge handle, wie sie überall auf Erden in ähnlicher Weise abgeschlossen werden.
Der alte Cacique verstand es bei weitem besser als die frischgebackenen Diktatoren, die wahren Verhältnisse innerhalb des Landes gegenüber dem Misstrauen der übrigen Völker mit Hilfe einer geknebelten und sich vor ihm demütigenden und sich verhurenden Presse zu verschleiern. Was die Arbeiter selber erzählten oder verbreiteten, war nichts als Lüge und Verleumdung. Wahrheit allein war, was in den Arbeitskontrakten geschrieben stand, von den Arbeitern bestätigt war und den Stempel einer autorisierten Behörde trug. Dass die indianischen Arbeiter weder lesen noch schreiben konnten, betrachtete der Diktator nicht als seine Schuld. Warum lernten sie denn nicht lesen und schreiben? Sie waren zu dumm dazu und hatten keinen Wunsch, es zu lernen.
Alle die Summen und Gelder, die der Contratista für den angeworbenen Mann ausgelegt hatte, musste der Mann im Dschungel abverdienen. Man konnte von einem Contratista nicht erwarten, dass er aus lauter Menschenliebe diese Gelder für einen Indianer oder gar für zweihundert bezahle und dann zu dem Mann sage: »Vielen Dank für die Freundlichkeit, dass du mir gestattet hast, deine Schulden zu bezahlen und dir den
Vorschuss zu geben, den du nahmst, um dich zu besaufen und herumzuhuren.
Gehe heim in dein väterliches Haus, vermehre dich und lebe glücklich und zufrieden bis an das Ende deiner Tage!«
Wie wäre denn ein Contratista dazu gekommen, so etwas zu tun? In dieser Welt, wo ein jeder um sein Stück Brot zu kämpfen hat, kann auch ein Contratista nichts verschenken, ohne dass es an einem anderen Ende fehlt. Er hat verteufelt hart zu arbeiten, um leben zu können und es zu etwas zu bringen.
Gesetzt den Fall, dass er nichts hat, wenn er einmal alt ist, dann kann er betteln gehen. So muss er auf seine Wohlfahrt bedacht sein, solange er dazu in der Lage ist. Frau und Kinder daheim wollen auch leben. Und wenn er selbst hart arbeiten muss, warum denn nicht die Peones? Zu etwas anderem sind sie ja doch nicht zu gebrauchen und treiben sonst nichts als Unfug. Haben sie nichts zu arbeiten, dann besaufen sie sich nur. Statt an etwas anderes zu denken und besonders daran, wie aus ihren Schulden und ihrer Versklavung freizukommen, vergeuden sie ihre guten Kräfte nur daran, eine Herde von Kindern in die Welt zu setzen.
Außerdem wollen die Leute in New York und in London Möbel aus Mahagoni haben. Warum sie das haben wollen, geht uns, die Contratistas, gar nichts an. Das ist deren Sache. Aber es lässt sich daran Geld verdienen, ein schöner Berg von Geld. Unsere Dschungel sind voll von Caoba. Wir wissen gar nicht, was wir mit so viel Caoba machen sollen. Wir haben so unendlich viel davon, dass wir selbst unsere Eisenbahnschwellen aus Mahagoni- und Ebenholz fertigen. Warum sollen wir von unserem reichen Überfluss dieses prachtvollen Holzes nicht an die leidende Menschheit ein paar Tonnen abgeben? Es muss natürlich aus dem Dschungel herausgeholt werden. Wir, die Contratistas, können das allein nicht machen. Ich am allerwenigsten. Ich habe gleich dicke Blutblasen an den Händen, wenn ich nur drei Stunden lang Caoba schlage. Mahagoni ist hart wie Eisen, verflucht noch mal. Aber diese Indianer, versoffen und verfuckt, wie sie schon sind, sollten glücklich sein, dass sie etwas für das Vaterland tun und die Ausfuhrziffern erhöhen können.
Diese Ansicht des Contratista ist durchaus begreiflich, zeugt von Vernunft und von einer tiefen Einsicht in die verwickelten Gesetze der Weltwirtschaft. Freilich, der Indianer denkt anders darüber.
Darum ist er auch ein armseliger Prolet und kein Bankdirektor. Und es ist einfach unverständlich für jeden normal denkenden Menschen, dass diese gottverdammten Proletarier immer und von jeher so gar nicht begreifen wollen, wie vernünftig und richtig und staatserhaltend die Ideen und Ansichten sind, die von Diktatoren und Fabrikdirektoren mit Mühen und Sorgen und in schlaflosen Nächten zum Wohl des Vaterlandes ausgeheckt werden. Gottverdammt noch mal, man sollte alle Proletarier einfach erschießen, damit doch endlich einmal Ruhe im Lande ist. Warum ist der elende Hund überhaupt Proletarier? Es ist doch seine eigene Schuld.
Es ist keineswegs die Schuld der Contratistas, dass die Peones ständig bei ihren Herren so tief verschuldet sind. Der Herr braucht sein Geld auch, und wenn er endlich die Geduld verliert und sein Geld haben will, weil er es haben muss, und dann die Peones an die Contratistas für die Schuldsumme verkauft, dann wird das Maul aufgerissen und über Menschenhandel und Sklaverei gebrüllt.
Alles ist so klar, so einfach, so logisch, so vernünftig, dass man sich nur darüber zu verwundern hat, warum die Proleten das nicht verstehen wollen. Sobald sie erst einmal verstehen und voll begreifen, dass alles, was getan wird, nur zu ihrem Wohle geschieht, dass kein Diktator und kein Aktionär je daran denkt oder je daran gedacht hat, die Würde des Arbeiters anzutasten oder ihn gar zu einem Arbeitstier zu machen, sobald sie erst einmal einsehen, dass man nur ihr Gutes, ja ihr Bestes will, dann wird auch endlich die Zeit heranreifen, in der man sie zu den Vernünftigen zählen darf, und dann hat jeder einzelne Prolet die Aussicht, sogar Fabrikdirektor und Aufsichtsratsvorsitzender zu werden. Solange er das nicht versteht oder nicht verstehen will, muss er das Maul halten und sich regieren und diktieren lassen.
Es ging demnach alles hier mit rechten Dingen zu. Es geschah niemand ein Unrecht. Keiner hatte Ursache, sich zu beschweren. Jede Handlung, die von den Werbeagenten, den Contratistas und den Companien ausgeübt wurde, war immer und unter allen Umständen im Rahmen des Gesetzes. Wenn sich in den Maschen der Gesetze Löcher zeigten, so gab es ja einen Diktator, der diese Löcher mit einer Unterschrift zuflickte. Und was der Diktator tat, war immer recht; denn jede seiner Handlungen wurde von der Camara de Diputados bestätigt. Sollte es vorkommen, dass einer der Diputados Widerspruch leistete, so hörte er dadurch auf, Diputado zu sein, weil er die Ordnung und die geölte Abwicklung der Geschäfte hinderte. Nur Ja-Sager wurden in der Camara und im Senat geduldet. Es war eine Wonne zu leben; und wem es nicht gefiel, der hatte kein Recht zu leben und wurde erschossen. Lagen mildernde Umstände vor, so kam er in das Konzentrationslager El Valle de los Muertos, ein mit Stacheldraht eingezäuntes Gelände inmitten der bestgewählten Fiebersümpfe im Süden des Staates Veracruz.
Dort kam er hin, um nie wieder zurückzukommen. Es war das goldene Zeitalter der Diktatur.
Â
Während die Caobaleute aufgereiht standen und nun, nach ihrer Vernehmung, darauf warteten, dass man ihnen sage, was sie tun sollten, ging ihr Contratista, Don Remigio, in die Tienda, wo er sich auf eine Kiste setzte, über die schwere Arbeit stöhnte, die er verrichtet hatte, und dann eine Flasche Comiteco forderte.
Darauf begann er zu trinken, und nach und nach fing er an, sich wieder wohl zu fühlen. Sein Reitpferd hatte er unter einen Baum in den Schatten geführt. Die Leute kümmerten ihn nicht. Sie hatten ja Vernunft und wussten, was zu tun. Aber was sie taten ohne besonderen Befehl, war immer falsch, und der Capataz ging auf sie zu und schlug ein halbes Dutzend mit der Peitsche ins Gesicht.
Sie kauerten sich auf den heißen Sandboden und warteten. jedoch, die Glut der Sonne wurde unerträglich, und einer nach dem andern nahm seinen schweren Packen auf und suchte sich eine schattige Stelle unter Bäumen oder in der Nähe von Hütten.
Â
Ambrosio, der Capataz, war zu einer der wilden Schenken gegangen, weil er wusste, dass er hier den Branntwein billiger bekam als in der Tienda der Company. Freilich, in den Schenken gab es nur den gewöhnlichen Mescal, während in der Tienda der gute Comiteco Anejo zu haben war.
Ambrosio hatte gleich drei Mädchen zur Seite, die ihm beim Trinken halfen, um die Zeche zu vergrößern. Ambrosio freilich wusste nicht, dass die Mädchen nur Zuckerwasser tranken. Darum war er sehr erstaunt, dass sie ihn so leicht und rasch unter den Tisch zu trinken vermochten.
Unter den Tisch ist nicht ganz richtig, weil es keinen Tisch gab. Ambrosio saß auf einem Brett, das auf der Erde lag und das hier überall, in allen Hütten, genannt wurde: la Silla, der Stuhl. Von diesem Stuhl begann Ambrosio herunterzurutschen, weil er ihn nicht mehr genau sehen konnte, denn seine Augen blinzelten immer trüber und verschleierter.
Aber er behielt doch Bewusstsein genug, dass er auf eine Wette eingehen konnte, die von den Mädchen vorgeschlagen worden war, um ihn beim Trinken zu halten. Er sollte raten, welches der Mädchen oben an den Hüften die dicksten Beine habe. Er wettete eine volle Flasche Aguardiente, dass er richtig raten könne. Darauf griff er jedem der drei Mädchen unter den Rock, um festzustellen, ob er gewonnen oder verloren habe. Die Mädchen saßen gleichfalls jedes auf einem solchen Stuhl, wie Ambrosio einen hatte. Sie trugen nichts weiter unter dem Rock als ein kurzes Hemd. Darum ging es bei der Wette recht lustig und kreischend zu. Er verlor die Wette natürlich, weil er längst die Fähigkeit für eine richtige Abschätzung verloren hatte.
Bei dieser einen Wette und bei dem einen Raten blieb es nicht. Die Mädchen besaßen ein sehr reichhaltiges Programm für die Vorstellung. »Später komme ich dich abholen, Chula«, sagte Ambrosio zu der Fettesten.
»Como no, warum nicht? Wie ist es mit dem Silber, Caballero?«
»Sorge dich nur darum nicht. Mi jefe - Don Remigio ist mein Jefe, das weißt du ja - gibt mir so viel Vorschuss, wie ich haben will. Der kann ohne mich nicht einen Schlag Arbeit tun. Wenn ich nicht hier wäre, er würde nicht einen einzigen Mann vor die Bäume bringen!«
»Was für ein gewaltiger Mann du bist!« Das Mädchen sagte es ironisch, aber Ambrosio nahm es auf, als wäre es Bewunderung.
»Du und ich, das merke dir nur, wir können noch ganz andere und bessere Dinge tun. Wenn ich will, kann ich morgen Contratista sein, und ich verdiene montanes de dinero, Berge von Geld. Da nehme ich dich mit, kannst mit mir wohnen, solange du willst. Wenn die Comerciantes kommen, dann sag nur, was du haben willst, und ich kaufe es dir geradeso wie das hier.« Er schnippte mit den Fingern, um anzudeuten, dass die gesamte Ware der arabischen Händler, die herkamen, von ihm gekauft werden könne, leichter als eine Flasche Aguardiente.
»Darüber sprechen wir, Hombre, wenn du erst einmal Contratista bist.« Sie rückte ein wenig von im fort und schob ihm eine ihrer Kolleginnen zu.
Ambrosio merkte nicht, dass eine andere sich an seine Seite, dicht an seine Beine gepresst hatte. Er redete weiter, ohne sich stören zu lassen, und versprach dieser, dass er sie nach Balun Canan mitnehmen werde, wo sie einmal sehen könne, wie er es verstehe, mit wirklichen Damen umzugehen.
Hier, in diesem gottverfluchten Camp, gebe es nicht eine einzige Dame. »Alle sind nur Huren hier, ganz gewöhnliche Tequila-Putas!« schrie er plötzlich, während er sich taumelnd aufzurichten begann.
»Nichts anderes seid ihr alle hier als ganz gewöhnliche Huren und Frauenzimmer von der Straße.
Auch die beiden alten verfuckten Schunzen, die der Administrador in seinem verdammten und verstänkerten Bungalow hat, sind nur ganz gewöhnliche Straßenhuren, die ich von Tuxla her sehr genau kenne.«
Jetzt mischte sich der Wirt ein: »Halt's Maul, verflucht noch mal. Wenn der Administrador dich hört, legt er mir Feuer an meine Bude und brennt sie ab und jagt mich zur Hölle.«
»Der? Der Hurenknecht? Er soll mir einmal hier herkommen. Ich werde ihm schon etwas sagen. Ich gehe überhaupt jetzt gleich einmal zu ihm hinüber und sage ihm ganz dreist ins Gesicht hinein, dass er nur Huren da hat.« Ambrosio ruderte mit seinen Armen umher. Dann grölte er, als ob er singen wollte.
Er schüttelte seinen Kopf, wischte sich mit den flachen Händen über das Gesicht und schrie: »He, Chula, Teufel noch mal, wo steckst du denn?«
»Geh zu ihm!“ kommandierte der Wirt dem Mädchen, mit dem sich Ambrosio zuerst eingelassen hatte. Flüsternd fügte der Wirt hinzu: »Geh zu ihm, tätschele ihn etwas an den Beinen herum und bringe ihn hinaus. Der Administrador kommt mir auf das Fell. Sage ihm, dass du dich mit ihm hinlegen willst. Vielleicht kriegst du ihn raus. Dann setzt du ihn ab, wo du ihn loswerden kannst.«
Ambrosio war, wenn auch schwerfällig, willens, ihr zu folgen. Aber kaum hatte er die Hütte verlassen und war in die Sonne gekommen, als er lang hinfiel. Der Wirt zerrte ihn mit Hilfe der Mädchen in den Schatten eines Baumes und ließ ihn dort liegen. In diesem Augenblick schrie Don Remigio von der Tienda aus über den Platz hinweg: »Ambrosio! Ambrosio!«
Als er nach mehrmaligem Rufen keine Antwort bekam, brüllte er in voller Wut: »Du verfuckter Hurensohn von einem versoffenen Lepero, wo hurst du denn eigentlich schon wieder herum? Komm hierher, verflucht noch mal!«
Ambrosio war gerade jetzt nicht in der Lage, irgend etwas zu hören, noch viel weniger war er fähig, auf seinen Beinen zu stehen.
Don Remigio, wütend wie ein aus dem Schlaf gescheuchtes Nashorn, lief kreuz und quer über den Platz, seinen Capataz zu suchen.
Ein Mädchen kam auf Don Remigio zugeschwänzelt, lächelte ihn an und sagte: »Caballero, wie wäre es denn mit uns beiden für heute Nacht?«
Don Remigio blökte sie an - »Geh zur Hölle, Hundetochter. Ich habe andere Sorgen jetzt.«
»Wen suchen Sie denn, Senor Contratista?« fragte das Mädchen, ohne sich das geringste aus seiner verärgerten Antwort zu machen.
»Sei ich doch verdammt in Himmel und Hölle, ich suche diesen versoffenen Parandero und Herumtreiber, meinen Capataz.“
»Wie heißt er denn?«
»Ambrosio. Verflucht noch mal, ich sollte ihn Amurschio nennen, den elenden Faulenzer.«
Das Mädchen wusste sofort wer gemeint war. Und da Ambrosio nicht mit ihr gezecht hatte, sondern mit anderen Mädchen, denen sie nicht wohlgesinnt war und mit denen sie ewig im Streit lag, so tat es ihr wohl, zu sagen. »Ach den suchen Sie, Senor. Da brauchen Sie nicht weit zu gehen. Gehen Sie nur da dreißig Schritte, da finden Sie ihn hinter einem Stamm liegen. Ein Schwein kann nicht so besoffen sein, wie er es ist. Sie werden Ihre Freude haben, Senor.« Dann kümmerte sie sich nicht weiter um den Caballero.
»Rosita war bezaubernd schön, doch hatte sie drei Gören«, trällerte sie vor sich hin und ging zu einer der Hütten, wo sie wusste, dass da augenblicklich einige Arrieros, Muletreiber, bei den Karten saßen und vor ihnen eine Flasche Aguardiente. Sie würde bei weitem lieber mit dem Contratista den Nachmittag, den Abend und die Nacht verbracht haben. »Aber wenn man Früchte essen will und man kann keine Mangos haben, dann muss man sich eben mit Bananen begnügen«, tröstete sie sich mit einem Schulterzucken. Dann lachte sie für sich leicht auf, weil sie, ohne es eigentlich zu wollen, mit Mangos und Bananen einen Vergleich gebildet hatte, der immer anzüglich aufgenommen wird, wenn man ihn im entsprechenden Tonfall oder mit schiefgezogenem Grinsen erwähnt.
Â
Don Remigio ging in der Richtung, die ihm von dem Mädchen angedeutet worden war. Und da fand er seinen Capataz, ausgestreckt auf dem Erdboden und mit einem Gesicht, das mit seiner tiefroten Farbe und wulstigen Aufgedunsenheit den Eindruck erweckte, als ob es im nächsten Augenblick explodieren würde. Der Bursche stöhnte in seinem verduselten Schlaf wie ein Schwerkranker.
Nachhaltig und heftig betrunken zu sein von diesem Aguardiente, gewonnen aus dem Maguey oder dem Mescal oder aus Zuckerrohr und vielleicht gar noch diese drei Arten untereinander gemischt, ist ein Rausch, der kaum seinesgleichen kennt. Aber von diesem Branntwein voll sein am frühen Nachmittag in einem tropischen Lande und dann noch beinahe ohne Schatten unter der brütenden Sonne lang auf dem Boden liegend - das verwandelt selbst den standfestesten Zecher in eine hilflose und bemitleidenswerte Masse.
»Du versoffenes Schwein von einem Sinverguenza, so ein schamloses und verkommenes Stück Vieh von einem Straßenräuber!« schrie Don Remigio, als er Ambrosio in dieser Verfassung sah.
Er stieß ihn erbarmungslos mit den Stiefeln in die Rippen, als wolle er ihm ein Loch in den Körper hämmern. Aber der Mann bewegte sich nicht und änderte auch nicht seine Lage. Er schien wie in einer tiefen Narkose zu sein. Ein paar Mal gluckste er, als rutschte ihm die Zunge in die Kehle hinunter.
Dann grunzte er stöhnend: »Si, jefe!«
Don Remigio stand noch einige Sekunden, dann spuckte er auf ihn, drehte sich um und sah zurück zu dem Gebäude, in dem sich die Tienda befand, aus der er soeben gekommen war.
Er wollte dorthin zurückkehren und den Tag als verloren ansehen. Langsam schlenderte er über den Platz. Nach einigen zehn Schritten blieb er stehen und blickte in eine andere Richtung. Dort sah er die Leute in Gruppen verstreut lagern. Einige lagen in der Nähe von Bäumen, andere im Schatten der Hütten. Mehrere schliefen, andere saßen beieinander und schwatzten. Wieder andere rührten in ihren Fruchtschalen Posol an mit Wasser, das sie aus dem Fluss geholt hatten.
Don Remigio ging näher auf sie zu, überzählte sie und rief: »Da fehlen ja etwa acht oder neun, wo sind denn die?«
»Runtergegangen zum Fluss, um zu baden. Sie haben blutende Füße.« Einer der Burschen rief es und stand aus Höflichkeit halb auf, als er das sagte.
»Ruf sie herauf. Und dann kommt ihr alle herüber zur Tienda.« Don Remigio ging voraus. Nach einigen Schritten drehte er sich um und rief. »Bringt eure Packen mit, damit sie euch nicht gestohlen werden. Wer weiß, wie viele Spitzbuben und Hurenhunde hier frei herumlaufen.«
Im selben Augenblick trat eine Frau aus einer der Hütten. Sie war barfuss, ihr Haar zerzaust, hatte nur einen Rock und eine schmutzige, flatternde und zerrissene Bluse an, die so weit aufstand, dass ihre Brüste oben herauslagen. Sie war keines der gefälligen Mädchen des Camps, sondern wahrscheinlich eine der vielen Frauen, die einstmals hier mit ihrem Manne lebte.
»Oiga, Senor!« rief sie, ihre Arme in die Hüften keilend und den Unterleib, der an und für sich schon aufgedunsen war, noch weiter hervorstreckend. »Hören Sie, Sie Ehrenmann, wir sind hier keine Spitzbuben und keine Banditen. Wir sind hier ehrlicher als Sie.«
»Ja, das weiß ich, und halt's Maul. Von dir, du alter Schrullenputzer, hat ja niemand etwas gewollt.
Und ich bin der letzte, der zu dir kommt.« Don Remigio hatte sich nur halb zu der Frau gedreht, als er das sagte.
Die Frau blabberte und blubberte und regte sich heftig auf, trat mit den nackten Füßen auf den Boden, drohte mit den Armen, aber Don Remigio verstand nicht ein Wort von den hunderten, die sie hinter ihm herschrie.
»Wer ist denn die alte Kuh, die da blökte?« fragte Don Remigio den Verkäufer in der Tienda, als er dort wieder anlangte.
»Das ist Dona Julia. Wie sie sonst heißt, weiß ich nicht. Sie ist etwas angeknabbert im Kopf. Ein Wirt hatte sie ursprünglich hier hergeschleppt, mit einem halben Dutzend anderer Frauen. Als sie nicht mehr viel wert war, das will sagen, als sie dem Wirt keine Kundschaft mehr brachte, fand sich ein Canoeführer, der ihr gefiel und mit dem sie dann in Tres Champas lebte. Der Mann schlug eines Tages um mit dem Canoe und ertrank. Mit einer Familie ist sie dann hierher zurückgekommen. Sie ist erst acht Wochen in unserm Camp. Das ist der Grund, warum Sie sie nicht kennen, Don Remigio.«
»Warum geht sie denn nicht zurück zu ihrem Pueblo, wo sie herstammt?«
»Da scheint etwas nicht ganz in Ordnung zu sein. Wenn ich recht gehört habe, hat sie da eine andere Frau aus Eifersucht erstochen. Und als die Polizei hinter ihr her war, kam es ihr sehr gelegen, dass sie mit dem Wirt in die Monterias gehen konnte.«
»Das mit dem Erstechen muss doch dann sicher drei oder vier Jahre her sein«, sagte Don Remigio, sich einen Cognac einschenkend aus der Flasche, die ihm der Gehilfe des Verkäufers auf die Ladenplatte gestellt hatte.
»Sicher vier Jahre«, bestätigte der Tendero.
»Dann ist doch genügend Gras darüber gewachsen, so dass der Vorgang längst vergeben und vergessen ist.« Don Remigio schenkte sich einen neuen ein.
»Sie scheint sich hier wohl zu fühlen. Wir glauben, sie will nicht zurück.« Nun schenkte sich der Tendero selbst ein halbes Gläschen ein.
»Wird etwas anderes noch sein, da bin ich sicher«, sagte Don Remigio. »Schämt sich vor ihrer Familie, oder ihr früherer Mann hat sich inzwischen verheiratet. Da ist das Beste, was sie tun kann, alle Welt glauben zu machen, dass sie nicht mehr existiert.«
»Ich glaube, Sie haben recht.«
»Hören Sie, Don Telesforo!« Don Remigio änderte den Ton, um damit zu sagen, dass ihn der Klatsch nicht weiter interessiere und dass er nun zu den Geschäften übergehe.
»Bueno, was ist es?«
»Meine Leute kommen. Eröffnen Sie einem jeden ein Konto für, sagen wir, fünfzig Pesos.«
»Gern, Don Remigio. Geben Sie mir nur die Namen.«
Â
Alle Burschen hatten sich inzwischen vor der Tienda versammelt. Don Remigio trat in die Tür und sprach zu ihnen. »Ich lasse euch allen ein Konto hier aufmachen. Für jeden fünfzig Pesos. Kommen auf euer Konto. Könnt kaufen, was ihr wollt oder was ihr braucht. Für die nächsten zwölf Monate kommen wir nicht mehr her zu den Oficinas. Wir bleiben draußen in der Selva, im Dschungel. Aber es wird nicht mehr als für einen Peso Aguardiente pro Mann gegeben. Dass ihr das wisst.«
Die Leute begannen beweglich zu werden und miteinander wie wild zu schnattern, um sich gegenseitig klarzumachen, was sie brauchten. Es waren besonders die Neulinge, die von den Erfahrenen, die früher schon hier gearbeitet hatten, wissen wollten, was man brauche und ob man überhaupt etwas brauche.
Als der Erfahrenste war am besten bekannt der Chamulaindianer Celso Flores, Sohn des Panchito Flores von Ishtacolcot. Celso hatte bereits zwei Jahre in den Monterias hinter sich. Auf dem dreiwöchigen Marsch durch den Dschungel hierher hatte er sich bei seinen Arbeitsgefährten infolge kameradschaftlicher Handlungen beliebt gemacht. Durch einige Schlägereien gewann er ihren Respekt. Die Neulinge verehrten ihn als ihren Lehrer und Berater, die Schwachen als ihren hilfreichen Kameraden, und alle erkannten sie ihn als ihren Führer und Sprecher an. Auch jetzt gab Celso gute Ratschläge. Und beinahe alle Ratschläge, die er gab, liefen immer auf den gleichen Satz hinaus:
»Wenn du es nicht durchaus und unter allen Umständen benötigst, kaufe nicht für einen Centavo. Je früher du deine Schulden heruntergearbeitet hast, um so eher hast du die Hoffnung, heimzugehen zu deiner Mutter oder deiner Frau. Du kennst die Hölle hier noch nicht. Aber eine Woche später wirst du schon verstehen, warum ich dir das anrate. Und nun handle, wie du willst. Was gehen mich deine krummen Sorgen an.«
Â
Don Remigio nahm seine Liste auf und rief den ersten Mann herbei. Er nannte den Namen, und der Tendero schrieb das Konto in das Buch. Gleichzeitig fragte der Gehilfe den Mann: »Was willst du denn haben?«
Sowohl die Contratistas als auch die Tenderos waren daran gewöhnt, dass bei dieser Kontoeröffnung jeder Mann das gesamte Konto in der angebotenen Höhe, in diesem Falle fünfzig Pesos, in anderen Fällen siebzig oder hundert Pesos, in Waren auskaufte. Diese Konten wurden nicht eröffnet und mit so generöser Geste angeboten, um den indianischen Arbeitern eine Freude zu machen oder gar um ihnen eine Wohltat zu erweisen. Freude, Geschenke und Wohltaten waren Dinge, die vielleicht beim Anwerben als Köder gebraucht wurden, aber erst einmal hier im Dschungel, kannte niemand mehr diese Worte, viel weniger deren Bedeutung.
Die Konten wurden eröffnet zum Wohl der Company und zur Freude der Contratistas. Je größer das Konto, je länger hatten die Leute hier zu arbeiten. Sie wurden nur dann frei, wenn alle Schulden, die der Agent für den geworbenen Mann bezahlt hatte, alle Vorschüsse, Vertragsstempelsteuern und Provisionen für den Agenten abverdient worden waren. Solange die Konten nicht abverdient waren, wurde ein Arbeiter, der etwa weglaufen sollte, von den Behörden wieder eingefangen und als Deserteur in das Camp zurückgebracht. Die gesamten Kosten des Einfangens und Herbringens wurden dem Flüchtigen auf das Konto gesetzt. Für sein Fortlaufen erhielt er besondere Strafen, die, je nach der Laune des Contratistas bis zu fünfhundert Peitschenhieben oder gar tausend, auf mehrere Wochen verteilt, über den Mann verhängt wurden. Selbst der Versuch des Fortlaufens wurde hart genug bestraft.
Je größer das Konto, das heruntergearbeitet werden musste, je länger waren die Company und die Contratistas ihrer Arbeitskräfte gewiss. Aber die Company verdiente durch das Konto in doppelter Weise. Denn alle Waren, ohne eine einzige Ausnahme, die in der Tienda, im Laden der Company, verkauft wurden, waren im Preise fünffach, achtfach oder gar zehnfach höher als in dem nächsten bewohnten Ort. Nur die Tienda der Company hatte das Recht, an die Arbeiter zu verkaufen; und alle Arbeiter waren verpflichtet, nur in der Tienda der Company zu kaufen. Es kamen freilich auch unabhängige Händler in die Monterias, meist Araber. Aber diese Händler durften ohne Erlaubnis der Company nichts auf dem Gelände der Company verkaufen oder nur solche Kleinigkeiten und unwesentliche Gegenstände, die von der Tienda ihres zu geringen Wertes wegen nicht geführt wurden.
Dazu gehörten kleine Handspiegelchen mit einem Heiligen oder der Heiligen Jungfrau auf der Rückseite, Einsteckkämme für Frauen, Glasperlen, Fingerringe mit großen Glasdiamanten, Ohrringe der schundhaftesten Sorte, Seidenbänder aus billigster Kunstseide, Knöpfe, Zwirn. Natürlich führten die Händler auch wertvollere Waren von derselben oder gar besseren Art und für geringere Preise, als sie in der Tienda zu haben waren. Und es waren diese Waren, um die der eigentliche Kampf ging.
Hierzu gehörten Hosen, Hemden, Basthüte, Sandalen, rohes Leder, Kleider, Wollbänder für Gürtel und für das Haar, Baumwollstoffe, Atlasstoffe, bedruckter Kattun, Kalikostoffe, billige Seidenstoffe, Moskitonetze oder Stoffe zur Anfertigung dieser Netze, Zigaretten, Tabak und vor allem Aguardiente.
Guter Comiteco Anejo, Cognac und Whisky, den die Tiendas führten, wurde nur von den Verwaltern und Angestellten gekauft und war nur in wenigen Flaschen vorhanden. Er war zu teuer, und sowohl die Verwalter, die Angestellten als auch die Contratistas und Agenten zogen oft, wenn sie hier einige Tage verbrachten, eine bessere Sorte des Comiteco vor, die um ein vieles billiger als Cognac und Whisky war und meist nur ein
Fünftel des Preises für Cognac kostete. Diese Sorte reiste unter dem Namen Habanero zuweilen Cognac Mexicano.
Handel und Gewerbe waren frei in der Republik. Aber niemand hatte das Recht, auf dem Gelände eines anderen, das er weder gekauft noch gepachtet oder gemietet hatte, seinen Laden aufzumachen oder seine Ware auszulegen. Wohin auch immer die Händler kamen, sie waren stets auf dem Gelände einer Monteria, wo die Company, die Besitzerin der Konzession, Hoheitsrecht besaß.
Oft freilich war die eine oder die andere Tienda knapp versorgt mit Waren oder wenigstens mit bestimmten Waren. Dann erhielten die Arbeiter die Erlaubnis, diese Waren von einem unabhängigen Händler zu kaufen, falls gerade einer kam. Niemand im Camp aber hatte bares Geld, oder wenn, dann nur ganz wenig. Es brauchte auch niemand Geld; denn jeder, der hier lebte, bezog von der Tienda auf Konto. Es wurden ferner von der Company Wertmarken gleichfalls auf Konto ausgegeben. Wer nun von einem Händler kaufen wollte, konnte nur mit Wertmarken der Company bezahlen. Es waren auch nur diese Wertmarken, die als Geld im Camp im Umlauf waren, womit also gespielt, in den wilden Schenken der Aguardiente gekauft wurde und womit man den gefälligen Frauen Geschenke in bar machte.
Der Wert dieser Marken wurde von der Company bestimmt, in der Weise, dass die Company für vierzig Pesos in Wertmarken fünfzig Pesos oder gar sechzig Pesos auf das Konto schrieb. Niemand kann Geld umsonst ausborgen. Der Händler konnte mit diesen Wertmarken in seinem Heimatorte nichts anfangen; denn dort hatten sie keinen Wert. Er musste sie also vor seiner Abreise beim Cajero, dem Kassierer der Company, hier im Camp einlösen. Geld erhielt er nicht, weil ja nur wenig bares Geld da war. Er erhielt einen Scheck, der bei der Bank in Jovel oder San Juan Bautista gegen Geld eingelöst wurde. Aber wenn die Company von dem Händler die Wertmarken gegen einen
Scheck zurückkaufte, so bestimmte wieder die Company oder der Cajero den Einlösungswert, der oft um fünf oder zehn Prozent niedriger war als der ursprüngliche Ausgabewert. Gewöhnlich verständigten sich der Händler und der Cajero vorher über dieses Geschäft. Alle diese Gewinne, Zinsen und Einlösungsdifferenzen stammten natürlich aus den Taschen der Arbeiter; denn die waren ja die einzigen, die kauften, und zugleich die einzigen, die hier die verkäuflichen Handelswerte schufen.
Niemand sonst produzierte irgend etwas. Alle lebten von dem Unterschied zwischen den beiden Preisen, dem, den der Arbeiter für das Fällen und Transportieren der Caoba erhielt, und dem, den die Company in den Häfen von den amerikanischen und englischen Mahagoniaufkäufern erhielt.
Wenn die Arbeiter sich die Schlussrechnung ihrer Käufe im Camp betrachteten, so fanden sie heraus, dass sie bei den unabhängigen Händlern um nichts billiger und selten besser gekauft hatten als in der Tienda. Wenn ein Unterschied überhaupt sichtbar war, so betrug er nur wenige Centavos. Aber es wurde den Arbeitern durch den scheinbar freien Kauf bei den Händlern die Idee gegeben, dass sie in ihren Käufen unabhängig seien und einen Einfluss auf die Gestaltung der Preise hätten, weil sie ja, scheinbar, nach Belieben in der Tienda oder bei einem anwesenden unabhängigen Händler kaufen konnten.
Oft kaufte die Tienda einem ankommenden Händler alle Waren, die er mit sich führte, im Ramsch ab.
Die Tienda machte den Preis. Sie ließ zwar dem Händler für seinen drei oder vier Wochen langen Marsch und für seine Ausgaben für Packtiere und Muletreiber einen reichlichen Profit. Aber die Company bekam dadurch die Waren dennoch viel billiger, als wenn sie ihre eigenen Karawanen ausschickte. Denn sie trug kein Risiko für den Verlust von Packtieren und Waren auf dem Marsch.
Der Händler konnte mit dem Aufkäufer der Company, dem Tendero, über den Schlusspreis verhandeln und versuchen, den besten Preis herauszuschlagen. Kam keine Einigung zuwege, dann diktierte der Tendero einfach den Übernahmepreis. Nahm der Händler den Preis nicht an, so wurde ihm keine Erlaubnis gegeben, seine Waren auszulegen. Er musste mit ihnen zwei, drei oder fünf Tage weiter durch den Dschungel marschieren, bis zur nächsten Monteria, wo ihm vielleicht gar noch weniger geboten wurde. Es konnte geschehen, dass der Mann mit seiner ganzen Karawane und seiner gesamten Ware die vier Wochen zu seinem Anreiseort zurückmarschieren musste, ohne auch nur eine Stecknadel verkauft zu haben. Durch den doppelten Transport war die Ware nun so teuer, dass, ganz gleich wie günstig er sie auch in der Stadt verkaufen mochte, er immer verlor. So war es wohl zu erklären, warum ein Händler es nie ablehnte, sich auf gütlichem Wege mit der Administracion über den Preis zu verständigen, sowie auch warum ein Händler sich nie weigerte, im Großen und im Kleinen alles das zu tun, was von dem Verwalter oder dem Tendero angeordnet wurde, und warum er bereit war, sich über die Gewinne mit jedem, der hier etwas zu sagen hatte, zu einigen.
Â
Nachdem Don Remigio vier Namen aufgerufen hatte und die Burschen in die Tienda gekommen waren und hier das Konto aufgeschrieben erhielten, fand er die Arbeit zu ermüdend. Wahrscheinlich durch eine rasch auftauchende Erinnerung an das Mädchen, das ihn vor einer Viertelstunde lachend einzuladen versucht hatte, war es ihm plötzlich zur Gewissheit geworden, dass der Mensch nicht von öder Arbeit allein sein Glück erwarten könne, sondern dass er nur dann sich wohl fühle, wenn er, wäre es auch nur für zwei Stunden und vorübergehend, eine Gehilfin habe, die um ihn sei. Und weil der liebe Gott im Himmel das so beschlossen hat, so sah Don Remigio keinen Grund ein, warum er auf diese Freude verzichten solle. Die Frau, die er in seinem Semaneo, im eigentlichen Arbeitscamp in den Tiefen des Dschungels, in seiner Hütte verwahrte, Dona Javiera, war schon recht ältlich, begann schimmlig zu werden, und zuweilen war sie recht langweilig. Etwas sehr Schönes und Molliges kam ja nicht zu den Monterias; und diejenige, die einwilligte, in der Einsamkeit des Dschungels mit ihm zu leben, einen oder zwei Tage entfernt von den Oficinas Generales, war selten so, wie er sie sich wohl gewünscht hätte. Man muss nehmen, was man haben kann, und dafür den Göttern noch innig danken.
So war es - alle Umstände in Betracht gezogen - Don Remigio nicht zu verdenken, dass sich gelegentlich seine Wünsche auch auf Abwechslung richteten. Als er so plötzlich solche Gedanken in sich sehr rege aufkommen fühlte, sah er sich durch die harte Arbeit des Kontonotierens daran gehindert, die benötigte Abwechslung aufzusuchen und sich mit ihr anzufreunden.
»Das ist die Arbeit dieses verfuckten Cabrons von einem versoffenen Capataz«, rief er wütend aus und klatschte die Liste, die er hielt, auf seine Knie. »Verflucht noch mal, so muss ich hier sitzen mit der Liste wie ein lausiger Schreiberbengel, während dieser Hurenknecht in seinem süßen Dusel den ganzen lieben Nachmittag verschläft.« Er rief einen Indianer aus der Gruppe der vor der Tienda lagernden Schar an:
»He, wie heißt du denn?«
Der Bursche sprang auf und sagte: »Teofilio Palado, su humilde servidor, patroncito.«
»Gut. Nimm den Stecken, den du hast, und geh 'rüber zu dem gottverfluchten Hundeknüppel und schlag ihm die Knochen windelweich. Saufen am hellen lichten Tag, und ich habe hier die ganze gottverdammte Arbeit allein zu tun.«
»Welchen Hundeknüppel, Patroncito?« fragte der Bursche, der diese Art von Bezeichnung nicht zu kennen schien.
»Bueno, bueno. Es ist schon gut. Bleib hier. Ich werde mir den Wurm schon vornehmen. Zwei Monate Lohn ziehe ich dem Lepero ab. Saufen und in allen Ecken herumfucken, wo er einen Faden hängen sieht. Dass er doch die Pest bekäme und den spanischen Kragen noch dazu!«
Don Remigio redete sich immer mehr in Wut, um so mehr, als er jetzt wieder zwei Mädchen in der Ferne zwischen den Hütten dahinschlendern sah. Die Mädchen waren barfuss und hatten nichts weiter an als buntgeblümte, sehr dünne Kattunkleider. Sie mussten auch noch gegen die Sonne gehen, was Don Remigio ungemein ärgerte, weil er zu weit entfernt war, um dadurch einen besonderen Genuss zu haben.
»Gib die Flasche her, Muchacho«, sagte er zu dem Gehilfen. Er goss sich ein halbes Wasserglas voll Habanero ein und schüttete es mit einem Fluch die Kehle hinunter. Dann ließ er einen krächzenden Laut vernehmen, von dem man nur schwer hätte sagen können, ob er damit den harten Guss, der ihm in der Kehle brannte, hinunterpressen wollte oder ob er ein Ausdruck seines Wohlbefindens war.
Er lehnte sich zurück in den rohen Stuhl, um sich bequem zu setzen. Dabei stieß er sich den Kolben des schweren Revolvers, den er am Gürtel trug, heftig in die Hinterbacke, und er fluchte aufs neue.
»Stühle habt ihr hier«, sagte er mit boshafter Stimme, »die reine Folterklötze sind.«
Hilario, der Tendero, lachte und sagte: »Don Leobardo hat bereits Klubsessel in Mexiko City bestellt, auch einen extra für Sie, Don Remigio.«
Don Remigio schielte den Tendero an und grunzte: »Schitt, ich habe gerade jetzt keine Lust zu so dummen Witzen. Wer ist der nächste?«
Als der aufgerufene Indianer in der Tienda stand und seine Waren forderte, schien Don Remigio nach einer neuen Idee zu suchen, wie er sich von dieser langweiligen Arbeit befreien könne. Er hätte die Liste einfach dem Tendero geben und die Leute von diesem aufrufen lassen können. Aber Don Remigio traute niemand. Der Tendero würde vielleicht zwei oder drei Namen mehr aufschreiben, und Don Remigio hätte für das Konto aufkommen müssen. Die angeblich abgegebenen Waren könnte der Tendero im Camp verschachern. Es waren immer Käufer da. Besonders für geblümte Kleiderstoffe und für Seidenband.
Jedoch die Idee, die Don Remigio jetzt kam, war gut, und sie machte es für den Tendero schwierig, ihm Waren anzuschreiben, die weder er noch einer seiner Leute genommen hatte.
Er rief über die Schar hinweg: »Kann einer von der gottverfluchten Bande schreiben und lesen?«
Einige der Burschen sahen sich untereinander an. Mehrere der Indianer aber, die nicht genügend Spanisch verstanden, sondern nur ihre eigene Sprache redeten, wussten überhaupt nicht, was der Contratista wollte, und sie fragten diejenigen unter ihren Gefährten die sowohl Spanisch als auch Indianisch sprachen.
»Nichts Besonderes«, war deren Antwort.
Celso sagte halblaut zu dem neben ihm hockenden Andres: »Du kannst doch lesen und schreiben.«
»Natürlich kann ich es. Ich war ja Engargado, Karawanenführer, bei Don Laureano.«
»Recht so, dass du dich nicht meldest.« Celso nickte ihm kameradschaftlich zu. »Ich kann dir sagen, wenn sich einer meldet, schlage ich ihm am Abend die Fresse entzwei.«
Es waren vielleicht noch zwei oder drei in dieser Schar, die schreiben und lesen konnten, wenn auch nur sehr dürftig. Aber niemand meldete sich, obgleich keiner von ihnen gehört hatte, dass Celso sich den Eifrigen später genauer ansehen würde.
»Natürlich nicht«, sagte Don Remigio ärgerlich. »Wer könnte auch ein solches Glück hier haben?
Ich sicher nicht. Unter einem halben Hundert nicht ein einziger, der schreiben kann. Um so besser.
Verflucht noch mal, ich hätte doch wirklich jetzt Lust 'rüberzugehen und den gottverfluchten Hurenknecht so lange mit der Peitsche zu bearbeiten, bis er nüchtern wird. Aber damit ist mir ja auch nicht gedient. Dann streikt er mir morgen, und ich brauche das versoffene Schwein zu nötig, als dass ich mir den Luxus gestatten kann, ihm die Fetzen von den Knochen zu ziehen.«
So blieb ihm nichts anderes übrig, als hier zu sitzen, die Namen aufzurufen und die Konten zu vergleiche n. »Nie vordrängen! Mache dir das zu einem deiner wichtigsten Gesetze hier«, riet Celso dem Andres. »Man muss sich überhaupt nie vordrängen irgendwo im Leben. Nur dann, wenn es sich um deinen eigenen Pot handelt. Kriegst nie etwas dafür. Nur doppelte Arbeit und einen Tritt in den Ursch hinterher. Mich fängt niemand mehr mit süßen Reden ein und auch nicht mit schmeichelndem Lächeln auf den Lippen. Mich nicht, Manito, mein Brüderchen. Aber höre, du könntest mir helfen, schreiben und lesen zu lernen. Ich weiß schon etwas. Ich kann schon das große I schreiben, das ist nur ein Strich. Ich kann auch das große L, das ist nur ein Strich mit einem andern unten angesetzt, und das große T hat einen Strich und oben ein Dach darüber. Ich bin nicht ganz so dumm, wie du vielleicht glaubst.«
»Warum nicht? Como no? Macht mir Freude, dir das zu zeigen. Ich habe ja auch meine Mujer, meine Frau, schreiben und lesen gelehrt.«
»Wo ist denn deine Frau jetzt? Mit ihren Padres, ihren Eltern?« fragte Celso.
»Nein, sie hat keine Eltern mehr. Sie ist ganz allein in der Welt. Sie hat nur mich. Und ich bin für die Schulden meines Vaters hierher verkauft und kann gar nichts für sie tun. Nicht einmal schreiben. Ich weiß ja nicht, wo sie jetzt ist. Ich habe ihr geraten, nach Tonala zu gehen. Das ist an der Eisenbahn. Da kann sie bei einer Familie als Mädchen arbeiten. Sie heißt Sternchen, Estrellita. Das ist jetzt ihr Name.
Den Namen habe ich ihr gegeben. Als ich sie fand, da hatte sie keinen Namen. Vielleicht kommt einmal ein Bursche hierher, der von Tonala stammt, und dann kann ich vielleicht erfahren, ob sie dort angekommen ist und dort arbeitet.« Als er das erzählte, fühlte Andres in seiner Kehle ein merkwürdiges Drücken, und er spürte, dass sich seine Augen trübten. Als ihn Celso ansah, grinste er und sagte: »Weißt du, mir kommt der Schweiß in die Augen. Es ist verteufelt heiß hier, un verdadero infierno, eine Hölle.«
»Noch nicht, Brüderlein«, berichtigte Celso. »El infierno wirst du in zwei Wochen kennen, wenn wir im Semaneo sind und vor den Bäumen arbeiten. Dann hast du keine Zeit und keine Gedanken mehr für deine Estrellita, wo sie sein mag und was sie tut. Dann denkst du nur noch an dich und an nichts anderes mehr in der Welt.«
Â
In diesem Augenblick wurde Andres von dem Contratista aufgerufen, zur Tienda zu kommen und seine Einkäufe zu machen. »Fünfzig Pesos Konto, Muchacho. Bestätigt Andres Ugaldo?«
»Si, patroncito. Richtig und bestätigt. Confirmo«, antwortete Andres.
Don Remigio verlangte von einem jeden Burschen die Bestätigung, das will sagen, der Bursche musste in Anwesenheit des Tendero und anderer, die hier herumstanden, durch sein Wort beglaubigen, dass er fünfzig Pesos auf sein Konto übernommen habe. Da die Leute weder lesen noch schreiben konnten und auch nicht mit größeren Zahlen zu rechnen verstanden, so mussten sie durch ihr Wort die Richtigkeit von Schulden, Vorschüssen und Konten bestätigen. Hierbei wurden die Indianer nie betrogen; denn das wäre ungesetzlich gewesen. Die genannten Summen waren immer richtig. Die Ausbeutung und Ungerechtigkeit geschah durch eine schamlose Erhöhung der Preise. Die Erhöhung der Preise, die durchaus einem infamen Wucher gleichkam, war gesetzlich zulässig. Ein Kaufmann hat zweifellos das Recht, die Preise festzusetzen, die er für nötig hält, um auf seine Rechnung zu kommen.
Aber hier gab es keine Konkurrenz. Die Arbeiter waren gezwungen, in der Tienda zu kaufen, denn nur hier konnten sie Ware erhalten, ohne Geld in der Tasche zu haben. Die Höhe der Preise war einfach zu begründen; und kein Wuchergesetz, selbst wenn ein solches bestanden hätte, würde in diesen Fällen Änderung schaffen können. Denn auch in den Städten waren Zinsen für Kapitalien in Höhe von fünfzehn, fünfundzwanzig und vierzig Prozent durchaus zulässig. Begründet wurden die Preise mit ungemein hohen Transportkosten, mit dem Risiko von Verlusten auf den Transporten und dem Risiko von
Verlusten, wenn etwa ein Schuldner wegstarb, ohne dass man seinen Bürgen zur Bezahlung heranholen konnte.
»Was willst du haben?« fragte der Gehilfe den Indianer.
»Ein Moskitonetz brauche ich.«
»Gut. Zwölf Pesos.« Der Gehilfe zerrte das dünne Gewebe aus dem Regal, in dem die Netze verstaut waren. Es kam nicht schnell genug heraus, und ein Stück des Stoffes riss auf. Damit wurde das Netz entwertet. In irgendeinem anderen Laden würde kein Käufer dieses Netz mehr angenommen haben. Ein Loch im Moskitonetz lässt die Moskitos so leicht und in solchen Mengen hereinkommen, besonders wenn der Schläfer in Schweiß ist, dass er so gut wie ohne Netz ist. Der Riss muss gut genäht werden. Aber dann ist es ein geflicktes Netz, und jeder Käufer, der für ein neues Netz bezahlt, hat das Recht, für sein Geld ein unzerrissenes und ungeflicktes Netz zu verlangen.
Der Gehilfe sah den langen Riss. »Das macht nichts, Muchacho, das steckst du mit einer Nadel zu.«
Er schenkte Andres zwei kleine Sicherheitsnadeln.
Andres wusste, dass er als Indianer und Arbeiter gegenüber einem Ladino, einem Mexikaner, nicht recht bekommen hätte, wenn er sich geweigert haben würde, das Netz anzunehmen. So sagte er nichts.
Er war, wie alle seine Gefährten, an derartige Kleinigkeiten so gewöhnt, dass er das gar nicht beachtete und weder verärgert war noch ein schiefes Gesicht zog.
Der Gehilfe ballte das Netz zusammen und warf es Andres zu, der es auffing und unter seinen linken Arm schob.
»Un mosquitero, ein Moskitonetz, zwölf Pesos, Andres Ugaldo«, wiederholte der Tendero, während er den Posten in das Kontobuch auf die Seite schrieb, auf deren erster Linie der Name des Mannes stand.
Er schrieb mit Kopierstift. Alles wurde mit Kopierstift geschrieben, weil Tinte unter dieser Sonnenglut nicht lange flüssig blieb.
»Bestätigt, Andres Ugaldo?« fragte der Tendero.
»Si, patron, es correcto.«
Ein Moskitonetz dieser billigen Sorte kostete in der nächsten Stadt drei Pesos. An der nächsten Eisenbahnstation kostete es in einer gewöhnlichen Tienda zwei Pesos oder gar noch fünfundzwanzig Centavos weniger, und es wurde dafür in Papier eingewickelt und sauber verschnürt.
»Was sonst?« fragte der Gehilfe.
»Un petate, eine Bastmatte, muy barato, sehr billig«, verlangte Andres.
»El mas barato, das allerbilligste, das wir haben in petates, kostet drei Pesos sechzig Centavos«, sagte der Gehilfe und zündete sich eine Zigarette an.
Auf dem Samstag-Wochenmarkt in Jovel kostete eine solche Matte vierzig Centavos. Sie war dick, roh, aus dem gewöhnlichsten Bast geflochten und ohne irgendeine der bunten Verzierungen, die von den indianischen Mattenflechtern hineingewoben werden.
Andres kannte die Preise recht gut, wie er auch die wahren Preise für diese Art der Moskitonetze und der meisten Waren kannte, die hier verkauft wurden. Er war Jahre hindurch Carretero gewesen, hatte in den Karawanen für Zehntausende von Pesos Waren von der Eisenbahnstation zweihundert und dreihundert Kilometer weit auf elenden und gottvergessenen Landwegen in das Innere des weiten Staates transportiert, alle Märkte besucht, die er auf seinen Wegen antraf, und dadurch eine reiche Kenntnis nicht nur von Preisen, sondern auch von der Qualität und Brauchbarkeit aller nur denkbaren Waren gewonnen.
»Die Matte ist aber sehr teuer«, sagte er, um seine Pesos kämpfend, die er noch gar nicht verdient hatte.
Der Tendero blickte von dem Kontobuch auf und sah sich den Mann an, der hier zu sprechen wagte.
In allen Monterias und in allen Tiendas der Monterias wurde es als schwere Majestätsbeleidigung betrachtet wenn ein indianischer Arbeiter den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, was wie eine eigene Meinung klingen konnte. Es war nicht nur so in den Monterias, sondern in der ganzen weiten Republik unter der Diktatur, dass kein Arbeiter, weder in Fabriken noch auf den Gütern und erst recht nicht in den Kaffeeplantagen, Zuckerpflanzungen und Chiclewäldern ein Wort äußern durfte, ohne darum gefragt worden zu sein. Er hatte die Meinung auch des ungewaschensten seiner Vorgesetzten ohne Widerspruch und mit derselben Andacht und Demut hinzunehmen wie eine Predigt in der Kirche.
Der Tendero schien aber in guter Laune zu sein, oder er wollte sich nicht aufregen, weil er vielleicht für den Abend andere Aufregungen erwartete.
Nachdem er Andres einige Sekunden verwundert angeblickt hatte, sah er hinüber zu Don Remigio, der sich inzwischen wieder einen heftigen Habanero eingeschenkt hatte und offenbar wenig Notiz nahm von dem, was hier vorging.
Der Tendero lachte kurz auf und wollte wahrscheinlich den Widerspruch Andres' für einen Witz gebrauchen. Aber als er bemerkte, dass Don Remigio in eine andere Richtung über den Platz sah, wo abermals buntgeblümte Kattunröcke um nackte Bäuche schlenkerten, beschloss er, sich den Witz für eine andere Gelegenheit aufzubewahren. Gute Witze sind in den Monterias kostbare, vielbegehrte und vielgeraubte Güter, und Hilario wollte den Witz, den er sich ausgedacht hatte und von dem er glaubte, er sei gut, nicht verschwenden.
Darum sagte er nur: »Sieh doch mal an, was für einen klugen Mann wir hier vor uns haben. Zu teuer für dich. Ich werde mich auf meinen Hintern setzen und für dich eine besondere Matte flechten, für fünf Centavos. Willst du denn nicht, dass ich dir auch noch ein Paar wollene Strümpfe stricke mit Bommeln dran?«
»Nein, das verlange ich nicht Senor«, erwiderte darauf Andres in einem Ton, als ob er das in seiner Dummheit daherspreche. Aber andere Burschen, die nahe standen, begriffen den Hohn, der in den Worten Andres' lag, und lachten laut auf.
Das brachte den Tendero jetzt in Wut, und er brüllte Andres an: »Chingate tu madre, du gottverfluchter Cabron und Sohn einer stinkenden Hündin, wenn dir die Matte zu teuer ist, dann schitt dir eine aus deinem stinkigen Hintern heraus, wenn du sie so billiger haben kannst.«
»Was ist denn da los, Kreuz und Hölle noch mal?« rief Don Remigio. »Zu allen Teufeln und Heiligen, Don Hilario, tun Sie mir, bei Gott dem Allmächtigen, doch endlich den Gefallen, und beeilen Sie sich mit den Muchachos hier. Ich bin es wahrhaftig müde, hier auf meinem alten Ursch zu sitzen und die Namen herunterzubeten wie einen albernen Rosenkranz, verflucht noch mal. Schwung dahinter, oder ich ziehe mit meinen Burschen ab, ohne Konto zu nehmen.«
»A sus ordenes, Don Remigio, bin zu Ihren geschätzten Befehlen«, sagte der Tendero jetzt eingeschüchtert. Sich mit einem Contratista zu verzanken, das konnte er sich nicht erlauben. Er würde eine jämmerliche Abreibung über sich ergehen lassen müssen, wenn Don Remigio abmarschieren würde, ohne Waren auf Konto zu nehmen, und der Verwalter das erführe.
Weniger heftig als zuvor, sagte er nun zu Andres: »Wenn dir der Petate zu teuer ist, dann musst du freilich versuchen, ohne ihn auszukommen. Wir haben keinen, der billiger ist.«
»Gut, geben Sie mir ihn, Jefe, ich muss einen haben.«
»Un petate, drei Pesos sechzig Centavos, Andres Ugaldo.
Bestätigt, Muchacho?« »Correcto, senor.«
»Was weiter?« fragte der Gehilfe, nachdem er Andres angewiesen hatte, sich eine der Matten zu nehmen, die in einer Ecke aufgerollt standen.
»Drei Puppen Tabak«, forderte Andres.
»Nimm sechs, Muchacho«, mischte sich Don Remigio ein, »wahrscheinlich kommst du vor acht oder zehn Monaten nicht wieder hierher, wenn wir erst einmal tief drin sind.«
»Gut, dann sechs«, sagte Andres. »Oder geben Sie mir acht.«
»Verflucht noch mal!« rief nun der Gehilfe. »Willst du sechs oder acht? Sag, was du willst.« »Acht.«
»Du, Andres, oye, höre«, rief Celso ihm zu, »die schimmeln dir, wenn du so viele nimmst.«
»Halt dein dreckiges Maul, du da!« schrie der Tendero hinüber zu Celso. Und während er das Konto aufschrieb, las er: »Neun sechzig, jede Puppe eins zwanzig. Bestätigt?«
»Cierto, senor«, erwiderte Andres.
»Was mehr?« fragte der Gehilfe, Andres die Tabakpuppen von einem Winkel aus zuwerfend.
»Nada mas, nichts weiter«, antwortete Andres und schickte sich an, die Tienda zu verlassen.
»Wie viel hat er denn?«
Don Remigio sah auf.
Don Hilario zählte zusammen und sagte: »Fünfundzwanzig zwanzig.«
»Kannst doch fünfundzwanzig mehr nehmen, Muchacho«, rief Don Remigio.
»Gracias, patroncito, muchas gracias, vielen Dank, aber ich brauche nichts weiter.«
»Kein Hemd, keine Hose?« fragte Don Remigio misstrauisch.
Andres war nackt am Oberkörper wie alle Burschen. Sie alle hatten ihre schweren Packen auf dem Rücken zu tragen und wollten ihre Hemden schonen, die sonst auf dem Marsch durchgescheuert worden wären.
»Ich habe meine Hemden im Packen, Patron.«
»Deine Hose ist aber ganz zerlumpt. Nicht ein Stück heil.«
»Ich habe eine andere Hose im Pack, Patroncito, mit Ihrer sehr gütigen Erlaubnis«, sagte Andres mit bescheidener Stimme.
»Ganz wie du willst, Muchacho«, sagte Don Remigio. »Der nächste. Gregorio Valle von Bujvilum.«
Und zu dem Tendero gewendet, fügte er hinzu: »Den hat mir Don Gabriel eingefangen. Don Gabriel, wissen Sie, war früher Secretario municipal in Bujvilum. Sehr dick mit Don Casimiro, dem Jefe Politico da oben. jetzt ist er Socio, Geschäftsteilhaber des Don Ramon. Er ist, den Don Gabriel meine ich, ein gottverfluchter Schurke. Ich würde nicht allein mit ihm durch den Dschungel reisen.«
»Kenne ihn nicht«, erwiderte Don Hilario, »aber was ich über ihn gehört habe, ist nicht vom Besten, sondern vom übelsten.« Sich an Gregorio wendend, fragte er: »Was willst du haben?«
»Nada«, sagte Gregorio kurz und ein wenig störrisch.
»Nichts?« wiederholte der Tendero.
Und »Nichts?« fragte auch gleichzeitig und mit einem verwunderten Tonfall Don Remigio.
»Nein, nichts«, sagte noch einmal Gregorio. »Ich will die Geldstrafe abarbeiten, die mir Don Gabriel auferlegte für einen Händel, den ich hatte, und dann will ich heim zu meiner Frau und meinen Kindern.«
»Kannst doch aber hier für fünfzig Pesos Waren auf das Konto nehmen«, erinnerte ihn Don Remigio.
»Das weiß ich, Patroncito; aber dann muss ich um so viele
Monate länger hier bleiben, um die neue Schuld abzuverdienen, und meine Frau und meine Kinder warten auf mich.«
Don Remigio grunzte vor sich hin, zuckte dann die Schultern und sagte zu Don Hilario: »Wenn er nichts nehmen will, gut, was kümmert mich das?«
Er wollte den nächsten aufrufen, als Gregorio mit etwas zögernder Stimme sagte: »Ich werde sechs Puppen Tabak nehmen.«
Er hatte die acht Puppen Tabak im Arm Andres' gesehen, und als er beim Eintreten in die Tienda an ihm vorbeistreifte, war ihm der würzige Duft des frischen, reinen, ungebeizten Tabaks um die Nase geweht. Das erregte nun sein Verlangen nach Tabak. Es wurden ihm die verlangten sechs Puppen ausgehändigt, er bestätigte den Betrag, und als er nochmals gefragt wurde, ob er denn nichts weiter benötige, sagte er entschieden: »No, patron, gracias.«
»Celso Flores«, rief Don Remigio nun auf.
Und »Celso Flores«, wiederholte Don Hilario, den Namen ins Kontobuch schreibend.
Celso trat vor die Ladenplatte, und ohne gefragt zu werden, polterte er heraus: »Sechs Puppen Tabak.«
Als er sie genommen und den Betrag bestätigt hatte, drehte er sich kurz um und wollte die Tienda verlassen.
»He, du!« rief ihn Don Remigio an. »Ist das alles, was du nimmst?«
»Alles, Patroncito«, sagte Celso und trat hinaus zu seinen Genossen. Don Remigio stand mit einem Ruck auf und sah den Tendero an.
»Was ist denn das? Was ist denn hier los?« fragte er aufgeregt. »Lassen Sie mal sehen.« Er zog das Buch zu sich heran, drehte es um, so dass er die Konten lesen konnte und blätterte alle die Seiten zurück, auf denen die neuen Konten aufgeschrieben waren. Er überflog die Konten und sagte dann zu Don Hilario: »Das ist aber -, nicht einer hat für mehr als dreißig Pesos genommen.«
»Stimmt!« erwiderte der Tendero. »Gewöhnlich reichen die fünfzig Pesos Konto nicht aus, und wir gehen oft bis achtzig hinauf, um jedem das zu geben, was er verlangt.“
Don Remigio blieb an der Ladenplatte stehen, warf einen Blick auf die Liste und rief den nächsten auf.
»Was willst du denn nehmen?« fragte er ihn gleich beim Eintreten. »Vielleicht gar nur drei Puppen Tabak?«
»Mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Patron, ich möchte vier haben«, sagte der Bursche, seinen Kopf demütig zwischen die Schultern steckend.
»Und sonst nichts weiter? Ist das richtig, Sohn einer verfuckten Hure?« fragte Don Remigio, höhnisch die Zähne fletschend.
»Con su muy amable permiso, patroncito, mit Ihrer sehr wohlwollenden Erlaubnis, das ist richtig, ich will nichts weiter haben als vier Puppen Tabak«, erwiderte der Indianer.
»Und nur Lumpen auf dem dreckigen Ursch«, schrie Don Remigio erbost. »In deinem Packen hast du doch nicht einen einzigen stinkigen Fetzen. Das weiß ich.«
»Wenn Sie mir gütigst ein Wort gestatten wollen, Patroncito, ich habe aber in meinem Packen ein Moskitonetz und eine noch gute Matte. Und Hemden oder Hosen brauche ich nicht im Semaneo. Ich arbeite nackt.«
Don Remigio holte aus und wischte ihm eins quer über das Gesicht.
Der Bursche stand für eine Weile stockstill; und als er sah, dass der Contratista wieder im Buche blätterte und ihm keinen weiteren Hieb zu verabreichen gedachte, wandte er sich um, presste seine vier Puppen Tabak unter den Arm und ging hinaus, wo er sich zwischen die lagernden Leute schlängelnd verkrümelte.
Als auch der nächste nur drei Puppen Tabak verlangte und nichts weiter, brauste Don Remigio auf:
»Por la Madre Santisima y por Jesu Cristo, das ist Meuterei! Hier ist ja die Meuterei in vollem Gange!«
»Regen Sie sich doch nicht so sehr auf«. beruhigte ihn der Tendero. »Das ist nichts Neues, Don Remigio. Es kommt doch häufig vor, dass die Leute, wenn sie hier ankommen, nichts kaufen, weil sie von der Feria in Hucutsin genügend mitbringen.«
»Ich weiß nicht.«, sagte darauf Don Remigio, nachdenklich werdend, »das mag sein. Mag sein. Ist vorgekommen. Aber in diesem Falle ist etwas nicht in Ordnung. Wo ist denn dieser gottverfluchte Hurensohn von einem Capataz? Der würde sie sich schon vornehmen, dass sie es vergessen, hier Worte zu machen. Aber besoffen ist das Schwein und liegt in seinem eigenen Schitt und wälzt sich herum mit den verfluchten Hurenweibern.«
»Der nächste? Wie heißt du denn?« Don Remigio hatte ganz vergessen, in die Liste zu sehen und nach der Liste aufzurufen. Er zerrte einfach den ihm am nächsten Stehenden heran und fragte nach dem Namen. »Santiago Rocha, su humilde servidor, patroncito«, sagte der Bursche und ging in die Tienda.
Don Remigio fand seine Ruhe wieder, als er hörte, dass Santiago nicht nur sechs Puppen Tabak nahm, sondern außer einem Moskitonetz auch noch soviel andere Sachen einkaufte, dass er sehr nahe an die fünfzig Pesos kam, die jedem zugebilligt waren.
»Wie hoch ist denn dein Konto überhaupt bei mir?« fragte Don Remigio plötzlich.
»Ich habe nur die fünfzig Pesos Konto, die Don Ramon für den Enganche, die Anwerbung, berechnet. Ich bin auf dem Wege mit in den Trupp gekommen.«
»Keinen Kontrakt dann mit der Behörde in Hucutsin?«
»Nein, Patroncito. Aber jetzt habe ich beinahe schon hundert Pesos auf meinem Konto.«
»Bueno, gut, mache dich hier 'raus aus der Tienda und lass den nächsten antreten.« Don Remigio rief einen neuen Namen auf.
Santiago Rocha, der wie auch Andres Carretero war, befand sich unter den angeworbenen Arbeitern, weil er fliehen musste, nachdem er den Verführer seiner Frau, einen Tiendabesitzer in Cintalapa, mit einer Aguardienteflasche erschlagen hatte. Auf seiner Flucht war er auf den Trupp der angeworbenen Caobaleute gestoßen und hatte sich unter sie gemischt, um mit ihnen in die Gebiete der Monterias zu gelangen, wo ihn kein Polizist je suchen würde. Und weil er auf seiner rasch beschlossenen Flucht nicht viel hatte mit sich schleppen können, war er nun gezwungen, das einzukaufen, was er am nötigsten brauchte. Mit diesen Gründen entschuldigte er sich bei Celso, der allen geraten hatte, so wenig wie möglich auf ihr Konto zu nehmen, und er glaubte nun, dass Celso ihm der vielen Einkäufe wegen vielleicht ein grimmiges Gesicht machen würde.
Jedoch Celso verstand und sagte, es sei gut so und er mache ihm keinen Vorwurf. »Es ist überhaupt gut, dass du mehr nahmst als die übrigen«, fügte er hinzu, »el Patron würde sonst gar zu leicht gemerkt haben, dass wir hier etwas unter uns abgemacht haben, und es ist besser, wenn er nichts merkt.«
Â
Als endlich alle Einkäufe vorüber waren, sagte Don Remigio zum Tendero: »Lassen Sie mich das Kontobuch einmal sehen.«
Der Tendero drehte das Buch so herum, dass es vor Don Remigio lag. Der Contratista blätterte darin herum und schüttelte den Kopf. Während er das Buch dann wieder zurückdrehte, zuckte er mit den Schultern und setzte eine gedankenvolle Miene auf.
Darauf sagte der Tendero. »Ja, ich finde es auch merkwürdig, es ist niemals in einem neuen Kontrakt so wenig auf Konto gekauft worden. Ob da vielleicht etwas nicht stimmt? Wie denken Sie darüber, Don Remigio?«
»Was soll denn da nicht stimmen, möchte ich wissen?« erwiderte der Contratista. Aber in seinen Worten klang ein Ton von Ungewissheit mit, den Don Hilario, der Tendero, sehr richtig auslegte; denn er meinte: »Ich denke nicht, dass man Sorge zu haben braucht, die Muchachos sind willig und geduldig, und wenn sie gelegentlich ihren Aguardiente haben und sich hin und wieder einmal gut voll gießen können, sind sie zufrieden wie die Engel im Himmel..“
»Das ist es eben, Don Hilario, was mich auf die Sache gebracht hat. Die haben kaum irgendwelchen Aguardiente genommen. Es ist nicht der Rede wert. Sonst, wenn ich einen neuen Kontrakt brachte, konnten sie nie genug Branntwein kriegen. Am liebsten hätten sie ganze Fässer voll mit in den Dschungel geschleppt. Schenken Sie mir mal einen kräftigen ein! Nein, nicht das Fingerhütchen, Dios mio, geben Sie mir das Wasserglas voll. Lohnt sich ja nicht die Mühe, den Teelöffel voll überhaupt aufzuheben.«
Don Remigio schwenkte die Ladung ein, grunzte, schüttelte sich, trat halb hinaus aus der Tienda und stand da, nachdenklich über die Gruppe der Leute hinwegblickend, die sich lässig hingelagert hatten und schwatzten.
»He du!« rief er den Burschen an, der ihm am nächsten lagerte. »Wie heißt du denn?«
»Luis Campos, a sus ordenes, patroncito.«
»Komm her!«
Der Bursche, der vom Boden aufgestanden war, als er nach dem Namen gefragt wurde, sprang dicht vor Don Remigio hin: »A sus ordenes, patroncito, ich stehe zu Ihren Befehlen!«
»Willst du einen Trago haben, einen guten Schluck?«
»Ganz wie es Ihnen beliebt, Patroncito.«
»Gießen Sie ihm eine Copita ein, Don Hilario, den gewöhnlichen«, sagte der Contratista zum Tendero.
Der Bursche schoss das Glas mit einem Zug hinunter, wischte sich mit der flachen Hand über den Mund und sagte, eine kurze Verbeugung machend: »Muchas gracias, patroncito!« Und gleich darauf, nachdem er einige Sekunden auf einen neuen Befehl gewartet hatte, begann er sich hinwegzuschlängeln in so geschickter Weise, dass man nicht den Eindruck gewann, er wolle sich absichtlich einem Auftrage entziehen. Aber Don Remigio kümmerte sich nicht weiter um den Burschen. Er sah ihn zurückgehen zu seinem Packen, ohne ihn zurückzurufen und ohne ihm zu erklären, warum er ihn gerufen und nach dem Namen gefragt habe. Er blickte im nach mit leeren Augen, die nicht nur an dem Burschen, sondern an der gesamten Schar, die hier lagerte, vorbeisahen, als wäre da nur Luft.
Er drehte sich um zu Don Hilario. »Schenken Sie mir ein neues großes Glas voll. Ich kann meine gottverfluchte elende trockene Kehle heute nicht feucht kriegen. Caray, ich möchte wissen, was mit mir los ist? Ich bin nicht mehr der alte, das können Sie mir glauben, Don Hilario. Die Calentura, der verfluchte Paludismo, das Dschungelfieber, sitzen mir tief in den Eingeweiden, und das gottverdammte Gift geht nicht mehr
'raus. Das ist es, was mit mir los ist. Ich fürchte, das ist der letzte Kontrakt den ich mache.«
»Ja, das weiß ich, Don Remigio. Wie viel letzte Kontrakte haben Sie eigentlich schon gemacht?« Don Hilario lachte, als er das sagte.
Der Contratista sah den Tendero an, lachte gleichfalls, zog seinen Gurt hoch, reckte sich in den Schultern, schob den Revolver weiter vor, ging einen Schritt auf die Tür zu und rief hinüber zu den lagernden Burschen: »Los, adelante, muchachos! Rüber zu der Bodega!«
Â
Die Schar wurde beweglich. Die Burschen richteten sich auf, warfen die Traggurte ihrer Packen über die Stirn und marschierten, der Richtung folgend, die ihnen Don Remigio mit dem Arm angedeutet hatte, hinüber zur Bodega.
Die Bodega war der Lagerschuppen, in dem alle die Geräte, Geschirre, Klammern, Ketten, Kletterhaken, Äxte, Machetes und sonstigen Werkzeuge aufbewahrt wurden, die in der Monteria gebraucht wurden. Der Verwalter der Bodega war Don Mariano Tello, ein Angestellter der Company, der mit Hilfe zweier indianischer Burschen den Vorrat in Ordnung hielt, die Bücher des Lagers führte und, wenn im Schuppen nichts zu tun war, die Arbeiten der Schmiede und Geschirrmacher überwachte. Es blieb ihm immer noch genügend Zeit übrig. Deshalb wurde er in der ersten Woche eines jeden Monats herbeigezogen, um bei der Aufstellung der monatlichen Abrechnungen zu helfen.
Dass Bücher geführt werden mussten und dass vom Hauptquartier der Company in San Juan Bautista regelmäßig eine monatliche Bilanz verlangt wurde, fiel dem Administrador offenbar immer erst ein, wenn er sich erinnerte, dass er sich mitten in der letzten Woche des Monats befand und seit dem Ersten des Monats keine oder nur gelegentliche Eintragungen gemacht worden waren. Dann wurde plötzlich von morgens sechs bis abends um neun in den Oficinas gewütet, um den Monatsbericht zu schaffen.
Und es waren diese Arbeiten, bei denen der Bodegaverwalter heftig mitzuarbeiten hatte, um die drei Wochen Faulenzerei der Büroangestellten ausgleichen zu helfen. Jedes Mal, wenn die Schreiber, Buchführer und sonstigen Angestellten sich vor einem gewaltigen unaufgearbeiteten Berg von Listen, Zetteln, Notizblättchen, Mahagonispänen mit aufgekritzelten Ziffern und
Hieroglyphen hocken sahen, wie es in jeder letzten Woche eines jeden Monats geschah, dann schworen sie sich zu, im nächsten Monat einmal gleichmäßiger zu arbeiten und keinen Tag vorübergehen zu lassen, ohne an jedem Abend jede Eintragung und Verrechnung am richtigen Ort zu haben.
Aber wenn dann der Monatsbericht unter Stöhnen und Schwitzen endlich mit den Postreitern abgegangen war, dann fühlten sie sich so erschöpft, dass sie sich erst eine volle Woche ausruhen mussten. um wieder zu Kräften zu kommen, während dieser Woche wurde so viel getrunken, gespielt und herumgehurt dass sich die armen Leute in der folgenden Woche von den Anstrengungen der Erholungswoche ausruhen mussten und darum gleichfalls nicht arbeiten konnten. Die nächste Woche darauf gebrauchten sie dann, um ins Gleichgewicht zu kommen und sich mit neuen Kräften zu stählen. Dann kam die letzte Woche des Monats, in der wie üblich übermenschlich gewütet werden musste, um den Bericht fertigzuschaffen.
Diese Unregelmäßigkeit im Arbeiten erreichte ihren höchsten Grad während der Regenperiode.
Dann konnten die Postreiter weder kommen noch gehen, weil sie mit den Pferden in Sümpfen und Morästen versunken wären. Nun häuften sich solche Berge von Arbeiten auf, dass die Papiere und Listen einen weiten Raum vom Boden bis zum Dach anfüllten; jede Arbeit wurde von Woche zu Woche und von Monat zu Monat verschoben, und jeder tröstete sich damit dass des ewigen Regens wegen ja doch keine Berichte abgeschickt werden könnten und auch niemand vom Hauptquartier hier herkomme und man ruhig mit den vier oder fünf Monatsberichten warten könne, bis man sehe, dass sich die Regenperiode ihrem Ende zuneige.
Obgleich nun die Menge von Arbeiten, die der Bodegaverwalter zu bewältigen hatte, einen tiefen Eindruck machte auf jeden, dem man diese Arbeiten aufzählte, so muss dennoch gesagt werden, dass der Bodegamann ein sehr beschauliches Dasein zu führen imstande war. Das war vielleicht der Grund, dass er sich ungemein nervös und aufgeregt gebärdete, wenn eine Gruppe von Arbeitern zu seiner Bodega kam, um Werkzeuge zu verlangen. Dann schrie und fluchte er auf seine beiden indianischen Jungen los, dass man es über das ganze Gelände hören konnte. Den Arbeitern wurden die Sachen mit Wutgebrüll zugeworfen, und wenn sie nicht schnell genug waren, ihren Namen zu nennen, warf er ihnen ins Gesicht was er zur Hand hatte. Zuerst traten die Hacheros vor, die Schläger. Jeder Hachero erhielt zwei gute Stahläxte. Minderwertige Äxte konnten gegenüber diesen eisenharten Hölzern nicht gebraucht werden. Jedem Mann wurden die Äxte auf sein Konto geschrieben. Die Summe, die den Schlägern für jede Axt angerechnet wurde, war das Dreifache des Preises, für den die Axt in einem Eisenwarenladen an der nächsten Eisenbahnstation gekauft werden konnte, wo sie, verglichen mit den Preisen in den großen Städten, an und für sich schon sehr teuer war. Freilich, wenn der Schläger nach Ablauf seines Kontraktes die Äxte zurückbrachte, auch wenn sie durch Arbeit beschädigt waren, wurden sie ihm von seinem Konto wieder abgeschrieben. Jedoch, so sorgfältig auch die Leute mit den Äxten umgingen, es war oft ganz unvermeidlich, dass ihnen eine oder gar beide Äxte verloren gingen.
Der Dschungel ist keine Wiese, kein Ackerfeld, kein gepflegter Tannenwald. Beim Arbeiten geschieht es sehr leicht, dass die Axt dem Schläger aus der Hand fliegt und in einen Fluss hineinsaust oder in eine tiefe Schlucht, die so dicht mit Dschungelgestrüpp bewachsen ist, dass der Mann tagelang den Busch auslichten mag und seine Axt dennoch nicht wieder findet. Oder die Axt fällt während der Regenzeit in einen der weiten Moräste. Wenn der Schläger nicht ganz genau gesehen hat, wohin die Axt fiel, kostet es tagelanges und sehr oft vergebliches Suchen, die Axt zu fischen.
Nicht selten kostet es dem Mann das Leben, weil er während es Suchens im Sumpf den Boden unter den Füßen verliert.
Nach den Hacheros folgten die Macheteros, die je zwei Machetes erhielten, gleichfalls auf ihr Konto.
Dann wurden die Kletterhaken ausgegeben, für die jedes Mal eine bestimmte kleine Kolonne verantwortlich war, weil nicht jeder Mann solche Haken täglich brauchte, sondern nur unter besonderen Verhältnissen.
Endlich kamen die Boyeros, die Ochsenknechte, an die Reihe. Sie erhielten Geschirre, Ketten, Klammern und Taue. Jeder Mann wurde zu seinem Teil für bestimmte Dinge dieser Ausrüstung haftbar gemacht dadurch, dass ihm ein Anteil auf sein Konto geschrieben wurde.
Obgleich die Preise aller dieser Werkzeuge und Ausrüstungen beträchtlich höher waren als die, die man dafür in den Städten verlangte, kann nicht gesagt werden, dass der Preis übermäßig ungerecht gewesen wäre. Selbst ein sehr starkes und gutgedrilltes Mule konnte auf diesen langen Wegen durch den Dschungel kaum mehr als je vier Meter kräftiger Kette schleppen. Vier Pickhacken oder sechs Äxte waren gewöhnlich bereits eine gute Ladung für ein Tier.
Die Arbeiter persönlich für die Werkzeuge und Ausrüstungen verantwortlich zu machen erschien ungerecht. Aber es darf nicht übersehen werden, dass, ganz abgesehen von dem Preis, die Werkzeuge im Dschungel unersetzlich waren. Sie waren hier so wertvoll wie für einen Brunnenbohrer oder Kohlenbohrer der Diamant. Bricht der Diamant aus, so werden Tage darauf verwendet, den Diamanten wieder zu fischen. Fehlten Werkzeuge, so konnte nicht voll gearbeitet werden; und es mochte je nach der Jahreszeit und der Beschaffung der Dschungelpfade Monate dauern, ehe die verloren gegangenen Werkzeuge wieder ersetzt werden konnten.
Nachdem die Leute endlich alle ihre Geräte in Empfang genommen hatten und der Geräteverwalter zum zehnten Male heulte, dass, wenn ihm noch ein einziger Mann jetzt mit einer Beschwerde komme, dass seine Äxte zu leicht seien oder zu abgearbeitet oder zu stumpf, er den Mann sofort erschießen würde und er außerdem jetzt vor Hunger umfalle und einen guten Schluck nehmen müsste, war es Abend geworden. Er verschloss die rohe Tür mit einem Vorhängeschloss und sagte zu dem Contratista: »Wenn Sie sonst noch etwas brauchen, Don Remigio, dann kommen Sie morgen früh.«
»Mir recht. Ich bin übrigens ganz Ihrer Meinung, auch ich brauche einen tüchtigen Zug jetzt. Meine Kehle ist wie ein alter ausgetrockneter Lederschlauch. Ich kann nicht mal mehr schlucken. Fühlen Sie mal hier her, Don Mariano.«
»Ich brauche Ihre Gurgel nicht abzufühlen«, erwiderte Den Mariano mit leidender Stimme. »Sie sollten die meine erst einmal von innen sehen. Die ist völlig versteinert, und ich kann Ihnen sagen, Den Remigio, wenn ich nicht bald von hier fortkomme und unter zivilisierte Menschen, dann können Sie mir eine Kette um den Hals schließen und mich an einem Baum anketten. Ich kann Ihnen im Vertrauen sagen, ich bin auf dem besten Wege, mich hier in einen Gorilla zu verwandeln. Glauben Sie es oder nicht, aber ich habe in den letzten vier Monaten schon dreimal geträumt, dass ich ein Gorilla sei und wie blöd auf meine Brust hämmere, und im Schlaf habe ich so sehr gebrüllt, dass die beiden Schreiber, die mit mir im selben Bungalow hausen, auffuhren und mir einen Eimer Wasser über den Kopf stülpten. So sehr hatte ich sie in meinem Traum in Angst gebracht, dass sie fürchteten, ich wolle sie lebendig auffressen.«
»Da Sie vom Essen sprechen, Den Mariano«, sagte der Contratista, »ich habe einen mächtigen Hunger. Scheint, der gottverfluchte Heide von einem Chink hat vergessen, zum Abendessen zu klingeln.«
Als habe der Chinese nur auf diese Beschwerde gewartet und vielleicht in der Luft gefühlt, dass ihn jemand anschreien würde, wo denn heute das Abendessen bliebe, trat er aus seiner Küche heraus und schwenkte die große Handglocke zum Zeichen, dass alle Caballeros zum Comedor, zum Speisesaal, kommen mögen, wo er bereit sei, ihnen zu offenbaren, welcher Zauberkünste er fähig sei.
Â
Gutes Essen vermag ein ödes Dasein mit heiteren Momenten zu verschönern, wie auch eine gute Köchin eine verfehlte Ehe erträglich gestalten kann. Hier in der Monteria La Armonia jedoch trug selbst das Essen noch dazu bei, das Leben zu verdüstern und den Aufenthalt und das Arbeiten einer Strafe gleichzustellen.
Zwei Chinesen hatten die Verpflegung der Angestellten in den Oficinas im Kontrakt übernommen.
Jeder Angestellte zahlte einen Peso fünfzig Centavos täglich für drei Essen, die ihm von den Chinks zu liefern waren.
Niemand erwartet von den chinesischen Köchen in den Oil-Camps, in den Regionen der Minen, in den Kaffee-, Zucker-, Bananen-, Henequen-, Kakaopflanzungen, in den Chicle-Camps und wo es sonst sein mag, dass sie ähnliche Fähigkeiten im Bereiten menschlicher Nahrung zeigen sollen wie etwa die Köche großer französischer Restaurants. Wenn man auf diese chinesischen Campköche angewiesen ist und in mehreren Camps gearbeitet hat und reichlich Erfahrung sammeln konnte, so kommt man rasch zu der Überzeugung, dass die chinesischen Köche zweifellos alle in derselben Küche ihre Lehrzeit durchgemacht haben müssen. In allen Camps, auch wenn sie zweitausend Meilen voneinander getrennt liegen, gibt es stets dasselbe Essen, in derselben Form, in derselben Reihenfolge, mit demselben Geschmack, ja selbst mit dem gleichen Mangel an Salz oder Pfeffer in denselben Gerichten. Das Brot. das diese Köche backen, hat in jedem Camp, gleich wo es sich befindet, den ganz genau gleichen öligen Geschmack. Dieser ölige Geschmack rührt von einem Öl oder Fett her, das in den Teig gebracht wird, um das Brot unter der tropischen Glut ein wenig länger widerstandsfähig, weich und genießbar zu halten.
Das Essen ist immer reichlich genug. Soviel muss gesagt werden. Für den Preis, den der Chink für die zu liefernden Mahlzeiten erhält, kann er keinen Kaviar auf den Tisch stellen, auch keine Vorspeisen geben, bestehend aus echter Salami, Trüffeln und Leberpasteten. Selbst dort, wo ihm drei oder gar fünf Pesos für drei Mahlzeiten bezahlt werden, kann er nur das übliche Essen auf den Tisch stellen, weil die Preise, die er für die Materialien zu zahlen hat, so ungemein hoch sind, dass sein Verdienst um nur wenig höher ist als da, wo er die Mahlzeiten für einen Peso fünfzig Centavos täglich herstellen muss. Wohlhabend werden diese chinesischen Köche nur durch ihren Fleiß, ihre Ausdauer und durch eine so geschickt ausgeklügelte Ökonomie in ihrem Geschäft, dass die bekannte Speisung von fünftausend Mann mit fünf Broten und zwei Fischen durchaus nicht als ein Wunder angesehen werden kann.
Wie in allen anderen Camps, so war es auch hier: Die beiden Chinesen beschränkten ihren Einkauf von Waren auf das mindeste. Was immer sie nur selbst erzeugen konnten, das erarbeiteten sie in der Zeit, die ihnen zwischen dem Kochen blieb. Alle Gemüse bauten sie hier selbst auf einem kleinen Stückchen Feld, dessen Bewässerung allein ein Drittel ihrer ganzen Arbeit ausmachte. Sie hielten Hühner, Schweine und Ziegen. Alles hatten sie persönlich und mit unglaubliche r Mühe durch den Dschungel gebracht, ohne auch nur ein Huhn oder ein Zicklein zu verlieren. Während der Nächte konnten sie sich nicht friedlich ihrem verdienten Schlafe hingeben, sondern sie mussten ständig ihre Hühner und Zicklein bewachen, damit sie ihnen nicht von dem Gesindel, das im Camp lebte, gestohlen wurden.
Zu jeder Mahlzeit gab es Biskuits, frische heiße Sodaküchelchen von der Art, wie sie auf keinem Tisch in Amerika fehlen. Mittags und abends gab es stets Pie, warmen
Kuchen, gefüllt mit Ananas oder Bananen oder Apfelmus oder Pflaumen. Wo die Chinks diese Sachen herbekamen, war selbst den Angestellten ein Rätsel. Unter den besonderen Umständen war die Herstellung der meisten schönen Sachen überhaupt nur möglich mit Hilfe von Konserven in Büchsen. Aber sie waren da. Und geschah es, dass sie nicht da waren, dann gab es einen mörderischen Skandal im Comedor. Dann wurde dem Koch von den erbosten Essern vorgeworfen, dass er sie um ihr vollwertiges Essen betrüge, dass er aus ihrem Hunger und Elend sich zum Millionär machen wolle. Und sie drohten, wenn er morgen nicht ein richtiges menschliches Essen auf dem Tisch habe, beide Köche an einen langen Strick zu binden und im Fluss so lange zu tauchen, bis sie grün wären.
Zum Frühstück gab es für die Caballeros, das waren die Angestellten und die Contratistas, irgendeine Frucht, meist Papaya, die hier von den Chinesen angebaut wurde. War Papaya nicht zu haben, dann gab es vielleicht das Herz einer jungen Palme, von indianischen Jungen im Dschungel gesucht. Oder es gab Haferflocken. Oder Shredded-Weizen. Oder irgendeine andere der vielen amerikanischen Körnerfrüchte, die auf einem amerikanischen Frühstückstisch zu finden sind und die tüchtige amerikanische Fabrikanten in Büchsen und Pappschachteln über ganz Nord- und Südamerika verschiffen und so gut eingeführt haben, dass man einige dieser Weizen- oder Haferprodukte bestimmt selbst im Laden des kleinsten Indianerdorfes am Rande des Dschungels finden kann.
Als nächster Gang folgten ein paar Eier, je nach Wunsch des Essers entweder gebraten oder gesotten oder verrührt oder als Omelette. Jedem Wunsch wurde Rechnung getragen. Darauf folgte Reis mit geschmorten Würfeln von Trockenfleisch. Und dann Kaffee, gesüßt mit rohem Zucker und gefettet mit Büchsenmilch.
Zahlreiche der genannten Konserven, wie auch Kaffee und zuweilen selbst Tee, wurden in der Tienda geführt und konnten dort gekauft werden. Aber nur wenn die Köche sehr in Verlegenheit waren und die Dinge durchaus haben mussten, kauften sie etwas in der Tienda. Sie ließen sich alles, was sie für ihre Küche benötigten, von den Händlern mitbringen, mit denen sie vorher bestimmte Preise vereinbarten.
Wer es wünschte, konnte zum Frühstück auch noch Frijoles, schwarze Bohnen, haben. Frijoles gab es zu jeder Mahlzeit. Sie bildeten den Grundstock eines jeden Essens wie überall in Lateinamerika und wie im größten Teil der Vereinigten Staaten. In den Staaten unterscheidet sich dieses Gericht vom gleichen in Spanisch-Amerika nur darin, dass es neben den schwarzen Bohnen ebenso oft auch braune oder weiße gibt.
Nach dem Frühstück arbeiteten die Angestellten, oder sie gaben vor, irgend etwas zu tun, was sie Arbeit nannten. Zuweilen gingen sie fischen zum Fluss hinunter oder jagen in den Dschungel. Die Beute wurde an die Chinesen verkauft oder an andere Bewohner der Monteriastadt.
Manchmal aber mussten die Angestellten doch härter arbeiten. Das war, wenn sie vom Verwalter den Auftrag erhielten, zu den fernen Semaneos zu reiten, um zu inspizieren und die vorhandenen Mengen des geschlagenen Holzes zu buchen. Die Semaneos, die Distrikte in den Tiefen des Dschungels, wo das Mahagoniholz geschlagen wurde, lagen zuweilen einen vollen Tagesritt von den Oficinas entfernt.
Der nächste Semaneo war von dem ersten wieder einen halben oder viertel Tag entfernt. So konnte es leicht geschehen, dass der Verwalter oder einer der Angestellten, wenn er die Semaneos aufsuchen ging, eine Woche oder noch länger unterwegs war. Für den Verwalter oder die Angestellten waren diese Inspektionsritte, obgleich sie eine gewisse Erholung von der öden Gleichförmigkeit des Lebens in den Oficinas bedeuteten, eine Marter.
Â
Der Dschungel war überall gleich in seinem Aussehen, ohne irgendwelche Abwechslung für das Auge oder das Gemüt. In dem dichten, feuchten Dschungelgestrüpp war die Hitze drückender und ermüdender als in den Oficinas. Die dunkelgrüne Dämmerung, die sich nie lichtete, lastete auf Gemüt und Seele und erzeugte die melancholische Stimmung, dass alles auf Erden sinnlos sei. Selbst die großen Affen, die hoch in den Wipfeln der Bäume von Ast zu Ast sprangen und dem Reiter halbe Stunden lang mit Geschrei folgten und abgebrochene morsche Zweige nach ihm warfen, verloren ihrer Häufigkeit wegen nach einem halben Tag für den Reisenden jegliches Interesse.
Mit dem indianischen Burschen, der ihn begleitete, konnte der Reiter so gut wie nichts reden, weil der Bursche nur indianisch sprach und der Reiter nur spanisch und gewöhnlich nur die notwendigsten indianischen Ausdrücke und Bezeichnungen kannte. Nicht selten kamen der Verwalter oder die Angestellten von diesen Ritten heim, für immer in ihrer Gesundheit gebrochen, den Körper gefüllt mit unausrottbarem Fieber und das Gemüt angefault von chronischer Arbeitsunlust und allgemeiner Trägheit des Denkens und Strebens.
Zurückgekommen von einem solchen Ritt, empfand der Empleado, der Angestellte, eine Woche lang die Mahlzeiten des Chink als wirkliche Göttergaben, und die Ananastorten, die er, wie er vier Wochen vorher behauptet hatte, nicht riechen konnte, ohne von Ekel überwältigt zu werden, betrachtete er nun als das Köstlichste, was chinesische oder irgendeine andere menschliche Kochkunst zu erzeugen vermag.
Es mag mit Recht angenommen werden, dass diese Ritte wesentlich dazu beitrugen, die Caballeros an diese ewig sich gleich bleibenden Mahlzeiten so sehr zu gewöhnen, dass sie wahrscheinlich den Appetit verloren haben würden, hätten die Mahlzeiten einmal eine geringe Änderung erfahren. Das war freilich nie zu befürchten, weil der Chinese nur in einem ernsten Anfall von Geistesgestörtheit fähig gewesen wäre, die zehn Kochrezepte, nach denen er zu arbeiten verstand, um eines oder zwei zu vermehren.
Â
Die Mittagsmahlzeit bestand aus einer Suppe als erstem Gang. Die Suppe war in ihrem Grundelement immer die gleiche Brühe, zuweilen aus Trockenfleisch herausgekocht oder aus einem Wildschwein oder einem wilden Truthahn oder aus einem geopferten Hahn, manchmal jedoch aus frischem SchweineÂ- oder Ziegenfleisch. Aber ganz gleich, aus welcher Sorte von Fleisch die Brühe gekocht war, sie schmeckte immer gleich unbestimmt und wässerig, so dass es selbst für einen Kenner ungemein schwierig gewesen wäre, mit Sicherheit zu sagen, welch ein Tier oder welch ein Vogel den Grundbestand der Brühe geliefert hatte.
Um jedoch diese Gleichförmigkeit nicht gar zu sehr in Erscheinung treten zu lassen, fand ein häufiger Wechsel im festen Bestandteil der Suppe statt. Dieser feste Bestandteil wurde gebildet je nach dem Wochentage aus Reis, braunen Bohnen, Tomaten, Nudeln oder Garbanzos, großen Erbsen, die nie weich werden wollen. Die Chinesen zauberten auch grüne Gemüsesuppen hervor, über deren Herkunft allerlei Gerüchte im Camp umgingen. Als zweiter Gang wurden ein paar Eier aufgetischt. Jeder einzelne Esser wurde beim Auftragen der Suppe gefragt, wie er die Eier wünsche. Nach den Eiern kam ein Beefsteak aus Trockenfleisch auf den Tisch. Dieses Beefsteak war so zäh, dass es in ganz kleine Würfelchen geschnitten werden musste, die nach einem kurzen Versuch fruchtlosen Kauens einfach heruntergeschluckt wurden, um sie wenigstens im Magen zu haben und sich dadurch das Gefühl zu sichern, dass man ein Beefsteak gegessen habe. Manchmal gab es freilich anstelle des Beefsteaks frisches Wild, einen Hahn, einen wilden Truthahn oder ein Zicklein.
Sowenig die Esser zuweilen über die Herkunft der grünen Gemüsesuppen wussten, sowenig wussten sie in beinahe allen
Fällen über die Herkunft des Trockenfleisches und des frischen Fleisches. Die Zähigkeit des Trockenfleisches ließ leicht darauf schließen, dass es sich um das Fleisch alter, ermüdeter Mules und Esel handeln mochte, die von selbst ins Reich der Ewigkeit abgetrabt waren und noch rasch genug gefunden wurden, ehe sie zu kalt waren, um als gesundes Fleisch gebraucht zu werden. Dann kamen auch solche Tiere in Frage, die gefallen waren und eine Minute, bevor sie starben, abgestochen wurden. Und endlich waren da noch solche Mules und Pferde, die vielleicht ein Tiger angefallen hatte und die sich genügend hatten wehren können, um noch in die Nähe des Lagers zu kommen und hier den Gnadenstoß zu erhalten.
Bei altem, gut gesalzenem Trockenfleisch ist es schwer zu sagen, von welcher Sorte Tier es stammt.
Wenn den Essern der Geschmack verdächtig erschien, riefen sie gewöhnlich den Chinesen herbei:
»Mira, Chinito, was ist denn das für eine traurige Sorte von Fleisch heute? Du hast doch nicht etwa eine alte Mula abgemurkst?« Darauf hielt der Chinese im eiligen Lauf des Bedienens inne, klappte beide Hände über der Brust zusammen, lächelte das schöne Lächeln eines zufriedenen und fetten Buddha und sagte: »Caballelos, o meine Hellen, kennen Sie denn dieses volzügliche Fleisch nicht?
Welch eine Sünde gegenübel den Weisheiten Confutses! Das ist das Fleisch eines voltlefflichen, guten kläftigen Dschungelebels. Eine Gabe des Himmels in diesem so tlauligen Landstlich. Eine gute Schnitte vom Keulenstück mehl, Caballelos?«
Dazu gab es frisches Weißbrot und heiße Sodagebäcke. Ferner Tomaten als Salat. Auch Reis mit Chile. Bei seltenen Gelegenheiten ein Tellerchen mit geizig aufgelegten Kartoffelstückchen oder gerösteten Kartoffelscheiben.
Darauf folgten die unvermeidlichen schwarzen Bohnen, entweder ganz oder zerrieben und als Brei aufgewärmt, der genannt wurde: Frijoles Refritos. Was immer auch an der gesunden Auffüllung des Magens bis jetzt gefehlt hatte, wurde mit Hilfe der Frijoles nachgeholt. Sie waren der Kern dieses Mahles wie eines jeden anderen am Tage.
Das Wasser, das in Tonflaschen auf dem Tisch stand, war das schlichte Wasser, das aus dem Fluss geschöpft wurde. Manchmal war es gelblich, manchmal rötlich, und manchmal war es grünlich. Es wurde so getrunken, wie es aus dem Flusse kam. Hätte jemand angeregt, dieses Wasser abzukochen oder irgendwie zu filtrieren, so würde man zweifellos angenommen haben, dass einige Nieten in seinem aufgestülpten Kegel lose seien. Das Glas Aguardiente, das nach dem Kaffee schnell hinterher gespült wurde, sorgte schon für die Abkochung und Filtrierung des geschluckten Wassers.
Und wenn dieses alte Campmittel versagen sollte, so war ja einen Kilometer vom Camp entfernt genügend Platz, wo man den Wassertrinker, bei dem diese Art von Filtrierung versagt hatte, eingraben konnte. Nur sich nicht über solche Kleinigkeiten aufregen, da es letzten Endes ja doch immer auf das gleiche herauskommt.
Nach den Frijoles folgte die Ananastorte oder Bananentorte oder eine Torte gefüllt mit einer Marmelade, deren Herkunft für die Esser ebenso dunkel blieb wie die Herkunft der grünen Gemüsesuppen und gewisser Gerichte vom Trockenfleisch der Dschungeleber. Das Stück Torte wurde hinuntergeweicht mit einem Glas kaltem Tee oder heißem Kaffee. Der Tee wurde vom Chinito angeboten mit: »Té helado, Caballelo?« Das sollte bedeuten: Eis-Tee. Da es aber hier kein Eis gab, so war der gereichte Tee lauwarm. Mit einer halben Zitrone und reichlich Zucker bekam er Geschmack.
Der kluge Mann zog heißen Kaffee vor, mit einem guten Schuss amerikanischer Büchsenmilch und zwei oder drei mächtigen Stücken Rohzucker.
War auch das beendet dann grunzten die Esser, reckten sich, schnauften, gähnten, steckten sich eine Zigarette an, schoben sich hinaus in den Schatten des überhängenden Daches ihrer Bungalows und ließen sich hier in ihre Hängematten fallen.
Â
Diesmal hatten sie wenigstens eine Entschuldigung für ihr Nichtarbeiten; denn welcher Idiot wird denn so verblödet sein, dass er in dieser Mittagsglut sich über Rechnungsbücher setzt. Die Bücher werden ja durch und durch zerweicht von den Bächen des Schweißes, die einem von der Stirn herunterströmen.
Nach einem friedlichen Schlaf von drei oder vier Stunden richteten sich die geplagten Angestellten aus ihren schaukelnden Hängematten auf und gurgelten erst einmal eine gute Viertelflasche Aguardiente hinunter mit dem Bemerken, sie müssten sich den Schlaf aus dem Magen waschen und gleichzeitig das verschluckte Wasser desinfizieren.
Nun wanderten sie ein wenig im Camp umher, lediglich, um festzustellen, ob noch andere Frauen wohlbehalten seien, an deren Vorhandensein man der langen Abende wegen interessiert war. Beruhigt schlenderten sie wieder zurück zu den Hauptgebäuden und begannen sich nun ernstlich vor die Bücher zu setzen. Nachdem jeder sein Buch aufgeschlagen hatte, stöhnte er eine Weile, dann zündete er sich eine Zigarette an und schabte an dem Tintenstift herum, den zu gebrauchen er sich nun endlich vorgenommen hatte. War der Tintenstift zum Arbeiten bereit, dann erinnerte sich der Angestellte daran, dass für eine geregelte Verdauung noch andere Dinge notwendig seien als nur das Desinfizieren des Magens. Er suchte sich eine alte Zeitung und marschierte hinüber zu den kleinen Häuschen, wo er beschloss, die Zeitung in Ruhe und mit Andacht zu lesen, um über die politischen Vorgänge unterrichtet zu sein, die sich vor vier Monaten auf Erden abgespielt hatten. Denn das war die neueste Zeitung, die er besaß. Und weil anderes schon vier Monate zurücklag, regte sich der Leser nicht auf dabei, und seine gesunde Verdauung wurde nicht gestört.
Bei dieser notwendigen und interessanten Tätigkeit verbrachte jeder einzelne eine Stunde. War die Zeitung aber angefüllt mit einem langen Mordbericht oder einem gutgespielten Ehedrama, so wurden der Verdauung auch zwei Stunden in Andacht gewidmet. Man muss seinen Körper ehren und achten, solange man ihn besitzt; denn ist er einst dahingegangen, hat es doch keinen Wert mehr, sich um die Verdauung zu sorgen.
Das Häuschen verlassend, bemerkte der Empleado, dass es inzwischen leicht zu dunkeln begann, so dass es wohl bald sechs Uhr sein musste. Bis sechs Uhr war er verpflichtet zu arbeiten. Das stand in seinem Kontrakt.
Er eilte nun hinüber zu den Büros, wo der eine oder andere seiner Kollegen bereits versucht zu haben schien, etwas zu arbeiten, und nur darauf gewartet hatte, dass ein Häuschen frei werde, um über die Politik innerhalb und außerhalb des Landes auf dem laufenden bleiben zu können.
Der zurückgekehrte Mann wurde nun sehr fleißig. Er schrieb wie wild geworden in seinem Buche herum. Fegte Zettel und Listen auf seinem Tische hier hin und da hin und warf alle Papiere durcheinander, so dass, sollte in diesem Augenblick der Administrador hereinkommen, er mit Zufriedenheit den Fleiß und die Ausdauer seiner Untergebenen wahrnehmen könne.
Der Administrador war selten früher zu erwarten. Er hatte sein eigenes Büro, getrennt von den übrigen. Ob er aber in seinem Büro unter Anstrengung aller seiner Geistesgaben arbeitete oder sich mit dieser oder jener oder seinen beiden Freudenbringerinnen unter Aufbietung aller physischen Gaben beschäftigte, dies zu untersuchen gehörte nicht zu den kontraktlichen Aufgaben seiner Untergebenen. Dafür war er der Administrador hier, dass er das Recht hatte, selbst zu entscheiden, welche seiner Verpflichtungen zu dieser oder jener Stunde am dringendsten zu erfüllen war.
Und es trug sich, wie merkwürdig das auch einem
Unschuldigen erscheinen mag, immer so zu, dass im selben Augenblick, in dem der Administrador in die Büros kam und alle seine Leute so wahnsinnig in den Rechnungsbüchern schreibend fand, dass ihnen der dicke Schweiß aus ihren roten, heißen Stirnen quoll und er hinsichtlich solcher Disziplin und solchen Arbeitseifers befriedigt sein konnte, die Handglocke geschwenkt wurde, mit deren frohlockenden Klängen der Chink die Caballeros zum Abendessen rief.
Â
»Endlich wird man doch nun etwas in den Magen kriegen«, sagte Don Remigio zu Don Mariano.
»Mittag habe ich nur gerade eine Tasse Kaffee trinken können. Der Muchachos wegen, die ich erst einmal in Ordnung haben wollte, konnte ich mir keine Zeit nehmen.«
»Hier können wir uns die Hände waschen«, sagte Don Mariano, während er auf einen rohen hölzernen Ständer zuschritt, auf dem eine Emailleschüssel mit Wasser stand; ein Stück gewöhnlicher gelber Seife lag daneben und ein schlecht gewaschenes, graues Handtuch war über eine Leiste gehängt.
Die beiden Caballeros wuschen sich Gesicht und Hände, kämmten sich mit einem Taschenkamm das Haar durch und schritten dann zu dem Comedor. Der Speisesaal war ein großer Raum unter einem Palmdach. Drei Seiten dieses Raumes hatten Wände, wie üblich aus aneinander gefügten dünnen Stämmchen. Die vierte Seite war nur zum Teil geschlossen. Der größere Teil war offen.
In der Mitte stand ein langer, aus dicken Mahagonibrettern roh gearbeiteter Tisch, eigentlich mehr Bohlen als Bretter. Die Bretter waren ungehobelt und nur gehackt. An jeder Längsseite befand sich eine lange, ebenso roh gearbeitete Bank, gleichfalls aus Mahagoni. Der Boden war dick mit Zacate, langem Dschungelgras, bedeckt. Infolgedessen konnte man in dem Comedor wie auf einem sehr dicken, weichen Teppich gehen. Unter dem Zacate, auf dem nackten Erdboden, lag eine dicke Schicht von Asche, die, soweit das überhaupt möglich ist, das Hereinkriechen von Reptilien und Insekten verhindern sollte.
In einer Ecke war ein zweites Holzgestell, auf dem eine Schüssel mit Wasser stand und Seife sowie Handtuch bereitlagen, damit diejenigen, die sich waschen wollten, nicht gar zu lange zu warten brauchten, falls die Schüssel draußen im Portico nicht genügte.
An den Wänden, teils an Holzpflöcken, teils mit Kaugummi gegen die Pfosten geklebt, hingen bunte Reklameplakate von Zigarettenfabriken, Bierbrauereien, Corniteco-Destillatoren, Pappreste abgelaufener Kalender von Geschäftshäusern der größeren Städte, ein eingerahmtes Bild Nuestra Senora de Guadalupe, der Gottesmutter, und drei ungerahmte und weit eingerissene Bilder der Heiligen Antonio, Jose und Juan Bautista.
Alle diese Verschönerungen verdankten ihr Dasein dem Kunstempfinden der beiden Chinesen, die in den Jahren, seit sie hier das Restaurant, sie nannten es >Café< besaßen, nach und nach die Wände in dieser Weise geschmückt hatten.
Kreuz und quer über den Speisesaal gezogen waren rote, grüne, gelbe und blaue Papiergirlanden, die hier hingen seit dem letzten Santofest des Senor Administrador, als in diesem Saal ein gewaltiges Gelage stattgefunden hatte, mit Tanz und allem, was bei solchen Gelegenheiten geschieht. Diese Girlanden hatten viel Arbeit verursacht und die Chinesen allerlei Geld gekostet; sie sahen schön aus und gaben dem an sich so elenden Raum ein freundlicheres Gepräge und den Essern einen besseren Appetit. Darum hatte man sie hängen lassen, und jeder war zufrieden. Mit der Zeit würden sie schon von selbst zermürben und abfallen.
Über dem Tisch lag ein, grünes Wachstuch, das an den Ecken und Kanten so durchgescheuert war, dass man seine Hände in die Löcher stecken konnte. Diese Tischdecke gab den speisenden Angestellten täglich dreimal Gelegenheit, sich laut über den Geiz der Chinesen zu unterhalten, und zwar so, dass der Chinese es beim Bedienen hinunterschlucken musste. Und jedes Mal, wenn einer der Angestellten erklärte, dass er ganz bestimmt nach dem Essen die Wachstuchdecke abziehen und sie vor dem Comedor verbrennen werde, weil er die Schweinerei nun satt habe und endlich eine andere Decke in anderer Farbe vor sich sehen wolle, sagte der Chink: »Sehl gut, Caballelo, muy bueno, dann essen Sie alle auf dem lohen Holz. Ich habe eine neue Decke seit zehn Monaten bestellt, das kann ich beschwölen bei allen meinen hochehlwüldigen und edlen Volfahlen. Abel wenn die Pataches, die Kalawanen, die Decke nicht mitblingen, was kann ich denn dafül? Schicksal und Volsehung sind anzuschuldigen, nicht ich.«
»Halt die Klappe, Chinito«, rief Don Leobardo über den Tisch hinweg, »bring schon endlich den lausigen Pastel und den Kaffee, oder wir sitzen sonst in drei Stunden immer noch hier, Und wenn du nicht bald hier eine neue Tischdecke heranschaffst, verflucht noch mal, so ziehe ich dir dein Fell ab, lasse es gerben und als Decke hier auflegen, um endlich einmal eine menschenwürdige Tischdecke zu haben.«
Â
Die Caballeros ließen sich lässig am Tisch nieder. Die jüngeren Angestellten rückten ihre unbequemen Stühle näher, nachdem der Chinese ihnen die Teller mit der heißen Suppe vorgesetzt hatte.
Don Leobardo blickte den Contratista an, der neben ihm saß, und sagte mit müder Stimme, als falle ihm das Sprechen schwer: »Meine Herren, ja, ich meine Sie da unten, wir wollen doch die Sitten und Gebräuche zivilisierter Holzhacker auch unter erschwerten Umständen und in der Einsamkeit des tropischen Dschungels, umgeben von Tigern, Löwen und wilden Indianern, nicht vernachlässigen.
Bitte, meine Herren, wir haben heute einen Gast unter uns, Don Remigio. Vielleicht besinnen wir uns wenigstens eine Weile darauf, dass wir Hosen, wenn auch höchst verdreckte, anhaben und nicht in Hemden herumlaufen wie die Caribes.«
Der Unbequemlichkeit wegen übelgelaunt, nahmen die jungen Schreiber, die es anging, ihre weitausgestreckten Arme vom Tisch. Der eine sagte halblaut zu seinem Nachbar: »Ach Schitt, der Alte will wieder einmal die Harmonika spielen.« Dann schlürften sie ihre Suppe hinunter, nachdem sie Brot hineingebrockt hatten, um ihr einen festeren Bestand zu geben.
»Sie werden höchlichst überrascht sein, Don Remigio, über die große Neuigkeit, die ich Ihnen jetzt unterbreite«, sagte Don Leobardo.
Alle, die am Tisch saßen, horchten auf.
»Ich sollte doch wohl von einer Neuigkeit früher wissen als Sie, Don Leobardo. Ich habe vor zwei Tagen mit Don Ramon und Don Gabriel gesprochen, die mir die neuen Leute für den Kontrakt herbrachten. Die haben mir nichts von Neuigkeiten besonderer Art gesagt.«
»Die wussten nichts. Ich habe es aus einem Brief von der Company.«
»Den müssen Sie aber schon seit einigen Tagen hier haben, Don Leobardo.«
»Richtig, aber es bot sich vorher nicht die rechte Gelegenheit, um darüber zu reden. - Die Company hat die Monteria verkauft.«
Alle, die am Tisch saßen, auch Don Remigio, vergaßen den Bissen, den sie aufgespießt hatten, in den Mund zu schieben. Nach einer Weile fragte der Contratista: »An wen verkauft?« »An die drei Montellanos.« »An diese Coyoten?« sagte Don Remigio erstaunt. »Ja, an diese Räuber. Was sagen Sie dazu?« »Was tut denn die Company?«
»Die Herren der Company haben beschlossen, sich völlig umzuorganisieren. Ich vermute, die haben eine vorzügliche politische Nase. Sicher riechen sie etwas. Mag sein, der alte Knacker da oben, der Diktator, wackelt auf seinem Stühlchen, und die Company sucht sich rechtzeitig aus der Konzession zu ziehen. Kommen neue Regenten auf, so kann es leicht geschehen, dass die Konzessionen und Verträge, die von der Diktatur genehmigt wurden, für ungültig erklärt werden und eine neue Bestätigung den bisherigen Konzessionären nicht gegeben wird oder nur unter neuen Bedingungen.«
»Keine Sorge«, sagte Don Rafael, der älteste Buchführer, »keine Sorge, Caballeros, der alte Cacique da oben auf seinem Thrönchen sitzt fester im Sattel als je zuvor, besonders jetzt, wo er begonnen hat, neue Männer mit modernen Ideen heranzuziehen und mehr Freiheiten zu geben denen, die gegen die Diktatur sind.«
»Das beste Zeichen, dass der alte Fuchs sieht, seine Herrlichkeit beginnt zu verbleichen«, sagte Don Leobardo. »Das ist ja eben der Grund, dass er in letzter Stunde noch schnell das fallende Gebäude mit neuen Säulen stützen möchte. Es ist zu spät; und ich denke, die Company weiß mehr, als sie vermuten lässt. Der Staat Tabasco, insbesondere dessen Hauptstadt San Juan Bautista, ist von jeher rebellisch gegen den alten Knochen gewesen. Ich würde mich nicht wundem, wenn es in San Juan Bautista über Nacht zu brennen anfängt.«
»Dann zieht sich die Company völlig aus dem Caobageschäft zurück?« fragte Don Remigio. »Das nehme ich an.«
»Womit können denn die drei Montellanos bezahlen?«
»Die haben reichlich Geld gemacht als Contratistas, auf der anderen Seite des Stromes.«
»Ja, das glaube ich.« Don Remigio nickte und stocherte in seinem Essen herum. »Ich habe nie so brutale Contratistas kennen gelernt wie diese Montellanos. Die armen Burschen, die denen in die Hände fallen, haben Ursache, zu sagen, dass sie wissen, wie Teufel beschaffen sind, und sie brauchen es nicht in der Hölle zu lernen. Auf diese Art kann man freilich in ein paar Jahren ein Vermögen machen. Aber dieses Vermögen möchte ich denn doch nicht auf meinem Gewissen tragen.«
»Ich kenne sie«, berichtete Don Leobardo. »Ich kenne sie von der Zeit her, als ich Administrador auf der La Constancia war. Die Montellanos waren Contratistas in El Rompido, nahe unserer Monteria. Ob je ein Mann aus ihren Kontrakten lebend heimgekommen ist, ich glaube es nicht. Aber sie verstanden das Holz herauszuholen und ihren Sack voll Geld zu machen. Sie ließen keinen anderen Contratista in El Rompido hinein. Vorher hatte El Rompido acht Contratistas gehabt. Diese acht konnten nicht so viel heranschaffen, wie es die drei Montellanos vermochten. Natürlich war das nur möglich, weil sie ihre Muchachos dahinschlachteten ohne Gnade und Barmherzigkeit. Ich bin überzeugt, dass kein anderer Contratista im ganzen Land so viel Burschen verbraucht hat wie diese drei.
Jeden Monat brachten die Agenten neue Trupps an, und alles, was kam, nahmen die Montellanos ab, weil sie ewig ohne Leute waren. Wenn ein neuer Trupp ankam, war die Hälfte des letzten Trupps, der von den Montellanos übernommen worden war, bereits unter der Erde verfault.«
»Das eine weiß ich, Don Leobardo«, sagte Don Remigio, »wenn das wirklich so ist, dass die Montellanos die Company gekauft haben, ich mache nicht mit. Ich löse meinen Kontrakt mit Ihnen ab.
Sie zahlen mir meine Ausgaben für den Kontrakt und können die Leute haben. Aber ich arbeite nicht mit ihnen zusammen und helfe nicht, ihr Vermögen zu vergrößern. Dios irtio, ich warte ja nur darauf, dass ich für mich eine Entschuldigung habe, um mich überhaupt aus den Monterias in Ehren zurückzuziehen und unter zivilisierten Menschen in einer Stadt ein anständiges Geschäft zu betreiben.
Meine Frau und meine Kinder will ich doch endlich einmal glücklich machen mit meiner ständigen Anwesenheit. Meine Frau ist eine Witwe, und meine Kinder sind Waisen, so wie es jetzt ist. Nun habe ich einen guten Grund, hier Schluss zu machen. Jetzt brauche ich von mir nicht zu glauben, dass ich mich aus diesem Geschäft zurückziehe, weil ich schlappmachen will und es nicht mehr aushalte. Ich könnte es ja gut noch drei Jahre aushalten. Und das Geld, das ich mir in diesen drei Jahren verdienen könnte, käme mir auch recht gelegen. Aber mit den Montellanos zu arbeiten, no Senor, lieber mit Höllenknechten.«
»Die Firma ist schon eingetragen in San Juan Bautista. Sie heißt: Montellanos Hnos, Gebrüder Montellano. Feine Brüder.«
»Ich bin überzeugt, sie sind gar keine Brüder«, meinte Don Mariano. »Ich kenne sie genügend und bin sicher, dass sie nicht Brüder sind, jeder einzelne spricht einen anderen spanischen Dialekt. Spanier sind sie, aber jeder aus einer anderen Provinz.
So ist die Bruderschaft recht verdächtig.«
»Aber sehr bequem«, mischte sich Don Rafael ein.
»Gut gesagt, Don Rafael, sehr bequem!« lachte der Administrador.
»Was werden Sie denn nun tun, Don Leobardo?« fragte der Contratista.
»Ich bleibe bei der Company. Sie haben mir bereits einen neuen Posten angeboten, mit mehr Gehalt.
Die Company hat eine große Henequen-Pflanzung in Yucatan. Da können Sie mich in meinem neuen Amt antreffen, meine Herren«, sagte Don Leobardo, sich an den ganzen Tisch wendend. »Wer von Ihnen mitkommen will, mag es mir sagen.«
Die Angestellten hatten sich von der überraschenden Nachricht noch nicht völlig erholt.
»Nicht alle von Ihnen können mit mir kommen«, berichtigte Don Leobardo. »Es wird davon abhängen, wie viele Bürogehilfen und wie viele Feldverwalter ich benötige. Aber für Sie alle ist Platz genügend vorhanden. Die Company hat zwei Bananenpflanzungen von den Montellanos als Teil der Zahlung übernommen; außerdem hat die Company selbst noch vier eigene Bananenpflanzungen und zwei Kakaoplantagen. Wer von Ihnen nicht hier zu bleiben wünscht, kann in anderen guten Stellungen bei der Company unterkommen, falls er den Wunsch haben sollte.«
»Wann übernehmen die Montellanos die Monteria hier?« fragte Don Mariano, der Lagerverwalter.
»Am ersten April. Und es wird Sie interessieren, zu hören, dass die Montellanos zwei weitere Monterias gekauft haben und am selben Tage übernehmen, das sind La Estancia und La Piedra Alta.«
Don Remigio spülte sich den Mund mit einem Glas Wasser aus, gurgelte, spuckte das Wasser in einem weiten Bogen zur
Tür hinaus und sagte dann: »So scheint es, dass die drei noblen Brüder hier ein Monopol zu errichten gedenken.«
»So scheint es nicht nur«, erwiderte der Administrador, »sondern so ist es.«
»Ein Grund mehr und der endgültig entscheidende, meine Herren, dass ich am einunddreißigsten März meinen Kontrakt an die Gebrüder Montellano abtrete. Ich nehme, was sie mir für die Leute, die ich habe, bieten.«
»Vorsicht!« lachte der Administrador. »Die bieten Ihnen ein Viertel von dem, was Sie für die Leute bezahlt haben. Aber geben Sie nicht nach. Verlangen Sie den vollen Betrag und zwanzig Prozent mehr für Ihren angeblichen Verlust. Die Gebrüder bezahlen, was Sie verlangen. Ohne Leute können sie mit der Monteria nichts anfangen. Die Leute brauchen sie so notwendig, wie sie Caoba brauchen. Ohne Caoba kein Profit, ohne Muchachos keine Caoba. Wenn Sie fest draufdrücken und sagen, dass Sie Ihre Leute nach Quintana Roo führen und einen Chiclekontrakt dort übernehmen, falls sie den verlangten Preis nicht zahlen, schwitzen die Brüder Pech und zahlen ohne ein weiteres Wort.«
»Das ist richtig, Don Leobardo, die brauchen meine Leute mehr, als ich sie brauche. Ich werde meinen Preis daraufhin einrichten. Vielleicht mache ich noch ein gutes Geschäft bei meinem Auszug aus La Armonia.«
»Damit hätten wir ja nun endlich eine Gelegenheit, um auch an das Trinken zu denken und das Geschäft unseres alten Freundes, Don Remigio, zu befeuchten und zu ölen, damit es besser rutscht«, sagte Don Leobardo mit lautem Lachen. Er rief den Chinesen an, der die Geschirre abzuräumen begonnen hatte: »Chinito, lauf 'rüber in meine Bude und bring die Flasche mit Comiteco Anejo, den alten, verstehst du. Es ist die Flasche mit der roten Kapsel auf dem Kork, die nicht aufgemachte.«
»Ich splinge, Don Leobaldo«, sagte der Chinese und eilte hinaus in die Nacht. In einer Minute schon war er zurück.
»Die Flasche habe ich mir aufgehoben für eine besondere Gelegenheit, Caballeros«, erklärte der Administrador. »Und diese festliche Gelegenheit ist jetzt endlich gekommen: Abreise aus der Wüste.
Die Monteria La Armonia und Leobardo Chavero sehen sich gegenseitig nimmer wieder. Salud, Caballeros!«
Â
Das Fördern der Caoba vollzieht sich in drei Hauptetappen. Die erste Etappe ist das Schlagen der Bäume. Ein Contratista übernimmt diese Arbeit auf eigene Rechnung und Gefahr und mit eigenem Kapital. Er ist selbständig wie ein unabhängiger Geschäftsmann. Er liefert die Stämme zur nächsten Abschwemmstelle, wo ihm für jede Tonne zehn Pesos in Gold gezahlt werden, zuweilen etwas mehr, zuweilen weniger, je nach dem Marktpreis des Holzes. Ihm wird von dem Feldverwalter oder Administrador del Campo innerhalb der Konzession der Distrikt zugewiesen, den er auszubeuten hat.
Jeder Contratista bearbeitet einen anderen Distrikt, der oft zwei oder gar drei Tagereisen weit von den Oficinas, wo der Administrador mit den Angestellten seinen Sitz hat, entfernt ist.
Die zweite Etappe ist das Abflößen der Stämme, eine Tätigkeit, die von den Oficinas aus geleitet und beaufsichtigt wird. Denn von dem Augenblick an, wo die Stämme am Flussufer aufgeschichtet sind, fertig zum Abflößen, kümmert sich der Contratista nicht mehr darum. Die Caoba gehört nun der Company.
Die dritte Etappe sind Lagerung und Verschiffung des Holzes zu den Aufkäufern. Bis zu einer bestimmten Station des Stromes schwemmt das Holz frei. Alle Stämme tragen die Brandzeichen der Companien, denen das Holz gehört; denn alle Companien, auch wenn sie an verschiedenen kleineren Flüssen ihre Monterias haben, müssen endlich denselben großen Strom zum Flößen gebrauchen. An der letzten Station, wo bereits Motorboote zu fahren beginnen und die frei schwimmenden Stämme den Fahrzeugen gefährlich werden können, werden die
Stämme aus dem Strom gefischt und von den Vertretern der Companien nach dem Brandzeichen ausgesucht. Hier werden die Stämme dann zu großen Flößen zusammengebaut und von sehr geschickten Floßschiffern zum Seehafen befördert, wo die Flöße wieder abgebaut werden und die Stämme auf Lager kommen, bis sie auf Schiffen weiterverladen werden. Diese dritte Etappe, beginnend an der letzten Station, wo die Stämme frei anschwemmen, bis zur endgültigen Verladung, wird von dem Hauptquartier geleitet und überwacht.
Das Hauptquartier befindet sich entweder im Hafen oder in der nächsten größeren Stadt der Region.
Â
Die Brüder Montellano, Severo Gurria Montellano, Felix Gurria Montellano und Acacio Gurria Montellano, hatten beim Ankauf der Monteria beschlossen, dass jeder von ihnen den Verwalterposten einer der drei Etappen übernehmen sollte. Severo, der älteste, sollte die dritte Etappe, also die wichtigste Seite des Geschäftes, überwachen; Felix sollte in den Oficinas der Administrador und Acacio, der jüngste und ausdauerndste, sollte der Hauptcontratista sein und als Chef der Contratistas deren Arbeiten überwachen.
Der Plan war gut und auch vernünftig. Aber als es zum Arbeiten nach diesem Plan kommen sollte, stellten sich so viele Hindernisse in den Weg, dass er sich nicht so ohne weiteres durchführen ließ.
Don Mariano hatte schon in jenem Tischgespräch angedeutet, dass er daran zweifle, ob diese drei Brüder wirklich miteinander durch dieselbe Mutter und denselben Vater verwandt seien. Solange die drei, jeder einzelne als selbständiger Contratista, nebeneinander gearbeitet hatten, waren sie immer gut ausgekommen. Jetzt aber, wo sie all ihr Geld zusammengeworfen hatten, um Monterias zu kaufen, war einer gegen den andern misstrauisch geworden. Sie mussten sich ja wohl gegenseitig gut kennen und jeder vom andern wissen, was er wert sei und was er getan hatte, ehe sie sich trafen, um Brüder zu werden. Wenn man einen Namen hat, der sich reichlich oft in Polizeiberichten, Gerichtsurteilen und Gefängnislisten vorfindet so tut man, schon aus Selbsterhaltungstrieb heraus, recht gut, ihn abzuschütteln und nach einem anderen zu suchen, der weniger bekannt und aufgebraucht ist. Das fernere Leben ist dann bequemer, so lange, bis man sich wieder vor die Notwendigkeit gestellt sieht, abermals eine Häutung vorzunehmen. Ein neuer brauchbarer Name ist immer viel sicherer, wenn man einen
Bruder oder eine Schwester oder am besten einen Vater beibringen kann. Dann ist der neue Name weniger verdächtig. Es mag sein, dass die drei Brüder Montellano den Namen ihrer Eltern in einem Telefonadressbuch in Barcelona oder Madrid ausgesucht hatten und den Namen dieser adoptierten Eltern angaben, wenn es in Geschäften notwendig war, größeres Vertrauen zu gewinnen.
Freilich, wenn die Mutter der Montellanos plötzlich nach Mexiko gekommen wäre, würde sie sich gewiss reichlich gewundert haben, drei Söhne vorzufinden, von deren Vorhandensein sie bis dahin keine Ahnung hatte.
Weil jeder der drei Montellanos sicher wusste, warum jeder von ihnen es für ersprießlich angesehen hatte, Bruder der beiden anderen zu werden, darum mochte ihr gegenseitiges Misstrauen gewiss nicht unbegründet sein.
Severo als Hauptkassierer im Hafen zu lassen, wo er das Holz verkaufte und das Geld einkassierte, während die beiden anderen tief im Dschungel saßen, das gefiel den beiden nicht sehr. Es gefiel ihnen überhaupt nicht, dass sie voneinander getrennt leben sollten. Felix im Hafen allein zu lassen war, wie Severo und Acacio behaupteten, ungeschickt weil er nach ihrer Meinung von Geschäften nichts verstand und er wahrscheinlich das schöne gute Holz für weniger Geld verkauft haben würde, als es sie selbst kostete. Das war natürlich nur eine Ausrede, um nicht offen sagen zu müssen, dass sie ihm die Hauptkasse nicht anvertrauen könnten.
Acacio war nach Meinung der beiden anderen zu jung und zu unerfahren, um überhaupt allein gelassen zu werden.
Schließlich nach langen Verhandlungen, die zuweilen nahe daran waren, mit Revolverschüssen belebt zu werden, kamen sie darin überein, dass alle drei zugleich in den Dschungel gehen Sollten, um erst einmal genügend Holz zu fördern. Dann sollten alle drei, wieder gemeinsam, das Holz abflößen und endlich alle drei sich im Hafen niedersetzen, um dort auf die Käufer zu warten. Das war eine sehr kostspielige Arbeitseinteilung. Wenn sie alle drei im Hafen waren, konnten die Contratistas tun, was sie wollten, das Holz mit den Brandzeichen anderer Companien versehen und an andere Companien verkaufen oder gar auf eigene Rechnung abflößen mit Hilfe von Leuten, die an der Floßbaustation auf Gelegenheiten warteten, >wildes< Holz unter dem Preis zu bekommen.
Mehr noch, die Contratistas anderer konzessionierter Companien konnten während der Abwesenheit der drei Brüder in deren Konzession einbrechen und hier einige Monate lang schlagen, ohne dabei gestört zu werden.
Es mochte ferner geschehen, dass, während die drei Brüder im Dschungel arbeiteten, die Preise für Caoba im Hafen sehr hoch stiegen und so viele Käufer da waren, dass man sich den aussuchen konnte, der den höchsten Preis zahlte. Und kamen die Brüder dann endlich zum Hafen, um zu verkaufen, mochten die Preise ungemein niedrig sein, es war vielleicht kein einziger Käufer zu sehen, und das Holz fraß mehr an Lagerkosten, als daran verdient werden konnte. Jedoch das gegenseitige Misstrauen siegte, und alle drei arbeiteten vor den Bäumen als Contratistas, wie sie es früher getan hatten, nur mit dem einen Unterschied, dass jetzt der ganze Gewinn ihnen zufiel und nicht nur zehn Pesos Gold für jede gelieferte Tonne, sondern dreißig, fünfzig, achtzig, ja vielleicht bis zu hundertzwanzig und noch mehr für die Tonne.
Wer mochte wissen und wer konnte voraussagen, wie hoch Caoba im Preise zu steigen vermag?
Â
Es war nicht nur das Misstrauen allein, das die Brüder daran hinderte, das Geschäft so zu führen, wie sie es ursprünglich geplant hatten. Die Caobavorräte, die sich im Hafen vorfanden und der Company gehörten, waren in den Verkauf nicht mit eingeschlossen worden. Der Preis, den die Company dafür verlangte, war den Montellanos zu hoch gewesen. Die Company war stark genug, um mit dem Verkauf von Caoba zu warten, bis ihr der angebotene Preis am günstigsten erschien.
Billig war die Monteria La Armonia nicht, als die Montellanos sie kauften. Der Distrikt, den die Konzession zur Ausbeutung umfasste, war groß, etwa dreitausend Quadratkilometer tropischer Urwald.
Dass der Distrikt der Konzession reich war an Caoba und, genau besehen, kaum richtig angetastet, das war den Brüdern recht gut bekannt. Als erfahrene Contratistas wussten sie, wo die reichen Distrikte waren. Lange bevor sie überhaupt ernstlich an den Kauf der Monteria dachten, hatten sie den Distrikt nach jeder Richtung hin ausgeforscht, um nicht ein Pferd im dunklen Stall zu kaufen.
Aber zu einer Monteria gehörte mehr als nur die Konzession. Zu einer Monteria gehörten, je nach ihrer Größe, hundert, zweihundert, vielleicht dreihundert Ochsen; dazu gehörten Pferde und zwanzig oder dreißig starke Mules, die gewohnt waren, durch Sümpfe zu marschieren, und darum die teuersten waren. Dazu gehörten die Gebäude, die, wenn sie auch primitiv sein mochten, doch einen erheblichen Wert darstellten. Dazu gehörte die Tienda, die mit Waren stets gut versehen sein musste. Und die Geschirre aller Art zur Förderung, die Äxte, Hacken, Machetes, Ketten, Haken, Sättel, Joche, Feldschmieden, waren von hohem Wert für den, der sie gebrauchte und gebrauchen musste. Hätte ein Käufer diese Dinge nicht gekauft, so würde die verkaufende Company sie ihm geschenkt haben; denn sie fortzutransportieren kostete mehr, als sie im nächsten Ort beim Verkauf erzielt haben würden. Aber der Käufer war hilflos ohne diese Geschirre und sonstigen Waren. Für ihn hatten sie hohen Wert, der Verkäufer wusste das, und er brauchte darum den Preis für diese Dinge nicht zu niedrig anzusetzen.
Severo Montellano, der älteste der Brüder, hatte sein Geld, das er als Contratista verdiente, nicht müßig liegenlassen. Er hatte es verliehe n. Er verlieh sein Geld freilich nicht an ehrlich arbeitende Pflanzer, sondern nur an solche, von denen er wusste, dass sie spielen oder das Geld in anderer Weise verludern würden. Er lieh sein teuer erarbeitetes Geld nicht aus, um dafür Zinsen zu bekommen. Das wäre kein genügend hoher Verdienst gewesen. Er lieh es aus, damit der Rancho, die Pflanzung oder das Haus, worauf er das Geld lieh, verfallen sollte, um in seine Hände zu kommen. So waren er und seine beiden Brüder, die es, seinen Ratschlägen folgend, ebenso gemacht hatten, in den Besitz jener großen Bananenpflanzungen gelangt, die von ihnen jetzt in Zahlung gegeben wurden, als sie die Monteria kauften.
Auf diese Art war es ihnen gelungen, die Monteria zu einem Preise zu erwerben, für den, in barem Geld gerechnet, die Company die Monteria nie verkauft haben würde. Die Company freilich war verhältnismäßig gut bezahlt worden durch Übertragung jener Pflanzungen in den Preis. Wer billig, weit unter dem Preis gekauft hatte, das waren die Brüder Montellano, die die Pflanzungen zu einem Zehntel ihres wahren Wertes hatten erwerben können und diese Pflanzungen mit dem vollen Wert in Zahlung gaben.
Da sie die Caobavorräte der Company im Hafen nicht mit übernommen hatten, so fanden sich die Brüder jetzt ohne irgendwelche Vorräte von Caoba, die zum Verkauf und Verschiffen bereit waren.
Dies war ein weiterer Grund gewesen, warum die drei Brüder beschlossen, in den Dschungel zu gehen, um erst einmal neue
Caobavorräte heranzuschaffen. Solange keine Caoba im Hafen war, konnte man ja doch keine verkaufen.
Es war bei den Beratungen freilich auch erwähnt worden, dass man den Verkauf im Hafen durch Agenturen ausführen lassen könnte, so dass die drei Brüder sich lediglich um die Förderung sorgten.
Aber dasselbe Misstrauen, das sie gegeneinander empfanden, zeigten sie erst recht gegen andere, in diesem Falle gegen die Agenten, die nach Meinung der Brüder alle Betrüger seien; so konnte es dann kommen, dass man lediglich für die Agenten zu arbeiten haben würde.
Â
Die Montellanos begannen ihre Tätigkeit in der Monteria damit, dass sie die Gehälter der Angestellten sehr eingehend prüften und daraufhin die Löhne der Handwerker, der Karawanenarrieros und aller übrigen Leute, die unmittelbar Angestellte der Company waren und zum Hauptcamp gehörten.
Darunter waren die Gehilfen der Tienda und der Lager; da waren die Jungen, die für die Angestellten die Bungalows reinigten und in Ordnung hielten; die Weideburschen für die Ochsen, wenn die Ochsen zum Auffüttern auf die Prärie geschickt wurden; die Canoeführer; die Peones, deren Arbeit es war, Mais- und Bohnenfelder zu bestellen für die Verpflegung der Hunderte von Männern und Burschen, die hier arbeiteten; die Peones, die Schweine und Ziegen für den Fleischbedarf mästeten und in ihrer freien Zeit die Felle der geschlachteten Tiere gerbten und bearbeiteten, um sie für Zuggeschirre verwenden zu können.
Die Löhne für diese Peones schwankten zwischen einem Real und sechs Reales oder fünfundsiebzig Centavos den Tag. Die Löhne der Handwerker bewegten sich zwischen fünfundsiebzig Centavos und einem Peso sechzig täglich. Die Angestellten bezogen Gehälter je nach ihrer Tätigkeit, ihrer Erfahrung und ihrem Alter von sechzig bis zu zweihundert Pesos im Monat.
Obgleich die Löhne und Gehälter recht bescheiden genannt werden konnten im Hinblick darauf, dass die Leute im Dschungel zu leben hatten und dass jedes Kleidungsstück und jeder Gebrauchsartikel hier das Dreifache, Fünffache oder gar Zehnfache des gewöhnlichen Preises kosteten, so war die Gesamtsumme für die Gehälter und Löhne, die in einem Jahr ausgezahlt wurde, hoch genug, um die Montellanos in Schrecken zu versetzen, als sie sie ausgerechnet hatten.
Was man nicht ausgibt, ist gespart; und Geld, das man in der
Tasche behalten kann, ist verdientes Geld. So dachten die Montellanos. Und sie dachten ferner: je rascher wir mit dem Ausgeben aufhören, um so schneller beginnt das Sparen und Verdienen. Am leichtesten und gefahrlosesten verringert man die Geschäftsunkosten, wenn man Gehälter und Löhne kürzt. Das tut dem, der kürzt, am wenigsten weh. Wem es nicht gefällt, der kann seiner Wege gehen.
Als den Angestellten von der Kürzung Kenntnis gegeben wurde, gingen sie alle ihrer Wege. Sie beriefen sich darauf, dass sie einen Kontrakt mit der Company hätten, nicht aber mit den neuen Besitzern, dass ferner ihre Kontrakte die Gehälter in bestimmter Höhe festlegten, und wenn diese Gehälter nicht weiter bezahlt würden, hätten sie keine Verpflichtung, im Kontrakt zu bleiben, auch wenn die Kontrakte mit im Verkauf eingeschlossen sein sollten.
Die drei Brüder berieten und kamen zu der Überzeugung, dass ihnen nichts Besseres widerfahren könnte als das Abschiednehmen aller Angestellten. Diese Angestellten faulenzten und soffen und hurten doch nur hier herum, und alle ihre Arbeit konnte Don Severo ganz gut allein machen. Reporte und Abrechnungen brauchten nicht angefertigt und abgeschickt zu werden, weil die drei Brüder ja selbst die Company waren, und sich selbst braucht man ja keinen Report zu schreiben. Wenn Don Severo das nächste Mal nach San Juan Bautista kam, konnte er sich umsehen, und er würde ja vielleicht zwei oder drei halbverhungerte Herumtreiber erwischen, die mit Büchern und Rechnungslisten umzugehen verstünden und glücklich sein würden, wenn Don Severo ihnen fünfundvierzig Pesos Lohn im Monat verspräche. Sie brauchen ja nicht dreimal täglich für je fünfzig Centavos zu essen, sondern einmal genügt. Durch lange Arbeitslosigkeit waren sie daran gewöhnt, wenig zu essen; und wenn sie trotzdem noch hungrig sein sollten, so können sie ja für sich selbst kochen und gelegentlich auf die Jagd gehen. Er, Don Severo, wird ihnen das Leben in einer Monteria, in den
Tiefen des Dschungels, umgeben von Tigern, Pumas, großen Affen und Herden von schmackhaften Wildschweinen, so verführerisch schildern, dass sie willens sein werden, beinahe umsonst zu arbeiten, um das Leben eines Robinson Crusoe führen zu können.
Die Frage der Angestellten war damit gelöst. Was die Hauptsache war, eine erhebliche Ausgabe, die größte, die sie an Löhnen hatten, war gespart und konnte als erster Verdienst gebucht werden. - Don Severo, dem von seinen beiden Brüdern willig zugestanden wurde, dass er den besten Kopf und die größte Geschicklichkeit habe, finanzielle Fragen zu behandeln und sie immer zu seinen Gunsten zu lösen, nahm sich nun die Lohnlisten der Handwerker und der Peones vor.
Die drei Brüder beratschlagten, auf welche von den Handwerkern und den Peones man am leichtesten verzichten könnte. Als man diese Männer bezeichnet hatte, ließ man sie rufen, und Don Severo teilte ihnen das Ergebnis der Beratung mit. Sie schienen es nicht tragisch zu nehmen. Das kam Don Severo verdächtig vor; denn diese Leute lebten von der Hand in den Mund und hatten es in der Stadt kaum besser als hier. »Wie viel Restlohn hat jeder von euch noch zu bekommen?« fragte Don Acacio, der jüngste und am wenigsten erfahrene der drei Brüder. Ihm war die Aufgabe übertragen worden, die Leute, die Don Severo und Don Felix als überflüssig bezeichnet hatten, zu verabschieden. Der eine gab zwanzig Pesos an, ein anderer zwölf, ein dritter achtzehn. Don Acacio schrieb einen Gesamtscheck für die Leute aus, und Don Severo unterschrieb ihn.
Es war merkwürdig, wie schnell die Leute ihre Packen ordneten und sich auf den Marsch begaben.
Sie waren gerade daran, abzuwandern, als Don Felix seinen Bruder Don Severo ansah und gleich darauf halb schreiend zu ihm sagte: »Pero, hombre, alter Mann der Dummheit, hast du denn in der Tienda nachgesehen, ob die Leute nicht vielleicht einen gewaltigen Haufen von Borg und Vorschuss haben und jetzt damit verschwinden?«
»Verflucht und drauf geschitt«, brauste Don Severo auf. Mit einem Satz war er draußen, und zwei Sekunden darauf war er bei dem kleinen Trupp.
»Halt da, ihr gemeinen Räuber, wo ist der Scheck? Den Scheck her, oder ich schieße euch zusammen wie kreuzverdammte lahme Karnickel!« schrie er.
Die Leute taten unwissend, als ob sie nie etwas von einem Scheck geahnt hätten.
Aber da kam auch schon Don Acacio herbei, ging auf einen Mann zu und schrie ihn an: »Du, stinkiger Hund, hast den Scheck. Her damit!«
Im Laufen hatte er den Revolver gezogen und hielt ihn jetzt gegen den Mann gepresst.
»Ich habe den Scheck nicht mehr, Jefe«, sagte der Mann ruhig. »Ich habe den Scheck Eulalio gegeben.«
»Eulalio! Eulalio!« rief Don Severo über den Platz hinweg.
Aus einer der Branntweinhütten torkelte eine Frau, deren dreckige Baumwollbluse in Fetzen herunterhing. Sie war heftig in der Soße. Ihr Haar war offenbar seit Tagen nicht gekämmt.
Als sie den Namen Eulalio schreien hörte, tauchte in ihr gewiss eine Erinnerung auf. Sie stemmte beide Hände in die Hüften, bückte sich, um ihren Lungen größere Kraft zu geben, und dann brüllte sie herüber: »Eulalio, der Cabron und Blutschänder. Ich muss auch noch seinen Branntwein hier bezahlen, den er mit den andern Weibern gesoffen hat.«
»Halt dein gottverfluchtes dreckiges Maul«, schrie Don Felix.
»Mein Maul halten?« schrie die Frau und streckte ihre Zunge weit heraus. »Ich mein Maul halten?
Der Hurensohn hat das Geld und ist schon halb in Hucutsin mit seinem Pferd.«
»Was sagst du? Chinga tu matricula, puta vieja!« rief Don Acacio und rannte zu einem Pferd, das an einem Baumstrunk angebunden stand.
»Bäh, ich Puta vieja?« blökte die Frau herüber. »Du kommst nicht über mich, du Puto.« Mit einem Ruck drehte sie sich um, hob ihre Röcke bis an die Schultern hoch und schrie: »Da, komm her, wenn du was schmecken willst. Ich eine Puta vieja? Das muss ich mir sagen lassen, von so einem grünen Hurenbengel!«
Sie drehte ihren Kopf herum, um zu sehen, ob einer die Einladung annahm und ob auch jeder hinsah. Aber niemand machte sich etwas daraus. So etwas und anderes kam jeden Tag zehnmal vor und hatte hier jeglichen Reiz von Neuheit verloren. Als sie sich zu weit herumdrehte, um alle Winkel von rückwärts übersehen zu können, verlor sie das Gleichgewicht, fiel um, und mit hochgestülpten Röcken blieb sie vor dem Eingang der Hütte liegen.
Don Acacio brauchte weniger als eine Minute, um das Pferd zu satteln. Dann hieb er wild auf das Tier ein und verschwand im Dickicht.
Am Abend brachte er Eulalio zurück. Den Scheck hatte er ihm gleich auf dem Wege, wo er ihn eingeholt hatte, abgenommen. Er brachte den Scheck zu Don Severo. Der sah ihn an, und dann zerriss er ihn.
Â
Den Rest des Nachmittags hatten die beiden zurückgebliebenen Brüder, Don Severo und Don Felix, damit verbracht, erst einmal die Konten der Leute, die zum Camp gehörten, auf die Vorschüsse hin zu überprüfen. Sie kannten ihren Bruder Acacio genügend und wussten, dass er den Scheck schon bringen würde, sollte es auch einen oder gar zwei Morde kosten. Und wenn Don Acacio selber ermordet aufgefunden werden sollte, den Scheck würde er haben, so sicher, als hätte er ihn nie aus der Hand gegeben.
Der Mann war noch nicht geboren, der einem der drei Montellanos einen Scheck hätte stehlen und damit abreisen können, um ihn in Ruhe zu kassieren und das Geld zu verjubeln.
»Im ganzen Feldlager ist ja nicht ein einziger zu finden, der nicht tief in unserer Suppe sitzt«, sagte Don Severo, als sie mit dem Nachrechnen der Konten zu Ende waren.
»Was Besseres konnten wir gar nicht erwarten.« Don Felix lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Wer von der ganzen Bande hier überflüssig ist, der wird gefeuert.«
»Du meinst das nicht gerade so«, warf Don Acacio ein.
»Sicher nicht.«
»Wer hier nicht länger gebraucht wird, verdient seinen Vorschuss vor den Bäumen ab. Und wenn er jeden Centavo abverdient und keinen neuen Borg gemacht hat, dann kann er gehen.«
»Das meinte ich ja. Gerade so meinte ich es, Severo«, sagte Don Felix. »Wir sind nicht hier hergekommen, um Wohltaten zu erweisen und Besoffenen Branntwein zu schenken. Wir sind hergekommen, um zu arbeiten.«
Don Acacio trat in die Tür und blickte hinüber zu den Bungalows der Angestellten. »Ich hoffe, die gehen morgen los.
Ich brauche einen Bungalow für mich.«
»Übermorgen, Cachito. Übermorgen ziehen sie ab mit ihren Gäulen und Schwänzen. Hoffentlich nehmen sie nicht alle ihre Huren mit und lassen uns wenigstens ein paar von den besseren hier.« Don Severo schenkte sich einen Comiteco ein und schoss ihn in einem Schwung hinunter.
Gerade als sich Don Acacio sein Glas füllte, kam Don Julian in den Bungalow, in dem die drei Brüder zeitweise ihre Oficina und Schlafstelle aufgemacht hatten.
»Buenas noches, caballeros!« grüßte er. »Ich wollte Sie bitten, zum Abendessen zu kommen, falls Sie bereit sind.«
»Muchas gracias«, sagte Don Severo, für alle drei sprechend. »Wir wollen uns nur die Hände waschen.«
Don Acacio, der die Comitecoflasche noch in der Hand hielt lud Don Julian ein: »Heften Sie sich erst einmal einen guten Flitzer hinter Ihre Brustwarzen.«
»Kann ich gebrauchen, um mir ein zufriedenes Äußeres zu geben«, sagte Don Julian lachend.
Als er getrunken hatte, gluckste er. Dann krächzte er heftig und machte ein wohliges Gesicht.
»Caray, verflucht noch mal, der ist besser als die Scheuerbürsten, die wir zu schlucken haben.«
»Schenken Sie sich noch einen ein, Amigo«, riet Don Severo. »Wenn der alle ist haben wir auch nichts anderes, als was uns die Türken herbringen. Wie oft kommt denn der Türke jetzt überhaupt?«
»Alle drei Monate«, sagte Don Julian. »Manchmal werden es auch fünf, wenn die Wege schlecht sind.«
»Fertig, ihr da?« fragte Don Severo seine beiden Brüder, die sich mit einem Taschenkamm das Haar glatt strichen. »Bueno, dann losgerattelt!«
Â
Im Comedor, wo die Caballeros aßen, hatten die Chinesen zwei weitere rohe Tische aufgestellt, weil an der einzigen Tafel, die hier gewöhnlich war, nicht alle sitzen konnten, die heute zum Essen gekommen waren.
An den beiden Tischen, die seitlich gegen die Enden des Haupttisches gestellt waren, saßen die Angestellten, während der Administrador mit den Contratistas am großen Tisch saß, wo er für die Montellanos drei Plätze frei gelassen hatte. Als die drei Brüder mit einem >Buenas noches, caballeros!< eintraten, befand sich der Administrador Don Leobardo an dem Waschständer beim, Eingang und wusch sich die Hände.
»Chinito«, rief er den Chinesen an, »zeige den Caballeros ihre Plätze.«
Der Chinese wischte mit seiner beklecksten Schürze einen Sitz sauber auf der einen Bank und zwei Sitze gegenüber auf der andern Bank am langen Tisch. Er tat das so, als ob er sich Mühe gäbe, nicht mehr Staub herunterzuwischen, als der eine und die zwei gegenüberliegenden Sitze Platz einnahmen.
Ob alle die anderen Sitze auf den beiden Bänken staubig oder fettig waren, kümmerte ihn nicht. Dass er die drei Sitze überhaupt abwischte, geschah mehr, um den drei Neuangekommenen zu zeigen, wo sie sitzen sollten, als dass er ihnen damit eine besondere Höflichkeit erweisen wollte. Die drei Brüder setzten sich. Don Severo, als der älteste, saß neben dem Administrador, während die beiden anderen Brüder diesen zwei Caballeros gegenübersaßen.
Einige Contratistas und einige der älteren Angestellten, der
Hauptbuchführer und der Lagerverwalter, hatten sich schon lange vorher am Tisch niedergelassen. Es schien, dass hier bereits eine halbe Stunde oder gar noch länger vorher eine Anzahl von Männern gesessen und unterhandelt hatten, denn der Raum war, obgleich eine halbe Wand fehlte, reichlich mit Tabakrauch gefüllt.
Während sich Don Leobardo die Hände abtrocknete und das Haar kämmte, rief er durch die offene Wand: »Ya, Chinito, listo! Bring das Futter, und wenn es heute nicht de primera ist, sehr, sehr gut, dann schlage ich dir morgen deine Pfannen und Schüsseln auf deinem Schädel entzwei.«
»Glacias, Don Leobaldo«, rief der Chinese aus der Küche, »vielen Dank fül die Mühe. Abel das Essen ist das allelbeste, das ich je in meinem ganzen Leben gekocht habe.«
»Dein Glück!« rief Don Mariano, der Lagerverwalter. »Dein Glück, Chinito, sage ich dir. Wenn es nicht das beste ist, heute zum Abschied, dann erlebst du nicht den nächsten Sonnenaufgang. Ich lasse dich füsilieren und deine Gebeine hier in der Selva, in den dunkelsten Stellen des Dschungels, vermodern.«
Der Chinese stellte die ersten Teller, mit heißer Suppe gefüllt, auf den Tisch, kam näher an Don Mariano heran, neigte sich vertraulich zu ihm und sagte, während er seine beiden Hände gekreuzt über der Brust hielt: »Füsilielen können Sie mich, Don Maliano, dagegen kann ich nichts tun. Abel meine Gebeine können Sie hiel nicht in del Selva velmodeln lassen.«
»So, und warum denn nicht, Hijo celeste, Sohn des Himmels?«
Der Chinese lachte verschmitzt zog die Augenbrauen hoch, bewegte einen Zeigefinger, ohne die Hände von der Brust zu entfernen, und sagte: »No, Don Maliano. Sehen Sie, ich habe mich in eine Velsichelung eingekauft und alle Plämien schon volaus bezahlt; und wenn Sie mich hiel füsilielen, dann schickt die Velsichelung in San Flancisco meine Gebeine nach China, um sie an del Seite meinel hochehlwüldigen Volfahlen mit allen Ehlen zu bestatten. Es ist alles bezahlt.«
»Hölle und Teufel noch mal, verfluchter Chink, willst du endlich die Suppe hier herbringen! Oder soll ich dir erst mal einen Knüppel zwischen die Beine fegen?« rief Don Leobardo und klopfte mit einem Löffel ärgerlich auf die Tischplatte.
»Estoy volando, Don Leobaldo, ich fliege ja schon.«
Als er mit den nächsten Tellern Suppe hereinkam, zog Ihn Don Severo am Arm näher. »Weißt du, Chink, deine Suppe ist sehr gut.«
Don Severo und seine Brüder hatten schon zu löffeln begonnen, ohne darauf zu warten, dass alle am Tisch ihre Suppe vor sich hatten.
»Muchas glacias, caballelo, vielen Dank!«
Endlich hatte jeder seine Suppe. Don Severo war gerade mit der seinen zu Ende, als der Chinese die letzten Teller Suppe hereingebracht hatte. Dieser stand nun eine Weile hinter den Essenden, um auf die ersten leeren Teller zu warten und sie hinauszutragen. Don Severo drehte sich um zu ihm und sagte: »Chink, du kannst hier bei uns als Koch bleiben.«
»Das glaube ich nicht Caballelo. Sie sind nul dlei, und dabei kann ich nicht mein eigenes Essen veldienen. Ich denke, ich welde mit Don Leobaldo nach Yucatan gehen und auf del Henequenplantage mein neues Café ellichten.« Er nahm die drei Teller der Brüder auf und trug sie eilig hinaus in die Küche.
Die Contratistas und die Angestellten warfen sich Blicke zu und zwinkerten verstohlen zu den Brüdern hinüber, um zu sehen, was für ein Gesicht sie machten. Der Chinese hatte gesagt, dass er nur für drei zu kochen haben würde, falls er hier bleibe, und das bedeutete, dass kein Contratista und kein Angestellter die Absicht habe, mit den drei Brüdern zusammenzuarbeiten. Die Brüder taten, als ob sie das nicht begriffen hätten. Oder vielleicht hatten sie schon geahnt, dass hier alle abrücken würden.
Â
Es war während des Essens wenig gesprochen worden. Man hörte nur das Schmatzen der Essenden, das Klappern der Geschirre und gelegentlich ein Ersuchen, das Salz oder die Catsup oder sonst eine Tunke herüberzureichen, und hin und wieder fiel ein halb verlorener Satz über ein Vorkommnis im Camp.
An anderen Tagen standen die Leute nach dem Essen sofort auf und gingen in ihre Bungalows oder zu den Branntweinhütten. Nur manchmal blieben sie hier. auch sitzen, um zu spielen oder sich in fauler Weise zu unterhalten.
Heute jedoch blieben sie alle bei Tische sitzen. Ohne dass ein Wort darüber geäußert worden wäre, wusste jeder, dass nun eine Konferenz stattfinden würde. Die Contratistas, die nur alle drei Monate einmal für ein paar Tage zu den Oficinas kamen, und jeder zu einer anderen Zeit so wie es ihm gerade am besten behagte, waren heute alle auf einmal gekommen, ohne dass sie gerufen worden wären. Sie wussten, dass heute die Brüder eintreffen und die Monteria übernehmen würden. Im ersten Anschein machte es den Eindruck, als wären die Contratistas aus ihren fernen Distrikten lediglich darum heute alle zusammen hier hergekommen, um die neuen Besitzer zu begrüßen und deren Anordnungen in Empfang zu nehmen.
Aber das war nicht so. Es war niemand hier, der die drei Montellanos nicht kannte; und selbst die jüngeren Angestellten, die persönlich nie einen der Brüder gesehen hatten, kannten deren Ruf, deren Taten und deren Habgier. Die Montellanos waren als Mitarbeiter oder als Mitcontratistas in derselben Company unerträglich genug. Sie jedoch als Vorgesetzte, als Direktoren und Besitzer der Company, für die man arbeitete, zu haben, das lehnte ein jeder ab, der je von ihnen gehört hatte.
Die Company hatte vier Contratistas, die hier mit ihren
Leuten für die Company Mahagoni heranschafften. Alle vier hatten abgelehnt ihre Kontrakte beizubehalten. Die Montellanos redeten keinem der vier zu, hier zu bleiben und für sie zu arbeiten. Einmal wussten sie, dass es vergeblich gewesen wäre. Zum anderen, und das gab den Ausschlag, war es ihnen im Grunde genommen sehr willkommen, dass kein Contratista blieb.
Sie selbst waren erfahrene Contratistas und brauchten niemand zur Hilfe. Ihre Pläne hatten sie bereits gemacht, wie sie in Zukunft die Monteria in einer Weise leiten würden, dass alles Geld, was sie den Contratistas hätten zahlen müssen, in ihre eigene Kasse ging.
Das einzige, was jetzt in Hinsicht auf die Contratistas zur Verhandlung stand, war die Ablösung der Kontrakte. Es war die Sorge der Montellanos, die Kontrakte so billig zu übernehmen, wie das nur irgend möglich war. Dass sie, die Brüder, ihrer Brutalität, ihrer Habgier und ihrer Unverträglichkeit wegen so sehr unbeliebt, zum Teil verhasst zum Teil gefürchtet waren, betrachteten sie nicht als eine Schande oder gar als einen Nachteil, sondern vielmehr als einen sehr wertvollen Vorteil für ihre Verhandlungen. Keiner der Contratistas wollte unter ihnen arbeiten, jeder wollte seinen Kontrakt ablösen, und weil er ihn ablösen wollte, darum wussten die Montellanos, dass die Sicherheit bestand, die Kontrakte unter dem Preis kaufen zu können. Die Verhandlungen, die von den Contratistas während des Nachmittags im Beisein des Administradors, Don Leobardo, gepflogen worden waren, drehten sich um den Preis, den sie fordern würden. Sie hatten beschlossen, an ihren Preisen festzuhalten und nicht nachzugeben.
Â
Eine Viertelstunde lang nach dem Abendessen war am Tisch nur über Kleinigkeiten geredet worden. jeder wusste, dass dies nur Verlegenheitsgespräche waren, um den Keim der Verhandlungen reifen zu lassen.
Dann aber konnte Don Severo nicht länger verschlucken, warum er überhaupt hierher zum Abendessen gekommen war. Er hätte ebenso gut in seinem Bungalow mit seinen Brüdern allein essen können. »Don Remigio«, sagte er plötzlich, mitten aus einem gleichgültigen Gespräch über den Hafenverkehr in El Carmen heraus, »Don Remigio, haben Sie mir die Aufstellung Ihres Kontraktes gemacht?«
»Gewiss, Don Severo.« Don Remigio nahm sein Kontobuch hervor und eine Anzahl von Listen.
»Ich habe hier alle Namen der Leute, die ich in meinem Kontrakt habe. Hinter jedem einzelnen Namen finden Sie, was der Mann mich kostet, wie viel er außerdem inzwischen auf sein Konto genommen hat, wie viel er täglich als Lohn bekommt und wie viel er bis zum Tage der Übernahme, also morgen, verdient hat. Die einzelnen Kontrakte eines jeden Mannes mit den Namen der Bürgen und dem Stempel der Municipalidad hat Don Leobardo in seiner Oficina.«
»Bueno, Don Remigio?« fragte Don Severo.
»Ich habe neunundachtzig Leute in meinem Kontrakt. Die Gesamtschuldsumme der Muchachos ist, nach Abrechnung der verdienten Löhne, heute
neunzehntausendzweihundertsiebenundvierzig Pesos.
Der   Vorrat   an   Caoba,   den   ich   habe,   beträgt achttausendsiebenhundert Pesos in runder Summe. Es ist bei weitem mehr geschlagen, etwa sechshundert Tonnen, aber die werde ich nicht mit einrechnen, weil sie noch nicht geschleppt
sind.«
»Das wäre dann insgesamt, Don Remigio?« »Insgesamt
siebenundzwanzigtausendneunhundertsiebenundvierzig Pesos.«
Don Severo hatte, während Don Remigio sprach, die Zahlen alle auf einem Stück Papier aufgekritzelt.
»Das stimmt, Don Remigio«, sagte Don Severo und malte einen dicken Punkt hinter die letzte Ziffer, die er geschrieben hatte. »Das wäre dann, was ich Ihnen zu zahlen haben würde.«
»Etwas mehr«, antwortete Don Remigio ruhig.
»Was denn noch mehr?« fragte Don Felix, sich einmischend.
»Du bist ruhig, verstehst du!« rief ihn Don Severo an.
»Ist doch mein Geld auch«, verteidigte sich Don Felix.
»Schitt, dein Geld! Es ist auch meins und Cachitos. Und halt's Maul!« riet ihm der Ältere. »Sei überhaupt froh, dass du hier beisitzen und zuhören kannst, wenn Leute, die etwas von Geld verstehen, miteinander reden.«
Dann zündete er sich eine Zigarette an.
Gleich nach Beendigung des Abendessens hatte Don Leobardo aus der Tienda mehrere Flaschen Comiteco bringen lassen, aus denen fortgesetzt eingeschenkt wurde.
Don Severo goss sich jetzt ein mächtiges Glas voll und schoss es mit einem Ruck hinunter. Die Flasche ging weiter, und wo sie nicht zur Zeit ankam, schenkte sich der Durstige aus einer der anderen Flaschen ein. Die jüngeren Angestellten riefen, aus Höflichkeit gegenüber den älteren Caballeros, immer ein »Salud!«, ehe sie tranken. Die Contratistas und die drei Brüder hielten das nicht für nötig, weil sie keine Zeit verschwenden wollten.
Trinke, wenn du trinken willst, und rede nicht lange. Es tut weder dir noch andern gut.
Als Don Severo heftig gekrächzt und dann gegrunzt hatte, sagte er, als habe er nicht genau hingehört: »Wie sagten Sie, Don Remigio? Etwas mehr? Was denn da noch mehr?«
»Das ist doch gewiss sehr einfach zu verstehen, Don Severo. Zwanzig Prozent Aufschlag auf die Summe, für die Ablösung.«
»Ich Ihnen zwanzig Prozent mehr zahlen? Aber, Mann, wir sind doch hier nicht beisammen, um Chantage, Erpressung, gegeneinander zu verüben.«
Don Remigio zuckte die Schultern. »Da ist keine Chantage. Ich habe die Mühe gehabt, mir die Leute heranzuholen. Freilich, die Agenten haben sie herbeigeschafft. Aber ohne meinen Auftrag, ohne meine erheblichen Vorauszahlungen wäre kein Mann hier. Ich habe die Leute anlernen müssen; denn keiner verstand etwas von dem Arbeiten in einer Monteria.«
»Keine Ursache, zwanzig Prozent zu verlangen,« Don Severo kritzelte wieder auf dem Papier herum.
»Vielleicht nicht«, sagte Don Remigio, »aber ich löse nur ab für diesen Betrag. Sie mögen annehmen oder ablehnen.«
»Abgelehnt!« sagte Don Severo kurz. Er wartete eine Weile und hoffte, der Contratista würde zu handeln anfangen. Als keine Antwort erfolgte, fragte er: »Was tun Sie denn mit den Leuten, die Sie auf dem Halse haben?«
»Machen Sie sich nur darum keine Sorge, Don Severo.« Don Remigio lachte und zog die Flasche zu sich heran. Er entkorkte die Flasche und hielt sie in der Hand, um sich einzuschenken. Während er sie hielt und das Glas in der anderen Hand zwirbelte, als wolle er überlegen, ob er trinken solle oder nicht, wiederholte er: »Keine Sorge. Ich ziehe mit meiner Bande nach Quintana Roo. Jederzeit kann ich einen Chiclekontrakt bekommen. Ich brauche nur ja zu sagen. Die amerikanischen Kaugummifabrikanten zahlen gerade jetzt sehr gute Preise für Chicle.«
»Mag sein«, meinte Don Severo. »Aber die Reise währt sicher vier Wochen, vielleicht fünf oder sechs. Ich kenne Quintana Roo. Während dieser sechs Wochen verdienen Sie nicht einen krummen Centavo. Wenn Sie auf dem langen Wege sind und durch Dörfer kommen, haben Sie alle Aussicht, dass Ihnen die Hälfte der Muchachos wegläuft. Und gleich so von heute auf morgen dort in den Chicle zu kommen, wie Sie sich das denken, geht auch nicht. Sie müssen mit den Jefes der Indianer dort verhandeln, um Distrikte zu bekommen. Die Verhandlungen können sich drei Monate hinziehen, ehe Sie sicher anfangen können. Die Jefes nehmen sich Zeit, die haben keine Eile und warten auf den, der ihnen die höchsten Prozente bezahlt. Ich kenne den Chicle, Don Remigio. Und weil ich ihn kenne, darum bin ich hier in der Caoba.«
Don Remigio wusste, dass Don Severo recht hatte. Er hatte gehofft, Severo würde in Angst verfallen, wenn er drohte, mit den Leuten abzuwandern. Aber so leicht waren die Montellanos nicht zu fangen.
Sie waren Spanier, und bis heute hatten sie noch keinen Mexikaner angetroffen, der gerissen genug gewesen wäre, einem der Montellanos ohne ihre Zustimmung auch nur einen Peso aus der Tasche zu holen. Don Severo, auf dem Papier scheinbar Summen ausrechnend, beobachtete Don Remigio unausgesetzt. Er fühlte, dass jetzt der Augenblick gekommen sei, wo Don Remigio unsicher zu werden und zu überlegen begann, ob er nicht in der Tat bei dem Chiclegeschäft zu kurz kommen könnte. Es konnte recht wohl geschehen, dass, wenn er in den Gebieten ankam, alle Kontrakte vergeben und keine Distrikte, wo sich die Ausbeute gelohnt hätte, verfügbar waren; die Distrikte, die er vielleicht bekommen konnte, mochten so tief im Dschungel sein, dass er die Wege dorthin zu suchen hatte, dann ohne Lebensmittel war und es einige Wochen dauerte, bis Behausungen errichtet und Proviant herbeigeschafft war und mit der Förderung begonnen werden konnte. Gäbe es hier und dort Telefone oder Telegrafen, dann hätte er vorher anfragen können.
Da es aber keinerlei Mittel gab, sich im voraus zu verständigen, musste ein Contratista das Risiko übernehmen, mit seinen Leuten anzumarschieren, um entweder einen fetten Kontrakt zu erwischen oder einen mageren oder gar keinen. Er hatte gute Verbindungen mit den großen Chicleaufkäufern und -agenten, die ihm aber in diesem Augenblick nur von Nutzen wären, wenn er hätte telegrafieren können. Einen Boten mit Briefen zu schicken dauert drei, vielleicht fünf Wochen; und ehe die Antwort kam, vergingen abermals fünf Wochen. Das alles schien Don Severo recht gut zu wissen, und darum hatte er Don Remigio so gut in der Hand, dass er mit ihm spielen konnte.
Don Severo hörte mit dem Kritzeln auf. Es war schwer zu erraten, ob er überhaupt etwas ausgerechnet oder nur Zahlen hin und her geschoben hatte, um den Anschein zu erwecken, als müsse er auf den Centavo genau berechnen, wie viel er zahlen könne, während er in Wirklichkeit nur auf den Augenblick wartete, der ihm die Schwäche seines Gegners verriet. Vielleicht hätten nicht einmal seine beiden Brüder genau sagen können, was er tat und wie er dachte.
»Bueno, Don Remigio«, sagte er nun, den Bleistift, mit dem er gerechnet hatte, heftig auf die Tischplatte werfend, »bueno, ich zahle Ihnen eine runde Summe von fünfundzwanzigtausend Pesos für Ihren Kontrakt.«
Mit dem Aufschlag von zwanzig Prozent, den der Contratista gefordert hatte, betrug die Summe, die er erwartete, dreiunddreißigtausendfünfhundertsechsunddreißig Pesos, der Unterschied also etwa achttausendfünfhundert Pesos.
Severo wartete nicht auf eine Antwort. Er zog das Scheckbuch aus seiner hinteren Hosentasche und sagte: Ich schreibe gleich den Scheck aus, Don Remigio. Wie ist Ihr Apellido, Ihr werter Zuname? Ja, ich erinnere mich, Gayosso, Don Remigio Gayosso.«
»Aber hören Sie, Don Severo«, sagte der Contratista mit verblüffter Stimme, »dafür gebe ich den Kontrakt nicht her.«
»Gut, muy bueno, Don Remigio, dann behalten Sie ihn. Er ist für mich zu teuer.« Severo klappte das Scheckbuch wieder zu und schob es zurück in seine Hosentasche.
Don Remigio, der so lange geglaubt hatte, dass die Montellanos zu ihm kommen müssten, weil sie ohne ihn ja keine Leute haben würden, sah sich nun in die Notwendigkeit versetzt, zu verhandeln. Er tat es beinahe schüchtern.
»Wie ich gesagt habe, Don Severo, mit den Vorräten an Caoba kostet mich der Kontrakt rund achtundzwanzigtausend Pesos. Ich will nicht mehr von den zwanzig Prozent Aufschlag sprechen. Aber die achtundzwanzigtausend müssen gezahlt werden.«
»Dann kommen wir uns ja schon näher«, sagte Severo. »Ich brauche den Kontrakt nicht zu kaufen.
Ich schicke meine Brüder fort, und Sie können mir glauben, Don Remigio, sie kommen in zehn Wochen zurück mit hundertfünfzig Muchachos, die uns die Hälfte kosten von dem, was Sie für die Burschen bezahlt haben. Wir wissen die Leute zu bekommen, die wir brauchen.«
»Sicher, das wissen Sie«, sagte Don Leobardo.
»Es ist nicht notwendig, Don Leobardo, dass Sie das so ironisch sagen«, erwiderte Severo ruhig, sich dabei ein Glas einschenkend. »Wenn ich Muchachos brauche, dann muss ich sie eben haben. Es geht Ihnen genauso. Ohne Muchachos können Sie so wenig Caoba schaffen wie wir. Wenn ein König in den Krieg ziehen will, braucht er Soldaten; und wenn er die Soldaten nicht mit schönen Worten >von wegen der Ehre, für das Vaterland kämpfen zu dürfen< einfangen kann, dann fängt er sie mit der Drohung ein, sie erschießen zu lassen, falls sie nicht alle freiwillig kommen und ihn und den Krieg hochleben lassen. Wir haben die Monteria mit allen Konzessionen gekauft und brauchen Muchachos, wie ein König Soldaten braucht. Wo ist der Unterschied? Sagen Sie mir das, Don Leobardo. Von selbst kommen die Muchachos nicht und bitten mich darum, hier in der Caoba zu arbeiten. Und da sie von selbst nicht kommen, muss ich sie mir holen, so oder so.«
»Es gibt verschiedene Arten, sie zu holen«, sagte nun Don Rafael, der alte Buchführer.
»Richtig, Senor, sehr richtig. Darum bin ich ja willens, die Kontrakte hier alle zu kaufen, ohne zu fragen, wie die Muchachos hier hergekommen sind, ob sie freiwillig kamen oder nicht.« Don Severo blickte seine Brüder an, die ihm gegenübersaßen. Sie rückten mit ihren Köpfen näher, und alle drei steckten ihre Köpfe dicht zusammen und flüsterten. Das war nur Komödie, denn Don Severo tat dennoch, was er wollte, ohne seine Brüder um Rat zu fragen. Aber es sollte so aussehen, als ob er nun in seinem Angebot Don Remigio leichter entgegenkommen könne, ohne sich in seiner kaufmännischen Würde etwas zu vergeben.
»Sie müssen nicht denken, Caballeros, dass wir hier hergekommen sind, um Ihnen allen die Hälse abzuschneiden«, sagte er, auf seinen neuen Vorschlag einlenkend.
»Das weiß man nicht so genau«, warf Don Leobardo ironisch ein.
»Wie meinen Sie denn das, Don Leobardo?« fragte Severo. »Ich wollte damit sagen, man weiß das nicht so genau, warum Sie hier sind, zum Halsabschneiden oder zum Gurgelzuziehen.«
Don Severo schien es nicht übel zu nehmen. Vielleicht betrachtete er es sogar als Lob. Er sagte: »Don Leobardo, Sie wären der letzte, dem ich die Gurgel zuziehen würde.«
»Richtig«, lachte der Administrador. »Ich habe ja kein Geschäft mit Ihnen zu machen. Ich übergebe Ihnen nur, was die Company Ihnen verkauft hat; und weil die Contratistas ja immer noch Contratistas der Company sind, habe ich natürlich ein
Interesse daran, zu sehen, wie sich die Ablösung vollzieht.«
»Sie sagen«, wandte sich Don Severo nun wieder an Don Remigio, »der wirkliche Wert des Kontraktes ist in runder Summe achtundzwanzigtausend Pesos?«
»So sagte ich, Don Severo.«
»Ich bot Ihnen fünfundzwanzig. Nun, wir sind nicht hier, um die Kontrakte zu stehlen. Aber da ist noch eine Frage.« »Bueno?«
»Sie haben zwei Capataces, zwei Aufseher, Don Remigio?« »Drei.«
»Die kennen ihre Distrikte und die Vorräte?« »So gut wie ich.« »Bleiben die hier?«
»Zwei ja. Einer geht mit mir. Er ist mein ältester Muchacho. Der würde mit niemand sonst bleiben, nur mit mir.«
»Also die zwei anderen bleiben?«
»Dafür garantiere ich. Die könnten auch nicht gut gehen, die sitzen zu tief mit Vorschüssen drin.
Der eine heißt Ambrosio. Säuft, wenn er zu den Oficinas kommt, und ist hier zu nichts nütze. Aber im Semaneo ist er seinen Lohn wert. Der andere heißt Emeterio. Sehr zuverlässig. Kennt den Distrikt am besten und ist ein guter Schaffer mit den Leuten.«
»Sie wollen sagen, er holt die letzte Krume heraus aus den Leuten?«
»So ungefähr wollte ich das sagen. Der Ambrosio ist jedoch härter.«
»Und brutaler«, warf Don Leobardo ein. »Er ist ein Schinder und war sicher einmal Folterknecht bei den Rurales oder bei einem der schwarzen Gerichte des Cacique.«
»Ist mir lieb, zu hören. Ich brauche tüchtige Leute zum
Heranschaffen.« Don Severo goss sich ein neues Glas voll. »Ja, ich brauche tüchtige Leute. Ich habe auch nicht einen Pfahl Caoba im Hafen.
Nur, was gerade hier vorrätig ist. Die Muchachos müssen tüchtig 'ran.«
»Nur zu!« sagte Don Rafael mit einem breiten Grinsen. Auch er zog die Flasche herbei und bediente sich.
»Gut denn, Don Remigio, damit wir zu einem Ende kommen.« Severo holte Atem. »In Rücksicht darauf, dass ich die beiden Capataces hier behalten kann, die mir zur Hilfe kommen, gut, ich gehe zehn Prozent hinauf. Anstatt fünfundzwanzig, sagen wir siebenundzwanzigfünfhundert bar.«
Don Remigio schwieg eine Weile. Er war langes Verhandeln nicht gewohnt. Es machte ihn müde. Die härteste Arbeit im Dschungel vermochte ihn nicht halb so zu ermüden wie eine Stunde Verhandeln mit Leuten, die nicht willens waren, einen Preis zu zahlen, den er für gerecht ansah. Er wusste, dass er wahrscheinlich tausend Pesos mehr aus dem Kontrakt herausschlagen könnte; denn die Montellanos brauchten die Leute und konnten ohne Leute nichts tun. Aber er war sich gleichzeitig auch recht wohl bewusst, dass es mit einem Chiclekontrakt ebenfalls genügend Schwierigkeiten hatte.
»Aceptado, angenommen!« sagte er kurz.
Don Severo schrieb sofort den Scheck aus, um zu verhindern, dass Don Remigio etwa anderer Meinung würde.
Mit den übrigen Contratistas ging Don Severo rascher vor. Sie hatten bei weitem weniger Leute, weniger Vorräte und geringere Vorschusssummen. Ihre Stellung als Contratistas war weniger stark als die des Don Remigio. Ihnen blieb nur ein Weg offen, falls sie den Preis, den ihnen Don Severo bot, nicht annahmen, und das war, hier zu bleiben. Da sie das nicht wollten, mussten sie nachgeben. Bei ihnen hätte der Vorschlag, ihre Leute nach Quintana Roo zu führen, lächerlich gewirkt.
Als Don Severo ausrechnete, wie viel er für die Kontrakte gezahlt hatte, fand er, dass er in jeder Hinsicht unter dem Preis gekauft hatte. So leicht, wie er andeutete, war es nicht, genügend Leute in kurzer Zeit hier herzubringen. Das konnte Monate dauern. Und während dieser Monate wurde keine Caoba geschlagen. Der wirkliche Verdienst aber bestand darin, dass die Montellanos mit den Kontrakten gleichzeitig genügend große Vorräte von Caoba mit übernahmen. Diese Vorräte hatten sie zu dem üblichen Preis, den der Contratista erhielt, gekauft. Waren diese Vorräte erst einmal im Hafen, dann brachten sie so viel ein, dass die Brüder allein für die gegenwärtigen übernommenen Vorräte das Doppelte, ja das Drei- oder gar Vierfache von dem erhielten, was sie für die Kontrakte insgesamt bezahlt hatten. Es kam nur auf den Marktpreis an. Inzwischen aber wurde gefördert und gefördert, und weil alle Leute Vorschuss hatten, so hoch, dass sie ein, zwei oder drei Jahre arbeiten mussten, ehe sie irgendwelchen Lohn erhielten, vorausgesetzt, dass sie ihren Vorschuss in der Zwischenzeit nicht erhöhten, so waren alle Förderungen von nun an reiner Gewinn.
Die Montellanos konnten gut damit rechnen, dass innerhalb eines Jahres nicht nur alle die Summen verdient waren, die sie für die Kontrakte bezahlt hatten, sondern sogar auch noch das bare Kapital, das sie für die Monterias und die Konzessionen angelegt hatten.
Â
Als alle Geschäfte erledigt erschienen, war es fast Mitternacht. Don Severo gähnte und goss sich ein neues Glas voll. Die Mehrzahl der Caballeros tat ein gleiches.
Der Chinese kam herein und sagte zum Administrador:
»Don Leobaldo, ich habe geglaubt, dass vielleicht die Caballelos jetzt einen Kaffee tlinken möchten. Ich habe ihn beleit.«
»Chinito«, rief Don Rafael, »ich würde dir einen Orden verleihen, wenn ich El Caudillo wäre.«
»Nicht nötig, Don Lafael, nicht nötig«, sagte der Chinese lachend. Ich ziehe vol, von den Caballelos zehn Centavos fül jede Tasse, die sie tlinken, einzukassielen. Jede Tasse zehn Centavos, Caballelos.«
»Bringe den Kaffee schon herein und schreibe ihn auf«, sagte Don Leobardo.
»Natürlich, meine Herren«, Don Severo wandte sich an alle, die hier im Comedor saßen, »es ist natürlich klar, dass Sie hier die Oficinas als Ihr Haus betrachten dürfen, solange es Ihnen gefällig ist.«
»Nur morgen noch, mit Ihrer Erlaubnis, Don Severo«, erwiderte der Administrador. »Morgen wollen wir die Tiere von den Prärien hereinholen, die Sättel in Ordnung bringen und unsere Habseligkeiten packen.«
»Solange Sie wünschen, Caballeros. Uns stören Sie nicht«, sagte noch einmal Don Severo. Er konnte das leicht sagen, denn er wusste, dass in längstens zwei Tagen bestimmt niemand mehr hier sein würde.
Â
Während die Montellanos mit den Contratistas verhandelten, hatten die Caballeros nicht dabeigesessen, als wären sie in einer Kirche. Dazu waren ihnen die Predigten des Don Severo nicht wichtig genug. An einem seitlich angerückten Tische hatten die jüngeren Angestellten inzwischen ein reges Spiel mit Karten eingeleitet und, unbekümmert um das, was um sie herum vorging, mit Eifer fortgeführt, lediglich unterbrochen durch häufiges Füllen der Gläser. Am anderen Seitentisch wurde gewürfelt. Um was gewürfelt wurde, konnte man an dem Haupttische nicht hören, und selbst wer nahe dabeisaß, aber mit den Würfelnden nicht in Beziehung stand, würde kaum mit Sicherheit gewusst haben, ob um gewisse Mädchen gewürfelt wurde oder um bestimmte Mules, die auf dem Rückwege zu reiten der Gewinner das Vorrecht haben sollte. Man soll sich überhaupt im Leben nicht so sehr darum kümmern, worum gespielt wird, als vielmehr darum, dass es dabei ehrlich zugeht.
Don Acacio, der jüngste der Montellanos, schien schließlich weniger interessiert zu sein an den Geschäften, die sein älterer Bruder zu aller Zufriedenheit abwickelte, als an einem anderen Kontrakt, den er gern zum unbeweglichen Besitzstand der Monteria gezählt haben würde und darum hoffte, ihn mit übernehmen zu können in gleicher Weise, wie die Arbeiter der Kontrakte, die Handwerker, die Ochsen, die Mules und die Gebäude übernommen wurden.
Er ließ seinen Bruder mit dem letzten der Contratistas in Ruhe verhandeln. Und als er seinen Bruder tief in der Verhandlung versunken sah und Don Felix auf ihn gerade nicht sonderlich zu achten schien, wandte er sich mit einem vertraulichen Gesicht an den Administrador: »Hören Sie, Don Leobardo, was wird denn aus den Mädchen, die Sie und noch einige der Caballeros in Ihren Bungalows haben?
Die lassen Sie uns doch hier, nicht wahr? Ich würde gern die lange Braunhaarige übernehmen, die mit Ihnen ist.«
»Würden Sie, Don Acacio? Das glaube ich. Es ist schade, dass Sie sich von El Carmen oder Frontera nichts mitgebracht haben. Die Mädchen gehen alle mit uns nach Yucatan. Wir wissen noch nicht, wie es dort aussehen wird in dieser Hinsicht; und wir möchten uns nicht so sehr auf gut Glück verlassen.
Was man hat, weiß man; was wir vielleicht dort bekommen, wissen wir nicht. Und was der Mann benötigt, muss er haben. Um so mehr, als ich in Yucatan in den ersten Monaten nicht viel Zeit übrig haben werde, um mich erfolgreich nach einigen Gehilfinnen umzusehen. Ich jedenfalls nehme meine zwei Krankenschwestern mit. Ich bin an sie gewöhnt und sie an mich. Aber vielleicht versuchen Sie es bei einem oder dem andern der jüngeren Caballeros, die mehr Zeit und Laune haben, fischen zu gehen, als ich. Vielleicht ist einer knapp in seinem Reisegeld oder hat in der Tienda ein Konto stehen, mag sein, er tritt seine erworbenen und verdienten Rechte ab gegen eine entsprechende Ablösung. Wenn nicht, müssen Sie einem der Türken einen Auftrag mitgeben, dass er Ihnen das nächste Mal, wenn er herkommt, eine Lieferung macht. Er berechnet Kommission, aber manchmal ist die Lieferung die Kommission wert. Bis dahin bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich in den Aguardientehütten umzusehen, ob sich für gelegentliche Auffrischung einschlafender Fähigkeiten was findet.«
Don Acacio stand auf und ging zu den Seitentischen, um sich mit den jüngeren Schreibern zu unterhalten. Er war nicht lange dort, als Don Eladio aufsprang und laut rief: »Was denken Sie denn, wer ich bin? Ein Sklavenhändler? Oder ein Patrote, der mit Putas handelt? Lassen Sie mich in Ruhe, verflucht noch mal! Mit Ihren gottverdammten Schweinereien! Wo denken Sie denn, wo Sie sind, Cabron?«
»Cabron? Zu mir? So ein verfuckter Sohn einer räudigen Hündin? Zu mir?« Damit hatte Don Acacio aber auch schon den
Revolver herausgezogen und zweimal gefeuert.
Don Eladio war ebenso rasch gewesen, und auch er hatte zweimal gefeuert. Da jedoch die übrigen jungen Caballeros, die dabeisaßen, an solch alltägliche Vorkommnisse gewöhnt waren, so packten sie, im Augenblick, als sie sahen, dass zwei Revolver 'raus und hoch waren, die beiden erhitzten Kämpfer bei den Armen und rissen sie herum, rechtzeitig genug, dass die Kugeln in das Palmdach flitzten. Don Severo stand gemächlich auf, warf einen bekritzelten Zettel, den er gerade in der Hand hielt, mit heftiger Gebärde auf den Tisch und schrie hinüber zu Acacio. »Por Jesu Cristo und zum gottverdammten Donnerwetter noch mal, kannst du piepsender Hahn, kaum aus dem El gepellt, nicht eine Minute unter anständigen Caballeros sitzen und einen halben Liter Aguardiente saufen, ohne dabei herumzuschießen wie ein irrsinniger Indianer! Dios sabe, Gott im Himmel allein weiß, wie nötig wir die paar Cartuches, die gottverfluchten paar Patronen brauchen werden, und du schießt sie hier los auf die Companeros, die morgen ihrer Wege gehen. Backpfeifen sollte ich dich, du Burro, du trauriger Esel! Steck die Kanone ein und setz dich auf deinen Ursch und lass uns hier in Ruhe!«
»Du hast mir nichts zu kommandieren, verstehst du!« rief Don Acacio. »Die haben Cabron zu mir gesagt und Patrote.«
»Und was sonst noch?« fragte Don Severo ironisch. »Recht haben sie, dass sie das zu dir gesagt haben. Die scheinen dich gut zu kennen. Hundert Cabrones bist du wert. Was warst du denn, als ich dich verhungernd aufgriff, anderes als ein Patrote. Setz dich hin und halt's Maul.«
»Was sagst du zu mir?« rief Don Acacio. »Zu mir? Mich aufgegriffen, du? Wo denn? Wenn ich das Geld nicht gehabt hätte, wer hätte dir denn auch nur einen Centavo geborgt?«
»Leg dich ins Bett, bist über und über besoffen«, sagte Don Severo, während er sich niedersetzte, um seine Verhandlungen weiterzuführen.
Don Acacio, einmal in Wut, regte sich aber immer mehr auf. »Besoffen, ich? Und welch anderes besoffenes Schwein will mir sagen, dass ich nicht trinken kann?«
Mit einem Ruck zog er den Revolver wieder heraus. Er fuchtelte damit herum, unschlüssig, wen er erschießen solle. Einige Schritte war er zurückgetreten und hatte nun alle Caballeros vor sich.
Don Severo war der einzige, der die Ruhe nicht verlor und sich nicht einschüchtern ließ. Er richtete sich nur halb im Sitz auf, nahm eine Flasche, die vor ihm stand und warf sie mit einem kräftigen und wohlgezielten Ruck so geschickt, dass sie die Hand des Acacio, in der er den Revolver hielt, so heftig traf, dass ein Schuss losging, aber gleichzeitig auch der Revolver auf den Boden fiel. Der Schuss war durch die Wand gegangen.
Â
Don Eladio, der am nächsten gestanden hatte, sprang rasch hinzu und hob den Revolver auf, während Don Acacio torkelnd gegen die Wand fiel. Gleich darauf hörte man draußen ein Schwein grausam quietschen; und im selben Augenblick vernahm man das Kreischen und Schreien eines der beiden Chinesen: »Das Schwein ist elschossen, unsel bestes Schwein ist elschossen.«
Das Schwein hatte draußen, dicht an der Wand, die Nacht verbringen wollen. Dort war Schlamm, der davon herrührte, dass alle Caballeros, die sich im Comedor die Hände wuschen, das Wasser auf jene Stelle nahe der Wand gossen, wenn sie das Waschbecken leerten.
In diesem Schlamm schlief das Schwein jede Nacht, und es fühlte sich sehr wohl dabei. Der Platz war um so begehrter, weil auch gelegentlich einige Tortillas, Stücke Brot, schlecht abgenagte Knochen von den Essenden zu der Wandöffnung hinausgeworfen wurden und dem Schwein beinahe vor die Füße fielen, so dass es nicht weit zu laufen hatte, um diese willkommenen Bissen aufzuschnappen. Der Schuss war so gegangen, dass er die Wand am unteren Ende durchdrungen und das arme Schwein, das an den Streitigkeiten ganz unschuldig war, in den Schinken getroffen hatte.
Es war keine lebensgefährliche Wunde. Aber für die Chinesen war das Schwein verloren; denn es konnte nun auf der Reise nicht durch den Dschungel getrieben werden; um es auf den Rücken eines Mules zu verladen, dazu war er, zu schwer, ganz abgesehen davon, dass das lächerlich gewesen wäre und Don Leobardo sicher abgelehnt hätte, für den Transport ein starkes Mule zu bewilligen.
Der Chinese kam in den Comedor mit der traurigsten Miene, die er aufzusetzen fähig war. Er fuchtelte mit den Armen nach allen Seiten, schlug mit den Händen in der Luft herum und tanzte hin und her wie ein verärgerter Derwisch. Dabei lamentierte er und wimmerte, wusste jedoch nichts anderes zu sagen als: »Ach, mein almes, almes Schwein und musste so elend stelben. Oh, mi poblecito cochinito, und muss nun so elend glausam stelben.« Draußen, offenbar bei dem Schwein hockend, es liebkosend und hätschelnd, hörte man den andern Chinesen jammern und wehklagen. »Du, unsel Stolz und unsel ganzel Leichtum. Muchacho, oh, dulce Muchacho, oh, süßes Jungelchen, wil haben dich so gut gepflegt, und nun musst du so elend veldelben. Oh, Muchacho, Muchacho!«
»He, Chinito«, sagte Don Rafael lachend und die Sprechweise des Chinesen nachahmend: »Hast du den Celdo, deinen Muchacho, ich meine dein almes Schwein, auch in die Velsichelung gekauft, um in China beglaben zu welden?«
»Don Lafael«, sagte darauf der Chinese traurig, »ich bin so niedelgeschlagen, und Sie können noch lachende Wolte sagen.«
»Genug nun der Trauerfeierlichkeitl« rief Don Leobardo über den Tisch hinweg. »Das Schwein ist dahin, und es ist gut so. Am besten, Chinito, du schlachtest es gleich jetzt und wartest nicht erst bis zum Morgengrauen. Dann hat es zuviel Blut verloren. So kriegen wir doch morgen endlich ein wirkliches Abschiedsmahl, wie du es uns schuldest, Chinito.«
Der Chinese tat einen tiefen Seufzer, als wolle er sich mit der Würde einer frischgebackenen Witwe in das unvermeidliche Schicksal ergeben. Er schnaufte fest durch die Nase und sagte: »Vielleicht haben Sie lecht, Don Leobaldo. Bis zum Molgenglauen zu walten ist zu spät.«
Er ging hinaus, und man hörte ihn mit seinem Geschäftsteilhaber aufgeregt chinesisch reden.
Sie schienen nach einer Weile sich über etwas geeinigt zu haben; denn der Chinese kam zurück in den Comedor und sagte: »Caballelos,  es ist gut, molgen haben wil  ein gloßes
Abschiedsessen mit allem, was so ein gutes Schwein helgeben kann. Abel, ich muss sehl bedaueln, Caballelos, molgen muss ich fül jedes Mahl einen Peso belechnen fül jeden Caballelo. Ich kann es nicht fül wenigel machen.
Abel ich velspleche, die Essen sind viel mehl welt, die ich Ihnen molgen selviele.«
»Gut, wir bezahlen dir einen Peso.« Don Leobardo bestätigte es ihm. »Und nun mache keine Dummheiten, Chinito. Nimm das frische Fleisch nicht mit auf die Reise, sonst haben wir jede Nacht Tiger um das Lager herum. Schneide alles, was übrig bleibt morgen sofort weg und hänge es zum Trocknen auf. Es wird nicht ganz durchtrocknen bis zum nächsten Tag, aber es ist doch sicherer so.
Und dann gibt es auch für uns gute Mahlzeiten auf dem Wege.«
»Muchas glacias, Don Leobaldo. Dalan habe ich nicht gedacht. ja, die Tigel sind hintel dem flischen Fleisch hel wie die Fliegen. Con su pelmiso, mit Ihlel Ellaubnis, ich welde nun das alme Schwein schlachten. Es tut mil so sehl weh. Abel ich glaube, die Kugel tut dem almen Schwein auch weh im Schinken wie mil mein Leid in del Blust.«
Er lief hinaus und gab seinem Mitarbeiter den Befehl, sich zu beeilen, das Schwein von seinen irdischen Schmerzen zu erlösen.
Â
Im Comedor war es während des Gespräches mit dem Chinesen ruhig geworden. Don Acacio saß, in sich versunken und übel gelaunt, wieder am Tisch. Er hatte sich an das Ende der Bank gesetzt, weil er wohl wusste, dass er Schwierigkeiten haben würde, über die Mitte der Bank zu klettern, ohne unter den Tisch zu fallen. Ein neues Glas, vollgeschenkt mit Comiteco, stand vor ihm. Es war bereits das zweite seit dem Kampf um seine Ehre. Aber das erste hatte einer der Angestellten zu vier Fünfteln mit Wasser gefüllt und nur den Rest mit Comiteco. Man konnte jedoch keinen der Montellanos anführen, ganz gleich, womit man es versuchte. Don Acacio setzte das Glas nur an den Mund, da wusste er auch schon, was los war und was der gütige Trinkgenosse damit gemeint hatte. Er nahm das Glas und schleuderte es mitsamt dem Inhalt zur offenen Wand hinaus.
»Das kann sich keiner hier mit Cachito erlauben. Soy muy macho, ich bin ein richtiger Mann mit Haaren auf der Brust. Ich weiß, was Comiteco ist und was gepisst ist.« Er sprach das nicht in einem Zuge, sondern in halben Sätzen, aber er brachte es doch in richtigen Zusammenhang. »Cabrones, he, wo zur Hölle und den Teufeln ist mein Revolver?«
Er hatte nach hinten gelangt und entdeckt, dass ihm die Kanone abgenommen worden war.
»Callate! Halt's Maul, Cachitol« rief Don Severo. »Säuglinge sollen nicht mit Licht und Scheren spielen, und wer so besoffen ist wie du, braucht keine Pistole mehr. Marsch, ins Bett!«
»Ich geh' in mein gottverdammtes Bett wann ich will. Und ich lasse mir von niemand kommandieren, nicht einmal von dir, wenn du auch mein wirklicher Bruder wärst.«
»Noch ein Wort«, rief Don Severo erbost, »und ich schlage dir die Flasche hier auf den Schädel, dass deine eigene Mutter dich nicht einmal mehr aufzuheben für wert hält.«
»Schitt, Mutter. Lange abgenippelt, oder weiß der Teufel, wo sie ist und mit wem sie hurt. Die Flasche her, sage ich! Wenn ich trinken will, dann trinke ich, und wenn ich schießen will, dann schieße ich. Das nächste Mal wird es wieder ein Schwein sein, aber eines, das auf zwei Beinen steht.«
Er richtete sich jetzt auf, ging einen Schritt am Tisch entlang und zog eine Flasche herbei. Er setzte die Flasche an den Mund und goss sich voll. Dann stellte er die Flasche mit einem lauten Knall zurück auf den Tisch, richtete sich gerade, warf die Brust heraus, klopfte sich mit beiden Händen darauf und schrie. »Muy macho soy yo! Ein ganzer Mann! Und wenn ich trinken will, dann trinke ich. Und ich trinke euch alle lahm. Hierher, wer eine heiße Bohne zwischen die Rippen gebrannt haben will! Wo ist meine Kanone? Verflucht noch mal! Ich will meine Kanone!«
»Felix«, rief Don Severo. seinen Bruder an, »pack dir das Hähnchen auf und trage es zu seinem Nest!«
Felix stand auf und ging auf Acacio zu.
Als Acacio ihn kommen sah, geriet er abermals in Wut. »Einen Schritt näher, und es geht dir wie dem Schwein! Ich schlachte dich ab. Soy muy macho y muy bravo. Der Tapferste von allen, der bin ich, verstehst du, du Cabron und Hundesohn!«
»Betrage dich hier unter den Caballeros, Cachito!« sagte Don Felix beruhigend.
»Caballeros? Schitt! Alles Hurensöhne!«
»Besser, du gehst in deine Wiege und schläfst dich aus, Cachito.« Don Felix nahm Acacio unter den Arm, um ihn hinauszusteuern. Don Acacio stieß seinen Bruder zurück, dass er gegen die Wand taumelte. Don Felix wurde darüber nicht ärgerlich. Er lachte nur. Dann ging er wieder auf Don Acacio zu und schlug ihm so heftig hinter die Ohren, dass Don Acacio wie gefällt in der Ecke des Comedor zusammenbrach und dort wie ein Klumpen liegen blieb.
»Nimm das Häufchen Schitt schon endlich auf, Felix«, sagte
Don Severo, »und bringe es in Sicherheit, damit ich hier vielleicht doch mal mit meinem Geschäft zu Ende komme.«
Don Felix hob den am Boden Liegenden auf und zerrte ihn hinaus in die Nacht.
»He, Chinito«, hörte man ihn draußen rufen, »gib mal eine Laterne her, dass ich unseren Bungalow finde!«
Â
Es war Mitternacht geworden. Die Caballeros gähnten und reckten sich. Die Flaschen wurden auf die letzten Gläser, die vielleicht noch herauszuholen waren, untersucht.
Es gab für jeden noch einen gesunden Schuss für die Nacht.
Draußen vor dem Comedor hörte man die beiden Chinesen mit ihrem Schwein wirtschaften. Es machte sehr viel Arbeit, denn es gehörte zu der behaarten Sorte, der beim Schlachten das Fell abgezogen wird oder die aus dem Fell herausgeschält werden muss wenn das Abziehen nicht glatt geht, wie das meist ist.
»Hasta manana! Bis morgen, Caballeros!« sagte Don Severo, während er seinen schweren Körper faul streckte. »Ich werde mich nun auf meine Riemenmatratze legen. Verflucht noch mal, ich bin müde genug.«
»Hasta manana, Don Severo!« erwiderten die Caballeros und zogen sich schläfrig aus dem Comedor zurück, um in ihre Bungalows zu kriechen.
Ohne eingeladen zu sein, aber einem Instinkt folgend, versammelten sich alle im Bungalow des Administradors, der eine Flasche Comiteco hervorbrachte und allen riet, sich noch einen Letzten einzusippen.
»Eine feine Sorte, diese Brüder!« sagte Don Mariano. »Die werden etwas aus der Monteria machen.«
»Das kann ich Ihnen schwören«, bestätigte Don Rafael, »das kann ich Ihnen schwören, die werden sicher etwas aus der Monteria machen. Por la Madre Santisima, wo sind denn die nur hergekommen?
Die müssen sicher zu der untersten Sorte von Arrieros, der untersten Schicht von Muletreibern, gehört haben.«
»Gehört haben?« wiederholte Don Leobardo ironisch. »Nur gehört haben, Caballeros? Die gehören noch dazu und sind heute noch nichts anderes als Muletreiber und werden wohl nie etwas anderes werden, auch wenn sie Millionen verdienen sollten.«
»Ich möchte nur wissen, wie sie die drei Monterias bewirtschaften wollen ohne Contratistas?« meinte Don Rafael.
»Leicht, in der Weise, wie sie es vorhaben, und mit einem dicken Gewinn«, sagte Don Leobardo.
»Sie haben sich sechs Capataces mitgebracht, die sie gut kennen und mit denen sie die letzten beiden Jahre schon gearbeitet haben. Diese sechs Burschen müssen Sie einmal sehen.«
»Ich habe sie heute Nachmittag gesehen«, warf Don Eladio ein. »Das sind keine Aufseher, gemein und böse, wie die Capataces auch sein mögen. Das sind Henker, richtige Henker.«
»Gut gesehen, Eladio«, gab Don Leobardo zu. »Die fressen in zwölf Monaten ein jeder wenigstens dreißig Muchachos mit Haut und Haaren. Aber die schaffen Caoba heran, das ist sicher. Und mit den Capataces, die bleiben und nicht mit ihren Contratistas abreisen, haben die Montellanos einen guten und zuverlässigen Stab. Die zahlen den Capataces einen Peso fünfzig den Tag, und dann haben sie in jedem Semaneo einen Hauptcapataz, dem sie fünfzig Centavos für die Tonne gelieferter Caoba zahlen, und der zweite Capataz erhält einen Real für die Tonne. Die sorgen schon dafür, dass Caoba hereinkommt, seien Sie sicher, meine Herren. Den Contratistas hätten sie zehn Pesos für die Tonne zahlen müssen, den Capataces zahlen sie vier Reales dem ersten und einen Real dem zweiten, das sind zweiundsechzig Centavos für die Tonne, anstatt zehn Pesos. Und die Capataces küssen ihnen für diese
Dividende, die sie verdienen können, die Dreckkruste vom Nacken weg und sind untertänig und ergeben, während Contratistas ihren eigenen Willen haben und sich nicht kommandieren lassen.«
»Wie lange es aber so gehen wird, das mögen die Götter wissen«, sagte Don Rafael.
»Aber inzwischen machen die Brüder ihren Haufen Geld, und wenn es zu knacken anfängt, ziehen sie los. Aber was geht's mich an? Ich gehe Henequen pflanzen. Mal etwas anderes nach diesen Jahren im Dschungel, wo man nur verrückt werden kann und Tag und Nacht von Gespenstern umgeben ist.«
Don Leobardo hatte sich auf die Kante seines rohen Bettes gesetzt und begann, sich die Stiefel auszuziehen. »Dort habe ich nur vier Stunden zu reiten, und dann bin ich in einer Stadt. Sie ist klein und winzig, aber es ist eine Stadt. Hier habe ich drei Wochen durch den Dschungel zu reiten, ehe ich etwas vor die Augen bekomme, das eine Stadt sein könnte, wenn sich die Leute etwas Mühe geben wollten, eine Stadt daraus zu machen.«
Er wandte sich an Don Remigio.
»Nehmen Sie Ihre Muchacha, die Javiera, mit sich, Don Remigio?«
»Natürlich! Sie glauben doch nicht dass ich das Mädchen in die Hände dieser Notzüchter fallenlassen werde. Sie mag nicht viel wert sein und hat ein reiches, vollgerütteltes Leben hinter sich, das ist gewiss; aber das würde ich ihr doch nicht antun, sie der Gnade, etwa des Acacio, zu übergeben.«
»Aber vielleicht gefällt es ihr, hier zu bleiben.«
»Das ist dann ihre Sache, und ich übernehme keine Schuld. Aber wir haben uns schon über diesen Punkt geeinigt. Sie geht mit mir und bleibt dann in Jovel, wo ich ihr einen kleinen Laden zu kaufen versprochen habe. Und den Laden soll sie haben. Wo sind denn Ihre beiden Favoritas, Don Leobardo?«
»Die sind in dem kleinen Bungalow nebenan. Schlafen jetzt schon lange. Ich kaufe ihnen keinen Laden. Sie wollen auch keinen. Haben es vorgezogen, mir Henequen bauen zu helfen.«
»Das nenne ich Treue und Ergebenheit«, lachte Don Remigio. Dann gähnte er laut und sagte zu seinen Kameraden, den übrigen drei Contratistas, die mit ihm waren: »Bueno, Companeros, ich denke, wir legen uns nun auch auf unsere Betten. Es ist ein Uhr vorüber, Buenas noches, Caballeros!«
»Hasta manana, Don Remigio!«
Â
Die Gebrüder Montellano hatten nur etwa die Hälfte der vorhandenen Mules von der Company angekauft, um den Preis niedrig zu halten. Sie hätten auch keine Verwendung für alle Tiere gehabt, wenigstens nicht im ersten Jahr. Es war ihre Absicht, junge Tiere von indianischen Züchtern billig aufzukaufen und die Tiere hier in der Monteria aufzuziehen, wo die Weiden nichts kosteten.
So waren für die Abreisenden reichlich Tiere vorhanden zum Reiten und zum Tragen der Packen.
Don Leobardo besaß sechs eigene gute Mules; Don Rafael und Don Mariano, die älteren der Angestellten, besaßen jeder drei eigene Tiere; von den jüngeren hatten mehrere ein gutes Reittier. Don Remigio besaß fünf, die übrigen Contratistas jeder vier. Dennoch hätten die Tiere nicht gereicht, um die große Zahl der Abreisenden zu befördern. Zu den Angestellten, den Contratistas mit je einem Capataz, der bei seinem Herrn bleiben wollte und nicht mit den Montellanos zu arbeiten gewillt war, kamen die Mädchen, die beschlossen hatten, mit den Leuten zu reisen, denen sie mehr Vertrauen schenkten als den neuen Besitzern.
Dann waren da die beiden Chinesen, die mit der großen Karawane wandern wollten. Sie dachten dabei an die größere Sicherheit, die ihnen das Reisen im großen Trupp gewährte. Dies jedoch war nicht der einzige Grund. Der andere Grund war ihnen ebenso wichtig. Reisten sie mit der Karawane, so konnten sie während der langen Reise, die drei bis vier Wochen währen mochte, für die Caballeros kochen und so ihr Geschäft ohne Unterbrechung weiterführen. Don Leobardo und Don Rafael hatten zwar ihre eigenen Muchachos oder Mozos zur Hilfe und hätten es nicht nötig gehabt, von den Chinesen das Essen zu beziehen. Aber es war bequemer, jemand zu haben, der für das
Essen verantwortlich gemacht werden konnte. Die Chinesen schleppten ihr gesamtes Küchengerät mit, und sie versprachen sogar, dass sie jeden Tag heiße Sodagebäcke liefern würden. Wie sie das zu tun gedachten, war ihr Geheimnis. Es stellte sich aber am zweiten Tage der Reise heraus, dass es ihnen wirklich gelang, heiße Sodabrötchen zum Frühstück und zum Abendessen zu liefern. Das Mittagsmahl fiel während der Reise aus.
Don Leobardo übernahm es, die Pferde und Mules sowie einige große Esel, die nicht in den Verkauf eingeschlossen waren, im Hauptquartier der Company abzuliefern, von wo aus er sie entweder mit nach Yucatan nehmen wollte oder sie den Bananenpflanzungen der Company überliefert würden.
Da aber die Tiere, die er im Auftrage der Company mit sich führte, und alle die Tiere, die Eigentum der Angestellten und Contratistas waren, immer noch nicht ausreichten, die ganze Karawane mit allen ihren Packen und Koffern zu befördern, wurde der Vorschlag des Don Severo, den Reisenden auch noch alle die Tiere zur Verfügung zu stellen, die er mit der Monteria angekauft hatte, angenommen. So großzügig, wie es auf den ersten Blick aussah, war das Angebot freilich nicht. Don Severo musste sowieso eine Karawane nach Jovel schicken, um notwendige Waren, die fehlten, heranzubringen.
Diese Karawane wurde von seinen Arrieros geführt. Die Tiere marschierten alle leer und wurden nur auf dem Rückwege beladen. So machte es nichts aus, dass er die Tiere gleich jetzt alle mitgehen ließ, und ob sie Packen trugen oder nicht, war wenig von Belang. Es war auch für seine Leute besser, mit der großen Karawane zu reisen; es war weniger gefährlich, und der Weg, der unter der tropischen Sonne so rasch zuwuchs, dass man ihn nach sechs Wochen nur fand, wenn man ihn genau kannte, wurde nun von den vielen Muchachos, die mit der Karawane gingen, geschlagen, und er war noch offen, wenn die Karawane der Montellanos auf demselben Wege zurückkam. Obgleich er also zweifellos seine Vorteile dabei hatte, dass er seine Tiere mitschickte, so unterließ er es nicht, sich zu gebärden, als bringe er ein großes Opfer aus lauter Hilfsbereitschaft für seine Mitbürger. Es machte einen wohlgefälligen Eindruck auf alle, die jetzt abreisten; und während ihres Abschiedes einen recht guten Eindruck bei allen zu hinterlassen, konnte eines Tages für ihn von Wert sein. Aber er dachte noch weiter. Die Karawane würde, einmal in Jovel angelangt, dort seine Großzügigkeit preisen, und er wünschte sehr, in jener wichtigen Stadt einen guten Namen zu gewinnen. Es war dann leichter für ihn, Kredite zu bekommen, falls er solche benötigte. Zugleich wünschte er, einen guten Ruf zu erhalten in den Dörfern der Indianer, aus denen er neue Arbeiter zu seinen Monterias heranzulocken gedachte.
Ohne seine Unterstützung mit allen Tieren der Monteria würden die Abreisenden in mancherlei Schwierigkeiten gekommen sein.
Â
Der ursprüngliche Plan sah vor, dass die Karawane am zweiten Tage nach dem Eintreffen der Montellanos sehr früh am Morgen aufbrechen sollte. Dies war jedoch nicht möglich gewesen.
Beim Aufpacken stellte es sich heraus, dass sich viele Packsättel in sehr schlechtem Zustande befanden. Und als die Tiere abgezählt wurden, sahen die Arrieros, dass zahlreiche Tiere nicht eingefangen worden waren, weil sie sich zu weit von dem Centralcamp entfernt hatten. Sie mussten gesucht werden, und das kostete Zeit.
Viele Tiere, die Wochen hindurch ohne Aufsicht auf den Prärien gewesen, hatten Bisswunden von Tigern oder Schlangen, aufgebrochene Beulen, verursacht durch Insektenstiche. Diese Tiere mussten gedoktert werden, um sie marschfähig zu machen.
Die Arrieros hatten Schwierigkeiten mit der Einteilung der Tiere nach deren Arbeits- und Tragfähigkeiten, und sie hatten noch größere Mühe mit der Anordnung der Packen.
Dann wieder entdeckten sie, dass der Proviant, den sie für sich in der Tienda gekauft hatten, unzureichend war, und sie mussten weitere Einkäufe machen.
Zwei Mädchen jammerten und erklärten, sie seien krank und könnten die Reise nicht aushalten, wenn nicht drei Tage gewartet würde, bis sie sich besser fühlten.
Gegen Mitte des Reisetages war dann endlich alles so weit geschafft, dass aufgepackt werden konnte.
Don Leobardo kam heran und betrachtete sich das Feldlager. »He, Muchachos, ihr braucht wenigstens eine und eine halbe Stunde zum Aufpacken.«
»Ja, das brauchen wir wohl, Patron«, sagte einer der Arrieros. »Dann ist es gegen zwei Uhr, wenn wir abmarschieren können.«
»Das wird sicher so sein, Patron.«
»Und um fünf müssen wir Lager machen, weil die Nacht rasch herunterkommt.«
»Gewiss, Patron. Es ist dann so schwarz, dass man nichts sehen kann.«
»Nun gut«, sagte darauf Don Leobardo, »dann lohnt es nicht die Mühe, dass wir jetzt packen und abmarschieren. Nehmt euch gut Ruhe und sauft nicht. Und morgen früh um fünfeinhalb sind wir auf dem Marsch! Verstanden?«
»Das ist das Beste, Patron«, erwiderte der Arriero überzeugt.
Don Leobardo gab seine Anordnung bekannt, und alle waren damit einverstanden.
Â
Wer jedoch nicht damit einverstanden war, das war Don Severo.
»Amigo, oiga; hören Sie, mein Freund!« sagte er zu dem Administrador. »Wenn Sie so früh reisen, dann habe ich meine Mühe.«
»Inwiefern, Don Severo?«
»Da rennen mir die Hälfte meiner Leute fort und gehen mit Ihrem Zuge. Allein durch den Dschungel zu gehen, fürchten sie sich. Aber nun haben sie eine Gelegenheit zu fliehen. Können Sie nicht etwa bis acht Uhr warten? Dann ist es leichter für uns, die Leute zu bewachen, und ich kann das Feld überblicken.«
Don Leobardo lachte. »Don Severo, Sie sollten das doch wahrhaftig besser wissen, wie das am ersten Tage bei, der Abreise einer so großen Patache zugeht. Ich werde froh sein, wenn wir um neun auf dem Marsch sind.«
Don Severo traf aber dennoch alle Vorbereitungen, um zu verhüten, dass Leute desertierten. Er rief Felix und Acacio. Sie nahmen die Liste zur Hand, auf der sich die Namen aller Leute befanden, die hier im Hauptcamp, im Gelände der Oficinas, arbeiteten, Handwerker und Peones.
Er ließ alle Leute antreten, las ihre Namen herunter, und er und seine beiden Brüder sahen sich die Leute genau an, um sie kennen zu lernen. Dann erhielten sie den Auftrag, morgen früh um fünf Uhr wieder anzutreten, um zur Arbeit eingeteilt zu werden. Die Zeit wurde ihnen angegeben in der Weise, dass Don Felix eine Glocke läutete, die im Portico der Hauptoficina hing.
Als die Leute dann am nächsten Morgen zur Arbeit anrückten, war das ganze Gelände in Aufruhr, verursacht durch die Vorbereitungen der Abreisenden.
Don Severo nahm alle seine Leute auf eine Seite des
Geländes, reichlich entfernt von dem wimmelnden Lager der aufbrechenden Karawane. Hier teilte er sie in zwei Gruppen. Die eine Gruppe, darunter die Handwerker, führte er in die Bodega, wo sie unter seiner Aufsicht das Lager ordneten und die Bestände aufnahmen. Hier waren sie alle gut zusammen und keiner konnte entwischen.
Die zweite Gruppe, meist Peones, gewöhnliche indianische Arbeiter, führte Don Felix weit in den Dschungel hinein, wo er sie Stämme hacken und Palmblätter schneiden ließ, die für ein neues Gebäude bestimmt waren.
Â
Am Abend vorher hatten die Montellanos einen neuen und vortrefflichen Plan ausgeheckt. Sie beschlossen, das Lager von den zahlreichen kleinen Aguardientehökern zu befreien. Nicht etwa, um Moral und gute Sitten einzuführen, sondern um zu verhindern, dass die Löhne, die sie an die Arbeiter zahlten, in andere Hände übergingen als in ihre eigenen. Alles, auch der letzte kleine grünspanige Centavo, musste in ihre Taschen zurückkommen und in der Familie bleiben.
Darum sollte nun eine große Cantina, eine luxuriöse Schenke, gebaut werden, an einer Seite des Geländes, reichlich entfernt von den Oficinas. Diese Cantina verpachteten sie an einen tüchtigen Cantinero, der keine Pacht zahlte, jedoch von allen seinen Einnahmen, gleich welcher Art, vierzig Prozent an die Montellanos an Stelle der Pacht abgeben musste. Zu diesen Einnahmen gehörten auch die Verdienste der Cantina an dem aufgestellten Roulette und an den übrigen Spielen wie auch die Verdienste der Frauen, die mit den Besuchern der Cantina sich vergnügen wollten.
Der Besucher zahlte dem Cantinero für die Frau, nicht ihr selbst. Dafür erhielt der Besucher eine Gutmarke, eine so genannte Ficha, die er der Frau als Zahlung aushändigte. Die Frau händigte die Ficha später dem Cantinero aus, wofür sie fünfzig Prozent des gezahlten Preises als ihren Verdienst empfing. Auf diese Weise konnte auch dieses Geschäft so gut kontrolliert werden, dass die Montellanos ihren Anteil genau auszurechnen vermochten und der Cantinero oder die Mädchen kein Geschäft verheimlichen konnten. Wenn später, als die Montellanos das Geschäft in ihrem Sinne richtig aufgebaut hatten, es geschah, dass die Mädchen, ohne Ficha des Cantineros, auf eigene Rechnung oder aus reiner Gefälligkeit oder Freundschaft einen Besucher, der ihnen gefiel, begünstigten, so wurden sie ernstlich verwarnt. Wurden sie jedoch ein zweites Mal dabei erwischt, dass sie die Montellanos um ihren Anteil betrogen, dann wurden die Mädchen dem Capataz der Oficinas zur Auspeitschung übergeben.
In seiner Heimat, in Spanien, erschienen in den Lokalzeitungen häufig Artikel, die Don Severo als ein Musterbeispiel an Zähigkeit, Ausdauer und kaufmännischer Genialität lobten und diesen vortrefflichen Mann den ewig unzufriedenen Arbeitern Spaniens, die nichts als Anarchisten und Kommunisten waren, als Ideal eines arbeitsamen Menschen hinstellten: ein Mann, der bitter arm nach Mexiko auswanderte, mit nur zwanzig Pesetas in der Tasche in Veracruz landete und durch Fleiß und Geschicklichkeit innerhalb von zwanzig Jahren Besitzer mehrerer Monterias geworden war und ein Vermögen von ungefähr zwölf Millionen Pesetas erworben hatte.
Â
Während Don Severo und Don Felix alle Arbeiter der Oficinas beschäftigt und unter persönlicher Aufsicht hielten, erfüllte Don Acacio die Aufgabe, die abreisende Karawane zu beobachten, sie einen halben Tag lang zu begleiten und dann zurückzukehren. Er ritt voraus. An einer günstigen Stelle wartete er und ließ die ganze lange Patache an sich vorüberziehen, alle Reisenden, insbesondere die Leute, die vielleicht Arbeiter der Montellanos sein könnten, gut beobachtend. Dann ritt er hinter der Karawane her. Gegen vier Uhr nachmittags galoppierte er abermals bis an die Spitze des Zuges und ließ noch mal alle an sich vorüberziehen, um gewiss zu sein, dass sich kein Deserteur in der Karawane verkrochen hatte. Darauf ritt er zurück und beobachtete den Weg sorgfältig, mit der Absicht, auch jene abzufangen, die etwa hinterher geschlichen sein sollten, um sich später der Karawane anzuschließen.
Â
Ursprünglich hatte Don Leobardo mit seiner Karawane nicht nach Jovel reisen wollen, weil das für ihn einen Umweg bedeutete.
Sein Plan war gewesen, von Hucutsin aus nach Norden abzubiegen, um auf dem kürzesten Wege San Juan Bautista zu erreichen und hier bei seiner Company zum Rapport zu erscheinen. Als er jedoch in Hucutsin ankam, erhielt er die Nachricht, dass die Bachajonen, deren Dörfer und Siedlungen auf seinem Wege nach Norden lagen, wieder einmal in hellem Aufruhr seien der Ungerechtigkeiten wegen, die sie, nach ihrer Meinung, von der Regierung, insbesondere von dem Jefe Politico und den kleineren Beamten, in den letzten Monaten erduldet hatten.
Es war sicher, dass die aufständischen Indianer die Karawane anfallen würden, um sie der Waffen und der Munition zu berauben, die von den Leuten mitgeführt wurden. Es war gleichfalls wohl zu erwarten, dass sie wahrscheinlich ein hohes Lösegeld für ungehinderten Durchmarsch durch ihre Gebiete verlangen würden. Auf die Federaltruppen zu warten, die vielleicht schon auf dem Marsch zu einer Strafexpedition waren, betrachtete Don Leobardo als Zeitverlust. Außerdem gaben die Federaltruppen keine Gewähr für Sicherheit. Die Indianer hielten sich im dichten Busch versteckt. Sie waren so geschickt in ihrer Art des Kampfes, dass sie sich nach Beheben und unter den Augen der begleitenden Soldaten, Reisende und bepackte Mules aus der Karawane herausholten und mit der Beute so rasch in den Tiefen des Busches verschwanden, dass die verfolgenden Soldaten nichts dagegen auszurichten vermochten. Schweifte eine Patrouille nach links ab, dann wurde die Karawane von rechts angefallen und umgekehrt. Ein Regiment wäre notwendig gewesen, die Karawane gegen diese Kriegsart zu beschützen; die Soldaten jedoch wurden an anderen Stellen notwendiger gebraucht, um die großen Domänen in der Umgebung zu bewachen und gegen Überfälle zu verteidigen.
Don Leobardo war klug genug, sich nicht auf Abenteuer einzulassen und Menschenleben und Güter, für die er verantwortlich war, aufs Spiel zu setzen. Er beschloss, mit der ganzen Karawane nach Jovel zu reisen. Beinahe die Hälfte der Karawane marschierte auf alle Fälle nach Jovel. Dazu gehörte auch die Patache der Montellanos, die den Auftrag hatte, die bestellten Waren in Jovel einzukaufen und die darum nicht mit Don Leobardo nach Norden ziehen konnte.
In Jovel blieben alle Contratistas, einige der Angestellten, mehrere der Mädchen und alle die Leute, die sich hier von Don Leobardo trennten, entweder weil sie hier zu Hause waren oder hier ein neues Geschäft zu eröffnen gedachten oder nach neuen Stellungen suchen wollten oder die Absicht hatten, nach Tullum oder gar nach Arriaga, der Bahnstation, weiterzureisen. Der Weg nach Tullum und Arriaga lief nach Südwesten, während Don Leobardo nach Norden reiste. Jovel bot gute Hotels, zivilisierte Restaurants, reich ausgestattete Läden und genügend Unterhaltung, so dass alle Leute, die mit Don Leobardo nach Tabasco zumarschierten, ihm Dank wussten, als er den Befehl ausgab, die Karawane hier vier Tage rasten zu lassen, ehe sie weiterzöge. Für alle die Leute, die viele Monate, manche drei Jahre, im Dschungel verbracht hatten, war es, als würde ihnen durch diese Anordnung das Paradies eröffnet.
Â
Das Hauptquartier der Monteria La Armonia machte jetzt, nach den drei Tagen der Emsigkeit eines aufgescheuchten Ameisenhaufens, einen geisterhaft stillen Eindruck, verursacht durch den Abmarsch einer so großen Zahl von Menschen und Tieren, dass es den Anschein erweckte, als zöge ein ganzes Volk aus.
Die Handwerker und Peones waren anderweitig beschäftigt und darum auf dem Gelände nicht sichtbar. Das verstärkte den Eindruck, dass die Stadt ausgestorben sei.
Am Tage nach der Abreise der großen Karawane stellten die Montellanos zu ihrer Genugtuung fest, dass ihnen nicht ein einziger Mann entwischt war. In dieser Erkenntnis sonnten sie sich wie gute Soldaten, denen eiserne Medaillen auf ihre Brustlätze aufgespickt worden waren für eine blutige Handlung, um deretwegen sechzig Mütter Gott im Himmel verfluchten, dass er so etwas geschehen lassen konnte. Es gibt ja keine einzige Handlung, ausgeübt von Menschen, die nicht irgendwo von irgendwelchen anderen Menschen als eine verdienstwürdige Tat gelobt wird, Nun erst, als sie hier allein waren, begannen sich die Montellanos als die wirklichen Herren zu fühlen. Und um dieses Gefühl voll zu genießen, betrachteten sie es als ihre erste wichtige Aufgabe, alles das, was die Company und deren Verwalter hier bisher getan hatten, als stupid, dumm und in jeder Hinsicht ungeschäftlich zu bezeichnen. In welche Ecke der Oficinas sie auch kamen, welchen Handwerker oder Peon sie auch antrafen, bei welcher Arbeit sie auch einen Mann fanden, alles war verkehrt gemacht, und jeder, der dies oder das so oder anders angeordnet hatte, wurde als ein verblödeter Ochse bezeichnet, ganz gleich, ob es der bisherige Administrador war oder der Tendero oder der Lagerverwalter.
Nachdem sie für den ersten Tag mit dieser vernichtenden Kritik zu Ende waren, hielten die drei Brüder eine Konferenz ab, in der sie berieten, wie alles und jedes besser gemacht werden könnte und besser gemacht werden müsse.
Auf dieser Konferenz redete freilich nur Don Severo. Seine beiden Brüder durften lediglich zuhören, das, was er anordnete, gutheißen und sich verpflichten, es mit Kraft und, wenn nötig, mit Blut auszuführen.
Sie hatten sechs Capataces mitgebracht, Aufseher, die mit ihnen bereits seit einiger Zeit arbeiteten und von den drei Brüdern so erzogen worden waren, wie sie sich gute Capataces vorstellten. Diese Capataces wurden nun herbeigerufen. Und die zweite Konferenz begann.
Warum sollten die Montellanos den Contratistas zehn Pesos Gold für die gelieferte Tonne Caoba zahlen, wenn sie selbst erfahrene Contratistas waren, die, richtig organisiert, alles allein tun konnten, ohne die Mithilfe von Contratistas. Die zehn Pesos für jede Tonne konnten sie selbst verdienen.
Contratistas waren im Grunde genommen ja doch nur Parasiten, besonders dann, wenn sie von den Montellanos bezahlt werden mussten.
So wurde beschlossen, dass Don Felix im Hauptquartier, in den Oficinas, bleiben sollte. Hier musste eine verantwortungsvolle und erfahrene Person anwesend sein, bei der alle Zweige des weitausgedehnten Unternehmens zusammenliefen. Hier waren die neu angeworbenen Caobaleute abzuliefern; hierher brachten die Karawanen die notwendigen Waren; hier war die Tienda; hier war das Lager aller Geräte; hier war die Kontrollabschwemmstation; hierher kamen alle Bestellungen und Nachrichten, solange die Brüder kein Hauptbüro im Hafen unterhielten. Don Severo übernahm die
Lieferung der Caoba in La Armonia. Der Jüngste, Don Acacio, übernahm die Lieferung in den zwei anderen, kleineren Monterias, in La Estancia und in La Piedra Alta, die dicht beieinander lagen und darum leicht zusammen bewirtschaftet werden konnten.
Weder Don Severo noch Don Acacio vermochten in allen Distrikten oder Semaneos ihrer Monterias zu gleicher Zeit zu sein. Jeder Distrikt war bisher von einem Contratista ausgebeutet worden, und weil nun die zwei Brüder gleichzeitig alle jene Distrikte bearbeiten wollten, die bis heute von neun verschiedenen Contratistas geleitet worden waren, die Hauptmonteria allein. von vieren, so musste die Organisation völlig geändert werden, um dasselbe, nein, das Doppelte liefern zu können von dem, was unter der bisherigen Organisation gefördert worden war.
Die früheren Contratistas und die älteren, erfahrenen Angestellten hatten in ihrer Unterredung mit Don Leobardo bereits angedeutet, wie die Montellanos es wahrscheinlich machen würden, um die Ausgaben für die Contratistas zu sparen. Und so, genau so geschah es nun auch.
Zur Durchführung dieses wirtschaftlichen Planes war keine besondere Anstrengung des Hirns vonnöten, nur diktatorische Gewalt und genügend Brutalität.
Â
Es war sehr einfach. Die Genialität des Planes beruhte in seiner Einfachheit. Als die sechs Capataces versammelt waren, hielt ihnen Don Severo eine Ansprache. Es wurde von ihnen nur erwartet zu nicken und »Si, patron!« zu sagen. Alles übrige redete Don Severo.
»Muchachos!« sagte er. »Von nun an, da wir selbst hier die Besitzer geworden sind, könnt ihr endlich einmal etwas verdienen.«
Die Burschen hielten die Ohren steif, um kein Wort zu verlieren; denn dass ihnen von den Montellanos Extraverdienste versprochen wurden, war für sie eine unerwartete Neuigkeit.
»Ihr seid an unsere Arbeitsmethoden gewöhnt. Ihr habt lange genug mit uns zusammen gearbeitet, um zu wissen, wie ich es meine und wie gearbeitet werden muss. Wir Menschen sind nicht auf der Welt, um herumzufaulenzen, zu saufen, zu huren und uns zu vergnügen, sondern um zu arbeiten. Und wenn ich sage, wir Menschen sind auf dieser jammervollen Erde, um zu arbeiten, dann meine ich natürlich, um hart zu arbeiten, sehr hart, bis die Knochen knacken und der Saft uns vorn und hinten 'rausspritzt. Das ist es, was ich unter arbeiten verstehe. Verstanden?«
»Si, patron!« antworteten die Burschen einstimmig.
»Ich habe mir darum gesagt, dass ihr mehr verdienen müsst, weil ihr wirklich gute und tüchtige Capataces seid. Da, gießt euch einen ein. Gottverdammt noch mal, nicht aus dieser Flasche, sondern aus jener. Ihr werdet doch wohl noch unterscheiden können, was für uns ist und was für euch, ihr gottverfluchten Hurensöhne.«
Nicht verschüchtert, sondern nur unbeholfen gemacht durch den Rüffel, nahmen sie die Flasche mit dem gewöhnlichen Aguardiente, die ihnen Don Severo hingeschoben hatte. jeder schenkte sich sein Glas voll, sagte »Salud!« zu jedem einzelnen der drei Brüder und goss es hinunter. Es war nur ein Glas für sie zur Hand. Darum dauerte es eine Weile, ehe es herum war. Diese Zeit ließ Don Severo nicht müßig vorübergehen.
»Jeder einzelne von euch übernimmt einen Distrikt. Wer nicht mitmachen will, kann seiner Wege gehen. Ich brauche euch überhaupt nicht und behalte euch nur hier aus Barmherzigkeit, und weil ihr alle zu tief im Vorschuss steckt, eurer ewigen Sauferei, Spielerei und Hurerei wegen. Für jeden werde ich den Distrikt bestimmen.«
Don Severo nahm einen Zettel auf. Auf diesem Papier waren die Semaneos eingeteilt. Die größte und reichste der drei Monterias, die er gekauft hatte, war La Armonia, wo sich die Oficinas befanden.
Diese übernahm er selbst. Die beiden kleineren, La Estancia und La Piedra Alta, übernahm Don Acacio. Diese beiden waren etwa vier Tagesritte von La Armonia entfernt. Don Severo fand La Armonia eingeteilt in vier Distrikte, die er beibehielt. Er änderte nur die Namen und benannte sie jetzt nach den Himmelsrichtungen, in denen sie vom Zentralpunkt aus lagen, Norte, Sur, Este, Oeste. La Estancia und La Piedra Alta teilte er in je zwei Distrikte ein, die beiden der La Estancia benannte er Norte und Sur und die beiden der La Piedra Alta Este und Oeste.
So hatte er das auf dem Zettel in einem roh gezeichneten Geländeplan ausgearbeitet. Es blieb ihm jetzt nur die Aufgabe, diese Distrikte mit den richtigen Männern zu besetzen.
»Ich selbst übernehme den Distrikt Norte der La Armonia hier, um in eurer Nähe zu sein. Du, Picaro, übernimmst Distrikt Sur.«
Die Montellanos riefen nie einen ihrer Leute beim wirklichen Namen. Vielleicht wussten sie die wirklichen Namen nicht einmal, oder wenn sie ihnen je genannt worden waren, so glaubten sie an die Richtigkeit der Namen ja doch nicht. Sie verließen sich vielmehr auf die Motes oder Spitznamen, die sie ihren Leuten gaben und die meist so gut gewählt waren, dass sie wenig Mühe hatten, den Mann herauszufinden, ohne sich an dessen richtigen Namen erinnern zu müssen.
»Jeder von euch ist in seinem Distrikt der Mayordomo, der Foreman, mit unbeschränkter Gewalt. Versteht ihr?«
»Si, patron!«
»Schenkt euch ein neues Glas ein. Hier sind auch Zigaretten. Jeder Mayordomo bekommt zur Hilfe einen Capataz, und zwar jeder den des früheren Contratista, der im Distrikt zurückblieb und von uns übernommen wurde. Mit denen arbeitet ihr verträglich zusammen, oder ich feuere euch, und ehe ihr geht, kriegt ihr eine ganz gottverdammte Dresche aufgeladen.«
»Las gratificaciones, Severo«, erinnerte ihn Felix.
»Halts Maul und sitz ruhig auf deinem Ursch! Ich komme schon dazu. Du, Pulpo, spinniger Octopus, du übernimmst den Distrikt Este.«
»Si, patron!«
»Chucho, du nimmst den Distrikt Oeste. Die übrigen drei, La Mecha (der Docht), El Guapo (der Schöne) und El Faldon (der Weiberrock), ihr geht mit Don Acacio zu den beiden anderen Monterias.«
»Las gratificaciones, Severo«, erinnerte ihn jetzt auch Don Acacio.
Don Severo schien nun endlich die Zeit für gekommen zu halten, um von den Belohnungen zu sprechen. Darum brüllte er Don Acacio nicht an, das Maul zu halten.
Aus den Listen, die ihm von Don Leobardo und den Contratistas übergeben worden waren, hatte er die genaue Zahl aller Leute, die in den einzelnen Distrikten arbeiteten, sorgfältig festgestellt. Und er hatte auch, soweit er das von den Oficinas aus tun konnte, ausgerechnet, wie viele Hacheros oder Fäller in jedem Distrikt waren und wie viele Boyeros und Macheteros. Ohne in Betracht zu ziehen, ja ohne überhaupt recht zu wissen, wie schwierig das Gelände der einzelnen Distrikte war und wie notwendig eine volle Zahl von Boyeros sein mochte, strich er kurzerhand mehrere Leute von den Schleppmannschaften und überschrieb sie zu den Hacheros.
Â
Die tägliche Pflichtlieferung eines Fällers waren zwei Tonnen Caoba, vorschriftsmäßig abgeschält und zugehackt, fertig zum Schwemmen.
Es war bisher immer die Regel gewesen, dass ein Schläger, der nicht in der Lage war, zwei Tonnen täglich zu liefern, in den meisten Fällen ohne eigene Schuld, das Recht hatte, die fehlenden Tonnen innerhalb einer Woche nachzuliefern. Das war so gemeint, dass, wenn er am Montag und am Dienstag zusammen nur drei Tonnen geliefert hatte anstatt vier, er den Verlust einholen konnte dadurch, dass er innerhalb derselben Woche an einem Tage statt zwei gleich drei Tonnen schaffte, was durchaus möglich war, wenn er einen Baum fand, der allein zwei Tonnen gab. Zwei Tonnen täglich regelmäßig zu schaffen, ist eine ganz verteufelt harte Leistung für einen Mann, der im Dschungel unter tropischer Sonnenglut arbeiten muss und nie eine Mahlzeit in den Magen bekommt, die man als kräftig bezeichnen könnte. Erreichten die Hacheros ihre volle Tonnenzahl nicht, so wurden ihnen die Tage, an denen sie nicht zwei volle Tonnen geliefert hatten, nicht bezahlt; sie hatten also umsonst gearbeitet, obgleich sie vielleicht eine Tonne oder gar eine und eine halbe wirklich geschafft hatten. Aber weil die zwei Tonnen nicht voll waren, so wurden ihnen die wirklich gelieferten ebenfalls nicht berechnet oder nur dann berechnet, wenn sie innerhalb derselben Woche, zuweilen unter gutmütigen Contratistas in vier Wochen, die Gesamtlieferungszahl für die Woche auf vierzehn Tonnen brachten. Sonntage und Feiertage gab es nicht. Das war auch ganz in der Ordnung. Der Dschungel kennt ebenfalls keine Feiertage. In ihm wachsen die Caobas, die Mahagonibäume, jeden Tag und Tag und Nacht, ohne sich um Kalenderfeiertage zu kümmern. Dazu hat der Dschungel keine Zeit, und darum haben auch die Caobaleute keine Zeit, um solche Dummheiten zu machen, wie Feiertage oder Ruhetage zu verlangen.
Wenn ein Hachero ständig unter seinen zwei Tonnen täglich blieb, dann wurde angenommen, dass er absichtlich nicht liefern wolle. Der Contratista rief dann seinen Capataz herbei und gab ihm Befehl, sich den Mann einmal vorzunehmen. Die Capataces kannten kein anderes Mittel, als die faulen Schläger auszupeitschen. Mit langen Erwägungen über die physischen Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Arbeiter hielt sich niemand auf. Mit Erwägungen und Untersuchungen kann keine Caoba geliefert werden; sie muss geschlagen werden. Und wer seiner Schulden wegen angekauft wurde, die Caoba zu schlagen, hat es zu tun oder die Folgen zu tragen.
Die persönliche Unterredung, die der Capataz mit dem nachlässigen Hachero hielt, war häufig erfolgreich. Zukünftig lieferte der Mann seine zwei Tonnen täglich. Ließ er abermals nach, weil er es beim besten Willen nicht schaffen konnte, so hatte er eine zweite Unterredung mit dem Capataz. Das Endergebnis bestand in zwei Möglichkeiten: Der Mann gewöhnte sich daran, die verlangte Leistung zu liefern, oder er starb. Er starb entweder an den fortgesetzten Überanstrengungen, denen er nicht gewachsen war, oder er starb an den Wunden, die ihm der Capataz beigebracht hatte.
In vielen Fällen war der Tod eines Arbeiters für den Contratista oder für die Monteria nur ein vorübergehender Verlust, und dann nur ein Verlust an Zeit. Die Mehrzahl der Muchachos war verpflichtet wenn für sie Schulden oder Polizeistrafen bezahlt oder ihnen Vorschüsse gegeben wurden und sie den Arbeitskontrakt für die Monterias bestätigten, einen Bürgen zu nennen, meist einen guten Freund oder einen Bruder, Vetter oder Schwager. Starb nun ein kontraktlich verpflichteter Muchacho, wäre es auch infolge von Unfall bei der Arbeit, ehe er die volle Schuld, die er im Kontrakt übernommen hatte, herunterzuarbeiten fähig gewesen war, so wurde sein Bürge herbeigeholt, der den Rest der Schuld nun in der Monteria abzuarbeiten hatte. Es vergingen freilich zuweilen mehrere Monate, ehe der Bürge benachrichtigt werden konnte und ehe er in der Monteria eintraf. Dies war meistens der einzige Verlust, den die Monteria dabei erlitt.
Als Ganzes gesehen, war dennoch die Behandlung der Leute, so hart es erscheint, nicht gar so grausam, wie man annehmen könnte. Weder die Administradoren, insbesondere Don Leobardo, noch die Contratistas hatten im allgemeinen ein Interesse daran, ihre Leute zu quälen. Sie waren, körperlich und erst recht sexuell betrachtet, vollblütige, kerngesunde und normale Menschen, die auch nicht das geringste Vergnügen oder eine geheime Lust darin fanden, ihre Leute auspeitschen zu lassen und sich dabei zu ergötzen. Der Capataz tat das mit dem Manne unter vier Augen ab, und er betrachtete es nicht als ein sadistisches Vergnügen, sondern als eine Arbeit, die er ebenso gern vermied wie jede andere anstrengende Arbeit. Und die Company und deren Administradoren vermieden jegliche Brutalität, solange sie ihr Ziel auf mildere Weise erreichen konnten. Sobald die Contratistas, wenigstens die Mehrzahl von ihnen, einsahen, dass ein Mann, obgleich er den besten Willen zeigte, die Lieferung einfach nicht schaffen konnte, gaben sie ihm eine andere Arbeit, falls sie eine andere für ihn hatten; oder sie ließen ihm Zeit, seine Fähigkeiten so zu verbessern, dass er endlich doch imstande war zu leisten, was wirklich geleistet werden kann, wenn man einmal die Übung hat und alle Tricks des Handwerks erlernt hat.
Aber solche Milderungen, wie sie von Companien und Contratistas im allgemeinen angewandt wurden, und meist ohne ernsten Nachteil für das Geschäft, konnten freilich in den Plänen der Montellanos keine Berücksichtigung finden. Es hat noch selten jemand Millionen verdienen können, der zu viel Rücksichten auf die Arbeiter nahm; und noch nie hat sich ein Diktator in seiner Macht behaupten können, der in seinen ihm unterworfenen Subjekten etwas anderes sah als gehorsame, uniformierte Holzklötze.
Â
Don Severo sah sich die Liste für den Distrikt Sur an, den er El Picaro (der Gauner) übertragen hatte.
Er fand hier verzeichnet: neunzehn Schläger, elf Ochsenknechte, vier Ochsenjungen und zwei Macheteros. Macheteros sind die Burschen, die mit einem Machete die Gassen im Dschungel lichten, auf denen die geschlagenen Stämme fortgeschleift werden sollen.
Don Severo verringerte die elf Ochsenknechte um drei und schied die Macheteros aus. Er überschrieb diese fünf Leute, ohne sie zu kennen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt eine schwere Caobaaxt führen könnten, zu den Schlägern. Die vier Ochsenjungen mussten die Arbeit der beiden Macheteros mit übernehmen. Auf diese Weise bekam Don Severo für den Distrikt Sur vierundzwanzig Schläger. Als er das so schön ausgerechnet hatte, kam er zu den Gratificaciones, den Belohnungen.
»Picaro, wie ich dir gesagt habe und wie ich euch allen hier gesagt habe, ich lasse verdienen, wenn wir verdienen. Ich bin kein Ladron, der arme Indianer ausbeutet. Ich lasse leben. Ihr alle könnt verdienen, wenn ihr auf unser Interesse bedacht seid. Was die Company bis jetzt geliefert hat, ist ja Schitt. Was die Leute hier getan haben, weiß ich nicht. Gehurt und gesoffen müssen sie haben und gefaulenzt zum Gotterbarmen. Ohne uns anzustrengen, können wir leicht das Doppelte liefern. Und das Doppelte ist das geringste, was wir liefern müssen. Wenn ich gesagt habe, ich lasse jeden verdienen, der uns verdienen lässt, dann meine ich das auch so. Bis jetzt waren wir nur Contratistas. Da konnten wir euch nicht mehr bezahlen als eure acht oder zehn oder zwölf Reales im Tag. Nun aber sind wir Besitzer und können euch mehr verdienen lassen. Ihr alle bekommt vorn nächsten Ersten ab, ohne Ausnahme, zwölf Reales im Tag, also einen Peso fünfzig. Die anderen Capataces, die unter eurem Kommando stehen, sollen auch zwölf Reales haben im Tag. Aber nun kommt der Unterschied.«
Die Capataces rückten aufgeregt näher heran. Vielleicht waren sie weniger geldgierig als die Montellanos. Aber Don Severo verstand es, seine Eigenschaften auf die zu übertragen, die ihm helfen sollten, seine Geldgier und die seiner Brüder zu befriedigen.
»Picaro, du hast in deinem Distrikt vierundzwanzig Schläger. Hier ist die Liste. Jeder hat natürlich seine zwei Tonnen täglich zu schaffen, wie immer. Dafür hast du zu sorgen. Wenn du mir fünfzig Tonnen am Tag schaffst, dann gebe ich dir für jede Tonne einen Real Gratificaciön das sind sechs Pesos fünfundzwanzig Centavos im Tag, und deinen Lohn natürlich außerdem. Deinem Companero gebe ich für jede Tonne einen viertel Real. Ich gebe dir einen Zettel für ihn mit. Wenn du mir aber weniger als fünfzig Tonnen im Tag schaffst, dann bekommst du nur einen viertel Real für die Tonne und dein Companero, nichts. Sind es aber weniger als vierzig Tonnen im Tag, dann bekommt ihr beide für den Tag keinen Lohn und erst recht nicht irgendeine Gratificaciön...«
»Pero, patron, entonces, dann arbeite ich ja umsonst«, sagte El Picaro schüchtern.
»Du wirst doch mit vierundzwanzig Schlägern mehr als vierzig Tonnen täglich liefern können.
Oder nicht? Wir haben doch beide zusammen, du und ich, mehr geschafft. Das weißt du doch gut.«
»Ja, freilich, Don Severo, aber manchmal sind eben die Bäume nicht so zur Hand, und da hat man seine liebe Not.«
»Darum mache ich dich Straßenräuber ja zum Mayordomo, damit du das mit den Bäumen regelst.
Zum Dastehen und Hinsehen brauche ich keinen Capataz, den ich bezahle. Da kann ich ebenso gut einen Stecken in die, Schitt stellen oder eine Krähenscheuche, wenn ich nur jemand brauche, um dazustehen. Und überhaupt ist das nicht alles. Ich habe dir gesagt, ich gebe dir einen Real für jede Tonne, wenn du mir mehr schaffst als fünfzig. Aber wenn du mir mit denselben Leuten sechzig Tonnen im Tag schaffst, dann gebe ich dir für jede Tonne zwei Reales Gratificaciön und deinem Companero einen halben Real für jede Tonne. Und das ist noch lange nicht genug. Ich gebe dir drei Reales und deinem Companero einen Real für jede Tonne, wenn ihr mir siebzig Tonnen im Tag schafft.«
»Con su permise, patron, mit Ihrer Erlaubnis, wie kann ich denn mit vierundzwanzig Muchachos siebzig Tonnen im Tag machen?«
»Was du machst und wie du das machst, ist deine Sache. Dafür habe ich dich zum Mayordomo erhoben. Wenn du das nicht kannst, suche ich mir einen andern.«
»Das ist nicht nötig, Jefe. Sie wissen, ich habe immer zu Ihnen gehalten.«
»Eben darum, weil ich das weiß, darum gebe ich dir diese Gratificaciönes. Du kannst leicht fünfhundert Pesos im Monat machen, geradeso wie gar nichts. Das rennt nur so in deine Tasche hinein. Schenk dir noch ein Glas voll. Ihr auch, Chucho, Pulpo und die andern, schenkt euch eins ein.«
Don Severo wandte sich wieder an El Picaro. »Wie du das machst, bleibt dir frei. Du hast lange genug gelernt mit mir, um zu wissen, dass diese stinkigen indianischen Drecksäue faul sind wie Mist auf dem Haufen. Stinkfaul in ihren Pueblos und noch zehnmal stinkfauler auf den Fincas. Aber Knochen haben sie wie Eisen. Tanzen drei Tage und drei Nächte durch, saufen und huren dabei, dass die Fetzen herumsausen und dir das Gesicht voll spritzt. Die können schon arbeiten, wenn du sie herankriegst.
Deine Sache. Ich weiß es, vier Tonnen können die machen, geradeso leicht wie ich hier den Zahnstocher zerbreche. Vier
Tonnen im Tag ist gar nichts für die, dabei schlafen sie noch. Aber wenn du das nicht kannst, ich kann mir auch einen der anderen Capataces für diesen Posten suchen.
Vielleicht El Tornillo oder El Doblado, die zurückgeblieben sind.«
»Aber, patroncito, ich habe doch mit keinem Wort gesagt, dass ich das nicht übernehmen will. Ich kann das Geld so gut gebrauchen wie die andern; wenn ich mir den Rancho von Don Aurelio kaufen will, brauche ich Geld.«
»Gut dann, abgemacht!«
Nun nahm sich Don Severo den nächsten vor. Es war El Chucho (der Jesus). Don Severo hatte nicht nötig, so viel zu erklären, wie er El Picaro hatte erklären müssen; denn darum waren sie ja alle zusammen hierher geladen, um gleichzeitig zu hören, was Don Severo von ihnen wollte. Es war bei jedem nur nötig, ihm zu sagen, wie viele Schläger er habe und wie viele Tonnen er täglich liefern müsse, um diese oder jene Prämie zu erhalten.
Als die Konferenz beendet war und alle Capataces wussten, wohin sie gehörten und was sie zu tun hatten, gingen sie zu den Branntweinhütten, um sich vor den langen Wochen der Arbeit im Dschungel noch einen vergnügten letzten Abend zu machen. Don Severo hatte allen genügend Vorschuss gegeben, um ihnen zu ermöglichen, eine so vergnügte Nacht zu feiern, dass allein der Gedanke, solche Nächte sich häufig leisten zu können, sie anspornen würde, alle Aufgaben zu erfüllen, die er von ihnen erwartete.
Â
»Raus, ihr Dormilones, ihr verschlafenen Hurenknechte! Die Sonne soll euch wohl erst zwischen eure verdammten schwarzen Hinterbacken scheinen! He, wird's bald, oder soll ich mit dem Latigo nachhelfen? Raus, und die Ochsen herangeschafft!«
Der Capataz Ambrosio schrie auf die Boyeros, die Ochsenknechte, los, in einem Ton, als hätte ihn jemand beleidigt.
Ambrosio, der zwei Jahre oder wohl noch länger mit Don Remigio gearbeitet hatte, war von Don Remigio in der Monteria zurückgelassen worden, weil er in den letzten Monaten immer unzuverlässiger geworden war, zu nichts Gutem mehr nütze schien und zu alledem einen Vorschuss und Schulden stehen hatte, die Don Remigio, zu übernehmen ablehnte, als der Kontrakt gelöst wurde.
Don Severo bezahlte für Ambrosio, wie er es für alle übrigen Leute getan, die Schulden, die er bei Don Remigio hatte. Für die Montellanos war Ambrosio von Wert, weil er als Capataz des Don Remigio die Distrikte der Monteria in- und auswendig kannte.
Der Name Ambrosio jedoch gefiel Don Severo nicht. Als er zur Übernahme in jenen Distrikt kam und ihn fragte, wie er heiße, und den Namen Ambrosio hörte, lachte er breit heraus und sagte:
»Möchte wissen, wer dich Ambrosio genannt hat, muss wohl der verhurte Teufel gewesen sein, der einen satanischen Witz machen wollte.«
»Aber das ist mi nombre verdadero, mein wirklicher Name«, sagte Ambrosio, und, wie es schien, ziemlich verletzt. Gleichzeitig wollte er aber einen untertänigen, kriechenden Eindruck auf seinen neuen Herrn machen, in der Hoffnung, besondere Vorzüge und Belohnungen zu erhalten, und darum drehte und wand er sich ergeben wie ein Wurm, als er vor Don Severo stand und dessen Fragen beantwortete.
Don Severo sah ihn von oben bis unten an, wie er sich so wand und krümmte, und sagte dann: »No, hombre, Ambrosio ist mir zu umständlich. El Gusano (der Wurm) ist besser für dich. Der Heilige, zu dem meine Mutter betete und dem sie ihre Seele zu besonderem Schutz empfahl, sei sie gesegnet von Ewigkeit zu Ewigkeit, war der Heilige Ambrosio. Du siehst nicht so aus, Gusano. So, du weißt nun, wie du heißt, und vergiss es nicht, wenn ich dich rufe, oder ich werde grob.«
»A sus ordenes, patron«, sagte Ambrosio kleinlaut.
»Du hast es besser hier mit mir, als du es je mit Don Remigio hattest.«
»Es cierto? Ist das sicher, Patron?« fragte El Gusano, mit einemmal versöhnt, als er vernahm, dass ihm eine Begünstigung in Aussicht zu stehen schien.
»Ja, bei weitem besser. Wie viel verdientest du bei Don Remigio?«
»Zwölf Reales, Patron.«
»Dasselbe bekommst du von uns. Aber außerdem Gratificaciönes, gute Belohnungen für fette Lieferungen. Du kannst leicht auf vier bis acht Pesos den Tag kommen bei mir, verstehst du, Gusano.«
»Si, senor, y muchisimas gracias!« sagte Ambrosio. Sein neuer Name, der Wurm, hatte plötzlich alles Unangenehme verloren. Da dieser neue Name so schnell mit gutem Geld verknüpft worden war, erschien ihm El Gusano als der herrlichste Name, den er sich nur denken konnte. Er klang in seinem  Ohr wie  Sphärenklänge  und  schöner  als  alle ambrosianischen Lobgesänge im Himmel. Die Lobgesänge im Himmel mochten schön klingen, aber hier auf Erden besaßen sie keine Kaufkraft. Las Gratificaciönes jedoch, die ihm als El Gusano nun versprochen waren und die zu verdienen er sich gelobt hatte, konnten hier auf Erden umgesetzt werden für alles, was einem gesunden Menschen Freude und Vergnügen macht. Was ist der schöne Name Ambrosio wert, wenn man sich dafür nicht einmal eine Flasche Comiteco auf Borg nehmen kann. Weg darum mit Ambrosio, es lebe El Gusano.
Nicht an verstaubten Namen kleben, Hombre, wenn sie dir in deinem erfolgreichen Leben nur hinderlich sind. Das nächste, was er tat, war, anzuordnen, dass alle Muchachos ihn von nun an El Gusano zu nennen hätten, wenn sie ihn beim Namen riefen oder wenn er von Don Severo oder von El Picaro, dem Mayordomo, gesucht würde; in allen anderen Fällen aber verlangte er, dass er wie bisher >mi jefe< angesprochen werde, wenn die dreckigen und verlausten Muchachos mit ihm etwas zu sprechen hätten.
Â
El Gusano war der Ayudante, der Assistent und Gehilfe des El Picaro, der hier im Distrikt Sur der La Armonia zum Mayordomo ernannt worden war. El Gusano hatte darum Anteil an den Gratificaciönes, die El Picaro zufielen.
Don Severo war ein ausgezeichneter Menschenkenner, besonders wenn es sich um Untergebene handelte und um Leute, die er für seine Zwecke zu gebrauchen wünschte.
Dem El Picaro als Ayudante El Gusano zu geben war zwar ein teuflischer Gedanke gewesen; aber es war auch gleichzeitig eine Idee, von der er wusste, dass sie schweres Geld einbrachte.
EI Picaro vermochte aus einem Arbeiter den letzten Tropfen an Kraft herauszuholen, war es nicht mit schönen Worten, dann mit unbarmherziger Brutalität. Das wusste Don Severo aus Erfahrung; er hatte ja El Picaro gut angelernt und auch lange genug mit ihm zusammen gearbeitet, um zu sehen, wie erfolgreich sein Unterricht und seine Lehrmethoden gewesen waren.
Weil er ihn so gut kannte, darum hatte er ihm den reichsten Distrikt gegeben, den des Don Remigio, der die meisten Leute hatte.
Don Severo konnte nicht ganz so brutal vorgehen, wie er wohl gewünscht hätte, gerade weil er nun Besitzer und Präsident der Company war, die sich in Gründung befand. Als Kapitalist, Präsident der neuen Company und Hauptvertragsabschließender mit den amerikanischen und englischen Companien, die Caoba aufkauften, musste er sich einen reinen Namen erhalten, der nicht beschmutzt und bedreckt wurde durch Klagen über Grausamkeiten gegen indianische Arbeiter, die in den Dschungeln, in den Arbeitsgebieten seiner Company, verkamen, Elender als Tiere. Es war möglich, dass es auf irgendwelche Art und Weise an den Tag kam, dass vielleicht sogar in amerikanischen und in englischen Zeitungen darüber geschrieben wurde, durch welche unmenschlichen Mittel die Caoba gewonnen wurde. Das konnte geschehen weniger durch die Sensationslust von Reportern, die Kenntnis von diesen Verhältnissen gewannen, als viel eher und viel sicherer durch die Rivalität der verschiedenen Companien, die produzierten und die kauften. Jede Company war darauf aus, die anderen zu vernichten oder wenigstens zu schädigen. Eine Company in ihrem Rufe zu schädigen, sie vor der gesamten zivilisierten Welt der Grausamkeit gegen wehrlose indianische Arbeiter anzuklagen und das mit Beispielen zu belegen war wirksamer, als die Company durch Preisunterbietungen zu vernichten. Preisunterbietung war kostspielig und konnte sich leicht in eine Waffe verwandeln, die der angreifenden Company selber den Todesstoß versetzte.
Aus allen diesen Gründen mussten Don Severo und seine beiden Brüder, als Inhaber und Direktoren der Company, heute vorsichtiger arbeiten als zu der Zeit, in der sie Contratistas waren. Eine Company war nicht verantwortlich für das, was ihre Contratistas taten. Sie konnte, auch wenn sie volle Kenntnis davon hatte, sich stets darauf hinausreden, dass sie keinen Einfluss auf die Arbeitsmethoden ihrer Contratistas habe, weil die Contratistas selbständige und unabhängige Unternehmer seien, die auf eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung arbeiteten. Kam es dann zu einem öffentlichen Skandal, so hatte die Company nichts weiter zu tun, als die betreffenden Contratistas abzulösen und die Erklärung zu geben, dass die Contratistas nicht länger mehr irgendwelche Verbindung mit der Company hätten. Dadurch offenbarte die Company vor aller Welt, dass sie Grausamkeiten nicht dulde und dass sie alle Leute, die sich Brutalitäten hatten zuschulden kommen lassen, unter erheblichen finanziellen Opfern aus den Gebieten der Company entfernt habe. Durch diese Erklärung war der Name der Company gereinigt. Sie wurde von allen Menschenfreunden, eingeschlossen die sozialistischen Abgeordneten, für die Raschheit und Gründlichkeit, mit der sie die Übel beseitigt hatte, reichlich gelobt, und die Hunderttausende von Tonnen Caoba, die auf so grausame Weise gewonnen worden waren, konnten nun ruhig zum höchsten Marktpreis und sogar über dem Marktpreis verkauft werden. Eine glänzende Reklame war für die Company gemacht worden; und sie verkaufte ihre aufgestapelte Caoba leichter und rascher und zu günstigeren Bedingungen als alle anderen Companien, von denen die Öffentlichkeit nicht wusste, ob dort nicht alle die erwähnten Grausamkeiten ungestört weiter ausgeübt wurden.
Don Severo, dies alles wohl wissend und klug berechnend, hatte einen neuen Plan ausgearbeitet, den er nun anwandte.
So geschickt hatte vorher wohl nie eine Company gewirtschaftet, wie er es nun tun würde. In dem Distrikt, den er selbst leitete, achtete er darauf, dass es so menschlich zuging, wie das in einer Monteria nur immer möglich ist. Aber er hatte den kleinsten Distrikt übernommen, und in seinem Distrikt arbeiteten die wenigsten Leute, und noch dazu ausgesuchte Leute, die ihrer physischen Beschaffenheit wegen nicht viel zu leisten vermochten, gleich, ob man sie quälte oder nicht. Alle kräftigen Leute überschrieb er auf die anderen Distrikte. Sein Distrikt war lediglich die dekorierte Vorderwand des Gebäudes. Für alles das, was die Mayordomos taten, konnte ihn niemand verantwortlich machen. Er war nicht dort, und niemand erwartete von ihm, dass er allgegenwärtig sei. So weit hatte es noch kein Sterblicher gebracht. Kamen Skandale an die Öffentlichkeit, dann wurden die Mayordomos mit Schimpf und Schande entlassen, und wenn nötig, übergab er sie persönlich den Behörden. Dass ihnen nichts geschah, dafür sorgte er schon; und wenn sie vor den Behörden mehr reden sollten, als er von ihnen erwartete, so ließ er sie einfach im Stich, oder sie verübten, angeblich von Gewissensqualen gepeinigt, in ihrer Zelle Selbstmord. Peinigende Gewissensqualen hervorzurufen, die zu Selbstmord führten, war nicht so schwierig. Alles, was man zu tun hatte, war, hundert Pesos in die richtige Tasche gleiten zu lassen.
Es war wie in jeder Diktatur. Der Diktator ist immer unschuldig. Er ist stets mit einem Glorienschein umgeben.
Immer sind es die Mayordomos, die Capataces, die Gefängniswärter, die Polizisten, die Sergeanten, die Geheimagenten, die Bestialitäten und Ungerechtigkeiten verüben.
Don Severo erklärte natürlich auch Don Acacio, der die beiden kleineren Monterias bewirtschaftete, seinen Plan. Auch Don Acacio leitete persönlich nur einen unbedeutenden Distrikt mit wenigen Muchachos. Und er leitete ihn so, dass selbst der Erzengel Gabriel zu ihm sagen konnte: »Erdensohn, deine irdischen Taten sind ohne Sünd und Fehl. Fahre so fort, und das Himmelreich ist dir sicher. Amen!«
Â
Die Boyeros schliefen in einer rasch errichteten, dürftigen Palmhütte, einer so genannten Choza, nahe der Weide, wo die Ochsen waren.
Beinahe jede Woche musste eine neue Hütte errichtet werden, weil die Förderungsstellen sich von Woche zu Woche änderten. Weiden für die Ochsen waren nicht immer nahe. Lagen sie zu weit von den Plätzen, wo gefördert wurde, dann mussten die Macheteros das Futter von den Bäumen schlagen.
Das Laub nur weniger Bäume eignete sich für Ochsenfutter.
Die Ochsen begnügten sich nicht allein mit Grünfutter. Ihre Arbeit war zu schwer, als dass sie dabei bestehen konnten. Darum wurde in jedem Distrikt Mais angebaut. Er reifte in zehn bis zwölf Wochen, oft noch rascher. Und jeden Morgen erhielten die Ochsen eine gute Ration Mais, der von dem Hauptquartier eines jeden Distrikts ausgegeben und von den Boyeros oder von den Ochsenjungen herangeschafft wurde. Für diese Transporte hatten sie starke Mules zur Verfügung.
Die Distrikte waren so groß, dass die Arbeitsstelle oft zwei, drei oder gar fünf Stunden von der Oficina entfernt war; während diese Centrale wieder einen oder gar zwei Tagesritte weit vom Hauptquartier der Monteria lag.
Â
Es war Mitternacht, als El Gusano kam, um die Boyeros zur Arbeit zu wecken.
Er besaß eine Uhr, die er aber aus Furcht, sie zu verlieren, in der Oficina zurückließ; und darum konnte er nicht sagen, ob es ein Uhr nachts sei oder zwei Uhr. El Picaro, der Mayordomo dieses Distrikts, besaß gleichfalls eine Taschenuhr. Außerdem hatte er eine Weckuhr in der Oficina, wo er jetzt herrschte, als wäre er ein unabhängiger Contratista. Meist, wohl jeden zweiten Tag, vergaß er die eine oder die andere Uhr aufzuziehen. Oft standen beide Uhren. Und weil nun die Zeit nie genau angegeben werden konnte, so gewöhnten sich alle daran, sie am Tage nach der Sonne und in der Nacht nach den Sternen zu schätzen. Es muss nun freilich gesagt werden, dass gelegentlich El Picaro die Uhren wieder aufzog und nach seiner Schätzung die Zeiger stellte. Und es muss weiter gesagt werden, dass El Picaro, wenn er vielleicht nach vier oder sechs Monaten Arbeit im Dschungel eines Tages zur Administracion kam, festzustellen vermochte, dass seine Uhr selten mehr als zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten Unterschied zeigte gegenüber den Uhren, die er hier sah. Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Uhren in der Administracion mit der richtigen Zeit, etwa mit der der Eisenbahn oder der Post des Landes übereinstimmten; denn auch in den Centraloficinas geschah es, dass alle Leute gelegentlich vergaßen, ihre Uhr aufzuziehen. Der ewig heißen Feuchtigkeit wegen, die im Dschungel herrschte, litten alle Uhren erheblich, so dass sie rosteten oder sonst wie völlig unverlässlich wurden, auch wenn man sie regelmäßig aufziehen sollte. Aber ob die Uhren überhaupt richtig gingen oder gar nicht gingen, hatte ja keinerlei Bedeutung, weil hier die Zeit jegliche Bedeutung verlor. Um den Tag oder die Nacht in gewisse Abschnitte einzuteilen, was der Ritte wegen oft nötig war, um vor einbrechender Nacht an bestimmter Stelle sein zu können, dafür hatte ein jeder als bestes Zeitmaß Sonne und Sterne, die nur dann unzuverlässig wurden, wenn der Himmel für lange Zeit bewölkt blieb.
Die indianischen Muchachos jedoch besaßen selbst unter bewölktem Himmel einen Zeitinstinkt, der ihnen für die Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten, vollauf genügte.
Wenn El Gusano die schlafenden Boyeros anbrüllte, dass es nahe Sonnenaufgang sei, während es in Wahrheit nur gerade Mitternacht war, so tat er das mit derselben Absicht zu übertreiben, wie es jeder tut, der früher aufstehen muss, weil er andere, die zwei Minuten länger schlafen dürfen, zu wecken hat.
Sobald er sicher war, dass alle auf und bei ihrer Arbeit waren, rollte er sich wieder in seine Decke, um bis etwa drei Uhr, Instinktzeit gerechnet, weiterzuschlafen und dann die Hacheros zu wecken, die um vier Uhr zu ihren Arbeitsstellen abmarschierten. El Gusano gab seinem Wecken Nachdruck mit den Stiefelspitzen, die er den Schläfern heftig in die Rippen stieß, so heftig, dass sie mit einem überraschten Gestöhn auffuhren und sich aufsetzten, die gequälte Rippe emsig mit der Hand reibend.
Waren sie aber dann nicht innerhalb der nächsten drei Sekunden auf, trat El Gusano ihnen mit dem ganzen Fuß auf den Bauch oder Oberschenkel oder was er gerade treffen mochte. Gottverflucht noch mal und hingeschitt, indianische Dschungelarbeiter sind doch keine verweichlichten und degenerierten Soldaten, die sich erst fünf Minuten lang an den melodischen Signalen einer Trompete, die ihnen jemand zu ihrem Vergnügen vorbläst, ergötzen dürfen, ehe sie aufzustehen haben. »Dreckiges Schwein, ich trete dich breit in dein stinkiges Gesicht, wenn du nicht im Augenblick 'raus bist!«
Es war Santiago, den El Gusano anschrie. Santiago war auf. Er war jetzt damit beschäftigt, seine Decke und sein Moskitonetz zusammenzufalten und in die Palmenmatte zu rollen.
»Pero, jefe, ich werde doch wohl meine paar armseligen Lumpen erst einrollen dürfen, damit sie mir nicht voll Spinnen, Ameisen und Zecken werden; und vielleicht auch noch nass, wenn es regnen sollte.«
»Wer redet hier noch? Du elende Kröte von einem verlausten Chamula, du willst noch das Maul aufsperren, wenn ich kommandiere!« blökte El Gusano erbost, und mit der Peitsche, die er schon beim Wecken der Muchachos vom Leibgurt gehakt hatte, hieb er Santiago einen heftigen Schnitzer quer über das Gesicht. Sehen konnte er nicht genau, wo Santiago war, denn es war schwarze Nacht ringsherum. Einer der Ochsenknechte jedoch hatte bereits eine Laterne angezündet, und zwar außerhalb der Palmhütte. Das gab einen schwachen Schein von Licht in den Winkel hinein, wo Santiago im Dunkeln seine Sachen ordnete. Und dieser winzige Schein genügte für El Gusano, um in das Gesicht des Santiago zielen zu können. »Ihr Schweine, ich will euch beibringen, wie gearbeitet wird!« Dabei sauste die kurze Peitsche einem anderen Burschen über den Nacken, der sich gerade gebückt hatte, um auch seine Laterne aufzunehmen, den dicken Docht herauszuzupfen und ihn anzuzünden. »Ihr sollt noch wissen, wer ich bin, ihr stinkfaulen Mulas.«
Â
Kaum hatte er das gesagt, und im selben Augenblick, als er wieder die Peitsche nach hinten zurückwarf, um einen kräftigen Hieb austeilen zu können, erscholl aus dem tiefschwarzen Dickicht heraus, etwa zwanzig Meter nur entfernt, der Gesang eines Mannes.
Der Gesang war nicht sehr melodisch. Offenbar waren die Töne von dem Sänger selbst zusammengestellt oder nach der Art der Liturgien, die der Mann wahrscheinlich gehört hatte, den Worten seines Gesanges angepasst worden. Wenn auch das Lied nicht melodisch war, so war es doch rhythmisch und hatte Schwung. Die Stimme des Sängers war kernig und fest, jedes einzelne Wort seines Gesanges war klar zu verstehen und klang trompetenartig hell durch die schwarze Nacht:
»Gusano, Gusano, tu hijo, ay, de un cabron; e hijo duna puta perra; tu alma es de chapapote; tu corazon un huese del infierno; el diablo ya te espera y pronto é1 sera feliz; que se muera el gusano, que se mueran los gusanos, los malditos y que vivan los Inditos! Gusano, Gusano, du Sohn von einem Hurenknecht und Sohn von einer Hündin, deine Seele ist Petroleumpech, dein Herz ein Knochen aus der Hölle; der Teufel schon erwartet dich, und bald an dir vergnügt er sich; es sterbe der Gusano, der verfluchte, und lang sollen leben die Indianer!«
El Gusano stand wie erstarrt, als er die Worte vernahm. Aber als die beiden letzten Zeilen erklangen, hatte er sich wieder zurechtgefunden. Mit einer raschen, ruckartigen Bewegung zog er seinen Revolver und feuerte dreimal in die Richtung hinein, von wo der Gesang gekommen war. jedoch in den Widerhall des letzten Schusses erscholl aus dem Dickicht heraus ein gellendes Gelächter. Es war nicht das Gelächter eines Verzagten, es war das gesunde, wenn auch grelle Lachen eines Mannes, der wusste, was er wollte und warum er etwas wollte. El Gusano riss einem der ihm nahe stehenden Boyeres eine Laterne aus der Hand und sprang auf die Stelle zu, wo er den Sänger glaubte.
Aber dort war das Gestrüpp so dicht, dass er nicht weiterkonnte. Er rief nach einem Machete. Als einer der Muchachos endlich einen Machete brachte, mit dem er sich einen Weg zu bahnen gedachte, fühlte er, dass er sich nur lächerlich machen würde, wollte er versuchen, den Sänger zu finden.
Seine nächste Absicht war, noch weitere Schüsse in das Dickicht zu feuern, in der Hoffnung, den Mann zu treffen und ihn zu fangen. Aber diese Absicht gab er rasch wieder auf. Es wäre unsinnig gewesen, noch mehr Munition zu verschwenden, solange er nicht sicher wusste, wo der Sänger in diesem Augenblick war. Munition war im Dschungel zu wertvoll, um sie zu vergeuden. Er drehte sich, um zur Hütte zurückzugehen. Da kam ihm eine andere Idee. Mit dem Revolver in der Hand sprang er in zwei langen Sätzen dicht zwischen die Muchachos, die bei der Hütte versammelt standen. Mit raschen Gesten leuchtete er herum und überzählte die Burschen. Sie waren vollzählig. Es konnte also keiner der Burschen gewesen sein, die mit den Ochsen arbeiteten. Für einen Augenblick sah er misstrauisch Santiago an. Dennoch wusste er genau, dass Santiago auf keinen Fall der Sänger sein konnte. Er war noch in der Ecke der Hütte mit dem Zusammenrollen seiner Petate beschäftigt gewesen, als der Gesang begann. Den Gesang langsam überdenkend, kam El Gusano zu der Überzeugung, dass es unmöglich einer der Boyeros gewesen sein konnte; denn keiner von ihnen hatte einen Tonfall in der Stimme, der dem des Sängers ähnlich war.
»Los, an die Arbeit!« befahl er. Er sagte das jedoch mit einer bei weitem ruhigeren Stimme, als er sie vor dem Gesang gebraucht hatte.
Â
Die Muchachos rückten zu ihrer Arbeit ab, und El Gusano kehrte sich um mit der Absicht, zum Camp zurückzugehen, wo er seine Behausung hatte im selben wackeligen Gebäude, in dem auch El Picaro wohnte. Es war El Gusanos Aufgabe, am Morgen alle Muchachos zu wecken und darauf zu sehen, dass auch alle zu befohlener Zeit sich bei ihrer Arbeit befanden. El Picaro schlief stets etwas länger und kam erst heraus, wenn der ganze Semaneo, in dem er herrschte, in voller Tätigkeit war. Er tat das weniger aus Faulheit als vielmehr mit der wohldurchdachten Absicht, deutlich klarzumachen, dass er hier der unbeschränkte Herrscher und Diktator sei, der sich nicht nach Arbeitsstunden zu richten habe, sondern komme und gehe, wie es ihm gefalle.
El Gusano war etwa zehn Schritte gegangen, als er stehen blieb, zwei Sekunden verharrte, dann wieder zurück zur Hütte kam und rief: »Valentin, komm hierher und bring deinen Machete mit!«
Valentin war Zacatero bei der Kolonne der Boyeros, der Bursche, der für die Fütterung und Pflege der Ochsen verantwortlich ist und der, wenn die Weide zu dünn ist oder überhaupt keine Weide sich in der Nähe befindet, den Macheteros hilft, Laub der Bäume und Sträucher als Futter heranzuschaffen.
»Komm, mit zum Camp!« sagte El Gusano zu Valentin. El Gusano hatte plötzlich Furcht bekommen, allein durch den finsteren Dschungel zurück zum Camp zu gehen. Es überkam ihn das unbehagliche Gefühl, dass der Sänger noch irgendwo im Dickicht versteckt sein könne und darauf warte, ihn, wie er es ja deutlich genug in seinem Gesang gesagt hatte, zum Teufel zu schicken, um der Hölle eine Freude zu machen.
Die Muchachos waren alle stehen geblieben, als El Gusano Valentin anrief. Sie wussten ja nicht, ob nicht El Gusano für sie einen anderen Auftrag habe, den er ihnen durch Valentin mitteilen wollte.
El Gusano konnte es an den Laternen der Burschen sehen, dass sie warteten, und er sah, wenn auch undeutlich, bei dem Schein ihrer Laternen von seinem Platze aus, dass die Burschen miteinander tuschelten. Er mochte sich gewiss denken, und das wohl ziemlich richtig, was die Muchachos zueinander sagten, auch wenn er es nicht hörte. So raffte er sich zusammen, und anstatt dem Zacatero zu sagen, dass er ihn begleiten solle, sagte er ihm nur: »Du kommst heute früh am Nachmittag zum Camp, um mehr Mais für die Ochsen zu empfangen. Sie müssen mehr Mais haben, sie magern uns zu sehr ab.«
»Si, jefe, vengo, ich komme früh am Nachmittag. Ich glaube, Sie haben recht, die Bueys sind sehr mager und schlecht gefüttert, die Weide ist nichts wert, die wir jetzt haben«, antwortete Valentin.
Mit lauter, sich überschlagender Stimme rief nun El Gusano zu den Muchachos, die immer noch mit den Laternen dastanden und warteten: »Verfluchtes, faules, stinkendes Gesindel, was steht ihr denn da und glotzt wie geschlachtete Hammel! Ich werde euch gleich mal tanzen lehren, wenn ihr nicht sofort losmacht. Die Sonne kommt schon 'raus. Dreckiges Pack, das ihr seid!« El Gusano lockerte seinen Revolver. »Renne los, und hurtig!« sagte er zu Valentin. »Gehe den Muchachos an die Hand beim Aufjochen.«
»Das tue ich ja immer, Jefe«, verteidigte sich der Bursche.
»Gut, los zu den andern!« El Gusano drehte sich um, nahm seine Laterne hoch, um den Weg vor sich zu beleuchten, und wanderte zum Camp.
»Was hat er denn von dir gewollt?« fragte Pedro, einer der Boyeros, den herankommenden Valentin.
»Wegen mehr Mais für die Ochsen. Ich soll nachmittags zum Campo kommen, um mehr Mais heranzuschaffen.«
»Kirchengeblabbel«, sagte darauf Andres, der Hauptboyero, »weiter nichts als schaler Kohl, das mit dem Mais. Schitt im Hosenboden hat er, das ist es, was er jetzt hat, und weil er uns hier stehen sah, hatte er noch mehr Schitt, dass wir ihn auslachen, könnten, wenn er dich mitschleppt, damit du ihm den Weg leuchtest.«
»Verdammt noch mal, Muchachos, der Cancion, der Gesang meine ich, ist ihm doch in die Magenschwarten gefahren. Er hat jetzt die Hinterbacken alle nass und voll Lehm, das Schwein, das gottverfluchte.« Pedro krächzte tief aus der Kehle herauf und spuckte in weitem Bogen aus. Während die Burschen durch den finsteren Dschungel weiterstolperten, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, sagte Fidel, ein anderer Boyero: »Wie war denn der Cancion überhaupt? Ich habe nicht alles behalten können. Aber es war richtig, was der Cancionero sang. Jedes Wort richtig, wie aufgeschrieben. Wenn ich doch nur wüsste, wie das
ging.«
»Lass mal sehen, wie das ging?« wiederholte Andres. »Das war so ungefähr: Los gusanos, los gusanos, ay, die kriechen ja im Dreck; fressen Schitt und saufen Jauche und bohren sich durch stink'gen Speck; sie fressen selbst die Leichen noch und kriechen Mulas in das Hinterloch!«
»Nein, so war das nicht ganz«, sagte Pedro.
»Wenn du das besser weißt«, erwiderte Andres lachend, »dann 'raus damit.«
»Du, Andres«, mischte sich Matias ein, »wie du das sagst, so ist es auch sehr schön, beinahe noch besser, als wie es der Cancionero sang. Wo hast du das überhaupt her? Das hört sich an wie ein richtiges Kirchenlied.«
»Der? Der Andres?« sagte darauf Fidel. »Über den braucht ihr euch doch nicht zu wundem. Der kann lesen und schreiben, viel besser als der Cura, der fette Pfaffe. Das hat er sich aus seinem Buch herausgelesen.«
»Vielleicht. Vielleicht habe ich mir das auch selbst so ausgedacht«, meinte Andres beiläufig.
»Niemand auf Erden kann sich selbst etwas ausdenken, das kann man nur in einem Buche lesen oder in einer Zeitung, wenn ihr Esel überhaupt lesen gelernt habt.«
Fidel hatte nicht auf den Weg geachtet und war in ein Loch gefallen.
Â
Die Burschen waren auf dem Weideplatz angekommen, wo die Bueys rasteten.
Einige der Ochsen standen schwerfällig von selbst auf, als sie die Muchachos mit den Laternen in der Nähe sahen. Sie wussten, dass es nun an die Arbeit ging, und sie waren erfahren genug, auch ferner zu wissen, dass, wenn sie zu langsam waren im Aufstehen, sie in den Hintern getreten wurden, genauso wie auch die Muchachos in den Hintern getreten wurden, wenn sie nicht rasch genug aufsprangen, sobald El Gusano sie weckte.
Santiago, seine Laterne hochhaltend, blickte umher und überzählte die Ochsen. Dann rief er aus:
»Que chingan todos sus madres, da fehlen uns sechs. Los, alle! Suchen helfen! Die stecken im Dickicht und suchen Futter von den Büschen.“
Andres blieb auf der Weide, und mit Hilfe Valentins begann er die Ochsen abzutreiben in die Nähe der Schlafhütte, wo der Mais aufgespeichert lag, den die Ochsen erhielten, ehe sie an die Arbeit gingen.
Als dieser erste Trupp bei der Hütte ankam, standen hier bereits drei der fehlenden Ochsen, die freiwillig hergekommen waren, weil sie wussten, dass es hier jetzt Mais gab.
Valentin lief zurück zur Weide und rief die suchenden Burschen aus dem Dickicht. Sie hatten die übrigen drei gefunden, ohne zu wissen, dass die andern drei bei der Hütte waren.
Während die Ochsen ihren Mais kauten, hockten die Muchachos um ein Feuer, wo sie Kaffee kochten und ihre Frijoles und Tortillas wärmten. Die schwarzen Bohnen wurden mit wildem, grünem Pfeffer, so genanntem Chile, belebt, und den Tortillas, deren Geschmack sehr strohig war, gaben die
Burschen einen besseren Geschmack dadurch, dass sie gewisse Blätter und Kräuter des Dschungels auf den Tortillas zerrieben. Manche dieser Kräuterchen erinnerten in ihrem Geschmack an Pfefferminz, andere an Sellerie, wieder andere an scharfen Lauch, andere an bittere Petersilie. Der Kaffee stand am Feuer in Blechkännchen, die aussahen wie kleine, dünne, aufrecht stehende Tönnchen. Jeder Muchacho hatte sein eigenes Kännchen, seinen eigenen Kaffee und ein Stück braunen Rohzucker.
Matias sagte: »Wir müssen doch wohl wieder einmal auf die Jagd gehen, ein paar fette Schlangen zu fangen, um Fleisch zu den Frijoles zu haben!«
»Oder besser noch einen Pescuintle aus einem Stamm herausholen«, riet Pedro. »Darauf hätte ich jetzt gerade Appetit, auf einen fetten Pescuintle.«
»Warum denn nicht gleich auf Schweinsbraten?« sagte Santiago.
»Ja, warum nicht auch Schweinsbraten!« gab Matias zu. »Die ganze Jungla hier ist dick und voll mit Schweinen. Brauchst nur die Hand auszustrecken.«
»Hast du vielleicht ein Gewehr? Wie kriegst du denn ein wildes Schwein ohne Gewehr? Das sag mir mal!« wollte Santiago wissen.
»Mit einem Machete habe ich einmal zwei Puercos Silvestres gleich auf einen Ruck erwischt«, prahlte Matias nach guter Jägerart.
Aber es glaubte ihm hier niemand, denn sie waren nicht aus Abenteuerlust, sondern aus Not und Hunger vortreffliche Jäger, die mit einem Stein und einer Schlinge, mit Pfeil und Bogen oder einer primitiven Lanze wilde Truthühner, Dschungeltauben, Iguanas und Schlangen zu jagen verstanden.
»Du? Mit einem Machete zwei wilde Puercos? Ha, da lacht doch aber eine Laus darüber.« Dabei blickte Santiago Matias so grimmig an, als ob die Prahlerei des Matias eine persönliche Beleidigung ihm gegenüber gewesen wäre. »Du mit einem Machete zwei Puercos? Nicht einmal eins. Nicht einmal ein eben ausgekrochenes. Nicht einmal ein lahmes Bein von einem wilden Puerco kannst du mit einem Machete fangen. Ich kenne dich doch genug, wie du überhaupt mit dem Machete umgehst. Und ich weiß doch auch gut, was für eine Sorte von Jäger du bist. Mit einem Machete gleich auf einmal zwei wilde Puercos? Vielleicht daheim in deinem Dorf zwei zahme und lahme, die eingezäunt waren, nicht fortlaufen konnten und so alt und krank, dass sie vor Schreck von selbst umfielen, wenn ein kleiner Junge von fünf Jahren an den Stecken des Zaunes rattelte.«
»Dann willst du hier vielleicht sagen, dass ich ein hundsgemeiner und verfluchter Schwindler bin und ein Cabron und ein stinkiger Hurensohn? Willst du das vielleicht damit sagen? Dann stehe nur auf und lass mal sehen, wie ich mit dir umspringe. Drei solche wie du und noch zwei als Dreingabe, und hinterher lege ich mich noch mit zwei kernigen Muchachas auf den Petate und mache allen beiden ein Kind«, sagte Matias, seine Bohnen in eine heiße Tortilla wickelnd und ein Stück davon abbeißend mit einer so heftigen Gebärde, als beiße er einem seiner niedergeschmetterten Feinde den Kopf ab.
»Jedem der beiden kernigen Mädchen nur ein Kind?« Andres mischte sich ein, um Matias, dessen Prahlereien bekannt waren, aufziehen zu helfen. »Jeder Muchacha, mit der du dich auf den Petate legst, nur ein Kind? Was für ein trauriger Bursche bist du denn? Warum machst du jeder denn nicht gleich Drillinge, wenn du schon einmal dabei bist?«
»Denkst du vielleicht, das kann ich nicht? Ich kann dir Beweise bringen, dass ihr alle die Augen weit aufreißt und sie euch weit aufgerissen stecken bleiben. Das kann ich. Wisst ihr überhaupt, wie viele ich haben könnte, wenn ich nur gewollt hätte?«
»Ja, das wissen wir, zweihundertdreißig, wenn sie alle geraten wären und du nicht zu dumm wärest, dich überhaupt mit einer kernigen Muchacha auf einen Petate hinzubocken, so dass sie ein richtiges Vergnügen hat«, sagte Cirilo, während alle nun lachten und so lange lachten, bis auch Matias zu lachen begann und dann die Frühstücksunterredung damit abschloss, dass er sagte: »Ihr kennt mich nicht, meine Brüderlein, das ist der Grund. Das ist der alleinige Grund. Und ich werde euch noch hier und anderswo beweisen, dass ich recht gut weiß, was ich kann und was ich nicht kann.«
»Was du nicht kannst, wissen wir alle, zeige uns doch endlich einmal, was du kannst«, sagte Pedro, schüttete den Kaffeesatz aus seinem leergetrunkenen Kännchen und stand auf.
»He, Valentin!« rief Andres. »Haben die Ochsen ihr Futter
weg?«
»Sie kauen noch immer.«
»Wenn wir warten wollen, bis sie nicht mehr kauen, dann sitzen wir noch bis zum nächsten Candelaria. Los, hopp, hopp! Wenn uns El Gusano erwischt, dass wir immer noch hier herumsitzen, dann zieht er uns eine seiner Fiestas auf, und wir können uns dann die Maden aus unsern aufgehämmerten Rücken klauben.«
Darauf wurden die Muchachos nun sehr eifrig. In weniger als zwei Minuten hatten sie ihre Kochgeschirre und die Überreste ihres Essens in der Hütte am Querbalken aufgehängt, sich Zigaretten gedreht, sie angezündet, das Feuer ausgetreten, und dann marschierten auch schon, von den Burschen angetrieben, die Ochsen los, um zur Arbeit zu kommen.
Es mochte jetzt einundeinhalb Uhr morgens sein. Die Luft begann neblig zu werden und hängte sich in Fetzen um die niedrigen Gebüsche des Dschungels.
Â
Andres rief sich Vicente heran.
Vicente war ein kleiner, magerer Indianerbursche, kaum zehn Jahre alt. Seine Mutter hatte dreißig Pesos Schulden machen müssen, als sein Vater von einem störrischen Mule geschlagen worden war und daran starb. Sie wollte ihren Mann, von dem sie acht Kinder hatte, nicht wie einen Hund begraben lassen. Sie kaufte einen schlichten Sarg und lud den Cura ein, damit er dem Vater ihrer Kinder auf christliche Weise unter die Erde helfen solle. Der Pfarrer konnte das nicht umsonst tun, denn da ihm Gott wohl Intelligenz gegeben hatte, jedoch auch einen gesunden Magen, der täglich gefüllt werden musste, um die Intelligenz nicht einrosten zu lassen, und der Körper bekleidet werden musste, um nicht Ärgernis zu erregen, so blieb dem Cura nichts anderes übrig, als sich den Segen Gottes, den er austeilte, in klingender Münze bezahlen zu lassen. Das an sich ist keine Sünde, und es ist ein ebenso anständiges Geschäft wie Wagendeichseln hacken oder Hufeisen schmieden. Die Sünde rutscht erst dadurch in dieses heilige Unternehmen, dass die Curas den Leuten einreden, die Leichname müssten unbedingt auf christliche Art unter die Erde gebuddelt werden; und christliche Art heißt natürlich mit Hilfe eines Curas, mit Glockenbimmeln und Wasserumherspritzen, und wenn die Leichname ohne besondere Einsegnung, die nur ein gesalbter Cura vollziehen kann, eingegraben werden, so geht es den armen Seelen schlecht, dann werden sie geschmort und können nur wehklagen und zähneklappern, anstatt fromme Lieder singen und Harfe spielen.
So werden die Leute, ob arm oder reich, davon überzeugt, dass der Segen Gottes vonnöten ist und sie sich bemühen müssen, diesen. Segen für sich oder für die Seelen der Abgeschiedenen zu erwerben oder, sei es gleich deutlich gesagt, zu kaufen.
Der Cura besaß eine Preisliste für die verschiedenen Arten und Grade der Segen, die er in seinem Laden verkaufte. Ein stilles Gebet in der Kirche, das er so still verrichtete, dass niemand es hörte, kostete einen Peso fünfundzwanzig. Wenn er es laut betete, so dass man sein Gemurmel hörte, ohne verstehen zu können, was er sagte, dann kostete das zwei Pesos fünfzig. Wenn dabei eine bestimmte Anzahl Kerzen brennen sollten, um das Gebet feierlicher zu gestalten, dann kostete es fünf Pesos. Mit Gesang der Chorknaben neun Pesos. Mit Glockenläuten zwölf Pesos fünfzig. Der Preis ging hinauf bis zweihundertfünfzig Pesos, wofür alles geliefert wurde, was auf Lager war, besondere Messe, volle Illumination der Kirche, Musik und Gesang am Grabe und noch so allerlei kleine Bimmelchen und Bämmelchen, Sprüchlein und Liedlein, Räucherungen und Spritzerchen, lateinische Litaneien und Kniebeugen. Dieser Luxus war freilich nur für die reichen Finqueros, die großen Domänenbesitzer, die Generale, die reichgewordenen Diputados und Jefes Politicos, die Contratistas und die Werbeagenten der Monterias. Die Mutter des Vicente, die Frau eines armen indianischen Peons, konnte, obgleich sie ihrem verstorbenen Mann alle nur denkbaren Ehren zu erweisen gedachte, nicht mehr für ihn tun, als dreißig Pesos auszugeben, alles eingeschlossen, Sarg, Begräbnis, Totengräber, Segen Gottes, Aguardiente für die leidtragenden Männer, Kaffee und Anis und einige sehr billige Küchelchen für die Frauen.
Freilich, diese dreißig Pesos besaß die Frau nicht. Alles, was sie im Hause hatte, waren vierunddreißig Centavos.
So ging sie zum Finquero, dem Herrn der Domäne, auf der ihr Mann gearbeitet und während seiner Arbeit und infolge seiner Arbeit zu Tode gekommen war.
Nach vielen Tränen und Bitten wurde der Finquero vom
Schicksal der Frau, die mit acht Kindern nun dasaß, so gerührt, dass er sich bereit fühlte, der Frau die dreißig Pesos zu borgen.
»Das weißt du doch aber, Chabela«, sagte der Finquero geschäftsmäßig, »dass ich nichts verschenken kann. Am wenigsten dreißig Pesos.«
»Das weiß ich wohl, Patroncito. Niemand kann etwas verschenken auf Erden.«
»Richtig, Chabela, und gut, dass du das einsiehst. Elpidio, dein Mann, Gott segne seine arme Seele, hat zweiundneunzig Pesos und fünfundsechzig Centavos Schulden bei mir zurückgelassen für Waren aus der Tienda, die er nicht bezahlt hat und die ich ihm auf sein Konto schreiben musste.«
»Das weiß ich, Patroncito.«
»Wie viel Kinder hast du, Chabela?«
»Acht, Patroncito. Fünf Varones und drei Hembras.«
»Das ist sehr gut für dich, dass du fünf Jungens hast, die Mädchen sind nicht viel wert.«
»Gewiss nicht, Patroncito. Und ich habe die Santisima so oft gebeten und ihr Kerzen angezündet, damit sie mir nur Machos geben sollte und keine Hembras. Aber die Madre Santisima, wohl weil sie selbst eine Muchacha, wenn auch eine heilige, ist, hat mir nun drei Muchachas gegeben.«
»Ja, dafür können wir nichts, Chabela. Das ist der Beschluss des Nuestro Senor, unseres Herrn im Himmel, und dessen Beschlüssen haben wir uns zu fügen.«
»Si, patroncito.«
»Wie alt ist denn der älteste Muchacho?«
»Der Vicente? Der ist jetzt - der wurde geboren im selben Jahr, als während des Candelariafestes die Cantina des Don Eulalio abbrannte.«
»Dann ist der Vicente jetzt zehn Jahre alt. Gut, ich will dir die dreißig Pesos borgen, Chabela, aber der Vicente hat es mir zu bezahlen. Ich werde mit Don Gabriel sprechen, wenn er hier vorbeikommt, damit er ihn für die Monterias anwirbt, und Don, Gabriel zahlt mir das Geld zurück.«
»Aber der Vicente wird die Monteria nicht aushalten, Patroncito. Er ist noch sehr jung und schwach.«
»Willst du die dreißig Pesos für das Begräbnis nun haben?«
»Freilich, Patroncito. Ich kann doch meinen guten Elpidio nicht wie einen toten Hund begraben.«
»Dann geht der Vicente also nach den Monterias.«
»Si, patroncito, dann geht Vicente also nach den Monterias.«
»Die drei ältesten Muchachos, die du hast, Chabela, kommen 'rüber ins Haus, auch das älteste Mädchen, um zu arbeiten. Die zweiundneunzig Pesos, die Elpidio bei mir Schulden hat, müssen heruntergearbeitet werden. Das weißt du doch?«
»Si, patroncito.« Die Frau seufzte. Sie seufzte jetzt zum ersten Mal während der langen Unterredung.
»Du bleibst natürlich auf der Finca, mit allen deinen Kindern, und arbeitest gleichfalls, wie früher auch. Deine Kinder wachsen ja inzwischen heran und werden tüchtige Peones. Wenn du etwas aus der Tienda brauchst, dann komme nach dem Begräbnis. Ich schreibe dir ein Konto, Chabela.«
»Muchas gracias, patroncito.«
»Und gut, ich bezahle für dich die dreißig Pesos, die du jetzt haben musst. Schicke den Vicente zur Tienda, um alles abzuholen, was du für den Entierro, das Begräbnis meine ich, benötigst.«
»Muchas, muc hisimas, mil gracias, patroncito«, sagte die Frau. Sie hatte während der Unterredung vor dem Finquero gestanden, der sich im Portico des Hauses in einer Hängematte schwang. Sie kam nun nahe an ihn heran, verbeugte sich tief, ergriff seine Hand und küsste sie ehrfürchtig.
Der Finquero berührte mit seiner Hand das ungekämmte, zottelige Haar der Frau und sagte: »Que vaya con Dios, hija; gehe mit Gott, Tochter!«
Â
Vicente hatte von dem Enganchador Don Gabriel fünfundzwanzig Pesos Vorschuss genommen, als er sich, der Anordnung des Finqueros Folge leistend, für die dreißig Pesos Begräbniskosten seines Vaters für die Monteria hatte anwerben lassen. Von den fünfundzwanzig Pesos gab der Junge zwanzig seiner Mutter, damit sie Hemden und Hosen für die jüngeren Geschwister kaufen sollte, um nicht unnötig hohe Schulden beim Finquero zu machen.
Fünf Pesos musste er für sich behalten, weil er eine Cobija, eine Decke, brauchte, einen Petate, ein blechernes Kaffeekännchen und zwei Töpfchen, um sich Bohnen und vielleicht ein Stückchen Fleisch kochen zu können, wenn er auf dem langen, schwierigen Wege durch den Dschungel war, um mit den übrigen angeworbenen Caobaleuten zu den Monterias gebracht zu werden. Die Decke war so gut wie nichts wert; denn sich eine gute zu kaufen, dazu reichte das Geld nicht aus.
Das waren fünfundzwanzig Pesos, die er nun auf seinem Konto hatte. Dazu kamen die fünfundzwanzig Pesos Stempelkosten des Präsidenten der Municipalidad in Hucutsin für die gesetzliche Bestätigung des Arbeitskontraktes.
Don Gabriel, der Agent, zahlte an den Finquero die dreißig Pesos zurück, als ihm der Junge für den Kontrakt übergeben wurde. Don Gabriel, dem sicher niemand ein zartfühlendes Herz nachreden konnte, fühlte in diesem Falle, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, ein wenig Mitleid dem schwächlichen Jungen gegenüber. Er berechnete ihm darum nur fünfundzwanzig Pesos Anwerbekommission. Außerdem gab er sich Mühe, den Jungen in eine Monteria zu verkaufen, von der er wusste, dass es in ihr weniger hart zuging als in der Mehrzahl aller übrigen. Das war die Monteria La Armonia, wo Don Leobardo Chavero Administrador war, der, wohl mehr aus
Bequemlichkeit und Gemütsruhe als aus einem guten Herzen heraus, die Arbeiter weniger hart behandelte und der sie, wenn sie mit Beschwerden über grausame Behandlung kamen, die sie angeblich von den Contratistas oder deren Capataces erlitten, vertröstete, dass er nach dem Rechten sehen würde. Er vergaß das freilich nach einer halben Stunde völlig, aber die Arbeiter hatten wenigstens das schöne Bewusstsein ausgekostet, dass da jemand auf Erden sei, der sich ihre Beschwerden anhörte und ihnen ein Dutzend Versprechen machte, die gut klangen, wenn sie ausgesprochen wurden. Auch das ist ja etwas wert.
In beinahe allen Fällen genügt es vollständig, wenn Arbeitern eine Menge Versprechen gemacht werden, von ihren Arbeitgebern oder ihren Regenten oder ihren eigenen Führern. Dass solche Versprechen gehalten werden, erwartet niemand. Nur bei einer Revolution erinnern sich die Arbeiter daran, während diejenigen, die Versprechen machten, dann behaupten, die Versprechen seien nicht so gemeint gewesen, wie sie von den Arbeitern ausgelegt wurden, sondern wie sie dem Allgemeinwohl günstig waren. Und das Allgemeinwohl ist immer gegen die Arbeiter, weil man, wenn es für die Arbeiter wäre, nicht von Allgemeinwohl oder von Volkswohl zu sprechen brauchte, sondern lediglich nur von ganz gewöhnlicher, undekorierter Gerechtigkeit.
Â
In der Monteria angekommen, hatte Vicente in der Tienda allerlei Dinge kaufen müssen, die unentbehrlich waren; ein Moskitonetz, eine bessere Decke, ein paar Sandalen, eine Hose. Damit war nun sein Konto, das mit den dreißig Pesos für das Begräbnis seines Vaters begann, auf hundertvierzig Pesos angewachsen, ohne dass er bis jetzt auch nur einen Centavo verdient hatte. Oder mit anderen Worten gesagt: Die ursprünglichen dreißig Pesos Schulden hatten sich um beinahe das Fünffache vermehrt. Der Junge erhielt zwei Reales, fünfundzwanzig Centavos Lohn täglich für eine Arbeitszeit, die selten unter sechzehn Stunden war. Lediglich um die hundertvierzig Pesos abzuverdienen, hatte er fünfhundertsechzig Tage hart zu arbeiten. Da aber von diesen zwei Reales auch noch für sein Essen ein kleiner Betrag abging, den er dem Koch der Arbeiter zu geben hatte, da ferner im Laufe der Monate weitere Einkäufe an Hosen, Sandalen, Hemden und anderen Sachen unvermeidlich waren, so war es ziemlich richtig, wenn man behauptete: Vicente muss zehntausend Jahre in der Monteria arbeiten, ehe er die ursprünglichen dreißig Pesos Begräbniskosten für seinen Vater abverdient haben wird. Es mochten vielleicht nur achttausend Jahre nötig sein, aber ein- Âoder zweitausend Jahre mehr oder weniger spielten keine Rolle.
Gerechtigkeit herrschte in den Monterias. Das muss hier gesagt werden, um keine Irrtümer aufkommen zu lassen.
Es gab keine Ausnahmen unter den Arbeitern. Ein jeder war in genau der gleichen Weise an die Monterias gebunden wie Vicente. Die Schwerarbeiter, die Schläger und Boyeros, verdienten zwar besser, vier und fünf Reales im Tag; aber dafür hatten sie auch höhere Vorschüsse und Schulden und außerdem höhere Abzüge für Fehllieferungen und höhere Zahlungen an die Küche.
Es ging aber so gerecht zu, dass ein jeder zwischen sechstausend und zehntausend Jahren benötigte, um durch seine Arbeit von seinen Schulden erlöst zu werden.
Â
Vielleicht durch den ergreifenden Blick seiner traurigen Augen erweckte Vicente auch bei Don Leobardo Sympathie. Er sah dem Jungen an, dass er im Dschungel kaum lange aushalten würde.
Darum gab er ihm einen leichteren Posten als Mozo, als Bursche, der die Bungalows der Angestellten zu säubern und aufgeräumt zu halten hatte. In dieser Weise war das Leben für Vicente ganz erträglich.
Er bekam hin und wieder ein paar Backpfeifen von Don Leobardo oder einem der Angestellten, wenn sie besoffen oder verärgert waren. Aber das wurde wieder gutgemacht dadurch, dass dieselben Angestellten oder die Mädchen, mit denen sie hausten, dem Jungen allerlei zusteckten, was er sicher nicht hätte haben können, wenn er im Gerätelager oder mit den Handwerkern gearbeitet hätte. Er durfte den Rest aufgebrochener Sardinenbüchsen ausleeren oder aus den Büchsen eingemachter Früchte den Saft ausschlecken, er bekam hier ein Stück Ananastorte, die auf dem Tisch blieb, dort ein Stück Schokolade, das nur angebissen war, halb aufgerauchte Zigaretten, einen Schluck Wein oder Comiteco und gelegentlich sogar ein Hemd, das vielleicht zu groß war, aber brauchbar für ihn, nachdem er es mit einigen Fäden Zwirn an den zu weiten Stellen eingenäht hatte. Würde er nicht eine so große Sehnsucht nach seiner Mutter und seinen Geschwistern gehabt haben, dann hätte er sich hier möglicherweise glücklich gefühlt; denn so leicht und angenehm würde er es niemals auf der Finca getroffen haben, wo die Arbeit auf den Feldern durchaus nicht leicht war und es mehr Prügel gab und kräftigere als hier. Da es sich die Finqueros nicht leisten konnten, Arbeitskräfte dadurch zu verlieren, dass sie ungehorsame oder faule Peones in den Calabozo, in das Gefängnis der Finca, steckten, so wurden sie einfach von dem Mayordomo für irgendwelche Sünden, die sie an den Interessen der Finqueros verübt hatten, heftig verprügelt, und stets am Abend, so dass sie am nächsten Morgen wieder rechtzeitig zur Arbeit erscheinen konnten.
Alles das in Erwägung ziehend, konnte Vicente mit Recht sagen, dass er es in der Monteria gut habe.
Dass er aber bis jetzt in der Monteria es nicht nur gut gehabt, sondern in Wahrheit wie im Paradiese gelebt hatte, erfuhr er am selben Tage, als Don Leobardo abgereist war und die Montellanos die Monteria übernahmen.
Den Montellanos war menschliches Mitgefühl oder Rücksicht auf die körperlichen Fähigkeiten eines Arbeiters völlig fremd. Sie kannten nur Soldaten, Untergebene, die keine andere Aufgabe im Leben zu erfüllen hatten, als das Allgemeinwohl der Montellanos zu fördern. Die Arbeiter waren lediglich Figuren, die nach dem Willen des Don Severo, des Diktators hier, hin und her geschoben wurden, ohne das geringste Recht zu haben, ja oder nein zu sagen oder überhaupt einen Wunsch auszusprechen. Wer auch nur ein Wort gegen irgendeinen Befehl äußerte, erhielt, und das war die geringste Strafe, einen heftigen Tritt in den Hintern oder in den Bauch. Es kam darauf an, wie der Mann vor dem Kommandanten stand. Nach diesen Fußtritten, die sie von ihren Herren erhielten, nannten die Indianer die Spanier Gachupines, wie sie die deutschen Kaffeepflanzer und Landbesitzer Chinks Blancos nannten, anderer Tugenden wegen, die von den Indianern an den deutschen Herren beobachtet - und gut beobachtet - wurden.
Â
Kaum war Don Leobardo mit der Karawane abgereist, so begann Don Severo Generalinspektion zu halten, zuerst in den Oficinas Centrales.
»Was machst du denn hier, Muchacho?« wurde Vicente
gefragt.
»Soy el mozo, patron; ich bin der Bursche hier.« »Mozo für wen?«
»Für Don Leobardo und die übrigen Caballeros.« Don Severo sah sich den Jungen an. »Kannst du kochen?« Er hoffte, er könne den Burschen vielleicht als Koch gebrauchen. »No, patron.«
Don Severo sah sich den Jungen wieder an. Dann sagte er: »Drehe dich um, lass dich von der anderen Seite ansehen.«
Er betrachtete sich das Jüngelchen von hinten, dann ließ er ihn wieder Front machen, um ihn abermals und genauer von vorn anzusehen.
»Sehr groß bist du nicht.« Er packte ihn bei den Armen und fühlte ihm die Muskeln. »Zeig die Hände!«
Der Junge streckte die Hände vor.
»Du hast wohl nie irgend etwas von Wichtigkeit gearbeitet.« »Ich bin Mozo hier, Jefe!«
»Das habe ich dich jetzt nicht gefragt. Und halt's Maul, oder ich schlage dir eine 'rein!« Dann begann er zu überlegen.
»Verflucht noch mal, wo kann ich dich denn hinstecken? Als Mozo werde ich mir einen kleinen Jungen suchen, vielleicht von einem Weibe, das nicht weiß, was es mit ihm machen soll und ihn lieber abgewürgt hätte, ehe er herausgekrochen kam. Der kann das gut machen. Wie viel kriegst du hier?«
»Zwei Reales, Patroncito.«
»Das ist eine Schande, wie die Leute mit dem Geld hier herumgefeuert haben. Einem Säugling, der noch an der Zitze lutscht zwei Reales zu geben. Das ist ja zum Lautrausbrüllen! Zwei Reales. Dabei gehen wir in vier Wochen vor die Hunde und können uns ersäufen.«
»Zwei Reales habe ich in meinem Kontrakt, Patroncito.« Vicente verteidigte seinen armseligen Lohn. »Habe ich dich gefragt?«
»No, jefe, perdone me!«
»Dann halt's Maul!«
Der Junge stand verschüchtert da und kroch ängstlich in sich hinein, wodurch er noch viel kleiner und schwächlicher erschien, als er in Wirklichkeit war.
»Hier faulenzt keiner«, sagte Don Severo, »hier wird gearbeitet. Das, was du hier machst, ist keine Arbeit für einen großen und kräftigen Jungen, wie du bist. Gut, die zwei Reales bleiben dir, weil sie nun schon einmal im Kontrakt sind. Du gehst jetzt zur Bodega, zum Gerätelager, und arbeitest mit Don Felix, bis ich etwas anderes für dich finde. Und mache dich nützlich und packe zu, oder es gibt was aufgepelzt.«
»Si, patroncito.«
Vicente ging zur Bodega und arbeitete mit Don Felix. Innerhalb der ersten halben Stunde hatte er vier Backpfeifen weg und während der nächsten halben Stunde zweimal einen Jochbalken zwischen die Beine gefeuert bekommen und einen Knüppel über den Kopf gehauen, dass ihm die Kopfhaut aufplatzte und das Blut herunterlief.
»Hier wird gearbeitet und nicht geschlafen!« Mit diesen Worten begleitete Don Felix jede Backpfeife und jeden Wurf mit dem Knüppel oder einem Kletterhaken. Das Motto freilich hatte er dem Sprachschatz seines Bruders Don Severo entnommen. Aber er verstand es immer richtig anzuwenden. Genauer gesagt, er wandte es unausgesetzt an; weil es nach seiner Meinung stets passte, wem er sonst nichts zu sagen wusste.
Â
Als Don Severo fünf Wochen später zu den Oficinas Centrales kam mit der Absicht, hier abermals eine Generalinspektion abzuhalten, weil er mehr Leute vor den Bäumen brauchte, traf er auf Vicente.
»Wo arbeitest du jetzt?« »In der Bodega, Patroncito.«
»Das ist keine Arbeit für einen jungen, starken Burschen, wie du bist. Siehst bleich aus. Ich werde dich mit in den Semaneo nehmen. Da ist frischere Luft. Die wird dir gut tun.«
»Si, jefecito.«
»Wie viel verdienst du denn?« »Zwei Reales, Jefe.«
»Das ist eine Sünde unter Gottes Himmel, einem jämmerlichen Fetzen von einem Jungen, wie du bist, fünfundzwanzig Centavos Lohn täglich zu geben. Das ist Geld fortgeworfen. Du kommst mit mir! Du kannst mit den Boyeros arbeiten. Da verdienst du deine zwei Reales. Hier in der Bodega verdienst du nicht einmal einen Quinto. Diese Arbeit kann ein kleiner Junge machen. Einer von den Huren, die ihre Kinder ja doch nur erwürgen oder wie junge Katzen ersäufen. Ich werde einen tüchtigen Hachero aus dir machen. Lass mal die Arme fühlen. Nicht gleich, aber in ein paar Wochen. Da kannst du drei Reales verdienen. Und wenn du deine zwei Tonnen schaffst, gebe ich dir auch vier Reales.«
»Muchas gracias, patroncito!« In seiner Stimme klang Furcht.
»Vier Reales, wenn du deine zwei Tonnen schaffst. Ich bestehle keinen armen Indianer. Ich betrüge niemand um seinen Lohn. Lass dir in der Tienda geben, was du brauchst.«
»Ja, Patroncito, ich gehe. Ich werde wohl etwas von der Tienda brauchen, wenn ich in den Semaneo wandre.«
Ach werde dich zu Andres stecken. Ist ein tüchtiger Boyero. Kann dich gut anlernen.«
»A sus ordenes, patroncito!«
Obgleich er in der Bodega während seiner Arbeit in der ersten Woche sicher nichts zu lachen hatte, so war er bald daran gewöhnt; und weil Don Felix mehr mit anderen Arbeiten in seiner Oficina beschäftigt war, so kam er nur selten in die Bodega, wo Vicente in den letzten drei Wochen alle Arbeit verrichtete, die früher, unter Don Leobardo, der Verwalter, Don Mariano Tello, als gutbezahlter Angestellter getan hatte. Es war freilich gegenwärtig in der Bodega weniger zu tun als unter Don Mariano, weil gerade jetzt keine neuen Arbeitertrupps ankamen. Aber die Arbeit war eben doch auch in der stillen Zeit genügend wichtig, dass sie einen intelligenten und erwachsenen Mann benötigte. Die Intelligenz und Erwachsenheit wurde von Don Felix reichlich geliefert, der Vicente alle Anordnungen gab; und wenn sie nicht genauso befolgt wurden, wie er erwartete, dann sausten dem Vicente ein halbes Dutzend Knüppel zwischen die Beine oder die Mulepeitsche über den Nacken.
Dennoch war, verglichen mit der grausam harten Arbeit im Dschungel und den fünfhundert Gefahren, die dort auf jeden Mann lauerten, die Tätigkeit in der Bodega für einen schwächlichen Jungen wie Vicente gerade noch erträglich. Als er vernahm, dass er nun in den Semaneo geschickt werden sollte, fühlte er, dass auch das letzte Stückchen Faden, das ihn mit dem Paradiese verband, zerrissen wurde. Es war nicht das Grauen vor der Arbeit im Dschungel, das ihn traurig machte. Es war die endgültige Trennung von dem Leben, das er unter Don Leobardo geführt hatte, die ein tiefes Heimweh in ihm aufkommen ließ, ein Heimweh nach Ruhe und Geborgenheit auf der Finca in der Nähe seiner Mutter und seiner Geschwister. Er war noch kein Mann, obgleich Don Felix die Arbeit eines voll erwachsenen Mannes aus ihm herauspresste und herausprügelte. Er war nicht einmal ein junger Mann. Er war ein Kind. Und nie in seinem bisherigen Leben hatte er sich mehr als Kind, als schutzbedürftiges Menschlein, das nach seiner Mutter schreit, gefühlt, denn in dem Augenblick, als Don Severo ihn mit kalten Worten in den Dschungel kommandierte. Er würde sich wohlgefühlt haben, hätte er sich unter einen Baum setzen können, um, von niemand gesehen, sich herzlich auszuweinen.
Das würde sein Gemüt und das wunde Empfinden, das er in sich fühlte, erleichtert haben.
Dazu hatte er jedoch weder Zeit noch Gelegenheit. Kaum hatte er in der Tienda seinen Kram eingekauft, da schrie auch schon Don Severo wütend herüber zu ihm: »He, du faule, schwindsüchtige Kröte von einem Bengel, wo treibst du dich denn eigentlich herum? Sattle mein Pferd und hilf den Arrieros beim Aufpacken der Mules, die wir in den Semaneo mitnehmen. Bewege dich, verflucht noch mal! Ich bezahle dir deinen Lohn, und ich habe kein Geld an faules Indianerpack zu verschenken.«
Ehe Vicente überhaupt richtig zur Besinnung kam und zu überlegen vermochte, was um ihn herum vorging, war er auch schon, mit einem schweren Packen auf dem Rücken, auf dem Marsch. Er trottete hinter den Packmules her, denselben Schritt annehmend, den die Mules hatten. Wie die Packmules, so sank auch er unausgesetzt tief ein in den zähen Morast des Dschungels; und gleich den Mules hatte er Mühe, seine Beine aus dem Morast herauszuzerren. Wie die Mules stolperte und staggerte er die steinigen Hügel hinauf und hinunter, zuweilen, wenn es gar zu steil 'raufging, stöhnte und ächzte er wie sie. Dafür hatte er die brummenden und zwitschernden Fürze der vor ihm hertrottenden Packtiere hinunterzuschlucken. Denn er fürchtete sich, zu weit hinter dem Zug zurückzubleiben und etwa einem Jaguar zur Beute zu fallen oder den Weg zu verlieren. Und blieb er nicht dicht genug auf, so verlor er die Unterstützung, die ihm das letzte Mule im Zuge an den harten Stellen des Weges willig gab und das nicht ausschlug, wenn er, den Schwanz des Tieres ergreifend, sich vorwärtshelfen ließ.
Das Mule hatte mehr Mitleid mit ihm als Don Severo. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass ihm das Mule ja nicht den Lohn zahlte. Vielleicht empfand das Tier ganz richtig, dass ihm der junge näher stand als sonst irgend jemand. Denn beide trotteten in derselben Kette. Und die treueste Kameradschaft bildet sich unter denen, die an dieselbe Kette geschmiedet sind und darum dieselben Leiden zu erdulden haben.
Â
El Gusano hatte an diesem Morgen, als er die Boyeros wecken kam, Vicente mitgebracht und ihn Andres übergeben.
Andres sollte ihn anlernen, damit ein stärkerer Mann bei den Boyeros überflüssig würde und zu den Schlägern geschickt werden konnte.
»Was kann ich denn mit diesem kleinen Mosco hier anfangen? Er kann ja nicht einmal ein Joch hochheben und ist nicht groß genug, es anzuriemen. Wir sind so nicht genug kräftige Leute bei den Tiros.«
»Du machst, was El Picaro kommandiert, verstehst du? Und keine Gegenworte. Ich kann dir auch noch eine zweite Salbung geben, wie die erste war. Oder hast du die vielleicht schon vergessen?«
»Nur keine Sorge, die werde ich dir nie vergessen!«
»Sie! Verstehst du? Mit dir habe ich noch nicht auf demselben Petate geschlafen. Und: a sus ordenes, jefe! Verstehst du?«
»Sicher, Sie. Sie haben ja den Revolver.«
»Dich kriege ich auch schon noch ein zweites und ein drittes Mal für die Fiesta. Und nehme dich dann als ersten vor, wenn ich noch die vollen Kräfte in den Armen habe und gut ausholen kann.« El Gusano grinste, so dass nicht nur seine kurzen Zähne zu sehen waren, sondern auch noch das wulstige, rotviolette Zahnfleisch, das weit hervortrat, sobald er seine Lippen zu einem Grinsen breitzog. Wenn immer er grinste, und noch bei weitem mehr, wenn er lachte, bekam sein wulstiges Zahnfleisch solche Wichtigkeit in seinem geöffneten Munde, dass man darüber seine kurzen Zähne völlig vergaß und die Zähne so unwichtig erschienen, als wären sie nur eine gelblichweiße Kruste, die keinen anderen Zweck haben sollte, als ein weiteres Hervorquellen des Zahnfleisches zu verhüten.
»Aber zuerst lernst du hier den Muchacho an«, fügte er hinzu, »und wenn du das getan hast und dir eine halbe Stunde Zeit bleibt, mürbe ich dir dein aufsässiges Fleisch auf deinen rebellischen Knochen.«
»Weiß ich, Gusano!«
»Jefe!«
»Muy bien, gut, Jefe!« sagte Andres, mit den Schultern zuckend. »Das Wort allein tut es ja nicht. Ich kann auch Jefe sagen oder auch Emperador. Das Wort tut es nicht. Es kommt darauf an, was ich mir dabei denke, wenn ich Jefe oder Herr oder Führer oder Leader sage. Und das sollen Sie erst mal raten, was ich mir dabei denke. Lickmamursch ist gar nichts dagegen. A sus ordenes, jefe!«
»Kannst es ganz gut, und vielleicht verstehen wir uns doch noch eines Tages. Aber deine Salbung entgeht dir nicht. Und nun los, kriege den Jungen fest 'ran. Er ist ein gottverfluchter Faulenzer, und damit er weiß, wovon wir hier sprechen, soll er die Einweihung haben.«
Vicente stand eingeschüchtert da, als Andres und El Gusano miteinander handelten. Jetzt sah El Gusano den Jungen an: »Hebe deinen Packen auf und trage ihn in die Choza.«
Vicente bückte sich, den schweren Packen hochzuheben.
Als er den Packen mit seinen Händen ergreifen wollte, hieb ihm El Gusano ein halbes Dutzend mit der Mulepeitsche über den Rücken.
»Damit dir deine Faulheit aus den Knochen spritzt!«
Vicente schrie auf und sank mit einem Stöhnen über seinen Packen.
El Gusano hängte die Peitsche an seinen Gurt, drehte sich eine Zigarette, und während er sie anzündete, sagte er zu Andres: »Wenn er nicht anstellig ist und lernt, meldest du mir das, ich werde ihn mir dann mit Andacht vornehmen und für die Fiesta
buchen.« »Si, jefe!«
»A sus ordenes, jefe!« kommandierte El Gusano Andres zu antworten.
Andres nahm eine der Zugketten auf, die am Boden lagen. Er hielt sie in der rechten Hand, als ob er damit nun zu seiner Arbeit gehen wollte.
»A sus ordenes, mi jefe!« wiederholte El Gusano mit Nachdruck und brachte seine Hand zum Gürtel, um die Mulepeitsche wieder auszuhaken.
Andres holte halb aus mit der Kette.
El Gusano bemerkte die Bewegung in dem flackernden, ungewissen Licht der Laternen, ließ die Peitsche unberührt und brüllte auf Vicente, der sich eben aufzurichten begann, los:
»Hast du gehört, was ich deinem Maestro, deinem Lehrherrn, gesagt habe und was du zu erwarten hast, wenn du faulenzt?«
»Si, jefe!« sagte der Junge schluchzend.
»Und dann lass dir erzählen, was eine Fiesta ist, damit du besser verstehst, wie hier gearbeitet wird und welche Belohnungen es gibt«, setzte El Gusano hinzu. Nun sah er Andres mit kleingekniffenen Augen an und sagte »Und dir werde ich schon noch gelegentlich etwas zuflüstern.«
In diesem Augenblick hörte man aus dem Dickicht, etwa hundert Schritte von der Choza der Boyeros entfernt, wieder den Sänger, dessen schallende Stimme seit jenem Morgen, wo sie El Gusano in Furcht versetzte, nicht mehr vernommen worden war: »El Picaro y El Gusano, los hijos de un perro y de una puta; euer Fleisch schmeiß ich den wilden Schweinen vor und eure Knochen hungrigen Hunden; dazu kommen noch Severo, Felix und Acacio; y ellos van a morir ya mas despacio!«
Es geschah zum ersten Mal, dass der Sänger auch die drei Montellanos erwähnte, die er sich vorzunehmen versprach. El
Gusano verschwendete diesmal keine Munition an den unsichtbaren Sänger. Er wandte sich nur sehr rasch um, nahm seine Laterne hoch und lief, so rasch wie es das Gestrüpp des Dschungels erlaubte, zum Bungalow des Semaneos.
Â
Außer Atem kam er an. Er nahm sich keine Zeit, erst in die Oficina zu rennen, um mit El Picaro zu sprechen. Er rannte wie wild geworden zu den Jacalitos, in denen die Hacheros schliefen. Er schnappte sich eine Laterne, die an einem Pfosten hing, und zündete sie an mit der, die er in der Hand trug.
Während er das tat, schrie er: »Raus, alle 'raus!«
Gabino, einer der Muchachos, erwiderte schläfrig: »Aber, Jefe, das kann doch noch nicht vier Uhr sein, es ist doch nur eben medianoche, Mitternacht.«
»Maul gehalten, ihr Hunde!« brüllte El Gusano. »Wenn ich kommandiere: Raus! dann heißt das Raus! für euch Stinksäue und nicht gemuckst.«
Ehe er den Satz ganz beendet hatte, war er schon beim nächsten Jacalito, um auch dort die schlafenden Burschen aufzuscheuchen. Die Muchachos, alle halb im Schlaf, kamen auf den Platz vor der Oficina gelaufen, wo sie sich versammelten. Sie waren völlig verwirrt und schnatterten aufgeregt miteinander, während sie ihre Decken fest um sich hüllten, denn die Morgennebel kamen bereits herangekrochen, und es wurde sehr kühl. Zuerst hatten sie geglaubt, dass Feuer in der Oficina ausgebrochen sei. Dann wieder dachten sie, dass vielleicht einige Pumas oder Tiger sich in das Camp geschlichen und einige Leute, die gerade einmal notwendig hinausgehen mussten, erwischt und fortgeschleppt hätten. Das kam vor und wurde gewöhnlich zu spät entdeckt. Und oft erst nach Tagen oder gar Wochen fanden die Muchachos, wenn sie nach neuen Bäumen suchten, die abgenagten Knochen der verschleppten Arbeitskameraden, die nur an den zerfetzten Lumpen ihrer Hosen, die herumlagen, erkannt werden konnten. Nur weniger als drei Minuten hatte El Gusano gebraucht, um alle Leute vor der Oficina zusammenzuhaben.
»Komm her, Gregorio!« rief er einen der Indianer an. »Nimm hier die beiden Laternen und folge mir!«
Darauf ließ er alle Burschen in einer Reihe antreten. Dann schritt er die Reihe ab, und jeder hatte die Füße hochzuheben, erst den einen, dann den andern. Gregorio musste mit den Laternen so dicht herankommen, dass er die Füße beinahe anschmorte.
El Gusano sagte nicht, was er suchte und warum er die Füße inspizierte. Aber einige der Muchachos waren ebenso schlau wie er, wenn nicht viel klüger in solchen und ähnlichen Dingen.
Gabino sagte zu Celso: »Ich weiß, was der Wurm sucht.«
»Verflucht noch mal« antwortete ihm Celso, »ich hätte nicht geglaubt, dass du so ein kluger Hengst bist. So, was sucht denn der räudige Hund?«
»Er sucht nach Füßen, an denen frischer Morast klebt. Wahrscheinlich hat einer eine Flasche Aguardiente oder eine Büchse Sardinen aus der Oficina gestohlen und ist damit weggerannt. Da er durch Morast rennen musste, sind die Füße natürlich das beste Zeugnis, wer es war.«
»Gut gesehen, Gabi, und gut begriffen.« Celso lachte. Dann sah er zu seinen Füßen hinunter.
»Meine Hinterklauen sind trocken wie meine Ohrlöffel.«
»Da kannst du froh sein, Celso.«
»Warum froh?«
»Der würde dich zu Brei peitschen, wenn du nasse Füße hättest.«
In dem Augenblick kam El Gusano heran. »Pfoten hoch!« rief er. Gregorio leuchtete sie ab.
»Die sind ja nass«, sagte El Gusano misstrauisch und schob Gregorios Arm mit der Laterne näher an den Fuß.
»Natürlich sind sie nass«, sagte Celso mit ärgerlich grunzender Stimme. »Warum sollen denn meine Klauen nicht nass sein? Ich musste doch durch das taufeuchte Gras hierher rennen wie blöde, weil Sie mich von meinem Petate aufjagten. Hier der Gabi hat doch auch nasse Füße. Und Ihre Stiefel sind doch auch naß. Und auch der Gregorio hat nasse Füße.«
»Halts Maul!« blökte ihn El Gusano an und ging weiter zum nächsten Mann, um nach frischem Morast an den nackten Füßen zu suchen.
Als er alle Leute untersucht hatte, stand er eine Weile vor ihnen, sah sie unschlüssig an, schob seinen Hut auf eine Seite, rieb sich mit der flachen Hand den Nacken, kratzte sich dann an den Hüften und sagte endlich: »Zurück zu euren Chozas. Um vier 'raus, oder ich helfe euch auf die Beine. Dreckgesindel!«
»Halt!« schrie er plötzlich, als die Burschen sich eben umgewandt hatten, um zu gehen. »Hat einer von euch gesehen, dass sein Nebenmann vor einer halben Stunde aufstand und erst vor einigen Minuten wiederkam? Ich gebe dem, der ihn mir nennen kann, eine Flasche Aguardiente als Belohnung.«
Keiner der Burschen regte sich.
»Natürlich nicht, keiner hat etwas gesehen. He!« Er wandte sich an Dionisio, den Burschen, der gerade vor ihm stand »Hast du keinen gesehen, der aufstand und eine halbe Stunde ausblieb?«
»No, mi jefe, dormi, ich schlief fest.« »Und du?« redete er den nächsten an. »Tambien dormi, mi jefe, ich schlief ebenfalls.«
»Ich kriege ihn schon, nur keine Hoffnung gemacht«, sagte nun El Gusano zuversichtlich und drohend zugleich. Dann schlenderte er hinüber zum Bungalow, um seinen unterbrochenen Schlaf fortzusetzen.
Später am Morgen, als El Gusano mit El Picaro beim Frühstück saß, sagte er: »Caray und verflucht noch mal, was bin ich doch für ein großer Esel!«
»Weißt du das erst seit heute, Gusano?« erwiderte El Picaro grinsend, während er einen Fetzen von der Tortilla abriss und, nachdem er damit schwarze Bohnen aufgefischt hatte, ihn faul in seinen weit aufgerissenen Mund schob. In gefräßiger Weise kauend und sich an seinem eigenen Witz ergötzend, fragte er abermals: »Weißt du das wirklich erst seit heute, Gusano, dass du ein alter Esel und ein blöder Hammel bist? Ich wusste das nach den ersten fünf Minuten, als ich dich kennen gelernt hatte, und hättest du mich gefragt, was ich von dir denke, ich würde dir das breit ins Gesicht hinein erklärt haben, dass du noch hundertmal dümmer bist, als du aussiehst, und dümmer als du kann kaum jemand aussehen, den Gott geschaffen hat.«
»Ja, aber diesmal habe ich doch wirklich eine ernsthafte Dummheit gemacht.« »Ja, und was denn?«
»Wir haben hier einen Aufwiegler, einen Spion. Den muss ich herauskriegen. Dann bringe ich ihn zu Don Severo, dass er ihn in den Dschungel treibt und erschießt. Auch wenn wir hier jeden Mann notwendig gebrauchen für die Arbeit, Spione und Aufwiegler sind gefährlich und müssen erschossen werden. Dann können die andern leichter unter dem Knüppel gehalten werden. Das hat mir Don Severo gesagt. Der hat mehr als ein Dutzend in dieser Weise abgefertigt.«
»Das weiß ich doch besser als du. Ich arbeite mit ihm ja seit Jahren und habe ihm geholfen, die Spione abzuknallen. Hast du den Schurken gekriegt?«
»Eben nicht. Das ist es, warum ich mich selbst erwürgen könnte. Ich glaubte, dass er unter den Boyeros ist. Aber die Boyeros waren vollzählig. Darum rannte ich hierher und zählte die Muchachos hier aus. Wer fehlte, musste der Spion sein. Es fehlte keiner. Dann untersuchte ich die Knochen. Da musste doch nasser Dreck dran sein von dem Rennen durch den Dschungel. Aber so sehr ich auch die Klauen inspizierte, keiner hatte frischen Dreck dran. Und durch das Suchen habe ich den verfluchten Hund nun gewarnt. In Zukunft gibt er gut acht, dass er trockene Füße hat. Ich hätte das ganz dumm tun sollen, ohne dass die Muchachos merkten, was ich suchte. Eines Nachts hätte ich mir den Hurensohn dann eingefangen.«
El Picaro schlürfte glucksend seinen Kaffee, und mit vollem, kauendem Mund sagte er »Schade, dass wir hier nicht genügend Ketten haben. Dann könnten wir alle Muchachos während der Nacht anketten, so dass keiner Dummheiten machen kann. Ich würde sie überhaupt alle, auch während der Arbeit, angekettet halten. Dann könnte auch nie einer desertieren, und wir verlören keine Zeit mit dem Einfangen.«
»Keine Sorge, Picaro! Ich kriege ihn schon noch. Ich glaube, er verstellt seine Stimme, wenn er in der Nacht seine Schweinereien hinausschreit, so dass man aus der Stimme nicht hören soll, wer er ist.
Aber gefährlich ist er. Wir müssen ihn kriegen und erschießen. Oder er verdirbt das ganze Geschäft hier.«
»Ich werde mit Don Severo darüber reden, wenn er in diesen Tagen hier zu unserem Camp herüberkommt. Und los nun, Gusano: Wir haben Bäume anzukreuzen.«
Â
Andres trottete mit den übrigen Boyeros zur Weide, um die Ochsen heranzuholen und aufzujochen.
»Hast du schon mal mit Bueys gearbeitet, Nene?« fragte Andres gutmütig Vicente. »Ich werde dich Nene, Säugling, nennen. Du bist ja nur gerade ein winziger Säugling. Wie heißt du denn sonst noch? Vicente. Trauriger Name. Nene ist besser für dich. Ja, was ich fragte, mit Ochsen weißt du nicht umzugehen?«
»No, companero.«
»Dachte ich mir. Bist du von einer Finca? Ich auch. Mein Vater hatte so ungefähr hundert Pesos Schulden beim Herrn der Finca. Und als der Enganchador auf unsere Finca kam und Leute für die Monterias aufkaufte, da verkaufte der Patron meinen Vater für die Schuldsumme, weil der Patron sagte, er müsse sein Geld haben und könne keine hundert Jahre darauf warten. Ich war damals Carretero, Ochsenfuhrknecht, bei einem Frachtunternehmer in Socton. Als ich dann hörte, dass mein armer Vater verkauft worden war, und ich wusste, dass er hier in der Jungla, die Arbeit und die Prügel nicht aushalten würde, da kehrte ich heim und übernahm das Konto meines Vaters und kam in die Monteria. Siehst du, Nene, so geht das. Wie bist du denn hergekommen?«
»Für die Kosten des Begräbnisses meines Vaters.«
»Auch sehr schön. Nimm dich nur gut zusammen. Du siehst nicht aus, als ob du sehr stark auf der Brust bist. Wenn du nicht ordentlich isst und dich nicht gut vorsiehst, wirst du es hier nicht lange machen. Hast du noch eine Mutter?«
»Si, tambien hermanos, auch jüngere Geschwister. Du, warum hat mich denn El Gusano verpeitscht? Ich hatte doch nichts verbrochen«, fragte Vicente mit kläglicher Stimme.
»Das ist so hier. Das wirst du noch lernen. El Picaro und El Gusano, diese niederträchtigen Hurenknechte, empfangen jeden, der neu ankommt, mit einer Tracht Hiebe, um ihn einzugewöhnen, wie sie sagen. Das ist die Politik der Montellanos, denen die Monteria gehört. Wie niedrig diese elenden Knechte als Menschen sind, kannst du daraus sehen, dass sie uns, die wir ganz wehrlos sind, peitschen, wenn immer sie Lust darauf verspüren. Diese Halunken sind die erbärmlichsten Jammerwichte, die du dir nur denken kannst. Wenn ich den Revolver hätte und die Peitsche, und sie hätten keine, dann solltest du mal sehen, was für winselnde Jammerfetzen sie sind. Die würden dann mehr wimmern und um Gnade heulen als ein Hund mit krankem Hinterloch. Nicht ein Spritzerchen von Mut und Blut im Herzen. In ein Indianerdorf würden sie sich nicht wagen, auch wenn sie rundherum mit einem halben Hundert von Revolvern behangen wären. Das findest du immer und überall; die kränklichsten und erbärmlichsten Wichte sind die elendsten Peiniger Wehrloser. Feigheit ist die Tugend der Diktatur!«
»Macht er das mit allen Neuen so? Oder nur mit mir?«
»Mit allen. Ich will dir etwas sagen, Nene. Es tat mir leid, als er dich, kleines Jüngelchen, das du bist, so grausam verprügelte. Es tat uns allen leid. Ich wollte hinzuspringen und die Prügel auf mich nehmen. Und auch Santiago wollte es tun. Kannst uns glauben. Aber wir dachten dann, es sei vielleicht besser für dich, dass du das kennen lernst. Es härtet dich besser ab, und du kriegst die richtige Wut, die wir brauchen. Das nächste Mal, wenn er dich vorhat bei der Fiesta, nimmst du es schon weniger tragisch und spuckst ihn schon breit an. Nur nicht winseln. Es kommt schon noch einmal unsere Abrechnung. Man kann es nie wissen. Hast du den Cancionero, den Sänger, singen hören? Im
Dschungel. Es lauert etwas herum, sage ich dir, Nene. Und außerdem noch eins: Hätte ich mich oder Santiago für dich verprügeln lassen, es hätte dir nicht gut getan. Kannst du glauben. Er hätte dich morgen oder übermorgen trotzdem vorgenommen. Brauchtest nur vergessen, a sus ordenes, mi jefe! zu sagen, und schon hättest du deine Einweichung weggehabt und dann um ein Vierfaches schlimmer als heute, wo er dich nur gerade so angetippt hat, wie er das nennt.«
»Angetippt? Schön angetippt. Ich bin sicher, mein Rücken ist aufgeplatzt.«
»Lass sehen, wenn wir zum Wasser kommen. Ich reibe dir Salz ein, damit es nicht eitert. Wenn es im Dschungel erst einmal zu eitern beginnt, dann ist es böse. Kriegst die Maden 'rein. Und die können wir nur mit Kreolin herausbrennen, und das tut, gottverflucht noch mal, elend weh, kann ich dir sagen.
Und wenn du nicht geheilt bist zur Fiesta, schlägt er dir das alles wieder auf.«
»Aber da ist es doch besser... sich im Fluss zu ersäufen.«
»Ist besser, Nene. Das weiß ich. Aber du hast doch eine Mutter, die du wieder sehen möchtest und die sich grämt, wenn du ihr verloren gehst? Ist das nicht so?«
Kaum hörbar sagte Vicente: »Si, asi es.«
»Und auch Geschwister hast du, alle jünger als du. Vielleicht überlebst du das hier nicht. Mehr als die Hälfte aller Muchachos kommen nie wieder heim. Sterben weg wie Fliegen. Manche am Paludismo. Andere kriegen was am Magen wegen dem verdorbenen Wasser, das wir, wenn es zu trocken ist, aus verseuchten, stehenden Pfützen saufen. Die Ochsen saufen es nicht. Wir müssen, weil wir es nicht so lange aushalten können wie die Ochsen. Andere schlagen sich aus Unvorsichtigkeit die Axt ins Bein, und das Bein fängt Gangrena, unheilbare Fäulnis in Fleisch und Knochen. Dann bist du froh, wenn dich einer erlöst von deinen Leiden und dir den Machete ins Herz rennt, um dir die letzte Gnade zu erweisen. Andere werden von einem Tiger oder Löwen angefressen oder weggeschleppt.
Oder ein fallender Baum erschlägt dich. Oder du fällst unter die Ochsen beim Abschleppen, und ein halbes Dutzend Trozas geht über dich weg und presst dir deinen Magen flach wie eine Tortilla. Warum willst du dich dann noch im Fluss ersäufen? Und vielleicht überlebst du doch noch alles und siehst deine Mutter und deine Geschwister wieder. Es ist diese Hoffnung, Nene, die dich lehrt das alles zu ertragen.«
»Und du, hast du auch eine solche Hoffnung?« fragte Vicente.
»Wir alle, auch ich. Ich habe ein Mädchen, das auf mich wartet. Ein kleines, liebes Mädchen.
Gottverflucht noch mal, lass uns lieber von etwas anderem reden. Verflucht und verschitt noch mal. Und hier sind wir bei den Ochsen.«
Andres hielt seine Laterne hoch und rief: »Habt ihr sie alle zusammen? Oder sind wieder ein paar von den Cabrones ausgebrochen?«
»Sind alle hier«, rief einer der Muchachos.
»Hier habe ich auch die Zugkette, die uns letzte Nacht fehlte«, sagte Andres, während er die Kette von seiner Schulter fallen ließ. »Muss wohl einer der Ochsen im Dunkeln hinter sich hergeschleift haben. Sie lag dicht beim Jacalito.«
Â
Die Ochsen waren alle paarweise aufgejocht. Jeder Boyero nahm einen Jungen mit sich und zog mit seinem Paar Ochsen ab.
»Damit du das besser verstehst, Nene, will ich dir hier verschiedenes erklären. Ein Paar zusammengejochte Ochsen nennen wir hier eine Mancuerna; fünf Paar Ochsen, also fünf Mancuernas, nennen wir ein Tiro. Du, der Junge, der einem Paar Ochsen voranmarschiert und sie antreibt, ist ein Ganan, und ich, der Verantwortliche für ein Paar Ochsen, bin der Boyero. So, und nun gehen wir los zu unserer Arbeit.«
Es war noch immer schwere, schwarze Nacht, wohl kaum zwei Uhr. »Warum beginnen wir denn so sehr früh, Andres?« fragte El Nene.
»Weil wir um zehn Uhr mit unserer Tagesarbeit so ziemlich durch sein müssen. Es wird dann so unerträglich heiß, dass die Ochsen nicht mehr arbeiten. Es kommen dann auch die großen Beißfliegen auf, die den Ochsen eine Hölle bereiten, so dass sie wild werden, und wir können sie dann kaum noch behandeln.
Sie schlagen um sich, versuchen das Joch abzuwerfen, und ein Arbeiten mit ihnen ist so gut wie unmöglich. Du kannst sie nicht mehr führen, sie brechen aus.«
»Aber die Schläger arbeiten doch jetzt nicht, sondern fangen erst um vier Uhr an und arbeiten durch bis zum Abend.«
»Großer Unterschied, Nene. Du wirst noch mancherlei Unterschiede kennen lernen. Die Ochsen, siehst du, sind eben Ochsen. Wir, die Boyeros und die Hacheros, wir sind keine Ochsen, wir sind Indianer, Menschen; wir lassen uns gefallen, was sich Ochsen nicht gefallen lassen. Darum können die Montellanos und besonders El Picaro und El Gusano mit uns auch machen, was sie mit den Ochsen nicht machen können.
Verstehst du nun den Unterschied, warum die Ochsen früh arbeiten und zeitig aufhören, während wir und die Schläger doppelt so lange Zeit zu arbeiten haben wie die Ochsen? Wenn die Ochsen ihre Ruhe bekommen, so gegen elf Uhr vormittags, dann bekommen wir, die Boyeros, die Gananes, noch lange keine Ruhe. Wir arbeiten bis weit in den Nachmittag hinein, weil wir eben keine Ochsen sind.«
»Das scheint hier alles viel schlimmer zu sein als auf unserer Finca daheim«, sagte Vicente.
»Ha, eine Finca, Nene, ist Himmel auf Erden, verglichen mit einer Monteria. Bis jetzt weißt du das noch nicht. Aber in vier Wochen wirst du nichts weiter für dich in diesem Leben oder nach deinem Tode wünschen, als auf einer Finca zu leben als verschuldeter Peon. Auch da bekommst du hin und wieder einmal von dem Mayordomo deine Prügel. Aber es geht doch immer gerecht dabei zu, und du hast noch von keinem Peon gehört, dass er sich auf einer Finca zu Tode gearbeitet hätte. Und eine Fiesta auf einer Finca ist eine wirkliche Fiesta, mit Kirche, mit Musik mit Tanz, mit so vielem und gutem Essen, dass du denkst, der Magen muss dir platzen. Hier ist eine Fiesta der Massentanz der Mulepeitschen auf den Rücken der Caobaleute, und die Musik, die dazu gemacht wird, ist das Wimmern, Stöhnen, Wehklagen und Fluchen der gemarterten und gepeinigten Muchachos, die ihre tägliche Tonnenzahl nicht liefern konnten und darum erbarmungslos gepeitscht oder noch erbarmungsloser gehenkt werden.«
»Gehenkt?«
»Ja, gehenkt. Das ist die ureigene Erfindung der Montellanos, um die Hacheros, die kontraktlich nur zwei Tonnen täglich zu liefern haben, so erbarmungslos zu quälen, dass sie dieser Grausamkeit nur entgehen können, wenn sie täglich drei Tonnen Caoba schaffen.«
»Aber gehenkt? Wie denn gehenkt?« fragte Vicente.
»Denke darüber jetzt nicht nach, Nene. Wirst es schon noch zeitig genug kennen lernen. Wir haben jetzt anderes zu tun. Besser, du gibst auf deine Füße acht, dass du keinen falschen Schritt machst oder unter die Ochsen schlitterst. Sie trampeln dich in den Morast, ohne es zu wollen. Und ehe ich dich herausgekratzt habe, bist du schon erstickt. Kümmere dich jetzt um nichts anderes als um das, was ich dich lehre.«
Â
»Da sind wir nun in meinem Semaneo«, sagte Andres. »Nimm nun deine Laterne hoch und suche die nächste Troza, und wenn du eine gefunden hast, dann rufst du mich. Ich werde mir auch eine suchen.«
»Was ist denn das, eine Troza? Das musst du mir schon sagen, wenn ich eine suchen soll.«
»Das ist ein Stamm geschlagener Caoba, eine Tonne Mahagoni. In die richtige Länge gehackt, abgerindet und quadratisch zugehackt, so dass der Stamm ungefähr einen Fuß Durchmesser hat. Musst darauf sehen, dass du eine fahrtbereite Troza findest, eine, die bereit ist abgeschleppt zu werden. Da liegen eine Menge Stämme herum, die für die Hacheros viel Arbeit kosteten, ihnen aber nicht angerechnet werden. Das sind Stämme, die innen faul sind, oft ist nur ein Stück faul, was der Schläger nicht sehen kann, nicht eher, als bis er durch ist mit dem Schlagen. Und da sind wieder andere Stämme, die der Länge nach aufgerissen sind, auch das kann der Schläger nicht früher sehen, als bis der Stamm lang auf dem Boden liegt. Wird ihm auch nicht angerechnet und er hat umsonst gearbeitet.
Solche Stämme bleiben liegen und verfaulen hier. Kümmere dich nicht darum. An einem Ende ist der Stamm, der fahrbereit ist, viereckig zugespitzt. Dieser zugespitzte Teil heißt Chuso. Also einen Stamm, der keinen Chuso hat lässt du liegen. Entweder ist er faul oder rissig, oder der Schläger spitzt ihn erst morgen zu, weil er heute nicht damit fertig wurde.«
Vicente ging mit der Laterne nach einer Richtung und Andres nach der entgegengesetzten. jeder lief kreuz und quer in seiner Richtung.
»He Nene, ich muss dir noch etwas sagen, damit du die Trozas leichter findest!« schrie Andres hinter dem Jungen her. »Achte auf die frisch geschlagenen Äste und Zweige auf dem Boden.
Wo frische Äste herumliegen, siehst du auch den Baumstrunk und gleich dabei eine oder zwei Trozas. Die Mehrzahl der Bäume geben nur gerade eine Tonne, eine Troza, aber es gibt viele, die zwei Tonnen ergeben. Wenn die Äste nicht frisch sind, dann kommen sie von Bäumen, die vor einer Woche geschlagen wurden, und diese Trozas sind bereits abgeschleppt.« »Ich werde gut nachsehen.«
Â
Was die Muchachos Linternas, Laternen, nannten, hatte mit dem, was zivilisierte Menschen unter einer Laterne verstehen, nicht mehr gemeinsam, als dass die Linterna auch zum Leuchten diente. Es war eine Blechkanne, die etwa dreiviertel Liter Petroleum enthielt. Oben war eine Tülle eingesetzt und festgelötet, und in dieser Tülle steckte ein Stück wollener Lumpen. Das war die ganze Laterne. Aber für diese Art von Arbeit war sie brauchbarer als irgendeine andere. Sie war eine Art Petroleumfackel.
Eine wirkliche Laterne würde nicht eine Stunde ausgehalten haben, dann wäre alles Glas zerbrochen und das Gehäuse so verbeult und verbogen gewesen, dass man nur durch langes Raten darauf gekommen wäre, dass man es mit einer ehemaligen Laterne zu tun habe. Obgleich die Laternen offen waren, widerstanden sie den Stürmen und sogar dem Regen bis zu einem gewissen Grade. Wenn sie ausgingen, hatten die Boyeros erhebliche Mühe, sie wieder anzuzünden.
Zündhölzer hatte kein einziger der Leute. Zündhölzer waren einmal zu teuer, zum andern wurden sie nach zwei Stunden Tragens unbrauchbar. Entweder wurden sie vom Regen oder von den dicken Nebeln und dem schweren Tau nass, oder, und das war die häufigste Ursache, sie zermanschten von dem Schweiß der arbeitenden Muchachos.
Jeder Boyero hatte ein Feuerzeug, auf das sich der Mensch, der im Dschungel arbeitet oder durch den Dschungel wandert, immer verlassen kann. Zündhölzer werden untreu. Aber diese Feuerzeuge der Caobaleute, aus einem Stück Stahl, einem Feuerstein und einer Lunte bestehend, waren stets zuverlässig. Um eine ausgegangene Laterne anzuzünden, musste freilich erst mit Hilfe des Feuerzeugs ein kleines Feuerchen aus trockenem Laub und dünnen, trockenen Reisern angeblasen werden. Von dieser Flamme erhielt dann die Laterne ihre Zündung. Bei stürmischem und sehr regnerischem Wetter unterhielten die Boyeros in ihren Arbeitsbezirken ständig kleine Feuer, um die Laternen rascher wieder anzünden zu können.
Jede Laterne gab nur einige Schritte weit Licht. Darum war das Suchen der Trozas schwierig und zeitraubend. Die Boyeros und ihre Hilfsjungen, die Gananes, wie Vicente einer war, konnten bei dem Suchen nicht spazieren gehen. Sie rannten wie wildgewordene Teufel kreuz und quer durch das Gebüsch und Gestrüpp des Dschungels, um die nächste Troza zu finden. Und sie rannten nicht nur wie wildgewordene Teufel hin und her, sondern sie sahen auch wie wildgewordene Teufel aus, wenn sie sich, nur schmutzige, weiße, hochgekrempte Hosen an, den Oberkörper nackt und einen zerfetzten Palmhut auf dem pechschwarzen, langen Haar, die dunkelbraunen, halbnackten Körper von dem rauchenden, flackernden, offenen Licht gespenstisch beleuchtet, mit dem Machete in der Hand, halb gebückt durch das dornige Gestrüpp mit katzenartiger Geschwindigkeit und Gelenkigkeit kriechend ihren Weg suchten.
Wie die Hacheros, so hatten auch die Boyeres ihre tägliche, oder genauer gesagt, ihre nächtliche Pflichtleistung zu vollbringen, und erreichten sie diese Leistung nicht, so wurde ihnen der Tag nicht bezahlt, auch wenn sie vier Fünftel ihrer Arbeit getan hatten. Blieben sie mehr als zweimal in der Woche mit ihrer Arbeit zurück, so wurden sie für die Fiesta gebucht oder bei einbrechender Nacht neben den Schlägern gehenkt, die wegen zu geringer Lieferung aus ihrer Faulheit gerüttelt werden sollten.
Jedem Boyero wurde für die Nacht und den darauf folgenden Vormittag ein bestimmter Distrikt zugeteilt, der am Tage vorher von den Schlägern geholzt worden war. Es kam die Arbeit von drei bis vier Schlägern auf einen Boyero. Die Montellanos hatten es so weit geschafft, dass sie auf sechs Schläger einen
Boyero mit seinem Ganan zum Abfahren der geschlagenen Caoba zu setzen verstanden. Während der Arbeitszeit eines Boyeros musste der Bezirk, der ihm übergeben worden war, von allen fahrbereiten Trozas rein geschleppt werden. So fleißig und so tüchtig auch ein Boyero sein mochte, er allein konnte die Arbeit nicht leisten. Dafür hatte er Ochsen zur Hilfe. Indianer oder andere Menschen kann man zu bestimmter Arbeitsleistung zwingen, wie man sie auch abrichten kann, sich uniformieren zu lassen und andere Leute zu vergasen oder abzuschießen und sich selbst auf Befehl abstechen zu lassen. Mit Ochsen kann das nicht so leicht gemacht werden, darum nennt man sie auch Ochsen, von denen man nicht verlangt, etwas über Volksehre zu wissen. Und darum genügte es nicht, dass ein Boyero fleißig war wie eine junge Biene im Frühling. Wenn die Ochsen unwillig waren oder müde oder verrückt wurden durch die Schwärme der Beißfliegen, half dem Boyero weder Fleiß noch guter Wille. Die Ochsen wollten nicht arbeiten, und ohne deren Hilfe konnte der Boyero auch nicht eine einzige Troza abfahren. Da die Ochsen keinen Verstand hatten, konnten weder die Montellanos noch El Picaro oder El Gusano sie für die Kurzlieferung der Boyeros verantwortlich machen. Die Boyeros jedoch wurden verantwortlich gemacht, sie bekamen die Arbeit dieser Nacht nicht angerechnet, sie wurden auf der Fiesta gepeitscht, sie wurden gehenkt; denn sie waren Boyeros, um ihre Ochsen zu verstehen, ihre Ochsen zum Arbeiten zu bringen, ihre Ochsen so zu erziehen, dass sie begreifen lernten, dass die Welt nur ein einziges Ziel kannte, nur eine Aufgabe zu erfüllen hatte, nämlich die, die Montellanos in drei Jahren zu Millionären zu machen, damit deren Angehörige und Freunde in Spanien sagen konnten: Das sind fürwahr tüchtige Leute, die haben es zu etwas gebracht, die haben drüben in Amerika ihr Glück gemacht, und Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wie es im Reich der Caoba zuging, erfuhr ja die Welt nicht, am wenigsten hörten die davon, die im Kreis um Konferenztische aus schwerem Mahagoni saßen, das Ausgleichen von Handelsbilanzen erörterten und gleichzeitig berieten, auf welche Weise man die Ausbreitung gefährlicher kommunistischer Ideen unter den weißen und den farbigen Arbeitern erfolgreich verhindern könne.
Â
Vicente ließ einen hallenden Ruf vernehmen, den er tönend durch die Nacht sandte, beide Hände wie ein Sprachrohr gegen seinen Mund pressend.
»Halt die Linterna hoch!« schrie Andres zurück. »Was sagst du?«
»Halt die Laterne hoch, damit ich sehe, wo du bist«, wiederholte Andres.
Andres rannte zu den Ochsen, die näher bei ihm waren als bei Vicente. Er trieb die Ochsen auf das Licht zu, das Vicente hochhielt. Als er an der Troza war, die Vicente gefunden hatte, sagte er »Stecke deine Nase hoch in die Luft, Nene, dass du den Geruch wegkriegst. Da, wo eine frisch geschlagene Troza liegt, da riecht es anders als in den übrigen Teilen der Selva. Riechst du es?«
»Ja, es riecht frischer und grüner. Saftiger.« »Das ist es, Nene. Wenn du erst einmal den Geruch gut geschnappt hast, ist das alles halbe Arbeit.
Und wenn dir der Wind gut entgegenkommt, gehst du auf eine frische Troza zu wie ein Hund auf ein frisch gebratenes Rippenstück. Das ist viel wert, nach der Nase zu gehen. Oft geht dir die Laterne aus, und du musst mit deiner Nase suchen, wenn du eine Troza finden willst. Immer ist nicht so gutes Wetter wie jetzt, in der Trockenzeit.«
»Trockenzeit? Aber es regnet ja beinahe jeden zweiten Tag.«
»Das ist hier anders als im offenen Land und auf den Fincas und in den Dörfern. Wie es jetzt ist, nennen wir es hier knochentrocken. Es wird eigentlich nie trocken hier. Es ist alles zu dicht in den Kronen. Keine Sonne kommt durch bis auf den Boden. Und unten alles dickes Gebüsch. Bleibt alles nass und modrig. Darum haben wir ständig die schweren, dicken Nebel in der zweiten Hälfte der Nacht und einen Tau so dick, dass du glaubst, es müsse die ganze Nacht geregnet haben. Aber wenn wir erst einmal die Regenzeit haben, Junge, dann sollst du mal etwas zu sehen bekommen. Da schwimmst du viermal am Tage und viermal in der Nacht. Aber dann arbeiten wir nicht gerade hier, dann sind wir bei den Barrancas, den Gräben, und am Flusse, wo wir abschwemmen. Dabei können dir auch leicht beide Beine oder beide Arme oder der Kopf abgequetscht werden. Das geht wie nichts, und weg ist der Kopf, wie abgekniffen. Ich sollte dir das besser nicht alles erzählen, solange du noch neu bist. Aber es ist doch vielleicht richtig, dass ich dir das alles gleich jetzt sage. Besser, wenn ich es dir sage als die andern, die noch zehnmal übertreiben, um sich an deiner Angst zu ergötzen.«
»Daneben ist gleich noch eine andere Troza, und zwanzig Schritte weiter sind noch zwei, die habe ich schon gesehen.«
»Das ist gut, sehr gut, Nene. Dann brauchen wir während der Nacht nicht weiterzusuchen. Ehe wir die vier abgeschleppt haben kommt der Morgen herauf, und wir finden die Trozas schneller, weil wir dann besser sehen können als mit den gottverfluchten Linternas, die nichts wert sind. Und nun aber voran mit der Arbeit. Ich habe dir so viel erzählt, dass wir beinahe eine halbe Stunde darüber verloren haben. Hilf mir die Ochsen zurückziehen, dass wir die Kette anhaken können.«
Die Zugkette war einem der Ochsen über den Rücken geworfen worden, damit sie nicht hinterher schleifen und sich im Gestrüpp verfangen sollte, wenn die Ochsen geführt wurden.
»Nun schlagen wir die Schlepphaken in die Troza, an jeder Seite einen. Siehst du, so. Die Haken fressen sich schon tiefer in das Holz ein, wenn die Ochsen erst einmal ordentlich angezogen haben.
Und nun ziehen wir das Ende der Kette durch die beiden Haken und knebeln sie mit der Kralle fest.«
»Du arbeitest schon lange mit den Ochsen in der Caoba, Andresito?« fragte Vicente.
»No. Nur ungefähr vier Monate. Es können auch acht sein. Man vergisst hier ganz die Zeit, und erst dann, wenn die schwere Regenzeit einsetzt, weiß man, dass wieder ein Jahr herum ist, und weil wir bis jetzt noch keine schwere Regenzeit hatten, weiß ich, dass ich noch kein volles Jahr hier bin.«
»Aber dann hast du gut gelernt.«
»Aber, Hombre, mit Ochsen verstehe ich doch umzugehen. Ist ja mein Geschäft, wie ich dir gesagt habe. Ich war doch Carretero. Mehr, Encargado, Führer einer Karawane. Mir können Ochsen nichts erzählen, ohne dass ich weiß, was mit ihnen los ist.
Ich kann mit Ochsen besser reden als mit dir, Nene; und die Ochsen reden auch mit mir besser als du.«
Vicente lachte in seiner jungenhaften Weise laut auf.
»Erzähle mir keine solch aufgeblasenen Geschichten. Wie können denn Ochsen sprechen?«
»Adelante, Moreno! No, nicht du, Rojo, Moreno, adelante!« rief Andres die Ochsen an. Dann sagte er: »Siehst du, wie nur der Braune jetzt anzieht und der Rote fest stehen bleibt?«
»Verteufelt, Andres, du bist ein gran maestro, ein großer Meister«, sagte Vicente mit Bewunderung und mit einer Stimme, die offenbarte, dass er vor Erregung beinahe die Luft verlor.
»Die Ochsen so lenken zu können, dass nur der eine anzieht und der andere stehen bleibt, ist notwendig, das wirst du schon noch sehen. Die Troza gräbt sich tief ein in den Morast, und wenn dann beide anziehen, gräbt sie sich noch tiefer ein. Man kann sie aus dem zähen Schlamm nur wieder herauszerren, wenn der eine Ochse anzieht und die Troza auf die Seite zerrt, um sie wieder in Gang zu bringen.«
»Adelante!« rief nun Andres beiden Ochsen zu, und sie zogen an. »Du gehst bei den Ochsen, Nene, mit deiner Linterna, und mit dem Treibstecken piekst du sie, damit sie rüstig laufen. Los!«
Die Schleppfahrt ging an. Rüstig kamen sie nicht vorwärts, weil Ochsen ja keine Pferde sind. Sie gingen gemächlich und bedächtig, aber gleichmäßig. Hier war der Boden fest, und der Marsch wurde wenig aufgehalten.
»Nene, warte!« rief Andres. »Beim Führen hast du Acht zu geben, dass die Troza nicht in zu dichtes Gebüsch gerät, wo wir sie mit dem Machete herauszotteln müssen. Los! Andres lief hinter der Troza her. An einem Riemen trug er den Machete in einer Lederscheide an der Seite. Auch Vicente trug einen Machete. Andres hatte in der einen Hand seine Laterne, in der andern hielt er einen kräftigen, eisernen Haken.
Mit diesem Haken arbeitete er fortgesetzt an der Troza, zerrte sie in diese Richtung und in jene, um sie gut zu führen; hob sie an, wenn sie sich in den Boden eingraben wollte, und rüttelte sie heftig, wenn sie sich in Gestrüpp festzusetzen schien.
Nach etwa dreißig Minuten war die Troza einen Kilometer weit geschleppt.
»Halt!« kommandierte Andres. Die Ochsen standen aber bereits, ehe Andres gerufen hatte. Er kommandierte das >Halt< Vicente, denn als die Ochsen standen, beeilte sich dieser, sie heftig anzutreiben, weil er glaubte, sie wollten faulenzen.
»Da siehst du, Nene, dass die Bueys mehr Verstand haben als du. Die wissen, dass wir hier nun an dem Callejon sind, an der Gasse, und dass sie hier stehenzubleiben haben. Hier haken wir ab und gehen zurück und holen die anderen Trozas, eine nach der andern, bis zu diesem Callejon. Wenn wir alle, die wir heute abschleppen müssen, hier an dieser Gasse haben, dann schleppen wir jede einzelne wieder weiter, ungefähr einen Kilometer. Würden wir jede Troza gleich durchschleppen bis zum Tumbo, dann schafften wir nur die Hälfte. Die Ochsen müssen sich erholen, sie müssen verschnaufen, und das können sie nur, wenn sie nur kurze, heftige Arbeit tun und dann wieder zurückgeführt werden, wobei sie leer gehen und im gemächlichen Laufen neue Kräfte sammeln.«
»Aber so schwer war doch die Arbeit nicht, dass sie sich schon erholen müssen«, erwiderte Vicente.
»Schreie nicht so früh, Säugling. Ich habe dir ja schon gesagt, hier ist der Boden fest, da geht es flink von der Stelle. Warte nur erst, bis wir in dem Callejon schleppen. Da wirst du etwas sehen.
Kannst dann froh sein, wenn wir nicht für jede einzelne Troza vier Tiros, zwanzig Paar Ochsen, heranholen müssen von den übrigen Burschen. Dann arbeiten wir sechsunddreißig Stunden ohne Unterlass, um die geschlagenen Trozas des einen Tages abzuschleppen. Das wird jetzt und heute nicht geschehen. Es sieht nicht nach Regen aus. Aber wir kommen zu einer Stelle, dicht vor dem Tumbo, wo wir die andern heranholen und für die Troza fünf Mancuernas, fünf Paar Ochsen, haben müssen.«
»Was ist denn das, ein Tumbo?« fragte Vicente.
»Das ist der Platz, wo die Trozas aufgehäuft werden und warten, bis die schwere Regenzeit einsetzt und sich der trockene Graben, oder der Arroyo, damit du das besser verstehst, mit Hochwasser füllt und sie dann abgeschwemmt werden können bis zum kleinen Fluss und dann zum großen Strom.«
Â
Die beiden Burschen wanderten mit dem Ochsengespann zurück, um die nächste Troza zum Callejon zu schleppen.
Andres blieb plötzlich stehen, leuchtete näher hin und sagte: »Du, Nene, höre einmal, hast du denn diese Troza hier nicht gesehen? Die lag doch in deinem Wege, als wir nach Trozas suchten.«
»Natürlich habe ich die gesehen. Ich habe doch keinen Kleister in meinen Augen«, verteidigte sich der Junge.
»Scheint mir nicht so. Warum hast du sie denn nicht mitgenannt? Sie liegt ja näher beim Callejon.«
»Ich glaubte, sie zähle nicht. Sie ist ja nicht fertig. Nicht quadratisch zugehackt.«
»Das ist eine Troza, die nicht viereckig zugehackt wird, das ist ein Rollete. Und dass dieser Rollete für uns eine Troza ist, kannst du daran sehen, dass sie einen Chuso hat, dass sie zum Abschleppen zugespitzt ist.«
»Warum wird denn der Rollete nicht viereckig gehackt in seiner Länge?«
»Das ist eine lange Geschichte. Und da ich dich anzulernen habe, kann ich dir das ja gleich heute alles erzählen. Ich bin überhaupt sicher, dass ich heute nicht meinen Deber, meine Pflichtleistung, schaffe, wir beide den Tag verlieren und mir El Gusano vielleicht eine Salbung noch obendrein verabreicht. Er hat mir ja eine neue versprochen, wie du gehört hast. Weil ich zu aufsässig bin.«
»Wo bist du denn aufsässig, Andresito? Du bist der feinste Boyero, den es auf Erden gibt«, sagte Vicente überzeugt.
»Nach deiner Meinung, Nene. Schade ist es, dass deine Meinung hier nicht gilt. Hier gilt nur die Meinung des El Picaro und des El Gusano, und wenn du denen mit deinen Meinungen kommst, reißen sie dir gleich ein Dutzend über den Rücken, und du kannst froh sein, dass nicht ein paar von dem Dutzend dir über den Kopf und die Ohren rasseln. Los, ziehe die Ochsen herum und wirf mir die Kette herunter, damit ich einhaken kann.«
Die zweite Troza wurde zur Gasse geschleppt.
Als die beiden nun wieder leer zurückmarschierten, sagte Vicente: »Du wolltest mir sagen, warum ein Rollete nicht viereckig zugehackt wird, sondern nur abgerindet und rund
bleibt?«
»Richtig. Im Grunde genommen kann es uns und erst recht dir ja völlig gleichgültig sein, ob die Trozas rund bleiben oder viereckig sind. Für die Schläger freilich bedeutet ein Rollete weniger Arbeit, sie brauchen nicht lange daran herumzuhacken und können sich den nächsten Baum vornehmen. Die Montellanos sind sehr geschäftstüchtig. Um keinen Käufer zu verlieren, liefern sie sowohl zugehackte Trozas als auch Rolletes. In Amerika und in England sind die Leute so arm an Caoba, dass sie das Holz in ganz dünne Blätter sägen und dann diese dünnen Blätter auf gewöhnliches Holz, das sie in ihrem eigenen Lande haben, aufleimen und schön polieren. Das ist natürlich ein Betrug. Die Leute, die sich Mahagonimöbel kaufen, denken, dass sie wirklich durch und durch Mahagoni an ihren Möbeln haben.
Aber nur außen ist ein ganz dünnes Blättchen Mahagoni aufgeleimt, und wenn es so schön poliert ist sieht es aus, als ob alles aus Mahagoni wäre. Nun wirst du verstehen, warum manche Käufer die runden Stämme vorziehen, denn aus den runden Stämmen kann man in der Mitte dünne Blätter heraussägen, die um einige Zentimeter breiter sind als die, die aus den viereckigen gesägt werden können.«
»Dann könnte man doch aber alle Trozas rund lassen«, sagte darauf Vicente.
»Man könnte, aber man tut es nicht. Die Rolletes haben auch wieder ihre Nachteile. Die reißen leichter der Länge nach auf und werden dadurch zur Hälfte oder ganz wertlos. Die Trozas, die viereckig zugehackt sind, reißen viel seltener, und bei ihnen können auch die Käufer rascher sehen, ob nicht der Stamm vielleicht rissig ist, was bei den Rolletes schwerer, oft überhaupt nicht zu sehen ist und erst dann herauskommt, wenn der Käufer die Troza in der Säge hat.«
»Wer hat dir das alles so klar erzählt, Andres?«
»Einer der Hacheros. Er ist ein Chamula und heißt Celso. Der ist hier El Tate in unserm Camp, der ehrwürdige Vater. Er ist schon seit Jahren hier und weiß mehr als die Contratistas. Vor ihm haben beide, El Picaro und El Gusano, den Schitt in den Pantalones, solche Angst haben sie vor ihm.«
»Kriegt er denn keine Fiesta?«
»Ich glaube nicht. Der Cirilo hat mir erzählt, dass vor einem Jahr unser früherer Contratista, Don Remigio, den Celso für die Fiesta gebucht hatte, weil Celso frech gewesen war. Als Celso die Prügel weg hafte, da hat er sich glatt hingelegt und eine ganze Woche keine Hand zur Arbeit gerührt. Er ist der beste Schläger, der jemals irgendwo in einer Selva gearbeitet hat, der einzige, der, wenn er will, fünf Tonnen im Tage schaffen kann. Aber er tut es nicht. Don Remigio konnte den Celso nicht missen.
Er ließ ihn rufen, aber Celso kam nicht. Da musste der große Contratista kommen und zu Celso sprechen. Don Remigio sagte, er würde ihn schon mürbe kriegen. Da sagte Celso, ja, das könne er, aber je mürber er geprügelt werde, je weniger könne er arbeiten, und es sei ihm überhaupt nichts daran gelegen, ob man ihn totschieße oder totschlüge. Das sei ihm alles gleich. Und dann sagte er noch, dass er in Zukunft für jeden Hieb, den er bekomme, eine volle Woche nicht arbeite, und wenn er fünfzig Hiebe bekomme, dann eben ein Jahr nicht arbeite. Don Remigio sprach dann besser mit ihm, und Celso stand auf und ging an seine Arbeit. Er hat nie wieder Prügel gekriegt seitdem. Aber es ist jetzt so, dass sich weder El Picaro noch El Gusano an ihn heranwagen. Er ist gefährlich. Und Don Severo hat ihnen auch anbefohlen, den Celso ganz in Ruhe zu lassen, weil ihm seine Arbeit wichtiger sei und mehr Geld einbringe als die Arbeit der beiden Aufseher.«
»Warum läuft er denn nicht weg?« fragte Vicente.
»Das ist nicht so leicht, selbst nicht für ihn. Und nun Schluss, wir müssen uns jetzt dranhalten und das Feld rein kriegen von den Trozas. Es wird nicht lange dauern, dann kommt El Gusano angeritten, und wenn wir nicht alle Trozas im Calleion haben, gibt es die Hölle für uns beide. Ich kann es aushalten. Ob du es aushalten kannst, weiß ich nicht und glaube es nicht. Und wenn du etwas abkriegst, gibst du mir gar noch die Schuld. Das Beste, was ich hier für dich tun kann, solange du und ich zusammen arbeiten, ist, mit allen Kräften zu verhindern, dass El Gusano uns beide buchen kann; denn du fährst dabei am schlechtesten, du kleines Würmchen. Also, lass uns jetzt gründlich in die Speichen greifen.«
Â
Die Sonne ging auf, als alle Trozas in der Gasse lagen, um von dort weitergeschleppt zu werden.
»Nun werden wir frühstücken«, sagte Andres.
In der Nacht hatten, sie Mais mitgebracht in einem Sack, der einem der beiden Ochsen aufgeladen worden war und dann, als sie auf dem Arbeitsplatz ankamen, an einen Baum gehängt wurde, um zu verhüten, dass der Mais von Wildschweinen weggeholt werden konnte.
»Streue den Ochsen den Mais vor«. sagte Andres. »Achte darauf, dass er auf flachem Boden liegt.« »Soll ich abjochen?« fragte Vicente. »Nein. Es macht zu viel Arbeit, wieder aufzujochen.«
Jeder der beiden Burschen hatte in einem Basttäschchen, seinem Morral, das bescheidene Frühstück hierher mitgebracht und die Tasche neben den Mais an denselben Baum gehängt.
In wenigen Augenblicken hatte Andres ein Feuerchen brennen. Vicente lief zu einem modrigen Bächlein und füllte die blechernen Kaffeekännchen und gleichzeitig die Kürbisflaschen, die während der Nacht ausgetrunken worden waren, mit Wasser. Sie schütteten den gemahlenen Kaffee und ein Stück braunen Rohzucker in die Kännchen und stellten sie an das Feuer. Sie hatten gekochte schwarze Bohnen, eingewickelt in große grüne Blätter, in trockenen Maisblättern etwas Salz und dazu ein Dutzend großer Tortillas mitgebracht. Die Tortillas legten sie in heiße Asche, die aus dem Feuer gezogen wurde, und die Bohnen kamen in ein irdenes Schüsselchen und wurden in das Feuer gesetzt, um sie zu wärmen. Dann schnitten sie grüne Pfefferschoten in kleine Stückchen und mischten sie mit den Bohnen. Jeder hatte ein Bündelchen grüner Kräuter verschiedener Sorten, die der Dschungel lieferte.
Als die Bohnen heiß waren, wurden sie in Stücke heißer Tortilla gewickelt und so eingedreht in den Mund geschoben. Das Salz nahmen sie zwischen die Finger und schoben es nach einigen Bissen nach.
Die grünen Kräuterchen wurden dann hinterher geschoben. Inzwischen war der Kaffee gekocht, und sie tranken ihn aus einer Fruchtschale, die ihnen als Becher diente und gleichfalls als Schüsselchen, in dem während kurzer Arbeitspausen der Posol geknetet wurde.
Während sie ihren Kaffee tranken, nahmen sie rohe Tabakblätter hervor und drehten sich Zigarren.
Vicente, obgleich noch ein Junge, verstand es gut, sich eine Zigarre zu drehen, und er rauchte sie mit dem gleichen Wohlbehagen, wie es Andres tat.
Ihre Zigarren waren kaum zur Hälfte geraucht, als El Gusano angeritten kam. Er blieb auf dem Pferd sitzen, und ohne »Buenos dias! Guten Morgen!« zu sagen, rief er gleich: »Alle Trozas gefunden und im Callejon?«
»Si, todas, alle 'raus!« antwortete Andres, beim Feuer sitzen bleibend und gemächlich weiterrauchend.
»Vorangemacht und arrastrando al tumbo, abgeschleppt zum Schwemmgraben. Und nicht so lange hier faul gesessen und Zigarren geraucht. Zum Rauchen habt ihr am Abend Zeit.« El Gusano überblickte die Gasse.
»Erst müssen die Ochsen ihren Mais haben«, verteidigte sich Andres.
»Das sehe ich selbst, brauche dich nicht, mir das zu sagen«, grunzte El Gusano, mehr um Andres nicht recht geben zu wollen, als um zu bestätigen, dass die beiden Burschen in diesem Augenblick nichts tun konnten und darum ebenso gut friedlich rauchen mochten, bis die Ochsen ihren Mais gekaut hatten.
»Wie ist denn die Bajada, der Teil der Gasse, der abwärts zum
Graben führt? Mucho ledo, viel Sumpf und Morast?« fragte El Gusano.
»Gestern sind wir bis an die Hüften eingesunken, und es wird heute nicht besser sein«, sagte Andres.
»Wie viel Tiros wirst du denn brauchen für die Subida und die Bajada, für den Hügel vor dem Abschwemmgraben?«
»Vielleicht schaffe ich es mit zwei Tiros, zehn Gespann Ochsen. Letzte Woche hatten wir an vier Tagen zwanzig Paar Ochsen nötig, da saßen wir bis unter den Armen im Morast mit unseren Trozas«, erklärte Andres.
»Weiß ich. Gut, ich schicke dir zwei Tiros, zehn Paar. Cirilo und Fidel werden sie dort haben gegen neun Uhr. Mit deiner Mancuerna macht das elf Gespann, die ihr dann habt. Und nun nicht so lange hier gesessen und geraucht. Morgen gehst du auf die andere Seite des Arroyo, da wird bereits seit drei Tagen geschlagen, und die haben gute Vorräte gemacht, die abgeschleppt werden müssen.«
El Gusano gab seinem Pferd einen Hieb und trabte ab, um andere Boyeros zu inspizieren. »Wie weit haben wir zu schleppen von hier bis zum Tumbo?« fragte Vicente, als die beiden wieder allein waren.
»Ungefähr zwei Leguas, etwa acht Kilometer.«
»Und jede Troza muss zwei Leguas weit geschleppt werden?«
»Die Trozas, die wir hier heute bei der Gasse aufgeschichtet haben, müssen alle zwei Leguas weit geschleppt werden«, sagte Andres. »Das ist gar nichts; vor zwei Monaten hatten wir beinahe fünf volle Leguas von der Schlagstelle bis zum Tumbo. Auf einem solch langen Wege trifft man häufig ein Dutzend Gräben, Arroyos, an. Aber das sind dann alles solche Arroyos, die nicht zu dem Hauptstrom führen, die sich nach einigen Meilen verlaufen oder die zu einem der Seen führen, und die Seen haben keine direkte Verbindung mit dem Strom. Einige der Gräben wieder gehen zum Strom, aber sie erweitern sich an gewissen Stellen, gehen über weites Steingeröll, und dort sacken die Trozas so sehr, dass sie nicht genug Wasser haben, um abzuschwimmen. Kannst es glauben, und Celso hat es mir gesagt, so leicht ist das nicht, eine Monteria zu entdecken und zu gründen. Es ist genug Holz da zum Schlagen. Aber wenn keine Gräben da sind oder die Gräben gegen den Weg laufen, der nötig ist, um zum Strom schwemmen zu können, dann ist die Monteria so gut wie nichts wert, wenn sie auch noch so schöne Caoba haben sollte. Wenn jede Troza erst einmal fünf Leguas, also mehr als zwanzig Kilometer oder gar noch weiter geschleppt werden muss, dann lohnt es sich nicht. Da schleppst du vielleicht drei oder vier Tage an jeder Troza und vielleicht gar noch mit zwanzig Gespannen. Die Contratistas haben nicht so leichte Arbeit, wie du dir das denkst. Die suchen oft eine Woche lang und zwei und drei Wochen lang nach Arroyos, die auch bestimmt zum Strom führen, wenn sie Hochwasser haben. Die Contratistas müssen dann mit ein paar Muchachos mit Machetes den ganzen Graben abschreiten, um sicher zu sein, wohin er führt. Die Gräben sind oft fünfzig, vielleicht hundert Kilometer lang, ehe sie in den Fluss münden. Und da laufen die Leute dann drei oder vier Tage durch den Dschungel, immer am Graben entlang, um dann nach all der Mühe festzustellen, dass der Graben nicht zum Abschwemmen gebraucht werden kann. Die Gräben müssen auch rein gehackt werden von Bäumen und Gestrüpp, damit die Trozas nicht aufgehalten werden beim Schwemmen. Dafür haben wir die Macheteros. Darum sind die Monterias so teuer, und nur Leute mit sehr viel Geld können sie kaufen, weil eine gute Monteria breite und tiefe Abschwemmgräben hat und alle Gräben erforscht und aufnotiert sind, ob sie auch gebraucht werden können. Allein diese Arbeit, alle die Gräben zu erforschen und zu notieren, kostet Monate an Arbeit, und das ist Arbeit, die gemacht werden muss, obgleich sie auch nicht eine Troza Caoba heranschafft.«
»Andreucho, du bist der klügste Muchacho, den ich je in
meinem Leben angetroffen habe«, sagte Vicente bewundernd. »Ich bin sehr froh, dass ich dein Ganan werden durfte.«
»Bin nicht so klug, wie du denkst. Ich mache nur die Augen auf und halte die Ohren offen, wenn andere Leute, die mehr wissen als ich, besonders die Contratistas und die Angestellten, miteinander sprechen. Du musst erst gut Spanisch studieren, dann lernst du besser verstehen, was andere sagen.
Dein indianisches Idioma hilft dir nicht viel im Leben, Nene. Und nun lass uns die Trozas den Callejon entlangschleppen. Hole die Bueys heran und koppele die Kette an das Joch.«
Andres warf den Rest seiner Zigarre ins Feuer, trat das Feuer aus und hing dann die Täschchen, in denen sie ihr Essen verwahrten, wieder an den Baum.
Â
Inzwischen war es nun völlig Tag geworden, aber die Sonne drang nur in dünnen Strähnen und blinzelnd durch das dichte Laub der Bäume. Der starke Morgentau des tropischen Dschungels gab den Bäumen, den Sträuchern und dem Gestrüpp ein Ansehen, als hätte es während der letzten Nachtstunden heftig geregnet. Stießen die Burschen oder die Ochsen gegen einen Strauch oder einen der dünneren Bäume, so fiel das Wasser auf sie herab, dass sie nach wenigen Schritten völlig durchnässt waren.
Obgleich die glühende Sonne hier in der Gasse kaum sichtbar war, begann sie dennoch bereits auf den Kronen der Bäume zu lasten. Die kochende Hitze unter den Bäumen wurde mehr und mehr erstickend und das Atmen für Menschen und Tiere schwerer und schwerer, je höher die Sonne stieg.
Die Burschen befanden sich gleich wie in einem Dampfbad; denn das Wasser, das schwer auf den Blättern der Sträucher ruhte, begann nun zu verdunsten. Die heißfeuchten Dämpfe fanden jedoch keinen Ausweg. Sie stiegen hoch gegen die dichten Kronen der Bäume, in denen sie sich verfingen und hängen blieben und die Luft noch heißer, dicker und erstickender machten.
Die Troza wurde durch die Gasse geschleppt.
Fluchend, auf die Ochsen einschreiend, Vicente fortgesetzt Befehle zurufend, arbeitete Andres.
Dabei erinnerte er sich jeden Tag zehnmal seiner früheren Tätigkeit als Carretero. Auch da wurden die Carretas von Ochsen über elende, felsige, steinige, dann wieder versumpfte und heruntergebrochene Straßen gezogen und gezerrt. Auch dort musste hart gearbeitet werden, um die Carretas in Gang zu halten, sie nicht versinken oder vom Wege abgleiten und in die Abgründe stürzen zu lassen. Dennoch, so hart und quälend jene Arbeit auch zu sein pflegte, verglichen mit dem Abschleppen von Trozas, war das Führen einer Carreta ein Sonntagnachmittagsausflug.
Das, was hier Callejon, Gasse, hieß, hatte mit einem Weg nur das gemeinsam, dass eben Trozas darauf geschleift wurden. Einige Stämme und dichte Sträucher, die ein Hindernis bereiteten, waren abgehackt worden, und das war alles, was zur Verbesserung der Gasse getan werden konnte.
Die Ochsen trotteten, von Vicente ständig mit Schreien oder mit dem Piekstecken angetrieben, gemächlich voran, käuend, zuweilen brummend, mit den Schwänzen um sich schlagend, um die aufkommenden Beißfliegen abzuwehren. Ihre Mäuler streiften dicht über dem Boden; denn nur wenn sie ihre Köpfe sehr tief hielten, konnten sie ihren Nacken die volle Kraft geben, die sie benötigten, um die Troza zu schleppen. Das schwere, rohgearbeitete, lange Joch lag in einem Balken quer über ihren Köpfen. Es war festgeriemt mit Riemen, die durch die in die Hörner gebohrten Löcher gezogen worden waren, und ließ nicht zu, dass der eine seinen Kopf allein und unabhängig vom andern bewegen konnte. Wurde das eine Tier von einem der großen Insekten belästigt und gestochen und schüttelte es schwerfällig den dicken Kopf, so wurde der ganze Balken geschüttelt und das andere Tier genötigt, seinen Kopf in gleicher Weise zu schütteln. Je dichter die Beißfliegen aufkamen, je wilder arbeiteten die geplagten Tiere mit ihren Köpfen, um sich zu wehren. Ihre großen, runden Augen quollen dick aus ihren Höhlen und röteten sich unter den Schmerzen, die sie ertragen mussten. Wie leicht hätte es ein mitleidiger und liebender Gott gehabt, die Qualen dieser unschuldigen, arbeitswilligen Tiere zu verringern oder gar zu beseitigen, wenn es ihm nur gefallen haben würde, keine Beißfliegen zu erzeugen, keine Moskitos, keine Maden, die jede wunde Stelle eines lebenden Tieres anbohrten und sich eingruben, keine so tiefen Moraste entstehen zu lassen, die keiner Kreatur dienten und lediglich parasitischen Insekten aller Arten zum Brutplatz gegeben waren.
Schwärme winzig kleiner Fliegen krochen den Tieren und ihren menschlichen Mitarbeitern in die Ohren und in die Augen. Zecken warteten im Laub der Büsche und ließen sich niederfallen auf Tiere und Menschen, sobald nur das Gebüsch gestreift wurde, und fraßen sich in die Haut, ihre Köpfe tief eingrabend und so fest einkrallend, dass es schmerzte, wenn man sie herauszerrte, und sich entzündete und noch viel mehr schmerzte, wenn beim Herauszerren der Kopf abriss und im Fleisch stecken blieb.
Zwei Stunden nach Sonnenaufgang schon rieselte an Hunderten von Stellen das Blut von den Körpern der Ochsen und der beiden Burschen. Die fingergroßen Beißfliegen des Dschungels saugten in ihrem Hunger nach frischem Blut, den sie so selten nur stillen konnten, nicht nur das Blut, sondern sie waren so wild und hungrig, dass sie sich zum ruhigen Saugen kaum Zeit nahmen, sondern ganze Stücke Fleisch aus dem Körper ihrer Opfer rissen. Und die kleinen Picahuyas, deren Herbeikommen und Stechen weder Tier noch Mensch bemerkte und deren Stich erst fühlbar wurde, wenn das Insekt bereits wieder fortgeflogen war, ließen kleine Blutblasen an Hunderten von Stellen zurück. Diese Blasen reizten eine Woche lang die angestochene Stelle so, dass man sie mit den Nägeln tief aufkratzte, um einige Minuten lang zu hoffen, eine kurze Erlösung von den Qualen gefunden zu haben, obgleich man wusste, dass diese Erlösung trügerisch war und neue und schmerzlichere Juckreize mit Sicherheit folgten.
Eine Carreta zu führen war kaum irgendwelche Arbeit, verglichen mit dem Schleppen einer Troza.
Der Carretero marschierte lachend, schwatzend, pfeifend, singend neben seiner Carreta her. War der Weg trocken und nicht zu schwierig, so setzte er sich sogar in die Carreta und überließ es seinen erfahrenen und geübten Ochsen, sich den besten Weg zu suchen. Dann kam gelegentlich ein Stück Weg, wo Steine weggeräumt werden mussten, wo kräftig in die Speichen gegriffen werden musste, um der Carreta aus dem Morast zu helfen, wo Steine zu suchen und in die Löcher des Weges zu füllen waren, um die hohen Räder nicht versinken oder die Achsen brechen zu lassen.
Eine Troza dagegen, so winzig, so unschuldig, so unbedeutend solch ein Stamm auch neben einer Carreta aussehen mag, verursachte eine Arbeit, so schwer, so anstrengend, so ermüdend, so viel Tricks und gute Kenntnisse verlangend, dass man mit derselben Arbeitsleistung leicht zehn Carretas hätte fahren können, ohne besonderes Missgeschick dabei zu erleiden.
Auf den ersten Blick erschien es ungemein einfach, mit Hilfe zweier kräftiger, gutgenährter Ochsen einen Caobastamm durch den Dschungel zu schleifen. Selbst auf einer trockenen, gepflasterten Straße hätte das schon einige Mühe gekostet. Mehr Mühe kostete es schon auf flacher, trockener Erde, wo keinerlei Hindernisse irgendwelcher Art das Schleppen erschwerten. Aber in einer Dschungelgasse erforderte es alle Anstrengung, die ein Paar starke Ochsen und zwei Männer nur leisten konnten.
Im Handel mit Caoba wurde eine Troza eine Tonne genannt. Caoba ist ungemein hartes und außerordentlich schweres Holz. Dennoch ist eine Troza keine Tonne, keine tausend Kilogramm, nach dem Gewicht gerechnet. Sie kommt schon näher einer Raumtonne, einer Tonelada.
Als Vicente eines Tages Andres fragte, wie schwer wohl so eine frische Troza sei, da sagte Andres, dass nach seiner Schätzung eine Troza wohl ihre vierzehn Arrobas an Gewicht haben könne, so an die hundertundfünfzig oder hundertundsechzig Kilogramm, so ganz genau wisse er das nicht, und das hinge auch davon ab, ob die Troza sehr frisch sei oder trocken. Einen Stamm, der ein solches Gewicht hat, zu handhaben erforderte sicher gute Kräfte. Vier Arrobas galten als eine reichliche Last für ein Tragmule. Und eine Troza Caoba wog so ziemlich viermal soviel, wie einem Mule auf guten Wegen aufgeladen wurde. Nur bei Ladungen, die sehr gut und glatt lagen, wie etwa roher Kaffee in Säcken, und wenn die Tiere nur kurze Strecken zu gehen hatten und auf Wegen, wo kein Morast war und wenig Steigung, konnte man einem Mule zwei Quintales, acht Arrobas, aufladen. Die Ochsen brauchen freilich die Troza nicht auf ihren Rücken zu schleppen, aber ob die Last weniger Mühen verursachte, wenn sie am Boden entlanggeschleift wurde, konnte man allein schon daran beurteilen, dass vier Mules wohl kaum eine Troza hätten fortschleifen können. jedenfalls nicht hier, und zehnmal weniger in jenen Teilen der Gasse, die weiter unten lagen, näher dem Tumbo.
Â
Die Ochsen zerrten an, und die Troza, kam in Bewegung. Eine wichtige Aufgabe für den Boyero war, wie Andres dem Vicente erklärte, darauf zu achten, dass die Kette da, wo sie in die Zughaken geklemmt ist, immer unter der Troza lag. Drehte sich die Troza, so dass die Kette nach oben kam, so musste die Troza beim nächsten Anzerren so gedreht werden, dass die Kette wieder nach unten gelangte. Denn nur wenn die Kette unter dem Chuze lag, hob sich der Chuzo, die Spitze, hoch, andernfalls bohrte er sich in den Grund. Das jedoch war keine leichte Arbeit, die Troza richtig zu wenden. Der Boyero konnte nicht einfach nebenherschlendern wie bei einer Carreta. Unausgesetzt musste die Troza mit dem eisernen Haken, den Andres in der Hand trug, hochgezerrt werden. Die Spitze geriet unter Baumwurzeln, die sich kreuz und quer über die Gasse hinstreckten. Dann musste angehalten werden. Waren die Wurzeln nicht zu dick, dann wurden sie durchgehackt. Waren sie jedoch zu hart und brauchte es zu lange Zeit, um sie abzuhacken, dann mussten die Zughaken ausgebrochen werden. Die Ochsen wurden umgedreht, die Haken am entgegengesetzten Ende der Troza neu eingesetzt, und die Ochsen zogen die Troza nach rückwärts aus dem Wurzelgestrüpp heraus. War das gelungen, dann wurden die Haken abermals herausgezerrt und wieder vorn beim Chuzo eingesetzt, und die Troza wurde hochgezerrt, dass sie nun über die Wurzel hinwegschleppte und ein abermaliges Unterkriechen unter die Wurzel vermieden wurde.
Dann lagen Furchen im Wege, und die Troza musste darübergehoben werden, um zu vermeiden, dass sie sich eingrub. Die Ochsen zogen mit aller Kraft, und war die Spitze nicht in der richtigen halben Sekunde über das Hindernis gehoben, so steckte sie auch gleich einen halben Meter in der Erde. Und wieder mussten die Haken herausgebrochen und erneut am entgegengesetzten Ende angebracht werden. Die Ochsen wurden gedreht, und die Troza wurde abermals rückwärts herausgezogen. Auf hundert Meter Weg konnte das Wenden und Rückwärtsherausholen fünfmal geschehen.
Dann lagen Steine im Weg, Äste, Stämme, in denen sich die Troza verfing, wenn sie schlecht geführt wurde. Und jeder Aufenthalt bedeutete verlorene Zeit und verdoppelte Arbeit.
So war es nicht zu verwundern, dass Andres über und über in Schweiß gebadet war und so keuchte, dass man glaubte, er müsse zusammenbrechen, wenn eine Troza einen Kilometer weit geschleppt war und die Ochsen zurückgeführt wurden, um die nächste Troza einen Kilometer weit zu schleppen. Nur ein geübter und starker Bursche vermochte es zu schaffen, unter tropischer Hitze, eingeschlossen in heißer, feuchter Luft, ohne frischen Windhauch, der Kühle brachte, neben einer Troza herzulaufen, die schwere Last fortgesetzt anzuheben und in richtige Bahnen zu leiten. Durch einen falschen Zug der Ochsen konnte die Troza Andres oder Vicente auf die nackten Füße fallen, und waren die Burschen nicht vorsichtig, so schlug die Troza so heftig gegen ihre Beine, dass sie zerschunden wurden. Auch das geschah zuweilen, und die einzigen Trostworte, die der Verunglückte hörte, waren: »Hättest dich besser vorsehen sollen. Die Tage, an denen du nicht arbeitest, werden dir natürlich nicht angerechnet.
In drei Tagen bist du auf den Beinen, oder wir werden dich vier Stunden henken, um dich zu lehren, auf deine Knochen zu achten. Wir haben für deine Knochen unser gutes Geld bezahlt und lassen uns nicht darum betrügen, verstehst du, du stinkfauler Chamula.«
Manch einer der Boyeros oder der Ochsenjungen, die als Gananes die Ochsen antrieben, brauchte freilich jene gut gemeinten Trostworte nicht zu schlucken. War er unter eine Troza geraten, als sie über harte Wurzeln oder über Gestein und Fels schleppte, so fand man den Jungen oder ebenso häufig den
Boyero, wenn die Ochsen endlich zum Stehen gebracht waren, so zerquetscht und zerrieben, dass nicht viel mehr von ihm übrig war, um darauf Trostworte zu verschwenden. Und hätte ihn El Picaro gar henken wollen, dann wären die Stücke einzeln abgefallen, und was am Strick noch hängen geblieben wäre, würde vielleicht nicht einmal mehr das Begraben wert gewesen sein. Die Seele war längst herausgequetscht, und wenn es ihr gefallen hatte weiterzuleben, so schwebte sie in jenem Augenblick irgendwo herum und war sicher in einer Gegend, wo man faule oder widerspenstige Caobaarbeiter nicht henkte oder peitschte.
»Nun haben wir die letzte halbe Legua mit den Trozas zu machen«, sagte Andres, als er die letzte Troza nahe bei denen, die bereits herangeschleppt worden waren, abkettete. »Die Ochsen müssen jetzt erst einmal verschnaufen. Das gibt uns Gelegenheit, uns einen Augenblick hinzusetzen, eine Zigarre zu drehen und sie zu rauchen.«
Mit der letzten Fahrt wurden stets die Täschchen der Burschen, die Morrales, mitgebracht, um sie in der Nähe zu haben. Die Ochsen waren ebenso vom Schweiß durchnässt wie die beiden Burschen. Sie bewegten ihre Köpfe, die immer noch fest angeriemt waren an dem schweren Jochbalken, der auf ihnen lag, in einem merkwürdigen, gleichen Rhythmus, um ihre Lungen mit Luft voll zu füllen. Ihre Flanken pumpten. Ihre großen Augen schienen noch weiter aus den Höhlen zu quellen. Es war kaum eine Stelle an ihrem Körper, die nicht rot war von herunterrieselndem Blut.
»Die armen Bestias«, sagte Vicente, an die Ochsen dicht herangehend und ihnen einige Beißfliegen, die sich eingebissen hatten, auf dem Rücken breitschlagend. Dickes, frisches Blut spritzte so heftig aus den vollgetrunkenen Insekten heraus, dass es Vicente ins Gesicht schoss.
Â
Hin und wieder hatte es in den reicheren Companien einen Administrador gegeben, der hundertmal sagte: »Las pobres bestias! Die armen, bedauernswerten Tiere!« Und oft war auch ein Bedauern abgefallen für die indianischen Peones und anderen Arbeiter, die hier Gesundheit, Leben und persönliches Glück opferten, damit die Welt Mahagonischränke haben konnte. Jene menschlich fühlenden Verwalter und Direktoren hatten innerhalb der letzten hundert Jahre mehr als einmal versucht, die Leiden der Arbeiter und der Ochsen zu lindern. Mancher der Administradores konnte sich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft mit dem, was er hier sah, so wenig abfinden, dass er sich sofort hinsetzte und einen langen Brief an seine Company schrieb, darin erklärend, dass er es nicht ertragen könne, solche Leiden zu sehen, und dass die Company einen anderen Mann schicken oder Änderung schaffen solle. Der Postreiter ritt aber nicht am selben Tage ab, sondern erst nach fünf Wochen. Inzwischen hatte sich der neuangekommene Administrador an alles gewöhnt, was er hier sah und erlebte. Er las seinen Bericht nochmals durch, begriff nicht, wie er ihn überhaupt je hatte schreiben können, und zerriss ihn. Denn er selbst hatte inzwischen gelernt, wenn auch in geringerem Umfange, dieselben Leiden zu erdulden, die alle übrigen Leute hier erdulden mussten. Er wurde von Beißfliegen, Zecken, Moskitos gepeinigt wie alle anderen. Er hatte zu den Camps zu reiten, blieb mit seinem Mule stecken, musste ihm helfen, aus dem Morast zu kommen, erreichte vielleicht das Camp nicht vor der Nacht weil er sich im Wege geirrt hatte, und musste die Nacht im Dschungel verbringen, an der Stelle, wo er sich befand, als die Nacht hereinbrach. Dann kamen energische Briefe von der Company, die ihn verantwortlich machte für eine geregelte und volle Lieferung. So vergingen kaum drei Monate, und der Administrador bemerkte schon nicht mehr auch nur eines der Leiden, die er während der ersten Tage seiner Tätigkeit nicht ansehen zu können glaubte, ohne seinen Verstand zu verlieren.
Jeder neue Administrador fühlte in den ersten Wochen nach seiner Ankunft den ernsten Wunsch, die Leiden und Qualen von Mensch und Tier zu verringern. Dieser Wunsch hatte seine Ursache seltener in Menschen- oder Tierliebe, sondern er wuchs viel häufiger aus dem Bestreben heraus, die Lieferungen zu erhöhen. Der Administrador sagte sich, je leichter er die Arbeit für die Leute mache, um so mehr könnten sie schaffen. Und jeder neue Verwalter kam mit einem neuen System, das er zu versuchen gedachte und von dem er behauptete, es sei unfehlbar.
Einer war gekommen und hatte die herrliche Idee gehabt, eine Art von Wagen zu bauen, der auf starken, breiten, sehr niedrigen Rädern lief, die mehr Rollen als Räder waren. Er dachte sich, dass man mit Hilfe dieses Wägelchens die Trozas abschleppen könne, und dass es sogar möglich sei, auf sehr trockenen Gassen gleich drei oder vier Trozas auf einmal zu befördern.
Die Idee war vortrefflich in der Theorie. Als sie aber ausgeführt werden sollte, stellte sich heraus, dass die Boyeros in einer Woche mit Hilfe der Wägelchen nur weniger als ein Drittel schaffen konnten von dem, was sie nach der früheren, scheinbar schwerfälligeren Methode leisteten. Die Wägelchen rammten sich tiefer und hoffnungsloser in den Morast als die einzelnen Trozas. Wenn ein Wägelchen erst einmal unter starke Wurzeln geraten war, so kostete es unendliche Mühe, es wieder herauszuhaken, ohne dass es dabei in die Brüche ging.
Ein anderer Verwalter hatte die gute und auch sehr richtige Idee, dass man Lokomobilen aufstellen und mit Hilfe von starken Drahtseilen die Trozas dann heranzerren könnte. Aber als er in der Monteria angelangt war und die Wege, auf denen er geritten kam, kennen gelernt und erlebt hatte, wie oft und wie tief er mit seinem Mule im zähen Dschungellehm und in den Morästen stecken blieb, wie oft er absteigen musste und wie viele
Kilometer er zu Fuß gehen musste, weil das Mule mit seiner Last auf dem Rücken bis zum Sattel einsank, da wusste er, dass seine Idee undurchführbar sei, denn eine Lokomobile konnte auf solchen Wegen selbst nicht einmal in Teilen hier hertransportiert werden. Und wie viele Pferdekräfte eine solche Lokomobile haben müsste, um Trozas an Seilen über Wurzeln und durch Moräste zu schleppen, hatte er vergessen auszurechnen.
Wieder ein anderer wunderte sich, warum nicht frühere Administradoren auf die einfache Idee gekommen seien, mit Motorbooten den Hauptstrom und dann die Seitenflüsse hinaufzufahren und Maschinen auf diesen Booten herzubringen. Auch diese Idee sah gut aus in San Juan Bautista, der Stadt, die vom Hafen aus auf Motorbooten erreicht wurde. Aber als er einmal in der Monteria war und mit sehr geschickten und erfahrenen Cayuqueros in Canoes Teile des Stromes und der Flüsse abgefahren hatte, wusste er, dass ein Motorboot nur hier herkommen könne, wenn es ein Flugboot sei, und selbst ein solches Boot würde Schwierigkeiten gehabt haben, den Weg zu machen, ohne ständig Gefahr zu laufen, verloren zu gehen.
Würden die Caobas so schnell wachsen, wie in einer Fabrik Automobile erzeugt werden können, dann würde es sich lohnen, Eisenbahnen und Automobilstraßen zu bauen. Wenn aber die Eisenbahn nicht ganz dicht an der Stelle vorbeiführt, wo die Caoba geschlagen wird, dann kommt es auf dasselbe heraus; denn dann muss eben, wie früher auch und wie seit Hunderten von Jahren, die Troza mit Ochsen dicht bis an die Bahn geschleppt werden, und der Weg, den die Troza geschleppt wird, bleibt der gleiche, der er heute ist, morastig, felsig, bergig, überquert von Tausenden von starken und schwachen Wurzeln, die widerstandsfähig sind wie Drahtseile. Denn nur dort, wo alle Voraussetzungen für solche Wege sich finden, sind auch die Bedingungen anzutreffen, unter denen Caoba wachsen kann.
Welche Vorschläge auch in Büros gemacht, welche Ideen auch vorgebracht wurden, es stellte sich immer heraus, dass die
Methode, nach der die Trozas gegenwärtig geschlagen, abgeschleppt und abgeschwemmt werden, die einzige ist, mit deren Hilfe Caoba erzeugt und der Welt zugänglich gemacht werden kann.
Alle Schwierigkeiten, alle Leiden, ja selbst die Mehrzahl scheinbar unnötiger Grausamkeiten, fanden ihre Begründung in Verhältnissen, gegen die der Mensch offenbar machtlos ist. Ein anderes Wirtschaftssystem würde wahrscheinlich unter solchen Umständen auf Mahagoniholz völlig verzichten oder versuchen, die Caoba in besonderen Pflanzungen zu erzeugen, so gut organisiert, dass jede Troza dicht bei der asphaltierten Automobilstraße wächst und mit einem Motorkran auf das Lastauto gehoben wird. Dann würde wahrscheinlich eine Tonne Caoba zehntausend Dollar kosten; aber wenigstens würden dann keine Indianer mehr ihrer Schulden wegen in die Sklaverei verkauft, nicht mehr erbarmungslos gepeitscht und mitleidlos gehenkt werden. Es kann ja auch kein Krieg geführt werden, ohne dass man Menschen versklavt, uniformiert und sie zu stummen, widerstandsunfähigen Objekten idiotischer oder brutaler Vorgesetzter herabwürdigt. Man kann keinen Krieg haben und Freiheit zugleich; wie man auch keine Caoba haben kann und gleichzeitig Menschlichkeit und Erbarmen gegen Mensch und Tier im Dschungel. Denn selbst wenn die Contratistas und die Capataces sich wie Heilige gegenüber den Indianern gebärden würden, dann blieben immer noch die Beißfliegen, die Moskitos, die Zecken, die Moräste, die Wurzeln, die Tiger, die Schlangen, die mitleidlose Glut der tropischen Sonne. Und es ist sicher anzunehmen, dass die Beißfliegen, die Moskitos, die Moräste, die stählernen Wurzeln und die tropische Hitze eine wichtige Aufgabe hinsichtlich des Wachstums der Caoba zu erfüllen haben. Keines ohne das andere.
Â
Aus ihren Kürbisflaschen schütteten Andres und Vicente Wasser in ihre Trinkschalen. Dann kniff jeder ein Stück von seinem Posol ab, der in dicke, grüne Blätter eingewickelt war und sich in diesen Blättern frisch hielt.
Das Stück Posol wurde in dem Wasser in den Jicaritas geknetet und dann aufgelöst, so dass dieses Wasser ein Aussehen erhielt, als wäre es ein gelblichweißer Brei. Dieser Brei wurde dann noch gut mit den Fingern verrührt, um auch das letzte Restchen des Teiges aufzulösen.
Nun schoben die Burschen eine Prise grobes Salz in den Mund und tranken den Brei in kleinen Schlucken und mit Ruhe und Wohlbehagen.
Sie saßen auf einer Troza. Nichts weiter trugen sie als zerlumpte weiße Baumwollhosen, aufgekrempt bis nahe den Hüften. Ihr bronzefarbener Oberkörper war nackt. Ihre Füße ohne Sandalen.
Da sie oft in Dornen traten und ihnen Sandalen, so genannte Huaraches, nützlich gewesen wären, insbesondere auch als Schutz gegen Skorpione, so war das Tragen der Sandalen nicht nur zu teuer für sie, sondern auch viel zu umständlich. Wenn sie einmal bis an die Hüften in dem zähen Urwaldschlamm steckten und versuchten, den sandalenbekleideten Fuß herauszuziehen, so riss das wenige Riemenzeug, mit dem der Huarache am Fuß gehalten wurde, ab, und die Sandale blieb tief im Morast stecken.
Das Ausgraben kostete Zeit und war nicht selten ergebnislos. Der Morast fiel wie dicke Suppe in sich zusammen; sobald das Bein herausgezogen war, schloss er sich zähe, und die Sandale konnte nicht gefunden werden.
War einmal der Fuß herausgezogen, so war die Stelle, wo er gesteckt hatte, nicht mehr genau zu finden, und die Sandale mochte gut einen halben Meter weiter stecken als da, wo der Mann nach ihr suchte. So war es das beste, einfach nichts an den Füßen zu haben.
Obgleich die Muchachos nun schon eine Weile stillsaßen und mit Andacht ihren Posol schlürften, keuchten sie noch immer heftig von der Anstrengung ihrer Arbeit. Ihre Hände und Beine zitterten, und zuweilen öffneten sie ihren Mund lächerlich weit, um Luft zu bekommen. Ihr Haar war nass vom Schweiß, und ihre Hosen sahen aus wie aus dem Wasser gezogene Lumpen.
»Habt ihr auf eurer Finca auch Posol?« fragte Andres.
»Natürlich«, antwortete Vicente. »Aber wir nehmen nur Posol mit, wenn wir zum Markte gehen oder den ganzen Tag in den Feldern arbeiten und erst spät am Abend heimkommen.«
»Posol ist eine sehr gute Sache, Nene. Hier mehr als in der Finca. Als ich mit den Carretas war, da hatten wir nie Posol. In jener Gegend kennt man ihn nicht. Häufig marschierten wir des Nachts und schliefen bei Tage. Nachts wird man weniger durstig als am Tage. Und ich will dir auch hier gleich sagen, Nene, trink nicht so viel Wasser. Du hast beinahe an jedem Graben getrunken. In vielen der Pfuhle ist Fieber drin. Böses Fieber. Das Wasser im Campo ist besser. Aber wo du es nicht kennst, sei vorsichtig. Ein Magen, voll gepumpt mit Wasser, ist gefährlich. Posol, in Wasser aufgeweicht, ist weniger gefährlich. Du löschst deinen Durst mit Posol besser als mit Wasser. Der Posol nimmt einen großen Platz in deinem Magen ein, und du hast weniger Verlangen, den ganzen Magen mit Wasser voll zu pumpen. Wenn du keinen Posol hast, dann spüle dir den Mund nur mit Wasser aus, aber trinke es nicht in Mengen. Und immer etwas Salz mit hinunterschlucken. Weißt du, Nene, in den Monaten, die ich hier nun arbeite, haben wir allein von unserm Camp acht eingegraben, die am Paludismo verreckten. Das geht wie Schweinefucken, weißt du. Du schüttelst dich plötzlich, dann wird dir furchtbar heiß und gleich darauf eiskalt, und das geht so mehrere Male. Dann redest du eine Unmasse von blödem Gesapper und fürchtest dich vor - der Teufel allein weiß, was du in deinem Fieberwahn sehen magst, aber es ist grässlich. Dann krümmst du dich und schlägst um dich. Und auf einmal bist du weg, wie eine breitgeklatschte Fliege. Und dann graben sie dich ein. Da, ein Kilometer weit hinter der Oficina, wo El Picaro mit dem Lausehund, dem El Gusano, haust, da ist der Campo Santo, der Begräbnisplatz. Die wilden Schweine kommen in der Nacht, wühlen die Gräber auf und fressen die Kadaver. Da sind ein paar Kreuze, aber es ist keine Seele darunter, unter den Kreuzen. Die Schweine lassen nichts da liegen.«
Vicente riss seine großen Kinderaugen weit auf, als Andres alles das erzählte. Dann aber lachte er:
»Du machst dich nur lustig über mich und willst mich nur aufziehen.«
»Gar nichts zum Lustigmachen«, sagte Andres ernst. »Es ist so, wie ich dir sage. Und wenn du nicht von den Schweinen gefressen werden willst, dann trinke besser nicht so viel Wasser. Und wenn du trinken musst, dann nur mit Posol und Salz.«
Vicente hatte Laub von den Bäumen geschlagen und es den Ochsen vorgeworfen, die es mit gleichem Wohlbehagen genossen wie die beiden Boyeros ihren Posol. Dann rauchten die beiden eine kurze, dicke Zigarre.
»Und nun weiter, damit wir die Trozas endlich alle weghaben. Am Mittag ist El Gusano beim Tumbo, um zu sehen, ob wir alle da haben. Dann inspiziert er die Trozas, ob die Muchachos auch die richtigen Marken eingeschlagen haben, damit die Montellanos ihr Holz kennen, wenn es im Hafen ankommt. Die sehen jetzt sehr darauf, El Picaro und El Gusano, dass sie ihre eigene Marke mit drin haben in jeder Troza, damit die Montellanos sie ihnen anrechnen können. Weißt du, sie bekommen Prämien für jede Troza. Wenn sie eine Troza erwischen, bei der der Muchacho, der sie schlug, vergessen hat, ihre Marke mit einzuhacken, darin geben sie ihm fünfzig drauf, weil das ihr Geld ist.
Die Cabrones, die gottverfluchten. Los, zerr die Ochsen heran!«
Â
Die Troza war angekettet, und die Fahrt begann.
»Lass mich einmal deine Arbeit versuchen, Andresito«, sagte Vicente.
»Gerne. Ich mache deine Arbeit mit Vergnügen.«
Andres ging vor den Köpfen der Ochsen und ein wenig zur rechten Seite.
Vicente ergriff den Haken und begann, die Troza zu führen.
Die Fahrt ging nur zehn Meter weit, dann saß der Chuso der Troza unter einer Wurzel, und die Ochsen standen wie festgemauert.
»Ja, Nene, du musst eben aufpassen! Verflucht aufpassen musst du, dass die Spitze der Troza nicht in die Erde fährt und nicht unter eine Wurzel. Dafür hast du ja deinen Haken, dass du die Troza richtig führst und gut anhebst, ehe sie sich festrennt.«
»Das tat ich doch auch, aber die Troza ist zu schwer. Die kann ich nicht allein anheben und nicht einmal drehen, damit die Kette nicht nach oben kommt und der Chuso zu tief fällt.«
Andres lachte. »Das wollte ich nur wissen und sehen, du kleiner Säugling. El Gusano hat mir heute morgen gesagt, dass ich dich eine Woche anlernen soll, und dann sollst du selbständiger Boyero sein mit einem Jungen, den er von den Oficinas bekommen wird. Das wusste ich ja vorher, dass du zu schwach bist eine Troza anzuheben. Und wenn du sie nicht fortgesetzt anheben und verhindern kannst, dass die Spitze sich im Grund oder im Schlamm oder unter querliegenden Wurzeln festzerrt, dann bringst du keine einzige Troza auch nur einen halben Kilometer weit.«
Vicente nickte und blickte Andres verwundert an. »Ich wusste nicht, Andresito, dass du so verflucht stark bist.«
»Ich bin auch mal so schwach und wacklig auf den Beinen gewesen wie du, Nene, aber das ist nun schon eine gute Weile her, als ich in Tenejapa im Laden helfen musste. Mach dich nur wieder an die Ochsen, und ich werde die Trozas führen. El Gusano wird ja sicher Gift schnaufen, wenn ich ihm sage, dass du innerhalb der nächsten sechs, vielleicht zehn Monate kein Boyero sein kannst, auch wenn er dich jeden Abend zwei Stunden lang henken lässt um dich mürbe zu kriegen.«
Die Trozas wurden nun eine nach der anderen bis zum Arroyo Ciego geschleppt dem Blinden Graben.
Â
Als die beiden Muchachos mit der ersten Troza ankamen, sahen sie, dass vor ihnen andere Boyeros hier gewesen waren und ihre Trozas am Rande des Grabens abgeladen hatten. An dieser Stelle vereinigten sich nun mehrere Boyeros, die aus den verschiedenen Richtungen Trozas heranschleppten.
Der fernere Weg bis zum Tumbo wurde so schwierig, dass alle Gespanne von hier aus gemeinsam arbeiten mussten. Nicht genug damit, es wurden vom Campo noch einige Ochsenpaare mehr hierher geschickt, wie El Gusano dem Andres am Morgen versprochen hatte.
Die beiden Muchachos trieben die Ochsen leer zurück, um die nächste Troza heranzuführen.
»Warum heißt denn der Graben Arroyo Ciego, Andres?« fragte Vicente. »Ein Graben kann doch nicht gut blind sein«, setzte er hinzu, lachend, nach der Art der Jungen, die sich nicht sicher fühlen, ob sie soeben von einem Älteren angelogen wurden oder ob es vielleicht in Wahrheit doch so sein könne, wie der Ältere und Erfahrenere gesagt hat.
»Dieser Arroyo«, erklärte Andres, während die beiden nebeneinanderher schlenderten und die vor ihnen marschierenden Ochsen vorwärts trieben, »dieser Graben hat eine recht niedliche Geschichte mit viel Humor. Es ist eine lustige Geschichte für den, dessen Geld es nicht kostete. Du hast vielleicht gesehen, dass der Graben in der Richtung zum Fluss abfällt. Wenn wir Regenzeit haben, dann strömt das Wasser in diesem Arroyo in den Fluss, und wenn wir dann hier die Trozas aufschichten und die Strömungen beginnen und der Graben voll Wasser ist, dann lässt sich von hier sehr gut schwemmen.
Als im vorigen Jahr hier geschlagen wurde, nur weiter oben an diesem selben Arroyo, da ging Don Remigio diesem Graben nach. Er ging aber nicht bis zum Ende, weil er ja sehen konnte, dass der Graben in den Fluss einmündete.
So wurden an diesem Graben, etwa fünf Kilometer weiter oben, ungefähr zweihundert Tonnen Caoba aufgeschichtet, fertig zum Abschwemmen. Die Regenzeit kam, das Hochwasser füllte den Arroyo, und die Muchachos schoben lustig und vergnügt die Trozas in den Arroyo. Die Trozas schwammen wunderschön von dannen, ohne viel Arbeit zu machen mit Klarschieben. Aber an der Hauptkontrollstelle des Stromes, an den Oficinas, wo die Trozas aufgefangen werden zur Buchung und Verrechnung, da fehlten die zweihundert Tonnen, von denen Don Remigio genau wusste, dass sie abgeschwemmt worden waren. Er hatte seine Marke in allen Trozas, und ihm fehlten zweihundert Tonnen.
Die Trozas mussten gesucht werden. Es war für Don Remigio und die Muchachos keine leichte Arbeit, den ganzen Graben entlangzuwandern. Jeder Schritt musste aus dem Dschungel herausgehauen werden, um den Graben genau verfolgen zu können. Und was denkst du dir, was geschehen war?«
»Das kann ich nicht erraten«, sagte Vicente.
»Sicher nicht, Nene. Die Trozas wurden alle in einem Sumpf gefunden. Der Arroyo machte auf seinem Wege eine Schwenkung, oder besser, er gabelte sich. Die Hauptfurche lief in den Sumpf, und eine Nebenfurche, die nicht tief genug war, dass Trozas in ihr schwemmen konnten, lief weiter und wahrscheinlich zum Fluss. Diese zweihundert Trozas aus dem Sumpf zu fischen, das hat Don Remigio genug Arbeit gekostet. Er musste Balsas, Flöße, bauen lassen, auf denen die Muchachos die Trozas im Sumpf erreichen und fischen konnten. Celso sagte mir, dass kaum hundert Tonnen gefischt werden konnten, die übrigen stecken noch drin und sind verloren. Der Graben ist blind, wie du siehst ich meine, er hat keine Abfahrt zum Fluss, obgleich er den Anschein erweckt, dass er richtig abläuft. Aber das ist nicht unsere Sorge. Unsere Sorge wirst du kennen lernen, wenn wir alle Trozas vor dem Blinden Graben haben und auf die andere Seite hinüberschleppen müssen, denn der Hauptgraben, der zum Fluss führt, ist noch eine halbe Legua weiter auf der anderen Seite des Blinden.«
Â
Ein und eine halbe Stunde später hatten alle Boyeros ihre
Trozas am Blinden Graben. Es war nun ihre Aufgabe, die
Trozas auf die andere Seite zu schleppen. Sie machten sich sofort an die Arbeit.
Sie suchten die Stelle des Grabens, wo das beste Gefälle war. Hier stiegen einige Muchachos hinunter und hackten alles Gebüsch und Gesträuch weg, das den fallenden Trozas hätte hinderlich sein können. Der Arroyo hatte eine Tiefe von etwa zwanzig Metern. Die Wände fielen ziemlich steil ab.
Die Breite war vielleicht zwölf Meter.
Als die eine Wand von Gestrüpp gereinigt war, gingen die Burschen über die zweite Wand her.
Inzwischen waren andere tätig, die Ochsengespanne mit Ketten aneinanderzukoppeln. Es wurden zwölf Gespanne zu einem Zug zusammengekettet.
Auf dem Grunde des Grabens war das Gestrüpp am dichtesten. Eulalio, einer der Boyeros, stand bis über die Brust in diesem Gestrüpp und hackte rechts und links mit dem Machete, um den Graben zu säubern. Der Boden war angefüllt mit Steingeröll, das teils von oben heruntergefallen und teils im Laufe der Zeit angeschwemmt war. Andres arbeitete mit seinem Machete einige Meter höher an der gegenüberliegenden Wand und hackte hier das Gestrüpp weg Die Gananas, die jungen der Boyeros, schafften das abgehackte Gestrüpp zur Seite, um den Graben völlig rein zu haben. Andres richtete sich für einen Augenblick auf, um sich den Schweiß, der ihm in die Augen lief, abzuschütteln. Er rief Vicente an: »He, Nene, das Gestrüpp musst du schon einige Schritt weiterschleppen, sonst kommt es uns in den Weg, wenn wir die Trozas 'runtergleiten lassen.« Als er das sagte, folgte er mit den Augen Vicente, und dabei fiel sein Blick auf Eulalio, der im Grunde das Gebüsch hackte und gerade jetzt die Steine freigelegt hatte.
Er wollte sich soeben seiner eigenen Arbeit zuwenden, als er wie zufällig noch einmal auf das Steingeröll am Grunde blickte. Und gleichzeitig schrie er laut auf: »Una culebra, Eulalio!«
Eulalio hatte das drohende, merkwürdige Ratteln der Schlange wohl gehört, aber einige Sekunden lang nahm er dieses unzweideutige Geräusch in seinem Bewusstsein nicht ganz auf, weil er meinte, er irre sich und das Geräusch könnte vielleicht von den Muchachos herkommen, die mit den Ochsengespannen wirtschafteten und dort mit Ketten und Geschirren rasselten und rattelten. Als Andres jedoch schrie: »Una culebra!«, da sprang Eulalio instinktiv zurück. Aber er stolperte gegen einen Strunk, der von dem abgehackten Gestrüpp stehen geblieben war, und den letzten Halt, den er vielleicht noch hätte gewinnen können, verlor er, als er auf lose Steine trat, die nachgaben und ihn zu Fall brachten. Dadurch streckte er gegen seinen Willen den nackten Fuß der Schlange entgegen, die, durch das Zerstören ihres Heimes aufs höchste erbost, ihren Körper halb aufgerichtet und in der Sekunde, als Andres sie von seinem erhöhten Standplatz aus sah, angesetzt hatte, um, einem Peitschenhieb gleich, auf Eulalio loszuflitschen. Ihr weitgeöffneter Fang würde wahrscheinlich beim ersten Aushieb nur auf Eulahos hochgekrempelte Hose zugeschlagen haben, und da die Hose nahe den Hüften genügend wulstig war, würde wahrscheinlich der Fang nur die Hose aufgerissen haben, ohne den Körper zu verletzen, und Eulalio hätte genügend Raum gewinnen können, um weiter zurückzuspringen. Nun aber, da er gefallen war und der Schlange auch noch seinen Fuß so weit entgegenstreckte, dass er einen Viertelmeter vom Fang der Klapperschlange entfernt war, und diese, ihrem Instinkt folgend, den ausgestreckten Fuß als eine Waffe ansah, die gegen sie gerichtet war, schlug sie mit voller Wut und all ihrer Kraft ihren Fang gleich zweimal tief in das Bein des Eulalio, am unteren Teil der Wade, im zweiten
Schlag auch noch eine oder gar zwei Sekunden im Fleisch hängen bleibend. Nachdem die Schlange ihren Aushieb getan hatte, wendete sie sich und fuhr mit der Raschheit und der Sicherheit eines Pfeils in das geschlagene Gestrüpp am Boden des Grabens, in der Richtung, wo Vicente das Gestrüpp forträumte.
»Nene, una culebra!« schrie Andres, den Jungen warnend.
Vicente hatte aber den ersten Ruf gehört, den Andres Eulalio zuschreien konnte. Darum war Vicente bereits auf halber, Höhe der Grabenwand, als die Schlange dort anlangte, wo er beschäftigt gewesen war, das Gestrüpp beiseite zu schieben.
Die Burschen, die oben am Rande des Grabens mit den Ochsen wirtschafteten, hatten das Schreien des Andres ebenfalls vernommen und kamen nun mit den Machetes herbei, um die Schlange zu fangen. Es waren viele unter ihnen, die Schlangenfleisch als guten Leckerbissen willkommen hießen, um so mehr, als die Kost, die ihnen der Koch verabreichte, so dürftig war und so wenig abwechslungsreich, dass jede Zugabe, die Fleisch war oder als Fleisch betrachtet werden durfte, eine Bereicherung bedeutete. Als junge und unglaublich hart arbeitende Menschen waren sie immer hungrig, und irgend etwas, was ihre Mahlzeiten fetter machen konnte, war gleich einer unerwarteten Gabe des Himmels. Sie gingen so weit, getrieben von ihrem Hunger nach vollwertiger Nahrung, dass sie, wenn ihnen am Nachmittag Zeit blieb und sie während ihrer Arbeit die Entdeckung eines reichen Ameisenhaufens gemacht hatten, den Ameisenhaufen ausgruben, die Ameisen trockneten und dann, einige Tage darauf, in Fett rösteten, um sie, mit Chile reichlich gewürzt und in heiße Tortillas eingewickelt mit höchstem Genuss zu essen. Gelegentlich in Fett geröstete dicke Ameisen zu haben ist auf alle Fälle besser und zuträglicher, als tagaus, tagein und zu jeder Mahlzeit nur Tortillas und schwarze Bohnen mit grünen Pfefferschoten essen zu müssen.
So rasch aber auch die Burschen hinter der Schlange her waren, sie kannte ihre Umgebung besser.
Oben und außerhalb des Grabens wäre sie den Burschen nicht entwischt. Aber sie war schwer zu fangen in dem tiefen Arroyo, der dicht bewachsen war mit dornigem, tropischem Gebüsch, dessen Boden angefüllt war mit losem Steingeröll, in dessen Wänden nach allen Richtungen hin Löcher, Gänge und kleine Höhlen gegraben worden waren von allen möglichen Tieren, die in diesem Gestrüpp lebten. War die Schlange hier erst einmal entwischt, dann war es aussichtslos, sie weiter zu verfolgen.
»Verflucht«, rief Cirilo, »sie war ein mächtiges Luder, das muss ich schon sagen. Ich wette, sie hatte nahe zwei Meter, und sie war sicher so dick wie mein Arm. Schade, dass wir sie nicht kriegen konnten.
Was die heute Abend einen guten Braten gegeben hätte! Schlangensteaks. Es ist wirklich zum Weinen.«
»Ich würde nie auch nur einen Bissen von einer Schlange anrühren, auch wenn ich verhungern sollte«, sagte Sixto, sich schüttelnd. »Ich lasse mir einen guten Braten von einer großen Eidechse wohl gefallen, einer fetten Iguana. Das ist das Richtige. Fleisch, so zart und schmackhaft und noch besser als das eines jungen Zickleins. Aber eine Schlange essen? Ich sicher nicht.«
»Dann weißt du eben nicht, was gut schmeckt auf dieser Erde«, berichtigte ihn Cirilo. »Wie kann ein Christ denn eine Iguana essen? Iguanas sind giftig, weißt du das nicht?«
»Wir haben daheim genug gegessen, und niemand ist je daran gestorben, das kann ich dir nur sagen.«
Sie kehrten zurück zu ihrer Arbeit.
Eulalio war nach seinem Fall rasch aufgesprungen gleichfalls hinter der Schlange hergerannt. Auch er ging zurück und setzte seine Arbeit, den Graben von Gestrüpp zu lichten, fort. Andres stand am Rande des Grabens und rief Eulalio zu: »Ich glaubte, sie hätte dir eins ausgewischt, es sah ganz so aus.«
»Nichts zu machen, ich war ihr zu rasch fort mit dem Bein«, antwortete Eulalio.
Â
Der Graben war gereinigt, und die Burschen stiegen die Trozas auf dieser Seite hinunter, bis alle im Graben aufgehäuft waren. Dann wurde die oberste Troza angehakt, und die Ochsen begannen, sie auf das gegenüberliegende Ufer hinaufzuziehen. Mit weniger als zehn Gespannen wäre sie kaum hochgekommen.
Während die Burschen hier noch arbeiteten, kamen weitere Gespanne, die gleichfalls Trozas bis hierher geschleppt hatten, zur Hilfe, und nun war das gesamte Campamento, das volle Arbeitskommando der Boyeros, versammelt. Jedes Gespann hatte seinen besonderen Jungen. Die erfahrenen Boyeros klebten an der steilen Grabenwand, die Troza hin und her hakend und schiebend, damit sie sich nicht zu tief in die weiche Wand bohren sollte, während sie hinaufgezogen wurde. Nach dem Transport einiger Trozas aber war die Wand völlig aufgerissen, und mit jeder weiteren Troza kostete es mehr Anstrengung, die Stämme hochzuzerren.
Es wurde versucht, sie quer zu nehmen und an jedem Ende gleichzeitig anzuhaken. Aber dann ergaben sich neue Schwierigkeiten. Der Stamm schleppte nun in der ganzen Breite über die aufgerissene weiche Grabenwand, und die Last wurde zu schwer, so dass die Ochsen sie nicht mehr zu ziehen vermochten. Die Burschen ketteten wieder los und zerrten die Troza wie gewöhnlich mit der Spitze voran hoch. Ein langer Ast wurde unter die Spitze geschoben, und an jeder Seite kletterten vier Burschen hoch, die den Ast gleichzeitig emporhoben, um die Spitze nicht in die Wand einrennen zu lassen. Bei jedem Anziehen der Gespanne jedoch verloren die Burschen ihren Halt an der Wand, fielen mit ihrem Ast hinunter auf den Boden und mussten aufs neue hinaufklettern, um mit dem nächsten Anziehen die Troza einen Meter weit hochzuschaffen.
Es war nach einem solchen Herunterfallen, als Eulalio zu Andres sagte: »Ich kriege keine Luft mehr, Andreucho. Der Graben ist so stickig.« Er kletterte auf allen vieren an der Wand hinauf und stellte sich oben gegen einen Baum, wo er mit weitgeöffnetem Mund nach Luft schnappte.
Nach einer Weile schien es ihm, als habe er sich erholt, und weil er die Burschen sich mit einer neuen Troza so abquälen sah, gedachte er wieder in den Graben hinunterzusteigen, um ihnen zu helfen. Aber als er das Bein bewegen wollte, fühlte er in der Wade ein Kribbeln, und dann war es ihm, als schliefen ihm die Zehen ein. Dieses Gefühl ging rasch vorüber. Er machte eine zweite Anstrengung, den Graben hinunterzuklettern, als er nun einen heftigen Schmerz in der Wade fühlte. Er empfand den Schmerz wie ein Stechen und gleichzeitig wie ein Zusammenpressen,  unterbrochen von einem Rucken und
Stoßen.
Wieder versuchte er aufzutreten, und abermals fühlte er, dass er keinen sicheren Stand auf seinem Fuße habe. Er setzte sich. auf den Boden und bemerkte, dass aus der Wade Blut quoll, das ihm sehr dunkel erschien. Er besah sich die Wunde und rief Andres an, der, oben am Rande des Grabens angekommen, mit seinem Haken die Troza, die heraufgeschleppt war, herumzuziehen versuchte, während die übrigen Burschen von unten aus die Troza nachschoben, um den Ochsen zu helfen, sie über den Rand zu zerren.
»Ich habe mich beim Fallen an einem Dorn gerissen« sagte Eulalio zu Andres. »Vielleicht war der Dorn giftig. Oder es war ein Splinter von einem Chechen. Oder eine Fliege hat mich gestochen. Und es scheint, sie war giftig. Hier fühlt es sich hart und geschwollen an.«
»Lass sehen, Lalio«, sagte Andres, bei ihm niederkniend. Er sah sich die Wunde genauer an. Dann ließ er Eulalios Bein zurückfallen. Sein Gesicht hatte einen erschrockenen Ausdruck.
»Du, Lalio, das ist, gottverflucht noch mal, sehr böse. Ich glaubte, sie hätte vorbeigeschlagen. Aber sie hat dich gekriegt. Und ordentlich. Hier sind die Fänge drin. Ganz deutlich zu sehen. Das sind keine Beißfliegen und auch keine Dornen.«
Die Muchachos standen oben am Grabenrand, um Atem zu schöpfen, während die Ochsenjungen den Zug der Gespanne wieder zurückzerrten, um die nächste Troza heraufzuziehen.
Â
»He, Muchachos!« rief Andres. »Her mit euch! Ein Feuer angezündet. Das gottverfluchte Luder von einer Chingada Culebra hat den Lalio geschnappt. Vicente, lass mich mal deinen Rachen ansehen.«
Vicente kam willig herbei und sperrte seinen Mund weit auf. Andres besah sich die Lippen des Jungen und fragte dann: »Hat dich ein Mosco gestochen, oder hast du einen Riss im Maul?«
»No, Andres.«
»Gut, dann lege dich hier mal neben dem Bein des Eulalio hin, sauge ihm das Blut aus den Punkten. Aber mit aller Kraft.«
Ohne zu fragen und ohne zu denken, tat Vicente, wie ihm sein Maestro befahl.
Andres nahm seinen Machete und kratzte die Spitze an einem Stein scharf. »Spuck das aus, was du jetzt in deinem Munde hast, Nene. Du hast doch das ausgesaugte Blut nicht etwa hinuntergeschluckt?«
»So dumm bin ich doch nicht.« Vicente lachte. »Außerdem habe ich das schon zweimal auf unserer Finca getan, als Jungens von einer Cascabel gebissen wurden. Aber nur einer ist durchgekommen, der andere ist daran gestorben.« - Andres kniete neben Eulalio nieder und schnitt mit der Spitze seines Machete die Wade so weit auf, dass die sich gegenüberliegenden Punkte des Bisses in eine Wunde kamen. Dann kreuzte er noch mit einem heftigen Schnitt quer darüber hin, um die Wunde weit zu öffnen. Er rief einen anderen Jungen herbei, besah sich seinen Mund und hieß ihn, die nun sehr vergrößerte Wunde noch weiter auszusaugen. Inzwischen brannte ein Feuer, und die Muchachos, wissend, wie der Biss einer Culebra de Cascabel behandelt werden muss, hatten zwei Machetes im Feuer. Als die Machetes glühend waren, brannte sie Andres in die Wunde.
Dann schnitt er die Wunde noch weiter auf, glühte sie abermals aus, und darauf rieb er glühende Kohlenstückchen in das verschmorte Fleisch.
Während all dieser schmerzhaften Behandlungen verzog Eulalio keine Miene. Er rauchte ununterbrochen an einer sehr dicken Zigarre, die Cirilo für ihn gedreht hatte. Alles, was die Burschen taten oder rieten, ließ er geduldig mit sich geschehen, ohne zu widersprechen und ohne selbst etwas zu raten.
»Wenn wir nur eine Handvoll Schlangenkraut hier hätten oder eine tüchtige Prise Calomel, die er schlucken könnte, dann wäre ihm sicher geholfen, denke ich«, sagte Matias.
»Das alles hilft gar nichts«, mischte sich Fidel ein. »Nichts von dem hilft, was du da machst, Andres. Wir brauchen einen alten Indianer aus unserm Dorf, der weiß, wie man Schlangenbisse heilt.«
Santiago setzte sich dicht bei Eulalio hin, während er sich eine Zigarre drehte. »Kaue deinen Tabak mehr, als, du ihn rauchst, Lalio«, riet er. »Und wenn du ihn tüchtig gekaut hast, dann mische ihn mit heißer Asche und stopf das so tief in die Wunde, wie du kannst.«
»Gute Idee«, sagte Andres. »Ich wusste gar nicht, dass du so schlau bist. Aber das wollen wir einmal machen.« Nicht nur Eulalio, auch alle übrigen Muchachos, die jetzt Zigarren rauchten, begannen große Stücke ihrer Zigarren abzubeißen und sie zu kauen.
Â
In diesem Augenblick kam El Gusano angeritten. Eine Weile blieb er auf dem Pferd sitzen. Er war bis dicht an den Rand des Grabens auf der gegenüberliegenden Seite gekommen, wo er zu überlegen schien, ob er auf dem Pferd sitzen bleibend die andere Seite des Grabens erreichen könnte oder ob er besser daran täte, abzusteigen und zu Fuß auf die andere Seite zu klettern.
Er kam zu der Überzeugung, dass das Pferd genug Schwierigkeiten hätte, ohne Reiter die eine Grabenwand hinunterzuklettern, und noch viel mehr Schwierigkeiten, die andere steile Wand wieder hinaufzusteigen. Es war für die Ochsen schwer genug gewesen, die an einer flacheren Stelle hinübergeführt worden waren. jetzt aber war der Boden der Wände so zerweicht und aufgerissen von den darübergezerrten Trozas, dass sein Pferd an dieser Stelle eingesunken wäre, hätte er versucht, den Graben zu überklettern. Und bis an den Hals vielleicht in die weiche Erde zu sinken und sich vor den Muchachos lächerlich zu machen behagte ihm in diesem Augenblick wenig.
Er blieb deshalb auf dem Pferde sitzen und schrie nur hinüber: »Ihr stinkigen Golfos und Faulenzer, was habt ihr euch denn nun schon wieder hinzusetzen und Zigarren zu rauchen, wo es nun gegen Mittag geht und die Trozas noch alle hier herumliegen. Fehlt noch eine halbe Legua bis zum Tumbo.«
»Den Eulalio hat eine Culebra gebissen«, rief Pedro, »und er kann nicht arbeiten.«
»Dann braucht doch ihr faules Gesindel ihm keine Gesellschaft zu leisten, wenn er nicht arbeiten kann.« Nun stieg er dennoch vom Pferde ab, ging den Graben einige zwanzig Meter weiter hinauf und kletterte dort hinüber. Er kam auf die Gruppe zu, besah sich die schwarzgeschmorte Wunde und sagte:
»Da hättet ihr Pulver hineinschmieren sollen.«
»Wo sollen wir denn hier Pulver hernehmen?« fragte Santiago.
»Oder gekauten Tabak«, sagte El Gusano.
»Da sind wir dabei, das zu tun«, erwiderte Andres.
»Nun, dann aber los! Und überhaupt ist der Biss jetzt genügend gedoktert. Alles 'rausgebrannt. Du kannst jetzt gut weiterarbeiten, Muchacho«, wandte er sich an Eulalio. »Nur nicht hier verweichlichen eines Culebrabisses wegen. Mich haben schon hundert Culebras gebissen, und ich lebe immer noch.«
»Das war aber eine Cascabel«, erklärte Pedro. »Wir haben sie gesehen. Sie war gut ausgewachsen, beinahe zwei Meter lang.«
»Warum denn nicht gleich fünf Meter, und warum denn nicht gleich noch ein Tiger obendrein?« höhnte El Gusano. »Und nun genug hier mit dem Herumsitzen. Die Trozas müssen zum Tumbo, oder ich lasse euch heute Nacht um elf alle antreten, wenn ihr sie jetzt nicht schafft. Wenn ich zurückkomme und ich treffe euch immer noch an, dass ihr nichts tut, dann gibt es was, aber was Gutes, das kann ich euch schwören.« Er kehrte um, kroch über den Graben an der Stelle, wo er herübergekommen war, setzte sich auf sein Pferd und ritt zu den Schlägern, um jene ordentlich in Gang zu bringen.
Die Burschen mischten nun den gekauten Tabak mit heißer Asche, machten daraus einen dicken Brei, schmierten ihn in die Wunde und banden einen dreckigen Lappen, den Andres aus seiner Hose gerissen hatte, fest darüber.
Eulalio stand auf, und alle Muchachos gingen wieder an ihre Arbeit.
Â
Die letzten Trozas wurden aus dem Graben gezerrt, und dann begann das Abschleppen der am Grabenrand aufgeschichteten Stämme zum Tumbo.
»Nun mache deine Glotzen auf, Nene!« sagte Andres zu Vicente. »jetzt wirst du etwas kennen lernen. Bis jetzt hast du nicht gearbeitet, sondern bist nur mit den Ochsen spazierengegangen.
El Gusano weiß ganz gut, warum er sich gerade jetzt fortgemacht hat. Denn nun wird's lustig. Nun kommt der Weg, auf dem du bis über die Ohren weg in den Schlamm rutschen kannst; und wenn es niemand zur rechten Zeit sieht, bleibst du stecken, und die zehn oder zwölf Gespann Ochsen gehen mitsamt der Troza über dich hinweg und treten dich so tief in den Morast ein, dass dich nicht einmal Gott mehr finden kann am Jüngsten Tag. Geh nicht zu dicht an die Ochsen heran! Wenn sie anzuziehen beginnen, dann schlagen sie rechts und links aus und treten mit ihren Füßen, was ihnen in den Weg kommt.«
Die nächsten fünfhundert Meter waren Gefälle, es ging bergab. Die Boyeros machten sich das zunutze. Sie koppelten nun gleich drei oder vier Trozas zusammen und ließen sie mit einem Zug bis zur tiefsten Stelle des hier abfallenden Geländes fahren. So währte es nicht lange, und alle Trozas waren abermals aufgereiht.
Der Weg von da bis zum Schwemmgraben war eine sehr breite Erdfalte. Seit Tausenden von Jahren waren darin Bäume und Pflanzen vermodert, die eine weiche Erde bildeten. Es kam infolge der dichten Kronen der gewaltigen Dschungelriesen, kaum je ein Sonnenstrahl herunter, der den weichen Grund dieser Falte zuweilen hätte austrocknen können. Von beiden Seiten und auch noch von dem Gefälle her lief alle Feuchtigkeit in diese Falte, gleich, ob es Regen war oder der schwere Tau, der in den frühen Morgenstunden von Bäumen und Sträuchern abtropfte. So ergab es sich, dass diese Falte einen Morast bildete, den man gut einen Sumpf hätte nennen können. Nur hatte ein Sumpf gewöhnlich mehr Wasser. Dieser Morast war in vieler Hinsicht gefährlicher als ein Sumpf, wenn es galt da durchzuwaten, durchzureiten oder schwere Baumstämme hindurchzuzerren. Es war leichter, Trozas durch einen Sumpf zu ziehen als durch diese Art von Morästen, die in den Dschungeln so ungemein häufig sind, dass man den Eindruck gewinnt, der ganze Dschungel bestünde nur daraus. Mit genügend langen Ketten und einer guten Anzahl von Ochsengespannen war es, verglichen mit dem Schleppen durch diese Moräste, ein Vergnügen, Trozas zu fahren. In einem Sumpf, wenn er nicht gar zu verwachsen war, vermochte eine Troza zuweilen zu schwimmen. Aber die fette Erde des Morastes war so zäh, so zusammenhängend, so schwer lehmig, dass eine Troza, die hier durchgeschleppt wurde, von der klebrigen, leimigen und kalkigen Masse umklammert wurde wie von einem gewaltigen Monstrum, das eine Beute, die es erst einmal ergriffen hat, nicht mehr herzugeben gewillt ist. Eine Troza, die am Tumbo anlangte und auf ihrer letzten Strecke durch diesen Morast gefahren worden war, hatte den dreifachen Umfang ihrer natürlichen Dicke, weil der zähe Schlamm sich an der Troza festklammerte und sich mitziehen ließ. Dieser Schlamm war so zäh, dass er oft mit den Händen allein nicht von der Troza abgepellt werden konnte, sondern dass Machetes, Äxte und dicke Äste zu Hilfe genommen werden mussten, um den harten und zähen Schlamm abzuschälen.
Als Don Severo und El Picaro vor zwei Wochen mit Hilfe einiger Muchachos das zu eröffnende neue Arbeitscamp erforschten, um die Ausbeutungsregionen festzulegen und die Abschwemmgräben zu entdecken und zu bezeichnen, hatten sie wohl diese Erdfalte, über die alle Trozas, die in diesem Campo geschlagen wurden, geschleppt werden mussten, gesehen. Einen vollen Tag verwendeten sie darauf, eine andere und bessere Anfahrtsgasse für diesen Tumbo zu finden. Aber es stellte sich heraus, dass auf einer Breite von etwa fünf Kilometern alle Wege, die zu dem Hauptgraben führten, durch solche Erdfalten gingen. Und da alle diese Erdfalten Moräste gleicher Art waren, wurde entschieden, einfach den kürzesten Weg zu wählen, und das war der, vor dem die Boyeros jetzt die Stämme aufgereiht hatten.
Â
Matias, Pedro und Fidel waren vorausgegangen, um sich den Weg in seiner ganzen Länge anzusehen. Als sie zurückkamen, sagte Matias: »Nun hört einmal zu, Muchachos! Jetzt setzen wir uns erst einmal alle hierher und drehen uns eine Zigarre und rauchen sie in Ruhe. Und wenn ihr etwas wissen wollt, können wir euch alles recht schön erzählen, was wir gesehen und erlebt haben. El Gusano glaubt, dass wir morgen Mittag alle Trozas am Tumbo haben werden. Und ich kann euch sagen, wenn wir alle Trozas in drei Tagen am Tumbo haben, dann können El Gusano und El Picaro froh sein. Was meint ihr, Pedro und Fidel? Habe ich vielleicht nicht recht?«
»Sicher«, sagte Pedro kurz.
»Es kann auch eine Woche dauern«, verbesserte Fidel.
Darauf sagte Sixto, während er seine frisch gewickelte Zigarre andächtig ableckte: »Dann können wir uns ja auch alle auf ein reichliches Henken freuen, wenn wir die Trozas nicht wenigstens in zwei Tagen drüben haben.«
»Und wenn uns der Hundesohn auch alle henkt und jeden acht Stunden lang in der Nacht henkt, es hilft ihm gar nichts, in weniger als drei Tagen kriegen wir die Trozas nicht hinüber.« Matias zündete sich seine Zigarre an. Nachdem er einen kräftigen Zug getan hatte, fügte er hinzu: »Und wenn wir alle richtige Muchachos wären und keinen Schitt in unseren Pantalones hätten, dann würden wir für jede Stunde, die uns die Hurenbengel henken, einen vollen Tag nicht arbeiten.«
»Dann fangen sie wieder mit den Fiestas an, mit dem Aufledern von fünfzig Hieben auf jeden«, sagte Cirilo. Matias lachte grimmig. Es war mehr ein Bellen als ein Lachen. Und er sagte: »Was können denn diese Cobardes, diese verhurten Hunde und Stinksöhne einer Puta, noch an mir oder an Fidel oder an dir, Sixto, abledern? Mein Rücken ist so hart geknüppelt von diesen Bestien, dass ich schon lange nicht mehr nur Hühneraugen auf dem Rücken habe und völlig verholzte Striemen, sondern bereits eine dicke Hornschwarte. Die können mir hundert aufledern, und ich rauche mir dabei meine Zigarre ebenso ruhig und zufrieden wie jetzt.«
Nun mischte sich Andres ein. »Sie wissen, dass uns das Knüppeln und Peitschen nicht eine Miene im Gesicht zucken lässt, und dass es nicht mehr hilft. Darum haben sie ja auch das wunderschöne Henken erfunden.«
»Gar nichts haben sie erfunden«, meinte Procoro, ein anderer der Boyeros. »Gar nichts. Die sind viel zu dumm, um etwas zu erfinden. Das haben die Montellanos erfunden. Damit haben sie alles Geld gemacht, mit dem sie die drei Monterias hier kaufen konnten. Fragt mal die Hacheros, wie die jetzt drei und vier Tonnen im Tag machen aus Furcht vor dem Henken. Und uns wird das auch noch zukommen. Das kann ich euch erzählen. Wenn die Schläger anstatt der üblichen zwei Toneladas jetzt drei und vier schaffen müssen, dann müssen wir natürlich jeden Tag das Doppelte abfahren, ob mit oder ohne Ochsen. Und wenn die Ochsen bocken und sich hinlegen, dann könnt ihr die Trozas auf eurem Rücken weiterschleppen.«
»Somos los indios colgados, wir sind die gehenkten Indianer«, sagte Fidel.
»Oder los indies ahorcados, die zu Tode gehenkten Indianer«, fügte Sixto hinzu.
»Das wäre besser als nur die Colgados.« Procoro puffte dicken Rauch aus seiner Zigarre. »Einmal ahorcado, richtig zu Tode gehenkt, ist viel besser. Dann ist man das ganze Elend hier los. Aber immer nur halb gehenkt werden und am nächsten Tage das Doppelte arbeiten müssen, um nicht am Abend wieder vier Stunden lang gehenkt zu werden, das ist die ewige Hölle. Wir müssten sie alle hier totschlagen, nicht nur El Picaro und El Gusano, sondern auch gleich alle anderen Capataces in allen
Campos und dann die drei gottverfluchten Montellanos noch obendrein.«
»Aber erst allen fünfhundert aufgeledert, dann kuriert und dann vier Wochen lang jeden Abend mit heißem Kaffee und Aguardiente voll gepumpt bis zum Platzen und dann sechs Stunden lang gehenkt.
Und wenn ihnen alle Glieder so lang ausgehenkt sind, dass sie aussehen wie Bindfäden, dann an einen Baum gebunden und an den Baum ein Feuer gelegt. Gottverflucht noch mal, wenn ich das eines Tages mit denen allen tun könnte, dann will ich doch gern dafür zehnmal in die Hölle gehen.« Matias stand auf, warf den Rest seiner Zigarre heftig auf den Boden, trat darauf und drehte den Fuß dabei kräftig hin und her, als wolle er den Zigarrenstumpf tief in die Erde bohren. »So, genau so«, sagte er wild, »genau so möchte ich den Kopf dieses Sohnes einer elenden Hündin, den höllisch verdammten Kopf des El Gusano hier in die Erde bohren.«
»Wer möchte das nicht?« sagte Andres. »Aber das hilft uns alles nichts, wir tun besser daran, unsere Trozas abzufahren.«
Â
Zwölf Gespanne zogen an der Troza. Zu beiden Seiten wateten drei Boyeros, mit ihren Haken die Troza hin und her schiebend und aus dem Morast herauszerrend. Beinahe bis an die Hüften hinauf wateten die Burschen im Morast, und wenig Gewalt hatten sie über die Troza, die unausgesetzt im Morast verschwand und nur gefunden und gefischt werden konnte, wenn man der Kette folgte, an der sie eingehakt war.
Die Jungen und die übrigen Boyeros wateten neben den Ochsen her, die Tiere antreibend mit spitzen Stöcken, mit Schreien und Fluchen. Auch die Ochsen wateten bis zu ihren Lenden in dem zähen Morast, und sie hatten vielleicht noch mehr Mühe, um weiterzukommen, als die Burschen. Sie brachten ihre Be ine nie völlig heraus aus dem dicken Brei, sondern sie schleiften Beine und Körper in dem tiefen, fetten, schleimigen Lehm.
Alle fünf Schritte blieb der ganze Zug stehen. Burschen und Ochsen keuchten und brauchten frischen Atem. Und das, was von Mensch und Tier über dem Morast sichtbar war, triefte von Schweiß. Die Beißfliegen lagen in dicken Schwärmen über dem Zug, hieben an einer Stelle in das Fleisch der Burschen oder der Ochsen, rissen ein Stück heraus, ließen eine glitzernde Linie rinnenden Blutes zurück, flogen auf, bissen sich an anderer Stelle fest, rissen wieder einen kleinen Fetzen heraus und flogen auf, um an anderer Stelle abermals einzufallen.
Während die Gespanne standen, waren die Burschen mit allen ihren Kräften tätig, die Troza, die im Morast völlig versackt war und sich in Wurzeln und Lianen verhakt hatte, herauszuzerren und hochzubringen. War sie endlich freigelegt, dann wurde die lange Reihe der Gespanne angetrieben. Es ging vielleicht zwanzig Schritt voran, und dann war die Troza schon wieder im Schlamm versackt und den Augen entschwunden. Die Ochsen, noch in vollem Zug, zerrten die Troza noch einige Schritte weiter, ehe sie zum Stehen kamen, und nun war die Troza so eingerammt in den Morast, dass auch die doppelte Anzahl von Gespannen sie nicht hätte weiterziehen können. Der ganze Zug hielt wieder an.
Unter Fluchen und Stöhnen ging das Ausgraben der Troza vor sich. Und war sie endlich abermals herausgefischt, dann gelang es den Burschen, sie wieder einige zwanzig Schritte weiterzuschleppen, bis sie wieder versunken war und wieder herausgegraben werden musste.
Die Muchachos, die neben den Ochsen gingen, sie antrieben und dabei die Zugketten unausgesetzt aushoben und herauszerrten, damit die Ketten sich nicht unter Wurzeln und versumpftem Gesträuch verklemmten, befanden sich ständig mehr in dem Morast als auf ihm. Ein ungeschickter Schritt ließ sie unter die Füße der Ochsen rutschen. Die Tiere, mit all ihrer Kraft vorwärtszerrend, geplagt von Tausenden von Insekten, infolge der infernalischen feuchten Hitze halb erblindet, von der Anstrengung der Arbeit, dem Brüllen der antreibenden Burschen und dem unausgesetzten Einstechen der Treibstöcke wie wild geworden, traten den Burschen, der unvorsichtigerweise unter ihre Füße gekommen war, unbarmherzig in den Morast. Es geschah alle fünfzig Meter, dass ein Bursche unter den Füßen der Ochsen im Schlamm verschwand. Der Zug konnte nicht auf die Sekunde genau angehalten werden; denn wenn die Muchachos auch die beiden Gespanne, die am nächsten waren, zu halten versuchten, so zerrten die vorangehenden Gespanne weiter, und die folgenden drängten nach.
Nur ihre große Geschicklichkeit im Gebrauch ihrer Körper und die Geschmeidigkeit aller ihrer Glieder retteten die Burschen, die, unter die Füße der Ochsen gerieten.
Aus diesem Grunde war die erste Warnung, die ein neuer Boyero von den erfahrenen erhielt, immer:
»Junge, sieh dich vor, dass du nicht unter die Ochsen gerätst! Aber wenn du einmal drunter bist, warte nicht, bis der Zug steht, sondern winde dich heraus, rascher und geschickter als eine verfolgte Iguana.«
Diese Warnung hatte zur Ursache, dass die neuen Burschen nicht nahe genug an die Gespanne herangingen, wenn der Zug in Fahrt war, und darum verzögerten diese Neuen die Arbeit des Tages erheblich. Jedes Gespann brauchte seinen eigenen Jungen, um den Zug in Gang zu halten und auf die Zugketten zu achten, damit sie sich nicht verfingen. Das aber erforderte ein so nahes Herangehen an die arbeitenden Ochsen, dass der Junge dabei meist zur Hälfte unter dem Körper des einen der beiden Ochsen war, und er brauchte nur mit einem Bein in ein Loch zu glitschen, aus dem soeben ein Ochse das Vorderbein herausgezerrt hatte, dann lag er auch schon in seiner ganzen Länge unter den beiden Tieren. Jeder Muchacho hatte für sich und sein eigenes Leben aufzupassen. Niemand konnte ihm helfen; denn jeder einzelne hatte dreimal soviel Arbeit zu leisten, als man von einem Menschen gewöhnlich erwartet.
Â
Mit jeder weiteren Troza, die zum Tumbo gefahren wurde, vertiefte sich der Morast. Wenn er zu Beginn der Fahrten vielleicht noch eine gewisse Dichtigkeit und Festigkeit gehabt haben mochte, so wurde durch das Entlangschleifen der schweren Trozas, durch das Stampfen der Füße von zwölf oder vierzehn Paar schwerer Ochsen und das Kneten, das die Beine der Burschen verursachten, der Morast nach einigen Trozas breiig und schlammig wie Teig. Je mehr er die Eigenschaften von weichem Teig annahm, um so tiefer sank die Troza in den Schlamm ein, um so tiefer sanken die Beine der Ochsen in den weichen Grund, um so schwerer und mühevoller wurde es für die Tiere, ihre Beine herauszuzerren, und um so mehr Kräfte, die der Arbeit des Ziehens dienen sollten, hatten sie zu vergeuden, nur um sich in diesem tiefen und zähen Schlamm weiterzubewegen. Nicht nur das allein.
Je weicher der Teig und je tiefer er aufgeweicht und aufgerissen wurde, um so mehr hing er sich in schweren Fladen und Klumpen an der Troza und an den Beinen der Tiere und Burschen fest.
Die Beine der Ochsen bekamen das Aussehen von Elefantenbeinen, und sie bekamen gleichzeitig die Schwere von Elefantenbeinen, während die Troza das Dreifache an Gewicht erhielt.
Sobald die Troza an die Oberfläche gezerrt war, kratzten die Burschen freilich die überflüssigen Lagen des Schlammes ab. Die Fahrt ging jedoch kaum fünf Meter weiter, und schon war die Troza bereits abermals zum doppelten Umfang und Gewicht angewachsen.
Aber was hilft alles Weinen! Wenn die Troza Geld bringen soll, muss sie verkauft werden, und wenn sie verkauft werden soll, muss sie zu Markte gebracht werden. Wie sie zum Hafen kommt, ist nicht Sache des Käufers, sondern des Verkäufers. Der Verkäufer würde es vorziehen, die Caoba mit Traktoren, die auf stählernen Raupenbändern laufen, aus dem Dschungel zu holen. Aber dort, wo er die großen Traktoren hinbringen könnte, da wächst keine Caoba.
Der hohe Preis des Goldes findet seine Begründung in der Seltenheit dieses Metalls und den Mühen, es zu gewinnen. Der hohe Preis des Mahagonis dagegen, ist begründet in der Schwierigkeit des Transportes. Es kostet weniger Mühe, weniger Zeit und weniger Geld, Tannenholz aus dem Innern Finnlands nach einem Hafen in Zentralamerika zu bringen als Caoba aus den Dschungeln Zentralamerikas zu demselben Hafen zu befördern. Aus diesem Grunde ist in den Häfen Amerikas Holz, das aus den Wäldern Russlands, Schwedens und Finnlands kommt, um ein Vielfaches billiger als Holz aus den Urwäldern dieser amerikanischen Republiken.
Â
Als die sechste Troza dieses Tages mitten auf dem Wege zum Tumbo tief im Morast stecken blieb, betrachteten es die Ochsen ihrer Selbsterhaltung gegenüber als Pflicht, die Arbeit für den Tag einzustellen.
Während die Burschen daran arbeiteten, die versunkene Troza auszugraben, begann sich ein Gespann nach dem anderen hinzulegen. Als die Troza endlich frei lag, ruhten alle Gespanne liegend im Morast.
Die Boyeros wussten, dass nun weder Stechen mit den Treibstöcken. noch Peitschenhiebe die Ochsen veranlassen konnte weiterzuarbeiten. Sie hatten heute bereits zwei Stunden länger gearbeitet, als sie es gewohnt waren. Aber da sie sich in einem so langen Zuge befanden, hatte ihr Herdentrieb sie für eine Zeit die Überarbeit vergessen lassen. Nun bewirkte jedoch derselbe Herdentrieb, dass sie sich alle hinlegten und alle zu gleicher Zeit weitere Arbeit verweigerten.
Vicente, mit vollen Lungen keuchend und bedeckt mit Schweiß, kam auf Andres zu. »Endlich sind wir mit der Arbeit fertig. Ich kann nicht mehr.«
»Wir alle können nicht mehr, Nene. Aber nur die Ochsen haben nun Ruhe bis ein Uhr nachts. Wir nicht. Wir gehen jetzt zum Campo, um zu essen. Dann aber haben wir noch den halben Nachmittag zu arbeiten, ehe wir Ruhe bekommen.«
»Ohne die Ochsen können wir doch aber keine Trozas fahren«, sagte Vicente.
»Gut geraten, mein Kindchen.« Andres lachte glucksend auf. Auch er keuchte wie alle übrigen Burschen. Und auch sein Körper war überströmt von schwerem Schweiß, der an zahlreichen Stellen rosarot an ihm herunterrieselte, weil er sich mischte mit den dünnen Streifen Blutes, das aus den
Beißwunden hervorquoll. Trotz seiner Ermüdung aber konnte er mit Vicente lachen. Und er wiederholte »Sicher nicht, Nene. Ohne Ochsen können wir keine Trozas fahren. Ich sehe, dass du deinen Kopf zu gebrauchen weißt.«
»Das sage ich ja, Andres, wenn wir keine Ochsen haben, dann können wir keine Trozas abschleppen und brauchen nicht weiterzuarbeiten.«
»Vielleicht war das so in eurer Finca, mein Söhnchen. Hier nicht. Hier wird gearbeitet, solange du auch nur noch stehen kannst. Und wenn du nicht mehr stehen kannst, dann arbeitest du auf deinem Ursch kriechend. Aber arbeiten musst du. El Gusano hat mir gestern bereits gesagt, dass wir auf der gegenüberliegenden Seite des Grabens, wo jetzt geschlagen wird, die Gassen öffnen und aus dem Dickicht herausschlagen müssen, um den Weg frei zu bekommen. Auf der anderen Seite steht die Caoba zehnmal reicher als auf dieser Seite hier. Aber der Weg ist noch versumpfter als hier.«
»Noch mehr verschlammt und vermorastet als hier?« fragte Vicente erstaunt. »Wie ist denn das möglich?«
»Hier ist alles möglich. Und weil auf der anderen Seite infolge des Gefälles des Geländes der Sumpf so weich ist, dass die Trozas gleich drei Meter tief in den Grund flitzen, wenn sie geschleppt werden, darum müssen wir Calzadas bauen. Und das wird heute Nachmittag getan, bis wir alle umfallen und gleich da schlafen, wo wir umgefallen sind.«
»Calzadas, was ist denn das?«
»Wirst du heute Nachmittag lernen und wirst beim Bauen der Calzadas auch noch ferner lernen, dass jede Arbeit, die hier verrichtet wird, gleich ist in ihrer grausamen Schwere und Anstrengung. Hier wird dir nichts geschenkt. Und hier gibt es nie leichte Arbeit und erst recht nie Erholung.«
Â
Nachdem die Muchachos einige fünf Minuten lang Atem geholt hatten, begannen sie, die Ochsen auszuspannen. Die schweren Jochbalken, von denen jeder etwa zwanzig Kilo wog und die den Tieren seit zwei Uhr morgens auf den Nacken lasteten, wurden abgeriemt und heruntergenommen. Die Tiere wendeten befreit ihre Köpfe und Nacken, die wie gelähmt sein mussten, und begannen mit Wohlbehagen sich die Wunden der Beißfliegen und anderen Insekten abzulecken und die schmerzende Haut mit den Zähnen zu kratzen und zu schaben.
Endlich waren alle Ochsen abgespannt. Sie lagen noch immer in ihrem Zuge dort, wo sie sich niedergelassen hatten. Ihre Körper waren während des Lagerns in den Schlamm eingesunken. Sie schienen sich in dem Schlamm, der kühler war als die sie umgebende glühend heiße Luft, recht wohl zu fühlen; denn der Schlamm kühlte nicht nur ihre Körper, sondern beruhigte auch zugleich das entsetzliche Jucken der Insektenstiche und -bisse. Mengen von Garrapatas, großer und kleiner Zecken, die sich in die Haut eingefressen hatten, fühlten sich an jenen Stellen der Ochsenkörper, die vom Schlamm umgeben waren, in ihrer Lebenssicherheit bedroht und begannen, ihre kräftigen Zangen aus der Haut herauszuziehen und, am Körper entlangkriechend, nach oben zu kommen. Der Instinkt ließ diese Insekten fühlen, dass sie verloren waren, wenn sich der Schlamm auf dem Körper der Ochsen verkrustete, unter der Hitze versteinerte und sie zusammenpresste und tötete. Aber auch die Ochsen wussten aus Instinkt vielleicht gar aus Erfahrung, dass im Schlamm zu liegen und dann in der Sonne den Schlamm auf der Haut verkrusten und versteinern zu lassen, sie von Hunderten, wohl von Tausenden solcher lästigen Parasiten befreite.
Eine Anzahl der Burschen war mit ihren Trinkschalen zu einem Quell, gegangen, der, etwa zweihundert Meter entfernt und seitlich der Gasse, in einem dünnen Strählchen aus einer Gesteinsspalte hervorsickerte. Es war nicht viel Wasser, und um es überhaupt gebrauchen zu können, höhlten die Burschen zuerst eine kleine Grube aus, damit sich das dünne Strählchen darin fangen und das Wasser sammeln konnte. Jeder schöpfte sich seine Schale in der Grube voll, spülte sich den Mund, und dann knetete er sich in dem lehmigen Wasser, das er erneut in eine Schale geschöpft hatte, ein Klümpchen Posol. Die meisten der Leute jedoch waren zu müde, um den Weg zu jenem Quell zu unternehmen. Sie zogen es vor, sich lang auszustrecken und zu rasten an jener Seite der Gasse, wo es ein wenig trocken war.
Â
Plötzlich, aus dem Dickicht hervorschießend, erschien vor ihnen El Picaro. Er saß auf dem Pferde und übersah den Zug. Die Burschen blieben liegen, wo sie waren. »Kaum elf, und schon fertig mit der Arbeit heute?« rief er.
Pedro, an einer Zigarre drehend, sagte: »Die Ochsen machen nicht mehr mit.«
»Freilich nicht, wenn ihr sie überarbeitet habt. Hättet ihr den Ochsen besser beigestanden und die Trozas rascher und höher aus dem Dreck gehoben, so dass die armen Tiere nicht so unmenschlich hätten zu ziehen brauchen, dann wären sie nicht übermüdet. Faules Gesindel, das ist es, was ihr seid, und ich werde wohl einmal gründlich zwischen euch sausen müssen, um euch aufzumuntern. Werde einmal die halbe Gesellschaft von euch heute Abend zwei Stunden henken, um euch aufzufrischen. Ihr seid hier nicht in den Ferien und zur Erholung, sondern um zu arbeiten. Los, die Ochsen zur Weide!
Und nachts um zwölf angetreten und den Rest der Trozas abgeschleppt! Por Dios, es ist eine Sünde vor Gott und den Menschen, wie hier gefaulenzt wird, und eine Schande, dass so kräftige, braune, verhurte Hunde, wie ihr seid, mitten am Tag sich lang hinlegen auf ihren dreckigen Ursch und nicht mehr arbeiten. Die Ochsen zur Weide, los! Und wenn ihr im Camp euren verfluchten Fraß 'runtergewürgt habt, geht's 'rüber auf die andere Seite, um Gassen zu öffnen! Verflucht noch mal, ich werde euch schon noch beibringen, wie etwas Richtiges hier gearbeitet wird. Ich sollte euch allen hier einmal zwanzig 'rüberreißen, um Leben in den Zug zu bringen. Schämt ihr euch denn wirklich nicht, die armen Ochsen so herunterzuarbeiten, dass die armen Tiere nicht einmal mehr röcheln können? Ich habe die Santa Purisima zur ewigen Zeugin, ihr seid verlauste und verdreckte Tierschinder, stinkige Indianerbrut, das ist es, was ihr seid, Söhne von räudigen Hündinnen und Cabrones!«
Er blickte nach allen Seiten umher, um das Feld zu übersehen und eine neue Eingebung zu finden.
Er fand sie auch. »Los Yugos, die Joche, verflucht noch mal, braucht ihr auch nicht gleich da im Schitt liegenzulassen, wenn ihr sie abjocht.«
Fidel stützte sich halb auf den Arm auf, ohne jedoch von seinem Platz, wo er lag, aufzustehen, und sagte: »Was brauchen wir sie denn erst noch mit so vieler Mühe durch den Dreck zu schleifen und 'rüberzuschaffen, wenn wir sie in der Nacht doch wieder an derselben Stelle, wo sie jetzt sind, aufzujochen haben.«
»Halt's Maul, oder ich schlage dir eins 'rüber, frecher Hund!« rief El Picaro.
»Nur damit Sie wissen, warum wir die Joche da liegenlassen, wo sie jetzt sind«, sprach Fidel weiter. Es lag in seiner Stimme, dass er nicht darum redete, um eine Erklärung abzugeben, sondern dass er redete, um El Picaro zu ärgern. El Picaro fühlte das auch recht gut. Aber wie alle Capataces, wie alle Peitscher und Folterknechte, so war auch El Picaro recht vorsichtig, eine Situation nicht zu weit zu treiben, wenn er wusste, dass er nicht in der Übermacht war und sich in einer Umgebung befand, wo er seinem Schicksal nicht entfliehen konnte, wenn es einmal in Bewegung kam. Er sah wohl, dass die Muchachos infolge ihrer Übermüdung in einer Laune waren, dass ein ganz geringer Anlass genügt hätte, um einen von ihnen zu veranlassen, aufzustehen, ihn anzufallen, vom Pferde zu reißen, ihn wie einen Hund zu erschlagen und dann im Morast zu vergraben. Was hätte El Picaro sein Revolver helfen können? Von sechs Schüssen, falls er überhaupt sechs Schüsse hätte feuern können, wären in dieser Erregung vier danebengegangen. Und waren die sechs Schuss verfeuert, dann war er verloren. Er sagte nichts weiter. Gemächlich zündete er sich eine Zigarette an und wendete das
Pferd. Er ritt einige Schritte zurück, gab dann seinem Pferde einen Hieb und setzte gleichzeitig die schweren Sporen ein, damit das Pferd auf die andere Seite der Gasse springen sollte, von der aus es näher zum Camp war. Das Pferd sprang.
Aber El Picaro, der hier ja nicht der Arbeit zugesehen, sondern nur die Rast beobachtet hatte, unterschätzte die Schwierigkeiten, die diese Gasse verursachte. Sicher hatte er geglaubt, dass der Morast nur gerade an der Oberfläche sei. Er würde harte Arbeit gehabt haben, mit seinem Pferde langsam über die Gasse zu waten.
Angesichts der Burschen jedoch wollte er zeigen, dass diese Gasse nicht mehr Mühen verursachte als viele andere. Und so sprang er mit seinem Pferde so tief in den aufgeweichten und aufgezerrten Morast, dass er wie hineingeschossen bis zum Sattel im dicken Dreck versank.
Das Pferd versuchte sich herauszustrampeln, aber je mehr es mit den Füßen herumwirtschaftete, um so tiefer sank das Tier ein.
Â
Die Muchachos blieben alle ruhig sitzen.
El Picaro rief sie nicht zur Hilfe herbei. Es würde seiner Würde geschadet haben. Er ließ sich vom Sattel heruntergleiten und geriet nun bis zur Hüfte in den Schlamm. Er wickelte den Lasso auf, faltete eine Schleife, wickelte sie dem Pferde um das Maul und das Ende des Lassos um seine Hand und zerrte sich mit Fluchen und Stöhnen aus dem Schlamm heraus.
Das Pferd, von der Last des Reiters erleichtert, quälte sich mühselig in dem Morast herum, bis es festeren Grund auf Wurzeln oder großen Steinen fand und sich einen halben Meter hochzerren konnte.
El Picaro war inzwischen an der Seite des Grabens angelangt, und von hier aus, auf weniger morastigem Boden stehend, zog er nun mit Hilfe des Lassos, der dem Kopf des Pferdes einen Halt und gleichzeitig die Richtung gab, das Tier zu sich heran.
Nicht ganz so, aber doch ähnlich, wie die Burschen alle aussahen, so sah nun auch er aus. Die Burschen waren vom Scheitel ihres schwarzen, drahtigen Haares bis hinunter zu den Fußsohlen bedeckt mit schwarzgrauem Brei, der, seit sie hier in Ruhe lagen, langsam auf ihrem Körper zu trocknen begonnen hatte. Das Haar war verkleistert und verkrustet, und das einzige Kleidungsstück, das jeder trug, eine zerlumpte, weiße Baumwollhose, war dick mit Schlamm behangen und getränkt.
Dass die Hose aus Baumwollstoff gefertigt war, hätte man nicht mit Sicherheit feststellen können; sie hätte ebenso gut ein Bekleidungsstück sein können, das aus nichts sonst als aus Morast bestand. Als Ganzes besehen, sah jeder Bursche so aus, als sei er von oben bis unten in schwarzgrauen Teig gehüllt und bereit, in den Backofen geschoben zu werden, um dann als Kuchenmann herauszukommen. Und wie ein ausgewachsenes Pfefferkuchenpferd sah nun auch das Reittier des El Picaro aus.
Er selbst unterschied sich nur darin von den Burschen, dass sein Haar nicht verkleistert und sein Gesicht nur mit Schlammspritzern bedeckt war. Da er aber Hemd, Hose, Ledergamaschen und Stiefel trug, so kostete es ihn mehr Mühe, sich von dem Schlamm, der auf ihm lastete, zu befreien, als für die Burschen.
Mit den Händen strich er den nassen, zähen Dreck von seiner Kleidung, dann von dem Sattel und den Seiten des Pferdes.
»Verflucht noch mal!« schrie er wütend, »das habe ich doch, Gottverdammt noch mal, auch nicht gewusst, dass hier der gottverfluchte Dreck so tief ist und so gemein!«
»Hätten Sie uns gefragt, so hätten wir es Ihnen gesagt«, rief Santiago hinüber.
Und Fidel rief laut und frech: »Da Sie ja sonst alles wissen, so glaubten wir, dass Sie auch wissen wüssten, wie tief hier der Lodo ist.«
»Wenn wir alle Trozas am Vormittag hätten schaffen können, so wären sie sicher geschafft worden«, sagte Andres, sich in das Gespräch mischend. »Nun wissen Sie ja wenigstens, warum wir sie nicht alle schaffen konnten.«
El Picaro plusterte sich mächtig auf, weil es ihm geglückt war, sich ohne Hilfe der Muchachos aus dem Dreck zu arbeiten. Er änderte nun den Ton und sagte: »Ich werde euch für die Nacht die halben Gespanne gegen ausgeruhte austauschen und sechs weitere Gespanne geben. Bringt alle Gespanne jetzt zum Camp und dann auf die große Weide, eine Meile hinter dem Camp. Ich werde euch die Gespanne aussuchen. Wer hätte denn gedacht, dass der Dreck hier so dick und tief ist!«
»Auf der andern Seite des Grabens, wo jetzt geschlagen wird, ist er doppelt so tief«, sagte Matias, »und die Gasse ist zweimal so lang wie diese hier.«
»Ja, das weiß ich«, sagte El Picaro, sich aufs Pferd setzend. »Ich schicke zu Don Severo und werde mehr Gespanne von ihm verlangen.«
El Picaro ritt ab, weniger stolz und schneidig, als er gekommen war.
Und wie er so dahinritt, hätte man ihn wohl recht gut für einen Ritter aus einer alten Sage halten können, der, von einem bösen Zauberer verwünscht, sich nun im Zustand der Versteinerung befand, im nächsten Augenblick stehen bleiben wird, um als versteinerter Ritter zukünftige Geschlechter gruseln zu machen.
»Er sah so lächerlich aus«, sagte Santiago grinsend, »dass ich glaubte, er würde versuchen, sich an seinen eigenen Ohren aus der Schitt zu zerren.«
Grimmig setzte Fidel hinzu: »Wenn er sich dabei seine widerliche Rübe abgerissen hätte, wäre mir das eine Labung gewesen.«
»Warum eine Labung?« fragte Procoro, der sich auf die andere Seite wälzte und Fidel ansah.
»Warum eine Labung? Wie kannst du nur so dumm und unschuldig fragen, Mensch? Dann würde ich mich nicht verpflichtet fühlen, ihm eines Tages den Kopf abzusäbeln. Denn dass ich das eines Tages sicher tun werde, das Gefühl kann ich nicht loswerden. Es verfolgt mich Tag und Nacht, wenn ich nur die Fratzen dieser beiden, des Gusano und des Picaro, sehe. Sie machen es uns so leicht und lieblich, solch schöne und berauschende Gefühle zu haben und den lieben Gott im Himmel andächtig darum zu bitten, recht bald eine passende Gelegenheit für dieses Absäbeln herbeizuführen.«
Â
Als die Ochsen eine gute Weile geruht hatten, das Joch nicht mehr auf ihren Nacken fühlten und darum wussten, dass für heute ihre Arbeit vorüber war, ließen sie sich mit wenig Mühe auftreiben und zum Camp führen.
»Wo ist denn Eulalio?« fragte Andres plötzlich, als sich der Zug in Bewegung setzte. »Ich habe ihn seit wenigstens einer Stunde nicht gesehen. Verflucht, es fällt mir erst jetzt ein, dass er die letzte Stunde nicht im Zuge war.«
Mehrere Burschen liefen in den Dschungel hinein, seinen Namen schreiend. Nach einigen Rufen hörten sie Eulalio mit schwacher Stimme antworten: »Aqui estoy, companeros!«
Zwei liefen auf ihn zu. Er hatte sich niedergesetzt, gegen einen Baum gelehnt. Sein Gesicht war grünlich, und ein leichter Schaum hing auf seinen geschwollenen Lippen. Das Bein, das von der Culebra gebissen worden war, zeigte bis zum Knie hinauf eine rotviolette, dunstige Farbe. Es war dick, glühend und klumpig und sah aus, als wolle es zerplatzen.
»Verflucht noch mal, Companeros, ich kann nicht laufen«, sagte Eulalio müde.
Zwei Burschen nahmen ihn auf und trugen ihn auf ihren Schultern, dem Zuge folgend, zum Campo.
Als sie dort angelangt waren, trieben drei Jungen die Ochsen zur Weide, wo die Zacateros, die Futterknechte des Campo, Laub, trockene Maisstauden und Gras, das auf einigen lichten Stellen des Dschungels am Morgen geschnitten worden war, aufgehäuft hatten. Die Ochsen waren jedoch zu müde, um zu fressen. Sie nagten eine Weile an dem mageren Gras der Weide.
Dann suchten sie schattige Plätze unter den Bäumen, die vereinzelt hier herumstanden, und ruhten. Später am Nachmittag würden sie zum Bach trotten, sich volltrinken und dann, wohl ausgeruht, in der Kühle des Abends behaglich ihr Futter suchen.
Der Koch hatte das Essen für die Burschen noch nicht fertig. Und das gab ihnen Gelegenheit, sich in der Boyerohütte auf ihre Matten zu werfen, wo sie sofort in Schlaf fielen.
Â
Andres ging zur Oficina. des El Picaro. El Picaro schaukelte sich in einer Hängematte, aufgehängt unter dem hervorstehenden Dach der Hütte, die ihm und El Gusano zur Oficina und zur Wohnung diente. El Gusano war bei den Schlägern, um Acht zu geben, dass keiner etwa schläfrig wurde, sondern sich abmühte, drei oder besser noch vier Tonnen zu liefern.
»Jefe«, redete Andres El Picaro an, »kommen Sie doch einmal 'rüber zu unserer Choza. Da liegt der Eulalio und kann nicht laufen.«
El Picaro, der eine Zigarette rauchte, die aus klein geschnittenem rohem Tabak, eingewickelt in gewöhnliches Packpapier, bestand, schaukelte sich unbekümmert weiter und fragte faul: »Was hat er denn? Will sicher heute Nachmittag nicht helfen Calzadas bauen. Ich werde ihn schon zum Laufen bringen.«' Andres sagte nichts darauf. Er blieb, seinen zerlöcherten und verschlammten Palmhut in der Hand haltend, vor dem Portico stehen.
»Bueno, vengo«, sagte El Picaro endlich, »gut, ich komme!« Er ließ sich aus der Hängematte gleiten und ging hinüber zur Choza, wo die Boyeros lebten, wenn sie hier im Campo übernachteten.
Sehr oft freilich, besonders wenn ihr Arbeitsplatz zu weit entfernt vom Campo lag und die Ochsen sich auf einer Weide befanden, die näher dem Arbeitsplatz war, schliefen die Boyeros und die Gananas in Hütten, die aus Stämmchen und Palmblättern rasch aufgerichtet wurden und so leicht gebaut waren, dass sie eben nur gerade so lange dienten, wie die Burschen in ihrer Nähe zu arbeiten hatten.
Während El Picaro zu der Hütte ging, kam er an der Küche vorüber.
Die Küche war ein Palmendach, auf Pfähle gesetzt. Nur an der Seite, von der gewöhnlich der Wind zu kommen pflegte, war eine Wand errichtet worden, die aus dünnen, mit Lianen aneinander geflochtenen Stämmchen bestand und außen mit belaubten Zweigen behangen war. Das Kochen geschah auf dem Boden, wo mehrere Feuer brannten, über denen verbeulte Blech- und Emailletöpfe hingen und kleine und große irdene Gefäße standen. Der Koch, ein Indio, wie alle Arbeiter hier, hatte einen achtjährigen Jungen zur Hilfe. Er hatte auch seine Tante hier, die sicher doppelt so alt war wie er und mit der er in einer Art ehelicher Gemeinschaft lebte. Diese Frau jedoch half ihm nie kochen. Sie aß nur, rauchte den ganzen lieben langen Tag ungemein dicke Zigarren, die sie für sich und für ihn selbst drehte. Und wenn sie weder rauchte noch aß, dann lag sie in einer Hängematte, die an zwei der Balken, die das Dach trugen, aufgehängt war. Es war im Campo wohl bekannt, dass diese alte, fette, reichlich verschrumpelte, infolge seltenen Waschens wenig wohlriechende Tante für eine entsprechende Menge rohen Tabaks, für Aguardiente oder ein Stück buntbedruckten Baumwollstoff, ein buntes Atlasband oder für eine Kette von Glasperlen eine viertel oder halbe Nacht mit irgendeinem der Boyeros oder der Hacheros zubrachte. Der Koch hatte nichts dagegen. Jedoch erwartete er, dass, wenn mit Aguardiente bezahlt wurde, er die größere Hälfte bekam. Dann betrank er sich unmäßig und verprügelte die Tante unbarmherzig, während er dabei in die Welt hinausbrüllte, dass sie eine alte unverbesserliche Hure sei, die er eines Tages mit seinen eigenen Händen erwürgen werde.
»He, du dreckiger Hund!« schrie El Picaro den Koch an. »Warum hast du denn das gottverfluchte Fressen für die Muchachos immer noch nicht fertig? Ich werde dich einmal aufmuntern, wenn die Musicos kommen, das sollst du sehen.«
»La comida, das Essen, ist noch in dieser Sekunde fertig, Jefe, ganz gewiss«, erwiderte der Koch.
»Wenn nicht, dann schlage ich dir die Peitsche ins Gesicht, Himmelhund von einem stinkigen Hurensohn.«
Der Koch ging auf den kleinen Küchenjungen zu, der am Feuer hockte und es anblies, damit es besser brenne.
»Du Schlingel«, schrie er den jungen an, »hättest du besser auf die Feuer geachtet, dann wäre das Hundefressen längst fertig!« Er nahm einen der Äste auf, die beim Feuer lagen, und hieb ihn dem Jungen mitleidlos über den Rücken. Der Junge sprang auf und rannte fort. »Kommst du gleich einmal hierher, du kleine, bissige Kröte!« rief der Koch hinter ihm her. Der Junge blieb jedoch in guter Entfernung stehen. Von dort aus rief er: »Wenn Sie mich noch einmal prügeln, dann gehe ich als Ochsenjunge.«
»Komm her«, sagte nun der Koch versöhnlich, »ich werde dich nicht prügeln«
Der Junge kam wieder in die Küche zurück. Der Koch klopfte ihm schmeichelnd die Backen und sagte halblaut: »Ich habe das nicht so gemeint, Pablito. Ich musste dich nur etwas verdreschen in Anwesenheit des El Picaro, damit er glauben sollte, du habest die Schuld, verstehst du? Sonst lässt er mich henken oder auspeitschen, und dann verhöhnt mich die alte Hexe hier. Du weißt doch, wie sie ist. Nimmst mir die paar Hiebe nicht übel, Pablito, he?«
»Nein, gewiss nicht, Don Filemon«, sagte der Junge versöhnt und machte sich erneut über seine Arbeit her.
Â
El Picaro war in die Hütte gekommen. Eulalio lag bewegungslos auf seiner Matte. Einige Burschen hockten dicht bei ihm. Sie gaben ihm Wasser zu trinken und kühlten ihm den Kopf und das Bein mit Wasser.
»Was hast du denn, Muchacho?« fragte El Picaro. »Als wir den Graben von Gebüsch reinigten, biss ihn eine Klapperschlange«, erklärte Andres.
»Das sieht verflucht böse aus«, sagte El Picaro, das Bein befühlend. »Es fängt nun auch schon über dem Knie an, blau zu werden. Da wird nichts anderes übrig bleiben, Eulalio, als dass wir das Bein absägen.«
»Ja, das denke ich auch, Jefe«, erwiderte Eulalio, in sein Schicksal ergeben.
»Vielleicht ist es besser, das Bein einfach abzuhacken«, rief Pedro, »das geht schneller.«
»Du bist ein Burro, ein richtiger Esel«, sagte darauf Santiago zu Pedro. »Wenn wir das Bein abhacken, und es wird nicht geschickt gehackt, dann kann der Knochen aufsplittern, und dann dauert es Wochen, ehe der Knochen zuheilt.«
»Was sagst du dazu, Lalio?« fragte Andres.
»Mir ist das gleich, wie ihr das Bein loskriegt. Es tut so entsetzlich weh, dass es nicht weher tun kann, ob es abgehackt oder abgesägt wird. Wenn ich das verfluchte Bein nur loswerden kann, dann bin ich schon zufrieden. Denn lange kann ich es nicht mehr aushalten. Es frisst sich schon bis an die Hüften 'rauf, das verdammte Gift.«
»Du hättest uns früher sagen sollen, dass du gebissen wurdest«, sagte Cirilo, »dann hätten wir das gleich ausbrennen können. Wir haben zu spät ausgebrannt, das ist die Sache.«
»Lass mich in Frieden mit deinen guten Ratschlägen«, stöhnte
Eulalio. »Ich habe doch das selbst nicht früher gewusst, dass sie mich geschnappt hatte, verflucht noch mal. Und nun schneidet oder sägt oder hackt das gottverdammte Bein endlich ab, damit ich Ruhe habe, und quakt hier nicht so viel dummes Zeug.« »Andres«, rief El Picaro, »komme mit mir zur Oficina!«
Beide gingen und brachten nach wenigen Minuten eine Flasche Aguardiente, eine Baumsäge und Fetzen eines alten Hemdes. El Picaro sah sich um, nahm eine der Schalen, schüttete das Wasser aus, füllte sie bis an den Rand mit Aguardiente und sagte zu Eulalio: »Trink das aus, damit du es nicht so sehr fühlst!«
Eulalio goss den Branntwein in einem Zuge hinunter. Dann nahm El Picaro einen Fetzen, tauchte ihn in eine andere Schale, in die er Aguardiente gefüllt hatte, wusch damit die Säge ab, dann wusch er das Bein des Eulalio über dem Knie sauber und feuchtete es tüchtig an mit Branntwein.
»Wir müssen das Bein oben unter der Hüfte abbinden«, rief Andres, »damit er nicht verblutet. Und heißes Fett aus der Küche müssen wir haben, um die Wunde heiß abzufetten, und dann Zucker drauf, dick drauf.«
»Salz, meinst du«, sagte Pedro.
»Brauner Zucker, habe ich gesagt, und Zucker ist es«, bestimmte Andres. »Und du, Matias, gehst zum Cocinero, zum Koch, und schaffst das 'ran. Spritzend heißes Fett und Zucker. Den Zucker gut gestampft, dass er wie Pulver ist. Los, corre, renne!«
Â
Eulalio war inzwischen von dem raschen Zug Aguardiente, den er hintergegossen hatte, in halbe Stumpfheit gefallen; nur dumpf schien er sich bewusst zu sein, was um ihn her vorging.
»Wer kann gut sägen?« fragte Andres und sah sich um.
»Ich werde das tun«, antwortete Santiago. Ich habe Übung; ehe ich Carretero wurde, habe ich in Ocosocoautla bei Don Benigno als Fleischhacker gearbeitet und weiß, wie man Knochen sägen muss.«
»Gut, dann sägst du!« befahl El Picaro.
Santiago nahm die Säge auf, prüfte ihre Zähne, und sagte dann: »Haltet ihm den Kopf fest und die Arme, auch das andere Bein, damit er nicht zu schlagen anfängt. Und hier einer am Dickbein, wo es abgebunden ist und einer unten am Bein. Aber gut festgehalten.«
»Lass einen Lappen Fleisch stehen, Santiago«, meinte Andres, »damit da etwas bleibt zum Überkleben am Knochen.«
»Das weiß ich allein, du Ochse. Aber richtig, da haben wir das Nähen vergessen. Renne mal einer 'rüber zu der alten Hure und hole eine gute, kräftige Stopfnadel und einen starken Faden und lang genug, dass er ein paar Mal herumreicht, den Lappen gut zu übernähen.«
Im Augenblick waren Nadel und Faden zur Hand. El Picaro tauchte alles in Branntwein und hielt es bereit. Einer der Burschen stand dicht dabei mit der Schüssel heißen Fettes und ein anderer mit Zucker.
Eulalio schluckste auf, versuchte, sich zu krümmen, wurde aber auf seine Matte kräftig niedergedrückt und an allen Gliedern festgehalten. Er stöhnte einige Male, grunzte und schluckste, während er mit offenen Augen zusah, was mit seinem Bein geschah. Er schien sich in manchen Minuten nicht völlig klar zu sein, ob es sich um sein eigenes Bein handelte oder um das eines der Burschen, die ihn umdrängten und von denen jeder eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hatte. Alles glückte zu voller Zufriedenheit aller Helfer. Als die Burschen endlich zum Essen gehen konnten, war Eulalio in Schlaf verfallen, nachdem er noch einen zweiten guten Zug, den ihm El Picaro eingoss, hinuntergeschossen hatte.
Das Mittagessen der Burschen war nicht sehr bedeutend. Aber da es nichts Besseres gab, musste es ihnen genügen. Reis, aufgekocht mit grünen und roten Pfefferschoten, einige Stückchen aufgeweichtes Leder oder Came seco, wie es genannt wurde, knochenhartes, getrocknetes Fleisch, schwarze Bohnen mit grünem Pfeffer und bespritzt mit einigen Augen ranzigen Fettes. Dazu als Schlussgetränk eine Brühe, die Kaffee hieß.
Kaum war das Essen hinuntergeschlungen, da war El Picaro auch schon vor der Hütte: »Los, Muchachos, vorwärts, die Calzada gebaut! Andres, du weißt wo. El Gusano hat dir gestern den neuen Platz, wo nächste Woche geschlagen wird, gezeigt.«
»Si, jefe«, antwortete Andres.
Die Burschen zogen ab, mit Machetes bewaffnet.
Â
Andres, Pedro und Santiago schritten die Strecke ab, die von El Gusano als Callejon bezeichnet worden war. El Gusano hatte diese Gasse nur ungefähr in der Richtung angegeben. Es war nun die Aufgabe der erfahrenen Boyeros, die Gasse so zu wählen, dass sie die wenigsten Schwierigkeiten für das Abfahren der Trozas bot.
Die Strecke hatte, gerechnet von den Schlagfeldern zum Abschwemmgraben, eine Länge von etwa zehn Kilometern. Von diesen zehn Kilometern waren fünf versumpft. Die drei Forscher versuchten, den Sumpf zu umgehen und einen anderen Weg zu entdecken. Aber so sehr sie auch suchten, der von El Gusano bestimmte war immer noch der beste. Die übrigen führten unausgesetzt über felsige Hügel und über mehr als zwanzig Gräben, die teils trocken, teils morastig waren. Diese Gräben waren während der tropischen Regengüsse von reißenden Gewässern gebildet worden, schnitten jedes Jahr tiefer in den Boden ein und waren nun oft so tief, dass es Stunden gekostet hätte, auch nur eine einzige Troza über den Graben zu bringen. Der Nachteil war, dass keiner dieser Gräben eine direkte Verbindung mit einem der Schwemmflüsse besaß. Sie verliefen in Sümpfen, Morästen und Seen oder in unterirdisch weitergehenden Kanälen, Höhlen und Rinnen. Es war vielleicht möglich, dass einer dieser zahlreichen Gräben doch in irgendeiner Weise seine Wasser zum Flusse sandte; das aber festzustellen und zu erforschen hätte sicher Wochen gebraucht. Und es war möglich, dass man nach wochenlanger Durchforschung entdeckte, dass der Graben in eine Senkung fiel, wo er in einer Erdspalte endete, oder dass er völlig in die Breite verlief über ein weites Geröllfeld hinweg, wo die Trozas nicht mehr schwimmen, sondern in den Gesteinsmassen hängen bleiben und verloren gehen würden.
Es war ja nun auch nicht die Aufgabe der drei Burschen, Forschungen zu unternehmen. Ihnen waren die Schlagfelder bezeichnet worden und auch der Tumbo, wo das Holz gelagert wurde, um bei Beginn der Regenzeit abgeschwemmt zu werden. Alles, was sie zu tun hatten, war, die Gasse, auf der die Trozas abgefahren werden sollten, aus dem Dschungel freizuschlagen.
Die, übrigen Boyeros und die Jungen hatten bereits begonnen, die Varales zu hacken, die Stämme, mit deren Hilfe die Calzada gebaut werden sollte. Nur weil in dieser neuen Region der Reichtum an Caoba um zehnmal größer war als in jener, wo heute morgen geschleppt worden war, lohnte es sich, eine Woche darauf zu verwenden, eine besondere Calzada zu bauen. Sobald alle Trozas der Region, wo heute geschleppt worden war, am Tumbo sein würden, was wahrscheinlich übermorgen Mittag sein konnte, sollten eine ganze Woche lang die Boyeros und deren Jungen nichts weiter tun, als die Gasse der neueröffneten Region zu bauen. Während dieser Zeit konnten die Ochsen ruhen und sich gut voll fressen, um nach Ablauf der Woche bei besten Kräften zu sein. An die Ochsen, an deren Ruhetage, an deren Pflege wurde ständig gedacht; denn sie kosteten teures Geld und waren schwerer zu beschaffen als Indios, die man betrunken auflesen, mit fünfzig Pesos Strafe wegen Ruhestörung belasten konnte, um sie dann dieser fünfzig Pesos Strafe wegen, die sie nicht bezahlen konnten, einem Enganchador zu verkaufen, der sie an die Monterias weiterverkaufte.
Â
Als Andres von seinem Inspizierungsmarsch zurückkam, hieß er Pedro mit Hilfe von sechs Burschen die Gasse von Gebüsch und Gestrüpp, das bei der Fahrt im Wege sein würde, säubern.
Er selbst begann mit den übrigen Burschen und Jungen, die feste Gasse zu bauen. Nur wo das Gelände morastig war oder so weich und feucht, dass es verschlammte, sobald auch nur drei oder vier Trozas hindurchgeschleppt worden waren, nur da wurde die Calzada, die gepflasterte Gasse, angelegt.
Armdicke Stämme von drei bis vier Meter Länge wurden auf dem Grund der Gasse nebeneinander gelegt. Dann wurden diese Stämme mit Lianen und Riemen aus Bast verflochten. Das war die Pflasterung. Auf einer solchen Calzada konnte eine Troza leicht mit zwei Gespannen Ochsen über den Morast gefahren werden; und so rüstig, wie die Ochsen dahintrotteten, so rüstig ging die Fahrt vonstatten. Da die Troza nicht auf dem nackten Grunde geschleift wurde und die ziehenden Ochsen nicht in den Boden zu treten hatten, so wurde der Morast nicht vertieft. Lediglich durch das Gewicht der Ochsen, die darüber hintrotteten, dann durch die Trozas, die darüber hinweggezerrt wurden, und endlich infolge des Rüttelns und Stoßens gegen die Varales geschah es natürlich, dass, nachdem eine gute Anzahl Trozas geschleppt worden waren, die, Calzada einzusinken begann. Gewöhnlich sank sie an einer Seite zuerst ein, und zwar an jener Seite, wo der Boden am weichsten und sumpfigsten war. Hatte sich die Calzada erst einmal nach einer Seite hin geneigt, so rutschte die darüber hinfahrende Troza nach jener Seite ab. Weil aber die Ochsen anzogen, so geriet die Troza seitlich unter die feste Gasse und riss sie auf. Oder die Gespanne vermochten sich auf der geneigten und glitschigen Gasse nicht zu halten, rutschten zur Seite hinunter und zerrten die Troza in den Morast, wodurch sich dann dieselben Mühen und
Quälereien ergaben wie bei den Trozas, die völlig durch Morast gefahren wurden.
Aus diesen Gründen genügte es nicht, die Calzada einmal zu bauen, sondern sie musste unausgesetzt ausgebessert und erneuert werden, solange Trozas darüber hinweg gefahren wurden. Das Bauen und stete Ausbessern aber verursachte so viel Nebenarbeiten und hielt so viele Burschen von wichtigerer Arbeit ab, dass nur dann Calzadas gebaut wurden, wenn sehr viele Trozas diesen Weg geschleppt werden mussten; oder dann, wenn das Abfahren weniger Trozas über versumpftes Gelände mehr Zeit und Mühen gekostet haben würde als das Bauen der Calzada und das Abfahren zusammengerechnet.
»Da siehst du, Nene«, erklärte Andres dem jungen, »warum nur in Ausnahmefällen Calzadas gebaut werden. Wie das ohne Calzadas zugeht, das hast du heute ja genügend gesehen. Und wir sind noch nicht zu Ende. Heute Nacht um zwölf geht es wieder frisch los und abermals bis morgen früh um zehn oder elf, solange die Ochsen mitmachen. Kostet noch zwei verflucht harte Tage für uns und für die Ochsen. Aber wenn wir da drüben erst lange eine Calzada bauen wollten, dann kostete es vier oder fünf Tage, und für so wenige Trozas lohnt es sich nicht.«
»Aber dann brauchten wir uns weniger zu quälen«, sagte Vicente.
»Das kommt hier nie in Frage, ob wir uns mehr oder weniger abquälen. Was in Frage kommt, ist nur die mehr oder weniger rasche Lieferung. Und so oder so, wir, die Muchachos, sind es, die immer bezahlen müssen.«
Â
Als die Sonne tief stand und die eilig hereinbrechende Nacht sich durch einen kühlen Hauch ankündigte, rief Andres: »Muchachos, wir machen Schluss für heute. Um zwölf müssen wir schon wieder 'raus.«
Procoro erinnerte Andres daran, El Gusano habe gesagt, dass sie bis zum vollen Sonnenuntergang hier an der Gasse arbeiten sollten. Darauf meinte Fidel: »Das kümmert uns einen saftigen Schitt, was der Cabron gesagt hat. Wir gehen jetzt; ich habe genug geschuftet.«
»Wer ist der Cabron, und was für einen Schitt hat er zu sagen?« rief da El Gusano zwischen die Burschen.
El Gusano war, ungesehen von den Arbeitern, angeritten gekommen, und weil der Boden weich war, so hatte auch niemand die Hufe des Pferdes vernommen.
Fidel trat hervor und sagte frech: »Ich habe Cabron gesagt, ich! Und wir haben heute gerade genug geschuftet.« Während er vorgetreten war, hatte er seinen Machete fest in die Hand genommen und hielt ihn jetzt so, als ob er bei der geringsten Bewegung, die El Gusano gegen ihn unternehmen würde, auf ihn loszuschlagen beabsichtige.
El Gusano sah diese Geste. Er hob den Arm mit der Peitsche. Es war nicht gewiss, ob er das Pferd peitschen oder ob er mit dem Pferde dicht auf Fidel zuspringen wollte, um dem Burschen eins überzureißen.
Aber in dieser selben Sekunde bemerkte er, dass alle Burschen, bereits für den Heimweg gerüstet, in einem Haufen zusammenstanden, alle ihre Machetes in den Händen, und alle ihn anblickend. Er wusste nicht, ob die Burschen nur einen herausfordernden Eindruck zu erwecken oder ob sie ihn ernsthaft zu bedrohen gedachten. Er hielt es für klüger, diese
Frage nicht mit Bestimmtheit jetzt und hier zu entscheiden. Lässig ließ er den Arm mit der Peitsche sinken und sagte: »Etwas mehr hättet ihr tun können heute, damit die Gasse rascher fertig wird. Vielleicht habt ihr recht, ihr seid müde. Aber um zwölf Uhr alle 'raus! Ich komme euch rufen. Die Trozas von drüben müssen morgen alle am Tumbo sein. Don Severo hat das ausdrücklich so angeordnet.«
Ohne auf Antwort zu warten, wendete er sein Pferd und ritt
weg.
Â
Die Muchachos wanderten, völlig erschöpft von einer fünfzehnstündigen schweren Arbeit in den Tiefen des Dschungels, zurück zum Campo. Als sie dort ankamen, war es dunkel geworden.
Eine Stunde darauf gingen sie zum Koch, um ihr Abendessen zu empfangen: schwarze Bohnen, aufgekocht mit grünen Pfefferschoten, Tortillas und Kaffee. Während sie aßen, fragte Pedro: »Was macht denn unser Companero Eulalio? Hat jemand nach ihm gesehen?«
»Ja«, erwiderte Andres, »ich habe ihm Kaffee gegeben. Halb sieht es aus, als ob er sich erhole, und halb, als ob er draufgehen wolle. Ich werde nicht ganz klug aus ihm.«
»Wir werden nach dem Essen einmal untersuchen, was wir mit ihm tun können«, sagte Matias, während er seine Bohnen mit einem Stück Tortilla auflöffelte und sie in den weitgeöffneten Mund schob.
Fidel nahm einen Schluck Kaffee und meinte: »Da können wir nun auch nicht mehr viel tun. Das Bein ist fort, und wenn wir noch einmal an ihm herumsägen, dann bleibt ja von dem ganzen Jungen nichts mehr übrig.«
Die essenden Burschen hockten vor der Küche auf dem Boden, spärlich beleuchtet von den flackernden Feuern der Kochhütte und zwei schmökenden Laternen, die der Koch an zwei Pfählen der Hütte aufgehängt hatte. Während die Burschen noch hier hockten, kamen die Hacheros gleichfalls zur Küche, um ihr Essen zu empfangen.
Häufig, wenn die Schlagfelder zu weit entfernt von dem
Campo waren, nahmen die Schläger wie auch die Boyeros beim Abrücken am Morgen ein leichtes Essen mit sich und wärmten es nahe bei ihrer Arbeitsstelle auf. In einem solchen Falle erhielten sie ihr volles Mittagsmahl am Abend. Das so genannte volle Mittagsmahl, oder la comida, unterschied sich von dem leichten Essen, wie es die Burschen am Morgen und am Abend erhielten, nur darin, dass es neben den schwarzen Bohnen noch Reis gab und ein Stückchen Trockenfleisch oder an Stelle dessen eine schwindsüchtige Ölsardine und zuweilen ein halbes Dutzend Bananen, die nahe den Oficinas Centrales gewonnen wurden. Es muss nun freilich gesagt werden, dass es hinsichtlich des Essens hier bei weitem gerechter zuging als bei Kriegsheeren zivilisierter Länder. El Picaro und El Gusano erhielten auch nicht eine armselige Bohne besseres Essen als die Muchachos. Und selbst Don Severo, wenn er, wie jetzt, im Arbeitscamp war, erhielt dasselbe Essen, vielleicht nur etwas aufgeheitert durch eine oder zwei Büchsen Ölsardinen in der Woche. Nur die Leute in den Oficinas Centrales, in dem Hauptquartier der Monteria, wo der Laden war und die Händler hinkamen, vermochten sich etwas Besseres zu leisten.
Â
Wenn die Caoba in der Region ausgab. und die Burschen mehr als eine Stunde vom Campo entfernt zu arbeiten begannen, dann wurde das Campo verlassen und im Mittelpunkt der neuen Ausbeutungsregion ein neues Campo gebaut, eine Oficina für den Contratista oder den aufsichtführenden Capataz, eine neue Küche und neue Wohnhütten für die Leute. Da alle diese Gebäude von primitivster Art waren und kein anderes Material verwendet wurde als das, was der Dschungel bot, so dauerte das Aufbauen eines neuen Campo kaum einen Tag. Und es wurde wieder verlassen, wenn eine neue entferntere Region eröffnet und ausgebeutet wurde. Nur das Hauptquartier der Monteria blieb unveränderlich an ihrem ursprünglichen Ort.
Es musste dort verbleiben, weil es die Zentrale der Konzession bildete. Die Konzession ging der Company oder den Unternehmern verloren, wenn, je nach den Verhältnissen, für sechs oder zwölf Monate die Zentrale verlassen wurde und niemand in dem Konzessionsgebiet arbeitete. Die Regierung hatte dann das Recht, die Konzession als aufgegeben anzusehen und sie an einen neuen Unternehmer zu vergeben. Freilich, es geschah oft, dass drei, fünf, ja zehn Jahre vergingen, ehe die Regierung offiziell Kenntnis davon bekam, dass die Konzession verlassen war. Die Companien und Unternehmer zahlten nur Steuer für die Produktion, die verschifft wurde. Das Nichteingehen der Steuer mochte seine Gründe darin finden, dass in der Konzession wenig produziert wurde, vielleicht aus Mangel an Caoba oder Mangel an Leuten. Die Ursache brauchte keineswegs die zu sein, dass die Konzession verlassen worden war. Und ob sie verlassen war oder ob sie gehalten wurde, konnte nur genau festgestellt werden dadurch, dass die Regierung eine Kommission ausschickte. Das war sehr kostspielig; und ob die Kommission wirklich die Monteria fand oder sich auch nur die Mühe nahm, sie zu finden, das konnte die
Regierung nie wissen. Das Hauptquartier der Company oder des Unternehmers im Hafen oder je nachdem in San Juan Bautista gab nur solche, je nach besonderen Umständen gefärbte Berichte ab; die den eigenen Geschäften günstig waren. Diese Geschäfte waren oft nichts anderes als reine Spekulationsgeschäfte, die sich durch das Festhalten an der Konzession leichter verschleiern ließen.
Die Montellanos freilich dachten nicht daran, ihre Konzessionen aufzugeben. Im Gegenteil, sie beuteten sie aus bis zum letzten Baum, den sie nur finden konnten. Und hätten sie eine Konzession entdeckt, die wirklich verlassen war, ohne voll ausgebeutet zu sein, so wären sie mit einer solchen Wildheit darauflosgesprungen, dass man hätte glauben können, sie wollten den ganzen Dschungel verschlingen.
Â
Eine reichlich große Schar von Burschen war es, die jetzt beim Abendessen um die Küchenhütte herumhockten, aßen, schmatzten, schlürften, schwatzten, mit ihren Schüsselchen und Kännchen klapperten, aufstanden, sich an anderer Stelle wieder niederhockten, riefen, pfiffen, summten, stritten.
Einige hockten ganz in sich zusammengefallen und begannen über ihren Trinkschalen und irdenen Näpfen einzuschlafen.
Mehrere Burschen standen auf, um sich zu den Hütten zu begeben und sich auf ihre Matten zu werfen.
Da kam El Picaro auf die Gruppe der Boyeros zu. Er wurde erst gesehen, als er ganz dicht vor ihnen stand, denn es war längst volle Nacht. Der Schein der Feuer und der beiden Laternen, die ewig zu überlegen schienen, ob sie nun wirklich leuchten sollten oder besser daran täten, mit einem letzten kummervollen Flackern zu verlöschen, reichte nur einige Schritte weit in die schwere Dunkelheit.
El Picaro war noch immer über und über mit Schlamm und Morast bedeckt. Selbst sein Gesicht und sein Haar zeigten noch reichlich Spuren des eleganten Rittes, den er durch den Morast zu machen versucht hatte. Jedoch der Morast war nun eingetrocknet und verkrustet und hing an seiner Kleidung fest wie ein Panzer. An vielen Stellen begann der verkrustete Schlamm bereits abzufallen und abzublättern oder in Staub zu krümeln. El Picaro wartete sicher auf den nächsten Regenguss, um sich dann voll bekleidet in den Regen zu stellen und den Morast von seiner Kleidung, seinen Stiefeln und aus seinem dichten Haar abwaschen zu lassen, ohne sich selbst dabei anstrengen zu müssen. Es war nicht etwa so, dass er den Dreck an sich liebte. Der eine Grund, warum er noch immer mit dieser Schlammkruste herumlief, war der, dass er nur diese Kleidung besaß. Auch die vier Hemden, die er hatte, waren alle gleich zerlöchert und gleich verkrustet, weil selten ein Tag vorüberging, an dem er nicht durch Morast zu reiten oder zu waten hatte und häufig genug lang in den Schlamm fiel. Der andere Grund, warum er immer noch diesen Dreck an sich trug, war, dass er bis jetzt noch keine Minute Zeit gefunden hatte, sich zu waschen oder ein Hemd herauszusuchen, das besser ausgesehen hätte, als das, das er gegenwärtig auf dem Leibe trug. Zu alledem kam hinzu, dass er genauso müde war wie alle übrigen Leute und zu dieser Stunde weder genügend Kraft noch Ehrgeiz aufzubringen vermochte, um sich zu waschen und die Schlammkrusten von seinem Hemd und seiner Hose abzupellen und abzureiben.
Der Dschungel und das Arbeiten im Dschungel lassen keine Privilegien zu, der Herr ist wie der Knecht und der Offizier gleich dem Soldaten; am Abend sind beide gleich müde, und beiden ist auch das letzte Fünkchen von Ehrgeiz und Liebe zur Reinlichkeit verloren gegangen, sobald sie ihr Essen verschluckt haben.
El Picaro blieb zwischen den Boyeros stehen. Einige der Muchachos blickten träge zu ihm auf, um zu erraten, was er wolle und welche neuen Befehle er zu geben beabsichtige. Die Mehrzahl jedoch nahm gar keine Notiz von ihm.
»Ihr könnt auch aufstehen und >Buenas noches, jefe!< sagen, wenn ich hier herkomme«, begann er.
Keiner der Burschen rührte sich. Nur Vicente, halb ängstlich vor Furcht, dass ihm El Picaro vielleicht einen Hieb versetzen könnte, sagte fast halblaut: »Guten Abend, Patroncito!« Aber im selben Augenblick bemerkte er, dass keiner der Burschen das Maul aufgemacht hatte, um El Picaro zu grüßen, und er schämte sich und hatte das Gefühl, dass er ein Verräter an seinen Kameraden sei. Es nahm ihm das jedoch niemand übel; denn keiner der Burschen würde es gewünscht haben, dass El Picaro diesem armseligen Krümchen von einem Menschen, das vor Müdigkeit und Überanstrengung völlig winselig geworden war, ein paar heftige Tritte in den dürren Leib versetzt hätte.
Drüben bei den Schlägern, hörte man auch, was El Picaro hier sagte, denn er rief es laut genug und mit der Absicht, dass alle es hören sollten.
Als El Picaro schwieg und außer Vicente niemand sich rührte, sagte Celso zu der Gruppe, in der er hockte und seine Bohnen aß: »Bueno, gut, dass keiner aufstand und nur das Würmchen von einem Jüngelchen das Maul aufgemacht hat; denn ich kann euch hier schwören: Wenn einer von euch >Guten Abend, Jefe!< gesagt hätte, dann hätte ich ihm heute Nacht die Fresse kurz und klein gehämmert.«
»He, was sagst du da?« rief El Picaro, der gehört hatte, dass Celso redete, ohne zu verstehen, was gesagt worden war.
»Ich sagte, dass ich ihm die Fresse zerschlagen werde«, gab Celso zur Antwort.
»Wen schlägst du in die Fresse?« fragte El Picaro.
»Den, der sein Maul zur unrechten Zeit aufmacht«, erwiderte Celso und versteckte sein Gesicht hinter seinem Blechkännchen, aus dem er nun einen langen Schluck Kaffee sog.
El Picaro konnte in dem ungewissen Licht nicht deutlich sehen, wer gesprochen hatte. Aber er schien etwas anderes vorzuhaben; denn er vergaß im Augenblick, was Celso sagte, und machte sich nicht die geringste Mühe, darüber nachzudenken, wie Celso das meinte.
Er blickte nun wieder auf die Boyeros, wickelte sich eine Zigarette, ging zu einem der Feuer, wo er sie anzündete, und kam wieder zurück zu der Stelle, an der er gestanden hatte. Dann puffte er eine Wolke von Rauch aus und sagte: »Ein paar von euch kommen 'rüber zu meiner Oficina. Ich werde euch Spaten geben. Es wird besser sein, ihr grabt den Eulalio jetzt noch ein. Er ist tot. Wir können ihn nicht bis morgen liegenlassen, dann stinkt er und verpestet uns hier die ganze Umgebung.  Ihr wisst ja,  wo  der Cementerio ist,  der
Begräbnisplatz. Eine gottverdammte Sache hier, dass man seine Leute nie voll haben kann. Und Don Severo ist immerfort hinter mir her. Ich dachte, er würde sich durchhelfen.
In einer Woche hätte er sich an seinen gottverdammten Stumpf einen Holzknüppel anbinden und kräftig schlagen und sein Konto 'runterarbeiten können. Aber gottverflucht noch mal, alles geht verkehrt hier.«
Er winkte einigen Muchachos, ihm zur Oficina zu folgen.
Â
Die Burschen standen auf und gingen zur Hütte, wo Eulalio lag. »Nichts mehr mit ihm zu machen«, sagte Matias. »Er ist richtig tot. Die Mühe mit dem Beinabsägen hätten wir uns sparen können. Das verfluchte Gift muss schon oben in seinen Hüften gewesen sein, als wir das Bein abschnitten.
Vielleicht hat er noch einen zweiten Biss gehabt, weiter oben, den wir nicht gesehen haben. Ich bin sicher.«
»Eine schöne blaue Leiche macht er.« Santiago betrachtete sich Eulalio in dem trüben, rauchigen Licht ganz nahe und mit einer rührenden Andacht, die wie ein ungesprochenes Gebet war. Aber als er sich seiner Gefühle bewusst zu werden begann, schüttelte er sie mit einer raschen Bewegung seines Kopfes ab.
Um bei den Muchachos, die herumstanden und nicht wussten, was zu tun und was zu sagen, auch nicht den leisesten Eindruck zu erwecken, dass er vielleicht gar weinerlich sein könnte, sagte er in seinem üblichen ironischen Ton: »Und nun müssen wir auch noch wieder sein abgesägtes Bein ausgraben gehen, das wir schon beerdigt hatten, damit wir es zu dem übrigen Körper legen können; denn wenn eines schönen Tages die Englein kommen sollten, um ihn aufzuwecken, dann würde er seine gottverdammte Mühe haben, auf seinem Stumpf herumzuhumpeln und das Bein zu suchen.«
»Denkst du nicht, Santiago«, meinte darauf Andres, »dass ihn Dios ebenso gut willkommen heißen wird, wenn er nur mit einem Bein angehumpelt kommt?«
»Dessen bin ich nicht so sicher. Dios bekommt vielleicht einen Schreck, wenn er ihn so sieht in seiner zerlumpten Hose und mit einer dicken Schlammkruste überdeckt. Und überhaupt, ein armseliger Ochsenknecht, wie er ist und wie wir alle hier, zerpeitscht, unvernarbte Schwielen überall, voller Dreck, nicht gekämmt, die aufgekrempte Hose so zerlöchert, dass man hinten seinen Ursch und vorne seinen Pricker sieht, und dann da auftreten neben all den Päpsten, Kardinälen, Bischöfen, Prälaten und den frischgewaschenen Engelchen, die da herumflattern, no camerada, das kann ich nicht glauben, dass da Eulalio willkommen geheißen und als gleichberechtigt aufgenommen werden wird.
Das kann mir niemand erzählen, und wenn es mir einer erzählen will, dann schwindelt er.«
Andres war neben Eulalio niedergekniet und bemühte sich, ihm die Augen zuzudrücken, die nicht halten wollten. Er gab dann den Burschen einen Wink, und sie zogen Eulalio auf seiner Matte in die Mitte der Hütte. Darauf stellten die Muchachos die rauchenden Arbeitslaternen um den Leichnam, zwei zu beiden Seiten des Kopfes und zwei zu beiden Seiten der Füße, so wie sie es daheim in der Finca taten. Nur gebrauchten sie dann Kerzen. Da aber hier niemand Kerzen hatte, so mussten die schmökenden, offenen Dochtfunzeln diesen frommen Dienst versehen.
»Dios wird es sicher weder ihm noch uns übel nehmen, auch la Madre Santisima nicht, wenn wir an Stelle der Kerzen nur unsere elenden Linternas hier brennen, weil wir nichts Besseres haben«, sagte Pedro so, als wollte er den Himmel um Entschuldigung bitten, dass sie dem Verblichenen keine besseren Begräbnisfeierlichkeiten bieten konnten.
Â
Vicente und einige der anderen kleinen Jungen hockten sich nieder und begannen, Litaneien zu singen.
Von diesen Litaneien verstanden sie kein Wort richtig; denn was sie sangen, war nur durch häufiges Hören gelernt. Weil es zu einem Drittel korruptes Latein war, zum andern Drittel ein noch schlechteres Spanisch und das letzte Drittel gemischt war aus vier verschiedenen indianischen Dialekten, so hatte sicher selbst Gott im Himmel seine verfluchten Schwierigkeiten, zu verstehen, was diese Burschen hier unten im Dschungel eigentlich von ihm wollten. Der Singsang kam jedoch aus ihrem vollen Herzen und war auf alle Fälle ehrlicher als neunzig Prozent aller Gesänge, die in einer zivilisierten Sprache, den Anwesenden verständlich, an offenen Gräbern heruntergeleiert werden und das auch noch mit Mienen, aus denen man, ohne Zeichendeuter zu sein, leicht ablesen kann, dass alle, Sänger und Zuschauer, nur einen Gedanken haben: »Oh, heiliger Bimbam, wenn doch nur die Steherei hier schon zu Ende wäre und wir uns einen guten Cognac einschwenken könnten. Das ist ja wahrhaftig, um junge Hunde zu kriegen, ehe der alte Salbader von einem Pfaffen zu Ende kommt. Ja, verflucht noch mal, hat er denn nun immer noch was zu sagen? Es wird gleich zu regnen anfangen, und meine Frau hat ihren neuen Hut aufgesetzt, und der kostet mich einen Haufen teures Geld. Weiß der Teufel, warum habe ich mich auch verleiten lassen, mit zu diesem Begräbnis zu zotteln, es wäre ganz gut ohne mich gegangen. Gott sei gelobt, nun fängt er ja an, ihn einzusegnen und von dem Staub und der Asche zu reden und drei Prisen Dreck in die Grube zu pfeffern. Da habe ich schon einen nassen Tropfen auf die Nase gekriegt, es fängt richtig an zu regnen, und ich habe keinen Schirm mitgebracht! Den ganzen Tag war Sonnenschein, und gerade jetzt muss es zu regnen anfangen. Nun muss ich auch noch den Hut abnehmen und mir mein fettiges Hutband ansehen und das Futter beschnüffeln.«
Â
Andres zog die zweite Matte hervor, die unter derjenigen lag, auf der Eulalio ruhte, während Fidel und Matias den Körper anhoben. Diese zweite Matte deckte jetzt Andres über den Körper, nachdem die untere Matte zu beiden Seiten des Eulalio hochgerollt war.
»Wo habt ihr denn das Bein?« rief Matias.
»Hier ist es«, erwiderte Procoro und schob es gegen den Stumpf. Cirilo bemerkte beiläufig: »Es war höchste Zeit, dass wir das Bein ausgruben, die Hunde hatten schon angefangen, es aufzuscharren.«
»Ihr hättet es im Campo Santo eingraben sollen«, sagte Sixto.
»Dazu hatten wir heute Mittag keine Zeit, El Gusano war ja gleich hinter uns her, dass wir abmarschieren sollten, um die neue Gasse drüben zu bauen.«
Die obere Matte wurde nun gleichfalls umgerollt. Mehrere der Burschen hatten Lianen und lange Bastriemen herbeigebracht. Der Körper, völlig eingewickelt in die beiden Petates, wurde rundherum verschnürt, damit er beim Tragen aus den Matten nicht herausrutschte.
Als er nun wie ein langes Paket aussah, knieten alle Burschen nieder, bekreuzigten sich und fielen in das Singen der Jungen ein. Jeder sang nach seiner Weise, und es waren sicher keine drei, die eine und dieselbe Litanei oder dasselbe Ave zu singen vermochten, auch wenn sie es gewollt hätten. Was aber auch immer die Worte waren, die sie sangen, oder die ungewisse und verworrene Melodie, mit der sie ihren Gefühlen Ausdruck gaben, sie alle dachten dabei an Eulalio; Eulalio, den sie gestern gesund in ihrer Mitte gesehen hatten und der heute sich verabschiedet hatte, um zu einer anderen Monteria als Boyero zu gehen. Mit Ochsen umzugehen und Trozas zum Tumbo zu fahren war das einzige, was Eulalio gut verstanden hatte.
Darum bestand bei keinem der Muchachos ein Zweifel darüber, dass, wohin Eulalio auch immer gehen oder wo er auch immer ankommen würde, er wieder Boyero sein und Trozas zu fahren haben werde.
Vielleicht würde er weniger gepeitscht von El Gusano und seltener gehenkt auf Anordnung des Don Severo; vielleicht gab es zuweilen gutes Fleisch beim Essen und mehr schwarze Bohnen und frischere Tortillas; vielleicht bekam er ein neues Hemd und eine gute weiße Baumwollhose und gelegentlich seine Trinkschale voll gefüllt mit gutem altem Comiteco; aber Trozas musste er täglich fahren, von zwölf Uhr nachts bis elf Uhr morgens, und nachmittags Calzadas bauen. Das war gewiss. Und das war der feste, unerschütterliche Glaube aller Caobaleute. Denn Eulalio war desertiert, ohne seine Schulden abgearbeitet zu haben. Solange die nicht bis zum letzten Centavo abverdient waren, hatte er Trozas zu fahren, wohin er auch immer gehen würde. Menschen kamen und gingen, aber die Schulden blieben.
Ungezählte Tausende von Peones, von Landarbeitern, lebten auf den Fincas, Domänen und Feudalherrschaften als Leibeigene und hatten Schulden abzuarbeiten, die von ihrem Vater herrührten, der wieder die Schulden seines Vaters übernommen hatte. »Die getreue Abtragung der Schuld des Vaters ist die fromme Pflicht des gehorsamen Sohnes, damit der Vater weniger lange Zeit im Fegefeuer zu leiden habe und Ruhe im jenseits finde.« Der Cura sagte das, wenn immer er zur Finca kam und in der Kapelle der Finca die Ehen der Peones einsegnete und deren Kinder taufte. Und darum waren alle Muchachos, die hier Litaneien sangen, durchaus des Glaubens, dass Eulalio auch jetzt wieder Trozas fahren würde; denn dass es für einen Peon jemals ein Dasein geben könne, hier oder im jenseits, wo er nicht zu arbeiten brauche, wo er keine Schulden habe, die er herunterzuarbeiten verpflichtet sei, wäre ihnen unbegreiflich gewesen. Die Arbeit mochte vielleicht weniger hart sein, das Essen besser und die Behandlung milder; aber gearbeitet musste werden. Weil Eulalio nichts anderes kannte als Arbeit mit Ochsen und Trozas fahren, so war das auch jetzt wieder seine Arbeit, und alles ging durchaus natürlich zu. »Una vez peones, para siempre peones. Das Schicksal machte uns zu Proleten und Landarbeitern, und deshalb bleiben wir in alle Ewigkeit Peones. Ni la muerte nos libra.
Selbst der Tod befreit uns nicht von unserem Schicksal.«
Â
Die Burschen hörten auf zu singen, bekreuzigten sich, dann den Abgeschiedenen und dann abermals sich. Sie waren nun bereit, Eulalio aufzunehmen und mit ihm abzuwandern.
Da kam El Gusano in die Hütte. Er blickte sich um, sah auf das Paket am Boden und sagte: »So viele Laternen brauchen doch wirklich nicht zu brennen. Weiß die gottverdammte Hölle, wann wir wieder frisches Petroleum bekommen. Fackeln aus Ästen hätten es auch getan.«
»Ja, die hätten es auch getan, Jefe.« Santiago richtete sich auf und blies die Laterne aus, die er in der Hand hielt, und zwei andere, die dicht zu seinen Füßen standen.
Ohne sich weiter um El Gusano zu kümmern, sagte er: »Vamonos, muchachos!« Die Burschen wurden geschäftig, nahmen den Packen auf ihre Schultern und marschierten aus der Hütte.
Während all dieser Bewegungen und Handlungen schoben und stießen sie El Gusano von einem Platz zum andern, als wäre er ein Stück Möbel, das im Wege stand. Er war eingetreten als Kommandierender, der keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen beabsichtigte, ohne als Befehlender einzugreifen. Er hatte hier in diesem Geschäft nichts anzuordnen, und niemand hatte ihn oder El Picaro um Rat oder irgendwelche Mithilfe ersucht. Er versuchte, herumzuhantieren, als ob er sich verpflichtet fühle, das Begräbnis zu leiten oder irgendwie dreinzureden. Als die Burschen dann endlich auf dem Marsch waren, wollte er folgen. Er bewegte sich so, als ob er auch hier Vorgesetzter sei und einem Arbeiter das letzte Geleit zu geben habe, nicht als Leidtragender oder Trauernder, sondern um die Leute nicht vergessen zu lassen, dass sie ohne seine Befehle nicht einmal ihre Toten begraben konnten oder gar durften.
Die Leute drückten sich jedoch so geschickt in einen Knäuel, liefen so hin und her und schoben sich unausgesetzt so eilig durcheinander, dass dem Gusano keine offene Lücke blieb, um wirklicher Teilnehmer am Marsche sein zu können.
Ganz unerwartet fand er sich mehrere Schritte weit zurück und wusste nicht, wie das gekommen war; denn eben noch schien er mitten unter den Muchachos gewesen zu sein.
Niemand drehte sich nach ihm um. Die Burschen nahmen plötzlich eine sehr rasche Gangart an, so dass er sich lächerlich vorgekommen wäre, hätte er versucht, hinterherzurennen wie ein zurückgelassener Hund.
Er blieb stehen und sah dem Trauerzuge nach. Die kleine Schar wurde rasch von der Nacht verschluckt, und er sah für einige Sekunden nur noch das Fünkchen der schmökenden Laterne, das hin und her schwankte, ganz klein wurde und dann mit einem Ruck verschwand.
Â
Nur eine einzige Laterne trugen die Muchachos. Alle übrigen hatten sie beim Verlassen der Hütte ausgelöscht und auf den Boden gestellt. Ihre Geste war so deutlich lickmirnursch gewesen, dass selbst El Gusano sie nicht missverstehen konnte. Nicht einen Tropfen billigen Petroleums wollten sie von ihm geschenkt haben, wenn sie ihren Kameraden zu Grabe trugen. Die eine Laterne, die sie jetzt noch mit sich führten, war der schweren Finsternis wegen notwendig.
Als sie ein Stück gegangen waren und zum Dickicht kamen, begannen sie Äste und Zweige abzuschlagen und sie als Fackeln zu brennen.
Der Cementerio war nur fünfzehn Minuten vom Lager entfernt. Solange ein neues Camp nicht zu weit weg aufgebaut wurde, bedienten sich die Leute des Begräbnisplatzes, der angelegt worden war, als der erste Mann im neuen Semaneo verstarb. Darum wurde der Campo Santo für einen neu eröffneten Semaneo immer weit voraus in jener Richtung angelegt, nach der hin die nächsten Felder aufgeschlossen werden sollten. Dadurch konnte der Begräbnisplatz, einmal angelegt, für lange Zeit dienen. Nur wenn die neuen Camps gar zu weit in neue Gebiete verlegt wurden, musste ein neuer Campo Santo bestimmt werden, damit bei den Begräbnissen nicht zu viel Zeit verloren ging. Alle Zeit der Burschen gehörte als unbestrittenes und als gesetzliches Eigentum den Inhabern der Konzessionen.
Und je weniger Zeit auf so überflüssige Arbeiten wie das Einscharren eines Muchachos verwendet wurde, um so mehr Zeit blieb für nützliche Arbeit. Meist geschah es, dass in einem neuen Camp schon nach drei Tagen jemand eingegraben werden musste.
Ob in diesem Campo Santo, auf dem die Muchachos jetzt anlangten, viele begraben lagen oder wenige, war schwer zu sagen. Eine Anzahl niedriger Hügelchen war unregelmäßig über den Platz verstreut. Hier und da steckten im Boden zerbrochene und verwitterte Kreuzchen, gefertigt aus roh zugehackten Stämmchen. Zu allen Seiten sah man Einsenkungen, von denen man, ohne mehr darüber zu wissen, annehmen durfte, dass dort einen Meter oder noch weniger tief ein Körper in sich zusammengefallen sein musste, so dass die Oberfläche der Erde nachrutschte. An den meisten Hügelchen und Einsenkungen hatten Schweine und Hunde gewühlt. Manch einer der Hunde war von einem Arbeiter mitgebracht worden, weil sich der Hund von seinem Herrn nicht trennen konnte. Und starb der Herr, so suchte ihn der Hund unter der Erde. Aber das waren Ausnahmen. Die Hunde, die sich in Dutzenden in den Camps herumtrieben, waren immer hungrig, und sie mussten gleich den ewig hungrigen zahmen und wilden Schweinen von selbst zusehen, wo und wie sie ihr Futter bekamen, wenn sie leben wollten. Wenn sie ihr Futter nicht von den Lebenden bekommen konnten, so mussten sie es von den Toten nehmen. Allein auf die Jagd in den Dschungel zu gehen, um sich etwas zu fangen, dazu waren die Hunde und erst recht die zahmen Schweine zu furchtsam und zu faul. Die wilden Schweine waren im Dschungel zwar in ihrer Heimat, aber sie versuchten, mehr noch als die zahmen, so bequem zu leben, wie es eben einem Schwein von Natur wegen zusteht. Im Streit um diese leichten Beuten blieben die wilden Schweine gegenüber den zahmen und gegen die hungrigen Hunde immer siegreich, und sie überließen den Besiegten das Feld nur, wenn sie sich infolge eines übervollen Magens nicht mehr rühren konnten.
Â
In wenigen Minuten war ein Loch gegraben. Einige der Burschen begannen wieder, eine Litanei zu singen, diesmal jedoch weniger aus einem Herzensbedürfnis heraus als vielmehr darum, weil sie nicht recht wussten, was sie Besseres tun konnten, während das Loch ausgeworfen wurde.
»Wenn wir unsern alten Medizinmann hier gehabt hätten«, sagte Procoro zu Valentin, der neben ihm stand und eine Zigarre drehte, »dann wäre der Eulalio nicht so elend verreckt. Por Dios, wie viele sind in unserm Dorfe doch schon von Cascabeles gebissen worden, und die leben alle noch. Ich kenne ein halbes Dutzend Jungens, alle in meinem Alter, und sie und ich, wir haben uns manchmal zum Vergnügen von einer Klapperschlange beißen lassen und mit ihr gespielt. Dann haben wir geschrieen und sind zum Bruio gelaufen, zu dem alten, verknorpelten Medizinmann, und der hat uns eine Suppe eingegeben, und alles war wieder gut.«
»Du brauchst hier auch nicht gerade so zu schwindeln«, erwiderte Valentin, »auf der Finca, wo ich groß geworden bin, da ist noch ein jeder gestorben, der von einer Cascabel gebissen wurde. Da gibt es kein Mittel dagegen.«
»Und ich sage, da gibt es aber trotzdem ein Mittel dagegen, das immer hilft«, behauptete nun Santiago, sich in das Gespräch mischend. »Ich weiß es bestimmt, von einem halben Hundert von Leuten, die ich kenne, dass es einige gute Medizinen gegen Culebrabisse gibt. Und da gibt es auch noch solche, die du vorher einnehmen kannst. Und wenn du sie eingenommen hast, dann kannst du auf die Culebrajagd gehen und die Schlangen mit der Hand fangen. Sie können dich beißen wie wahnsinnig, und es tut dir gar nichts, überhaupt gar nichts.« Über diese Stimmen hinweg rief nun Cirilo: »Ihr alle wisst einen Schittdreck, das ist es, was ihr wisst. Alle seid ihr Burros, dumme Esel. Wer von einer Culebra gebissen wird wie die, von der Eulalio geschnappt wurde, der geht immer drauf.«
»Wenn er immer draufgeht warum hast du es denn nicht heute Mittag erzählt«, sagte Fidel. »Dann hätten wir den armen Lalio nicht zu quälen brauchen mit dem Beinabsägen, wenn er doch verrecken musste.«
»Ich sage ja nicht«, rechtfertigte sich Cirilo, »dass man nicht alles, was man weiß und was man kennt, wenigstens versuchen soll, um jemand am Leben zu erhalten. Manchmal hilft es eben, wenn das Bein oder die Hand abgehackt wird. Aber dann muss es gleich gemacht werden und nicht erst, wenn das Gift schon den Nabel gebläut hat. Dann kann man sich die Mühe sparen.«
»Verflucht noch mal!« donnerte Andres dazwischen. »Verflucht noch mal mit euch allen hier!
Haltet doch schon endlich mal die gottverfluchten Luken still.«
Â
»Was hat das gottverfluchte Streiten jetzt noch für einen Zweck?« ertönte nun eine neue Stimme, die sich aus tiefster Dunkelheit der Gruppe näherte. »Er ist tot und jämmerlich verreckt, und nun lasst ihn endlich vermodern, damit er seine Ruhe bekommt. Wenn ihr hier noch lange schreit und streitet, steht er gar noch auf, kriecht heraus aus seinem Päckchen, das ihr so elend schlecht zusammengeschnürt habt, haut euch allen ein paar in die Fresse und wickelt sich dann wieder ein. Das nenne ich auch ein Begräbnis, hier mitten in der Nacht und mit dem Kadaver vor euch sich herumzustreiten, ob er richtig gedoktert wurde oder falsch. Falsch wurde er von euch Ochsen gedoktert; darum ist er verreckt. Wäre er richtig behandelt worden, dann hätte er sein Bein noch und könnte heute Nacht mit euch wieder losziehen, um Trozas zu fahren.« Es war Celso, einer der ältesten und erfahrensten Hacheros der Monteria, der gekommen war, um zu sehen, wie das Begräbnis sich abspiele. Es waren nur zwei Schläger anwesend, alle übrigen waren im Campo geblieben und hatten sich niedergelegt, weil sie mit ihren Kräften wohl noch weiter herunter waren als die Boyeros. Und da es ein Toter der Boyeros war, so galt es als deren Feierlichkeit allein, und Schläger fühlten keine Verpflichtung, an einer Zerstreuung teilzunehmen, die sie nichts anging. Wenn die Hacheros ihre Toten einbuddelten, dann legten sie gleichfalls keinen Wert darauf, von den Boyeros in ihrem Vergnügen gestört zu werden.
»Das ist es ja eben, Celso, warum wir uns hier streiten«, sagte Cirilo, auf Celso zukommend. »Es ist alles falsch gemacht worden. Wäre er richtig kuriert worden und zu richtiger Zeit, dann würde er jetzt hier herumspringen wie ein junges Zicklein.«
Celso trat nahe an das Loch, wo immer noch gegraben wurde, um es genügend weit und bequem zu machen. Mit überlegener Geste nahm er einem der beiden Burschen, die gruben, den Spaten aus der Hand. »Da stichst du hier einen Fußbreit mehr weg und dann hier einen, und fertig ist der ganze verfluchte Schitt.«
Er warf hier zwei Spaten voll feuchter, schwarzer Erde aus und dort zwei und stieg dann auf den Rand. »Legt ihn nun schon 'rein. Tief genug ist es, dass die elenden Jabalis ihn nicht ausgraben und auffressen. Und wenn die Biester, die verdammten, ihn dennoch auffressen, so wird es ihm auch nicht mehr weh tun.«
Matias und Sixto nahmen den Packen auf, schwenkten ihn einmal hin und her und ließen ihn in das Loch fallen.
Celso, an der anderen Seite stehend, sagte. »Er liegt verflucht krumm in der Höhle, mit dem Hintern auf dem Boden und Kopf und Beine hoch in die Luft gestreckt. Aber er hat ja wohl Zeit, meine ich, sich an diese unbequeme Lage zu gewöhnen.« Darauf bekreuzigte er den Packen, dann bekreuzigte er sich, nahm den Spaten und warf einige Haufen Erde in das Loch. Er reichte den Spaten einem der Burschen und sagte: »Ich bin nicht hier hergekommen, um die ganze Arbeit allein zu tun. Wenn ihr einen Abgezippelten habt, so grabt ihn doch selber ein, gottverflucht noch mal!« Seine Glieder reckend und streckend, sagte er nun: »Was bin ich doch müde! Hölle und Teufel, was bin ich doch hundemüde! Und wie gerne möchte ich den beiden gottverfluchten Coyotes den Spaten über die Schädel knüppeln.«
In dem flickernden, rauchigen Licht der Fackeln um sich blickend, suchte er nach seiner halben Zigarre, die, er auf einen Ast gelegt hatte, als er den Spaten ergriff. Er fand sie, zündete sie mit einem glimmenden Zweig an und verschwand im Dickicht, um zu seiner Choza zurückzugehen.
Während das Loch zugeschüttet wurde, sangen die Jungen und einige der Burschen erneut eine Litanei herunter, von der sie nur vier Zeilen wussten, die sie ohne Unterlass wiederholten, ohne sich dabei je auf eine gemeinsame Sprache und noch viel weniger auf ein und dieselbe Melodie zu einigen.
Als etwa ein Fuß Erde auf dem Paket aufgeschichtet war, sprangen zwei Muchachos in die Grube und traten die Erde mit ihren nackten Füßen fest. Dann legten sie Zweige darüber, warfen abermals Erde darauf und traten diese wieder fest. Endlich war alles ausgeebnet. Das Hügelchen war so unbedeutend und machte einen so unauffälligen Eindruck, dass man vermuten konnte, ein zweijähriges Kind läge hier begraben und es sei außerdem auch noch an Erde gespart worden. Santiago hatte inzwischen zwei Stückchen Holz mit seinem Machete sauber zugehackt und sie mit dem abgerissenen Ende einer Liane zu einem Kreuz zusammengebunden.
Sobald das Hügelchen festgetreten war, steckte er das Kreuz in die weiche Erde. Die Muchachos standen still, bekreuzigten sich dreimal, und Andres sagte halblaut: »Madre Santisima, Allerheiligste Gottesmutter, segne seine arme Seele. Ave Maria Purisima!« Und alle wiederholten: »Ave Maria, Purisima en el cielo, Madre de Dios, Virgencita Santisima, ruega por nosotros und gib ihm deinen Segen und ewigen Frieden! Amen!«
Dann standen sie noch eine Minute schweigend und sahen auf den kleinen Hügel. Matias kniete nieder und rückte das Kreuz ein ganz kleines Stückchen weiter herum, als sei es seiner Meinung nach nicht richtig in die Erde gesteckt. Hierauf scharrte er behutsam mehr Erde dicht an das Kreuz und drückte sie mit spitzen Fingern fest. Als die Burschen nun sahen, dass alles getan war, wandten sie sich und schlenderten zurück zu ihren Chozas.
Aus weiter Ferne schallte das dumpfe Brüllen einer Sippe Monos Gritones, die hoch in den Kronen mächtiger Bäume die Nacht verbrachten. Es dröhnte durch den Dschungel wie das Brüllen verärgerter Löwen. Obgleich es grauenerregend und furchtverbreitend die Nacht zu zerreißen schien, bekümmerte es den Dschungel nicht. Er sang und geigte, zirpte und flötete, winselte und jammerte, jubilierte und seufzte sein urewig gleiches Lied mit der Stetigkeit des Rauschens der Meere.
ENDE