B. Traven - Der Marsch ins Reich der Caoba (1933)
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ERSTES KAPITEL

In Hucutsin begannen die Karawanen der syrischen Händler einzutreffen. Dieses Ereignis veranlasste die Bewohner des Ortes, wieder einmal aufzuwachen. Während des ganzen Jahres hatten sie keine Gelegenheit, sich zu erinnern, dass sie am Leben seien, dass ihr Ort sich irgendwo auf der Erde befinde und dass der Name ihres Städtchens so verschieden geschrieben werden mochte, dass jeder einzelne Bewohner seinem eigenen Geschmack folgen konnte.
Die Ortsbehörde schrieb den Namen des Städtchens in einer anderen Weise, als die Postbehörde die Briefmarken abstempelte. Das an sich war schon Grund genug, dass der Postmeister, der Federalbeamter war, mit dem Bürgermeister, der den Verfügungen des Staatsgouverneurs unterstand, sich in keiner Frage
persönlicher oder allgemeiner Ansichten einigen konnte.
Aber der Bürgermeister hielt dennoch genügend Freundschaft mit dem Postmeister aufrecht, um gelegentlich sich die Erlaubnis nehmen zu dürfen, die einlaufenden und die abgehenden Briefe durch seine Finger gleiten zu lassen und dann zuweilen den Postmeister lächelnd zu bitten, diesen oder jenen
Brief einige Tage zurückzuhalten, ihn an den Empfänger verspätet auszuliefern und einen anderen Brief nicht mit der nächsten, sondern erst mit der darauf folgenden Post abgehen zu lassen.
Die Post kam nur einmal in der Woche an, und nur einmal in der Woche ging die Post ab. Sie wurde auf dem Rücken eines indianischen Trägers vier Tage weit zu dem nächsten größeren Postsammelort befördert. Von jenem Sammelort wurde die Post dann auf Maultieren weitergeschafft, bis sie nach weiteren sieben oder acht Tagereisen an der Bahnstation eintraf.
Diese lange Reise der Post, die häufig genug durch schwere tropische Regengüsse oder durch Meldungen von herumstreifenden Banditenhorden um das Doppelte oder Dreifache verlängert wurde, machte es für den Postmeister leicht, gelegentlich dem Bürgermeister eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.
Der Bürgermeister war ja nicht nur der Bürgermeister. Er war außerdem auch noch der Ehemann einer Frau, die im Ort einen gutausgerüsteten Kaufladen hatte, und er war der Schwager eines Mannes, der rohen Tabak unter den indianischen Bauern aufkaufte und diesen Tabak mit einem dicken Gewinn nach den größeren Städten verschickte.
Da nun aber auch andere Leute im Orte einen Kaufladen und einen Tabakhandel besaßen, so war es für den Bürgermeister recht vorteilhaft, zu wissen, mit wem dieser oder jener der Geschäftsleute am Orte Handelsbeziehungen an den größeren Marktplätzen unterhielt.
Die Syrier waren unter allen möglichen Namen im Lande bekannt. Auch hier kam es ganz auf den persönlichen Geschmack der Leute an, wie sie jene Händler nannten. Bald hießen sie Libanesen, bald Türken, dann wieder Araber, Ägypter, Propheten, Mohammedaner, obgleich sie zumeist Katholiken waren nach eigener Färbung, dann wieder Levantiner und gelegentlich Wüstenbewohner. Die Leute, die von den syrischen Händlern kaufen mussten, und das war die Mehrzahl der weiblichen Bevölkerung in den fernen Orten, wo beinahe ausschließlich nur die Araber hinkamen, nannten die Händler Schwindler, Betrüger, Geldfälscher, Räuber, Schurken, Ausbeuter mexikanischer Näherinnen und Textilarbeiterinnen, Mörder, Kinderräuber und Kandidaten für den Artikel dreiunddreißig. Der Artikel dreiunddreißig der mexikanischen Konstitution beschäftigt sich mit der Deportation aller unerwünschten Elemente.
Die Syrier, obgleich ihr Christentum um ein vielfaches unbestimmter war als das der Mexikaner, kannten aber dennoch alle Heiligentage der Mexikaner um vieles besser und richtiger als die Mexikaner selbst.
Das will sehr viel heißen. Denn wenn auch einige Millionen von Mexikanern nicht lesen und schreiben können, die Heiligentage kennen sie aber doch alle auswendig; und je ungebildeter sie in allen sonstigen Dingen des Lebens sind, um so gebildeter sind sie in allen den Einzelheiten, die einen Kirchenheiligen persönlich angehen. Der Mexikaner hat ein ihm eingehämmertes kirchliches Interesse an den Lebensschicksalen der Heiligen. Der Syrier dagegen, mehr praktischen und weltlichen Dingen zugeneigt, hat lediglich ein rein wirtschaftliches und materielles Interesse an den Geburtstagen, den Hinrichtungstagen und Folterungseinzelheiten der Heiligen. Die Syrier, die in Mexiko einwandern, arm wie eine Grille in der eingefrorenen Ackerfurche, besitzen nach fünfzehn Jahren ein Geschäft oder eine Fabrik, die mit einer halben Million Dollar nicht gekauft werden könnte.
In allen jenen Fällen, wo Mexikaner gleich gute Kaufleute sind, da haben sie es von den SyroLibanesen gelernt; denn weil die mexikanischen Händler ja Seite an Seite mit den arabischen Händlern auf den Märkten der Heiligenfeste arbeiten, bleibt dem mexikanischen Kattunhändler kein anderer Ausweg, als dem Syrier alle Kniffe und Schliche nachzumachen, um nicht in seinem eigenen Lande zu verhungern.
Wenn diese arabischen Händler nach mehreren Jahren des Herumziehens auf den Heiligenfesten älter werden und die Anstrengungen solcher Reisen nicht mehr genügend ertragen können, sind sie inzwischen so vermögend geworden, dass sie den Großhandel betreiben können und Fabriken errichten, wo sie den mexikanischen Arbeiterinnen zwanzig Centavos Taglohn zahlen für das Nähen von Hemden und Unterhosen und für das Anfertigen allen jenen Schundes, den die kleineren syrischen Händler auf den Märkten verkaufen. Diese kleinen Händler müssen das vertreiben, was ihnen ihre reichen Landsleute zum Verkauf übergeben; denn nur von denen erhalten sie Kredit, und sie warten nun auf jenen Tag, wo auch sie reich sein werden, um es mit den nachfolgenden kleinen Händlern ihrer Rasse ebenso machen zu können, wie es mit ihnen getan wurde.
Die syrolibanesischen Händler waren die ersten unter den Kaufleuten, die in Hucutsin eintrafen. Sie waren die eifrigsten im Unterhandeln mit der Ortsbehörde, und sie wussten, wie viel sie an diesen und jenen der Behörde hinter dem Rücken zu zahlen hatten, um besondere Privilegien und die besten Marktstände zu erhalten.
Während der nächsten Tage kamen dann die übrigen Händler an, Mexikaner, Spanier, Guatemalteken und Kubaner.
Jede Art des Handels oder Gewerbes hatte ihr bestimmtes Viertel auf der Plaza.
Da waren die Spielbänke, die Würfelbuden, die Tafelspiele, die Zuckerwarenhändler, die Kleiderstoffverkäufer, die Krämer mit Schmuckwaren, die Garküchen, die Schwertfresser und Feuerschlucker, die Zauberkartenverkäufer, die Wahrsager, die Händler mit heiligen Kerzen, Amuletten, Heiligenbildchen und Opferkleinodien, die Seidenhändler, Kattunhändler, Topfhändler, Sattelmacher, Seilhändler, Mattenflechter, Hutflechter, Stickwollehändler, die Händlerinnen mit buntgestickten Hemden und Jäckchen, die Papageienhändler, Eidechsenverkäufer, Händler mit Jaguar- und Tigerfellen, die Munitionsverkäufer, Gewehrschmiede, Uhrmacher, Messerschleifer, Corridosänger, Musikanten, Schausteller, die gestohlene Kinder als Künstler und Akrobaten vorführten und sie zur Belustigung der Festbesucher die Glieder verrenken und verbiegen ließen. Nur Zirkusse, Karussells, Luftschaukeln und ähnliche Dinge waren nicht vertreten.
Diese großen Unternehmen konnten nicht auf Maultieren und Eseln verfrachtet werden. Und alles, was man nicht auf dem Rücken von Lasttieren oder Indianern befördern konnte, das konnte nicht herbeigeschafft werden.
Die Marktleute bauten auf der Plaza eine kleine Stadt für sich auf. Einzelne der Handelsgruppen, wie etwa die Kleiderstoffhändler, die Kattunhändler und die Seidenhändler, hatten ganze Straßen für sich allein.
Die besonderen Stände für jeden einzelnen Händler wurden ausgelost. Bei der Verlosung mussten alle Händler persönlich anwesend sein, um spätere Streitigkeiten zu verhüten.
Bei solchen Streitigkeiten der Händler ging es sehr ernsthaft zu. Es flogen reichlich Revolverkugeln durch die Lüfte, aber einige flogen dem einen oder dem anderen in die Eingeweide. Unangenehm war es, wenn verirrte Revolverkugeln jemand unter das Vorhemd zwitschten, der mit dem Streit und mit den Händlern gar nichts zu tun hatte, sondern nur gerade zufällig vorüberkam, als die Marktleute das Gottesurteil anriefen.
Diejenigen Händler, die sich mit dem Bürgermeister vorher verständnisvoll über die privaten Sorgen jener Herren geeinigt hatten, bekamen ihre Gewinnnummern zugesteckt, und sie brauchten nur, wenn die Nummer aufgerufen wurde, zu rufen »Presente! Anwesend!« und ihren Namen nennen. Wer die privaten Zugänge zu den Sorgen des Bürgermeisters nicht kannte oder wer jene Türen nicht gut und geschickt zu ölen verstand, musste sich mit den Plätzen begnügen, die übrig blieben oder die ihm von der Heiligen Jungfrau in der Auslosung überwiesen wurden.
Freilich, so leicht, wie sich das jemand denkt, der das Land und seine besonderen Verhältnisse nicht kennt, war das Geldverdienen der Händler keineswegs. Unter diesem Himmel, unter dem die Menschheit lebt, wird niemand etwas geschenkt, und niemand wird das Leben zu leicht gemacht.
Die arabischen Händler gelangten zu Wohlstand und Reichtum. Das ist richtig. Jedoch das war nur ein gerechter Lohn für ihr hartes Arbeiten.
Die Mexikaner hatten in ihrem eigenen Lande ebenso viele Freiheiten und Rechte wie die Syrier.
Aber der Mexikaner, wenigstens die große Mehrzahl der Mexikaner, kann es nicht ertragen, Geld in seiner Tasche oder in seinem Kasten zu wissen. Wenn er fünf Pesos am Tag verdient, so bemüht er sich, sieben Pesos auszugeben.
Er liebt es, Feste zu feiern und Feste zu geben. je mehr, desto besser. Er feiert den Tag seines Schutzpatrons mit einem Aufwand, der ihn ein Vierteljahr seines Einkommens kostet. Dann wird natürlich der Tag des Schutzpatrons seiner Frau gefeiert, dann der seines Sohnes, dann der seiner Tochter, darauf der seines Onkels und dann der seiner Tanten, seiner Neffen, seiner Brüder, seiner Schwestern, seiner Schwäger, seiner Vettern und Basen, und endlich noch feiert er die Namenstage aller seiner Freunde. Aber darüber darf er die offiziellen Kirchenfeste nicht vergessen, die etwa zweihundert Tage im Jahre ausfüllen. Hinzu kommen die fünfzig patriotischen Festtage. Endlich muss er die Semena Santa, die heilige Karwoche, feiern, in der er auf seine jährliche Ferienreise geht. Es ist keineswegs übertrieben, zu sagen, dass der Mexikaner, der es seiner Familie, seinem Vaterlande, seinen Freunden und der katholischen Kirche recht machen will, dreitausendsiebenhundert Tage benötigt, um alle die Feste zu geben und zu feiern, die er innerhalb eines Jahres als guter Familienvater, als Patriot und als gläubiger Katholik zu geben und zu begehen verpflichtet ist. Aus diesem Grunde hat er nie Geld, kommt nie zu Geld, und wenn er wirklich auf irgendwelchen Umwegen zu einem Wohlstand gelangt, gibt er ein großes Bankett für alle seine Freunde, um diesen Vorgang zu feiern - und er steht am nächsten Tage mit so vielen Schulden da, dass er fünf Jahre braucht, um dort wieder hinzugelangen, wo er vor dem Bankett stand.
Die Araber in Mexiko tun das nicht. Darum müssen die mexikanischen Frauen für die arabischen Fabrikanten in Mexiko für einen Taglohn von zwanzig oder fünfundzwanzig Centavos arbeiten, wobei sie freilich das Recht behalten, gegen die unverschämte Ausbeutung durch die Libanesen zu protestieren.
Denn ein Recht muss ja schließlich auch dem ausgebeutetsten Proletarier bleiben.
In der Arbeit selbst waren die mexikanischen Händler den arabischen Händlern in keiner Weise unterlegen.
Sie waren ebenso zäh wie jene, intelligenter meist als die Syrier, und sie scheuten ebenso wenig wie die Araber vor keinen noch so harten Entbehrungen und Mühen zurück. Und wer zu dem Candelaria- Heiligenfest nach Hucutsin kommen und dort Geschäfte machen wollte, musste zäh, ausdauernd und intelligent sein.
Der Ort lag etwa vierhundert und einige dreißig Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation entfernt.
In der vollen Trockenzeit, das ist von Ende Februar bis Anfang Mai, konnten innerhalb jener Strecke zweihundertsechzig Kilometer mit einem robusten und widerstandsfähigen Auto gefahren werden.
Während der halbtrockenen Zeit, das ist von Ende Dezember bis Ende Juni, konnte man die ersten hundertfünfzig Kilometer von der Eisenbahnstation aus mit dem Auto fahren. Freilich, in der Halbtrockenzeit geschah es oft genug, dass man mit dem Auto im Morast einige Tage lang stecken blieb.
In der Regenzeit konnte die gesamte Reise nur auf Maultieren, Pferden oder in Carretas geschafft werden.
Das letzte Drittel des Weges, ganz gleich, ob man von Jovel oder von Balun-Canan aus kam, konnte nur auf Maultieren gereist werden, ohne Rücksicht darauf, ob es Trockenzeit oder Regenzeit war.
Denn diese Strecke hatte keine Straße, weder für Carretas noch für leichte Wagen und erst recht nicht für Autos.
Dieser Weg ging über so viele Höhenwege der Sierra Madre del Sur, dass man ununterbrochen fünfhundert Meter hochkletterte, dann wieder fünfhundert Meter hinunter, dann wieder hinauf und dann abermals hinunter.
Eine solche Reise auf gutem Mule, nur von einem Burschen begleitet, zu machen ist anstrengend genug.
Nicht immer lebensgefährlich. Handfeste Arbeit aber war es, diese Reise mit einem großen Transport von Waren, die alle auf dem Rücken von Tragtieren befördert werden, machen zu müssen.
Und es war nicht nur harte Arbeit, sondern ein ewiges Sorgen. Ein Tier brauchte sich nur im Wasser eines Flusses, der gekreuzt wurde, hinzulegen, um sich abzukühlen oder um die Beißfliegen abzuwehren, dann war die schöne teure Seidenware aus Frankreich dahin, dann waren die Spiegel und die Uhren und die Munition oder was immer in den Paketen war, verdorben und verloren. Der Gedanke, solche Waren in eleganten eisernen Tropenkoffern zu befördern, ist ein sehr guter Gedanke. Aber wenn er in die Tat umgesetzt werden soll, so braucht der Transport viermal mehr Tragtiere, viermal mehr Maultiertreiber und viermal mehr Maisrationen, die mit aufgepackt werden müssen, weil es bei großen Transporten geschieht, dass unterwegs kein Futter gekauft werden kann. Die Ware wird dann so teuer an ihrem Verkaufsplatz, dass niemand sie kaufen kann und der Händler sie wieder mit sich schleppen muss.
Der Marsch von Jovel bis Hucutsin mit einer Karawane dauerte etwa fünf Tage. Manche der Händler verdoppelten diese Reisezeit dadurch, dass sie in einigen der indianischen Orte, die sie auf dem Marsche antrafen, einen Tag Aufenthalt nahmen, um ihre Waren auszulegen. Das aber verursachte neue Steuern und höhere Ausgaben für die gemieteten Tragtiere und für die Treiber.
Viele Händler, besonders ärmere, mieteten sich Indianer, die auf ihrem Rücken die Waren nach Hucutsin schleppten. Die Indianer waren billiger als die Maultiere, und sie legten sich nicht mit den Waren in das Wasser des Flusses. Sie stürzten auch seltener mit den Waren in einen Abgrund, und sie stießen auch nicht mit den Packen gegen Felswände oder gegen Bäume. Denn trotz des geringeren Lohnes hatten die indianischen Träger ja mehr Verstand als die Maultiere.
Aber die indianischen Träger hatten für den Händler einen Nachteil gegenüber den Maultiere.
Denn weil sie Verstand hatten, waren sie nicht immer ganz so zuverlässig wie die Maultiere. Die Indianer bekamen zuweilen Heimweh nach ihren Frauen und Kindern. Dann ließen sie die Packen im Ort, wo übernachtet wurde, liegen und verschwanden vor dem Morgengrauen. Der Händler stand dann da mit seinen Packen und konnte nicht weiter. Es gelang ihm vielleicht, Träger in dem Ort, wo er gerade war, zu finden. Aber denen musste er das Dreifache zahlen, weil sie, geschäftstüchtig genug, die Verlegenheit des Händlers zu ihrem Vorteil ausnutzten.
Von Jovel, der nächsten größeren Stadt und der Endstation der Carretas, führten drei Pfade über die Höhenzüge nach Hucutsin. Aber jeder Weg war gleich lang, gleich schwierig und gleich mit allen möglichen Gefahren, Unannehmlichkeiten und Ärger behaftet.
Der bevorzugteste Weg nach Hucutsin führt über den indianischen Ort Teultepec. Dieser Ort liegt zweitausend Meter hoch auf der Sierra. Es ist der letzte Ort, ehe man Hucutsin erreicht. Hat man den Ort etwa zwei Stunden hinter sich, gelangt man auf ein kleines Plateau, wo drei Kreuze stehen, um dem Reisenden Gelegenheit zu geben, hier seine Seele und seine Waren den Heiligen zu empfehlen.
Denn von hier aus, tausendeinhundert Meter steil unter sich, sieht man nun Hucutsin liegen. Es war eine gute Idee, hier an dieser Stelle drei Kreuze zu errichten. Kreuze erinnern immer an Leiden.
Sie lassen den Menschen nie vergessen, dass der irdische Lebensweg ein Leidensweg ist und eine mit Dornen und Disteln bestreute Straße.
Durch diese Kreuze ist der Reisende nun vorbereitet auf das, was alles geschehen kann.
Der Pfad, der hier steil hinunterführt, ist steinig, morastig, brüchig. Zuweilen rollen oder stürzen große Gesteinsbrocken von den Kuppen des felsigen Höhenzuges ab, die über den Pfad poltern und die alles, was ihnen in den Weg kommen sollte, Bäume, Reiter, Lastmules, mit sich in den Abgrund reißen. An zahlreichen Stellen ist der Weg so tief abgebrochen, ausgeschwemmt oder zerbröckelt, dass die Tragtiere auf einen Ruck fünfzehn und zwanzig Meter an den steilen Wänden hinunterrutschen, bis sie auf eine neue Schleife des Pfades fallen, der sich in Hunderten von Windungen am Abhang abwärts zieht.
Es geschieht oft, dass die Mules mit ihren Lasten auf dem Rücken seitlich um sich herum kugeln, bald sind die Packen oben, bald die Beine des Tieres.
Durchaus natürlich ist es, dass in einem Ort, der so weit von der Eisenbahn und damit von der Zivilisation entfernt liegt und der so ungemein schwer zugänglich ist, sich Dinge begeben können, die in einer anderen Gegend und in einem anderen Ort nicht einmal gedacht werden.
Wer in diesem Ort herrscht, sei er Bürgermeister, Polizeichef oder Richter, der herrscht absolut.
Keine Zeitung berichtet über ihn. Und der Regierung ist nur das bekannt, was er berichtet.
Hucutsin ist ein indianisches Wort und heißt Großer Platz oder Großer Ort. Aus der indianischen Bezeichnung ist zu erkennen, welche Bedeutung der Ort einst hatte.
Zur rechten Seite, wenn man den steilen Pfad von Teultepec herunterkommt, liegt, überdeckt von Erde, die sich in Hunderten von Jahren angehäuft hat, eine gewaltige Tempelpyramide, deren Formen vom Ort aus deutlich gesehen werden können.
Drei Stunden Ritt vom Ort entfernt befinden sich die Ruinen einer heiligen Stadt, die das religiöse Zentrum der reichbevölkerten Gegend war. Wie Zugvögel Jahrhunderte, vielleicht gar Jahrtausende hindurch jedes Jahr die gleiche Reise unternehmen und zu den gleichen Orten zurückkehren, so kommen in jedem Jahr alle die Tausende von Indianern, die in der Region weit verstreut leben, einmal zu diesem Zentralort ihrer Rasse und ihrer Geschichte zurück. Wie von einem unausrottbaren Instinkt getrieben, vereinigen sie sich hier einmal im Jahr, obgleich der Ort nur von Mexikanern bewohnt wird, von denen freilich viele mit indianischem Blut überreich gemischt sind.
Das Fest, das die Indianer einmal im Jahr hier hertreibt, ist das Candelariafest, das in der ersten Woche des Februar gefeiert wird.
Das Fest hat katholischen Charakter, und die religiösen Festlichkeiten werden in der Kathedrale des Ortes abgehalten. Die Indianer, die zum Feste kommen, sind alle katholisch getauft. Dennoch darf man ganz sicher sein, dass hier die katholische Geistlichkeit die gleiche sehr geschickte Vermanschung betrieben hat, die sie auch in Europa zur Zeit der Bekehrung der Germanen betrieb, eine Vermanschung, die der katholischen Kirche das Geschäft wesentlich erleichterte. Es ist recht merkwürdig, dass Christus gerade und ganz genau am Julfeste der alten Germanen geboren wurde.
Dass in Hucutsin das Candelaria-Heiligenfest als das Jahresfest der katholischen Kirche gefeiert wird, hat an sich keinen Sinn. Denn Hucutsin hat mit der Candelaria in keiner Weise irgendeine Beziehung.
Das große religiöse Fest der Indianer war in der ersten Woche des Februar.
Da die Katholiken jeden Tag im Jahre wenigstens einen Heiligen oder einen mystischen Vorgang zu feiern haben, so können sie aus dem vollen greifen. Und weil sie in der ersten Woche des Februar überall das Candelariafest begehen, so nannten sie vom Tage ihres Einzuges in Hucutsin ab das indianische Fest einfach Candelariafest. Damit war die Heidenbekehrung vollzogen. Denn wie bisher in vergangenen Jahrhunderten die Indianer in der ersten Woche des Februar eines jeden Jahres nach Hucutsin kamen, dort vor dem Tempel den religiösen Zeremonien beiwohnten, den Priestern die Opfergaben überbrachten und dann den Markt besuchten und sich weltlichen Freuden hingaben, so taten sie es nun auch in Zukunft. Der indianische Tempel war niedergerissen und an seiner Stelle die Kathedrale errichtet worden, auf denselben Steinfundamenten, auf denen der indianische Tempel gestanden hatte.
Und die katholische Kirche wurde von denselben Steinen erbaut, aus denen der Tempel erbaut worden war. Die Mönche, nur auf raschen Profit denkend, nahmen sich nicht einmal die Mühe, die Steine alle zu prüfen. So finden sich denn bis heute in den Mauern der katholischen Kirche innen und außen und im Boden zahllose Steine, die alte indianische Symbole tragen.
Der Dienst in der Kirche und die Handlungen der Priester in der Kathedrale unterschieden sich nicht allzu sehr von den Zeremonien in den indianischen Tempeln. Hier wie dort redeten und sangen die Priester etwas herunter, was niemand verstand, der zuhörte; hier wie dort tanzten und gestikulierten die Priester vor dem Altar herum, drehten sich und wandten sich, verbeugten sich und warfen ihre Arme hoch in die Luft. Die Indianer wollten ihre religiösen Bedürfnisse befriedigen, weil sie das so gewohnt waren, und so gingen sie von nun an mit der gleichen Gewohnheit und Regelmäßigkeit in die Kathedrale, wie sie früher in ihren Tempel gegangen waren. Wer tanzen will, muss zu der Musik tanzen, die ihm geboten wird.
Hucutsin war aber auch der politische Mittelpunkt, die Hauptstadt der Nation der Tseltalen gewesen.
In allen ihren Rechtsstreitigkeiten, in allen ihren geschäftlichen Handlungen, die die Bestätigung der Obrigkeit erforderten, um gültig zu sein, mussten sie nach Hucutsin gehen. Hier war ihr König, der Recht sprach, hier waren die Richter, die urteilten, hier wurden Erbrechte und Eigentumsrechte bestätigt, hier wurden Kontrakte abgeschlossen, hier wurden alle Entscheidungen getroffen, die das persönliche oder das staatliche Leben des Indianers oder seiner Familie betrafen.
Es lag den Tseltalen seit Jahrtausenden wohl im Blut, dass Hucutsin einmal im Jahre besucht werden musste, wie Mohammedaner einmal im Leben Mekka besucht haben müssen, um in ihrem Innern Frieden zu finden. Wie früher, so wurde auch jetzt in Hucutsin alles das für die Indianer erledigt, was sie zu erledigen gedachten und was sich in ihren Wünschen, Bedrängnissen und Notwendigkeiten während des Jahres angehäuft hatte. Die großen Latifundienbesitzer, die Finqueros, hatten bald die Wichtigkeit des Ortes Hucutsin erkannt. Sie lernten in kurzer Zeit, dass alles, was sie mit den Tseltal-Indianern abzuschließen und zu handeln hatten, eine erhöhte Rechtskraft bekam, wenn es in Hucutsin am Candelaria-Heiligenfest abgeschlossen wurde.
Dies war einer der wichtigsten Gründe, warum die Agenten, die Indianer für die Monterias anwarben, die Arbeitsverträge in Hucutsin am Candelariafest unterzeichnen und bestätigen ließen. Der andere Grund war der, dass sich in Hucutsin die letzte Behörde befand, die vom Gesetz und von der Konstitution anerkannt war.
Der Ort war der äußerste Außenposten der Zivilisation und der Regierungsgewalt der mexikanischen Republik. Hinter dem Garten des letzten Hauses begannen die ersten Sträucher des Dschungels, und die Bewohner des Dschungels, insbesondere Tiger, Löwen, Coyoten, Alligatoren und Schlangen, fürchteten sich nicht, des Nachts oder oft schon während der Dämmerung bis in die Höfe der letzten Häuser des Ortes einzubrechen.
Von hier aus zwanzig Tagereisen weit nach Osten und Südwesten gab es keine gesetzliche Behörde mehr.
Sobald der Dschungel begann, war derjenige Behörde, der den besten Revolver hatte und diesen Revolver am schnellsten zu ziehen und am wirkungsvollsten zu feuern verstand.
In Hucutsin wurden an manchen Candelariafesten die Verträge von fünfhundert Indianern, die für Monterias angeworben worden waren, von der Behörde bestätigt.
Diese Leute bekamen, sobald der Vertrag rechtskräftig geworden war, zwanzig bis fünfzig Pesos Vorschuss, je nach der Höhe des Betrages, den sie bereits bei der Anwerbung erhalten hatten, und mit Rücksicht auf die Zeit, die sie nach Ansicht der Werbeagenten im Dschungel aushalten würden, ehe sie eingegraben werden musste.
Geld hatte weder im Dschungel noch in den fernen Arbeitsdistrikten der Monterias irgendwelchen Wert.
Wert hatten nur Gebrauchsgegenstände aller Art. Darum gaben die Indianer, die als angeworbene Arbeiter in die Monterias geführt wurden, hier alles Geld aus, was sie besaßen und was sie als Vorschuss bekommen hatten oder von ihren Agenten hier noch nachträglich erhalten konnten. Sie betrachteten den Einkauf von Waren hier als eine gute Anlage ihres Lohnes; denn in den Monterias waren die Waren um das Vierfache und Sechsfache, ja Zehnfache teurer als hier. Hier war eine harte Konkurrenz unter den Händlern, während in den Monterias keinerlei Wettbewerb unter Händlern bestand.
Diese großen Trupps von Indianern, die für die Monterias angeworben waren und hier ihre Verträge bei der Behörde bestätigen mussten, waren ein ungemein wichtiger Grundstock für die große ökonomische Bedeutung des Candelaria-Heiligenfestes in Hucutsin. Man schätzte nicht zu hoch in der Berechnung, wenn man annahm, dass jeder einzelne der angeworbenen Indianer auf diesem Feste wenigstens dreißig Pesos ausgab. Aber sicher mehr als ein Drittel gab bis zu hundert Pesos aus. Das waren diejenigen, die mit ihren Familien hier hergekommen waren und hier von ihnen Abschied nahmen. Diese Indianer kauften nicht nur für sich ein, sondern sie nahmen ungemein hohe Vorschüsse, um für ihre Frauen, Kinder, Mütter oder jüngeren Geschwister alles zu kaufen, was jene Familienmitglieder, die von ihnen abhängig waren, während ihrer Abwesenheit gebrauchen konnten.
Die Agenten zeigten sich hier mit Vorschüssen bei weitem freigebiger als in den Heimatorten der Indianer.
Hier war der Kontrakt gezeichnet und von den Behörden bestätigt, und die Indianer standen sofort unter polizeilicher Bewachung. Sie hätten den Ort kaum nach irgendeiner Richtung hin verlassen können, ohne von einem der zahlreichen Hilfspolizisten gesehen und aufgefangen zu werden. So gaben diese Indianer dem Fest eine solche wirtschaftliche Bedeutung, dass die Händler willig die zuweilen ungemein hohen Marktsteuern, die ihnen der Bürgermeister auferlegte, bezahlten, um einen guten Platz auf diesem Markte zu haben. Da der Bürgermeister von jedem Vertrag der Arbeiter, den er unterschrieb und unterstempelte, fünfundzwanzig Pesos erhielt, so waren für ihn die Trupps der angeworbenen Indianer die wichtigste Quelle seines Einkommens als Bürgermeister. Und diese so wichtige Einnahmequelle neben der großen Einnahme aus den Extrasteuern des Candelariafestes waren Grund genug, dass bei den Wahlen für den Posten des Bürgermeisters jedes Mal so etwa zwanzig Bürger auf dem Schlachtfeld der demokratischen Wahlen blieben, kaum zu zählen jene, die nur einige abgefeilte Revolverkugeln irgendwo zwischen ihrem Knochengerüst stecken hatten.
Außer diesen angeworbenen Indianern kam aber auch die große Mehrzahl, wohl neunzig Prozent, aller der Indianer zu dem Fest, die über die ganze Region verstreut wohnten.
Einmal kamen sie zu dem Feste der Kirche wegen. Es war für die Mehrzahl der Indianer der einzige Gottesdienst innerhalb eines Jahres, dem sie beiwohnten. In den meisten ihrer Orte und Siedlungen hatten sie die Kirche zerstört, weil sie keinen Geistlichen ständig um sich dulden wollten; denn sie betrachteten die Geistlichen als Parasiten. In den wenigen Orten, wo sie die Kirche nicht zerstört hatten, waren die Kirchen, die dort unter spanischer Herrschaft errichtet worden waren, zerfallen. Wo aber dennoch eine Kirche vielleicht übrig geblieben war, kam nie ein Geistlicher hin, weil es für ihn nichts einbrachte.
Die Indianer fühlten sich in ihrem Gewissen durchaus beruhigt, wenn sie einmal im Jahre zu dem großen Feste nach Hucutsin pilgerten, hier einer Messe beiwohnten, von der Kirchentür auf ihren Knien bis zum Altar rutschten, auf diesem Wege jeder Heiligenfigur, an der sie vorbeirutschten, die lackierten Füße küssten, ihren Kindern den Schmutz des steinernen Bodens der Kirche in den Mund schmierten, um die Kinder vor Krankheit und bösen Geistern zu schützen, sich selbst diesen Schmutz als Medizin in Wunden rieben, die sie am Körper hatten, und dann endlich, wenn sie am Altar angekommen waren, dem Kirchendiener die Kerzen übergaben, die sie der Gottesmutter und den Heiligen zu opfern gedachten.
Dann legten sie Blumen und Früchte auf den Stufen des Hauptaltars und auf den Kniebrettern der zahlreichen Nebenaltäre der Heiligen nieder, und zuletzt, wenn sie die Kirche wieder verließen, zahlten sie auf die Teller, die ihnen von den Einkassierern vor die Brust gehalten wurden, ihre Pesos zur Sättigung des Heiligen Vaters.
Sobald sie alles richtig hier bezahlt, war für sie für die Dauer eines Jahres alles wieder einmal getan, was sie mit der katholischen Kirche verknüpfte.
War ihre religiöse Pflicht soweit nun erfüllt, so gaben sie sich ihren irdischen Verpflichtungen und Genüssen hin.
Alle Indianer hatten Waren eigener Erzeugung mitgebracht, die sie hier auf dem Markte zu verkaufen gedachten: Töpfe, Hüte, Wolldecken, Wollbänder, Matten, Felle von Rehen, Antilopen, Tigern und Löwen, Häute von Schlangen und Alligatoren, ferner Bohnen, Mais, Eier, Hühner, Ziegen, Schafe,
Kälber, Schweine, Hunde, Papageien, Singvögel, Eidechsen, Tabak, Baumwolle, Wolle, Kaffee, Kakao, Vanilleschoten, Bananen, Kaugummi, medizinische Pflanzen und Kräuter.
Hatten die Indianer ihre mitgebrachten Waren verkauft, so begannen sie selbst, auf dem Markte einzukaufen.
War das erledigt, kauften sie Comiteco und betranken sich gründlich.
Sobald die Männer mit dem Trinken begannen, tauchten die Agenten der Monterias in ihrer Nähe auf. Die Agenten waren freigiebig mit dem Branntwein. Wenn die Männer genügend in sich hatten, dann borgten ihnen die Agenten Geld, um mehr Branntwein zu kaufen. So wurden die Indianer und die Agenten gute Freunde.
Aber die Agenten liegen ihre Freunde nun nicht mehr aus den Fängen. Am nächsten Morgen, wenn die Männer noch halb im Schwung waren, begann das Vertiefen der Freundschaft mit neuen Einladungen zu einer Copita, einem Gläschen.
Dann wurden den Amiguitos, den lieben Freunden, die Herrlichkeiten der Welt gezeigt.
»Hermanito, mein kleines Brüderchen«, sagte der Agent freundlich zu dem Indianer, »was denkst du wohl, was deine Mujer, deine Frau, sagen würde, wenn du ihr diese schöne bunte Schürze kaufen würdest?«
»Oh, sie würde sich gewiss, sehr freuen«, erwiderte der junge Indianer mit glänzenden Auge.
»Gut, du bist mein Freund, mi amigo, ich borge dir das Geld für die Schürze«, sagte darauf der Agent.
Waren es nicht Geschenke, die der Indianer seiner Frau oder seinem Mädchen oder seiner Mutter machen wollte, dann wusste der Agent ihm andere Dinge begehrlich zu machen: ein schönes Taschenmesser, ein paar glitzernde Fingerringe mit großen Diamanten oder Rubinen aus Glas, ein gesticktes Hemd, wie es die großen Finqueros trugen, eine Uhr.
Der Indianer konnte alles haben, worauf der Blick seines Auges fiel. Es war wie in der Halle des Schlosses, in der ein Zauberer seine Schätze ausgelegt hatte, von denen jeder, der kam und sich die Mühe machte, nehmen durfte, was er wollte. Der Indianer brauchte nur zu sagen: »Das will ich haben!«, und da
war es auch schon in seinen Hände.
Wenn nichts den Indianer verlocken konnte, weil sein Sinn nicht nach Besitz trachtete, so kam der Agent dennoch nicht in Verlegenheit. Comiteco, Branntwein, half immer. Die ersten zwei Gläschen wurden geschenkt.
Der Indianer konnte den freundlichen Agenten doch nicht beleidigen und sich weigern, mit ihm zu trinken. Hatte er aber erst einmal zwei oder drei Gläschen getrunken, dann gab es kein Halten mehr.
Der Agent borgte und borgte, und der Indianer unterschrieb, was man wollte.
Zu dem Candelariafest kamen aber auch alle die großen Finqueros, die Domänenbesitzer. Sie kamen meist mit ihren Familien und mit einem halben Dutzend von Burschen und Mägden. Sie besuchten das Fest, um ihrer religiösen Pflicht zu genügen. Es war aber auch eine gewisse gesellschaftliche Pflicht aller
Finqueros und Großgrundbesitzer der Region, sich während des Candelariafestes in Hucutsin mit ihren Familien einzufinden.
Manche dieser Latifundienbesitzer hatten zehntausend, manche fünfzigtausend Hektar Land. Sie besaßen zuweilen so große Ländereien, dass sie in vielen Fällen sechs Stunden zu reiten hatten, um ihrem nächsten Nachbarn einen Besuch abzustatten. Die Familien dieser Finqueros waren alle miteinander
verwandt oder verschwägert. Aber wenn auch die Männer irgendwo, in Hucutsin oder in Jovel oder in Balun-Canan oder in Achlumal, sich zuweilen gelegentlich trafen, so hatten die Familien kaum eine andere Gelegenheit, sich zu sehen, als bei dem Candelariafest, wo alle in derselben Woche anwesend
waren.
Hatten die Finqueros ihre Kerzen in der Kirche gestiftet, einer Messe halb hingehört und die Pflichtzahl von Kniebeugen und Bekreuzigungen abgeliefert, dann gingen sie an ihre Geschäfte.
Die Mehrzahl ihrer Verkäufe an Vieh, Mais, Zucker, Kaffee oder was sie produzierten wurde so abgeschlossen, dass die Lieferungen am Candelariafest ausgeglichen und bezahlt wurden. Mit dem Candelariafest endete für die Finqueros das alte Geschäftsjahr und begann das neue. Es kamen alle Händler, die mit den Domänen im Geschäftsverkehr standen, zu dem Feste, um neue Verträge abzuschließen und um die Verpflichtungen aus laufenden Verträgen zu erfüllen. Alle Rechnungen wurden bezahlt.
Der Finquero, der das ganze Jahr hindurch alle Waren auf Kredit nahm, um zu verhindern, dass seine Burschen Geld mit sich führten, bezahlte an diesem Tage alle die Rechnungen, die ihm in Hucutsin vorgelegt wurden, sobald er, am gleichen Tage, das Geld für die ausgeführten Lieferungen erhalten hatte.
An diesem Tage bezahlten die Finqueros gleichfalls alle ihre Steuern in der Tesoreria in Hucutsin und in der Agentur der Hacienda der Steuerbehörde der Federalregierung.
Die Finqueros, die sich jetzt im Besitz der Gelder befanden, die sie für Lieferungen einkassiert hatten, waren nach allen Seiten hin freigebig. Sie ließen ihre Frauen und Töchter einkaufen, soviel diese nur wollten. Sie gaben ihren Söhnen hundert oder zweihundert Pesos in Gold in die Hand, damit sich die Söhne nach dem langen eintönigen Leben auf der fernen Finca einige gute Tage machen sollte.
Die Söhne kauften sich große silberne Sporen, mit Gold und Silber ausgelegte Revolver, Lederjacken mit gepunzten und gebrannten Ornamenten, Hosen mit gigantischen Silberstücken an den Seiten benäht, große Hüte mit echter Goldstickerei, Hüte, von denen einzelne bis zu zweitausend Pesos das Stück kosteten. Sie kauften rote, gelbe, weiße Hemden aus reiner Seide. Und wenn der Dentist, der während dieser Zeit hier seinen Laden aufgemacht hatte, eine Stunde frei haben sollte, dann gingen die Söhne der Finqueros hin, ließen sich vorn drei oder vier kerngesunde Zähne abschleifen und Goldklappen aufsetzen, um jedes Mädchen sehen zu lassen, dass sie die Söhne schwerreicher Finqueros seien, die es sich leisten können, goldene Zähne zu habe.
War das alles getan, dann wurde getrunken und gespielt, gespielt und getrunken, getanzt auf freiem Platze, wieder getrunken und gespielt, eine indianische Magd gelegentlich aufgegriffen und nach einer Stunde losgelassen mit einer funkelnden Halskette oder einer bunten Guatemalaschürze oder drei Metern Seidenband oder einem großen Haareinsteckkamm, mit Perlchen besetzt, als bleibendes Andenken für einen vorbeigerauschten Augenblick des Entzückens.
Aus allen diesen Gründen ist zu verstehen, warum das Candelariafest in diesem so fernen Hucutsin ein so wichtiges Fest für ein halbes Tausend von Händlern arabischer, mexikanischer, spanischer, kubanischer und indianischer Nation war.
Es wurden allein für fünftausend Pesos Kerzen in jedem Jahr verkauft, Kerzen, die in der Kirche geopfert wurden. Es gab Jahre, in denen für achttausend Pesos Kerzen verkauft worden waren und in denen man für dreitausend Pesos mehr hätte verkaufen können, wenn sie vorhanden gewesen wären.
Zu jeder anderen Zeit im Jahr machte Hucutsin den Eindruck, als sei der Ort nicht nur von der übrigen Welt, sondern sogar von seinen eigenen Bewohnern vergessen worden. Die Bewohner schienen nur zu leben, weil sie nicht wussten, auf welche Weise sie sterben konnten. Wenn der Inhaber des größten Ladens am Ort an einem Samstag für vier Pesos Ware verkauft hatte, so betrachtete er das als ein so glänzendes Ergebnis, dass er davon träumte, ein Bankgeschäft anzulegen. Wer in den Ort einritt, suchte sich in den mit Gras bewachsenen Straßen einen Pfad aus, der ihm weich genug schien, um zu verhindern, dass man die Hufe seines Pferdes höre; denn er fürchtete, die Bewohner des Ortes in ihrem gesunden Schlaf zu stören. Manchem Reiter, der hier ankam, wurde beklommen im Gemüt. Er bildete sich ein, die Bewohner seien alle gestorben und lägen unaufgebahrt in den Häusern herum. Erst wenn der Reiter nahe der Plaza angelangt war, wo die Straße gepflastert war und die Huftritte seines Pferdes über den Platz schallten, trat hier und da jemand in die Tür, um zu sehen, wer in dieser weiten Welt, wo so viel Platz ist, auf den verwegenen Gedanken gekommen sei, ausgerechnet nach Hucutsin zu reisen.
Nach einer Weile kam dann ein Mann in Sandalen, einen alten Vorderlader umgehängt, um eine Ecke gezottelt, sah sich den Reiter an und überlegte, ob er nicht einen Grund habe, den Reiter wegen irgend etwas zu verhaften, um zu beweisen, dass er seine fünfundzwanzig Centavos den Tag als Polizist redlich verdiene, und um dem Ortsvorsteher eine Gelegenheit zu geben, eine Geldstrafe zu erheben und Abwechslung in den verödeten Ort zu bringen.
Die Indianer, die aus ihren Siedlungen gelegentlich nach Hucutsin kamen, um hier die Erzeugnisse ihrer Felder zu verkaufen, betrachteten den Ort freilich als eine große Stadt und als einen äußerst rührigen, reichen, fortschrittlichen und hochmodernen Zentralpunkt der Welt.
Jene Indianer, die in den gewöhnlichen Zeiten des Jahres nach Hucutsin kamen, ihre Frauen, Kinder und Hunde mitbrachten und Reisen von mehreren Tagen hinter sich hatten, näherten sich dem Ort immer mit Furcht. Diese Furcht verschwand mit der Zeit, wenn sie sehr oft in den Ort gekommen waren, ihre Erzeugnisse zu erträglichen Preisen hatten verkaufen können und unter vielem Handeln zu erträglichen Preisen das hatten einkaufen können, was sie in ihren fernen Siedlungen brauchten, und wenn sie von den Behörden des Ortes nicht belästigt worden waren. Aber dann geschah es, dass mehrere Gruppen von Indianern, die friedlich in den Ort gekommen waren, um zu verkaufen und einzukaufen, von den Polizisten ganz einfach aus irgendeinem erdachten Grunde verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurden, aus dem sie sich nur dadurch befreien konnten, dass sie für die Ortsbehörde eine Woche Arbeit in den Straßen oder beim Bau einiger Gebäude leisteten. Kamen aber diese Indianer in jener Woche, in der das Candelariafest gefeiert wurde, in den Ort, dann lagerten sie erst einen vollen Tag weit außerhalb des Ortes mit ihren Familien irgendwo im Busch. Von hier machte sich dann ein Mann auf, der oft in Hucutsin gewesen war und Erfahrung hatte, um zu erforschen, ob es genügend sicher sei, in den Ort zu kommen.
Der Eindruck, den die Indianer während jenes Heiligenfestes in Hucutsin empfingen, war um ein vielfaches tiefer als der Eindruck, den ein Farmer erhält, der aus einer entlegenen Ranch in Kentucky zum ersten Male nach New York kommt und ohne Einleitung und Übergang mitten auf den Broadway hingestellt wird.
Der Unterschied im Aussehen des Ortes und im Leben seiner Bewohner zu den gewöhnlichen Zeiten und im Aussehen des Ortes und im Gelärme und Gewoge während des Candelariafestes war so groß, dass die Indianer jede innere und äußere Verbindung mit der Wirklichkeit verloren.
Die große Verschiedenheit des Ortes, den die Indianer in den ruhigen Zeiten kannten, und des Ortes, den sie jetzt antrafen, wird begreiflich, wenn man berücksichtigt, dass der Warenumsatz an diesem weltvergessenen Platze während des Candelariafestes zuweilen bis auf eine und eine viertel Million Pesos kam, dass Schecks von zehntausend Pesos so leicht von Hand zu Hand gingen, wie in den gewöhnlichen Zeiten des Jahres nicht einmal zehn Pesos liefe.
Irgendein Diktator oder Despot hätte den Hintergrund in keiner Weise so vortrefflich schaffen oder kommandieren können, wie er sich hier von selbst in Hunderten von Jahren herangebildet hatte.
Es ist bekannt, wie in zivilisierten Ländern freie Menschen zwangsweise zum Militärdienst oder zum Arbeitsdienst ausgehoben werden. Für die Vereidigung der Rekruten wird ein pompöser Hintergrund geschaffen. Die heiligen Fahnen werden entrollt. Choräle werden gesungen und patriotische Hymnen gespielt. Die Rekruten oder deren Vertreter müssen die Hand auf die Fahnen legen und einen fürchterlichen Schwur leisten. Alles das wird so feierlich und pompös getan, als ob der liebe Gott im Himmel persönlich sich bemüht hätte, die Militärlieferungen zu schützen.
So wird es verständlich, warum die Arbeiteragenten die endgültige Bestätigung der Verträge für die Arbeiter, die in die fernen Monterias transportiert wurden, hier in Hucutsin während des Candelaria- Heiligenfestes vornahmen. Es wurde den Sklaven die Macht und der Pomp und der allmächtige Gott ihrer Herren offenbart. Die Indianer, die unter dem Eindruck dieser rauschenden Herrlichkeiten Verträge tätigten, dachten so wenig an Desertion wie die Rekruten, denen man bei der richtigen Gelegenheit die Hirne verräuchert hat.
Wann immer auch der Indianer unter den Mühen und Qualen seines Daseins in den Monterias für einen Augenblick nur an Flucht oder gar an Selbstmord denken sollte, erinnerte er sich sofort des pompösen Candelariafestes in Hucutsin und der unüberwindlichen Macht jener, denen er zu dienen verpflichtet worden war.
Wer in den verschlafenen, stillen, trockenen Ort Hucutsin einen solchen Pomp, ein solches Leben, eine so große wogende Menschenmasse hineinzuzaubern vermochte, sei es auch nur für die Dauer von zehn Tagen, der hatte göttliche Kraft, dem konnte kein Indianer entweichen, wohin er sich auch immer wenden mochte. Einem solchen Herrn hatte man den Vertrag einzuhalten bis auf das letzte hingespritzte Pünktchen hinter dem letzten Wort.


ZWEITES KAPITEL

Die Araber waren die ersten Händler, die in Hucutsin ankamen. Dann folgten die Spanier, dann die Kubaner, endlich die Guatemalteken. Zu allerletzt, genau besehen mit Verspätung, trafen die mexikanischen Händler ein. Es ist eine Leidenschaft des Mexikaners, nie pünktlich zu sein. Er stirbt nicht einmal pünktlich.
Nur zwei Dinge sind pünktlich in Mexiko: der Beginn der Stierkämpfe und der Grito. Der Grito ist der Freiheitsschrei, der zur Erinnerung an die Ausrufung der Unabhängigkeit Mexikos von der spanischen Krone jedes Jahr am fünfzehnten September von der höchsten anwesenden Autorität in jedem Ort in der ganzen Republik Mexiko und bei versammelten Mexikanern im Ausland ausgerufen wird.
Dieser Grito oder Schrei ist pünktlich, genau elf Uhr nachts am fünfzehnten September eines jeden Jahres.
Die mexikanischen Händler machten sich wohl rechtzeitig auf den Marsch, um zu guter und vorteilhafter Stunde in Hucutsin anzukommen. Aber gerade weil sie ja in ihrem eigenen Lande marschierten, so trafen sie hier einen Compadre an und dort eine Comadre, hier einen Vetter, dort eine Base, da einen Onkel und dort wieder einen Schwager. Hier kamen sie gerade recht zu einer Hochzeit und dort zu einem Namensfeste. Die ihnen angeborene Höflichkeit und die Rücksicht auf ihre Verwandten und Freunde, erlaubte ihnen nicht, an einem Hause einfach vorüberzureiten. Sie mussten von ihrem Maultier oder ihrem Pferd absteigen und ins Haus kommen. Und meist kamen sie nicht aus dem Hause wieder hervor, bis sie eine Nacht darin geschlafen hatte.
Kamen sie dann endlich auf der Feria an, fanden sie, dass die Araber und die Spanier nicht nur die besten Plätze und Stände nach allem Recht und aller Sitte belegt, sondern bereits so viele Geschäfte mit gutem Gewinn gemacht hatten, dass die Kosten der Her- und Rückreise reichlich gedeckt waren.
Die Araber und die Spanier hatten sich schon eine sichere Kundschaft geschaffen, ehe die Mexikaner überhaupt den Ort mit ihren Augen sahen. Das einzige Mittel, das ihnen einfiel, sich von dieser fürchterlichen Konkurrenz zu befreien, war, ihre Deputierten zur Kammer mit Briefen und Besuchen zu belästigen, um verschärfte Gesetze gegen unerwünschte Einwanderer zu schaffen. Dieses Mittel hatten sie freilich nicht selbst erfunden, sie hatten es den Nordamerikanern nur abgeguckt.
Mit den letzten Karawanen mexikanischer Händler, die verspätet in Hucutsin eintrafen, kam auch Don Gabriel Ordufiez an. Don Gabriel war Werbeagent für die Monterias. Eine Monteria ist ein großes Camp in den Dschungeln und Urwäldern Südmexikos und Zentralamerikas, wo die Mahagonibäume gefällt und zu den Strömen geschleppt werden, um mit Hilfe des Wassers der Ströme in den Häfen am Golf von Mexiko und am Karibischen Meer zu landen. Die Aufgabe der Werbeagenten jener Monterias war, die Arbeiter heranzuschaffen, die in den Mahagonicamps gebraucht wurde. Der Agent wurde nicht Arbeiteragent genannt, sondern Enganchador, der Mann mit dem Haken oder auch der Mann, der etwas mit einem Haken heranfischt. Es liegt in dem Wort der Sinn verborgen, dass der Enganchador mit großer Geschicklichkeit, Kunst, Raffinesse, sogar durch Betrug und andere Verbrechen irgend etwas ködert, was er auf gewöhnliche Weise schwer oder gar nicht bekommen könnte. In Anlehnung an die Bezeichnung des Agenten als Enganchador wurde ein Vertrag, den der Enganchador mit den angeworbenen Arbeitern abschloss, Enganche genannt. Obgleich die Arbeit des Enganchadors eine durchaus gesetzlich erlaubte Tätigkeit war, so hatte dennoch das Wort Enganchador den peinlichen Beigeschmack, den man empfindet, wenn man an die Tätigkeit jener Werber denkt, die in früheren Jahrhunderten für die kriegführenden Könige die Rekruten mit deren Willen oder gegen deren Willen anköderten, anhakten und heranschleiften. Man wird nun begreifen, warum das Wort Enganchador in jenen Gegenden Mexikos, wo die verheerende, skrupellose und verbrecherische Tätigkeit der Enganchadores für die Monterias bekannt ist, als eine unerhörte Beleidigung gilt, wenn das Wort gebraucht wird mit der Absicht, jemand, der nicht Enganchador ist, in eine heillose Wut zu bringen.
Don Gabriel hatte sich aber keineswegs darum verspätet, weil er Mexikaner war. Er war ein viel zu geschäftstüchtiger Enganchador, als dass er seine Zeit mit Höflichkeiten vertrödelt hätte, die nichts einbrachten.
Auf seinem Marsche nach Hucutsin war er in vielen Ranchos und Häusern eingekehrt, aber nicht zu dem Zwecke, Grüße und Freundschaftsversicherungen auszutauschen, sondern um die Schar der
angeworbenen Arbeiter zu erhöhen. Es war ihm auch in der Tat gelungen, in den Orten, die nahe Hucutsin lagen, wie Shitalja, Taquinvits und Sibacia, eine Anzahl Indianer anzuhaken.
Die meisten dieser Leute waren verschuldet und ließen sich anwerben, um die geschuldete Summe als Vorschuss zu erhalten. Die übrigen hatte Don Gabriel dadurch gewonnen, dass er ihnen in geschickter Weise die Schönheiten und Herrlichkeiten des Candelariafestes in Hucutsin vorzauberte und ihnen erzählte, was sie dort alles kaufen und wie viel Branntwein sie dort trinken könnten, wenn sie Geld hätte.
Und weil sie natürlich kein Geld hatten, so war er nur allzu bereit, ihnen das Geld sofort in die Hand zu geben gegen die Bürgschaft des Ortssekretärs, dass sie sich am genannten Tage in Hucutsin einfinden würden, um den Enganche, den Arbeitsvertrag, dort vor der Behörde im Cabildo zu bestätigen.
Die Indianer, die zu dem Candelariafest kamen, suchten sich keine Herberge im Orte. Sie würden auch keine gefunden haben; denn alle Räume, Hallen, Porticos und Veranden waren bis zum letzten Winkel besetzt von Pilgern, Rancheros und deren Familien, Viehhändlern und Aufkäufern von Produkten, die
von Indianern auf den Markt gebracht wurde.
Die Händler schliefen mit ihren Helfern auf den Tischen und unter den Tischen und neben den Tischen ihrer Verkaufsstände. Dadurch sparten sie die Ausgaben für Herberge, und gleichzeitig brauchten sie keinen Mann zu bezahlen, der ihre Waren und die Überdachungen ihrer Tische bewachte. Das sicherste Mittel, Diebstähle zu verhindern, war, dass die Händler auf ihren Warentischen und auf ihren Warenballen schliefen, so dass der Zugang zu ihren Reichtümern nur über ihren Leichnam ging. Denn sie alle hatten einen schweren Revolver im Gurt; diesen Gurt lockerten sie zwar etwas für die Nacht, aber sie schnallten ihn nicht völlig los.
Das Geld, das sie am Tage vereinnahmt hatten, trugen sie in einem anderen Ledergurt, den sie auf den nackten Körper schnallten. Dieser Gurt war hohl, so dass man die goldenen und silbernen Geldmünzen hineinfüllen konnte wie in einen Schlauch.
Mit allen solchen Sorgen und Kümmernissen waren die Indianer, die das Fest besuchten, wenig belastet. Sie hatten nicht viel, das ihnen irgend jemand stehlen konnte.
Auch wenn sie im Orte Herberge gefunden haben würden, zogen sie es dennoch vor, auf den offenen Weiden außerhalb des Ortes zu lagern. Hier hatten sie ihre Lagerfeuer die ganze Nacht hindurch brennen, und niemand störte sie. Die Polizisten waren nur tapfer innerhalb des Ortes, wo sie immer nur einige Indianer antrafen, die sie leicht überwältigen und zu irgendeiner
Zwangsarbeit stellen konnten.
Aber außerhalb des Ortes, auf den großen weiten Ebenen, wo Hunderte und Tausende von Indianern lagerten, da wagte sich kein Polizist und keine andere Obrigkeit hin. Und wenn eine Obrigkeit hinkam, vielleicht gerufen, um einen Handelsstreit zu schlichten, so ging die Obrigkeit so vorsichtig mit den Leuten um, als ob jeder einzelne Abgeordneter im Parlament wäre. Der beste Revolver des Bürgermeisters oder des Polizeichefs war hier wertlos in seinem letzten Sinne, das eigene Leben ernsthaft zu verteidigen.
Die Indianer lagen in Gruppen zusammen, je nach ihren Familien und Sippen. Diese Gruppen wieder lagen beieinander nach ihren Stämmen. Während der Dauer des Festes wechselten die Stämme nie den Lagerplatz, den sie einmal bei ihrer Ankunft für sich ausgesucht hatte.
Schon ehe das Heiligenfest offiziell begonnen hatte, was durch eine große feierliche Messe in der Kathedrale des Ortes geschah und nach Beendigung der Messe durch eine zivile Feier vor dem Cabilde, dem Amtsgebäude des Ortes, behördlich genehmigt wurde, trafen in Hucutsin einzeln und in Gruppen
jene Indianer und Mestizen ein, die als Arbeiter für die Monterias angeworben waren und deren Vertrag mit der Woche des Candelariafestes begann.
An jedem Tag, den das Fest voranschritt, kamen dann weitere Gruppen angeworbener Indianer an.
Viele dieser Arbeiter wanderten mit ihren Sippen, denen sie zugehörten. Aber die Mehrzahl von ihnen hatte sich bereits in ihrem heimatlichen Orte von ihren Familien losgelöst. Sie gehörten schon nicht mehr ganz vollberechtigt zu ihren Stämmen. Ihre Interessen waren nicht mehr verknüpft mit den Interessen ihrer Sippen. Sie begannen sich überflüssig zu fühlen innerhalb ihrer Sippe. Darum zogen sie meist ganz für sich allein ihren Weg zu dem Feste, und wenn sie sich anderen Gruppen auf dem Wege anschlossen, so waren das immer Gruppen, die gleichfalls aus angeworbenen Leuten für die Monterias bestanden. Obgleich sie diese Leute gar nicht kannten, vielleicht nie vorher gesehen hatten, so begann sich sofort, sobald sie nur hörten, dass es angeworbene Arbeiter waren, eine Gemeinschaft zu bilden, die durchaus an Stelle jener Gemeinschaft trat, die sie bisher mit ihrer Sippe verknüpft hatte. Instinktiv schlossen sie sich innig der neu gebildeten Gruppe an. Sie fühlten, dass sie für die nächsten Monate oder gar Jahre keine andere Gemeinschaft haben würden, dass sie alle Arbeitskameraden und damit Leidensgefährten waren und dass sie das aufkommende furchtbare Heimweh nur dadurch überwinden konnten, dass sie sich denen anschlossen, die in gleicher Weise versuchen mussten, ihr Heimweh zu ersticken, um nicht kümmerlich zugrunde zu gehen.
Es war durchaus ähnlich, wie Rekruten einander suchen und sich anschließen, die sich im selben Eisenbahnabteil treffen, wenn sie die Order erhalten haben, sich der modernen Sklaverei, dem Militärdienst der zivilisierten Staaten, zu unterwerfen. Sie sprechen mit keinem Worte von ihren Familien, von ihrer trauernden Mutter, von ihrem weinenden Mädchen, von ihrem Berufe. Wehmütig und doch mit der festen Entschlossenheit dessen, der an nichts denken darf, wenn er den Zwang überleben will, reden sie, nur mit halben Gedanken dabei, von den Sachen, die sie eingekauft haben; sie zeigen sich die erworbenen Dinge gegenseitig und beurteilen deren Wert und Preis, bewundern oder benörgeln das, was der andere hat, und reden und streiten, nur um zu reden und zu streiten und mit keinem Sinn an das zu denken, was morgen folgen wird. Die Indianer, die sich in Hucutsin versammelten, um ihren Enganche, ihren Arbeitsvertrag, zu erfüllen, lagerten sich alle auf den steinigen Wiesen, die sich im Osten des Ortes zwischen dem Friedhof und der Stadt hinstreckten. Des felsigen Grundes jener Weiden wegen ist dieser Platz das elendste aller Felder, die sich zu einem Lagerplatz eignen. Darum ist dieser Platz der einzige, der von den Sippen und Stämmen nicht begehrt wird. Und damit beginnt das neue Leben der Arbeiter der Monterias, sich mit dem zu begnügen, was andere übriggelassen haben.
Mit diesem Suchen und Finden des Campplatzes der angeworbenen Caobaarbeiter begannen sich diese Leute endgültig von ihrem Stamm und von ihrer Sippe zu lösen. Sie nahmen den Geruch, die Gewohnheiten, die Art des Sprechens und des Hantierens ihrer neuen Kameraden an.
In diesen Camps ging es, sobald sich nur erst einmal eine Gruppe zusammengefunden hatte, sofort wild zu.
Die Mehrzahl der Burschen war infolge der Trennung von der Mutter oder dem Mädchen in denkbar schlechtester Laune. Hinzu kam, dass sie glaubten, nur durch Wildheit, barsches Reden und rohes Gebaren sei das aufkommende Heimweh zu unterdrücken. Aber instinktiv gebrauchten sie diese forcierte Wildheit auch gleich dazu, sich von Anbeginn an bei allen Genossen in Respekt zu setzen. Dadurch wurde am besten vermieden, dass der eine oder andere hoffen konnte, sich auf Kosten seiner Mitgefährten lustig zu machen oder sie zu bestehlen oder sich irgendwelche Vergünstigungen zu erobern.
Mit dem Aufeinandertreffen dieser Burschen begann sofort der durchaus natürliche Kampf um die Erhaltung des Individuums. Wer nicht von der ersten Minute an hier um sein unauslöschbares Recht zum Leben mit Worten, Gebärden, Fäusten und Messer kämpfte, war für die Dauer seines Arbeitskontraktes als Individuum verloren. Es war nicht nötig, dass er in einem Streit gewann, es kann ja überall nur immer einer von zweien gewinnen, es genügte, wenn er sich von niemand etwas gefallen ließ.
War es ihm geglückt, dem anderen einige heftige Beulen beizubringen und ihm das Nasendach abzudecken, so schadete es nichts, wenn er vom anderen völlig zerschlagen am Boden lag. Die Tatsache, dass er sich hartnäckig verteidigt hatte und den anderen mit gut getroffenen Hieben nicht hatte leer ausgehen lassen, reichte vollkommen aus, dass der andere und alle, die diesem brüderlichen Hader beigewohnt hatten, es sich dreimal überlegten, ehe sie wieder einmal ernsthaften Handel mit ihm anfingen.
Es geschah in den zwanzig Minuten zwischen Sonnenuntergang und dem Eintritt völliger Nacht, dass auf dem steinigen Felde, wo die Urwaldarbeiter lagerten, der junge Indianer Andres anlangte.
Er ging gebückt unter dem schweren Packen, den er, an einem breiten rohen Riemen über der Stirn, auf seinem Rücken schleppte. Das Hemd hatte er ausgezogen, um es vor dem Durchscheuern auf dem Rücken zu schützen. Über dem nackten Rücken trug er ein Antilopenfell, das mit dünnen rohen Riemen am Traggurt befestigt war. Und auf diesem Fell ruhte der Packen.
Andres trug weiße Baumwollhosen. Das rechte Hosenbein war bis zum oberen ersten Drittel des Oberschenkels aufgekrempt. Das linke Hosenbein dagegen war aufgekrempt gleich über dem Knie.
An den Füßen hatte er Sandalen, die aus sehr rohem Leder gearbeitet waren. Auf dem Packen, oben aufgebunden, hatte er seinen Hut. Es war der Hut der Zoquesen, jener Indianer, die im Westen des Staates ihre Wohngebiete hatten. Ein sehr hoher Hut, aus Palmenbast geflochten, oben leicht eingebuchtet in einer ganz merkwürdigen Weise, die ihn aber auf den ersten Blick von jedem anderen ähnlichen Hut unzweideutig unterschied.
Der junge Bursche hatte eine bronzebraune Hautfarbe, dickes, schwarzes, strähniges Haar, das ihm wirr um den Kopf wuschelte. Aber er trug es nicht halblang, quer über die Stirn abgeschnitten wie die Indianer der Fincas und der unabhängigen Dörfer, sondern er trug es kurz geschnitten nach Art der Mexikaner in den Städten.
Diese Tatsache, dass der Schnitt seines Haares nicht übereinstimmte mit seinem übrigen Aussehen und mit der rein indianischen Art, wie er seinen Packen schleppte, war die Ursache, dass alle Burschen, die auf dem weiten Felde lagen, ihre Augen auf ihn richteten. Sie waren dessen gewiss, dass dieser Bursche sich verlaufen und auf diesem Felde nichts zu suchen hatte. Gleich von dem Feuer, das ihm am nächsten lag, schrie einer der indianischen Burschen in der Sprache der Tseltalen herüber: »He, du, Jüngelchen, wo willst du denn hin mit deinem Kattun? Die indianischen Händler haben ihre Stände in der Straße, die von Teultepec geradeaus herunter in den Pueblo führt.«
»Bin ich durchgekommen«, rief Andres, in Tseltal antwortend, »aber ich bin kein Comerciante. Ich gehe nach den Monterias. Und ich vermute, hier ist es, wo sich die Peones alle sammeln für den Enganche.«
»Du gehst auch zu den Monterias?« fragte rufend ein anderer vom selben Campfeuer aus. »Als was? Bist ein Capataz, he, du? Da wollen wir gleich einmal vorher miteinander reden und gut. Morgen ist es vielleicht zu spät, wenn du der Peitscher und Henker bist. Auf dich, Hermanito, mein süßes Brüderchen, habe ich seit einem Jahr gewartet.« Der Indianer war, während er sprach, auf Andres zugekommen.
Jetzt stand er vor ihm, ballte beide Fäuste und rief: »He, du, Schlucker und Aufhänger, 'runter mit deinem Packen. Ich schlage keinem das Maul breit, der eine mächtige Carga auf dem Nacken schleppt.«
Andres ließ sich auf die Knie herunter, zog den Kopf aus dem Stirngurt, schob sich ein wenig vor, um vom Packen loszukommen, und stand dann auf.
Aber ehe er seine Knie ausstrecken konnte, bekam er einen heftigen Faustschlag mitten in das Gesicht.
Er taumelte zurück, schüttelte sich, sprang zur Seite, und eine Sekunde später befand er sich in einem lustigen Kampfe mit dem Angreifer.
Sie schlugen und balgten sich wohl zehn Minuten herum, ohne dass der eine oder der andere als endgültiger Sieger hervorging.
Dann schienen sie gleichzeitig einzusehen, dass beide ihre Prügel davontragen würden und dass darum der ganze Kampf Unsinn sei. Und als sie einmal für eine halbe Sekunde voneinander frei waren, sprangen sie beide gleichzeitig voneinander fort, um reichlich Zwischenraum zu gewinnen.
Das gab Andres Zeit, endlich auf die Begrüßungsfrage des aufgeregten Burschen zu antworten:
»Loco, ich glaube, du bist verrückt oben und unten. Bin kein Capataz, nie ein Capataz gewesen, nirgends, auf keiner Finca und in keiner Monteria. Dass du das weißt, du Burro, du Esel, der du bist. Und nun komm nur heran, in'ijito, mein Herzenssöhnchen. Diesmal kriege ich dich und heftig. Jetzt bin ich drin im
Getümmel.«
»Verdad?« fragte der andere. Er begann nun, spanisch zu reden. »Ist das die Wahrheit? Du bist kein Capataz? Dann setz dich nur hierher. Hier an unser Feuer. Bienvenido, 'miguito, willkommen, Freundchen. «
»Nicht hier«, sagte Andres. »Ich will mir ein Feuer suchen, wo andere Muchachos sitzen, die zu dem verfuckten Hurenknecht Gabriel gehören. Dieser Hundesohn von einem vergewaltigten, notgezüchtigten Coyoten, das ist mein Enganchador.«
»Dann bist du hier in der ganz richtigen vertrauten Häuslichkeit«, mischte sich ein zweiter Bursche, der am Feuer saß, ein. Auch er sagte es in spanisch. »Hier, dieses heimatliche Herdfeuer ist eine volle Gruppe des Weiberschänders Gabriel.
Wie heißt denn sein Apellido, sein anderer Name? Richtig. Ordufiez. Das ist er. Du hast dir da einen feinen Enganchador ausgesucht, Brüderlein. Kinder hat er auch gemordet. Seinen eigenen Bruder hat er an den Pferdeschwanz gebunden und ihn abgeschunden, bis nicht ein Fetzen Fleisch auf dem Gerippe
blieb. Weißt du, was der einmal war? Rück deinen Packen nur hier heran. Ich gieße dir das Wasser über die Hände, damit du dich waschen kannst. Hier, nimm den Kaffee. Kannst dir auch ein paar Totopostles anwärmen. Und nimm dir genügend Frijoles. Wir sind nicht arm. Denke nur das nicht von uns. Wir sind
die Caobafäller. Lustig und zufrieden und singen immer Lieder. Besser: Zieh dir dein Hemd an. Du kühlst zu rasch ab, und morgen hast du die Calentura auf dem Ursch, und wir können dich schleppen. Na, nimm dir nur ordentlich, von dem Fleisch auch. Wir erwischen morgen mehr Hühner, wenn die Leute auf den
Carnival gehen. Ausencio gibt acht auf die Polizisten, die ja überhaupt nur Besoffene suchen, um die Geldstrafen hereinzuzaubern für den Alcalde. Ich drehe den Hühnern den Hals so rasch um, die vergessen darüber ganz und gar zu schreien und quieksen nur wie Mäuse.«
Andres, die Hände unter den verbeulten Kessel haltend, den sein Gefährte hielt, wusch sich, rieb sich die Hände trocken, schüttelte sich das Wasser aus dein Gesicht, spülte sich den Mund aus, spuckte das Wasser in einem weiten Bogen fort und schob dann einige der ihm angebotenen Totopostles an das Feuer.
Gabino, der Bursche, der ihm die lange Rede gehalten hatte, glaubte es der Gastfreundschaft schuldig zu sein, den neuangekommenen Arbeitsgenossen zu unterhalten. Sie sprachen von nun an alle spanisch.
Gabino redete weiter drauflos: »Hier, wir alle, die hier herum ihre Feuer haben, gehören alle zum Enganche, zum Kontrakt, des ausgespienen Gabriel.«
»Ausgespieen?« rief einer der Burschen. »Ausgespieen? Dass ich nicht zerberste vor Lachen. Der ist nicht ausgespieen. Der ist nicht von einer Frau von vorn geboren. Den hat ein Stinktier von hinten ausgebrochen, und es ist nicht einmal stehen geblieben, zu sehen, was es ist. Es ist nur gerannt und gerannt, um weit fort zu kommen und unschuldig zu sein am Jüngsten Gericht an solchem Scheusal.«
Andres brockte sich die gewärmten Totopostles in den Kaffee und sagte: »Wenn ihr alle wisst, was er für ein Schurke ist, warum habt ihr euch denn von ihm einfangen und an den Haken nehmen lassen?«
»Wahrscheinlich bist du ganz und gar freiwillig hier. Du wärest der einzige. Der einzige in der ganzen Welt.«
»Freiwillig bin ich nicht hier«, antwortete Andres.
»Das brauchst du uns nicht zu sagen«, meinte einer der Bursche.
»Nein, freiwillig nicht«, redete Andres weiter. »Der Finquero, bei dem mein Vater Peon Landarbeiter ist, wollte die sechzig Pesos Schulden, die mein Vater bei dem Patron hat, eintreiben. Mein Vater wird nun alt, und der Finquero glaubt, dass mein Vater die Schuld nicht abarbeiten kann und sterben könnte, ehe der letzte Centavo bezahlt ist. Da hat er nun, um sicher zu seinem Geld zu kommen, meinen Vater für die Schuldsumme an Don Gabriel, den Enganchador der Monterias, verkauft. Mein Vater würde die erste Woche in der Monteria nicht überleben, wahrscheinlich würde er nicht einmal den langen Marsch durch den Dschungel aushalten. Da bin ich heimgekommen von meiner Arbeitsstelle und trete in den Kontrakt meines Vaters.«
»Genau, was ich sagte.« Gabino schob lässig einen Ast in das Feuer. »Du bist genauso freiwillig hier wie wir alle.«
Andres drehte sich um und fragte: »Wo ist denn der Muchacho, der mir den Schädel aufkrachen wollte?«
»Du meinst Celso, den Chamulaburschen?«
»Er wird wohl ein Chamula sein, denke ich.«
»Der«, antwortete Daniel, »der ist zum Bach gegangen, sich das Blut abzuwaschen und das Auge zu kühlen, das du ihm schwarz geschlagen hast.«
»Das war nicht meine Schuld«, sagte darauf Andres. »Ich habe nicht angefangen. Er sprang auf mich los wie ein wilder Hund. Ich kenne den Burschen gar nicht. Der muss nicht ganz vernünftig sein im Kopf.«
»Richtig«, antwortete Gabino. »Ganz richtig geraten, in'jito, mein Söhnchen. Der ist nicht völlig beisammen heute. Darfst du ihm nicht übel nehmen, dem Celso. He -«, unterbrach sich Gabino, »wie heißt du denn überhaupt? So, Andres. Ja, wie ich sage, der Celso ist ganz und gar wirr im Kopf seit heute morgen. Das ist eine Geschichte, hijito mio, mein Jüngelchen. Traurig oder lustig. Ganz wie du sie ansiehst.«
Und Daniel sagte: »Ich würde doch nun gern wissen, wie du dich wohl benehmen möchtest, wärest du in der Wäsche, in der Celso ist.«


DRITTES KAPITEL

Der Celso, begann Gabino zu erzählen, ist ein verteufelt guter junge, ein vortrefflicher Compafiero, ein richtiger und vollwertiger Kamerad, der dich nicht sitzenläßt. Was aber für die Monteria von Wert ist: Er gilt als einer der tüchtigsten Arbeiter, ganz gleich, was er anfasst.
Der Celso hat da in Ishtacolcot ein Mädchen. Er hätte sie sich einfach greifen und mit ihr fortrennen können. Aber der Junge hat Herz. Das ist sein Fehler. Er wollte dem Vater des Mädchens das nicht antun.
Der Vater gibt ihm das Mädchen nicht billig. Sie ist hübsch, stark und gesund. Der Vater meint, dass sie ihm leicht fünfzehn Kinder geben kann, wenn sich der Junge dranhält. Und darum will der Vater für das Mädchen einen hübschen Berg haben.
In Ishtacolcot kann der Celso den Berg nie verdienen. Er hat sich angeboten, für den Vater drei Jahre um das Mädchen zu arbeiten. Aber der Alte will sichtbare Güter haben. Ich weiß nicht, wie viel Schafe, wie viel Ziegen, Mais, Wolle, Tabak er dem Jungen aufgehängt hat für das Mädchen. Du magst José fragen, der da drüben an dem zweitnächsten Feuer sitzt, der ist aus derselben Comarca. Vielleicht weiß er es genau.
Nun hat sich Celso für eine Kaffeeplantage anwerben lassen, da unten irgendwo in der Region von Tapachula. In zwei Jahren hatte er unter Schwitzen, Keuchen und Sparen sich ein gutes Sümmchen zusammengewirtschaftet. Im Kaffeetal zu arbeiten ist keine Freude.
Da waren nun zwei Jahre für Celso um, und er hatte ein Sümmchen. Er machte sich auf den Heimweg, den kürzesten und schwierigsten: über Niquivil und Salvador. In jedem Dorfe, durch das er marschierte, wurde ihm vom Alcalden, dem Ortsvorsteher, ein Zehner abgenommen für das Recht, durch den Ort zu gehen. Und wenn da eine morsche Brücke irgendwo am Wege war, wurden ihm zwanzig Centavos abgenommen für Brückengeld. Überall am Wege wurde ihm verbotener Branntwein angeboten.
Überall wollte man den Jungen besoffen machen, damit man ihn verhaften und in die Carcel sperren konnte für Trunkenheit. Wenn er am Morgen aufwachte und weitermarschieren wollte, hatte er natürlich kein Geld mehr, keinen einzigen Centavo. Du kannst doch nicht erwarten, dass ein Polizeichef dich umsonst in die Carcel sperrt, und wenn du dich beschwerst, dass dir das Geld vom Polizeichef abgenommen wurde, dann arbeitest du einen Monat im Dorfe Strafarbeit für Beleidigung der Autorität.
Celso aber hatte genügend in der Plantage gelernt, aus den Erfahrungen der übrigen Peones und trank keinen Schluck.
Jovel war die letzte Stadt, durch die er kam, ehe er seinen Heimatort erreichte. Von hier waren es nur noch einige zwanzig Kilometer.
In Jovel fühlte er sich bereits in der Heimat. Jede Woche oder wenigstens zweimal im Monat war er nach Jovel gekommen, um hier für seinen Vater Mais, Wolle, gehacktes Holz, rohe Felle oder Chile zu verkaufen. Er kaufte sich für fünf Centavos Bananen bei einem kleinen Händler, der seine Ware auf einer Matte in den Kolonnaden des Stadthauses ausgebreitet hatte. Dann kreuzte er die Straße und hockte sich auf den nackten Boden der Plaza.
Auf der Plaza waren freilich Dutzende von Bänken aufgestellt.
Diese Bänke jedoch waren nur für die Ladinos bestimmt, für die zivilisierte Bevölkerung der Stadt.
Freilich reichte jene Zivilisation nicht in allen Fällen bis zu jener Stufe, wo sich ein jeder verpflichtet fühlt, sich an jedem Morgen richtig zu waschen und zu rasieren. Mit solchen nebensächlichen Dingen kann man gut bis Sonntag Nachmittag warten und deshalb doch nicht das Recht verlieren, als Ladino zu gelte.
Celso, ein wandernder Indianer, wäre von den Polizisten weggejagt worden, wenn er es gewagt hätte, sich auf eine der unbenutzten Bänke zu setzen. Aber von dem nackten gepflasterten Boden der Plaza trieben die Polizisten ja keine herrenlosen Hunde fort. Darum ließ man die Indianer, die rasten wollten, dort gleichfalls hocke.
Auf einer der Bänke saßen zwei Ladinos. Caballeros. Sie rauchten ihre Zigaretten und kritisierten die Regierung.
Der eine der beiden Caballeros sagte: »Da laufen so viele hier herum in dieser Ciudad, denen nicht das Hemd auf dem schwarzen Hintern gehört und die eine Miene aufsetzen, als hätten sie die Stadt in Erbpacht. Und dann andere dagegen -sehen Sie sich einmal den Chamulaburschen an, der da am Boden hockt und Bananen frisst. Sieht aus, als ob Sie ihm einen Centavo geben müssten, damit er am Leben bleiben kann. Und dieser dreckige Bursche hat siebzig Pesos in der Tasche oder eingedreht in seinem Hosengurt.«
»Woher wissen Sie das so genau?« fragte der andere Caballero.
»Er ist ja von meiner Finca, wo er zwei Jahre im Kaffee gearbeitet hat. Celso heißt er. Ist der Sohn von Francisco Flores in Ishtacolcot.«
»Wirklich?«
»Bestimmt. Aber was kümmert mich der Muchacho. Wie viel Tausend und Tausend von blanken Pesos hat doch nun schon der Gobernador eingesackt für die Autostraße nach Arriaga, und wie viel tausend und tausend Pesos wird er noch einsacken, ehe man wirklich einmal auf der Straße mit einem Auto heil durchkommt. Aber die Sache ist eben die... « Der andere Caballero hörte nicht mehr hin, als weiter schmählich über die Regierung gewettert wurde, sondern rief zu dem Indianer Celso hinüber: »He, du, komm einmal her.«
Celso drehte sich um, und als er einen Ladino sah, der ihn anrief, sprang er dienstfertig auf und kam auf den Caballero zu. Die Bananen, die in Ruhe zu essen er eben begonnen hatte, ließ er in der Hast liege. Als er vor dem Caballero stand, sagte er: »A sus ordenes, patroncito, zu Ihren Diensten.«
»Du kennst mich doch«, sagte der Caballero.
»Ja, Patroncito, freilich kenne ich Sie. Sie sind Don Sixto.«
»Richtig. Und ich habe deinem Vater zwei junge Ochsen verkauft. Er hat mir nur einen Teil bezahlt. Und dein Vater hat mir unter einem Bürgen, das ist Cornelio Sanchez, den du ja auch kennst, unter heiligem Versprechen versichert, dass er den Rest bezahlen wolle an demselben Tage, an dem du von der Kaffeefinca mit dem Gelde heimkommst. Das sind genau sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos, die dein Vater zu bezahlen hat. Gib das Geld her, dann braucht dein Vater nicht hier zur Stadt zu kommen und den langen Weg zu machen. Ist die Sache richtig mit der Schuld, Don Emiliano?« fragte Don Sixto.
»Die Schuld ist richtig und ganz in der Ordnung verbürgt«, antwortete Don Emiliano.
Für einen Augenblick kam Celso der Gedanke, dass Don Emiliano nicht gut wissen könnte, ob die Schuld richtig sei, aber er wusste auch gleich, dass gegen das Wort eines Caballeros das Wort eines Indianers nicht gilt. Wenn der Caballero sagt, dass die Erde sich um die Sonne drehe, so hat der Indianer das als Wahrheit anzusehen, auch wenn er mit eigenen Augen deutlich sehen kann, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Und so geht das mit allen Dingen, die ein Caballero sagt.
Don Sixto ging sehr rasch vor. »Raus mit dem Geld, Muchacho!« sagte er kurz und ohne irgendein Erbarmen. »Wenn du nicht zahlst, rufe ich die Polizei, und
in der Carcel magst du dann überlegen, was verbürgte Schuld ist.«
Aus der traurigen Erfahrung vieler seiner Stammesbrüder wusste Celso, dass die Carcel sehr teuer für einen Indianer wurde. Das Geld wurde ihm auf alle Fälle abgenommen, weil er es nicht verbergen konnte.
Aber als Dreingabe hätte er wahrscheinlich noch drei Monate Strafarbeit aufgeurteilt bekommen, wegen eines Vergehens, das »Verschleiern einer Schuldverpflichtung« hieß.
Celso wickelte den roten, wollenen Gürtel ab. Dabei fiel ihm die kurze weiße Baumwollhose herunter, und er stand in seiner schlichten Menschlichkeit vor Don Sixto. Er bemerkte es nicht, denn er fühlte eine Bitterkeit im Munde, im Magen, im Gemüt.
Er hatte den Gürtel nun völlig aufgedreht. Um zu verhindern, dass das Geld auf die Erde rolle, hockte er sich nieder. Dann nahm er jeden Peso einzeln aus dem Gürtel und legte jeden Peso einzeln in die offene Hand des Don Sixto.
Celso zählte nicht. Aber Don Sixto sagte die Zahlen, jede einzeln, so einzeln, wie die Pesos in seine Hand gelegt wurde.
Jedes Mal, wenn er zehn Pesos in der Hand hatte, leerte er die Hand dadurch, dass er das Geld in die Hosentaschen gleiten ließ, einmal in die rechte, dann in die linke, dann in die rechte hintere, dann in die linke hintere, dann wieder in die rechte vordere.
Don Emiliano sah ihm dabei zu, und er zählte im stillen mit. Geldzählen war interessanter, als sich über die unbrauchbare Autostraße des Gouverneurs zu ärgern.
Es kam die Zeit, dass Don Sixto siebzig Pesos in den Taschen hatte. Er öffnete die Hand wieder, hielt sie Celso hin, und als er weitere sieben Pesos hatte, sagte er: »Basta, Muchacho. Hier gebe ich dir jetzt vier Reales zurück. Ehrlichkeit ist Ehrlichkeit. Nicht einen Centavo mehr, als mir zusteht. So, und nun will ich dir die Quittung schreiben. Du sollst nicht denken, dass ich ein zweitesmal komme und das Geld haben will. Anständigkeit und Ehrlichkeit regieren die Welt.«
Er nahm ein kleines, zerknittertes Notizbüchlein aus der Hemdtasche, riss mit geiziger Sorgfalt ein Blättchen heraus und schrieb eine Quittung, dass er von Francisco Flores die volle Summe für zwei Ochsen erhalten habe durch Restbezahlung von sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos am heutigen Tage. Er schrieb seinen Namen darunter mit einem zehnfach verschnörkelten Schwung, von dem er annahm, dass kein Fälscher diesen Schwung nachahmen könnte.
»Komm«, sagte er zu Celso, »ich werde gleich das mit den Steuern erledigen, damit du eine vollwertige Quittung für deinen Vater hast.«
Er ließ den Burschen draußen warten, während er im Amtsraum der Steuermarkenfiliale die Marken aufzukleben und abzustempeln veranlasste. Er kam heraus, ging mit dem Burschen wieder zur Plaza zurück, wo noch immer Don Emiliano auf der Bank saß, Zigaretten rauchte und über die Schäbigkeit einer Regierung nachdachte, der er nicht angehörte. Don Sixto setzte sich neben ihn nieder, und nun gab er dem Celso den Quittungszettel.
»Hier hast du die Quittung unter Zeugen«, sagte er, »Don Emiliano ist Zeuge, dass du bezahlt hast für die Ochsen, und die Quittung ist mit den Marken nun gesetzlich, und die Brandzeichen der Ochsen sind auch eingetragen. Denke nur nicht von mir, dass ich dir dein Geld abnehme.« Er winkte befehlend mit dem Kopfe zu dem Burschen, um zu sagen: Nun, marsch, fort, ich habe andere Dinge zu tun.
Wie auf den Kopf geschlagen, trottete Celso mit schweren Schritten auf die Kathedrale zu, die eine Seite der Plaza ausfüllte und deren Seiteneingang gegenüber dem Cuartel, der Kaserne der Soldaten, lag. Er blieb an dem Verkaufstisch, den eine Händlerin im Eingang der Kathedrale aufgestellt hatte, stehen, kaufte zwei grüne Kerzen, ein silbernes Sternchen und ein silbernes Herzchen.
Eine Kerze widmete er der Heiligen Jungfrau, weil sie ihn auf dem Wege beschützt hatte, eine Kerze widmete er einer Figur, von der er glaubte, sie sei der San Andres, der Schutzpatron seiner Heimat, das silberne Sternchen gab er einer weiblichen Figur, einer Heiligen, die er nicht kannte; er wusste auch nicht, warum er ihr das silberne Sternchen gab. Aber das Sternchen hatte ihm die Händlerin als ein Glücksopfer verkauft. Und das silberne Herzchen legte er auf das Geländer des Hauptaltars mit der Erwartung, dass in der Nacht die Jungfrau aus ihrem dicken, goldenen Rahmen heraussteigen und sich das Herzchen holen würde.
Als er das Herzchen auf das Geländer legte, dachte er an das Mädchen, das er hatte heiraten wolle.
In diesem Augenblicke erst, und nicht ein einziges Mal während des Handels mit Don Sixto, kam es Celso zum Bewusstsein, dass er zwei Jahre in der Kaffeeplantage umsonst gearbeitet hatte. Das Mädchen als Frau zu haben war für ihn jetzt ebenso weit entfernt wie an dem Tage, als er sich für die Kaffeefinca hatte anwerben lassen.
Celso kniete auf den Steinboden, der dick mit Tannennadeln bestreut war, und betete: »Ave Maria, Madre de Dios, ora pro nobis.« Er wiederholte das zehnmal. Er wusste nicht, was es hieß, was es bedeutete, warum er es sagte und welchen Zweck es hatte. Aber seine Mutter hatte es ihm so lange vorgesprochen, bis er es nachsprechen konnte, als er fünf Jahre alt war und zum ersten Male in der Kathedrale zu Jovel gewesen war. Es war alles, was er an Gebeten wusste. Seine Mutter wusste nicht mehr, und sie konnte ihm darum auch nicht mehr vorsprechen.
Als er mit seinem schlichten Gebet zu Ende war, nahm er die Spitzen seines Zeigefingers und seines Daumens zusammen, klopfte sich damit auf die Lippen und küsste sich dann die Fingerspitze.
Nun stand er auf und verließ die Kirche. Er hatte alles getan, was ihm seine Mutter geraten hatte, als er zur Kaffeefinca abmarschierte. Sie hatte ihm gesagt, dass, wenn er zurückkomme und in Jovel, der letzten Stadt, anlange, er zwei grüne Kerzen kaufen und sie in der Kirche anzünden solle als Opfer für die gesunde Heimkehr.
Bei der indianischen Händlerin, wo er die Bananen gekauft hatte, lag ein Reisepacken, den er dort für eine Weile zur Aufbewahrung zurückgelassen hatte. Er ging hin zu der Händlerin, nahm seinen Packen auf und machte sich auf die letzte Strecke zu seinem Heimatdorf.
Das letzte Haus am Ausgang der Stadt war eine kleine Tienda, ein kleiner Laden, in dem alles, was ein Indianer gebrauchen konnte, zu haben war. Die wenigen Waren, alle verstaubt und niemals angefasst, die hier auf den wackligen Regalen lagen, dienten nur dazu, kontrollierenden Beamten nachzuweisen, dass hier Waren feilgeboten wurden. Freilich, jeder Beamte wusste, dass diese Waren nur da waren, damit er schwören könne, er habe geglaubt, es handele sich um eine legale Tienda. Dass er Geld bekommen und angenommen hatte, um so zu kontrollieren, wie es dem Eigentümer des Ladens gefiel, brauchte der Beamte nicht zu beschwören. Wenn es je zu einer Beschwerde kam, so war der Richter, der aus derselben Schüssel aß, aus der auch alle übrigen Beamten aßen, gütig und verständig genug, nicht zu fragen, ob Geld angeboten und angenommen worden war.
Der Eigentümer des Ladens hätte mit seinen Waren, auch wenn sie von der besten Art gewesen wären, keine großen Geschäfte machen können. Denn niemand kauft seinen Bedarf im letzten oder im ersten Hause einer Stadt, solange er nicht geprüft hat, wie der Preis und der Wert der Waren im Innern der Stadt sind, wo die Konkurrenz die Kaufleute zwingt, die Preise niedrig zu halten.
Das Geschäft, das der Mann hier machte, war einfacher Natur. Er verkaufte unversteuerten Aguardiente.
Am unversteuerten Branntwein wird mehr verdient als am versteuerten. Der Verkäufer teilt sich mit dem Trinker das Geld, das die Regierung aus dem Laster zieht. Und weil hier der Verkäufer auch noch gleichzeitig der Fabrikant des Branntweins ist, so hat er den Verdienst doppelt.
Der Geschäftsinhaber hat keine Lizenz zum Branntweinverkauf. Das wäre lästig, denn dann würden die Inspektoren kommen und die Fässer nachzählen, die unversteuerten finden und mit fünfzigfacher Steuer belasten.
Der Mann verkauft auch keinen Branntwein in Gläschen; dann müsste er eine Kantinenlizenz haben, oder die übrigen Kantinenbesitzer, die ehrlich ihre Steuern bezahlen, würden ihn anzeigen.
Der Kaufmann hier verkauft den Branntwein in Flaschen, weil er ja keine Cantina hat. Niemand darf im Innern des Ladens trinken. Das ist verboten, weil es ja keine Cantina ist. Alles übrige, was der Mann tut, ist auch verboten. Aber dass er das Gesetz respektiert und sich nicht außerhalb des Gesetzes stellt, beweist er damit, dass er jeden Käufer veranlasst, seine Flasche hinter dem Hause oder neben dem Hause auszutrinken.
Vor dem Hause, neben dem Hause, hinter dem Hause und entlang den Wegen zu den Dörfern der Indianer liegen Männer, Frauen, Burschen, alle sinnlos betrunken, in der Sonne. Alle in Lumpen, das Haar verfilzt und verlaust, die betrunkenen Weiber, ihre Röcke hoch bis an den Hals gezogen, Hemden haben sie keine, um sie auch mit hochzuziehen, die betrunkenen Männer grölend, kreischend, schlafend, tanzend.
Jeder Bewohner der Stadt, ja jedes Kind weiß, dass hier ohne Lizenz unversteuerter, hochprozentiger Aguardiente in Flaschen an die Indianer verkauft wird. Jeder Inspektor der Steuer weiß es. Aber jeder gibt vor, es nicht zu wissen; denn der Mann, der den fetten Laden hat, lässt andere Leute, die ihm das Geschäft verderben könnten, wie Steuerinspektoren, Bürgermeister, Richter, Polizeichef, reichlich mitverdienen.
Darum ist der Mann mächtig und von jedermann gefürchtet. Und das Land ist so voll von guten und schönen Gesetzen, dass man sich nicht einmal auf dem Absatz umdrehen kann, ohne in ein Gesetz hineingetreten und drei andere übertreten zu haben. Aber alle Gesetze bestehen nicht, um Land und Volk gesittet und zivilisiert zu halten, sondern sie bestehen, damit Abgeordnete, Gouverneure, Bürgermeister, Richter, Gefängnisverwalter, Polizeichefs und alle, die das Glück hatten, ein Amt zu erwischen, aus den Bürgern Geld herausschinden können, das nicht in den Gehaltslisten verbucht wird.
An diesem Laden, ein Lehmhaus, ohne Fenster und mit Holzschindeln gedeckt, kam Celso an. Er setzte sich eine Weile an den Rand der sandigen Straße, mit dem Rücken gegen seinen Packen gelehnt.
Er hatte in Jovel viele Dinge einkaufen wollen, um sie als Geschenke mit nach Hause zu bringen. Für seinen Vater Sandalen, für seine Mutter ein neues rotes Wollband, in die Zöpfe zu flechten, und für sein Mädchen eine glitzernde Perlenhalskette. Nun kehrte er ohne Geschenke heim und ohne Geld für die Heirat. Für Don Sixto waren die sechsundsiebzig Pesos und fünfzig Centavos gerade so viel wie ein lässiger Fingerschnipp. Er verspielte das Doppelte in einer Stunde am Roulett auf der Plaza oder beim Würfeln in der Cantina. Für Celso waren dieselben sechsundsiebzig Pesos fünfzehn Kinder und alles, was er benötigte, um sich eine Welt aufzubauen, damit sein Leben einen Sinn bekam.
Celso ließ seinen Packen liegen und ging in den Laden. Er deutete auf ein rotes Wollband, das an einem Faden von einer Latte herunterhing. Es war völlig verstaubt und sah infolge des Staubes grau aus. Der Händler hatte nie die Absicht, dieses Wollband oder irgend etwas anderes, das er im Laden hatte, zu verkaufen. Darum war es ihm gleichgültig, ob die Sachen verstaubten oder nicht.
Er bohrte sich gelangweilt mit einem Zahnstocher im Munde, zog den Mund schief, kniff ein Auge halb zu und sagte: »Wo kommst du denn her, Muchacho? Wo bist du denn her? So, von Ishtacolcot.«
»Wie viel kostet das Band?« fragte Celso wieder.
»Ja, sieh doch einmal einer an«, sagte der Händler erstaunt. »Bist wohl jetzt dick und fett geworden.
Willst du einen Schluck nehmen? Schenke ich dir.«
Celso drehte sich um und wollte gehe.
»He, du«, rief ihn der Händler an, aus seiner Faulheit ein wenig aufgescheucht, »lauf nicht davon! Das Band kannst du haben. Kostet acht Reales.«
Der Preis im Innern der Stadt war zwei Reales.
Celso drehte seinen Gürtel etwas auf. Es waren siebenundvierzig Centavos, die er noch besaß.
»Kannst du mir das Band für siebenundvierzig Fierros lassen?« fragte er den Händler.
»Nein, das kann ich ganz gewiss nicht, bei der Santisima Virgencita und bei San José und dem Kinde, ich kann es dafür nicht hergeben.« Der Zahnstocher in seinem Munde schob sich nun von selbst aus dem einen Mundwinkel in den anderen. Der Mann stützte beide Hände auf die Ladentischplatte und sagte:
»Ich will dir etwas sagen, was ich für dich tun will. Eine Halbliterflasche voll kostet fünfzig. Dir will ich sie für siebenundvierzig geben, so dass du siehst, wenn ich etwas für weniger Geld verkaufen kann, dann bin ich immer dazu bereit.«
Celso kam heim in sein väterliches Haus ohne Geschenke, ohne Geld für die Heirat, ohne seinen Packen, den er irgendwo am Wege verloren hatte. Er fiel lang in das Haus und in den Schoß seiner Mutter, die am Erdboden beim Feuer hockte und das Abendessen kochte.
Am nächsten Tage, als mit Celso wieder menschlich zu reden war, fragte ihn sein Vater, wo er das Geld gelassen, das er in zwei Jahren verdient habe.
»Das hat mir Don Sixto abgenommen.«
»Es ist richtig«, sagte der Vater, »ich schulde Don Sixto das Geld für die beiden Ochsen. Aber es ist keine Rede davon, dass ich ihm das Restgeld für die Ochsen von deinem Lohne versprochen habe. Wir haben verabredet, dass ich den Kauf mit dir besprechen werde, wenn du von der Kaffeefinca heimkommst, weil du die Ochsen erst sehen und beurteilen sollst. Ich wollte dir die Ochsen geben, wenn dir das erste Kind geboren wird. Und wenn dir die Ochsen nicht gefallen, dann könnte ich sie zurückbringen zu Don Sixto, und er würde mir die Zahlung, die ich gemacht habe, wiedergeben oder sie mir gutrechnen für ein Mule.
Wir haben verabredet, dass ich Don Sixto jedes Vierteljahr sechs Pesos bringe, bis die Ochsen bezahlt sind, und dass wir den Kaufkontrakt in Jovel beim Amt richtig machen würden, wenn du zurückgekommen bist. So ist die Abmachung.«
Das sah so einfach aus hier in seinem väterlichen Hause, wo im Schatten des Palmdaches seine Mutter auf dem Metate die Maza für das Mittagessen rieb. Das hörte sich so wahrhaft und schlicht an aus dem Munde seines Vaters. Es tönte so klar und ohne Hinterhalt hier in seinem Dorfe, eingezäunt von einer dichten Magueyhecke, wo Hunde gelangweilt kläfften, Esel trompeteten, Truthühner glucksten, Hühner gackelten, Kinder kreischten und alles und jedes in Frieden und Eintracht mit der Umgebung in einem Ton zusammenklang.
Aber alles hatte so anders geklungen aus dem barschen Munde des Don Sixto, der nicht diskutierte,
sondern befahl. Weder Celso noch sein Vater kamen auf den Gedanken, nach
Jovel zu gehen und das Geld von Don Sixto zurückzufordern. Es wäre vergebens gewesen. Und wenn sie sich aufregen und Don Sixto auch nur ein böses Wort sagen würden, dann kämen beide in die Carcel.
Am selben Tage ging Celso seinen Packen suchen. Er fand ihn auch. Und weil auf dem Wege, den er gekommen war, nur Indianer wanderten, so war sein Packen unberührt.
Celso schämte sich, zu seinem Mädchen zu gehen.
Aber nachdem Celso mehr als eine Woche daheim war und täglich mit seinem Vater in der Milpa gearbeitet hatte und von allen Leuten im Dorf gesehen wurde, wie er sich abmühte, die Ochsen zum Pflügen einzudrillen, kam eines Nachmittags, kurz vor Sonnenuntergang, der Vater des Mädchens zum Hause des Francisco Flores.
Hinter dem Vater, in einem längeren Abstand, kam die Tochter hergegangen.
Der Vater des Mädchens, Manuel Laso, trat in den Hof, grüßte und setzte sich auf die Bank.
Das Mädchen blieb draußen vor der Hecke stehen. Sie war barfuss, trug den üblichen schwarzen, rohen Wollrock, der ihr bis zu den Knien reichte, und hatte eine grüne Glasperlenkette um den Hals. Ihr dickes Haar war mit rotem Wollband in Zöpfen gedreht und hoch auf dem Kopfe aufgetürmt. Beide Arme hatte sie vor der Brust gekreuzt und das Gesicht in den Händen versteckt. Aber sie blickte lebhaft durch die Finger, und jeder konnte sehen und sollte sicher auch sehen, dass ihr nichts entging, was sich im Hause oder im Hofe zutrug.
Die Mutter des Celso stand auf vom Feuer, kam aus der Hütte, verneigte sich halb vor dem Gast, reichte ihm die Fingerspitzen hin, die er leicht betastete, ging dann zu der Einfriedung und lud das Mädchen ein, in den Hof zu komme.
Als ob sie etwas verbrochen habe, wischte das Mädchen an der Seite der Frau entlang, und mit einem Husch war sie in der Hütte, wo sie sich mit der Frau am Feuer niedersetzte und beide zu schwatzen begannen.
Celso hatte hinter dem Hause gearbeitet. Er beschäftigte sich mit der Anfertigung des Geschirres für die Ochse.
Er kam in den vorderen Hof und begrüßte den Vater des Mädchens so beiläufig, als ob es ihm gleich sei, ob er hier sei oder nicht. Das Mädchen kümmerte ihn nicht. Er beachtete sie nicht einmal. Er vermied, in die Hütte zu gehen, obgleich er wusste, dass sie drin war, oder besser gesagt, weil er wusste, dass sie drin war. Lange konnte er es jedoch nicht ertragen. Er ging zur Tür der Hütte und fragte die Mutter, ob sie nicht wüsste, wo sein Messer sei. Er wusste, wo es war. Es war im Hause in einen Pfosten gesteckt, und um es zu erlangen, musste er die ganze Hütte durchqueren. Er ging auf den Pfosten zu, mit geradeaus gerichteten Augen, ohne das kauernde Mädchen zu beachte.
Das Mädchen hatte sofort, als der Bursche in die Hütte kam, ihr Gesicht in den hochgezogenen Brustteil ihres Rockes versteckt. Jedoch von der Seite und von unten herauf folgte sie allen Bewegungen des Burschen. Wenn sie auch wenig Einfluss auf die Wahl ihres Mannes ausüben konnte, weil das Angelegenheit der beiden Väter und des heiratsfähigen Mannes war, so war sie dennoch immer begierig, einen Blick auf den zu werfen, der ihr seit mehr als zwei Jahren als Mann versprochen worden war.
Sie war jetzt sechzehn Jahre alt. Und es war Zeit für sie und ihre Eltern, ernsthaft an ihre Zukunft zu denken. Mit zwanzig Jahren galt sie als alte Jungfer.
Die beiden Väter hatten einiges geredet. Als Celso nun wieder aus der Hütte kam, rief ihn Manuel Laso an: »He, du, Muchacho, warum bist du denn nicht einmal zu mir herübergekommen, >Guten Tag< zu sagen? Ich habe auf dich gewartet.«
»Ich habe noch keine Zeit gehabt, Don Manuel«, sagte Celso.
»Wir haben nun die Ochsen, und ich will sie für den Vater zum Ziehen bringen, ehe ich wieder fortgehe.«
»Ehe du wieder fortgehst?« fragte Manuel Laso.
»Wohin fortgehst, Junge?« fragte auch der Vater des Celso. Es kam ihm ebenso unerwartet, wie es Manuel Laso gekommen war.
»Das Geld verdienen für die Heirat«, erklärte Celso, als wäre es selbstverständlich.
Manuel Laso knitterte das Gesicht zusammen und sagte: »Ich glaubte, du bringst das Geld von der Kaffeefinca zur Heirat. Du hast zwei Jahre tüchtig gearbeitet.«
»Ich habe aber das Geld nicht, Don Manuel, und darum muss ich wieder fort und sehen, wie ich das Geld verdiene.«
Er sagte nicht, dass er das Geld für die Ochsen bezahlt habe. Auch sein Vater sagte es nicht. Denn wo das Geld war, das war in diesem Handel ohne jeden Belang. Von Wichtigkeit allein war nur, dass Celso die Sachen heranschaffte, die er als Heiratsgut zu geben hatte. Es handelte sich nicht um Geld, sondern um die Hochzeitsgabe.
Manuel Laso hatte vielleicht eine leise Idee, dass jenes Geld wahrscheinlich etwas mit den Ochsen des Francisco Flores zu tun habe. Aber es war nicht seine Sache, das zu ergründen; denn es änderte nichts an der Tatsache, dass Celso das Geld nicht hatte, das er brauchte, um die Brautgabe zu kaufen Francisco Flores sagte: »Ich habe dem Celso die beiden Ochsen versprochen, wenn das erste Kind geboren ist.
Weißt du, Don Manuel, ich kann auch gern dem Celso die beiden Ochsen heute geben.«
»Diese beiden Ochsen sind nicht wichtig in dem Handel, den ich mit Celso habe, Don Francisco«, sagte Manuel Laso. »Er muss von sich selbst und ohne deine Mithilfe das Geld heranschaffen, um das Heiratsgut zu bezahlen. Verflucht noch mal, ich muss doch wissen, ob der Vagabund überhaupt Geld verdienen kann. Celso ist mir recht, und das Mädchen sagt meiner Vieja, meiner Alten, dass ihr der Celso sehr recht und sehr angenehm ist. Aber das dauert nicht lange. Was allein dauert, ist die Fähigkeit, zu arbeiten und Geld zu verdienen. So, und das ist nun mein letztes Wort in der Sache: Celso, ich gebe dir noch einmal zwei Jahre. Aber mehr als zwei Jahre kann das Mädchen nicht warten.«
Manuel Laso stand auf, reichte Francisco Flores die Hand hin und rief zur Tür der Hütte: »Ich gehe.«
Die Mutter des Celso kam zur Tür und sagte: »Adiosito, Don Manuel.«
»Hasta luego«, antwortete Don Manuel, »bis später«. Er ging seiner Wege.
Das Mädchen kam wie ein verscheuchtes Hündchen auf Francisco Flores den erhofften Schwiegervater, zu, beugte sich nieder und küsste seine Hand.
Er legte seine andere Hand auf den Kopf des Mädchens und sagte: »Vaya con Dios, geh mit Gott, chiquita mia.«
Ohne aufzusehen und ihren gebeugten Oberkörper in derselben Stellung, wie sie Don Francisco gegrüßt hatte, haltend, drehte sie sich rasch um und lief mit kurzen, raschen Schritten hinter ihrem Vater her.
Außerhalb der Hecke wandte sie sich jedoch ein wenig und lugte über ihre Schulter zurück in den Hof.
Aber sie hielt ihre beiden Hände über das Gesicht gedeckt.
Celso stand an einem Pfosten des Hauses und schnitzte mit einem Messer an einem Knüppel herum.
Die Art, wie er sich mit dem Knüppel beschäftigte, erweckte den Eindruck, dass dies eine ungemein wichtige Arbeit sei für das Geschirr des Ochsen. Aber in Wahrheit schnippelte er an dem Stecken hin und her ohne bestimmte Absichten hinsichtlich der Verschönerung oder der Nutzbarmachung des Holzes.
Er sah nicht dem Mädchen nach, und er kümmerte sich nicht um den Blick des Mädchens. Dieser eingeschüchterte Blick hinter ihren Händen, als wäre es hinter den Gittern eines Fensters, war das einzige Zeichen, das sie äußerte, um zu offenbaren, dass Celso für sie der einzige Mann unter dem Himmel sei.
Erst als nach seiner Schätzung der Vater mit dem Mädchen wenigstens zweihundert Schritte von dem Hause entfernt war, sah Celso auf. Seine Hand jedoch schnippelte mit dem Messer, ohne zu stocken, weiter an dem Knüppel herum, so dass, wenn er bemerkt hätte, dass ihn jemand beobachtete, er nur die Augenlider fallen zu lassen brauchte, um gegenüber jedem Verdacht gewappnet zu sein, dass er nur dies Mädchen und kein anderes als Mutter für seine fünfzehn Kinder wolle. Er hatte, als er noch ständig daheim in seinem Dorfe war, zuweilen das Mädchen von nahem gesehen. Einmal, als der Cura kam, um in der zusammenfallenden Kirche des Ortes Kinder zu taufen. Ein anderesmal bei einer Hochzeit, wo er mit dem Mädchen viermal getanzt hatte. Und mehrere Male hatten sich die beiden Familien auf dem Heimwege vom Markt in Jovel getroffen. Wenn er gut und sehr sorgfältig aufgerechnet haben würde, so wäre alles, was er während seiner Lebenszeit mit dem Mädchen bis heute gesprochen hatte, sicher nicht auf mehr als achtzehn oder zwanzig Worte gekommen. Selbst zum Tanz hatte er sie nicht mit einem einzigen Worte aufgefordert, sondern er war nur etwas näher getreten und hatte sein rotes Halstuch in ihren Schoß geworfen, um ihr zu zeigen, dass er ihr die Ehre antäte, mit ihr tanzen zu wollen.
Wenn die beiden heiraten, so wird einst der Tag kommen, wo sie dreißig Jahre miteinander verheiratet sein werden. Ohne Kirche, ohne Staatsregister, lediglich mit Zustimmung der Väter. Ob das Paar dann, nach dreißigjähriger Ehe, glücklich ist oder glücklich war, wissen beide nicht. Eheliches Glück steht außerhalb ihrer Empfindungen. Sie haben Kinder, einige sind gestorben, andere leben, viele sind verheiratet. Sie leben in steter harter Arbeit. Sobald sie aufhören zu arbeiten, auch nur einen Monat, so haben sie keinen Mais zu essen und keine Bohnen. Sie leben in Frieden miteinander. Die Frau gehorcht ihrem Manne von dem Tage ihrer Eheschließung an mehr, als sie Gott gehorcht. Was er sagt und anordnet, ist für sie und alle Kinder, ob sie mit ihm noch im Hause wohnen oder ihr eigenes Haus haben, unabänderliches Gesetz.
Für Celso war dieses Mädchen, und gerade dieses, ebenso wichtig und ebensoviel wert, wie für irgendeinen anderen Mann ein Mädchen ist, von dem er meint, dass er es sich selbst ausgesucht habe und dass er ohne sie nicht leben kann.
Das Mädchen, das ihm zugewiesen war, für sich aufzubewahren und für sich mit allen seinen Kräften zu gewinnen, betrachtete Celso ebenso als seine nächste und härteste Aufgabe, wie sich ein junger Bankangestellter in New York, London oder Berlin bemüht, die Bedingungen zu schaffen, unter denen er sein Mädchen endlich heiraten kann.
Nichts ist umsonst in diesem Leben, weder für den Bankangestellten noch für Celso. Und darum muss Celso wieder fort, um erneut das Geld heranzuschaffen, das er schon einmal zu haben glaubte.
Celso packte wieder auf, und eines Morgens um drei Uhr war er auf dem Marsche nach Jovel.
Es waren keine Agenten in Jovel, um Leute für die Cafetales anzuwerben. Es schien Celso auch, dass beim Arbeiten im Kaffee nicht genügend zu verdienen war und dass er vielleicht etwas finden könnte, wo er schneller zu seinem Gelde kommen würde.
Er stand in einem Laden an der Plaza und kaufte rohe Tabakblätter ein, um für den Weg Zigarren zu haben. Im Laden war ein Ladino anwesend. Der Caballero redete mit dem Ladeninhaber über eine Möglichkeit, einen Brief mit Dokumenten nach der Monteria Agua Azul zu schicken. Er hatte bereits einige Tage lang nach Arrieros gesucht. Das waren die Maultiertreiber, die Waren auf Maultieren in die fernen Distrikte beförderten, wo es keine Straßen gab. Aber keiner der Arrieros hatte eine Karawane nach einer Monteria. Vielleicht in zwei Monaten oder in vier, wenn der Türke mit seinem Handel nach den Monterias zieht. Aber heute oder innerhalb von zwei oder drei Wochen auf keinen Fall.
Der Caballero hatte daraufhin nach einem einzelnen Boten gesucht. Aber keiner wollte allein reiten, sie alle hatten Furcht vor dem langen Marsch durch den Dschungel, ein Marsch von zehn Tagen; dazu kam noch der Rückmarsch. Der Marsch von Jovel bis zur letzten Siedlung vor dem Dschungel dauerte sechs Tage. Die nötigen Ruhetage mit eingerechnet, war es ein Botenmarsch von vierzig Tagen. Und vierzig Tage mussten dem Boten bezahlt werden. Dazu kam sein Pferd, und dazu kam sein Mule, auf dem er seinen eigenen Reisepacken beförderte. Und das Mule diente auch dazu, gelegentlich mit dem Pferde auszuwechseln, um keines der Tiere zu ermüden. Wenn Pferde oder Mules im Dschungel ermüden, legen sie sich hin, fressen nicht mehr und sterben weg wie in Traurigkeit. Aber ein einzelner Bote fürchtete sich. Er wollte einen Burschen zur Begleitung haben. Eine solche Forderung war nicht unbillig. Dieser begleitende Bursche musste auch mit vierzig Tagen Lohn bezahlt werden, gleichfalls sein Pferd.
Auf den Brief einfach eine Briefmarke für zwanzig Centavos aufzukleben und den Brief in den Kasten zu stecken und schnell wegzurennen, half dem Caballero auch nichts. Der Brief würde ihm am nächsten Tag im Hotel wieder zugestellt werden mit dem Vermerk »No hay correos - dahin gibt es keine Postverbindung«.
Sagte der Ladeninhaber: »Hören Sie, Don Apolinar, warum schicken Sie denn nicht den Brief mit einem Chamula, hier mit einem Indio? Fragen Sie gleich mal den Burschen, der hier auf der Bank sitzt und sich Zigarren dreht. Ich bürge für ihn, kenne ihn und seinen Vater.«
Ursprünglich hatte Celso, wie alle seine Stammesangehörigen, nur die Sprache seiner Nation gesprochen, Tsotsil. Aber bereits ehe er nach den Kaffeefincas zur Arbeit gegangen war, hatte er begonnen, spanisch zu lernen, als er für einige Monate in einer Säge des Don Prisciliano für fünfundzwanzig Centavos den Tag arbeitete. In den Kaffeefincas, wo so viele Burschen verschiedener Sprachen zusammenkamen und Spanisch notwendig war, um sich miteinander verständigen zu können, hatte er dann Spanisch so vollkommen gelernt, wie das nur für einen Indianer notwendig ist, der nie eine Schule besucht hat.
Er hatte gehört, was die beiden Caballeros gesprochen hatten, tat jedoch, als ob er nicht genügend spanisch verstünde, um genau zu wissen, was verhandelt wurde.
In Dingen wie diesen hier ist ein Indianer, der in seinem Pueblo, seinem Dorfe, lebt, sehr langsam im Begreifen und noch viel langsamer im Erfassen einer Gelegenheit, für sich einen Vorteil zu erhaschen.
Durch sein Leben in den Kaffeefincas, wo nicht nur rein indianische Arbeiter aufeinander treffen, sondern auch die gerissenen, eilfertigen und geschmierten aus dem Kehricht der Städte, die sich zuweilen in jene fernen Kaffeeplantagen zum Arbeiten begeben, um der Polizei und dem Richter aus dem Gesichtskreis zu entschlüpfen, hatte Celso jedoch begonnen, die angeborene Schwerfälligkeit im Denken abzuschütteln.
Völlig hatte er sie noch nicht abgeworfen, sonst wäre er ja nicht so taumelnd dem Don Sixto in das Netz gegangen, sondern er hätte sich gewehrt, und er hätte erst einmal abgewartet, ob wirklich das Gefängnis auf ihn wartete, wenn er Don Sixto nicht zahlte.
Das wenige aber, was er bis heute in den Kaffeeplantagen an Fähigkeit, seinen eigenen Vorteil in dieser Welt wahrzunehmen, gewonnen hatte, kam ihm jetzt sehr zugute.
Ohne diese Lebenserfahrung erworben zu haben, wäre er wahrscheinlich aufgesprungen und hätte sich dem Don Apolinar angeboten, den Brief nach Agua Azul zu bringen. Aber er ließ das bleiben, weil er gelernt hatte, dass ein Arbeiter, der sich anbietet, nur halb soviel wert ist wie ein Arbeiter, der gesucht wird.
So blieb er ruhig auf seiner Bank sitzen und drehte an seinen Zigarren weiter. Und weil er so unschuldig tat, redeten die beiden Caballeros unbefangen über den Preis für den Bote.
»Denken Sie, dass er es für zwei Reales - fünfundzwanzig Centavos - den Tag macht?« fragte Don Apolinar.
»Er kann es in dreißig Tagen machen, das wären dann sieben Pesos und fünfzig Centavos«, rechnete der Kaufmann aus.
»Höre mal, du Chamula!« rief Don Apolinar. Celso stand auf und kam näher. Als er von dem Briefe und der Schwierigkeit, ihn zu befördern, hörte, begann er, ohne es merken zu lassen, an einem Plan zu arbeiten. Und eine Minute darauf hatte er erfasst, dass das größte Glück, das ihm in seiner gegenwärtigen Lage helfen konnte, nichts anderes war, als einen wichtigen Brief nach einer Monteria zu bringen.
Seine Absicht war es, wieder nach den Kaffeefincas zu gehen, als er aber vernahm, dass kein Agent da sei, dachte er als einzigen anderen Ausweg an die Monterias. Es war schwere Arbeit, man konnte sie mörderisch nennen, jedoch er fürchtete sich nicht. Was er vermeiden wollte, waren die hohen Unkosten, Arbeit in der Monteria zu erhalten. Der Agent verlangte zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Pesos Kommission für das Anwerben. Der Arbeitskontrakt kostete in Hucutsin fünfundzwanzig Pesos Steuer beim Bürgermeister. Der Marsch, oder besser, was er auf dem Marsch verzehrte, kostete sein Geld. Es waren beinahe drei Monate Arbeit, die er zu leisten hatte nur für die Unkosten der Tatsache, dass er überhaupt arbeiten durfte.
Und nun, während er so über seine Lage nachdachte, fiel ihm der Brief mit den wichtigen Dokumenten in den Schoß. Der Weg wurde bezahlt. Er kam in der Monteria an. Es wurden in der Monteria immer und ewig Arbeiter gebraucht, weil sie wegstarben wie Läuse unter einer Gasolinpumpe. Er arbeitete ohne Vertrag in der Monteria, konnte gehen, wann er wollte und wenn er glaubte, so viel Geld zu haben, wie er zur Heirat benötigte.
»Wie heißt du denn, Muchacho?« fragte Don Apolinar. »Celso, Celso Flores, a sus ordenes, patroncito.«
»Kennst du den Weg in die Monterias?« »No, mi patroncito.«
Don Apolinar begann, ihm den Weg klarzumachen. Er nahm ein Stück Einwickelpapier, das auf dem Ladentisch lag, zu Hilfe und zeichnete die Linie auf. Da Celso nicht lesen konnte, so machte er kleine Vierecke überall dorthin, wo ein Dorf war, und er zeichnete für jedes einzelne Dorf ein Merkmal hin, das entweder in einem besonderen Merkmal der Kirche oder der Plaza oder eines großen Baumes oder in der Lage des Cementerios, des Friedhofes, bestand. Damit war der Weg für das Verständnis des Celso ebenso gut, vielleicht besser bezeichnet als für einen Handelsreisenden der Eisenbahnfahrplan. In der Weise zeichnete Don Apolinar den ungemein beschwerlichen Weg auf, den er mehrere Male bis zu der letzten Siedlung am Rande des Dschungels gemacht hatte. Von hier an ließ sich der Weg nicht mehr so gut auf dem Papier darstellen. Er konnte Celso nur sagen, dass er in der letzten Siedlung übernachten und sich hier den Weg durch den Dschungel bis in alle Einzelheiten beschreiben lassen solle.
Er möge in der letzten Siedlung auch alles einkaufen, was er an Essen durch den Dschungel brauche; denn im Dschungel sind keine Kaufläden, keine Hütten und ist keine Menschenseele, und der Weg durch den Dschungel dauere neun bis zwölf Tage, je nach der Raschheit des Marschierende.
»Du siehst also hier, Celso, wie der Weg geht und wie lange du etwa brauchen wirst bis Agua Azul «, sagte Don Apolinar. »Wir wollen nun über deinen Lohn reden. Du kannst den Weg recht gut in dreißig Tagen machen, fünfzehn hin und fünfzehn zurück. Für jeden Tag gebe ich dir zwei Reales. Das sind dann sieben Pesos und fünfzig Centavos, und wenn du das gut ausrichtest, gebe ich dir freiwillig vier Reales drauf als Belohnung.«
Celso hörte sich das an, ohne mit dem Kopf zu nicken, ohne etwas zu verneinen, ohne durch irgendeine Miene im Gesicht auszudrücken, dass er überhaupt verstanden habe, was man von ihm wolle. Hatte er einmal begonnen, auf seinen eigenen Vorteil zu sehen, so konnte er das nun auch gleich fortsetzen, sonst lohnte sich der Anfang nicht. Während Don Apolinar auf ihn einredete, kam ihm der Gedanke, dass er von Apolinar zurückgewinnen könne, wenn auch nur zum Teil, was ihm Don Sixto abgenommen hatte.
Schüchtern, unterwürfig und dumm sagte Celso: »Con su amiable permiso, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, Patroncito, ich glaube nicht, dass ich gehen kann. Das ist sehr, sehr weit. Ich fürchte mich durch die Jungla. Da leben die wilden Caribes, die Indianer, die Frauen stehlen und die alle Indios, die nicht Caribes sind, erschlagen, wenn sie nahe kommen.«
»Die Caribes sind gute Leute, die tun dir nichts«, mischte sich der Kaufmann ein.
»Ich fürchte mich aber doch«, sagte Celso wieder. »Es sind auch Tiger und Löwen und Schlangen im Dschungel, und ich habe kein Gewehr.«
»Du hast doch deinen Machete, dein Buschmesser«, wandte Don Apolinar ein. »Die Machete ist zuweilen mehr wert als zwei gute Gewehre«, meinte Don Apolinar beruhigend.
»Gewehre können gerade dann nicht losgehen, wenn ein Tiger zum Sprung ansetzt, und was machst du dann?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht, was ich dann machen werde«, sagte Celso. »Ich muss das erst einmal sehen, wie das aussieht.«
Don Apolinar und der Kaufmann lachten auf und fühlten sich groß und reich gegenüber der Unschuld und der Dummheit des Celso.
»Willst du erst einmal einen Schluck nehmen, Celso?« fragte Don Apolinar.
»Mil gracias, patroncito, no tomo, ich trinke nicht«, erwiderte Celso.
»Bueno, bueno«, sagte Don Apolinar. »Pues, also, du gehst, Celso.«
»Muy lejos, demasiado lejos, ei camino«, sagte Celso, sich wehrend, scheinbar wehrend. »Der Weg ist weit, viel zu weit.«
»Ich werde dir etwas sagen, Celso. Ich gebe dir drei Reales für den Tag, drei Reales, siebenunddreißig Centavos, für jeden Tag.«
»Und das Essen, gran patroncito? Wo bekomme ich das Essen her?«
»Das Essen musst du dir freilich vorher kaufen.« »Von drei Reales, mi buen patroncito mio?« »Kostet dich doch nur einen halben Real oder gar nur einen Quinto.«
»Aber dann habe ich doch keine drei Reales mehr den Tag für meine Arbeit, patroncito, con su permiso.«
Celso sprach immer demütiger, immer ergebener, immer höflicher. Scheinbar immer dümmer und immer weniger begreifend, hätte ihn auch der barscheste Polizeichef nicht anschreien können, dass er sich ungehörig benehme. Und der gerissenste Arbeiteragent würde nicht entdeckt haben, dass nicht der Ladino mit dem Indianer spielte, sondern der Indianer mit dem Ladino. Das Spiel war um so reizvoller darum, weil weder Don Apolinar noch der Kaufmann, die sich beide so hoch und erhaben dünkten, merkten oder auch nur ahnten, dass Celso mit ihnen spielte. Je demütiger und unterwürfiger Celso wurde, um so gottähnlicher fühlten sich die beiden Caballeros und um so nachgiebiger und achtloser wurden sie im Unterhandeln mit Celso.
»Gut, mein letztes Wort, Celso, ich gebe dir vier Reales den Tag«, sagte Don Apolinar in einem Tone, mit dem er andeutete, dass der Handel nun endgültig abgeschlossen sei.
»Aber mein Patroncito, Señorito, mein gütiges Herrchen und Väterchen, mit Ihrer Erlaubnis, wenn Sie mir vergeben wollen, wie kann ich denn diesen Weg in fünfzehn Tagen gehen. Nicht einmal ein Pferd kann den Weg in fünfzehn Tagen gehen«, sagte Celso weinerlich.
Don Apolinar kam die Erinnerung, dass kaum eine halbe Stunde vorher von vierzig Tagen, zwanzig hin und zwanzig zurück, geredet worden war und dass, falls er einen berittenen Boten senden müsste, vielleicht gar mit Begleitung, der Brief ungemein teuer würde. Nun, im Vergleichen der Summen, fand er den Indianer so billig, dass er eine Anwandlung von Freigebigkeit fühlte.
»Der Weg ist freilich weit, Celso, du hast recht«, sagte er. »Alles, was ich tun kann und tun will für dich, ist, dass ich dir fünfunddreißig Tage mit je vier Reales bezahlen werde. Wenn du den Brief in vierzehn Tagen in der Montera abgeben kannst, erhältst du acht Reales Belohnung. Das schreibe ich in einem besonderen Brief an den Señor Gerente in der Monteria, an Don Eduardo. Den Brief gibst du nur an Don Eduardo ab. «
Als er Don Eduardo erwähnte, kam ihm in den Sinn, dass Don Eduardo ihn um Chinin ersucht hatte.
»Es ist natürlich nicht nur der Brief allein, den du nach der Monteria zu bringen hast«, sagte er zu Celso, und er sagte es so gleichgültig, als wäre die ganze Zeit über von mehr Gepäck als nur gerade dem Brief die Rede gewesen. Der Brief war dick und schwer, und er bildete für jemand, der zu Fuß zu marschieren, über hohe Gebirge zu klettern hatte, durch Flüsse zu schwimmen, durch Sümpfe zu waten, durch Dschungelgestrüpp sich seinen Weg zu schlagen hatte, genügend Gepäck, wenn man beachtet, dass der Marschierende Essen für zehn Tage zu schleppen hatte, Decke, Matte, Moskitonetz hinzugerechnet.
»Nein, es ist nicht der Brief allein, Celso. Eines Briefes wegen werde ich keinen Boten schicken.
Der Brief wiegt ja kaum etwas, so dass man überhaupt nicht von Gewicht sprechen kann. Nimmst noch ein Päckchen mit, das ich dir gleich geben werde. Warte hier, ich laufe nur einmal zur Botica, gleich hier nebenan. Es ist besser, du kommst gleich mit. Nein, lass nur deinen Packen hier im Laden liegen, Don Pedro sieht schon hin, dass ihn dir niemand stiehlt. Überhaupt, hier stiehlt niemand.«
Don Apolinar ging zur Botica und kaufte fünf Kilo Chinin und tausend Gelatinehülsen zum Füllen.
Der Botiquero packte es gut ein in Papier, von dem er behauptete, es sei beinahe wasserdicht, und dann packte er alles in ein Kistchen. Da er ein passendes Kistchen nicht fand, so war das Kistchen viel größer, als notwendig gewesen wäre. Er sagte beruhigend zu Don Apolinar: »Für den Chamula macht das nichts aus, ob das ein halbes Meter größer oder kleiner ist und ob es zehn Kilo mehr oder weniger wiegt. Der spürt das gar nicht.«
Fünf Kilo mehr oder weniger Last können die Ursache sein, dass ein Träger nach einem heftigen tropischen Regen in einem Dschungelfluss hinweggeschwemmt wird und ertrinkt oder dass er sich noch retten kann.
Don Apolinar und Celso kamen zurück zum Laden.
Don Apolinar schrieb, über den Ladentisch gelegt, einen besonderen Brief an Don Eduardo, in dem er ihm mitteilte, was Celso brächte, also Brief und Chinin. Dann rechnete er auf, wie viel Don Eduardo dem Celso noch an Restlohn zu zahlen habe.
Er wickelte den großen Brief und den kleinen zusammen in eine reichliche Menge von Packpapier, schnürte das Päckchen gut ein und gab es Celso.
»Wo du dieses Päckchen mit den Briefen trägst, ob in deinem Packen oder auf deinem Arsch oder auf der Brust festgebunden, ist mir gleichgültig. Aber eines sage ich dir, das Päckchen darfst du nicht verlieren, nirgends liegenlassen, wo du schläfst, dir nicht stehlen lassen, es nicht im Fluss zerweichen oder gar fortschwimmen lassen. Ich lasse dich zwanzig Jahre in das Gefängnis sperren, wenn du die Briefe verlierst, und vielleicht lässt dich der Gobernador obendrein auch noch erschießen oder erhängen.
Was er machen wird, weiß ich noch nicht. Er kann dir auch den Kopf abschneiden. Aber wenn du die Briefe gut abgibst an Don Eduardo, bekommst du den Restlohn von ihm ausgezahlt, das sind zwölf Pesos fünfzig Centavos, und wenn du am vierzehnten Tage dort ankommst, gibt er dir einen Peso außerdem als Belohnung.«
Celso nahm das Päckchen und schob es in seinen Brustlatz, als ob es eine Zeitung vom vergangenen Monat gewesen wäre.
Don Apolinar sagte nichts. Er ließ den Burschen gewähren. Und Celso wusste genau, was er tat. Der Brief war wichtig. Das konnte jemand wissen, jemand konnte ihn beobachten. Und wenn er nun den Brief so behandelte, wie Don Apolinar wollte, dass der Brief behandelt werden sollte, dann mochte jemand, der Celso beobachtete, glauben, dass der Brief Geld enthalte. Man würde ihm auf dem Wege folgen und ihn irgendwo erschlagen des Briefes wegen. Erst dort, wo Celso genau wusste, dass ihn niemand beobachten könne, würde er den Brief da verstecken, wo er während des Marsches bleiben sollte.
Celso hatte seinen ganzen Reisepacken nach der Art der Leute seiner Nation in einem Netz. Das Netz war daheim aus starken, rohen Bastbindfäden gefertigt. Es konnte so weit auseinander gezogen werden, dass man das Fleisch eines ganzen Ochsen hineinstecken konnte, und es konnte so zusammengeschrumpft aussehen, dass man glauben mochte, nicht einmal zwei ausgewachsene Kaninchen könnten darin Platz finde.
Er zog das Netz auf und verstaute darin, zwischen allen den eigenen Sachen, die er mit sich schleppte, das Kistchen mit dem Chinin. Er ordnete den Packen nun so, wie er ihn zum Tragen wünschte.
Dann sah er auf.
Don Apolinar hatte ihm zugesehen, auf der Bank im Laden sitzend und eine Zigarre rauchend. Nun zog er fünf Pesos aus der Tasche und sagte zu dem Kaufmann. »Don Pedro, wechseln Sie mir fünf Pesos in Kupfer und Kleinsilber, Fünfer, Zehner und Zwanziger. Der Muchacho kann auf dem Wege kein großes Geld gebrauchen, denn niemand kann ihm wechseln.«
»Zwei Pesos fünfzig kann ich wechseln in kleinem Gelde«, sagte der Kaufmann, »die übrigen zwei Pesos fünfzig kann er gut in Fünfzigern tragen. Die ersten vier Tage kommt er durch Dörfer und Fincas, wo man einen Fünfziger schon immer wechseln kann.«
»Gracias, Don Pedro.«
»No hay porque, es ist nicht der Rede wert«, antwortete der Kaufmann auf das Danke.
»Bueno, Celso«, sagte Don Apolinar, »hier sind fünf Pesos, also vierzig Reales. Das ist die Vorauszahlung auf deinen Lohn. Don Eduardo gibt dir den Rest, oder wenn er dir einen Scheck gibt, bezahlt Don Pedro hier den Scheck an dich. Aber Don Eduardo wird das Geld wohl dort haben. Und morgen früh, muy tempranito, das heißt sehr früh, ehe die Sonne hervorkommt, bist du auf dem Marsch.«
»Con su permiso, patroncito«, fiel Celso ein, »mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gleich jetzt gehen. Ich kaufe nur Salz, Chile, Tortillas und grüne Blätter. In einem Augenblick bin ich auf dem Wege.«
»Besser, besser«, nickte Don Apolinar. »Bist hinter dem Peso Belohnung her. Bueno, dann los, mach dich fort und renne.«
Don Apolinar gab ihm nicht die Hand. Er stieß ihn väterlich gegen die Schulter.
Celso nahm seinen Packen hoch. Dann machte er eine Verbeugung, schob die Daumen beider Hände unter das Stirnband, um über der Stirn das Tragband, das ihn drückte, zurechtzurücken. Er drehte sich um, zu gehen. Don Apolinar, ohne sich von der Bank zu regen, sagte: »Buena suerte, viel Glück auf den Weg.«
»Gracias, patroncito, me voy, ich gehe«, antwortete Celso und war raus aus dem Laden.
Celso, von einem Glück zum anderen taumelnd, traf in der Siedlung am Rand des Dschungels einen kleinen mexikanischen Händler an. Dieser Händler hatte drei Eselchen, beladen mit billigen Krämereien, und zur Hilfe einen Jungen von zwölf Jahren. In allen Dörfern und Haciendas, wo der Händler herumgereist war, hatte er die denkbar traurigsten Geschäfte gemacht. Die großen arabischen Händler, die mit zwanzig, ja vierzig Maultieren reisten, konnten nicht nur alles viel billiger verkaufen, sondern ihre Waren galten als besser und moderner. Die Monterias waren nun die letzte Hoffnung des Don Policarpo, der in Socoltenango zu Hause war. Aber er fürchtete sich, allein nur mit dem kleinen Handlungslehrling, den er hatte, durch den Dschungel zu ziehen. Er wartete, dass vielleicht einige Caobaarbeiter kommen würden, die auch auf dem Wege zu den Monterias waren und mit denen er zusammen reisen könnte.
Jedoch niemand kam. Er hatte bereits beschlossen, am nächsten Morgen wieder zurückzureisen.
Da kam, mit Sonnenuntergang, Celso angetrottet.
Je näher Celso dem Dschungel kam, desto mehr wurde er sich der Schwierigkeiten bewusst, die ihm bevorstanden. Denn dieser Dschungel war sehr verschieden von den Dschungeln, die er kannte, wo er Kaffee angepflanzt und die Reihen zwischen den Kaffeebäumen gejätet hatte. Das war ein kultivierter Dschungel gewesen, mit lichten und reinen Wege.
Als ihm Don Apolinar von dem Dschungel gesprochen hatte, war in seiner Vorstellung der kultivierte Dschungel der Kaffeeplantagen gewesen. Nur dachte er sich den Dschungel ein wenig verwachsener und die Entfernungen von der einen Finca zur anderen weiter. Aber in seiner Vorstellung war doch immer noch der Begriff verblieben, dass er in erreichbarer Nähe anderer menschlicher Gesichter, Stimmen und Handlungen sei.
Auf dem bisherigen Marsche hatte er nun Weggenossen getroffen, die den großen Dschungel kannten, und einige, die den Weg zu den Monterias marschiert waren. Abends hatte er dann in den Hütten indianischer Bauern, bei denen er die Nacht verweilte, gleichfalls von erfahrenen Männern Einzelheiten über den Marsch durch den Dschungel gehört.
Jeder einzelne hatte ihm gesagt: »Allein kannst du den Marsch nicht machen. Niemand kann ihn allein machen. Das ist der Grund, warum die Monterias ihrer Leute so sicher sind, wenn sie erst einmal dort sind.« Und jeder brachte andere Gründe vor, warum ein einzelner Mensch, auch wenn er Indianer sei, und als Ladino noch viel weniger, den Marsch allein nicht durchstehe. Jeder Grund, der ihm erläutert wurde, leuchtete Celso ein. Wer es gut mit ihm zu meinen schien, warnte ihn ernsthaft, den Marsch zu unternehmen, weil es ganz sicher sei, dass er im Dschungel umkomme.
Er hatte den Auftrag übernommen, den Brief und das
Kistchen zur Monteria Agua Azul zu bringe.
Zu niemandem auf dem Wege oder in den Hütten sprach er von dem Briefe. Er war vorsichtig, selbst gegenüber seinen eigenen Volksangehörigen. Er sprach immer nur von dem Kistchen mit Medizinen, das er für die erkrankten Leute nach den Monterias bringen müsste. Medizin für erkrankte Leute stiehlt ihm niemand. Vielleicht darum nicht, weil die erkrankten Leute ohne Medizin sterben könnten und dann als böse Geister den Dieben der Medizin das irdische Leben höllisch heiß machen würden, Wie auch die verschiedenen Geschichten über den Dschungel auf Celso einstürmten und wer auch erzählte und in welcher Weise auch berichtet wurde, alles, ohne Ausnahme, trug dazu bei, in Celso eine ungeheuerliche Furcht vor dem Dschungel zu erregen.
Mit diesen Geschichten, Meinungen und Ratschlägen bis oben hin gefüllt, kam Celso in der letzten Siedlung an. Einen gewissen Eindruck von dem, was ihm bevorstand, hatte er am letzten halben Tage bekommen. Die Siedlung lag bereits einen halben Tag weit tief im Dschungel, wenn auch dieser Teil des Weges noch nicht voller Dschungel war, sondern Übergang von einer Landschaft zu der anderen.
Aber es war doch schon genügend Dschungel, um zu wissen, wie der große Dschungel aussehen würde.
Auf dieser letzten halben Tagereise hatte Celso auch nicht einen einzigen Menschen getroffen, dagegen schon die Spuren gewaltiger Tiger; und auf einem Aste hatte er eine Tigerkatze bemerkt, die dort niedergeduckt angekrallt war.
Kurz vor Mittag war er durch das letzte Dorf auf seinem Marsche gekommen. Es war ein Dorf, das nur aus fünf Hütten und einem Lehmhause bestand. Gleich hinter dem Dorf durchwatete Celso einen großen Fluss, der aber hier genügend flach war und in dem das Wasser Celso gerade bis an die Hüften reichte.
Hinter dem Fluss begann der Dschungel sich zu zeigen. Zuerst noch offen und licht, so etwa wie sehr verwildertes Land, das vor vielen Jahren einmal kultiviert war. Dann langsam, aber doch deutlich bemerkbar, immer dichter, dunkler und mächtiger werdend. Und drohender mit jedem Schritte, den Celso weitertrabte.
Er trabte in leichter Gangart, um die Siedlung vor der Nacht zu erreichen. Vor der Siedlung, als er schon die Hunde bellen hören konnte, war abermals ein Fluss zu durchwaten, der hier aber schmaler und in der Mitte reichlich tief war, so dass Celso, mit den Füßen und mit einem Stecken vorantastend, eine Stelle suchen musste, wo er durchkam, ohne schwimmen zu müssen. Dass dieser Fluss bereits ansehnliche Herden von Alligatoren beherbergte, wusste Celso nicht, und niemand hatte es ihm gesagt.
Weil er nichts von Alligatoren in diesem Flusse wusste, darum durchwatete er das Wasser ohne Furcht.
Die Alligatoren unterhielten sich gerade in anderer Weise, und darum kümmerten sie sich nicht um Celso.
Als Celso dann endlich in der Siedlung ankam, sagte er zu dem Mayordomo der Siedlung: »Ich habe heute Nachmittag schon einen guten Begriff von dem Dschungel bekommen; ein hässlicher, fürchterlicher Marsch.«
Der Mayordomo schlug ein Bein über das andere, sah Celso an, drehte sich eine Zigarette und meinte so ganz nebenbei: »Heute Nachmittag? Ja, du hast einen guten Begriff von dem Dschungel bekommen, recht, recht. Da, wo du marschiert bist, da ist kein Dschungel. Das ist unser Erholungspark, wenn wir am Sonntagnachmittag ein wenig spazieren gehen wollen. Am zweiten Marschtage, von hier gerechnet, da beginnt das, wovon ich gewöhnlich sage: Hier fängt das Gelände nun an, sehr wenig unterbrochen und undurchsichtig zu werden. Aber, Muchacho, hab' nur keine Angst, die Tiger beißen gewöhnlich nicht am Tage, da schlafen sie; sie interessieren sich mehr für einen Burschen, der schläft und sich im Schlafe herumwirft. Aber ich kenne genügend Leute, die nie von einem Tiger belästigt worden sind.«
Der Erholungspark für den Sonntagnachmittag! Es war nun dunkel. Celso sah sich um. Zwanzig Schritte hinter der primitiven Hütte, vor der er mit dem Mayordomo saß, erhob sich der Dschungel in einer steilen Wand von Bäumen, die den Himmel so weit verdeckten, dass, wenn Celso einen Stern sehen wollte, er den Kopf beinahe in den Nacken zurücklegen musste. Eine Wand, sechzig, achtzig, hundert Meter hoch. Finster und dicht, unzugänglich und ohne Öffnung.
»Was brauchst du denn für den Marsch, Chamula?« fragte der Mayordomo. »Ich habe geröstete Tortillas, eine besondere Art, die nicht schimmelt oder fleckig wird. Andere Tortillas kannst du nicht brauche. Ich habe Reis, Bohnen, Rohzucker, Salz, Zündhölzer, Kien, frischen gemahlenen Kaffee, Zitrone.
Kannst auch frischen Posol haben. Posol aber nur mit einem halben Tag Bestellung voraus. Damit er frisch ist und nicht so rasch grün wird und sauer. Rohe Tabakblätter genügend und billiger als Einwickelpapier, das ich nicht habe. Etwas Zigarettenpapier kannst du haben. Aber du machst dir ja Zigarren, brauchst kein Papier. Und überhaupt ist es für dich besser, du wartest einmal morgen den Tag hier. Wir können dir dann einen guten Posol kneten. Hast ja keine Eile. Hier ist es so, wer durch den Dschungel muss, hat keine Eile. Es hilft ihm nichts. Es hilft ihm nicht einmal irgend etwas, wenn er mitten drin ist im Dschungel. Nimm dir Zeit, und nimm dir recht viel Zeit. Der Dschungel läuft dir nicht davon, und Brücken brechen auch keine durch, denn es sind keine da.«
Der Mayordomo stand auf und ging in die Hütte, wo er sich bemühte, eine verräucherte Laterne in Bewegung zu bringen. Es war nun völlig Nacht geworden. In dem Hof vor der Hütte brannte schläfrig ein Feuer, das einige Helligkeit verbreitete, genügend kräftig, um zu sehen, wo der Steckenzaun des Hofes war.
Celso saß auf einem Balken, der auf dem Boden lag. Der Balken war ein roher Stamm, von dem die Rinde abgefallen war. Sie abzuschälen hatte sich niemand die Mühe gemacht.
»Nimm dir Zeit, hast ja keine Eile.« Diese Bemerkung des Mayordomo kam Celso jetzt in den Sinn.
Es klang ihm wie der Ruf: »Warte, mein Junge, ich helfe dir.«
Während der letzten beiden Tage, in seinem Gemüt immer mehr unter den Einfluss der Erzählungen über den Dschungel geratend, und besonders während der zweiten Hälfte des heutigen Tages hatte Celso begonnen, seine Aufgabe von anderen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Er hatte aufgehört, an den Peso Belohnung für besondere Raschheit in der Beförderung des Briefes zu denken. Aber er hatte versprochen, den Brief und das Kistchen zur Monteria zu bringen. Was er versprochen und zu verrichten übernommen hat, erfüllt er. Jedoch, um einen Ausweg aus der Bedrängnis, in die er infolge der Warnungen vor dem Dschungel geraten ist, zu finden, hat er sich damit beschäftigt, nach einer Lösung seiner Aufgabe zu suchen, die weniger gefährlich für ihn ist.
Als er in der Siedlung anlangte, hatte er zwei Lösungen gefunden. Es fehlte ihm nur, die Lösungen so zu begründen, dass er weder für sich selbst noch gegenüber Don Apolinar die Empfindung hatte, seine übernommene Aufgabe ungetreu ausgeführt zu haben. Als Indianer fehlt ihm der Begriff Zeit, verbunden mit Notwendigkeit. Nichts hat große Eile in seinem Leben. So, wenn er den Brief innerhalb von vierzehn Tagen abliefert, dann bekommt er einen Peso Belohnung. Aber in seinem Auftrage ist mit keinem Worte gesagt worden, dass der Brief auf alle Fälle in einem bestimmten Tage in der Monteria sein muss.
Und weil nichts davon gesagt wurde, dass der Brief an einem bestimmten Tage bei Don Eduardo sein muss, so kann Celso jetzt in der Siedlung warten, bis er Begleitung findet. Ihm wurde eine bestimmte Anzahl von Marschtagen bezahlt. Benötigt er mehr Tage, so geht es auf seine Kosten. Er beraubt Don Apolinar nicht um einen Centavo.
Celso sagt sich so: Wenn ich im Dschungel umkomme auf diese oder jene Weise, so geht der Brief verloren und das Kistchen auch, und ich kann weder Brief noch Kistchen an Don Eduardo abliefern.
Um den Brief sicher abliefern zu können, muss ich mein Leben beschützen. Ich beschütze es am sichersten, wenn ich nicht allein durch den Dschungel gehe, sondern auf Begleitung warte.
Am meisten gelegen kam ihm darum die Bemerkung des Mayordomo: »Nimm dir Zeit, hast keine Eile, warte hier.«
Der Mayordomo war Ladino. Der sagte, dass es besser sei, zu warten. Der weiß es am besten. Celso kann sich gegenüber Don Apolinar und gegenüber Don Eduardo immer auf den Mayordomo berufen.
So fand sich Celso, als der Mayordomo endlich mit der schwelenden Laterne angezottelt kam, in einer so beruhigten Verfassung, als hätte er den bekannten Weg von seinem Dorf nach Jovel zu gehen.
Er schabte an seinen nackten Füßen herum, zog sich eingetretene Stacheln aus, pickte sich Niguas, die bestialischen Sandflöhe, aus den Zehen, kratzte sich Garrapatos, die Zecken, aus der Haut und rieb sich mit einem Stückchen Kampfer Moskitostiche ab. Alles tat er mit der bedächtigen Ruhe des wandernden Indianers, der weiß, dass er am folgenden Tage nicht zu marschieren hat, sondern einen Ruhetag einschiebt.
Als er mit diesen hygienischen Arbeiten zu Ende war, nahm er eine Fruchtschale aus seinem Packen und fragte den Mayordomo, wo das Wasser sei.
Der Mayordomo schaukelte sich in der hausgemachten Hängematte, die zwischen zwei Pfosten des Portico der Hütte aufgespannt war, um die Zeit bis zum Abendessen nicht unnütz zu verbringen.
Mit der Stiefelspitze winkte er nach einer Richtung und sagte: »Da drüben ist der Bach, reines, klares, gesundes, eiskaltes Wasser.«
Celso verschwand in der Dunkelheit. Er wusch sich die Hände und klatschte sich Wasser in das Gesicht.
Dann trank er Wasser aus seiner Schale und brachte darauf die Schale, gefüllt mit Wasser, zurück zu dem Balken, wo er sein Lager aufgeschlagen hatte.
Er zog seinen Packen weiter nach dem ersten Pfosten des Hauses zu, um mehr entfernt von dem Tisch zu sein, der unten in Portico stand und an dem die Familie des Mayordomo zu Abend essen würde.
Aus den Tiefen seines Packens zog er zerknitterte Tortillas hervor, die bereits anfingen, brüchig zu werden. Dann schwarzes, getrocknetes Fleisch, das wie frisches Leder war; breiig gekochte schwarze Bohnen, eingewickelt in ein frisches Bananenblatt; Salz in rohen Körnern, eingewickelt in ein Stück
Bananenblatt und verschnürt mit einem dünnen Bastfaden; einige grüne Chileschoten und eine Handvoll grüner Blätter, die Geschmack zum Essen geben sollte.
Das alles nahm Celso in eine kleine Matte aus geflochtenen Bastfäden, und dann ging er, ohne um Erlaubnis zu fragen, zu ein Feuer im Hofe. Das Feuer steht jedem Wanderer, sei er Indianer oder Ladino, zur Verfügung, soweit es nicht zur selben Zeit vom Gastgeber in Anspruch genommen wird.
Celso schürte das Feuer auf, legte frisches Holz zu, und der Hof und die Hütte wurden grell beleuchtet.
Gegen diese aufflammende Beleuchtung hob sich die Wand des Dschungels nur um so drohender ab.
Der Bursche legte die Tortillas gegen das Feuer, wendete sie, blies die Asche ab und wendete sie wieder; und als sie zu sengen begannen, zog er sie zurück und legte sie, um sie warm zu halten, in heiße Asche, die er mit einem Ästchen unter dem Feuer hervorgezogen hatte.
Den Lederfetzen von getrocknetem Fleisch spießte er auf einen Stecken und legte dann den Stecken auf zwei Stämmchen, die er hochgestellt hatte, damit das Fleisch nicht von den Flammen gefressen werden sollte. Die Bohnen ließ er in ihrem Bananenblatt, aber er bettete das Bananenblatt in heiße Asche ein, die er aus dem Feuer gekratzt hatte.
Als das Fleisch zu schmoren begann, breitete er sein Mahl auf der kleinen Matte aus, zog die Matte ein wenig ab vom Feuer, wendete das Fleisch noch einige Male um, nahm es dann mit dem Stecken herunter und begann sein Abendessen.
Er hatte weder Messer, Gabel noch Löffel. Dennoch gebrauchte er die Finger nur, um die Salzprisen aufzunehmen, die er nicht auf das Essen streute, sondern die er unmittelbar in den Mund schob. Das Fleisch und die Bohnen aß er so, dass er ein Stückchen Tortilla abriss und mit diesem Tortillafetzen das
Fleisch und die Bohnen so aufgriff, als wäre es mit einem Lappen. Hatte er Fleisch oder Bohnen in dieser Weise aufgepickt, dann rollte er das Stück Tortilla flink wie eine kleine Tüte zusammen und schob die Tüte, gefüllt mit Fleisch und Bohnen, in den Mund.
Dazu trank er das Wasser, das er in der Schale vom Bach geschöpft hatte. Er nahm sich unendlich viel Zeit zum Essen. Wie alle ermüdeten Arbeiter betrachtete er das Essen als einen Teil des Ausruhens von schwerer Arbeit.
Während er noch aß, brachten die indianischen Mädchen des Mayordomo die Schüsseln mit dem Abendessen. Als die Schüsseln, Teller und Blechtassen auf dem rohen, wackligen Tisch aufgebaut waren, erschien die Frau des Mayordomo. Sie war fett, schwerfällig und bewegte sich watschelnd vorwärts.
Sie war barfuss und trug einen langen, bis auf den Erdboden reichenden Kattunrock, der zu verschleißen begann wie die weiße Kattunbluse, die sie halb offen am Oberkörper hatte und die gleichfalls aussah, als ob ein heftiger Wind sie in Nebel zerfallen lassen würde.
Als die Frau im Portico erschien, stand Celso von dem Feuer auf, kam auf sie zu, verbeugte sich und sagte: »Buenas noches, señora.« Die Frau erwiderte den Gruß und sagte, nur um etwas zu sprechen:
»Wo bist du denn her, Chamula?« Dann hörte sie aber auch schon nicht mehr hin, was der Bursche antwortete; denn es war ihr gleichgültig, wo der Muchacho herkam. Sie setzte sich auf einen ganz niedrigen Schemel. Es waren nur zwei Stühle da. Aber der niedrige Schemel schien der Frau bequemer zu sein als irgendein gewöhnlicher Stuhl. Und weil sie niedrig saß, so dass sie den Tisch gerade noch mit den Augen übersehen konnte, so nahm sie ihre Teller in den Schoß.
Als die Frau bereits zu essen begonnen hatte, gähnte der Mayordomo laut und inbrünstig, räkelte sich in der Hängematte einige Male hin und her und richtete sich dann auf, so stöhnend, als ob er nach einem langen schönen Schlafe an eine unangenehme Arbeit gehen müsste.
Messer und Gabel hatte auch der Mayordomo nicht. Es waren nur einige Esslöffel auf dem Tische, die, als sie einmal neu waren, sicher wie nachgeahmtes Silber ausgesehen hatten, die aber jetzt so abgescheuert waren, dass nun das rohe, bleiern erscheinende Blech sichtbar wurde. Die Frau des Mayordomo aß mit den Fingern in derselben Weise, in der auch Celso aß. Sie riss immer ein Stückchen von einer heißen Tortilla ab, pickte damit ihr Fleisch oder ihre Bohnen oder ihren Chile oder ihren Reis auf, knitterte den Fetzen mit den darin gehaltenen Speisen zusammen wie ein Läppchen und schob die Packung in den Mund.
Der Mayordomo hätte am liebsten ebenso gegessen. Aber da er fühlte, dass er als Mayordomo sich von allen anderen Sterblichen unterscheiden musste und Respekt aufrechtzuerhalten hatte, gebrauchte er sein Taschenmesser und gelegentlich einen Löffel zum Essen. Jedoch wenn er glaubte, dass er unbeobachtet war und selbst seine Frau ihm nicht zusah, aß er genau in der Art wie Celso.
Die Mägde hockten weit hinten, irgendwo im Dunkeln, an einem glimmenden Feuer am Boden.
Man sah sie nicht, man hörte sie nur schwatzen und kichern. Wenn sie zu laut wurden, rief die Frau:
»Verflucht noch mal, Gesindel, ich schmeiße euch einen Knüppel an die Schädel, wenn ihr uns hier nicht in Ruhe essen lasst. «
Eine Weile verstummten die Mädchen eingeschüchtert, dann kicherten sie aufs neue los, bis die Frau endlich etwas ergriff, was ihr gerade zur Hand lag, und es in jene Dunkelheit feuerte, wo die Mägde hockten und aßen.
Zuletzt tranken sie Kaffee aus Emailletassen, die außen auf dem Boden das Wort Bayern aufgestempelt hatten. Warum es aufgestempelt war und was es bedeutete, wusste niemand dort auf fünfhundert Meilen im Umkreise. Niemand kümmerte sich auch darum. Die Mädchen tranken ihren Kaffee aus solchen Fruchtschalen, wie auch Celso stets eine mit sich trug.
Sobald der letzte Schluck getrunken war, rief die Frau, die Tasse noch am Munde: »Lleven«. Darauf kamen die Mägde angefegt und räumten den Tisch ab.
Als die Mägde die zerbeulte Kanne, in der sich der Kaffee befand, aufnehmen wollten, rief der Mayordomo:
»Ven, Chamula, hier hast du Kaffee.«
Celso kam mit seiner Schale zum Tisch, und der Mayordomo goss ihm den ganzen Rest von Kaffee, der noch in der Kanne war, in die Schale. »Gracias, patroncito«, sagte Celso lachend und ging, die Schale, die bis an den Rand gefüllt war, vorsichtig zu seinem Feuer tragend. Der Kaffee war schwarz, aber er war mit braunem Rohzucker zusammen aufgekocht.
Die Frau stand auf von ihrem Schemel. Sie tat es in einer Weise, als ob es eine gewaltige Anstrengung für sie sei, sich von dem Schemel zu erheben. Sie beugte sich erst ganz weit vor, so dass ihre Nase die Knie antippte, dann warf sie den Oberkörper halb zurück, und mit diesem Schwung erhob sie sich.
Der Mayordomo warf sich sofort wieder in die Hängematte und begann zu schaukeln. Die Beine ließ er über die Hängematte an beiden Seiten heraushängen. Dann zog er sich schmatzend die Überreste des Abendessens aus den Zähnen, während er die Hände hinter dem Kopf zusammengefaltet hielt, um ein Kissen zu haben. Sooft es ihm angenehm schien oder seiner Verdauung half, grunzte er behaglich.
Ob er es aus reinem Wohlbehagen tat oder aus einer physischen Notwendigkeit heraus oder um seiner Frau auf diese Weise zu sagen, dass sie eine gute Köchin sei, war nicht zu ergründen. Aber man trifft das Richtige, wenn man annimmt, dass er alles das tat, weil er sich zu Hause fühlte und weil er hier allmächtiger Herrscher war, der sich um das Wohlgefallen keines Menschen zu bemühen hatte, und wem es nicht behagte, wie der Herrscher sich benahm, der konnte seiner Wege gehen. Celso war inzwischen auch mit seinem Abendmahl zu Ende gekommen. Er ging mit seiner Schale zum Bach, wusch sich die Hände, spülte und gurgelte sich den Mund sauber und kam, die Schale wieder mit Wasser gefüllt, zurück zum Feuer. Er packte seine Sachen zusammen und verstaute alles in seinem Netz. Er zog den Packen dann zurück zu dem Balken in der Nähe des Portico, brachte eine selbstgedrehte Zigarre hervor, zündete sie mit einem glimmenden Stöckchen am Feuer an und hockte sich nun endlich in behaglicher Sorglosigkeit breit auf den Balken, sich mit dem Rücken gegen den ersten Pfosten des Portico lehnend.
»Wer schickt dich denn nach Agua Azul?« fragte der Mayordomo, nur um zu reden. »Don Apolinar.«
Der Mayordomo zog Tabak aus der Hemdtasche und wickelte ihn in dünnes, weißes Papier, das als Zigarettenpapier verkauft wurde, das aber gewöhnliches Einpackpapier für leichte Dinge war, in keiner Weise besser und für Zigaretten mehr geeignet als unbedrucktes Zeitungspapier.
Dienstfertig sprang Celso auf, als er sah, dass die Zigarette gedreht war, und kam mit einem glimmenden Ästchen zu dem Mayordomo, um ihm die Zigarette anzuzünden.
»Es ist ein gottverflucht böser Weg bis zur Monteria. Aber manchmal, denke ich, kommt man viel leichter durch zu Fuß als mit Reittieren und Tragmules.«
Celso sagte nichts darauf.
Der Mayordomo wusste nicht, was er nun noch Neues sagen könnte. Alles, was in Frage kam, war erörtert.
Aber er hörte ein Geräusch von Stimmen, die näher kamen, und das brachte ihn zu neuer Anregung:
»Vielleicht könntest du mit Don Policarpo gehen. Zu zweit oder zu dritt ist der Weg nicht so traurig.«
Auch Celso hatte die Stimmen gehört, und als er zur Seite sah, bemerkte er zwei undeutliche Gestalten, die schließlich aus der Dunkelheit heraustraten. Ein Mann und ein Junge.
»Buenas noches«, sagte der Mann, trat in den Portico und setzte sich auf einen Stuhl, den er vom Tisch fortzog. Der Junge setzte sich auf das andere Ende des Balkens, auf dem Celso hockte.
»Como estas, Chamula, wie geht's?« wandte er sich an Celso.
Celso stand auf, verbeugte sich vor dem Manne und sagte: »Buenas noches.«
»Das hier ist Don Policarpo von Socoltenango, ein Händler, der auch nach den Monterias gehen will, könntest mit ihm gehen, Chamula«, sagte der Mayordomo.
Auf nichts hatte Celso in den letzten Tagen mit mehr Sehnsucht gewartet als auf jemand, der auch nach den Monterias wanderte und mit dem er den Weg gemeinschaftlich machen könnte.
Celso war aber nicht mehr derselbe ungeschickte und weltungewohnte Indianer wie damals, als er von den Kaffeefincas heimkehrte. Er selbst fühlte, dass er sich gewandelt hatte. Die erste Wandlung war vor sich gegangen, als ihm Don Sixto sein Heiratsgeld so ohne jegliche Zeremonie abgenommen hatte; die zweite Wandlung geschah, als er kein Geschenk für seine Mutter kaufen konnte, weil ihm der Händler einen vierfachen Preis gemacht hatte, wie er später erfuhr, nur um ihm Branntwein verkaufen zu können; eine weitere Wandlung begab sich als er von seinem Vater hörte, dass Don Sixto kein Recht gehabt hatte, ihm das Geld abzunehmen; und eine fernere Wandlung trug sich in ihm zu, als er sah, wie sich sein Mädchen nach ihm umwandte, obgleich er sich den Anschein gab als habe er es nicht bemerkt. Alle diese Wandlungen hatten seinen Charakter beeinflusst. Er war seiner Unschuld entwachsen.
Er hatte gelernt, dass in dieser Welt nichts geschenkt wird und dass, wenn du deinen Vorteil nicht wahrnimmst, der sich dir bietet, ein anderer seinen Vorteil gegen dich wahrt. So hatte Celso, aus diesen bösen Erfahrungen heraus, die einmal wehe taten, gelernt, rascher zu denken und langsamer »Ja« und »Zu Ihren Diensten, Patroncito« zu sagen. Und weil ihm das rasche Denken und das langsame Ja einen ansehnlichen Vorteil in seinem Handel mit Don Apolinar gebracht hatten, so war in ihm beschlossen, dies System in Zukunft weiter anzuwenden. Vor seinen Wandlungen würde er gesagt haben:
»Ich bin ja so glücklich, Patroncito, dass ich Sie getroffen habe und dass wir beide zusammen durch den Dschungel gehen können.« Nun aber wusste er, die Folge seiner Freimütigkeit wäre, dass der Händler ihn sofort ausnützen würde, zum Vorteil des Händlers und zum Schaden des Indios.
Celso sagte nichts auf die Worte des Mayordomo. Er ließ den Mayordomo wie den Händler ganz im unklaren, wie er es aufnahm, ob es ihm gelegen oder ungelegen käme. Er sah sich Don Policarpo an, unauffällig, aber gut beobachtend.
Don Policarpo war bronzebraun wie er selbst. Untersetzt, knochig und sehnig wie er. Hatte die schwarzen, leicht schräg gesetzten Augen wie er. Und wie er hatte Don Policarpo dichtes, schwarzes, drahtiges Haar, das ihm tief in die Stirn hineinwuchs und bei Celso den Eindruck erweckte, dass er eine sehr niedrige, unentwickelte Stirn habe, während der obere Teil des Hinterkopfes wie ein Kegel geformt war und es aussah, als habe er eine schwarze Turbanhaube auf den Schädel gestülpt. Es war kein Zweifel, dass beide Großväter, vielleicht sogar auch beide Großmütter des Don Policarpo noch reine Indianer in den Dörfern ihrer Stämme gewesen waren und dass der Vater und die Mutter des Don Policarpo vielleicht als Hausbedienstete in die Stadt gekommen waren, sich hier verheiratet und ihre Kinder dann in der Stadt erzogen hatten. Dadurch war Don Policarpo zu einem Ladino geworden, der sich durch einen kleinen Handel im Umherziehen selbständig und unabhängig gemacht hatte. Er sprach ebenso geläufig Indianisch wie Spanisch. Das kam ihm bei seinem Handel sehr gelegen, und er war dadurch sehr im Vorteil anderen kleinen Händlern gegenüber, die nur Spanisch sprachen. Weil er nicht nur Indianisch sprach, sondern auch durchaus wie ein Indianer aussah und, wenn es ihm von Vorteil erschien, indianische Gebräuche zeigte und anwandte, so gewann er in den kleinen indianischen Dörfern und unter den indianischen Peones der großen Fincas immer Vertrauen. Er war in seiner Weise ehrlich im Handel und begnügte sich mit weniger Gewinn als irgendein anderer der zahlreichen kleinen Händler mexikanischer oder arabischer Herkunft, die im Lande umherzogen. Der Nachteil war, dass er nur geringes Kapital hatte und deshalb nur mit wenig Ware reisen konnte. Die großen Händler, besonders die arabischen, reisten mit gewaltigen Vorräten, und diese Händler hatten die Leute mit ihrer reichen Auswahl verwöhnt. Gegen diese großen Händler hatte Don Policarpo einen schweren Stand. Um seine Auskommen zu finden, musste er hart arbeiten und ewig auf den Beinen und auf dem Marsche sein.
Das alles aber kümmerte Celso nicht. Er kannte die Geschäftsverhältnisse des Don Policarpo nicht. Er sah nur den Händler in Don Policarpo, einen Händler, der verdiente. Obgleich er in Don Policarpo den Bruder erkannte, so erwies er ihm doch den vollen Respekt als Ladino. Und weil Don Policarpo Ladino sein wollte, darum schob ihn Celso in die Kette ein, die auf irgendeine Weise von ihm gebraucht wurde, von Don Sixto das Geld wieder einzukassieren, das der ihm abgenommen hatte.
Celso fasste Mut. Er wagte es, die Begleitung, die sich ihm hier bot, aufs Spiel zu setze.
»Perdoneme, patroncito«, sagte er höflich und untergeben zu dem Mayordomo: »Vergeben Sie mir, mein Herrchen, aber ich glaube, ich kann nicht mit Don Policarpo zusammen reisen.«
»Warum denn nicht, Muchacho?« fragte Don Policarpo.
»Sehen Sie«, sagte er, zu beiden Männern gewandt, »ich habe den Befehl von Don Apolinar bekommen, auf dem schnellsten Wege das Kistchen mit den Medizinen nach Agua Azul zu bringen, weil die Peones krank sind. Die haben alle Sumpffieber, Paludismo und Calentura. Was weiß ich davon.
Und Don Apolinar hat mir einen Peso noch besonders versprochen, wenn ich das Kistchen rasch hinbringe.«
Don Policarpo begann zu handeln. »Lass das nur gut sein, Chamula. Beruhige dich. Ich kenne Don Apolinar gut. Er ist mein Freund. Ich werde das schon alles mit ihm regeln. Und ich will dir etwas sagen, Muchacho - wie heißt du? - Celso. Gut. Du läufst natürlich mit deinen Beinen viel rascher als ich mit meinen Eseln, und ich gebe zu, du verlierst deinen Peso Belohnung, wenn du mit mir reist. Aber das mache ich gut mit dir. Ich gebe dir zwei Pesos, wenn du mit mir gehst und wir zusammen reisen.«
Don Policarpo zog seinen Stuhl näher an Celso heran. Er nahm eine kleine Packung fabrikgefertigter Zigaretten heraus, öffnete diese und reichte Celso eine Zigarette. Celso rauchte noch immer an seiner dicken Zigarre. Aber er nahm dennoch die Zigarette und verbarg sie im Brustlatz.
»Nun, sei nicht so hartnäckig, Celso«, redete der Händler auf ihn ein. »Ich muss auf alle Fälle in die Monterias gehen mit meinem Kram. Der Junge hier, der mit mir arbeitet, ist ein guter, fleißiger Bursche.
Aber er ist noch klein und schwächlich. Bei einem solchen Marsch, da muss man schon jemand haben, der zupacken kann. Ich werde dir etwas sagen, Muchacho, ich gebe dir drei Pesos bis Agua Azul, wenn du mit mir gehst. Und ich will dir auch gleich noch etwas mehr sagen. Du isst mit mir auf der ganzen Reise. Du brauchst nichts dafür auszugeben. Als Vergütung dafür, dass ich dir das Essen gebe, gehst du mir auf dem Marsch ein wenig zur Hand. Morgens beim Suchen der Esel und beim Aufpacken. Sei ein guter Muchacho, Celso. Du weißt nicht, wie wir uns einmal wiedertreffen und ich auch für dich etwas tun kann.«
»Bueno, patroncito«, sagte Celso, »bueno, ich werde mit Ihnen gehen.«
Nicht am folgenden Tage, wohl aber tags darauf zogen der Händler, sein Lehrjunge, Celso, mit seinem Packen auf dem Rücken, und drei Eselchen, beladen mit den Handelswaren des Don Policarpo, nach den Monterias. Der Weg war noch sehr viel schlimmer, als er ihnen geschildert worden war. Es wäre eine umgekehrte Ordnung in gewöhnlichen Geschehnissen gewesen, wenn nicht Celso die schwerste Arbeit auf diesem Wege zugefallen wäre. Er war willig und wollte sich redlich das Essen, das ihm Don Policarpo versprochen hatte, verdienen. Es war abgemacht worden, dass er für das Essen hie und da auf dem Marsche dem Händler ein wenig zur Hand gehen sollte. Aber aus der Willigkeit des Celso entwickelte sich bereits am zweiten Tage des Marsches eine Schuldigkeit, wenn nicht Verpflichtung.
Don Policarpo begann zu kommandieren, als ob er der Herr und Celso der Knecht wäre.
Es begann damit, dass Don Policarpo am ersten Abend auf dem Wege, als sie am Rastplatz ankamen, sich hinfallen ließ und erklärte, er sei so müde, dass er nicht einen Finger krumm machen könnte.
»Pack die Burritos, die Eselchen, ab, ich helfe dir später«, sagte Don Policarpo. Und Celso packte ohne Hilfe die Tiere ab.
»Bringe die Packen hierher!« ordnete Don Policarpo dann an.
Der kleine Lehrjunge bemühte sich, vor den Augen des Don Policarpo den Anschein zu erwecken, als ob er wacker mit zufasse. In Wirklichkeit aber lief er nur hin und her, rollte die Packleinen auf und legte sie für den Morgen auf.
»Wir müssen Laub für das Eselchen schneiden«, sagte Don Policarpo. Aber das Wir bedeutete, dass Celso mit dem Machete loszog, Laub abhieb und das Laub herbeischleppte, damit die Esel zu fressen hatte.
Don Policarpo blies ein Feuer an, um das Essen zu kochen. Celso aber hatte das Wasser heranzubringen, hatte trockenes Holz zu suchen, die Töpfe zu waschen und das Essen zu bewachen, dass es nicht verbrannte. Am Morgen musste Celso die Eselchen zusammensuchen, die Tragsättel aufriemen und die Packen heranholen und sie aufschnüren. Hierbei ging ihm Don Policarpo freilich zur Hand und tat hier das, was nach den Abmachungen des Handels die Mithilfe Celsos hätte sein sollen. Beim Laden von Tragtieren hat immer einer die schwere Arbeit zu verrichten; die leichtere Arbeit ist das Zureichen der Leinen und Schlingen für das Festpacken. Celso tat die schwerere Arbeit, das eigentliche Laden und Verschnüren der Lasten.
Während Celso die Burritos im Dschungel suchte, frühstückte Don Policarpo. Und wenn die Eselchen geladen waren, trotteten sie los und Don Policarpo hinter ihnen her. Dann erst gewann Celso einige Minuten Zeit, seinen Kaffee zu trinken und sich einige Tortillas anzuwärmen. Den Kaffee hatte ihm Don Policarpo in die Schale geschüttet, die Tortillas beim Feuer hingelegt und die Bohnen auf eine der Tortillas geschüttet. Celso aß nun. Er musste in Eile essen, um nicht zu weit zurückzubleiben.
Hatte er gegessen, scharrte er Erde auf das Feuer, um es zu löschen. Dann nahm er seinen schweren Packen auf und begab sich auf einen Eilmarsch, um Don Policarpo wieder einzuholen.
Endlich erreichte er die kleine Karawane. Es traf sich gewöhnlich so, dass ein Tier oder gar zwei oder drei die Last abgestoßen hatten und dass nun Celso wieder aufs neue zu laden hatte. Oder es mochte auch sein, dass Don Policarpo nicht genügend Acht gegeben hatte, und ein Tier war mit der Last auf eigenem Wege irgendwo in den Dschungel gelaufen. Celso musste das Tier suchen. Und wenn er den Esel antraf, hatte der die Last vielleicht abgeworfen und unter sich am Bauche hängen. Celso konnte allein nicht laden; er befreite den Esel völlig von der Last, nahm ihn an den Lasso und lud sich selbst die Last auf, um sie dorthin zu schleppen, wo Don Policarpo mit den übrigen Tieren wartete, um die Last hier mit Hilfe des Händlers wieder aufzuladen.
Es mochte auch geschehen sein, dass die wartenden Tiere ungeduldig wurden und Don Policarpo unfähig war, sie zu halten. Sie marschierten los und Don Policarpo hinter ihnen her, bis die Esel von selbst irgendwo hielten und sich hinwarfen. Die ganze Strecke lief dann Celso, mit der Ladung eines Esels auf seinem Rücken, hinter Don Policarpo her, bis er ihn traf und mit ihm laden konnte. War geladen, zog Don Policarpo sofort weiter. Celso musste den Weg nun wieder zurücklaufen, um seinen eigenen schweren Packen zu hole.
Celso aber wandelte sich auch im Dschungel weiter. Als er bemerkte, dass ihn Don Policarpo bis zum letzten Rest auspumpen wollte, und als er einsah, dass Don Policarpo wohl müde, aber mehr noch nur faul war auf Kosten des Celso, vollzog sich in Celso wieder eine Wandlung.
Beim Erklettern eines sehr steilen und felsigen Pfades fiel Celso mit seinem Packen hin, und er fiel so unglücklich und auch noch gerade vor den Augen des Don Policarpo, dass der Händler sehen konnte, wie sich Celso den rechten Arm verstauchte. Celso, ganz und gar gegen seine Sitte, nie ein Gefühl des Schmerzes zu offenbaren, stöhnte und zeigte ein gequältes Gesicht.
Mit dem linken Arm konnte er kein Laub von den Bäumen schlagen, er musste das Füttern der Esel nun Don Policarpo überlassen. Und beim Laden der Esel war es nun Celso, der die Leinen und Schlingen unter dem Bauche des Esels dem Packer zureichte. Und auf dem Marsche gewöhnte sich Celso an, dem Händler vorauszugehen und einen Esel vor sich herzutreiben. Er begründete das damit, dass die übrigen Esel dann leichter folgten. Rutschten dem Don Policarpo die Packen ab, so konnte er mit seinem Lehrjungen wieder aufpacken, und sollte der Esel, den Celso vor sich hertrieb, die Last verrücken, so wartete er, bis Don Policarpo herankam. Diese Art der Arbeitsverteilung schien Don Policarpo nicht zu gefallen. Er sagte am Abend, bei Ankunft am Rastplatz, als er abgepackt hatte: »Oye, Celso, kannst mir gut mit deinem linken Arm helfen, das Laub von den Bäumen zu schlagen. Bist genauso geschickt mit dem linken Arm wie mit dem rechten.«
»Ich werde das versuchen, Patron«, sagte Celso willig. Er brachte auch eine gute Last frisches Laub aus den Tiefen des Dschungels hervor.
Als sie dann später, am Abend, nach dem Essen beim Feuer hockten und rauchten, sagte Celso so nebenbei: »Ich glaube nicht, Patron, dass ich so viel Zeit auf meinem Wege verlieren kann. Die Esel gehen zu langsam, ich muss schneller mit meinem Kistchen in Agua Azul sein. Don Apolinar wird mich verprügeln, wenn ich nicht zeitig genug mit der Medizin bei Don Eduardo bin. Die Leute sind alle krank in der Monteria.«
Don Policarpo hatte in den drei Tagen des Marsches eine genügend eindrucksvolle Vorstellung von dem Dschungel erhalten, um jetzt einen Schrecken zu bekommen, als er die Möglichkeit vor sich sah, dass Celso ihn verlassen und sich von ihm, mitten im Dschungel, trennen könnte. Ganz gleich, ob er voran marschierte oder zurück -, der Gedanke daran allein ließ ihm das warme Wasser in die Sandalen laufen.
»Wir wollen uns eine Büchse Sardinen teilen, Muchacho«, sagte Don Policarpo. Er rückte einen Packen heran und kramte darin herum, bis er eine kleine Blechbüchse mit spanischen Ölsardinen hervorbrachte.
Die Sardinen waren auf seinen Wanderungen der Luxus, den er sich zuweilen gönnte, wenn er ein gutes Geschäft am Tage gemacht hatte. Sie waren gleichzeitig seine eiserne Notration, eine Notnahrung für Fälle, dass ihm alle übrige Nahrung vom Regen oder von Ratten zerstört war. Sein Lehrling konnte sich nicht erinnern, dass er ihn jemals gesehen habe, wie er eine Büchse öffnete, obgleich der Händler stets wenigstens sechs Büchsen mit sich führte. Eine Büchse Ölsardinen war das kostspieligste Essen, das sich der Händler, in Anbetracht seiner Einkünfte, auf seinen Reisen leisten konnte.
Der Lehrling bekam ein Sardinchen und ein halbes und er durfte das Blechschächtelchen auslecken.
Den Rest der Sardinen und das Öl teilten sich, genau zur Hälfte, Don Policarpo und Celso.
Mit dieser Teilung der Sardinenbüchse, die Don Policarpo so ehrfürchtig und andächtig vollzog, als begehe er die Zeremonie des heiligen Abendmahls, nahm er Celso als seinen gleichberechtigten Weggenossen auf. Er ging darin so weit, dass er, wenn irgend etwas zum Feuer heranzuholen oder wenn eine nebensächliche Verrichtung zu tun war, dem Lehrling zurief, es zu tun, und zu Celso sagte: »Bleibe du nur sitzen auf deinem Hintern, der Chamaco kann das machen. Der hat ja so nichts zu tun und verdient sich nicht das Salz, das er mir wegisst. Wir beide sind genügend müde, der Junge hat flinkere Beine.«
Und am nächsten Tage auf dem Marsche, als Celso ihn rief: »Patron, Patron, der Pietro schmeißt ab!«, da kam Don Policarpo heran, half die Last zurechtrücken und sagte dann, als der Zug wieder weiterging: »Höre, Celso, sag einfach Señor zu mir. Das ist kürzer. Wenn wir nichts zu essen haben, hungerst du so gut wie ich.«
Als Don Policarpo einen Tag in der ersten Monteria war, die sie angetroffen hatten, da war ihm auch nicht ein Zwirnfaden übrig geblieben, den er hätte verkaufen können. Alle Waren, die er seit Wochen mit sich in den Fincas und in den kleinen Dörfern herumschleppte, hatte er mit gutem Gewinn losgeschlagen.
Er kaufte zu lächerlich geringen Preisen Felle ein, die er nach Hause bringen wollte, damit die Esel nicht leer laufen, sondern sich bezahlt machen sollten. An den Fellen konnte er abermals verdienen. Er wartete jetzt nur noch auf Begleitung; denn sowenig wie er allein zu reisen gedacht hatte auf dem Herwege, sowenig oder noch viel weniger dachte er daran, allein zurückzumarschieren.
Celso hatte noch zwei Tagemärsche weiter zu gehen als Don Policarpo, der gleich in der ersten Monteria geblieben war. Aber Celso brauchte nicht allein zu wandern; denn mehrere Burschen, die hinüberwechselten zu einer Monteria auf der anderen Seite des Stromes, hatten den gleichen Weg zu gehe.
Celso lieferte den Brief und das Kistchen an Don Eduardo ab. Er erhielt seinen Lohn in barem Gelde ausbezahlt, weil er sagte, dass er vorläufig nicht zurückwandern wolle und ihm ein Scheck darum nicht von Nutzen sei. Die Leute, die von den Monterias heimwanderten, gleich, ob sie Arbeiter, Angestellte oder Händler waren, zogen es immer vor, nur ein wenig Geld in bar zu nehmen und den Rest in Schecks auf den Namen des Trägers. Selbst die Händler, die ihre Waren hier verkauften, gaben das bare Geld in den Büros der Monterias ab und ließen sich dafür einen Scheck geben. Schecks gingen nicht so leicht verloren, und weil sie auf den Namen des Trägers lauteten, konnten sie auch nicht gestohlen werden. Bares Geld hatte Gewicht, und jeder Reisende, ob er zu Fuß oder zu Pferd reiste, beschränkte das Gewicht seines Gepäcks auf das kleinste Maß. Die Schecks der Monterias wurden überall angenommen, gleich barem Gelde, ohne irgendeinen Abzug.
Celso hatte gehofft, dass er in Agua Azul Arbeit bekommen würde. Nicht des Briefes wegen, sondern der Arbeit wegen war er zu den Monterias gewandert. Aber Agua Azul nahm gerade jetzt keine Arbeiter an. Die Monteria hatte das Gelände, das sie zur Ausbeutung erworben hatte, abgebaut. Die Direktoren, Kanadier und Schotten, verhandelten mit der Regierung, um neue Konzessionen für weitere Ländereien zu bekommen. Aber diese Verhandlungen gingen sehr langsam voran.
Celso musste sich also aufmachen, eine andere Monteria zu suchen, wo er hoffen konnte, Arbeit zu finden.
Die Monterias liegen nicht so dicht beieinander wie Kohlenminen an der Ruhr. Jede Monteria hat zu ihrer Ausbeutung ein Gelände von der Größe eines europäischen Herzogtums oder eines mittleren Königreiches.
Die Mahagonibäume wachsen nicht dicht beieinander wie Erbsenstauden. Und darum ist von dem Verwaltungsgebäude der einen Monteria zum Hauptverwaltungsgebäude der nächsten, nach jeder Richtung hin, ein guter Tagesmarsch notwendig. Zuweilen drei Tagesmärsche.
Celso hatte nicht lange zu laufen. Die nächste Monteria, die er erreichte, nach einem und einem halben Tag Marsch, nahm ihn an. Sie würde auch einen Ertrunkenen angenommen haben, wenn sie gewiss gewesen wäre, dass der Ertrunkene wenigstens zur halben Arbeitskraft ins Leben zurückgerufen werden konnte.
Je verrufener eine Monteria schlechter Bezahlung und unmenschlicher Behandlung wegen war, um so größeren Bedarf hatte sie. Nicht etwa, weil die Arbeiter flohen und sich anderswo Arbeit suchten, sondern weil man sie mitleidlos hinopferte. Nur ihre Hände wurden gerechnet und ihre Arme. Kopf, Seele, Herz waren Anhängsel, die in Kauf genommen werden mussten, auf die aber die Capataces der Monteria mit Wohlgefallen verzichtet hätten, wenn es sich hätte einrichten lassen. Man würde auch auf den Magen der Peones verzichtet haben; aber der Magen der Arbeiter konnte sowenig aufgegeben werden wie der Feuerungsrost eines Dampfkessels.
Eine solche Monteria war es, in der Celso Arbeit nahm. Der Capataz, der Aufseher, Auspeitscher, Anpeitscher und Foltermeister der Peones, fühlte die Hände des Celso ab, und dann presste er ihm die Armmuskeln und Gelenkknochen. »Hast du schon mit der Axt gearbeitet?« fragte er Celso.
»Wenig mit der Axt, aber ich bin ein guter Machetero«, antwortete Celso, »ich habe in den Kaffeefincas einige Jahre mit dem Machete gearbeitet.«
»Vier Reales den Tag«, sagte darauf der Capataz, »und zehn Pesos für mich, weil ich dich annehme. Die zehn Pesos gehen von der ersten Zahlung ab. Weglaufen zweihundertfünfzig Hiebe für das erste Mal und fünfzig Pesos Strafe. Ein zweites Fortrennen wirst du ja bleibenlassen, denn dann wird gepeitscht und gehenkt. Frage gelegentlich deinen Nebenmann, was das ist. Gekauft wird nur in der Tienda der Monteria. Und von einem Händler kaufst du nur, wenn er Erlaubnis vom Gerente, dem Verwalter, hat. Du bist eingestellt. Ein Jahr unwiderruflicher Vertrag. Hast Glück, sparst die Vertragssteuer.
Aber Vertragssteuer oder nicht Vertragssteuer, denke nicht, dass du laufen kannst, wann du willst. Ein Jahr ist das wenigste. Unter einem Jahr nehmen wir nicht an. Name? - Alter? - Dorf? -Bueno, gut. Werde dir den Semanario, die Kolonne des Don Paulino geben.«
Von den fünfzig Centavos, die Celso den Tag bekam, gingen zwanzig Centavos ab, die an den Koch der Kolonne für das Essen bezahlt werden mussten. Celso wollte gelegentlich rauchen und musste sich Tabakblätter kaufen. Er benötigte Kampfer, um die Moskitostiche zu kurieren und die Bisse und Stiche anderer Insekten und Reptilien. Chinin gab gelegentlich die Verwaltung her in einigen Dosen, wenn die schweren Anfälle von Fieber zu häufig wurden - und wenn Chinin vorhanden war.
Dann musste er zuweilen Talg kaufen, um nach einer Auspeitschung den Rücken zu salben. Gepeitscht wurde nicht nur für Weglaufen, was kaum vorkam, sondern für alle möglichen Vergehen, worunter das häufigste war: unzureichende Tagesleistung. Es wurde nicht in Betracht gezogen, welches die Ursachen ungenügender Tagesleistung sein konnten. Und der Ursachen waren viele, an denen der Peon ganz und gar unschuldig war und die meist an schlechten Äxten oder Zughaken und an den natürlichen Hindernissen, die der Dschungel bietet, lagen. Auch Fieber oder andere Krankheit war keine Entschuldigung für das Fehlen der angeordneten zwei Tonnen reinen, abgeschälten und für das Abtrecken fertigen Mahagoniholzes. Es gab Stellen im Dschungel, wo nur junge Bäume waren, die keinen Wert hatten, oder morsche oder rissige oder vom Wurm angefressene, wo der Peon sich mit dem Machete im Dschungel Wege bahnen musste, um geeignete Bäume zu suchen. Zuweilen dauerte das Stunden. Das alles wurde dem Arbeiter nicht zu seinen Gunsten gebucht. Er hatte zwei Tonnen erstklassiges und fahrbereites Mahagoniholz täglich zu liefern. Wie er das tat, war seine Sache. Er war dafür bezahlt, das Holz zu liefern. Glückte es ihm aber, dass er besonders günstiger Umstände wegen an einem Tage drei oder gar vier Tonnen geschafft hatte, so wurden sie ihm zuweilen, je nach Laune des Kolonnenführers, vielleicht innerhalb einer Woche für einen anderen Tag, der mager für ihn ausfiel, gutgeschrieben und ihm angerechnet. Wenn aber der magere Tag eine Woche später fiel, verlor er die Vergünstigung. Meist, oder man möchte sagen, immer, vergaß der Kolonnenführer die überzähligen Tonnen eines günstigen Tages, und er vermerkte nur die fehlenden Leistungen eines mageren Tages und buchte den Peon für das Fest, wenn der Capataz kam, die Strafen zu vollziehen. An Kleidung sparte Celso mehr, als was für die Kleidung eines verwöhnten Hundes einer amerikanischen vertrockneten Jungfer ausgegeben wird. Er arbeitete nackt, um keine Ausgaben für Hemd oder Hose zu haben.
Um die Hüften hatte er Baumwollfetzen gewickelt. Das war alles, was er an Arbeitskleidung trug.
Da es nie einen Sonntag oder einen Feiertag gab, jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet wurde, brauchten die Peones weder Hemd noch Hose, um sich feiertäglich zu kleiden.
Es war den Peones freigestellt, den Rest des Tages zu feiern, wenn sie aus glücklichen Bedingungen heraus ihre zwei Tonnen geschafft hatten, ehe die Sonne untergegangen und ihr eigentlicher Arbeitstag beendet war.
Wenn sie einen solchen Viertelfeiertag gewannen, was ungemein selten vorkam, dann gingen sie einmal zum Fluss baden, pickten aus ihren Zehen die eingebohrten Würmer und deren Brut, kurierten Schnitte, Risse und Wunden in ihrer Haut, schnitten sich Stacheln und Splitter aus dem Körper oder unter den Fingernägeln hervor und brieten sich einen schmackhaften Pescuintle, wenn sie Glück gehabt hatten, einen solchen zu erwischen, um einmal wenigstens in Monaten den Geschmack der sich ewig gleich bleibenden schwarzen Bohnen, in Wasser gekocht und mit grünen und roten Pfefferschoten gewürzt, zu vergessen.
Der einzige Tag im Jahr, der ihnen freigegeben wurde, war der sechzehnte September, der Erinnerungstag der Unabhängigkeitserklärung Mexikos von der spanischen Krone.
Denn die Eigentümer der Monterias waren gute Republikaner. Die Republik bot ihnen bei weitem mehr Freiheiten in ihren Geschäften, als eine Monarchie und nun gar die spanische Monarchie ihnen gewährt hatte. Darum war ihnen dieser Revolutionsfeiertag so heilig wie einem Mohammedaner das Grab Mahomets. Die Monteria bezahlte sogar den Tag wie einen Arbeitstag, und die Eigentümer waren deshalb sehr stolz auf ihre gut republikanische Gesinnung. Es war nur der eine Nachteil in dieser republikanischen Gesinnung zu verbuchen, dass in den Kolonnen, die in den Tiefen des Dschungels arbeiteten und die nur alle zwei oder drei Monate einmal Verbindung mit dem Verwaltungsgebäude hatten, ein Kalender nicht zu finden war. In den weitaus meisten Fällen wusste selbst der Contratista, der Kolonnenführer, nicht, ob es Sonntag oder Mittwoch oder Freitag sei. Er hatte nur eine unklare Vorstellung, dass es Juli oder Dezember sein müsse. In seinem Büchelchen hatte er soundso viele Arbeitstage verbucht. Aber er war aus Versehen völlig aus der Kalenderrechnung herausgekommen. Und wenn er aus irgendeinem Grunde es nötig fand, das genaue Datum eines bestimmten Tages festzustellen, so rechnete er von dem Tage des Abmarsches seiner Kolonne vom Platz des Verwaltungsgebäudes.
Dieser Tag lag fest, weil sein Vertrag an diesem Tag begann. Nun rechnete er an den Arbeitstagen zurück, um auf den Abmarschtag zu kommen und auf diese Weise das Datum des heutigen Tages genau festzustellen. Aber dieses Zurückrechnen und Hinundherrechnen ermüdete ihn, weil er sich verzählte.
Celso dachte nur an seine Heirat und an seine fünfzehn ungeborenen Kinder, die er mit seinem Mädchen ans Licht der Welt befördern wollte. Der Gedanke an sein Mädchen ließ ihn alle Qualen in der Monteria erdulden.
Als ein volles Jahr der Arbeit in der Monteria um war und Celso sein Vermögen in barem Gelde in seinem Guthaben bei der Verwaltung zusammenrechnete und noch hinzuzählte, was er für die Beförderung des Briefes und für die Hilfeleistung von dem Händler Don Policarpo verdient hatte, fand er, dass er dreiundfünfzig Pesos und sechsundvierzig Centavos an Hab und Gut auf Erden besitze. Diese Summe reichte nicht aus, um den Eindruck bei dem Vater seines Mädchens zu erwecken, den hervorzurufen er sich vorgenommen hatte. Er wollte nicht weniger als achtzig Pesos besitzen, wenn er die Monteria verließ.
Er verdingte sich für ein zweites Jahr.
Es schien ihm, dass das zweite Jahr rascher verginge als das erste. Er war einer der geübtesten Schläger geworden. Er hatte gelernt, so geschickt seine Bäume zu wählen und so wohldurchdacht die beste Stelle am Baum für das Anschlagen zu finden, dass es viele Tage gab, wo er bereits am Nachmittag seine Leistung geliefert hatte. Er half jetzt schon oft irgendeinem armen Neuling, der mit seiner Leistung nicht fertig wurde und Gefahr lief, für die Fiesta, für das Fest, gebucht zu werden. Als die erste Hälfte des zweiten Jahres um war, gab ihm der Kolonnenführer fünf Reales den Tag anstatt der vereinbarten vier. Der Kolonnenführer tat es nicht aus Gutmütigkeit, sondern um Celso für ein drittes Jahr zu gewinnen. Celso war klug genug, niemand zu sagen, dass er hier nur arbeite, um eine bestimmte Summe zu gewinnen, und dass er gehen werde, sobald er diese Summe habe. Er nahm sich vor, selbst bei seiner Abmusterung nicht zu sagen, dass er endgültig fortgehe, sondern dass er seinen Vater und seine Mutter besuchen müsse und wahrscheinlich bald zurückkehre. Erfahrung mit seinen Arbeitskameraden hatte ihn gelehrt, auf seine Haut aufzupassen und gut Acht zu geben, nicht unbedacht in eine der vielen Fallen zu gehen, die gelegt wurden, um abwandernde Arbeiter aufs neue einzuhaken.
Abmusternde Peones erneut einzuhaken war das Geschäft von menschlichen Parasiten, von so genannten Coyotes, die sich in den Monterias und in deren Rekrutierungsbezirken einnisteten.
Es war die leichteste Arbeit, Leute, die ihren Vertrag beendet hatten, durch List, Betrug, Betrunkenmachen und mit Hilfe von verkommenen Weibern der alleruntersten Schicht des Kehrichts der menschlichen Rasse für einen neuen Vertrag einzufangen. Nur wenige Leute, nur die völlig charakterfesten und willensstarken, entkamen diesen Coyotes.
Liefen keine Verträge ab, dann begaben sich die Coyotes auf die Jagdzüge. Sie gruppierten sich und suchten in den Dörfern und Fincas, die nahe dem Dschungel lagen, entflohene Sträflinge, die sich hier zuweilen verbargen. Die Behörden setzten keine Belohnung für das Ergreifen von Verbrechern aus.
Die Coyotes hingegen gaben den Leuten, die ihnen versteckte Verbrecher und Flüchtlinge anzeigten und deren Versteck verrieten, Belohnungen von fünf bis zu sechzig Pesos für den Kopf und für das Paar Hände.
Die Coyotes kümmerten sich nicht um die moralische Vergangenheit ihrer Fänge; sie kümmerten sich nur um deren kräftige Arme. Die Eingefangenen wurden so gut gebunden und so gut verwahrt, dass sie leichter einem zementierten Gefängnis hätten entweichen können als diesen Jägern. Gefesselt in Reihen, wurden sie durch den Dschungel geschleppt. Beim geringsten Verstoß gegen eine Anordnung auf dem Marsch wurden sie so aus gepeitscht, dass sie keinen Fetzen heil hatten, wenn sie in den Monterias ankamen. Jeglichen, auch den allerbescheidensten Versuch, auf dem Marsche auszubrechen, gaben die Burschen, die einmal in den Händen der Coyotes waren, auf, sobald sie eine Stunde auf dem Marsche waren, ganz sicher aber, nachdem sie die erste Henkung eines ihrer Genossen gesehen, der versucht hatte zu entweichen. Die Henkung war darum so grauenerregend und so abschreckend für eine versuchte Widerspenstigkeit der Gefangenen, weil sie nicht tödlich war. Wäre sie tödlich gewesen, hätte sie weniger Eindruck gemacht. Aber Henkungen mit der Absicht, den Gehenkten zu töten, verübten die Coyotes nicht. An einem zu Tode Gehenkten hatten sie kein Interesse. Nur der Lebende brachte Geld ein.
Die Enganchadores, die rechtmäßigen Agenten für die Monterias, kauften Indianer aus den Gefängnissen der Dörfer auf, indem sie die Geldstrafe für den Indianer an den Alcalden des Dorfes oder an den Sekretär der Regierung bezahlten, der dort im Auftrage der Federalregierung war, um als Standesbeamter, Statistiker, Postmeister und Telegrafist zu wirken. Die Geldstrafen, die dieser über Indianer verhängte, betrachtete er als seine wichtigste Einnahmequelle. Für die bezahlte Geldstrafe wurde jenen konzessionierten Agenten der Indianer ausgeliefert, und der Agent verkaufte den Indianer als Peon an die Monterias. In den Monterias hatte der so verkaufte Indianer die Geldstrafe, die der Agent für ihn bezahlt hatte, sowie die hohe Anwerbungskommission für den Agenten und die Steuer für den Kontrakt abzuarbeiten, ehe er irgendeinen Lohn erhielt.
Die Coyotes versuchten, ihre Leute billiger zu erwerben, um ihre Kommission erhöhen zu können.
Sie kauften keine Indianer aus den Gefängnissen auf. Diese Ausgabe war für sie fortgeworfenes Geld.
Sie zogen des Nachts in die kleinen Dörfer, brachen die Gefängnisse auf und schleppten die Gefangenen weg. Am Morgen, wenn der Sekretär nach seinen Gefangenen sah und sie nicht fand, das Gefängnis aber erbrochen sah, glaubte er, wie das ganze Dorf, dass die Gefangenen selbst ausgebrochen seien oder dass sie von Freunden befreit worden waren. Niemand, selbst ihre eigene Familie nicht, erwartete, dass die Entwichenen zurückkommen würden; denn beim Wiederergreifen hatten sie höhere Strafen zu gewärtigen. So blieben sie verschollen. Die Coyotes jedoch, um die gestohlenen Gefangenen einzuschüchtern, erklärten ihnen, dass, wenn sie nicht freiwillig in die Monterias marschieren würden, sie, die Coyotes, vor dem Richter angeben würden, dass die Indianer das Gefängnis aufgebrochen und die Coyotes gebeten hätten, sie nach den Monterias zu bringen. Sie redeten ihnen ein, dass ein Entweichen aus dem Gefängnis und ein Zerstören des Gefängnisses, was als Zerstören eines öffentlichen Gebäudes galt, obgleich es nur aus Lehmfladen gebaut war, mit Füsilieren bestraft würde. Die Indianer wussten, dass vor dem Richter dem Coyote, der Ladino war, geglaubt wurde und die Dinge so sein mussten, wie der Ladino sagte.
Es waren diese Coyotes, vor denen jeder Arbeiter in der Monteria Furcht hatte, sobald das Ende seiner Vertragszeit sich näherte. Soviel war in den Camps von den Coyotes erzählt und mit so vielen Beweisen belegt worden, dass jeder Arbeiter wusste: Es gab keine Untat und es gab kein Verbrechen, die ein Coyote nicht beging, wenn er einen Peon erneut einzuhaken versuchte. Tot zu sein oder Selbstmord zu verüben schien das einzige Mittel zu sein, mit dem sich ein Peon vor den Coyotes mit Sicherheit retten konnte.
Es gibt kein Land auf Erden, wo der Coyotismus, die Tätigkeit der Coyotes, so am Lebenssaft des Volkes saugt wie in Mexiko. Bliebe der Coyotismus auf die Monterias beschränkt, möchte es erträglich sein; aber der Coyotismus verseucht das ganze wirtschaftliche, politische und private Leben der Mexikaner. Und weil es im Lande Coyotes gibt, die Generäle sind, Minister, Couverneure, Bürgermeister, Polizeichefs und Direktoren von Hospitälern, darum darf man sich nicht wundern, wenn die kleinsten Coyotes die Monterias und deren Arbeiter als ihr Ausbeutungsfeld betrachten, und darum darf man sich noch weniger wundern, dass niemand im Lande sich um diese kleinen Coyotes kümmert.
Wenn die Coyotes in den Monterias gelegentlich den Jefe Politico, den politischen Chef des Distriktes, in dem die Monterias lagen, sowie zuweilen auch den Bürgermeister des Ortes, wo die nächste Behörde ihren Amtssitz hatte, mitverdienen ließen, dann hatten sie einen Freibrief für jegliche Handlung, die sie verübten.
Es war dieser Coyotes wegen, dass sich Celso vornahm, niemand zu sagen, dass er für dauernd von den Monterias fortgehe. Und es war seines Kolonnenführers wegen, dass er nicht sagte, was er beabsichtigte.
Er hatte bemerkt, dass sein Kolonnenführer ihn nicht schlecht behandelte, ihm gute Plätze und gute Bäume anwies. Er tat das, weil er einen tüchtige n Arbeiter in Celso sah, den er sich für weitere Jahre erhalten wollte. Von Beginn des zweiten Halbjahres an erzählte Celso herum, dass er für vier Wochen unbedingt nach Hause müsse, um nach seinem Vater und seiner Mutter zu sehen und ihnen das Geld zu bringen, das er verdient habe, weil sie sich Vieh kaufen wollten. Geschickt flocht er ein, dass dieses Geld nicht genügend sei, dass er zwei weitere Jahre in der Monteria arbeiten müsse, um so viel zu verdienen, dass sein Vater sich ein bestimmtes Stück Land hinzukaufen könne, auf dem er, Celso, leben wolle, wenn er nach vier Jahren heimkehre, um sich zu verheiraten und in seinem Dorfe dauernd sesshaft zu werde.
So kam endlich die Zeit, mit der Celso sein zweites Jahr in der Monteria beendete. Aber er hätte allein durch den Dschungel zurückmarschieren müssen, wäre er sofort losgezogen. Er hielt es für besser, einige Tage zu warten, bis ein größerer Trupp von abgedienten Arbeitern heimzog, die alle auf ihrem Heimweg das Candelariafest in Hucutsin besuchen wollte.
Das Candelariafest in Hucutsin war mit nüchternen Augen betrachtet von jemand, der ähnliche Heiligenfeste in anderen Städten des Landes gesehen hat, recht armselig und trocken. Aber Hunderte von angeworbenen Peones erleben ein solches Fest zum ersten Male in ihrem Dasein. Von dem Bereich ihrer kleinen Dörfer und von dem engen Bezirk ihrer so ärmlichen Palmhütten und Lehmbuden aus gesehen, erscheint ihnen das Fest in dem Städtchen als ein Ereignis, wie es größer, schöner, lustiger, wollüstiger, sündiger, prachtvoller, pompöser, verschwenderischer nicht gedacht werden kann.
Je länger die Arbeiter in den Tiefen des Dschungels arbeiten, je mehr Zeit hinter ihnen verweht, um so glanzvoller und um so berauschender wächst in ihrer Erinnerung die Erscheinung des Candelariafestes in Hucutsin an. Welche Phantasie, sei es während des Tages oder sei es während der langen Nächte im Dschungel, sie auch immer erregen mag, jede Phantasie und jeder irdische Wunsch verknüpft sich in ihnen mit dem Candelariafest. Wünsche, sich eine bunte Decke kaufen zu können, oder sich gründlich zu betrinken oder zu spielen oder Tänzerinnen und Komiker in den Carpas zu sehen oder ein heißes Mädchen unter sich zu haben oder den Kerzenqualm und den Weihrauchdunst der Kirche einzuatmen oder sich mit einem anderen Burschen zu prügeln, ohne dafür ausgepeitscht zu werden, die Frauen und Mädchen an den Verkaufstischen feilschen zu sehen, der Musik der barfüßigen braunen Musikanten auf den Gassen zuzuhören, sich stundenlang hinzustellen, nichts zu tun und den schmelzenden Liedern der Corridosänger zuzuhören oder - oder - und vieles, vieles mehr.
In den langen Monaten schwerer Arbeit im Dschungel keimen so viele hundert Wünsche heran, dass die Ewigkeit im Paradiese der Frommen nicht ausreicht, alle diese Wünsche zu erfüllen.
Je näher die Zeit des Candelariafestes dann kommt, desto erregter werden die Arbeiter. Und wie Seeleute nach langer Fahrt auf die Schankwirtschaften, Mädchensalons, verräucherten und verdreckten Tanzböden losgehen wie wilde Stiere, so gehen die Caobaarbeiter los, wenn sie nach abgedienten Arbeitsjahren auf dem Candelariafest eintreffen. Und wie Seeleute, die sich während der Fahrt vornahmen, sobald sie heimkehrten, ihr Mädchen zu heiraten und sesshaft zu werden, in den Tabernen des Hafens ihre ganze Heuer in drei Tagen und drei Nächten über den Stiel hauen und dann erneut auf große Fahrt gehen müssen, so geschieht es auch mit Dutzenden von Arbeitern der Monterias, die nach einer halben Woche Festtaumel keinen anderen Ausweg sehen, als einem Enganchador nachzulaufen und ihn zu fragen, ob er sie nicht wieder anwerben wolle.
So leicht war nun Celso freilich nicht zu fangen. Das Fest ließ ihn in jeder Weise nüchtern. Er war kein unerfahrener indianischer Bauernjunge, der nichts gesehen hat von der Welt und ihren Freude.
Er hatte ähnliche Feste gesehen in den kleinen Orten in Soconusco, wo er in den Kaffeeplantagen gearbeitet hatte.
Während die Mehrzahl der Burschen im Dschungel an die Berauschungen des Candelariafestes dachten und davon träumten, wie sie alle Entbehrungen eines Jahres oder gar mehrerer Jahre auf dem Candelariafeste gutmachen würden, träumte Celso von nichts anderem als von seinen fünfzehn ungeborenen Kindern, denen er mit seinem Mädchen zur Welt helfen wollte. Es war der scheue und dennoch warme Blick, den er von seinem Mädchen erhalten hatte, woran er während der zwei Jahre seiner Arbeit in den Monterias gedacht hatte und wovon er träumte, wann immer er sich bei Einbruch der Nacht auf seinem Petate niederlegte.
Der Kolonnenführer des Celso hatte den Verwalter der Monteria davon in Kenntnis gesetzt, dass wahrscheinlich der Celso nicht zurückkommen würde, dass aber ein Bursche wie Celso der Monteria nicht verloren gehen dürfe. Der Verwalter sandte mit einem anderen Burschen einen Brief an Don Gabriel, den Agenten, von dem er wusste, dass er zum Candelariafeste in Hucutsin sein werde, um einen großen Transport von Arbeitern in den Monterias abzuliefern.
Der Brief enthielt mehrere Anweisungen für alle möglichen Bedürfnisse, die der Verwalter der Monteria in Hinsicht auf die benötigten Peones hatte. Soweit sich diese Anweisungen auf Celso bezogen, lauteten sie so: Ein weiteres, Don Gabriel; ein Bursche, ein Chamula, namens Celso von Ishtacolcot, hat all seinen Lohn abgehoben, und ich vermute, er hat die Absicht, nicht mehr anzuhaken. Wir können ihn nicht entbehren, er ist ein zu guter Schläger. Ich gebe Ihnen fünfzig Pesos für den Burschen, die übliche Kommission natürlich extra. Der Bursche kommt durch Hucutsin mit dem abziehenden Trupp, und Sie können ihn dort treffen.
Für fünfzig Pesos extra würde Don Gabriel einen Verstorbenen ausgegraben, ins Leben zurückgerufen und für die Monteria angeworben haben. Und um wie viel leichter war es, einen lebenden Arbeiter einzufangen, und um noch hundertmal leichter, einen indianischen Burschen für die Monteria zu haken.
Ob der indianische Bursche seine sterbende Mutter besuchen wollte oder sich zu verheiraten gedachte oder Heimweh hatte, das kümmerte ihn nicht. Es kümmerte ihn viel weniger als den Staat, der jungen Burschen befiehlt, sich in einer Militärkaserne einzufinden und sich hier abrichten zu lassen, Willen, Sittlichkeit und Menschlichkeit zu verleugnen, um einer nicht existierenden Ehre wegen Verbrechen zu begehen, sobald das Signal geblasen wird.
Am selben Tage, an dem der Brief aus der Monteria in Hucutsin eintraf, hatten die Burschen, die als Unteragenten des Don Gabriel arbeiteten, Celso in dem Haufen von Leuten, die aus den Monterias zu dem Feste gekommen waren, entdeckt. Von diesem Augenblick an wurde Celso von jenen Zutreibern nicht mehr aus den Augen gelassen.
Sie beobachteten alle seine Schritte, und sie waren enttäuscht, als sie bemerkten, dass Celso keinen Aguardiente trank. Das Opfer betrunken zu machen und in der Trunkenheit einzufangen, war der übliche Trick, weil der leichteste. Celso war einem heftigen Schluck kräftigen Comitecos nicht abgeneigt.
Aber er hatte den Willen, nur dann zu trinken, wenn es ihm zusagte, und nicht zu trinken, wenn er dachte, es sei besser, nüchtern zu bleiben. In den zwei Jahren in der Monteria hatte er durch seine Genossen genügend Erfahrung gesammelt, wie die Enganchadores und Coyotes arbeiten. Darum nahm er den Aguardiente selbst dann nicht an die Lippen, als er ihm geschenkt wurde.
Es war ihm aufgefallen, dass er stets zwei Burschen in seiner Nähe sah, ganz gleich, wo er sich befinden mochte, und dass es immer dieselben beiden Burschen waren, zwei Mestizen in halb städtischer Kleidung. Er kannte den Typus. Es waren die Typen, aus denen die Monterias ihre Capataces aussuchten, die Peitscher und Henker, die den Titel Capataz, Unteraufseher, trugen, um eine offizielle Bezeichnung zu haben, wodurch sie sich von den Peones unterschieden. Beim Anwerben waren sie die Zutreiber des Wildes, es waren diejenigen, die für den Agenten oder für den Coyoten die Morde, Schlägereien, Messerstechereien und die rohen Verbrechen begingen, die der Agent anordnete. Der Agent behielt immer reine Hände dem Gesetz gegenüber, und die Zutreiber verschwanden, wenn etwas zu heiß war; sie wurden von dem Agenten unterhalten und kehrten zu ihm zurück, wenn die Verbrechen, die sie verübt hatten, verblichen waren oder wenn Freunde des Agenten ins Amt kamen.
Der Agent war der vornehme Ladino, der das Anwerben von Arbeitern für die Monterias als ehrliches und gesetzlich geschütztes Geschäft ausübte. Die Schäbigkeiten des Geschäftes wurden von den Capataces verübt, die keinen Wert darauf legten, als gesittete und ehrliche Menschen betrachtet zu werde.
Als Celso diese beiden Burschen unausgesetzt in seiner Nähe herumstreifen sah, kannte er den Inhalt des Briefes, den ein Agent bekommen haben musste. Er wusste, dass er von jetzt an alles zu erwarten haben würde, was nur immer ein Agent sich ausdenken mochte, um einen Arbeiter einfangen zu können. Es gab nur eine Tat, vor der er sicher war, das war Mord. Er würde nicht ermordet werden, denn an einem toten Indianerburschen hatte niemand ein Interesse, nicht einmal der Teufel, der, wie Indianern wohlbekannt ist, sich nur Weiße aussucht, um sie zu braten und zu schmoren.
Celso bekam Furcht. Es war die grauenhafte Furcht eines Menschen, der zusieht, wie eine Falle aufgebaut wird, ihn einzufangen, und der gleichzeitig erkennt, dass er dieser Falle nicht entrinnen kann, was er auch immer versuchen mag.
Hätte er gewusst, in welcher Weise der Agent arbeiten würde, um ihn zur Bestätigung eines neuen Vertrages zu verführen, so hätte Celso vielleicht einen Gegenplan ausdenken können. Aber er wusste ja nicht einmal, wer der Agent war, für den die Hyänen herumstrichen. Diese Burschen erhielten für die gelungene Arbeit, wenn sie gut bezahlt wurden, drei Pesos, und wenn sie außerordentlich gut bezahlt wurden, fünf Pesos. Dafür aber hatten sie so lange zu arbeiten, bis Celso völlig im Vertrag war.
Celso hatte beabsichtigt, drei Tage in Hucutsin zu verweilen. Einmal wollte er sich ausruhen und seine Wunden, die er auf dem Marsche durch den Dschungel erhalten hatte, heilen. Dann wollte er etwas von dem Fest genießen, wollte den Corridosängern und den wandernden Musikanten zuhören, wollte in die Kirche gehen und eine Kerze der Heiligen Jungfrau weihen für die gesegnete Rückkehr aus der Monteria, und dann wollte er Geschenke für seine Mutter, für sein Mädchen, für den Vater seines Mädchens und für seinen eigenen Vater einkaufen, um allen daheim eine Freude zu mache.
Während der zwei Jahre, die er von seinem Dorfe fort war, hatte er keine Nachricht von sich an seine Eltern senden können, noch hatte er irgendeine Mitteilung von ihnen erhalten. Schreiben konnte er nicht und lesen auch nicht. Selbst wenn er die Absicht gehabt hätte, nach Hause zu berichten, es hätte ihm niemand helfen können, denn keiner von seinen Arbeitskameraden konnte schreiben. Es hatte auch weder er noch einer seiner Mitarbeiter Zeit, einen Brief zu schreiben. Es blieb den Peones nicht einmal so viel Ruhe, dass sie über einen Brief hätten nachdenken können. Während der langen Monate im Dschungel, arbeitend ohne Unterlass, sanken sie in allen ihren Lebensinteressen so weit herunter, dass sie sich von den Ochsen und Mules, die neben ihnen beschäftigt wurden, nur durch das Aussehen unterschieden. Sie hatten keine anderen Bedürfnisse, als zu schlafen und zu essen, und sie hatten keinen anderen Wunsch, als gute Bäume zu finden, die sich leicht schlagen lassen, und keinen anderen Gedanken, als nicht ausgepeitscht zu werden. Briefe zu schreiben lag ihnen so fern wie einem Ochsen der Gedanke, den Südpol zu erforschen.
Als Celso jene Burschen auf der Lauer sah, gab er seinen Plan, einige Tage in Hucutsin zu verbringen, auf.
Er beschloss, durch einige geschickte Wendungen auf dem Feste den Zutreibern auszuweichen, sich zu verstecken und sich in der Nacht aufzumachen und den Hochpass von Teultepec zu gewinnen. Der Weg zu dem Hochpass war bei weitem schwieriger als der Weg über Sibacja. Die Zutreiber würden annehmen, dass er den leichten und kürzeren Weg über Sibacja wählen würde, und er war gewiss, dass sie ihm auf diesem Wege folgen würden, wenn sie bemerken sollten, dass er entwischt sei.
Hätte er keinen Packen gehabt, wäre es ihm leicht gelungen, unbemerkt von den Zutreibern zu entwischen.
Aber Gepäck ist immer hinderlich für rasches Reisen. Das Gepäck enthielt jedoch seine ganze weltliche Habe, von dem baren Gelde abgesehen, das er in seinem Wollgürtel eingedreht trug. So konnte er seinen Packen nicht zurücklassen.
Celso hatte an der Lehmmauer eines Hauses, unter dem weit hervortretenden Schindeldach, sein Lager aufgeschlagen. Es rasteten hier noch mehr indianische Burschen seiner Nation. Wenn einer sich fortmachte, dann blieb immer ein anderer zurück, der für die übrigen Burschen, die das Fest sehen wollten, die Packen bewachte.
Die beiden Einfänger, die hinter Celso her waren, gaben mehr acht auf den Packen als auf Celso selbst. Sie wussten recht gut, dass ein Indianer seinen Packen nicht zurücklassen kann; denn der Packen enthält alles, was ein Indianer auf seinen langen Märschen braucht, Petate oder Palmenmatte, auf der er schläft, Wolldecke, Moskitonetz, Kien für das Feuer, Sandalen für Wege, die dornig sind oder wo die Erde dick mit Splittern von Muscheln aus unbekannter Vorzeit her bedeckt ist. Dann hat er in dem Gepäck noch sein Feuerzeug aus Stahl, Steinen und Lunte, seine rohen Tabakblätter und getrocknetes Fleisch, gequetschte kalte Bohnen, Tortillas, Salz und grüne Gemüseblätter, die er benötigt des Gewürzes und unentbehrlichen Vitamingehaltes wegen.
Celso dachte darüber nach, wie er seinen Packen fortbringen könnte, ohne dass es die Zutreiber sehen würden. Er konnte sich mit einem anderen indianischen Burschen verabreden, der ihm den Packen vor das Städtchen brachte, wo ihn Celso aufnahm und sich auf den Marsch begab. Er konnte aber auch den Packen in einem kleinen Laden abgeben und verabreden, dass er den Packen morgen abholen würde.
Er selbst konnte sich davonmachen und außerhalb des Ortes irgendwo unter einem Baum übernachten.
So könnte er die Häscher irreführen und sie glauben machen, dass er sich fortgeschlichen habe.
Vielleicht gaben sie es dann auf, sich weiter um ihn zu bekümmern.
Aber alles, was er sich ausdachte, dachten sich auch seine Verfolger aus. Er hätte etwas ganz außerordentlich Neues und etwas ganz Unerwartetes erfinden müssen, um solchen Burschen zu entgehen.
Hungrige Wölfe können hinter ihrer Beute nicht ausdauernder her sein als diese Zutreiber hinter einem starken Indianer, den der Werbeagent auf seiner Liste hatte. Ihrem Herrn gut zu dienen gab ihnen nicht nur die Sicherheit, an dem einen oder anderen Opfer drei oder fünf Pesos zu verdienen, sondern für gute Arbeit und ständig gute Dienste erhielten sie als Belohnung dauernd angenehme Arbeit.
Sobald diese Zutreiber ihre Arbeit hier am Ort beendet hatten, das Heiligenfest vorüber war und der Abmarsch in die Monterias begann, wurden sie beschäftigt als Treiber auf dem Marsche. Nicht als Treiber der Packtiere, sondern als Treiber der angeworbenen Indianer. Es war ihre Aufgabe, den Trupp zusammenzuhalten, darauf zu achten, dass niemand zurückblieb, dass niemand ausbrach und zu fliehen versuchte. Es wurden ihnen Peitschen, Lassos und die besten Pferde für diese Aufgabe gegeben, aber der Agent hütete sich, ihnen Revolver anzuvertrauen, und wenn er wusste, dass einer der Burschen einen Revolver besaß, so musste er ihn an den Agenten abgeben. Diese Burschen waren wie toll darauf, einen Indianer erschießen zu können, um sich an dem qualvollen Sterben eines niedergeschossenen Menschen erfreuen zu können. Sie würden alle möglichen Umstände angeführt haben, um gegenüber dem Agenten nachzuweisen, dass sie keinen anderen Ausweg gehabt hätten, als einen fliehenden oder zurückgebliebenen Mann zu erschießen. Sie schossen nur, wenn sie wussten, dass es der Agent nicht sah und er nicht nachprüfen konnte, ob ein oder gar mehrere der angeworbenen Arbeiter etwa Meuterei versucht hatten.
Würde der Agent ihnen Revolver anvertraut haben, so hätte er oft wohl kaum die Hälfte der Angeworbenen in den Monterias abliefern können, weil die übrigen auf dem Marsche wegen Meuterei oder Angriff auf die Treiber erschossen worden wären. Der Agent hatte unausgesetzt darauf zu achten, dass diese Treiber nicht gelegentlich einen Mann, der zurückblieb, erhenkten, um sich zu vergnügen. Der Agent hatte genügend andere Mittel, meuternde Leute auf dem Marsche so zu bestrafen, dass sie den Tod durch Erschießen vorgezogen haben würden. Das einzige Interesse, das der Agent hatte, war, die Leute lebend und arbeitsfähig in der Monteria abzuliefern; denn die Monterias zahlten nichts für Leute, die auf dem Marsche wegen Meuterei erschossen oder gehenkt worden waren.
Waren die angeworbenen Arbeiter in den Monterias vollzählig abgeliefert, so blieben die besten und rohesten Treiber als Capataces, als Aufseher, Auspeitscher und Strafvollstrecker bei den Trupps, die sie hergetrieben hatten.
Hätte Celso erraten können, was seine Häscher tun würden, um ihn in denkbar kurzer Zeit einzufangen, so hätte er doch nicht ausweichen können. Das, was die beiden Burschen sich ausgedacht hatten, um Celso innerhalb zwölf Stunden am Haken zu haben, war so geschickt, dass nur ein ganz seltenes Wunder ihn hätte retten können, ein Wunder, so selten, dass es nicht einmal die Romanschreiber der biblischen Geschichten hätten erfinden können.
Celso machte sich reisefertig. Er beabsichtigte, sich während der Nacht davonzuschleichen. Es war gegen elf Uhr nachts. Die Stadt, obgleich der Handelsmittelpunkt eines Bezirkes von etwa sechzigtausend Quadratkilometern, hatte keine Straßenbeleuchtung. Es liegt im Wesen des Mexikaners, sein persönliches Geld oder die öffentlichen Gelder lieber für Festlichkeiten, Bankette, Empfänge und Dekorationen der Straßen auszugeben als für Straßenbeleuchtung oder Wasser oder Kanalisierung seiner Städte. Mexiko City, eine moderne Millionenstadt, hat nachts kein Wasser, aber die Stadtverwaltung gibt leichten Herzens zweihunderttausend Pesos aus, um die Straßen und Plätze der Stadt für den Karneval zu dekorieren, und sie gibt eine halbe Million Pesos aus, um die Stadt für einen großen Nationaljahrmarkt während der Jahreswende festlich zu illuminieren. In einer Entfernung von weniger als hundert Kilometern nach jeder Richtung hin ist so reichlich trinkbares Wasser vorhanden, dass die Stadt täglich viermal völlig unter Wasser gesetzt werden und dabei jedes Mal das Wasser bis an die höchste Spitze der Kathedrale reichen könnte; aber weil der Mexikaner mehr Freude an Festlichkeiten, Dekorationen, häufigem Wechsel der Uniformen seiner Polizei hat, darum hat er des Nachts keine Wasserzufuhr; er kann seine Aborte des Nachts nicht spülen, kann vor sieben Uhr morgens nicht baden, und wenn nachts ein großer Brand ausbricht, kann der Brand nicht gelöscht werden.
Celso stand vorsichtig auf und schlich sich durch die Straße, um zu sehen, ob seine Häscher in der Nähe wären. Er sah weder sie noch irgendeinen Burschen, von dem er den Eindruck gewinnen konnte, dass er mit den Häschern arbeite.
Als er so die Umgebung sicher fand, schlich er sich wieder zurück zu dem Portico, wo er zu übernachten gedacht hatte, und nahm vorsichtig und leise seinen Packen auf.
Er erreichte den tiefen Schatten des Winkels zweier aneinander gebauter Häuser, von denen das eine weiter zurückstand als das andere. Hier in dieser Finsternis legte er sich die Riemen des Traggurts zurecht und nahm endlich den Packen marschmäßig auf.
So tief gebückt, als dies der Packen nur immer zuließ, eilte er nun, sich geschickt im Schatten der Häuser haltend, die Straße hinunter. Am Ende der Straße bog er nach links ab, um auf einen Pfad zu gelangen, der bereits außerhalb des Städtchens sich hinzog. Er gedachte, den Pfad so weit zu verfolgen, bis er in die Nähe des alten Friedhofes kam. Hier wollte er abermals links abbiegen, um auf einigen Kreuz- und Querpfaden den Maultierweg zu erreichen, der auf den Hochpass von Teultepec führte.
Aber als er das letzte Haus an der nordwestlichen Ecke der Stadt zur Seite sah, deutlich abgehoben gegen den schimmernden nächtlichen Himmel, und er einbiegen wollte hinüber zum alten Friedhof, sprangen vor ihm drei Burschen auf.
»He, du, Chamula«, rief einer, »wo willst du denn mitten in der Nacht mit dem gestohlenen Packen hin?«
»Nichts gestohlen«, sagte Celso stehen bleibend, »das ist mein Packen, und ich muss mich zeitig auf den Weg machen, wenn ich heute Nachmittag in Oshchuc sein will.«
»Wo bist du denn her, Chamulote?« fragte der zweite Bursche.
»Das geht dich einen Dreck an«, antwortete Celso.
»Bist hier schon dreist, mein Söhnchen«, sagte der dritte, und er stieß Celso mit der Faust in die Seite.
»Was wollt ihr überhaupt von mir?« fragte Celso, obgleich er wusste, was die Burschen wollten; denn selbst in der Dunkelheit hatte er seine beiden Häscher unter den Burschen erkannt.
»Wir können hier ebenso gut des Nachts auf dem Wege sein wie du, oder ist dir das nicht recht?« sagte einer.
»Freilich könnt ihr das«, antwortete Celso darauf, »und ich werde mich nun weiter auf meinen Marsch machen.«
Er wandte sich, zu gehen. Aber einer versetzte ihm einen solchen Fausthieb gegen den Kopf, dass Celso taumelte und von seinem schweren Packen niedergeworfen wurde. Ein anderer fiel über ihn her.
Celso wollte sich frei machen, und er balgte sich mit dem Burschen, der über ihn hergestürzt war, auf dem Boden herum.
Die beiden Häscher, als sie sahen, dass Celso am Erdboden lag und sich wehrte, um freizukommen, liefen ein paar Schritte auf die ersten Häuser der Stadt zu und schrieen wild: »Policia, policia, asesinos, Mörder, auxilio, Hilfe!«
Es war nun recht verwunderlich, dass keine Viertelminute verging und sofort zwei Polizisten zur Stelle waren.
Celso wusste, was ihm bevorstand. Er sprang auf und versuchte fortzurennen, ohne seinen Packen mitzunehmen. Aber der Bursche, der mit ihm am Boden raufte, war darauf vorbereitet. Er klammerte sich so fest an den Beinen, dass Celso wieder und wieder hinstürzte. Als er mit voller Kraft und mit einem heftigen Faustschlag sich endlich doch befreit hatte und ansetzte zu rennen, warfen die Polizisten, die nun ganz nahe heran waren, ihm ihre Knüppel zwischen die Beine, und einer der Häscher warf sich auf den strauchelnden Celso, riss ihn zu Boden und wälzte sich hier mit ihm herum, bis die Polizisten Celso fest am Arm packten und die Mündung ihrer Schrotflinten auf seinen Rücken pressten. Der Bursche, der sich mit Celso am Boden gebalgt hatte, schrie nun gellend: »Ermorden hat er mich wollen, der stinkige Chamula, gestochen hat er mich mit dem Messer, hier ins Bein, oh, ich armer, armer Mann, nun werde ich auch noch mein Bein verlieren. Ay, sergantes, hombres, hier habe ich das Messer, mit dem mich der Chamulote hat ermorden wollen und mit dem er mich gestochen hat. Hier ist das Messer.«
Celso wusste, dass er sein Messer im Packen hatte, wo es in einen Lappen eingewickelt war, zusammen mit dem getrockneten Fleisch.
Der eine der Polizisten sagte zu ihm: »Nimm deinen Packen auf, Chamula, wir gehen zum Jefe, zum Polizeichef, was der dazu sagt.«
Er wurde in die Amtsstube des Polizeichefs gebracht. Der Jefe saß da ohne Jacke, war seit einer halben Woche nicht rasiert und war betrunken.
»Was ist mit dem Chamula?« fragte er die Polizisten. »Schlägerei hier mit diesen Leuten.«
»Ich habe mich nicht geschlagen, Jefecito«, sagte Celso schüchtern. Den Packen hatte er immer noch auf seinem Rücken.
»Testigos, Zeugen?« fragte der Chef.
»Ja, drei, die sind hier«, sagte der Polizist und deutete auf die drei Bursche.
»Mich hat er mit dem Messer ins Bein gestochen, hier, hier oben«, sagte der eine der Burschen laut und hastig.
»In das Bein gestochen? Mit dem Messer? Wo?« fragte der Chef.
Der Bursche streifte das Hosenbein auf, und da war wirklich Blut an der baumwollenen Unterhose.
Er ließ auch die Stichwunde sehen. Aber er kam nicht dicht zu dem Tische des Polizeichefs, der infolge seiner Eingeweichtheit mit den Augen schläfrig blinzelte und wenig sehen konnte.
So kamen Umstände zusammen, die es für Celso, selbst wenn er im Umgang mit Autoritäten gewandter gewesen wäre, schwierig machten, zu beweisen, dass er hier nur eingekesselt werden sollte, so gut, dass er nicht entweichen konnte. Er war zu schüchtern im Angesicht des Polizeigewaltigen; denn er wusste aus Erfahrung, wenn er auch nur einen Zweifel an dem Verfahren geäußert hätte, so wäre er nicht nur angeschrieen worden, sondern er hätte sofort zehn Pesos aufgebrummt bekommen wegen Respektwidrigkeit gegenüber einer Behörde. Er hatte nur das Recht, ja oder nein zu sagen, nichts weiter.
Hätte er angedeutet, dass ein Agent hinter ihm her sei und dass jenes Agenten wegen, der ihn zu den Monterias erneut einfangen wollte, sich diese Schlägerei ereignet habe, so würde man ihn ausgelacht habe.
Er war, aus dem Bewusstsein heraus, ein armer indianischer Bursche zu sein, der vor dem Polizeichef als Angeklagter stand, so eingeschüchtert, so verwirrt, so verängstigt, dass er es nicht wagte, sich selbst die Wunde anzusehen, die er gestochen haben sollte. Er vergaß das in seiner Verwirrung. Und dass er es nicht wagen würde, in der Amtsstube der Polizei nach der Wunde genauer zu fragen, hatten seine Häscher voraus gewusst. Die Wunde war etwa sechs Stunden alt, schon gut eingetrocknet. Der Bursche, der die Wunde aufwies, hatte sie am Nachmittag bei einer Schlägerei in einer Cantina bekommen, von wem, wusste er nicht. Aber diese Wunde war den Häschern des Celso gelegen gekommen.
Sie hatten den Burschen für fünfzig Centavos gemietet, die Rauferei mit Celso zu unternehmen und die Wunde als Folge dieser Rauferei bei der Polizei anzugeben.
Am nächsten Morgen, wenn die Polizeiverhandlung des Celso war, sah die Wunde schon so aus, dass sie vortrefflich in die Zeugenvernehmung passte. Selbst ein Arzt hätte vielleicht nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Wunde dann zehn Stunden alt war oder sechzehn.
Celso brachte die Nacht im Polizeigefängnis zu. Als seine Häscher ihn so gut verwahrt sahen, gingen sie einen Comiteco trinken, und dann legten sie sich nieder, um ruhig und sorgenfrei zu schlafen.
Sie brauchten ihren Fang nicht mehr zu bewachen, die Behörde tat es nun für sie.
Infolge des Heiligenfestes war an jedem Vormittag auf dem Amtszimmer der Polizei reichlich Arbeit.
Schlägerei, Betrunkenheit, Streitigkeiten von Händlern untereinander und von Händlern mit ihrer Kundschaft, Diebstahl von Kleinigkeiten, kleine Betrügereien, Beleidigungen, Fehlen von Lizenzen, Fälschung von Lizenzen und Konzessionen, Steuerbetrug und Weigerung, den Befehlen von Behörden und Autoritäten zu folgen. Celso kam gegen zwölf Uhr an die Reihe.
Sein Fall lag sehr einfach. Die Zeugen waren da, wurden aber nicht vernommen, weil der Polizeirichter im voraus wusste, was sie sagen würden, und es darum nur Zeitvergeudung gewesen wäre.
Celso wurde von den beiden Polizisten, die ihn eingefangen hatten, vorgeführt.
»Du kommst von den Monterias, Chamula?« fragte der Polizeirichter.
»Ja, mi jefe.«
»Wie lange hast du da gearbeitet?« »Zwei Jahre, Patroncito.«
»Wegen Schlägerei mit tödlicher Waffe hundert Pesos Multa. Der nächste Fall.«
Celso wurde zu einem der Seitentischchen gerufen, wo der Sekretär saß.
»Hundert Pesos, Chamula.«
»Ich habe keine hundert Pesos, Patroncito.«
»Du hast doch aber zwei Jahre in den Monterias gearbeitet?«
»Ja, Patroncito.«
»Dann musst du doch aber wenigstens hundert Pesos haben.« »Ich habe nur etwa achtzig Pesos.«
»Gib die achtzig Pesos her. Für die zwanzig Pesos Rest und die fünfundzwanzig Pesos Polizei- und Gerichtskosten gehst du in die Carcel. Her mit den achtzig.«
Celso war in der Nacht nicht untersucht worden. Niemand von der Polizei hatte ein Interesse daran, was er in seinem Packen habe; wie viel Geld er habe, würde der Polizeirichter schon ausrechnen, falls es ihm nicht der Agent Don Gabriel vorher gesagt haben sollte.
Celso begann, sein Geld aus dem Wollgürtel auszudrehen und zählte es auf dem Tischchen auf. Er hatte etwa drei Pesos mehr als achtzig.
»Die paar Pesos kannst du vorläufig behalten, Chamula, damit du dir hier in der Carcel Tabak kaufen kannst und was du sonst brauchst. Beeile dich, damit du den Rest der Strafe herbeischaffst, dann brauchst du hier in dem Calabozo nicht so lange zu bleiben.«
Der Sekretär hatte recht. Celso brauchte nicht lange in der Carcel zu sitze.
Zwei Stunden später kam Don Gabriel, der Agent für die Monterias. Er wollte mit Celso sprechen.
Celso kannte ihn nicht.
Ein Polizist brachte Celso heraus, und Don Gabriel sagte zu ihm: »Ich möchte mit dir reden, Chamula, komm hier vor die Tür.«
Außen, auf der Straße, vor der Amtsstube der Polizei, war eine Bank. Don Gabriel setzte sich auf die Bank und lud Celso ein, sich neben ihn zu setzen. Er gab ihm eine Zigarette.
»Willst du einen Schluck nehmen, Chamula?« fragte Don Gabriel.
»Nein, patroncito, gracias.«
»Wie viel Multa hast du?«
»Hundert Pesos und fünfundzwanzig Pesos für die Kosten.«
»Wie viel hast du denn bezahlt?«
»Achtzig Pesos.«
»Alles, was du mit dir hattest?«
»Beinahe alles. Ich habe nur noch einige Pesos übrig für Tabak.«
»Für die fünfundvierzig Pesos, die bleiben, werden die dich hier wohl drei Monate in dem Calabozo halten.« »Das glaube ich wohl, Patroncito.«
»Die drei Monate, die du hier für die fünfundvierzig Pesos in der Carcel zu sitzen hast«, sagte jetzt Don Gabriel, »sind weggeworfen. Wenn du herauskommst, hast du nicht einen Centavo. Ich will dir etwas sagen, Muchacho, was ich für dich tun will. Ich werde die fünfundvierzig Pesos für dich bezahlen, und in fünf Minuten bist du heraus aus der Carcel.«
In fünf Minuten heraus aus dem Gefängnis. Dafür hätte in dieser Minute Celso zehn Jahre seines Lebens geopfert. Gegenüber diesen zehn Jahren, die er zu opfern bereit war, erschien es ihm ein Geschenk, als Don Gabriel sagte: »Du machst einen neuen Vertrag für die Monteria. Ich bezahle die fünfundvierzig Pesos, die schreibe ich auf dein Konto, dazu kommen meine Kommission, ich werde sie dir für fünfundzwanzig Pesos rechnen, und die fünfundzwanzig Pesos für die Stempelung, und ich gebe dir hier zehn Pesos in barem Gelde als Vorschuss. Du gehst nur mit hundertundfünf Pesos á conto in den Vertrag. Wenn du in der Monteria die hundertundfünf Pesos herunterverdient hast, dann ist aller weiterer Verdienst dein eigenes Geld.«
Für eine Sekunde wachte Celso auf. Wie lange es dauern würde, ehe er die hundertundfünf Pesos Vorschuss heruntergearbeitet haben würde, kam ihm für eine Sekunde zum Bewusstsein. Er rutschte unschlüssig auf der Bank hin und her.
Aber Don Gabriel zog die Schlinge, die sich öffnen wollte, rasch zu: »Du bist doch dann aber wenigstens draußen in der Sonne und im Grünen und liegst nicht hier in der Jauche der Besoffenen jede Nacht. Du hörst die Vögel singen und jagst gelegentlich rasch eine Antilope. Du bist ein sehr geübter Bursche mit guter Erfahrung. Wie viel haben sie dir bezahlt? Gut, ich mache dir den Vertrag mit sechs Reales.«
Zwei Polizisten schleiften einen Betrunkenen heran. Celso wandte sich um und sah, wie der Mann auf den Boden gepfeffert wurde und wie man die vergitterte Tür hinter ihm verriegelte. Er sah die Gesichter seiner Mitgefangenen hinter dem Gitter der Tür.
Ein Polizist kam und sagte: »Don Gabriel, ich muss den Gefangenen jetzt wieder zurückbringen, wir haben hier niemand zur Bewachung, alle sind auf der Plaza. Komm, Chamula!«
»Der Chamula geht mit mir«, sagte Don Gabriel, »ich gehe mit ihm hinein zum Jefe.«
»In Ordnung«, sagte der Polizist. Ohne eigenen Willen zu haben, folgte Celso Don Gabriel in die Amtsstube.
»Ich bezahle für den Chamula den Rest der Multa«, sagte er zum Sekretär. »Ich nehme ihn mit in die Monterias.« »Gut, gut, Don Gabriel«, sagte der Sekretär.
Er rief den Polizisten heran: »Der Chamula ist frei und kann gehen.«
»Muy bien, jefe«, sagte der Polizist. Er winkte Celso zu sich und sagte: »Komm und hol dir deinen Packen!«
Draußen wartete Don Gabriel. Er hatte den Vertrag bereits fertig. Seit gestern schon, weil er ja wusste, dass er gute Zutreiber hatte, auf die er sich verlassen durfte. »Hast du deine Sachen, Chamula?« fragte er. »Gut, gut. Dann wollen wir hier gleich zum Präsidenten gehen, um den Vertrag zu unterzeichnen und zu stempeln.«
Alle Behörden des Ortes waren in einem Gebäude. Dieses große Amtsgebäude nahm einen ganzen Häuserblock ein.
Don Gabriel brachte Celso zum Sekretär. Celso konnte nicht schreiben und machte ein paar Strichelchen dahin, wo der Sekretär mit dem Finger hintippte. Die a conto vorgeschossenen Summen erkannte Celso als richtig an, und um gar keinen Zweifel zu lassen, gab ihm Don Gabriel vor den Augen des Sekretärs die versprochenen zehn Pesos Vorschuss.
Als sie dann wieder im Portico des Amtsgebäudes standen, sagte Don Gabriel: »Du kannst dein Lager bei den übrigen Burschen machen, die mit mir in die Monterias marschieren. Die liegen da draußen «, Don Gabriel schleuderte lässig den Arm in jene Richtung, »da auf dem steinigen Gelände am Wege zum neuen Friedhof. Frage nur nach dem Engancho, nach dem geworbenen Trupp des Don Gabriel.
Ich werde euch Bescheid sagen lassen durch die Capataces, wann abmarschiert wird. Fortlaufen wirst du mir ja nicht. Ich kriege dich, und wenn ich dich aus dem Inferno, aus der Hölle, herausholen muss. Und was dir dann bevorsteht wegen Desertion, das brauche ich dir ja nicht zu sagen. Du bist doch kein Neuling. Warst ja zwei volle Jahre in den Monterias und kennst die Regeln. Hier, nimm dir das Päckchen Zigaretten, und hier ist auch noch eine Tafel Chicle, Kaugummi, damit dir die Zeit nicht lang wird und du die Zähne bewegen kannst. Mach dich fort zu den Burschen!«
Celso kam zu dem Lagerplatz und legte seinen Packen in der Nähe eines der Campfeuer ab, wo er Burschen seiner Nation fand.
Im Gefängnis hatte man ihm nichts zu essen gegeben. Man kann sich dort nicht um alles kümmern; die Gefangenen bekommen etwas, wenn die Polizisten Zeit und Lust haben. Celso hatte auch kein Verlangen gehabt zu essen. Er fühlte sich niedergedrückt wie ein gefangenes Reh, und würde das Verhungern nicht so lange dauern und einem nicht so viel Zeit lassen, es sich anders zu überlegen, hätte er vielleicht versucht, freiwillig sich durch Hunger zu töten.
Aber jetzt am Feuer, wo alle Burschen, wohin er auch blickte, kochten, aßen, lachten, schwatzten, wo er mit jeder Minute mehr das Gefühl von Verlassenheit und Gefangensein verlor, weil alle die Haufen von Burschen an demselben Strick hingen, an dem er hing, und weil selbst das Hängen einem weniger schauerlich erscheinen mag, wenn man in Gesellschaft anderer gehenkt wird, begann auch Celso sich wieder zurechtzufinden.
Er bekam Hunger und öffnete seinen Packen. Er kramte sein Essen heraus.
Die gequetschten Bohnen fingen an, schimmelig zu werden. Aber er hatte keine besseren. Er schnitt sich die Streifen getrockneten Fleisches klein und legte sie in die Pfanne, um sie zu rösten. Er erbat sich Wasser aus dem Kessel eines seiner Campgefährten und stellte sein Blechkännchen mit Kaffee gegen das Feuer. Lässig rührte er in der Pfanne herum und rückte das Blechkännchen hin und her.
Zuweilen blinzelte er und presste das Wasser aus den Augen; denn wenn ein leichter Windhauch gegen ihn blies, so kam ihm der Rauch des Feuers in das Gesicht. Weil er hier an diesem Feuer ein Fremder war, niemand ihn kannte, wurde nur wenig geredet. Man musste sich erst warm reden, ehe man ins Gespräch kam und gegenseitig Zutrauen gewann.
Als der Kaffee überbrodelte, blies er heftig in das Kännchen, um den aufkochenden Kaffee zurückzuhalten.
Dann stellte er das Kännchen weiter fort vom Feuer, aber genügend in die hervorgezogene heiße Asche, um den Kaffee warm zu halte.
Das Fleisch brutzelte in dem Fett, das er aus einem Blechfläschchen in die Pfanne geschüttet hatte.
Dann schien ihm das Fleisch heiß genug zu sein, und er mengte die schimmeligen Bohnen hinzu. Er klaubte einige grüne Pfefferschoten, den Chile, aus einem Lappen und pflückte von den Schoten kleine Stückchen ab, die er in die Bohnen warf, um sie zu würzen. Die Tortillas, die er hatte, waren alle bröcklig geworden; er konnte nur die Bröckchen in die heiße Asche legen.
»War einer von euch schon einmal in den Monterias?« fragte er beiläufig. Er konnte es den Burschen ansehen, dass sie Neulinge waren und von der Monteria nur das wussten, was ihnen erzählt worden war. Darum hätte er eigentlich nicht zu fragen brauchen. Er fragte auch nur, um denen, die das Feuer angefacht hatten und hier in gewissem Sinne die Gastgeber waren, zu offenbaren, dass er sprechen könne. Diese Frage, obgleich sie eine gute Zeit nach seinem Herhocken an das Feuer gestellt worden war, betrachtete er gleichzeitig als Gruß. Und als Gruß wurde sie von den Muchachos auch aufgenommen. Die Art, wie er an das Feuer gekommen war und wie er sich hier hingehockt hatte, ohne um Erlaubnis zu fragen, und das Gesicht, das er aufgesetzt hatte, ließen es keinem der Feuergefährten einfallen, mit ihm auch nur einen leichten Händel anzufangen. Er sah durchaus so aus, als ob er nur darauf warte, dass er einen Grund haben möchte, jemand das Maul mürbe zu hauen. Die Burschen, einer nach dem anderen, sagten: »Nein, hier von uns ist noch keiner in einer Monteria gewesen.«
»Ich war«, sagte er darauf, seinen Kaffee beobachtend, »zwei volle Jahre. Bin gestern zurückgekommen.«
»Und du gehst nun wieder in die Monterias hier mit uns?« fragte einer.
»Ja, ich gehe nun mit euch.«
»Dann gehst du diesmal freiwillig.«
»Genauso freiwillig, wie ihr geht, ihr Nenes, ihr Säuglinge von gestern.«
So lässig, wie er gekocht hatte, so lässig aß er nun. Obgleich das Essen kaum drei Esslöffel hätte füllen können, aß er dennoch wohl eine Stunde daran.
Zwei der Burschen waren inzwischen aufgestanden, hatten ihre Packen unter der Aufsicht eines dritten Burschen gelassen und waren losgetrottet zur Plaza, wo der Festlärm sich zu beleben begann, um gegen sieben Uhr abends seinen Höhepunkt zu erreiche.
Celso kramte seine Pfannen und Kännchen zusammen, wischte sie rein von Speiseresten, packte sie in das Netz und schnürte den Packen zusammen, nachdem er sich rohe Tabakblätter herausgeholt hatte.
Er drehte sich andächtig eine Zigarre, zündete sie an, rutschte einige Schritte weit fort vom Feuer, legte sich auf dem dürren Gras nieder, zog seinen Packen als Kopflehne heran und rauchte, dem leichten Nebel, in den die Tabakwolken rasch zerflatterten, nachsehend. Er versuchte, einige Fetzen des zerflatternden Nebels so weit zu verfolgen, wie es seine Augen vermochten. Aber der Nebel zerfloss, und Celso sah nur den weiten, offenen Himmel.
Celso begann sich wohl zu fühlen, so unter dem offenen Himmel liegen zu können und die Zuversicht zu haben, auch in den nächsten Monaten Himmel, Sonne, Sterne und den grünen Dschungel sehen zu können. Er wälzte sich unruhig einige Male auf dem mageren Boden, als er, angesichts des offenen Himmels, an die Carcel dachte, in der er drei oder vier Monate hätte zubringen müssen, wenn nicht Don Gabriel gekommen und ihn herausgekauft hätte.
Als er so lässig auf dem Erdboden lag, sorgenlos eine Zigarre rauchte, den Magen angewärmt von Pfefferschoten, gedörrtem Fleisch und Bohnen und reichlich heißem Kaffee, begann an Celso ein Gedanke zu rütteln. Erst zaghaft, dann deutlicher und endlich stark und mit Nachdruck. Celso konnte sich nicht gleich auf diesen wachsenden Gedanken konzentrieren. Der Gedanke schien sich bald hier, bald dort, in seinem Körper und in seinem Gemüt festsetzen zu wollen. Aber als Celso endlich völlig sorgenlos in den weiten Himmel sah, dessen Farbe mit dem nahen Untergang der Sonne sich brünstig vertiefte und sättigte, als er sich der Behaglichkeit der warmen, schimmernden Luft bewusst wurde und sich eine müde Schwere, die er seit vielen Stunden in seinem Kopfe gefühlt hatte, aufzulösen begann, als er sich freute, am Leben zu sein, da fegte durch seine Seele wie ein Hieb die Erinnerung an sein Mädchen und mit ihr die fünfzehn Kinder, die er ihr verschaffen wollte. Er riss hastig die Zigarre aus dem Mund, und mit einem Ruck setzte er sich auf.
»Verflucht«, sagte er, mit trockener Kehle, »verflucht, gottverflucht und gottverschitt. Die zwei Jahre sind um. Verflucht. Sie kann nicht warten. Sie wird alt, und niemand nimmt sie. Der Vater kann nicht warten. Nicht mehr. Er hat mir zwei Jahre gegeben. Zwei schöne, lange Jahre. Sie kann nicht mehr warten. Sie wird zu alt.«
Durch ewige Wiederholung seiner Worte versuchte er, sich die Situation klarzumachen, in die er geschlittert war, ohne auch nur einmal an das Mädchen zu denken. Er hatte nur an die Sonne und an den Himmel und an den grünen Dschungel gedacht. In diesen Himmel und in diese Sonne und in das Grün, an die er seit dem Augenblick, als man ihn in die Carcel stieß, gedacht hatte, war sein Mädchen mit einbegriffen gewesen, ohne dass er sich das Einbegriffensein in Einzelheiten klargemacht hätte.
Wenn er nach diesen weiteren zwei Jahren zurückkam, fand er sein Mädchen mit einem anderen Manne wohl und sicher versorgt. Das zu sehen hätte er kaum ertragen können. Viel härter aber war es zu ertragen, auf dem Gesicht des Mädchens und auf dem Gesicht ihres Vaters die bittere Anklage zu lesen, dass er sein Wort nicht eingelöst habe gegenüber dem Vater des Mädchens, dass er einen Treuebruch an dem Mädchen verübt habe. Er war verachtet nicht nur von dem Mädchen und von dessen Vater, sondern von allen Männern und Frauen im Dorfe, ohne deren Achtung er unter den Seinen nicht hätte leben können. Der Gedanke, dass er von denjenigen seiner Stammesmitglieder, die er schätzte, ehrte und liebte, verachtet werden könnte, wurde in ihm so unerträglich, dass er glaubte, es sei besser, zu sterben.
Freiwillig körperlich zu sterben ist für einen Indianer schwer. Es geht gegen seinen Instinkt. Er kann, gleich einem gefangenen Tier, so unendlich traurig werden, dass er nicht mehr isst und an Verhungerung zugrunde geht. Aber die Natürlichkeit seines Wesens ist so gesund, dass er einen Hungertod nicht bis zum Ende durchzuführen vermag. Der Erhaltungsinstinkt ist bei ihm noch nicht degeneriert.
Einen Tod freiwillig durch mechanische Mittel irgendwelcher Art herbeizuführen ist ihm in seinem Wesen fremd.
Dennoch kam er, im Gedanken an das Sterben, auf einen Ausweg, den er für gut und für den einzigen hielt. Er kehrt weder jetzt noch später in sein Heimatdorf zurück. Er gibt auch keine Nachricht von sich. So wird man daheim glauben, dass er in den Monterias gestorben und verschollen sei. Damit bleibt ihm das erhalten, was er gegenüber seinem Stamme am meisten schätzt: die Achtung seiner Sippe.
Nun ist Celso alles gleichgültig. Er gehört zu den Toten und kann tun, was ihm beliebt. Er ist tot, und einmal kann der Mensch nur sterben. Und weil ihm alles gleichgültig ist, kann er recht gut oben auf der Liste anfangen und von seinen Freiheiten, die ihm als Toten von Teufels wegen zustehen, gut Gebrauch machen.
Er kümmert sich nicht um seinen Packen, den er unbewacht am Feuer zurücklässt. Er geht auf die Plaza und kauft eine ganze Flasche Aguardiente. Wenn er schon mit dem Trinken beginnen will, so kann er ebenso gut es auch wirtschaftlich tun, um mit dem Gelde recht lange auszukommen, und in ganzen Flaschen ist der Branntwein immer billiger als in Gläsern, gleich, ob sie klein oder groß sind.
Er trank auf einen Zug die viertel Flasche, gab einigen indianischen Burschen, die vor der Tienda, wo er den Branntwein gekauft hatte, herumlungerten, einen Schluck zu kosten, und dann zog er wieder einen heftigen ein.
Nach einer Stunde bekam er Lust, irgendwen zu ermorden oder doch wenigstens niederzuschlagen.
Es blieb aber so viel Besinnung in ihm, dass er sich nicht einfallen ließ, nach Don Gabriel zu suchen, um seine Mordlüste an ihm zu befriedigen. So sinnlos berauschen kann sich kaum ein Indianer jener fernen Distrikte, um zu vergessen, dass einen Ladino anzugreifen weder zu den Rechten noch viel weniger zu den Gelüsten eines Indianers gehört.
Aber er begann in der dösenden Benommenheit seiner Sinne und seines Urteilsvermögens nach den beiden Zutreibern zu suchen. Er würde sich auch begnügt haben mit dem Burschen, der geschworen hatte, dass er von ihm ins Bein gestochen worden sei. Gegenüber diesen drei Burschen war kein Zweifel, dass, wenn Celso sie getroffen hätte, er sie geschlachtet haben würde. Aber entweder waren sie hinter anderen Opfern her, oder sie hatten Celso herumstreichen sehen, betrunken und mit Kampfgier im Gesicht. Seine Trunkenheit ließ es auch nicht zu, dass er mit Bedacht und Ausdauer gesucht hätte. Er wurde schwerfällig, und weil er sonst nicht wusste, wohin zu gehen, torkelte er zurück zu dem Camp.
Er hockte sich hier am Feuer hin, redete Unsinn, polkte Steine aus dem Erdboden heraus und warf sie gegen verkümmerte Sträucher.
Da kam zu dem Feuer ein Neuer. Es war Andres, der auch von Don Gabriel für die Monterias angekauft worden war und nun auf dem Felde nach den Gruppen suchte, die zu dem Trupp des Don Gabriel gehörten. Obgleich er nach Indianerart einen schweren Packen trug, so unterschied er sich in der Kleidung und im Hute von den indianischen Burschen, die hier lagerten und auf den Befehl zum Abmarsch warteten.
Celso hatte seine Wut an den Häschern nicht kühlen können. Aber der neuankommende Andres sah so aus, wie wohl ein Capataz zuweilen aussehen mag.
So kam es, dass er, um seine Wut zu kühlen, sofort den ankommenden Andres zu beschimpfen begann und gleich auf ihn losschlug, so heftig, dass es wirklich aussah, als ob Andres hier die Erde zu schlucken haben würde.
Aber Andres war harte Arbeit ebenso gewohnt wie Celso, und obgleich er bis auf das letzte Restchen seiner Kraft müde war von dem anstrengenden Marsch über das Hochgebirge, mit einem ungemein schweren Packen auf dem Rücken, so war er Celso dennoch überlegen, weil er völlig nüchtern und Celso betrunken war. Celso hielt nicht lange durch. Das Ende kam rasch und schmerzvoll. Er schloss Waffenstillstand und torkelte mit verbeultem Gesicht zu dem Bach, wo er seinen eigenen Doktor und seine eigene Krankenschwester machte.


VIERTES KAPITEL

Das Candelariafest hatte seinen höchsten Glanz erreicht. Es begann nun rasch zu erblassen.
Die Leute fingen an, nüchtern zu werden, nüchtern sowohl vom Trinken als auch von den lauten Freuden und den Genüssen, dem Tumult, dem Geschrei, dem Feilschen und dem verwirrenden Durcheinander und Übereinander des jetzt aufgewühlten täglichen Lebens.
Die Bewohner des sonst so stillen und abgelegenen Städtchens wurden nun ernstlich der wilden Jägerei der Händler müde. Sie sehnten sich nach ihrer behäbigen Ruhe zurück. Sie wurden so lau im Kaufen und so träge im Herumschlendern zwischen den vielen Verkaufstischen, dass die Händler zu gähnen begannen und froh waren, dass für den nächsten Tag das offizielle Ende der Feria vom Bürgermeister angekündigt worden war. Viele der Händler beeilten sich, aufzupacken und sich für den Abmarsch zu rüsten.
Nun wurden auch die Enganchadores, die Arbeiteragenten, rührig, ihre Trupps zu organisieren und für den langen, harten Marsch durch den Dschungel bereitzuhalten.
Mit Eile wurden die letzten Verträge auf dem Bürgermeisteramt bestätigt und gestempelt. Und mit noch größerer Eile fegten die Zutreiber hin und her, um noch einige Burschen in letzter Stunde einzufangen und in den Trupp zu bringen.
Don Ramon Velasquez war der Hauptunternehmer und der eigentliche Kapitalist des Trupps Ramo.
Don Gabriel, der für diesen großen Trupp durch rühriges Arbeiten, durch ungemein geschickte Kniffe, durch betrügerisches Schachern mit den Finqueros, mit Ortssekretären und Polizeichefs, durch süßes Locken, durch Versprechen paradiesischer Freuden und Genüsse, durch Branntwein und durch
aufgedrängtes Geldverborgen mehr als doppelt so viele Leute anzuwerben verstanden hatte als Don Ramon selbst, war hier nur Geschäftsteilhaber. Aber schon jetzt, ehe er die Früchte seiner Tätigkeit einkassiert hatte, nahm er sich vor, die Teilhaberschaft mit Don Ramon aufzukündigen und das Geschäft
allein zu machen. Er hatte zwar einen Kontrakt mit Don Ramon. Aber was kümmert man sich um Kontrakte und Verträge, wenn man bessere Vorteile erhaschen kann durch einen Bruch der Verträge. Don Gabriel war bereits so weit in seinen Gedanken angelangt, dass er, um den Kontrakt mit Don Ramon
lösen zu können, für die Sicherheit der Person des Don Ramon keine Bürgschaft mehr gegenüber der Heiligen Jungfrau hätte geloben können. Er wartete nur darauf, dass sich ein Umstand ergeben möchte, so dass er vor sich selbst sagen konnte, das Schicksal habe es so gewollt oder Gott habe es so gefügt und er selbst habe eben nur Glück gehabt.
Don Gabriel hatte bereits im vorigen Jahr Arbeiter für die Monterias angeworben, und zwar auch als Teilhaber des Don Ramon. Ehe er Teilhaber im Geschäft des Don Ramon geworden war, hatte er, durch Freundschaft mit dem Jefe Politico, eine Stelle als Ortssekretär einer indianischen Kommune innegehabt.
Im vorigen Jahr hatte er nur Arbeiter angeworben, diese Arbeiter am Candelariafest versammelt und hier in Hucutsin unter amtlich bestätigten Vertrag gebracht. Aber das Werbegeld, das die Monterias für jeden
angeworbenen Arbeiter zahlten, war beträchtlich höher, wenn die Agenten die Arbeiter in den Monterias selbst ablieferten. In einem solchen Falle hatten die Monterias keinen Verlust; denn die Agenten übernahmen das Risiko, dass die angeworbenen Arbeiter auch wirklich auf ihren Arbeitsplätzen eintrafen.
Wenn hingegen die Aufseher der Monterias die Arbeiter in Hucutsin übernahmen, so war es Aufgabe der Monterias, die Arbeiter in die Monterias zu bringen, und die Leute, die auf dem Marsche ausbrachen und flohen oder zugrunde gingen, hatte die Monteria als Verlust zu buchen, weil die Werbegelder in Hucutsin bezahlt worden waren und die Agenten das Risiko für das Eintreffen der Arbeiter nur bis Hucutsin übernommen hatte.
Obgleich die Aufseher der Monterias durchaus keine Schafhirten waren, sondern recht brauchbare Henkersknechte für die Kompanien, für die sie arbeiteten, so war dennoch ein Marsch der angeworbenen Arbeiter, der von jenen Aufsehern geführt wurde, ein Sonntagsspaziergang, verglichen mit einem Marsch, den die Agenten selbst übernommen hatten.
Wenn die Agenten auf dem Marsch Leute verloren, zahlte die Gesellschaft den Verlust nicht. Es ging aus der Tasche der Agenten. Zuweilen kostete ein einzelner Mann für die Agenten zweihundert, nicht selten dreihundert Pesos. Es waren Auslösegelder, Schulden, Geldstrafen, die von den Agenten bezahlt wurden, um den Mann freizubekommen und ihn anwerben zu können.
Don Gabriel würde wahrscheinlich schon in diesem Jahr die Teilhaberschaft mit Don Ramon aufgekündigt oder einfach zerrissen haben, um das vorzügliche Geschäft des Anwerbens allein zu machen.
Aber Don Gabriel kannte den Dschungel nicht. Er hätte sicher keine zehn Mann durch den Dschungel gebracht, wenn sie nicht freiwillig gegangen wären. Da er früher, in seinen jüngeren Jahren, Viehhändler gewesen war, so wusste er, wie man Vieh zum Markte treibt. Die Arbeitermassen wurden zwar durchaus
ebenso wie Vieh zu den Monterias getrieben. Aber es waren dennoch mehr Kniffe zu lernen, um den Trupp zusammenzuhalten, als für Viehtransporte zu kennen nötig war. Die indianischen Burschen, so eingeschüchtert sie auch waren, so verlassen sie sich auch fühlten, sie hatten, trotz der Kümmerlichkeit
ihres Lebens, trotz der völligen Unkenntnis, in der sie aufgewachsen waren, mehr Intelligenz als Kühe, Schafe und Schweine. So mochte es ihnen, ob es den Agenten gefiel oder nicht, gelegentlich beifallen, von der Krume Intelligenz, die sie noch übrig behalten hatten, Gebrauch zu machen und auf dem Marsche
zu verschwinden.
An der vollständigen Schulung, die Don Gabriel benötigte, um das Geschäft allein zu machen, fehlte ihm noch die Erfahrung des Transportes der Arbeiter zu den Monterias. Sobald er erst einmal mit einem so erfahrenen Agenten, wie es Don Ramon war, einen Transport geführt hatte, brauchte er Don Ramon nicht
mehr; dann hatte er ausgelernt und war Meister in diesem Fach. Das war der Grund, warum Don Gabriel so eifrig hinter Don Ramon hergewesen war, die Arbeiter nicht in Hucutsin abzuliefern, sondern sie bis nach den Monterias zu bringen. Und weil ein erheblich höherer Gewinn dabei in Frage kam, so ließ sich
Don Ramon leicht überreden. Im allgemeinen zog es Don Ramon immer vor, die Arbeiter in Hucutsin an die Vertreter der Monterias abzuliefern; denn er war mit den Jahren bequem geworden und scheute sich vor den Mühen des großen Marsches.
Man muss beide Wege kennen und auf beiden Wegen Transporte von Menschen geführt haben, um mit Gewissheit sagen zu können, ob ein Marsch über die Alpen oder ein Marsch durch jene Dschungel schwieriger ist.
Hannibal, der ein Heer über die Alpen führte, hat nie ein Heer durch die Dschungel Zentralamerikas geführt; und Cortez, der ein Heer durch jene Dschungel führte, hat nie Gelegenheit gehabt, eine Armee über die Alpen zu bringen.
Cortez verlor vier Fünftel seiner Armee, erreichte nicht die Ziele, die er sich auf jenem Marsch gesteckt hatte, und brachte einen Rest heim, der verzweifelter war als der Rest der Armee Napoleons, der von Russland zurückkehrte.
Der Marsch der Arbeitermassen durch den Dschungel kann nun freilich nicht verglichen werden mit dem Marsch eines Eroberungsheeres, Denn der Marsch ist kürzer, sein Ziel ist bekannt, und der Weg, so schlecht er auch sein mag, kann von den Eingeweihten gut verfolgt werden. Der Marschführer weiß, wie
viel Tage der Marsch dauert, und er kennt alle Verpflegungsmöglichkeiten.
Aber weil es sich hier um den Marsch von Menschen handelt, die nicht alle freiwillig gehen, weil sich alle gleich Sträflingen und Galeerensklaven fühlen, ohne Hoffnung auf ein Ende ihrer Strafzeit, darum hat ein solcher Marsch Schwierigkeiten, die sowohl Hannibal als auch Cortez erspart blieben.
Die Agenten, die jene angeworbenen Arbeiter durch den Dschungel führten, brauchten keine Strategen zu sein. Aber sie mussten in ihrer Weise ganz hervorragende Diplomaten sein. Es half ihnen nichts, einen Mann zu erschießen oder einen anderen so zu zerpeitschen, dass er liegen blieb. Das waren Verluste.
Sie mussten im Gegenteil jeden Mann zu erhalten suchen. Wenn es nicht anders möglich war, selbst mit Küssen auf den Hintern und Schokoladeplätzchen auf der Zunge. Sie mussten fähig sein, Streit zur
Zufriedenheit aller zu schlichten, damit sich die Streitenden nicht gegenseitig zerfleischten und so die Agenten gleich mehrere Mann auf einmal verloren. Sie mussten die Tränen stillen können von jenen, die Heimweh bekamen und nicht essen wollten und dann nach zwei Tagen so schwach waren, dass sie von
den Moskitos und Garrapatas lebendig aufgefressen wurden und verkamen, ehe man die Seen erreicht hatte. Sie mussten denen, die Gedanken zur Desertion in sich aufkommen ließen, mit gutgeölten Reden die Überzeugung beibringen, dass sich eine Desertion nicht lohnte, dass die Flüchtlinge auf jeden Fall wieder eingefangen würden. Die Agenten und Treiber mussten fähig sein, die Leute immer bei guter Laune zu halten, ihnen Witze zu erzählen und ihnen sogar Lieder vorzusingen. Und weil das beste Mittel, Menschen bei guter Laune zu erhalten, gutes und reichliches Essen ist, darum ließen es sich die Agenten,
die ja Gewehre hatten, nie verdrießen, auf die Jagd zu gehen, um für den Trupp gelegentlich frisches Fleisch zu haben. Der Dschungel war ja so unermesslich reich an wilden Schweinen, Antilopen, Fasanen und Truthühnern, dass mit einigem Jagdeifer die Agenten genügend Fleisch heranschaffen konnten.
Die Marschierenden wurden Tag und Nacht mit dem Revolver oder mit dem Karabiner bedroht, und es wurde in ihnen der Eindruck erweckt, dass die Agenten ewig den Finger sehr wacklig am Abzug haben.
In Wirklichkeit unterblieb das Schießen. Nicht aus Menschenliebe, sondern weil ein Schuss für den Agenten zu teuer wurde. Er hatte nicht zweihundert Pesos für den Mann ausgegeben, um ihn auf dem Wege bei der ersten Gelegenheit zu erschießen. Auch mit dem Auspeitschen auf dem Marsche wurde vorsichtig verfahren. Es war immer zu befürchten, dass ein zuviel gepeitschter Mann marschunfähig wurde, seinen Packen nicht schleppen konnte, dass seine Striemen zu eitern begannen und sich Blutvergiftung oder Genickstarre oder Eiterfraß einstellte und der Mann am Wege starb. Eine andere Gefahr des Auspeitschens war, dass der Mann störrisch wurde wie eine alte Mula, dass er streikte, sich am Wege hinsetzte und dann, gleich übermüdeten Mules und Eseln, weder durch Hiebe noch durch Stiche mit spitzen Hölzern, noch durch Verheißungen des Paradieses zum Aufstehen und Weitermarschieren gebracht werden konnte. Der Indianer verfällt dann in einen solchen Zustand völliger Gleichgültigkeit gegen die Umwelt und alle ihre Schmerzen und Freuden, dass er selbst dann sich weigert, aufzustehen und zu gehen, wenn ihm im Ernst gestattet würde, nach Hause zu gehen und frei zu sein von jeglichem
Vertrag. Er stirbt, und nichts kann ihn retten, weil er den Willen zum Leben aufgibt und ihn, einmal aufgegeben, nicht zurückgewinnen kann.
Aber wie der Revolver und der Karabiner immer und deutlich vor den Augen der Arbeiter hin und her blinkerten, so zwitschte gleichfalls alle paar Minuten die lange Peitsche der berittenen Agenten und der Treiber über die Köpfe der Marschierenden hin, damit die Leute nicht vergessen sollten, dass die Peitsche noch nicht vom Sattelkloben verloren gegangen war. Bei diesem Hinundherzwitschern der Peitschen fegte natürlich die eine oder andere Peitsche bald dem einen oder dem anderen über den Hals oder Rücken oder Kopf. Der Berittene, der die Peitsche sausen lieg, gab sich immer den Anschein,
dass er eigentlich keinen der Marschierenden habe treffen wollen, dass der Peitschenhieb eigentlich für die Mula, die er ritt, gemeint war. Sah der Bursche auf, um zu erfahren, wo der Hieb herkam, so traf sein Blick auf das Gesicht des Agenten. Der Agent war nicht böse, lachte und sagte gut gelaunt:
»Habe ich dich getroffen, Muchacho? Lo siento mucho, es tut mir sehr leid, aber ich musste meiner Mula eins draufgeben, die alte Ziege scheint von grünen Weiden zu träumen und wird schläfrig.«
Der Bursche war nie sicher, ob es wirklich so war, wie der Agent sagte, oder ob doch der Hieb für ihn bestimmt war und er nur zufällig auch die Mula getroffen hatte. Aber das lachende Gesicht des Agenten ließ ihn vergessen, dass der Schmitz der Peitsche auf dem Nacken brannte, und so nahm er es nicht übel
und sah sogar ein, dass er eigentlich einen Hieb recht gut verdient habe, weil er wirklich anfing, träge zu werden, und den Burschen, die ihm folgten, auf die Zehen trat.
Wenn die Treiber das gleiche taten, was die Agenten übten, so wurden die Burschen schon missmutiger.
Zwitschte ihnen ein Treiber einen über, so kam es darauf an, ob der Bursche noch sehr grün oder ob er schon durch andere Wasser gegangen war. Der grüne brummte nur und murrte; der andere aber, der mehr gesehen hatte als nur sein Dorf, fuhr sofort auf - »He, du Hurenbrut, noch mal einen Hieb und, verflucht noch mal, ich schmeiße dir einen Stein in die Fresse, dass dir nicht ein Zahn stecken bleibt.«
Daraufhin wurde selbst ein sonst großmäuliger Treiber, etwas weniger rasch im Peitschenzwitschern, und er suchte sich nur die aus, die ihm grün genug erschienen und wie die Ratten liefen, wenn er die Peitsche hochhob. Denn der Treiber, der während des Tages das Maul am weitesten aufhakte und sich wie ein Stierbändiger benahm, wurde gewöhnlich recht winzig, wenn die Nacht kam. Die Nacht im Dschungel ist verflucht schwarz. Und wenn hinter einem dicken Strauch ein Messer hervorflitscht, dem Treiber mitten in den Rücken, ohne dass er sieht, wer das Messer in der Hand hat, so ist das nicht so erfreulich für ihn wie der Peitschenhieb, den er so freigebig verschenkte und der ihn so belustigte, dass er noch Witze machen konnte über das verzerrte Gesicht des getroffenen Burschen.
Den Agenten geschah so etwas nicht. Wenn sie Hiebe austeilten, so nahm es ihnen keiner der Burschen übel. Der Agent hatte seine Sorgen, das sahen selbst die Burschen ein; aber die Treiber waren doch nur bezahlte Proleten so gut wie sie. Der Oberst ist gefürchtet, und der Soldat geht ihm aus dem Wege, aber der Unteroffizier ist gehasst, und er wird unauffällig in den Ursch getreten, damit er in die Schitt fällt.
Wie immer man es auch beurteilte, die Agenten waren kluge Diplomaten in der Behandlung ihrer angeworbenen Burschen. Mit so wenig Kräften so viele gesunde und oft erboste Männer durch den dichten Dschungel zu bringen, ohne erschlagen zu werden und ohne Burschen durch Desertion zu verlieren, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, das erforderte Gaben, die nicht jedem verliehen sind, Gaben, die selbst unter berühmten Heerführern selten sind.
Die Trupps waren nicht immer gleich groß an der Zahl. Es hing davon ab, wie viele Leute die Monterias benötigten, und davon, wie viele die Agenten hatten anwerben können. In diesem Jahr war der Bedarf an Arbeitern sehr hoch. Eine Fieberepidemie hatte etwa vier Fünftel der Arbeiter hinweggerafft.
Zahlreiche neue Lizenzen für Ausbeutung der tropischen Waldungen waren von Don Porfirio ausgegeben worden, und alle Lizenzen, die abliefen, waren erneuert worden. In den USA wie auch in Europa war eine rege Nachfrage nach Mahagoniholz; der Preis stand hoch.
Alles das trug dazu bei, dass die Monterias ihre Agenten beauftragt hatten, so viele Arbeiter heranzuschleifen, wie sie nur immer finden konnten. Ohne Arbeiter war ja leider auch die schönste und teuerste Lizenz wertlos. Wenn die Lizenz einmal erteilt und bezahlt war und wenn die Regierung einmal in ihrem Staatshaushalt eine hohe Ziffer aus den Einnahmen für Ausfuhrgebühren von Edelhölzern angesetzt hatte, so waren die Behörden mehr oder weniger verpflichtet, die Monterias in jeder Hinsicht in der Anwerbung von Arbeitern zu unterstützen. Diese Unterstützung bedeutete in allen Fällen Ungerechtigkeit oder Tyrannei gegenüber dem Individuum und der persönlichen Freiheit des
Individuums.
Denn wo es gerecht zugeht, wo beide Parteien, der Werber und der Angeworbene, sich einigen und sich über die Bedingungen, unter denen die Werbung und der Kontrakt sich vollziehen, friedlich verständigen, da ist eine Unterstützung der Behörden nicht vonnöten.
Der Trupp, in dem Andres und Celso marschierten, umfasste hundertneunzig angeworbene Arbeiter.
Unter diesen Leuten waren junge, sehr junge Burschen, wie auch Männer, die schon nahe an die fünfzig kamen. Es waren unter ihnen rüstige Leute und schwächliche, träge und hurtige und schwerfällige.
Es war eine der schwierigsten Aufgaben der Agenten und Treiber, den Trupp dicht zusammenzuhalten.
Die kräftigen Burschen durften nicht so weit vorausmarschieren, die schwächlichen und ungeübten sollten nicht so weit zurückbleiben.
Es erforderte Übung, einen solchen Trupp zu führen. Und es war eine der Tätigkeiten, die Don Gabriel auf diesem Marsche zu lernen gedachte. In dem Trupp marschierte gleichzeitig eine Karawane von hundertdreißig Maultieren, alle schwer beladen mit Waren, die nach den Monterias gebracht werden
sollten. Don Gabriel und Don Ramon hatten ebenfalls Waren aufgekauft, die sie in den Monterias mit hohem Gewinn weiterzuverkaufen gedachten. Sie verfügten über eine Karawane von achtunddreißig Tieren, alle beladen. Diese Tiere waren nicht ihr Eigentum, sondern sie hatten die Tiere mit den Arrieros,
den Karawanenführern, für den Marsch gemietet.
Es war den beiden Werbeagenten halb angenehm, halb unangenehm, dass sich die große Handelskarawane dem Trupp angeschlossen hatte. Unangenehm war es darum, weil sich an den Rastplätzen nicht genügend Futter für so viele Tiere gleichzeitig vorfand. An vielen Rastplätzen war überhaupt keine Weide, sondern die Leute mussten das Laub von den Bäumen rupfen und herunterschlagen, um die Tiere füttern zu können. Die Karawanen führten genügend Mais mit sich. So
reichlich in der Tat, dass auf je zehn Tragtiere drei kamen, die keine Ware trugen, sondern nur den Mais zum Füttern. Aber von Mais allein konnten die Tiere nicht leben. Sie bekamen dann leicht Kolik und Krämpfe und gingen verloren. Sie mussten sehr reichlich grünes Futter haben, um marschfähig und
tragfähig bleiben zu können.
Aus diesem Grunde war es für die Agenten unangenehm, so viele Tiere im Trupp zu haben, weil die Führer der Tiere, die jene Handelsgüter der Agenten trugen, zu hart arbeiten mussten und übel gelaunt waren. Aber kein Trupp wollte einen oder zwei Tage hinter dem ersten Trupp zurückbleiben. Denn in
einem solchen Falle fand der zweite Trupp alle Rastplätze abgenagt und abgefressen bis zum letzten dürren Hälmchen. Selbst bei einem so unglaublich raschen Wachstum, wie es im Dschungel der Fall ist, dauert es dennoch drei bis vier Wochen, ehe wieder genügend Laub auf den Bäumen nachgewachsen ist,
um Futter dicht beim Rastplatz zu finden.
So geschieht es, dass, wenn am Abmarschort zwei oder gar mehr Karawanen eintreffen, jede einzelne Karawane alle möglichen Tricks anwendet, um der nächsten Karawane vorausmarschieren zu können.
Weil aber keine Karawane hinter einer anderen um einen oder zwei Tage zurückbleiben will, des grünen Futters wegen, darum sind alle Karawanen am selben Tage frühmorgens um drei Uhr abmarschiert, und kein Trick, sei er auch noch so geschickt ausgedacht, hilft, um die eigene Karawane mit einem Tage Vorsprung marschieren zu lassen. Darum hatten sich hier alle Karawanen in diesem großen Trupp zusammengefunden, und alle marschierten am gleichen Tage ab.
Die Rastplätze sind nicht nach der Willkür von den ersten Karawanen, die hier marschierten, gewählt worden.
Ein Rastplatz muss zuerst einmal Wasser haben, oft ist es nur ein Regentümpel, übrig geblieben vom letzten Regen. Wasser ist nicht überall im Dschungel.
Der Weg ist über große Strecken hinweg so sumpfig, dass es schwer für die Tiere ist zu marschieren.
Hier ist keine Stelle zum Rasten, noch weniger zum Übernachten. Meilenlange Strecken sind so felsig und so gebirgig, dass auch dort kein Rastplatz ausgemacht werden kann. Andere lange Strecken sind aus allerlei Gründen verpestet von Moskitos, andere von großen Pferdefliegen. Kein Mensch und kein Tier vermag hier zu rasten. An den meisten Stellen ist der Dschungel so dicht, dass nur ein schmaler Pfad offen bleibt zum Marschieren, der natürlich nicht genügt, um hier zu rasten.
Die Rastplätze sind klug verteilt worden von jenen erfahrenen Karawanenführern, die hier zuerst gereist sind. So sehr lange ist das nicht her. Einige dieser Karawanenführer, die jene lange Reise nach den Monterias durch den Dschungel zuerst unternahmen, sind noch am Leben. Es ist kaum vierzig Jahre her. Und jene Pioniere kannten ihre Tiere; sie wussten, wie viel sie ihnen aufladen konnten und wie weit jeder Tagesmarsch gehen musste und wie weit er gehen konnte. Darum ist von jedem Rastplatz zum nächsten ein Tagemarsch für beladene Tragtiere. Weil aber der Weg an einzelnen Strecken infolge von Sümpfen und felsigen Bergen schwieriger zu marschieren ist als an anderen Strecken, so liegt der eine Rastplatz, nach der Entfernung gemessen, vielleicht näher als der andere. Aber die Marschdauer von dem einen Rastplatz zum nächsten ist so ziemlich die gleiche. Sie schwankt zwischen sechs und acht
Stunden.
Diese so beschränkte Verteilung der Rastplätze im Dschungel hat aber auch zur Folge, dass ein flüchtiger Arbeiter nicht entwischen kann. Wenn seine Flucht bemerkt ist und der Jäger, der hinter ihm her ist, ein Pferd hat, so kann der Flüchtling nicht entkommen. Im Dschungel nicht. Außerhalb des Dschungels ist es leichter. Aber im Dschungel ist er an einen bestimmten Pfad und an bestimmte Rastplätze gebunden. Wer den Dschungel kennt, weiß das.
Hatten die Karawanen, die sich dem Transport anschlossen, Nachteile für die Agenten, so hatten sie aber auch wieder ihre Vorteile.
Die Händler und die Muletreiber jener Karawanen waren keine angeworbenen Mahagoniarbeiter. Sie waren Ladinos, einige der Muletreiber konnte man vielleicht halbe Ladinos nennen. Und diese Leute vergrößerten den Generalstab und das Offizierskorps der Agenten. Sie waren in jeder Hinsicht eine Art
von Miliz oder Hilfspolizei. Denn sollte es geschehen, dass unter den Massen der angeworbenen Burschen eine Meuterei ausbrach, so waren die Händler und deren Muletreiber eine gute Waffenhilfe für die Agenten. Die Händler wie auch die Führer, der Karawanen trugen Revolver im Gürtel, und einige der
Händler und deren Helfer hatten außerdem noch Jagdgewehre bei sich. Aber weder diese Agenten hier noch irgendwelche andere Agenten, die Leute nach den Monterias führten, stellten je die Möglichkeit einer Meuterei in Rechnung.
Während der zwanzig Jahre, seit in jenen Regionen die Ausbeute der Edelhölzer betrieben wurde, hatte sich nur eine Meuterei ereignet. Diese Meuterei war der Grundstock der vielen Erzählungen schauerlicher Art, mit denen sich die Händler und Agenten die langen Abende vertrieben, wenn sie auf ihren Reisen
durch die Dörfer und Fincas waren und mit den Finqueros und Rancheros nach dem Abendessen im Portico saßen, rauchten und sich in Schaukelstühlen wiegten oder in Hängematten rekelten.
An den Lagerfeuern auf Reisen durch den Dschungel wurden meist solche Erzählungen vermieden.
Sie wurden vielleicht gelegentlich erwähnt, aber jeder beeilte sich, rasch auf eine andere Geschichte zu kommen, die sich zugetragen hatte in Gegenden, die weiter entfernt lagen, unter Umständen, die denen nicht so sehr ähnlich waren, unter denen sich die Männer, die am Feuer saßen, gerade befanden.
Wurden diese Geschichten an den Lagerfeuern im Dschungel erzählt, ebenso wie jene zahlreichen Geschichten, in denen Tiger Kinder und schlafende Erwachsene nachts vom erloschenen Lagerfeuer weggeschleppt hatten, so berichteten die Erzähler die Geschichten klar und eindeutig, wie sie sich
wirklich zugetragen hatten. Hier schwindelte niemand, und jeder vermied es sorgfältig, zu übertreiben.
Wenn aber jene Geschichten in den Ranchohäusern oder in den Herrenhäusern der Fincas aufgetischt wurden, dann erlebten die Ereignisse eine Erweiterung zu ihren Gunsten. Sie wurden ausgeschmückt, aufgeblasen, geschminkt und bemalt in einer Weise, dass sich jeder fürchtete, vom Tische aufzustehen und allein in den Garten zu gehen, um seine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen.
Ganz so lustig und vergnügt geht es freilich bei den wahren Erlebnissen nicht zu. jedenfalls wurde bei jener Meuterei recht ernsthaft gehandelt.
Don Anselmo Espindola war ein tüchtiger und erfahrener Agent. Er hatte den Auftrag übernommen, zwanzig oder fünfundzwanzig Mann anzuwerben und nach den Monterias zu bringen. Von den Fincas konnte er nur sechs Mann aufkaufen, weil er nicht vermögend genug war, das Geld für die hohen
Schulden anderer vorzustrecken.
Er kam in die Region der Baschajonteken, die in freien Dörfern und unabhängigen Siedlungen wohnen.
Hier brachte er wohl sechzehn oder achtzehn Mann auf, Leute, die aus irgendwelchen Gründen bares Geld benötigten, keine Aussicht hatten, das Geld zu beschaffen, und sich genötigt sahen, sich ein Jahr für die Monterias anwerben zu lassen, wofür ihnen sofort eine bestimmte Summe als Vorschuss ausgehändigt wurde. Don Anselmo konnte nicht auf das Candelariafest warten, um mit großen Trupps marschieren zu können und sich anderen Agenten anzuschließen. Er musste die Leute sofort zu den Monterias bringen.
Zur Hilfe hatte er einen Burschen von etwa fünfzehn Jahren.
Die mehr als zwanzig Indianer, die mehr oder weniger unwillig zu den Monterias zogen, waren infolge der Trennung von ihren Familien in der denkbar schlechtesten Laune; sie gehörten einem unabhängigen Stamme an, von dem bekannt war, dass seine Mitglieder aufsässige, störrische, angriffslustige, streitsüchtige Männer waren. Diese Leute zehn bis vierzehn Tage allein durch den Dschungel zu treiben war eine Aufgabe, die zu übernehmen sich ein gewöhnlicher Mann nicht erdreistet.
Dass Don Anselmo aber diese Aufgabe übernahm, ohne lange darüber nachzudenken, wie es ausgehen könnte, zeigt, dass er ein nicht alltäglicher Mann war; denn er kannte den Weg, kannte die Leute, die er führte, und er kannte deren Ruf und deren Charakter. Er sagte sich: Bekomme ich die Muchachos durch, habe ich ein gutes Klümpchen verdient; bekomme ich sie nicht durch, dann fressen mein Fleisch die Geier, die Ameisen und die wilden Schweine. Nehme ich mir drei Mann mehr zu Hilfe, verdiene ich nichts. Also muss ich allein gehen mit dem kleinen Würmchen von Jungen und sehen, wie es ausgeht.
Die drei Tage Marsch bis zu den ersten Bäumen des Dschungels, bis dort, wo der kleine Rancho lag, der die Reisenden mit den letzten notwendigen Lebensmitteln versorgte, ging es gut.
Verhältnismäßig gut, wie Don Anselmo zugestehen musste. Geölt freilich ging es nicht. Er bemerkte, dass gemurrt wurde, dass die Burschen unter sich stritten, dass nach jedem Rasten am Wege das Aufstehen und Weitermarschieren mit trägen und widerstrebenden Gesten begleitet wurde.
Aber er tröstete sich damit, dass es im Dschungel besser gehen würde. Don Anselmo hatte genügend Erfahrung mit solchen Märschen. Er wusste, dass die Burschen mit ihren schweren Packen auf dem Rücken und unter dem Einfluss ewig gleich bleibender Umgebung, und immer marschierend und rastend
und auf und wieder marschierend, in eine Monotonie verfallen, in einen Zustand, der wie Schlaf oder Hypnose ist, dass sie jegliche Denkfähigkeit zu verlieren scheinen und sich ihr Denken und Sorgen nur um den einen Punkt dreht: Wann wird der nächste Rastplatz erreicht?
Am ersten Tag im Dschungel heiterte sich die Stimmung der Burschen auf. Einer spielte auf einer Mundharmonika, einige pfiffen dazu, zwei kreischten und dachten, es wäre gesungen, hier und dort im Trupp wurde gelacht und ewig geschwätzt.
Am zweiten Tag waren die Leute gleichgültig, am dritten übel gelaunt. Sie sprachen kaum untereinander.
Die Burschen marschierten in langer Linie, Mann hinter Mann. Der Pfad ließ es nicht anders zu.
Don Anselmo hatte zwei Maultiere im Trupp, die sein geringes Gepäck und das des Jungen trugen sowie die Lebensmittel für die beiden und den Mais für sein Pferd, das des Jungen und für die beiden Tragtiere selbst.
Der Junge ritt an der Spitze. Hinter ihm trotteten die beiden Packtiere, und hinter denen ritt Don Anselmo.
Die indianischen Burschen marschierten teils dem Kern des Trupps, also den Tieren, voraus, teils marschierten sie hinter ihnen her.
Zuweilen, etwa zweimal in der Stunde und wo es der Pfad zuließ, hielt Don Anselmo sein Pferd an, stieg ab, zog die Gurte nach, stellte sich gegen einen Baum, zündete eine Zigarette an, stieg dann gemächlich wieder auf und ritt dem Zuge nach. Er tat das, als wäre es einer Laune wegen. Aber in Wahrheit tat er es, um den ganzen Zug zuweilen an sich vorbeimarschieren zu lassen, um zu zählen, ob nicht einer zurückgeblieben sei.
Am vierten Tage war es ungemein heiß. Die Burschen schienen sehr müde zu sein, oder der Marsch fiel ihnen infolge der Hitze und der schweren, feuchten, lastenden Luft im Dickicht besonders schwer.
Beinahe an jedem Bach hockten sie nieder, kühlten ihre Nacken, nahmen ihre Schalen hervor und tranken.
Don Anselmo sagte nichts zu diesem häufigen Rasten. Als sie aber innerhalb zweier Stunden zum dritten Male Rast machten, ihre Packen ablegten und sich zu verweilen begannen, rief er: »He, Muchachos, das geht aber nicht. Wenn wir das so weitermachen, dann erreichen wir heute Nachmittag den Rastplatz nicht, und wir können uns hier in den Morast am Pfade niederlegen.«
Einer der Burschen murrte etwas. Don Anselmo war klug genug, nicht zu fragen, was er meine.
Mehrere der Burschen taten, als hätten sie nicht gehört, was er gesagt habe. Sie rührten weiter lässig in ihren Schalen herum und ließen sich viel Zeit, ehe sie wieder aufzupacken begannen. Das taten sie so umständlich, als wüssten sie nicht, wie aufgepackt würde. Die Mehrzahl der Burschen jedoch beeilte sich,
nahm die Packen hoch und war bereits auf dem Marsche, als die übrigen noch am Bach hockten und ihre Schalen ausspülte.
Als der Marsch nun eine gute Weile fortgesetzt und Don Anselmo zurückgeblieben war, um zu sehen, ob niemand fehle, und als er dann wieder dicht hinter den Packtieren ritt, fiel es ihm auf, dass die Burschen merkwürdig still waren. Keiner sprach, keiner rief dem anderen etwas zu. Alle Burschen waren barfuss.
Darum war ihr Marsch geräuschlos. Das einzige Geräusch, das Don Anselmo wahrnahm, war das Knarren und Knistern des Sattelzeuges seines Pferdes und das Knirschen und Schaben der Packen auf den Maultieren.
Und jetzt, zum ersten Male in seinem Leben, empfand Don Anselmo Furcht. Eine ernsthafte, heftige Furcht. Er hatte allmählich begonnen, darüber nachzudenken, in welcher Lage er sich befand. Durch dieses Nachdenken begann seine Phantasie rege zu werden. Die Phantasie begann zu wuchern. Er stellte sich vor, was alles geschehen könnte und was alles mit ihm gemacht werden würde, wenn die Burschen meutern sollten.
Er zieht den Revolver aus dem Gurt, und während er lässig weiterreitet, prüft er, ob die Kammern gefüllt sind und der Revolver schussbereit ist. Er schiebt den Revolver zurück in den Gurt und zündet sich eine Zigarette an.
Aber die Burschen, die dicht hinter ihm marschierten, hatten die hastige Bewegung nach dem Revolver gesehen. Sie sahen sich an und zogen den Mund grinsend breit. Die hastige Bewegung des Don Anselmo nach dem Revolver hatte ihnen verraten, was Don Anselmo glaubte, für ewig verborgen zu halten: dass er Furcht hatte.
Am nächsten Bach, an dem die Burschen Rast hielten, sagte Don Anselmo nichts. Er ließ die Leute ruhig gewähren.
Eine halbe Stunde später kam der Trupp an ein Flüsschen, das von den ersten Karawanenführern, die hier eintrafen, den Namen Las Tazas erhielt, die Tassen, nach den merkwürdig geformten Gesteinen, die sich hier im Flussbett befinden.
Als die Burschen hier schon wieder alle ihre Packen ablegten und ihre Schalen hervornahmen und so den Anschein hervorriefen, dass sie gewillt seien, eine längere Rast zu halten, wurde Don Anselmo aufs höchste erbost.
Er rief mit schreiender Stimme: »He da, ihr faule Stinkbrut, vorwärts und marschiert, oder wir kommen nicht nach der Monteria bis vier Wochen nach dem Allerseelenfest. Los und Beine, ich werde euch sagen, wo ihr Halt macht!«
Er hatte sein Pferd mitten im Fluss angehalten. Die Tragtiere und der Junge auf seinem Pferde hatten bereits das nächste Ufer erklommen, und sie trotteten gerade hinein in das Dickicht, ohne einen Blick zurück zu tun, Die Tiere hatten kein Bedürfnis zu trinken, denn sie hatten während des häufigen Haltens des Trupps reichlich getrunken.
Don Anselmo kannte Indianer lange genug, um genau zu wissen, wann und wie oft sie trinken müssen, um marschfähig zu bleiben. Der Tag war sehr heiß. Aber der Indianer vermag stundenlang in viel größerer Hitze zu marschieren, ohne nach Wasser zu wimmern. Dass sie tranken, wann immer sie an ein Wasser kamen, hätte Don Anselmo ihnen so wenig verboten, wie er es seinen Pferden und Mules verbot.
Was ihn zur Wut brachte, war, dass die Burschen in den letzten drei Stunden an jedem Wässerchen eine solche Rast gehalten hatten, wie sie nur zweimal während eines Marschtages getan werden kann, wenn die gesteckten Rastplätze für die Nacht erreicht werden sollen.
Ein Baschajonteke, der auf einem jener Gesteinsgebilde im Wasser saß, schrie ebenso gellend, wie Don Anselmo geschrieen hatte: »Du gotteslästerlicher Hund von einem erbarmungslosen Teufel, du verbietest armen sterbenden Indianern einen Schluck Wasser, das uns von Gott hier an den Weg gebracht wurde. Zur Hölle und zu den Schlangen sollst du fahren, du Heidensohn einer Hure.« Dass ein Indianer, ein Peon, jemals so etwas zu einem Ladino hätte sagen können, würde Don Anselmo nie jemand geglaubt haben. Selbst wenn ein Indianer sinnlos betrunken sein sollte von dem elendsten Aguardiente, den eine unlizenzierte Branntweinfabrik in Jovel hätte ausquetschen können, so würde er etwas derartiges nicht sagen, nicht zu einem Ladino. Aber die Baschajonteken waren ja keine Peones, sondern Männer aus einer
unabhängigen Indianergemeinde.
Es durchfuhr Don Anselmo, dass Branntwein im Trupp sein musste. Auf andere Weise war das Verhalten der Burschen nicht zu erklären. In den ersten zwei Tagen auf Märschen war gewöhnlich Branntwein in den Packen. Aber die Leute machten so tüchtig und so unberechnend Gebrauch davon, dass am Abend
des zweiten Tages selten noch so viel übrig geblieben war, dass es zum Betrinken reichte.
Aber ob einige Burschen betrunken waren oder nicht, das kam jetzt nicht in Frage. Die Stimmung war geschaffen, und Don Anselmo wusste, dass es eine Meuterei war.
Der Junge war mit den Tieren nun schon ein gutes Stückchen voraus. Für einen Sekundenhauch dachte Don Anselmo, den Jungen durch einen Pfiff zurückzurufen. Aber zugleich kam Don Anselmo der Gedanke, dass er besser daran täte, den Jungen ruhig marschieren zu lassen; denn wenn der Junge
zurückkäme, würde auch er noch mit erschlagen. Und Don Anselmo betrachtete das als ein unnötiges Opfer.
Er war mit seinem Pferde mitten im Fluss, als er den Muchachos zurief, nicht schon wieder Rast zu halten. Da aber Burschen voraus waren während des Marsches und andere zurück, so hatte er in diesem Augenblick Burschen an beiden Ufern. Nicht nur das, es saßen auch mehrere Burschen zu beiden
Seiten auf den Tassen, jenen Steinen im Fluss.
Der Fluss war nicht tief an dieser Stelle, darum war hier die Furt. Das Wasser reichte den Burschen nicht ganz bis an die Hüften. Wenn sie geschickt waren, so konnten sie hier den Fluss überschreiten, ohne sich die Oberschenkel nass zu machen, dadurch, dass sie von einer Tasse zur nächsten Tasse sprangen bis zum gegenüberliegenden Ufer.
Don Anselmo war völlig umzingelt. Das war so rasch gegangen und so unerwartet geschehen, dass er es erst bemerkte, als er nicht mehr entweichen konnte. Jetzt half ihm auch nicht einmal mehr ein kühner Sprung mit dem Pferde. Die Tassen waren so ungleichmäßig im Fluss verstreut, dass, wohin er auch immer mit dem Pferde sprang, um das andere Ufer zu erreichen, das Pferd gestürzt wäre und sicher einen Beinbruch davongetragen haben würde.
Mit einem raschen Ruck hatte Don Anselmo den Revolver heraus. Er dachte nicht daran, den Mann, der das große Maul geführt hatte, zu erschießen. Er wollte überhaupt keinen erschießen. Das würde ihm vielleicht auch nicht viel genützt haben. Er zog den Revolver nur, um ihn schussbereit zur Hand zu haben, um sich die nächsten abzuwehren und vielleicht eines der Ufer zu erreichen, wo er ein Stück weit fortreiten konnte, um wenigstens Zeit zu gewinnen, einen Plan zu entwerfen und abzuwarten, ob nicht die
Burschen vielleicht sich beruhigen würde.
Aber alles vollzog sich anders, als er sich ausrechnete.
Im Augenblick, als er den Revolver zog, bekam sein Pferd einen ungemein heftigen Hieb mit dem Machete über den Schinken gerissen, von einem der Burschen, der mit einem Satz von einer Tasse heruntergesprungen und mit dem Sprung dicht beim Pferde war.
Durch den unerwarteten Hieb, den das Pferd erhalten hatte, bäumte es auf. Weil der Reiter das nicht erwartet hatte, so rutschte er ab und fiel in das Wasser. Da er der Länge nach hineinfiel, so ging er in dem Wasser unter. Er richtete sich auf und schleppte sich auf die nächste Tasse zu. Als er an der Tasse hochkletterte, um auf ihr stehen zu können und von da weiterzuspringen zum Ufer, sprang einer der Burschen von der gegenüberliegenden Tasse herunter, auf dieselbe Tasse hinauf, wo Don Anselmo sich gerade hochzuklimmen versuchte, und hieb ihm den scharfen Machete quer über das Gesicht. Ehe er zu einem zweiten Hieb ausholen konnte, kam ein anderer Indianer vom Rücken her und hieb Don Anselmo einen kräftigen Schnitt in die rechte Schulter. Der Hieb hatte in den Kopf gehen sollen. Hätte er das getan,
wäre der Kampf damit zu Ende gewesen, soweit Don Anselmo beteiligt war. Aber Don Anselmo hatte während des Hinaufklimmens zu der Tasse den Kopf im selben Augenblick auf die Seite gehalten, als der Hieb sauste. Der Hieb in die Schulter hätte gleichfalls sein Ende herbeiführen können.
Aber er trug eine Ledertasche an einem starken, breiten Riemen über der rechten Schulter, und gerade auf die Schulter hatte sich während des Hochklimmens die starke Eisenschnalle geschoben, die das Kürzen und Verlängern des Riemens besorgte. So hatte auch dieser Hieb seine Wirkung verfehlt, und nur ein dünner Schnitt war der Erfolg.
Don Anselmo winselte nicht um Gnade, flehte niemand an, den Vater seiner Kinder und den Erhalter seiner Frau doch nicht zu ermorden. Er war Mexikaner. Ehe die beiden Burschen wieder ausholen konnten, um ihn nun völlig in Stücke zu hacken, hatte er sich mit dem Oberleib völlig auf die Tasse gezogen und mit dem Revolverschaft dem Indianer, der ihm das Gesicht aufgehackt hatte, einen solchen Hieb gegen die Kniescheibe gepflastert, dass der Bursche für den Rest der Woche ungefährlich war. Mit einem Ruck weiter war Don Anselmo nun völlig auf der Tasse. Aber er richtete sich nicht auf. Er wusste, dass er einen der Burschen hinter sich hatte. Er brauchte es nicht zu sehen, denn er hatte ja den Hieb über die Schulter gefühlt. Sobald er sich auf die Tasse gezogen hatte, drehte er sich in einem kurzen, raschen Schwung um, und mit dem schwerbespornten Stiefel stieß er den Burschen, der schon wieder den
Machete hoch hatte, so nachdrücklich in die Eingeweide, dass der Bursche sich mit einem Aufschrei zusammenkrümmte, von der Tasse stürzte und sich im Wasser herumwand wie ein angeschossener Alligator. Auch er war für den Rest der Woche zu nichts zu gebrauchen.
Die Indianer haben wenig Organisationstalent. Das haben die Mexikaner von ihnen mit in das Blut bekommen. Darum sind sie ja auch nur die Bewohner von Mexiko, während sie andernfalls die Herren der beiden amerikanischen Kontinente sein könnten.
Und weil auch hier die Baschajonteken kein Organisationstalent bewiesen, so saßen die übrigen, die nicht unmittelbar am Kampfe beteiligt waren, ruhig auf ihren Plätzen und sahen sich den Kampf an, als wäre es eine Komödie im Zirkus. Es war ihnen viel angenehmer, der Komödie zuzusehen, als an ihr aktiven Anteil zu nehmen.
Dieser Mangel an Organisationstalent, der vor vierhundert Jahren die Ursache war, dass Fernando Cortez einer hoffnungslosen und verzweifelten Lage entschlüpfen konnte, war auch jetzt für Don Anselmo der Grund, dass er mit dem Leben davonkam. Nur einer oder zwei der übrigen Leute, die herumhockten und dem Kampfe zusahen, als ob er sie auch nicht das geringste anginge, brauchten aufzustehen, einen Stein zu nehmen und ihn dem Don Anselmo an den Kopf zu werfen. Mit einem Ast, der im Fluss dahinschwamm, hätte der schwächste der Burschen den Agenten erschlagen können. Es brauchte nur einer zu schreien: »Schlagt ihn doch schon endlich tot, den Hurenhund!«, und die Burschen wären alle über ihn hergefallen.
Aber niemand tat etwas gegen Don Anselmo. Die beiden, die am wütendsten gewesen waren, hatten jetzt mit sich selbst zu tun. Sie dachten nicht mehr daran, einen zweiten Angriff zu versuchen.
Und bei allen Burschen setzte sich rascher und rascher das alte Gefühl der Unterwürfigkeit, des Gehorsams und des Respektes gegenüber dem Ladino in die Hirne. Sie wurden ganz demütig, und Don Anselmo hätte sie nun alle, selbst die Angreifer, mit dem Zeigefinger heranwinken können, und sie wären gekommen.
Obgleich Don Anselmo fühlte, dass er die Situation durchaus wieder in der Hand hatte, dass er den Trupp jetzt sicherer zur Monteria bringen würde als vorher, so war er doch nicht fähig, das entfallene Kommando wiederaufzunehmen.
Der Hieb, den er mit der Machete über das Gesicht bekommen hatte, brachte ihn nieder. Die Stirn war aufgespalten, die Nase war geborsten, und die Backe klaffte bis ins Kinn hinein offen, so dass die Zähne frei lagen. Das dicke Blut strömte ihm über das Gesicht, dass er nichts sehen konnte. Er badete sich im
Fluss das Gesicht, aber das Bluten ließ nicht nach. Wie ein sterbendes Tier schleppte er sich zum Ufer. Er wäre jetzt nicht mehr fähig gewesen, sich zu wehren.
Als er sich am Ufer hochgezogen hatte, begann er sein rotgeblümtes Taschentuch ins Wasser zu tauchen, sich damit das Gesicht abzuwaschen und das Tuch auszuwringen und abermals das Blut abzuwaschen.
Medizin irgendwelcher Art oder Verbandzeug auf eine so gewöhnliche Reise mitzunehmen würde einem Mexikaner nur lächerlich erscheinen. Er würde sich schämen, es herauszuholen, auch wenn er es mit sich hätte, weil vielleicht seine Frau es ihm in die Satteltasche gesteckt hat. Mit Sicherheit würde er es in den Fluss werfen, sähe ihn jemand. Verflucht noch mal, er ist doch kein altes Weib.
Während der Revolution schnitten sich die mexikanischen Soldaten und Offiziere gegenseitig mit ihren Taschenmessern oder Macheten ihre zerfetzten Gliedmaßen ab, lachten dabei, rissen Witze und verzogen keine Miene. Es hätte ihnen nichts anderes geholfen; denn bei den meisten Revolutionstruppen gab es weder Ärzte noch geübte Krankenpfleger, noch Verbandzeug, noch Chloroform. An solche Dinge denken mexikanische Soldaten und Offiziere zuallerletzt, weil es überhaupt nur europäischer Unfug ist. In einer Revolution siegt man oder stirbt man, alles andere ist unwichtig.
Der Agent, gehasst von allen Burschen, erstens, weil er Agent ist, und zweitens weil er den Leuten nicht jeden Tag zwei gebratene Hühnchen und eine halbe Flasche Branntwein für den Weg gibt, hockt auf dem Rand des Ufers, durch und durch nass, seine klaffende Wunde im Gesicht mit einem Baumwollhalstuch
waschend und kühlend. Er ist völlig hilflos und wehrlos; infolge des Kampfes ist er ermüdet und hat auch nicht den geringsten Willen mehr, irgendwelchen Widerstand zu leisten, falls er nochmals angegriffen werden sollte; denn es fehlt ihm die Kraft, weil der Blutverlust, den er hatte und noch weiter hat,
körperlich und zugleich seelisch schwächt. Mit einem nassen Lappen könnte einer der Burschen ihn jetzt angreifen, und der Mann würde umfallen wie ein morscher Baum.
Ringsherum, auf beiden Ufern und auf den Tassen im Fluss, hocken die Sieger. Einige beschäftigen sich an ihren Packen, andere picken sich Sandflöhe aus den Fußsohlen oder suchen ihre Beine, Arme und nackten Oberkörper nach jenen ungemein feinen Stacheln ab, die sich im Dschungel von den Pflanzen abstreifen und die man kaum sehen kann, ihrer Feinheit wegen, und die dennoch so sehr schmerzhaft und belästigend sind. Um die beiden Burschen, die Angreifer, von denen der eine sich die Kniescheibe und der andere den Bauch massiert, kümmert sich niemand.
Die Sieger hocken da, unentschlossen in jeder ihrer Gesten, unentschlossen in ihren Gesprächen, die sie sehr leise führen, als wollten sie vermeiden, dass jemand erwache, und unentschlossen selbst in ihren Blicken, die sie gelegentlich auf Don Anselmo richten. Sie sind die Sieger, und nun wissen sie nicht, was sie mit dem Siege anfangen sollen. Sie können zurückgehen in ihre Dörfer, niemand hindert sie jetzt.
Wenn sie Don Anselmo den Gnadenhieb geben und ihn eingraben, versucht nicht einmal die Polizei, sie wegen Vertragsbruchs einzufangen; denn es ist kein Ankläger vorhanden, der den Antrag stellt. Sie können auch nun alle in die Monterias marschieren, nachdem sie Don Anselmo eingegraben haben. Sie
können freiwillig in die Monterias gehen und hier zu arbeiten beginnen. Da kein Agent da ist, der Ansprüche auf die vorgestreckten Vorschüsse bei der Verwaltung der Monteria erhebt, so erhalten sie nun den vollen Lohn ausgezahlt, und nach zwei Jahren können sie vielleicht eine schöne Summe mit sich nach Hause nehmen. Was aus Don Anselmo geworden ist, braucht keiner von ihnen zu wissen. Sie sind ja nicht seine Schutzgarde. Der Junge, der als Bursche des Don Anselmo im Trupp ritt, hat nichts gesehen, denn er war auf dem Wege voraus. Die Muchachos erzählen, dass auf dem Marsche Don Anselmo eine Herde wilder Schweine sah, dass er ihnen nachsetzte, eines oder zwei zu erjagen, weil es an Fleisch fehlte, und dass die Burschen am Wege einen ganzen Tag und eine Nacht auf ihn gewartet haben, dass er aber nicht wieder aus dem Dickicht des Dschungels hervorgekommen sei. Wahrscheinlich haben die wilden Schweine ihn zu Fall gebracht und ihn dann halb lebendig aufgefressen, oder er ist einem Löwen zur Beute gefallen, der auf einem Baume saß, unter dem Don Anselmo herging, und der Löwe ist auf ihn gesprungen. Oder er ist von einer Schlange gebissen worden und im Dschungel verkommen. Oder eine von dreihundert anderen Ursachen, die im Dschungel den Tod eines Menschen im Gefolge haben können, hat sich begeben.
Aber die Burschen hocken unschlüssig da, freuen sich im stillen, dass der Agent seine Prügel bekommen hat und nun einsehen wird, dass er nicht wie ein Despot über sie verfügen kann. Und mit dem Bewusstsein, dass sie, wenn sie wollen, selbst einen Ladino unter ihre Füße bringen können, geben sie sich zufrieden. Mehr wollen sie nicht. Drei Burschen, die am selben Ufer sitzen wie Don Anselmo, sprechen miteinander. Dann raufen sie grüne Blätter von bestimmten Pflanzen, die sie sorgfältig suchen, ab und kommen auf Don Anselmo zu.
Als Don Anselmo sie kommen sieht, ergreift er den Revolver, der neben ihm liegt. Er glaubt, dass die Burschen ihm nun den letzten Hieb geben werden, weil sie Äste in den Händen halten. Wenn es auch schon gestorben sein soll, so will er als guter Mexikaner denn doch nicht so ganz geduldig dahinsterben
wie ein kranker Hund. Es sollen wenigstens so viele mit ihm zur Hölle gehen, wie er im letzten Augenblick noch zu treffen vermag.
Er zielt nicht genau, denn seine Hand zittert, der großen Schwäche wegen, aber er hält doch so ziemlich richtig auf die Leute hin, und wenn ein Mexikaner ernsthaft im Sinne hat, jemand zu treffen, dem er Venganza geschworen hat, so trifft er auch dann noch, wenn ihm beide Augen verbunden sind.
Don Anselmo zog ab, aber der Revolver machte nur pfisch. Er zog ein zweitesmal ab, und der Revolver machte diesmal pfaff.
Don Anselmo fluchte sofort grässlich auf die Heiligen, rief den Teufel an und alle Donnerwetter und flehte im selben Atemzuge die Heilige Jungfrau an, alle Munitionsfabriken mit der Pest und mit den schwarzen Pocken und mit Syphilis zu schlagen, weil sie so schlechte Munition machen, dass ein Mexikaner nicht einmal mit seinem Revolver und seinem Patronengürtel ins Wasser fallen kann, ohne sofort wehrlos gegenüber allen seinen Feinden zu werden.
Alle Burschen hatten gesehen, dass der Revolver zweimal nicht losging. Damit war der Agent nun völlig entwaffnet, und die Burschen brauchten nun nicht einmal mehr einen nassen Bindfaden zu nehmen, um Don Anselmo von diesem traurigen Erdendasein zu befreien.
Aber auch jetzt rührten sich die Burschen nicht. Sie blieben hocken und sahen sich das alles interessiert an, wie sich Leute einen Film ansehen, ohne dass es ihnen einfallen würde, in den Geschehnissen des Films mitzuwirken.
Ob Don Anselmo erbleichte, als er sah, dass sein Revolver unbrauchbar war, und gleichzeitig bemerkte, dass alle Burschen es gesehen hatten, lässt sich nicht sagen. Denn sein Gesicht war an jenen Stellen, die dem Hiebe nahe lagen, von Blut gerötet, und die übrigen Teile des Gesichts und des Nackens waren infolge des Blutverlustes so bleich, dass sie auf keinen Fall bleicher werden konnten, auch wenn Don Anselmo sich erschreckt haben würde. Sicher darf man annehmen, dass er einer solchen Kleinigkeit wegen nicht erbleichte.
Ohne auch nur den geringsten Anschein zu erwecken, dass irgend etwas mit dem Revolver nicht in Ordnung sei, schwang er geschäftsmäßig die Trommel heraus, stieß die Patronen aus, schleuderte sie mit weiteren Flüchen auf die Munitionsfabrikanten in den Fluss, zog dann neue Patronen aus dem
Patronengürtel und schob sie in die Trommel. Er schloss die Trommel, warf den Revolver hoch, so dass er zweimal in der Luft überkugelte, fing ihn geschickt am Schaft wieder auf und steckte ihn nun mit einem energischen Ruck in den Gurt zurück. Er wusste, dass durch diese theatralische Handlung der Revolver auch nicht um ein Pulverblättchen nützlicher geworden war, denn die Patronen im Gürtel waren ebenso zerweicht, wahrscheinlich viel nasser als die Patronen, die zum Teil wenigstens von der Trommel geschützt waren. Er nahm an, dass die Burschen, die nur Vorderlader kannten und nur Vorderlader gebrauchten, wenn sie jagen gingen, nicht wissen würden, dass die Patronen aus dem Gürtel um nichts brauchbarer seien als die, die er in den Fluss geworfen hatte. Es war eine Kriegstaktik, die sehr alt ist, die aber Kriege gewinnen und Revolutionen in größerer Zahl verlieren ließ, als Geschichtsschreiber mitgeteilt haben.
Die Burschen, die auf den Agenten zukamen, waren stehen geblieben, als er den Revolver zog. Ob aus Mut oder aus Gleichgültigkeit oder weil sie wussten, dass ein Fortrennen nicht immer hilft gegen herumfliegende Revolverkugeln, war nicht zu sagen.
Dass der Revolver nicht losging, machte auf sie keinen Eindruck. jedenfalls zeigten sie sich nicht erstaunt.
Sie ließen Don Anselmo ruhig laden, während sie dort stehen blieben, wo sie waren, als Don Anselmo den Revolver hochnahm.
Als er den Revolver in den Gurt zurückgeschoben hatte, sagte der eine von ihnen, laut rufend:
»Patroncito, wir wollen Ihnen ja nur die Yerbas buenas, die heilkräftigen Blätter, bringen, um sie auf die Wunde zu legen, damit das Bluten aufhört, sonst bluten Sie sich hier ganz aus, Patroncito, liebes Herrchen.«
»Bueno, bueno, muchachos«, sagte Don Anselmo, während er das Halstuch im Wasser auswrang, »bringt die Yerbas her, werde sehen, ob sie gut sind.«
Wie alle auf dem Lande lebenden Mexikaner, die im steten Verkehr mit der indianischen Bauernbevölkerung leben, hatte er mehr Zutrauen zu der Heilkraft der Yerbas, die die Indianer gebrauchten, als zu den Medizinen in den Flaschen, Pulvern und Pillen.
Die Burschen kamen heran. Sie nahmen Steine, tauchten sie ins Wasser, damit sie abgewaschen würden von Erde, und dann stampften sie die Blätter und dünnen Zweigchen zu einem Brei. Sie halfen Don Anselmo, den Brei auf die Wunde zu legen, und dann halfen sie ihm, das rotgeblümte Baumwolltuch fest
darüberzubinden.
Als er verbunden war, drehte er sich um nach links und nach rechts und sagte: »Gottverflucht noch mal, und wo ist denn der verfuckte Hurensohn von einem Chivo, dieser elende Ziegenbock von einem Pferd hin?«
»El caballito esta detras de las otras bestias ya bien en el camino«, rief einer der hockenden Burschen, »das Pferdchen ist schon weit auf dem Wege hinter den anderen Tieren her!«
»Dann müssen wir ja nun wohl laufen bis zum nächsten Rastplatz«, sagte Don Anselmo, sich schwerfällig aufrappelnd.
Als er stand, taumelte er. Aber er fasste sich, schwankte mit zwei langen, schleppenden Schritten auf einen Baum zu und lehnte sich gegen ihn. Hier schüttelte er sich wie ein nasser Hund. Dann fluchte er erneut auf die Heiligen, auf die Regierung, auf die schlechten Geschäfte, die ihn zwangen, sich einem so gottversessenen Berufe wie dem, armen verschuldeten Indianern Arbeit und Brot zu geben, widmen zu müssen, und dann rief er-. »He, ihr Teufel und Hurenböcke, Cabrones und Diabolos, hat einer von euch Gesindel einen Trago, einen Schluck Branntwein? Her damit!«
Einer der Burschen, die auf den Tassen saßen, rief: »Tengo, patroncito, ich habe ein Fläschchen!«
»Ich hab's doch gewusst, ihr Puercos, ihr infamen Schweine, dass einige den gottverdammten Aguardiente mitschleifen. Dass dich die Heilige Allerreinste Mutter Gottes mit Blindheit und Knochenfraß schlagen möge, du Hundesohn, du gottverfluchter, komm her mit der Flasche!« Der Bursche zerrte die Flasche hervor, eilig sprang er über die Tassen und brachte die Flasche. Sie war noch
halb voll.
Don Anselmo korkte sie auf, roch daran und sagte: »Den hat die alte gemeine Hexe, Dona Emilia, in ihrem Schitthaus gebraut, ohne Lizenz, und was weiß ich, was sie hier alles hineingepisst hat, die alte Sau. Das Gebräu kenne ich. Mich hat nun Nuestro Senor Jesus Christus auch verlassen, dass ich diese Jauche der Dona Emilia hier schlucken muss.« Er sagte das alles nicht, um etwa die Burschen mit Witzen zu unterhalten, sondern er war im Zuge des Fluchens, und wer ihm jetzt in den Weg kam und was ihm in den Weg kam, wurde verflucht, damit er sich die Brust und wahrscheinlich auch die Schmerzen, die nun brennend wurden, abwälzen konnte. Ein sterbender oder schwerverwundeter Krieger oder Revolutionär, der gotteslästerlich flucht, ist des verstehenden Wohlgefallens eines großen Gottes sicherer als der Mann, der nach dem Unterrock seiner Mutter winselt und nach der Salbaderei eines Kaplans.
Stirb oder lebe, aber tue das eine wie das andere nachdrücklich und halte dich nicht bei dem Nebensächlichen auf!
Don Anselmo tat einen mörderischen Schluck. Dann setzte er die Flasche ab, spie die im Munde verbliebenen Reste in weitem Bogen aus und sagte: »Eine so gotteserbärmliche Jauche muss man hier trinken, wenn man kaum auf beiden Füßen stehen kann. Diese alte verhurte Schlutter, gehenkt sollte sie
werden für diese Schittjauche; sie schämt sich nicht, diese Pisse auch noch Comiteco Anejo zu nennen.
Gott wird ihr das schon heimzahlen, der Giftmischerin. Kein Wunder, dass bei einer solchen Jauche die Muchachos Dummheiten machen.«
Darauf setzte er an und zog einen zweiten Schuss durch die Kehle, heftig und ausdauernd wie den ersten.
Dann setzte er ab, spie wieder mit einem Fluch aus, guckte die Flasche an, hielt sie prüfend gegen sich, und als er sah, dass nur knapp zwei Finger breit in der Flasche geblieben waren, reichte er die Flasche dem Burschen, dem sie gehörte, zurück und sagte: »Gracias. Und wenn du dich nicht vergiften und deine Mutter eines Tages wieder sehen willst, dann trinke besser keinen Schluck mehr von diesem Aguardiente.«
»Si, patroncito, ja, Herrchen«, erwiderte der Bursche. Er nahm die Flasche, trug sie zu seinem Packen, packte sie sorgfältig zwischen ein Hemd und eine Hose, damit sie nicht etwa zerbrechen sollte, und riemte seinen Packen wieder zusammen.
»He, komm her!« rief Don Anselmo den Burschen zurück. Er langte in die Tasche, zog sein Geldbeutelchen hervor und sagte: »Hier hast du einen Toston für den Branntwein, den ich dir ausgetrunken habe.«
Don Anselmo fühlte in seiner Hemdtasche nach den Zigaretten. Er zerrte das Päckchen hervor, aber es war nur ein brauner Brei in dem zerweichten und auseinander gegangenen Papier.
»Ich habe Zigaretten, Patroncito«, sagte einer der Burschen, die in seiner Nähe standen. Er hatte keine Zigaretten in Päckchen, sondern nur die losen Zigaretten, die in gewöhnliches Papier anstatt in weißes Zigarettenpapier gerollt sind. Der Tabak ist vorzüglich, aber das gewöhnliche Papier macht ihr Rauchen nicht zum Vergnügen. Don Anselmo nahm die fünf Zigaretten, die ihm der Bursche reichte.
»Ich gebe dir am Abend in dem Parejo, am Rastplatz, ein Päckchen neue, ich habe genügend in den Packen.«
»Gracias, patron«, sagte der Bursche. »Soll ich das Pferd suchen gehen und zurückbringen, Patroncito?«
»Nein, das lasse nur sein, Muchacho. Das Pferd ist bei den übrigen Tieren und weit voraus. Ehe du wieder zurück bist, wird es Nacht sein. Wir werden alle marschieren.«
Don Anselmo zündete eine Zigarette an. Er rauchte mit Behagen, obgleich die Zigaretten verschwitzt waren von dem Schweiß des Burschen, der die Zigaretten in der Uhrtasche seiner Hose trug, wo sie unmittelbar gegen den Bauch des Burschen gepresst waren.
Als Don Anselmo einige Züge getan hatte, rief er: »He, Muchachos, nun aber los, vorwärts, auf den Marsch und gut getummelt. Wir müssen bis zum nächsten Rastplatz kommen, verflucht und verdammt, oder wir schlafen hier wie die wilden Schweine am Wege. Los, los!«
Ohne abzuwarten, ob die Burschen auch wirklich kommen würden, zog er den Hosengurt hoch, zog den Riemen fester an, stülpte den Hut auf eine Seite des Kopfes, weil er der Binde wegen nicht richtig sitzen konnte, und machte sich auf den Weg.
Zu Anfang ging es schlecht. Er schwankte mehrere Male, musste stehen bleiben und sich gegen einen Baum lehnen, um neue Kräfte zu gewinnen. Nach einer halben Stunde ging es besser. Er marschierte nun lustig drauflos. Nicht ein einzigesmal wandte er sich um. Er überließ es ganz und gar den Leuten, ob sie nachkommen wollten oder ob sie die Meuterei vollständig machten und heimkehrten.
Der Rastplatz war so gelegen, dass er auf den üblichen Märschen gegen drei Uhr nachmittags erreicht wurde. Don Anselmo kam zwischen sechs und sieben Uhr an.
Der Junge war ängstlich geworden, weil er niemand von dem Trupp sah. Aber weil der ganze Trupp zurückgeblieben war, meinte er, dass alles in guter Ordnung sei. Es verwunderte ihn nicht besonders, dass das Pferd des Don Anselmo allein angetrottet kam und von den übrigen Tieren, die bereits am Rastplatz waren, mit Schnauben und Prusten begrüßt wurde.
Als dann nach zwei Stunden weder Don Anselmo noch einer seiner Burschen kam, wurde der Junge unruhig. Aber er konnte nichts tun. Wenn er sich auf sein Pferd gesetzt hätte und zurückgeritten wäre, konnten die übrigen Tiere ausbrechen. Dann sagte er sich, dass Don Anselmo ja in Gemeinschaft von
mehr als zwanzig Burschen sei, die, wenn ihm etwas auf dem Wege geschehen sein sollte, ihn auf jeden Fall herbringen würden.
Nach einer Weile unschlüssigen Wartens lud der Junge die Tiere ab, sattelte die Pferde ab, ließ sie sich wälzen, dann nach Gras suchen, richtete das Lager notdürftig unter einem Palmenschutzdach her, zündete endlich das Feuer an und begann, Bohnen, Reis, Trockenfleisch und Kaffee zu kochen. Dann kam Don
Anselmo. Er fiel gegen das Feuer. Der Junge rückte ihm den Sattel heran, damit sich Don Anselmo dagegenlehnen könnte. Dann gab er ihm Kaffee zu trinken.
»Que pasa, Don Anselmo? Was ist Ihnen zugestoßen?« fragte der Junge. Don Anselmo trank den heißen Kaffee, schob einige trockene Tortillas in das Feuer und sagte: »Eh, nichts von Wichtigkeit. Kaum darüber zu reden. Ein paar der Muchachos hatten sich besoffen. Und ich habe eins mit dem Machete über
den Kopf gekriegt. Das ist alles. Du weißt ja, wie das geht. Da ist es dann spät geworden. Und während ich mir das Blut hier abwaschen wollte, da ist das Pferd allein losgegangen. Das ist alles. Es todo.«
Don Anselmo sah hinüber, wo der Pfad auf den Rastplatz traf. Die Burschen kamen an, einzeln, einer nach dem anderen. Es wurde nun rasch finster. Und ehe der letzte der Burschen angekommen war, war die Nacht völlig hereingebrochen.
Auf dem Rastplatz sah man nur die flackernden Feuer und das Hinundherlaufen der Burschen, ohne sie zu erkennen.
Don Anselmo wusste nicht, ob alle Burschen hier waren, ob sie später, vielleicht erst morgen kommen würden. Am nächsten Morgen, lange vor Sonnenaufgang, war das Lager rüstig. Einige der Burschen fingen die verstreuten Tiere ein und halfen dem Jungen beim Aufladen.
Dann wurden alle Feuer ausgelöscht und ausgetreten und mit Erde beworfen. Don Anselmo rief: »Los, Muchachos!«
Er saß bereits im Sattel, und der Junge trieb die beiden Tragmules vor sich her. Don Anselmo folgte hinter dem Jungen. Dann hieß er den Jungen, sobald sie auf dem Wege waren, wieder voranreiten, um den Tieren Führung zu geben, und er ritt hinter ihnen. Sowenig wie er sich gestern am Fluss gekümmert hatte, ob die Burschen kamen oder nicht, sowenig er sich am Abend gesorgt hatte, festzustellen, wie viele Burschen gekommen waren, sowenig bemühte er sich jetzt darum, zu erfahren, wie viele Burschen auf dem Wege waren.
Seine Wunde schmerzte heftig. Er hatte die Binde nicht abgenommen in der Nacht. Sie klebte nun fest, und wenn er eine unvorsichtige Bewegung mit dem Kopfe tat, riss das an der Wunde und erhöhte den Schmerz. Am Abend hatte er die kurze Wunde an der Schulter untersucht. Sie war nur einen Finger lang
und einen halben Zoll tief. Darum legte er keinen Wert darauf, sie war zu unbedeutend.
Der Trupp erreichte die Monteria. Und jetzt fand es Don Anselmo notwendig, die Burschen, die er brachte, zu zählen. Er hatte nur vier verloren. Vier Baschajonteken, von denen zwei jene Burschen waren, die ihn angegriffen hatten. Er ließ sie auch später nicht einfangen wegen Vertragsbruchs. Er betrachtete sie als Verlust, als wären sie auf dem Marsche gestorben. Er sagte, einer der Burschen habe ihm die Wunde mit der Machete versetzt und sei dann desertiert. Die näheren Umstände erwähnte er nicht. Sie kamen aber dennoch mit der Zeit zur weiteren Kenntnis; denn die Burschen erzählten den Vorgang
anderen Burschen.
Die Narbe hat Don Anselmo heute noch; sie ist so kräftig, dass sie niemand übersehen kann und er sie nicht zu verstecken vermag. Wenn jemand nach ihm sucht und ihn nicht kennt, so wird gesagt:
»Der Mann mit dem zerfetzten Gesicht, du kannst ihn gar nicht verwechseln mit einem anderen.«
Don Anselmo ist heute noch Werbeagent für die Monterias. Und ein Dutzend Mal seit jenem Marsche hat er ein halbes Hundert Burschen, nur von einem Jungen begleitet, durch den Dschungel in die Monterias gebracht. Er tut es nicht aus Vergnügen oder aus Abenteuerlust. Aber er hat eine Familie zu erhalten.
Es ist das einzige Geschäft, das er versteht und das genügend Geld einbringt, um seine Familie zu ernähren und zu kleiden.
Immer wenn er glaubt, dass nun das jüngste Mädchen endlich aus dem Schlimmsten heraus sei und er daran denken könne, sich einen kleinen Laden zu kaufen und den Rest seines Lebens ruhig in der behaglichen Nachbarlichkeit einer kleinen Stadt zu verbringen, da sagt seine Frau: »Du, ich glaube, das nächste ist wieder ein Junge.«
Was bleibt ihm übrig? Er muss wieder Arbeiter anwerben und sie zur Monteria führen. Er hängt so gut an seiner Kette, wie die Burschen, die er anwirbt, an ihrer Kette hängen, und wenn er nicht seinen Kopf besser gebrauchen könnte als jene Indianer, die er zu den Monterias bringt, dann könnte es geschehen,
dass er nicht als Werber zur Monteria käme, sondern als Angeworbener.


FÜNFTES KAPITEL

Zuweilen werden Menschen, die sich bei ihrer ersten Begegnung verprügeln, später die besten und zuverlässigsten Freunde.
So trug es sich auch zwischen Andres und Celso zu. Noch vor dem Abmarsch, als Celso wieder genügend nüchtern geworden war, um die Umwelt mit klaren Augen zu sehen, hatte er sich mit Andres ausgesöhnt.
Er verstand es, Andres klarzumachen, dass dieser ebensoviel Schuld an der Prügelei trug wie er selbst.
Andres hatte durch seine lange Jahre währende Tätigkeit als Carretero völlig die Gewohnheiten und die Art des Sprechens der Indianer der kleinen Dörfer abgestreift. Er erweckte durch die Art, wie er sich kleidete und wie er sich unter den Ladinos bewegte sowie dadurch, dass er lesen und schreiben konnte, bei jedermann den Eindruck, dass er zu der Klasse gehöre, aus der die Monterias und die Kaffeeplantagen ihre Aufseher und Capataces und bevorzugten Arbeiter holen, von denen man einen gewissen Grad von Intelligenz erwartet.
So war es durchaus natürlich, dass Celso in Andres, als er sich dem Lagerfeuer der Monteriaarbeiter näherte, einen Capataz, einen Spion und Aushorcher und Angeber der Arbeiter erblickte. Und weil die Wut, die Celso gegen die Capataces fühlte, ihren Höhepunkt erreicht hatte, so war es zu entschuldigen, dass er Andres scheinbar ohne Ursache angriff. Andres verstand das Verhalten des Celso, als er dessen Geschichte kannte, besser, als manch ein anderer es verstanden haben würde. Er war ja wie Celso auch ganz ohne Schuld und ohne etwas dagegen tun zu können in die Fänge eines Werbeagenten, in die des Don Gabriel, geraten. Er war der Finca, zu der er gehörte wie die Viehherden und wie das unbewegliche Land, durch mehrere Umstände entkommen. Einmal für längere Zeit dieser Halbleibeigenschaft ledig und fern der Finca, wo die Macht der Finqueros geringer ist und wo das gleichzeitige Nebeneinanderbestehen von freizügigen Arbeitern und von gebundenen Arbeitern undurchführbar ist, geht der indianische Landarbeiter und seine zukünftige Familie der Finca verloren.
Aber die Finqueros mögen zuweilen einen Peon scheinbar entweichen lassen, sie werden immer, wenn sie glauben, dass es für sie günstig sei, Mittel und Wege finden, den Peon wieder zurückzubringen zu dem Erbgut der Finca.
Auf der Finca, von der Andres stammte, lebten der Vater, die Mutter und die jüngeren Geschwister des Andres. Der Vater des Andres hatte bei dem Finquero Schulden stehen, und der Finquero beschloss, die Schulden des Peons, der ohne Vermögen und Besitz war, dadurch einzutreiben, dass er ihn für die
Schuldsumme an einen Werbeagenten der Monterias verkaufte. Der Mann wurde ältlich und war wahrscheinlich nicht mehr lange als vollwertige Kraft anzusehen. Das sagte auch der Agent Don Gabriel.
Aber der Finquero beruhigte Don Gabriel über diesen Punkt: »Habe keine Sorge, du brauchst den Alten nicht zu nehmen, du bekommst den Jungen, kräftig und gesund wie ein vierjähriger Stier.«
Der Junge kam auch wirklich und übernahm den Vertrag seines Vaters, weil er es nicht ertragen hätte, seinen Vater in der Monteria verkommen und sterben zu wissen.
So erhielt der Finquero die Schuldsumme in bar ausgezahlt von dem Agenten, gleichzeitig konnte er seinen Peon, den Vater des Andres, behalten, und damit hielt er auch die heranwachsenden jüngeren Geschwister des Andres auf der Finca fest und mit Sicherheit die Familien, die jene heranwachsenden Kinder in wenigen Jahren gründen würden. Eine Finca ohne ständige Arbeitskräfte ist wertlos, und die einzigen Arbeitskräfte, die eine Finca in jenen Regionen haben kann, sind die Familien, die zu jener Finca gehören.
»Du bist ebenso tief in der Schitt wie ich, das will ich dir schon sagen«, meinte Celso, als Andres ihm erzählte, wie er zu dem Trupp gekommen sei.
»In jeder Hinsicht sind wir tief drin; du hast ein Mädchen auf dich warten und ich habe eines auf mich warten; beide werden wohl warten können, bis ihnen das kleine Mäuschen vertrocknet ist«, sagte Andres.
»Ich bin immer noch ein wenig besser dran als du«, erklärte Celso. »Ich kann fortlaufen, mein Vater braucht nicht zu büßen, ich habe auch keinen Bürgen, den sie holen können für mich. Aber bei dir, bei dir muss dein Vater heran. Und dann bist du genau da, wo du warst, als du noch bei deinen Karren arbeitetest
und dein Mädchen neben dir auf dem Sitz saß.«
»Aber, du Esel, warum rennst du denn nicht fort«, fragte Andres, »wenn weder dein Vater noch sonst wer für dich heran muss?«
»Esel, Esel du. Wo will ich denn hin? Wenn ich mein Mädchen haben will, muss ich ins Dorf zurück.
Sie verlässt das Dorf nicht. Dort ist ihr Land, und dort sind ihr Vater und ihre Mutter. Und gehe ich zurück nach dem Pueblocito, hat mich die Polizei am nächsten Tage, schleift mich zurück zur Monteria, ich kriege fünfhundert übergezogen oder vielleicht tausend und sitze mit hundert Pesos für das Einfangen tiefer drin. So dumm bin ich nicht. Und wenn ich nicht in den Pueblo zurück kann zu dem Mädchen, was hat es für einen Sinn, irgendwo anders hinzugehen. Überall musst du arbeiten und verflucht hart arbeiten.
Nicht ein Centavito wird dir geschenkt. Dann kann ich ebenso gut in der Monteria arbeiten. Fortrennen. Frei bewegen nach eigenem Gutdünken! Wohin? Von einem Arbeitsplatz zum anderen. Der Lohn ist doch kaum sehr verschieden. Kaffeeplantage, Monteria, Carreta, Arriero und Muletreiben. Wie viele Jahre hast du als Carretero gearbeitet, sagst du? Nun gut. Kannst du dir vielleicht nun eine Milpa kaufen, ein ganz kleines Stückchen Maisfeld? Schitt. Nichts. Nichts hast du.
Jahre und Jahre hast du Carretas gefahren und gearbeitet, härter und mehr als alle deine Ochsen, und nun kannst du nicht einmal für deinen Vater auf der Finca die Schulden bezahlen, und du hast noch sogar die Schulden mit in den Vertrag überschreiben lassen müssen, die du bei deinem Fuhrherrn hattest.
Fortrennen? Sage mir wohin. Hier, nimm die Zigarre, ich weiß sie besser zu drehen als du. Das wirst du auch in der Monteria lernen, wie man gute Zigarren dreht.«
Am ersten Tage kam der Trupp bis zu einer kleinen Rancheria. Ihr Name war Chiquiltic, ein indianisches Wort, das heißt: kitzlige Stelle. Das Herrenhaus war eine Lehmhütte, die auf einer Anhöhe stand, von wo aus der Besitzer alle die ärmlichen Hütten seiner Peones übersehen konnte, die weiter unten lagen.
Der Trupp lagerte sich teils auf der Neigung der Anhöhe, teils unten zwischen den Hütten der Indianer, teils am Rande der Waldung, teils sogar ein Stück in die Waldung hinein.
Obgleich der Marsch nicht allzu hart gewesen war, so galt die Strecke als die übliche Jornada, die Tagesleistung. Auf dem Wege war ein Fluss zu kreuzen. Das machte schon viel Arbeit. Alle Tiere mussten da abgeladen werden. Die Lasten wurden auf den Köpfen der Burschen an das andere Ufer getragen. Wären die Lasten auf den Rücken der Mules geblieben, so wären sie zerweicht; denn das Wasser stand so hoch, dass es den Leuten bis an den Hals reichte.
Auf der anderen Seite musste den Tieren etwas Zeit gegeben werden, dass sie trocknen konnten, um zu vermeiden, dass sie sich zu leicht wundscheuerten. Dann musste wieder aufgepackt werden. Das alles nahm eine gute Zeit in Anspruch und kürzte den Tag, so dass es schon weit in den Nachmittag hineinging, als der Trupp in Chiquiltic ankam.
Andres und Celso hockten am selben Lagerfeuer.
»Sieh einmal zu«, sagte Andres, »ob du für zehn Centavos Manteca, Fett, oben im Haus oder in einer Hütte kaufen kannst. Hier, nimm diese Blechflasche.«
Celso machte sich auf den Weg. In allen Hütten wurde gehandelt. Eier, gedörrtes Fleisch, Fett, Tortillas, ChilePfefferschoten, Rohzucker.
Als er endlich mit dem gekauften Fett zurückkam, sagte er: »Wir haben einen Neuen.«
»Was Neuen?« fragte Andres.
»Einen neuen Geschnappten. Wieder einer ganz freiwillig, der in die Monteria geht. Er ist hier zwei Tage herumgelungert in der Rancheria und hat auf den Trupp gewartet. Er ist auf Don Gabriel zugekommen, als ich gerade oben im Hause war und nach dem Fett fragte. Don Gabriel hat seine Hängematte für die
Nacht oben im Portico des Hauses aufgehakt. Ich möchte da nicht schlafen. Dick mit Flöhen. Da hat der Neue gefragt, ob ihn nicht Don Gabriel anwerben wolle für die Monteria. Da hat ihn Don Gabriel von allen Seiten angesehen und abgefühlt, du weißt ja, wie er das macht, und dann hat er gesagt: >Bueno, kannst mitgehen, einen Toston den Tag. Schulden? Nein? Wie viel willst du Enganche? So? Bueno, hier sind fünf Pesos Enganche, Vorschuss, kaufe dir für den Marsch ein. Den Vertrag schreiben wir in der Monteria. Sparst eine Menge Geld, brauchst keinen Stempel zu zahlen.
Suche dir da unten ein Feuer aus, wo du dich zu den Muchachos hinsetzen kannst. Wie heißt du? Santiago. Bueno. Adios.<«
»Wo ist er denn jetzt, der Neue?« fragte Andres.
»Er läuft in den Jacales, in den Hütten, herum und kauft sich seine Rationen ein. Du, da kommt er angewischt.«
Der Neue kam gerade auf das Feuer des Andres zu, wahrscheinlich, weil er hier nur zwei sitzen sah, während an allen anderen Feuern sechs, acht und sogar zwölf Mann hockten.
Als er nur noch etwa fünf Schritt entfernt war, rief Andres: »He, du, du willst mir doch nicht etwa im Ernst sagen, dass du Santiago bist von Cintalapa.«
»Halt dein gottverfluchtes Lästermaul, Andresillo, dem stinkigen Hund von Enganchador habe ich gesagt, dass ich von Suchiapa bin, und ich schlage dir die Fresse breit, wenn du einer Seele erzählst, dass ich Carretero bin. Und dich geht das auch an, Bursche«, wandte er sich Celso zu. »Wer ist denn das, den du hier mit dir hast, Andresillo?«
»Brauchst dich nicht zu sorgen um den, das ist Celso. War früher in Soconusco in den Kaffeefincas und ist nun schon ein alter Knüppel in den Monterias. Der beste Muchacho hier in der ganzen Caobaarmee.«
Santiago setzte sich zu dem Feuer und begann aus dem Netz alles auszupacken, was er sich eingekauft hatte, um sein Abendessen zu kochen. »Du, Celso«, sagte Andres, »hier Santiago war mit mir Carretero, wir sind jahrelang zusammen in derselben Kolonne gefahren. Bei meiner heiligen Ochsenseele, Hombre, Santiago, dich hätte ich hier zuallerletzt zu sehen erwartet. Nun kann es ja nicht ganz so hundetraurig mehr werden, seitdem du auch noch hier bist.«
»Weißt du, mi hijo«, meinte Santiago, während er die schwarzen Bohnen ans Feuer setzte, »es ist immer meine Sehnsucht gewesen, einmal in die Monterias zu kommen.«
»Aber, Mann, Hombre«, lachte Andres, »rede uns doch keinen kalten Erbsenbrei mit Garbanzas. Sage schon lieber gerade heraus. Was für ein Haar schwimmt denn in deiner Suppe?«
Santiago zog das Gesicht schief und erklärte: »He, Brüderchen, das Härchen in meiner Suppe sind zehn Jahre Penetenciaria, und wenn der Richter sich vielleicht am Tage vorher den Magen verdorben haben sollte, können es auch ganz gut zwanzig Jahre Gefängnis sein. Vielleicht verstehst du meine Sehnsucht nach der Monteria nun besser, und noch viel besser wirst du nun verstehen, dass ich dir und dem da, wie sagst du, Celso, dass ich euch beiden die Schlapperluken so vermansche, dass nicht einmal mehr ein wackliger Zahn drin hängen bleibt, wenn ihr zu irgendeinem hier oder sonst wo etwas sagt.«
Er rührte in den Bohnen herum, schüttete den gemahlenen Kaffee in das Blechkännchen, warf einige Brocken braunen Zucker darauf, goss Wasser hinzu bis zum Rand und schob das Kännchen zum Feuer, während er das Gesicht verzerrte und den Kopf weit in den Nacken zurückbog, weil der beißende Rauch
des Feuers ihm in die Augen fuhr. Als er alles nach seinem Wunsche am Feuer stehen hatte und nun geduldig darauf warten musste, bis es gekocht war, wickelte er sich eine Zigarette in ein Maisblatt, zündete sie an und sagte: »Dass ich mit acht Jahren davonkommen könnte, glaube ich nicht. Der kleine
Vorfall ist zu dick. Zehn wenigstens. Es liegt da einer zwei Meter unter der Erde, und, wie sie alle sagen, er war in der Blüte seines Lebens, und ich habe ihn hinweggerafft, und so etwas wird einem immer übel genommen. Du kommst zu so einer Sache und weißt gar nicht wie. Mit einemmal liegt er da und muckst
nicht mehr, und da hilft dann kein Balsam mehr und kein Manzanillotee, und du musst dich auf die Beine machen.«
»Aber, Mensch, das ist doch nichts erzählt«, sagte Andres, »Rede das richtig heraus in guter christlicher Weise und schlappere nicht wie ein alter Heide eine Brühe herunter, von der man nicht weiß, ob sie nun gekotzt oder geschitt ist. Oder halt 's Maul überhaupt und verdaue das Gedärm.«
Das Maul konnte Santiago natürlich nicht halten, wie es niemand halten kann, in dem etwas herumwürgt. »Du kennst doch mein Mädchen, die Sinforosa, die ich in Cintalapa hatte?« sagte Santiago.
»Sicher«, erwiderte Andres, »jedes Kind wusste, dass sie deine Frau war. Hat sie nicht ein Kind von dir?«
»Eins? Drei hat sie. Das Mädchen hatte mich gern und ich das Mädchen, und die Kinder kommen, da brauchst du nur einmal mit dem linken Hüftknochen zu wackeln. Das ist ja auch ganz natürlich. Zwei Monate oder drei Monate auf dem gottverfluchten Camino mit den Carretas, schuftest dich grün und blau, und dann kommst du gelegentlich wieder einmal mit der Karawane durch Cintalapa und machst zwei Tage Ruhe, und da bist du natürlich immerfort mit dem Mädchen. Bueno. Also gut. Und als ich dann wieder einmal zwei Monate fort war auf dem Marsch, da war eine Fiesta, eine große Rummelei in Cintalapa. Sinforosa war natürlich auch da. Sie ist ja erst zwanzig Jahre und hübsch und tanzt gern, und wenn sie nebenbei gelegentlich ihr privates Vergnügen hat, das gehört dazu und nehme ich ihr auch nicht weiter übel. Eine Flasche muss ja hin und wieder einmal zugekorkt werden, sonst verlernt sie gar noch,
Flasche zu sein und wird schimmelig.
Aber was mich dann doch geärgert hat, als ich es hörte, war, dass dieser eiterbeulige Hund von einem Krämer, der da eine Tienda hat, einen verfuckten Kramladen, mein Mädchen, meine Frau, als sie ein wenig angeheitert war von dem Moscatel, verlockt hat, zu seinem Haus zu kommen. Seine Frau war nicht
daheim, und das wusste die Sinforosa nicht, sonst wäre sie nicht gegangen. Als sie dann eine Weile dort allein im Hause waren, da hat dieser Sohn einer räudigen Hündin der Sinforosa einen Fausthieb gegen den Kopf gegeben, sie über das Bett gefeuert und ihr gewaltsam den Korken eingedreht.
Sie hat da selbst in Cintalapa ein kleines Krämchen mit Zwirn, Nadeln, Zigaretten, Bändern, Kerzen, die sie selbst gießt, Bananen, Limonade, Bonbons und all solchen Schlums, den die Leute alle Tage brauchen und den ich ihr gekauft und eingerichtet habe von einem Vorschuss, und damit sie was zu tun und zu leben hat, wenn ich auf dem Marsch mit den Karawanen bin. Aber nun hat sie mit dem Krämer richtig angefangen. Mein süßes Schneckelchen hier und mein liebstes Mäusekätzchen da, und dann immer drüber und drüber jeden Abend, wo sie nur Platz fanden, sich hinfallen zu lassen. Seine Frau wusste
natürlich gar nichts, und eine Unmasse Kinder hat er selber genug im eigenen Hause. Wenn ich so daran denke, Schluck und Fuck noch mal, da kann man doch wahrhaftig noch ganz verrückt werden.
Bueno. Da komme ich nun eines guten Tages an mit meiner Kolonne. Ich fuhr damals mit der Karawane des Pedro. Du warst schon weg, Andresillo. Also, ich komme an, und alles ist gut und mollig, und es geht frisch weg wie immer. Am ersten Tage war ich wahrscheinlich zudringlich, und da habe ich nichts bemerkt. Aber dann am zweiten Abend, da kam mir doch einiges so ungewohnt vor. Sie hatte da einen oder zwei Tricks, die ich nicht kannte. Waren nicht so ganz unvergnügt.
Am nächsten Tag war Sonntag. Ich hätte ja eigentlich nun fortgemusst mit den Carretas. Aber ich redete mit Pedro, und es traf so gut zusammen, dass uns ein Maisaufkäufer in den Weg kam und Fracht anbot, aber erst für den nächsten Tag, und so konnten wir gut den Sonntag noch dableiben. Ich ging in den Billardsaal, wo die anderen Burschen, auch die aus dem Ort, waren. Einer war heftig angesoffen; er kam auf mich zu, griente und schrie: >Holla, 'miguito, Santiago, wie gefällt dir dein Korkenschwager?< >Halt's Maul!< riefen ein paar Burschen, und einer sagte zu mir: >Der weiß nicht, was er sagt, der ist ja seit
gestern so voll, dass er an allen Seiten überläuft.< >He, du, was meinst du denn?< fragte ich den Burschen und zog ihn am Hemdkragen heran, dass er rot wurde im Gesicht. Er quäkte heraus: >Frage deine Mujer, die kann dir das besser erzählen als ich.< Ich stieß ihn über den Billardtisch und lief zu ihr.
>Nun komme doch einmal heraus mit der Flöte<, sagte ich zu ihr. >Ich weiß, was los ist. Kannst mir auch den Rest noch erzählen.< Ich wusste nichts.
Aber das war ihr nicht bekannt. Im ganzen Cintalapa war die Frau des Kaufmanns die einzige Person, die nichts wusste, und ich war bis jetzt die zweite Person gewesen. Weil Sinforosa glaubte, dass mir die Burschen vielleicht doch schon alles erzählt hätten, und weil sie auch wusste, dass gewöhnlich solche Dinge weit übertrieben werden, wenn sie von anderen erzählt werden, um Skandal zu machen, darum kam sie nun heraus mit allem, um die Übertreibungen abzuschwächen. Sie sagte mir, dass sie gar nichts dafür könne, dass der Mann sie nicht nur verführt hätte, sondern dass er sie auf den Kopf geschlagen und sie dann genommen habe, als sie von nichts wusste und nicht einmal schreien konnte.
Das brachte mich in Wut, kannst dir denken. Sie sagte nun auch, dass sie freilich weiter mit ihm zusammengewesen sei, weil er bei der Heiligen Jungfrau geschworen habe, dass er sie kalten Blutes erstechen werde, wenn sie sich nicht dreingeben. Und dann sagte sie: >Santiago, mi alma, mi vida, meine
Seele und mein Leben, du weißt doch, dass du alles für mich bist.< Ich hin zu dem Krämer: >He, du Cabron, du Hurensohn, du infamer, was hast du denn mit meiner Frau gemacht?< - >Ich<, sagte er grienend, >ich gemacht mit deiner Frau? Sie hat doch hingehalten, oder hat sie etwa nicht? Und nun raus mit dir, du Vagabund, du versoffener Landstreicher, oder ich pfeife nach der Polizei und lasse dich in die Carcel setzen, verstehst du, du Räuber und Bandit. Raus hier und lasse mich in Frieden; wenn sie huren will, was geht dich denn das an. Und nun raus, oder ich schieße dir den Bauch voll Fünfundvierziger.< Er langte nach dem Revolver, den er hinten im Gürtel trug. Dazu ließ ich es nicht kommen. Vor mir stand eine Flasche mit Tequila, mehr als halb voll. Ich packte die Flasche und sauste sie ihm über den Kopf. Er zerrte an seinem Revolver herum, aber der Revolver hatte sich am Knopf der hinteren Hosentasche wahrscheinlich verhakt. Er bekam ihn nicht frei. Ich stieß ihn gegen die Wand und hieb wieder mit der Flasche auf ihn los. Weil ich nun schon einmal angefangen hatte, kam ich in Wut und schlug so lange, bis die Flasche auf seinem Kopfe zerbrach, dann ergriff ich ein Brett, das mir zur Hand lag, und hieb weiter auf ihn los. Ich wollte ihn so windelweich prügeln, dass er für Wochen nicht daran denken sollte, mit der Sinforosa herumzufucken nach seinem Wohlgefallen. Er blutete kräftig genug, und ich dachte, dass er nun genug habe. Und da ging ich meiner Wege. Gleich draußen, dicht bei dem Laden, standen zwei Burschen, die mit im Billardsaal gewesen waren. >Für eine Weile wird der Hurenbengel ja nun meine Mujer wohl in Ruhe lassen, der hat seine Prügel weg, und das könnt ihr ihm erzählen, wenn er meine Muchacha nicht in Ruhe lässt, kriegt er dieselbe Wäsche doppelt, wenn ich das nächstemal heimkomme.<
Ich ging zu meiner Frau und setzte mich nieder, um zu essen. Ich sagte ihr, dass sie wohl nun eine Weile Ruhe vor ihm haben werde. >Was hast du denn mit ihm gemacht, du?< fragte sie erschrocken.
>Ich habe ihm ein paar an den Schädel gehauen, um zurückzubezahlen, was er dir an den Schädel gehauen hat.< Sie begann zu heulen und schluchzte: >Der arme, arme Mann, und er hat doch gar nichts getan, ich bin an allem schuld. Du bist ja der reine Teufel, und ich will doch wahrhaftig nichts mehr mit dir zu schaffen haben.< Und sie setzte sich hin und heulte sich eine lange Leier herunter. Also so sieht nun die Tunke aus, sagte ich mir, jetzt habe ich die ganze Schuld, und alle anderen sind unschuldig und die reinen Engel. Ich saß da und kam mir ganz entsetzlich dumm vor.
Als ich nun gerade so darüber nachdachte, wie das eigentlich alles zusammenhängt, da kommt Pedro, der Karawanenführer, angelaufen und sagt: >Du, Santiago, laufe, was du nur laufen kannst, die Polizei sucht dich, sie glaubt, du bist im Billardsaal, aber gleich ist sie hier; Don Manuel, dem du einen rübergeflitzt hast, der ist tot.< Wie eine wildgewordene Negerin schrie da Sinforosa: >Tot, du Mörder, erschlagen hast du ihn auch noch, du Mörder!< Und sie sprang zur Tür, lief in den halben Weg hinaus, stellte sich dort in
der Straße hin und schrie: >Policia, aqui esta, hier ist der Asesino, der Mörder, hier ist er.< Ich den Hut genommen und raus aus dem Hause. >Zu den Carretas<, sagte Pedro, >ich gehe einen anderen Weg, damit es nicht auffällt. Wir treffen uns dann bei den Carretas. Daran denken sie die nächsten zehn Minuten nicht.< Ich lief hinter den Häusern entlang auf den Platz vor der Stadt, wo wir unser Lager hatten. >Schnell, schnell, ich muss fort, die Polizei ist hinter mir her<, sagte ich hastig zu den Burschen, die hier waren und die Karren ausbesserten. Ich lief zu meiner Carreta, raffte mir mein Bündel zusammen, und als ich damit absausen wollte, kam Pedro, gab mir vier Pesos und sagte: >Hier hast du etwas Geld, und nun hurtig. Wir sagen nicht, dass du hier warst. Dann suchen sie noch zwei Tage lang in der Stadt herum.< Ich nun eiligst durch die Felder und die Büsche und dann in den Busch, und jedem Ort, wo Polizei ist, aus dem Wege gegangen. Weil ich weiß, dass am Candelariafest die Trupps für die Monterias sich sammeln, habe ich gerechnet, dass ich die Trupps ja hier irgendwo treffen muss. Und da bin ich.«
Am zweiten Marschtage erreichte der Trupp den Strom Jatate. Hier genügte es nicht, dass die Tiere nur abgepackt und die Packen dann auf den Köpfen der Indianer auf das andere Ufer getragen wurden. Der Strom war sehr tief und breit.
Alle Tiere wurden abgepackt. Dann wurden sie an lange Lassos genommen. In ein Canoe, das am Ufer lag, stiegen mehrere Burschen ein. Das Canoe wurde abgestoßen, und die Burschen im Canoe zogen an den langen Lassos, während hier am Ufer die Muletreiber mit erschrecklichem Geheul und mit Peitschenhieben die Tiere in das Wasser trieben und so weit trieben, bis die Tiere den Boden unter sich verloren und nun zu schwimmen begannen. Das Ziehen an den Leinen vom Canoe aus half den Tieren beim Schwimmen. Es wurden jedes Mal nur drei oder vier Tiere genommen. Einige der Tiere waren so
willig, dass sie in das Wasser gingen ohne Leinen und durch den Strom hinüberschwammen zu den Tieren, die bereits am Ufer warteten.
Als alle hinüber waren, wurden die Packen in dem Canoe verfrachtet und jedes Mal so viel Last hinübergeschafft, wie das Canoe tragen konnte. Der Strom war reißend. Die indianischen Canoeführer waren aber sehr geübte Burschen, die es verstanden, das Canoe, das nichts anderes war als ein ausgehöhlter Baumstamm, so geschickt durch die Fluten des Stromes zu lenken, dass es auch nicht ein einzigesmal umkippte. Als alle Lasten hinübergeschafft waren auf das andere Ufer, wurden die Burschen des Trupps im Canoe übergesetzt.
Es war nur ein Canoe vorhanden, um diese große Karawane von einem Ufer zum anderen zu bringen.
Es dauerte beinahe fünf Stunden. Und als der letzte Bursche am anderen Ufer anlangte, da war es inzwischen Nacht geworden.
Das Lager wurde auf der Uferanhöhe errichtet, von wo aus man die große Finca La Condesa nur einen halben Kilometer weit entfernt liegen sah. Don Gabriel und Don Ramon waren mit zweien der Händler, die nach besserer Unterkunft trachteten, als das übliche Lager sie bieten konnte, zu der Finca geritten, um
hier die Nacht zu verbringen, wie es ihnen als zivilisierten Menschen gebührte. Es war der vorletzte Rastplatz, wo sie unter einem Dach schlafen konnten. Das Dach, das sie am nächsten Rastplatz vorfanden, war bereits aus ineinander verwirkten Palmblättern und die Wände nichts als roh zugehackte Pfähle, die mit Bast und Lianen nebeneinander zusammengehalten wurden. Hier auf dieser großen und königlichen Finca gab es die letzten Tische und Stühle, die auf dem Marsche angetroffen wurden, die letzten Gläser und Porzellantassen, den letzten gepflegten Blumengarten, die letzten mit Ziegeln gepflasterten Fußböden, das letzte Bettgestell und die letzte zivilisierte Küche. Das alles wollten sich die beiden Agenten und jene unter den Händlern, die sich zu den Caballeros zählten, nicht entgehen lassen.
Um ihren Trupp brauchten sie sich hier nicht zu kümmern. Sie hätten nicht einmal die Capataces zurückzulassen brauchen, um aufpassen zu lassen, dass kein Bursche desertierte. Über diesen Strom, der den Trupp nun von den Gegenden trennte, wo Städte und Dörfer waren und Bücher gelesen wurden,
konnte kein Bursche entkommen, ohne Gefahr zu laufen, zu ertrinken. Das Canoe war festgeschlossen an einer schweren Kette, und wäre es nicht angeschlossen gewesen, so hätten die Burschen das Canoe nicht fünf Meter weit gebracht, es wäre umgekippt. Zudem war es tiefe Nacht, und alle Burschen waren so müde, dass sie froh waren, nicht desertieren zu brauchen.


SECHSTES KAPITEL

In der letzten Siedlung vor dem Einmarsch in den Dschungel blieb der Trupp zwei Tage in Ruhe liegen.
Die Agenten hatten einige Tage vorher einen berittenen Boten zu dieser Siedlung geschickt, um die Ankunft eines so großen Trupps anzukündigen. Die wenigen Frauen, die in dieser Siedlung wohnten, alle indianischer Rasse, mit Ausnahme der Frau des Mayordomo, die Mestize war, arbeiteten Tag und Nacht, um die gewaltigen Mengen von Totopostles herzustellen, die der Trupp für seinen langen Marsch durch den Dschungel benötigte. Ein Totopostle ist eine große Tortilla, ein Fladen aus Maisbrei von etwa fünfunddreißig Zentimeter Durchmesser und zwei Millimeter dick.
Diese Fladen werden nach Art der gewöhnlichen indianischen Tortillas über offenen Feuern auf Blech oder auf Tonplatten leicht geröstet. Darauf, sobald sie kalt geworden sind, werden sie abermals geröstet; diesmal jedoch hart geröstet. Die gewöhnliche Tortilla beginnt am zweiten Tage des Marsches unter dem Einfluss der tropischen Hitze und der Feuchtigkeit des Dschungels zu schimmeln, wird am dritten Tage ungenießbar und kann, wenn trotzdem gegessen, schwere Darmerkrankungen verursachen.
Im Dschungel am Magen oder Darm zu erkranken ist, um das wenigste darüber zu sagen, in jeder Hinsicht unangenehm, weil es eine Angelegenheit ist, die man recht gut als eine hoffnungslose bezeichnen kann. Totopostles hingegen verderben nicht. Sie zerbröckeln nur mit jedem Tage mehr und mehr, und man hat an den letzten Tagen nur noch einen Haufen von Krümchen, die man freilich, mangels besserer Dinge, bei jeder Mahlzeit mit der gleichen Wollust verzehrt, wie man in Europa über warme Semmeln und in Nordamerika über Cookies herfällt.
Dos dias de descanso wurden die zwei Rasttage der Marschierenden von den Agenten genannt, die zwei Tage des Ausruhens. Aber wenn Arbeitern Ruhetage aufkommandiert werden, so sind es gewöhnlich die arbeitsreichsten Tage. Die Burschen wurden herangeholt, Mais auszukörnen, Bohnen zu dreschen, Mais
und Bohnen in Säcken zur Waage und wieder zu dem Transport zu schleppen. Man hätte die Waage zu dem Transport tragen und so die doppelten Wege zu einfachen Wegen machen können. Aber an Vereinfachung dachte man hier so wenig wie bei Soldaten, denen sogar das natürliche Laufen noch erschwert werden muss dadurch, dass man sie drillt, wie Automaten mit steifen Beinen zu stampfen.
Leute, die nicht ständig beschäftigt werden, machen Revolution. Dann hatten die Burschen Kaffee zu verlesen, ihn zu brennen und zu mahlen. Mühlen gab es keine. Der Kaffee wurde auf Steinen zerrieben, auf den Metates. Andere halfen beim Doktern der Tragtiere und beim Beschlagen der Hufe, die Eisen verloren hatten. Ein Dutzend wurde in den Busch geschickt, Holz zu schlagen.
Wieder andere flickten und stopften die Tragsättel der Tiere aus. Ein Dutzend musste für den Mayordomo einen neuen Zaun bauen, weil er behauptete, einige Mules im Trupp seien ausgebrochen und hätten seinen Zaun zusammengerissen.
Als die beiden Ruhetage dann endlich um waren, hatten die Burschen nicht einmal Zeit gehabt, sich ihre verschwitzten Hemden auszuwaschen. Hier wäre für eine solche Arbeit die letzte Gelegenheit gewesen.
In den Monterias wurde gearbeitet und nichts als gearbeitet. Da konnte keine Zeit darauf verwendet werden, Hemden zu waschen. So ist es keineswegs verwunderlich, wenn in den Monterias ein Hemd an das Ende seiner irdischen Laufbahn gelangte, ohne auch nur ein einzigesmal gewaschen worden zu sein.
Wenn es ein Bursche doch vielleicht einmal versuchte, so war es sicher, dass der Contratista oder sein Ayudante herbeikam und sagte: »He, du, du bist hier, um Caoba zu schlagen, dafür wirst du bezahlt, aber nicht, um deine verdreckten Hemden zu waschen. Ich werde dir eine Note für fünfzig Azotes anschreiben, für fünfzig gesunde Hiebe beim nächsten Fest.« Darum bildete sich der Brauch, dass die Burschen in den Monterias sich in der Nacht von dem Lager fortschlichen, an den Fluss gingen und ihre Hemden wuschen, wenn sie wussten, dass sie dabei von den Aufsehern nicht überrascht werden konnten. Während einige Völker unter den Indianern den Mexikodreck weder zu fühlen noch zu kennen scheinen, gibt es eine andere, die den Neid oder die Rachgier einer holländischen Bäuerin erwecken könnte. Und Burschen dieser Völker fanden es erträglicher, fünfzig Hiebe auf ihrem Rücken zu haben als ein verdrecktes Hemd.
Am ersten Tage im Dschungel erreichte der Trupp noch vor dem halben Tagemarsch einen See. Nicht groß, aber sehr schön in seiner Stille. Die Agenten nahmen ihre Pfeifen und pfiffen das Halt zur Rast.
Die Burschen ließen sich nieder und warfen ihre Packen ab. Sie gingen an der Böschung hinunter, wuschen sich Hände und Mund und schöpften Wasser in ihre Schale.
Celso, Andres und Santiago marschierten beieinander. Seit dem Lager bei der Finca La Condesa hatte sich den dreien auch Paulino angeschlossen, der indianische Bursche, der von den übrigen seines Stammes als Weltkluger angesehen wurde, weil er eine so reiche Lebenserfahrung besaß, die in dem Fangen von zweibeinigen Kätzchen ihren eigentlichen Ursprung hatte.
Es war durchaus natürlich, dass sich diese vier Burschen zusammenfanden. Sie standen auf der gleichen Stufe angeborener Intelligenz. Andres, der ehemalige Karrenführer, war der gebildetste. In Zivilisation hatte er es, durch eigene Arbeit und durch eigenen Trieb, am weitesten gebracht. Den übrigen drei hatte
nur eine gleiche Gelegenheit und wahrscheinlich auch genügender Trieb gefehlt.
Andres war der ruhigste, ernsteste und friedliebendste unter den vier Burschen. Celso, Santiago und Paulino verließen sich mehr auf ihre Fäuste und auf ein schnelles Zuspringen als auf ein langes Nachdenken und sorgfältiges Überlegen. Andres hatte die Neigung, das Leben ernst zu nehmen und es
sich dadurch zu erschweren. Die drei anderen nahmen das Leben hin, wie es kam, und rückten es sich dann zurecht, so lange, bis sie glaubten, dass sie sich wohl fühlen könnten. Alle vier, wie der ganze Trupp, waren Mächten verfallen, die stärker waren als sie. Diese Mächte, die das Schicksal dieser vier Burschen, wie aller hier, bestimmte, war für diese Menschen unsichtbar und ungreifbar. Für sie lag es zu fern, zu erfassen, dass ihr Schicksal bestimmt wurde von dem Diktator Don Porfirio Diaz, dessen Handlungen wiederum beeinflusst wurden von der Idee, dass die Wohlfahrt der mexikanischen Lande nur gewährleistet sei, wenn der Kapitalismus unbeschränkte Freiheiten besitze und der Peon keinen anderen Zweck in der Welt habe, als zu gehorchen und das zu glauben, was ihm die Autoritäten, die großen und kleinen Diktatoren, befahlen. Wer andere Ideen hatte hinsichtlich der Rechte der Menschen, wurde gepeitscht, bis er seine Meinung änderte, oder er wurde erschossen, wenn er solche Ideen verbreitet hatte, oder er kam in das Totental, wenn er landwirtschaftliche Arbeiter zur Rebellion aufgehetzt hatte.
Gesetzt den Fall, jeder einzelne der hundertneunzig Burschen, die im Trupp marschierten, würde den mächtigen Diktator Don Porfirio irgendwo persönlich angetroffen haben, so würde keiner von ihnen auch nur einen Augenblick lang gedacht haben, dass dieser alte, knackrige Mann die Macht sei, die sie zur
Monteria kommandierte. Er sah aus wie jeder andere gewöhnliche Mensch, nur dass er es liebte, Orden und Ehrenzeichen anzustecken und in Uniform umherzustelzen.
Die Burschen, wenn man sie nach New York hätte bringen und sie in die Büros der Central American Fine Woods and Chicle Corporation hätte führen können, würden ebenso wenig geglaubt haben, dass diese kleine Armee von Männern, Jungen, Mädchen, die sich hier an Schreibtischchen flegelten, die Macht sei, die sie zu dem Inferno der Monterias verurteilte. Auch die Senores, die in den Häfen Laguna de Carmen und Puerto Alvara Orbegon, damals Frontera, die ankommenden Flöße notierten, auseinanderbrachen, die Stämme aufschichteten und sie dann wieder in große Transportschiffe verfrachteten, hätten die Burschen nicht als die Macht angesehen, die ihr Schicksal bestimmte. Diese Senores, Agenten und Aufkäufer der amerikanischen Edelholzkompanien, waren freundliche Herren in ihrer Weise; sie waren menschlich, was man daraus ersah, dass sie meist besoffen waren, und wenn man sie brauchte, sie in den Cantinas suchen musste, wo sie vierundzwanzig Stunden lang auf einem Sitz hockten und Domino spielten. Waren sie in keiner Cantina zu finden, so fand man sie ganz sicher im Barrio de Tolerancia, im Freudenviertel des Hafens, wo sie die Gelder, die außer ihren Gehältern so
nebenbei in ihre Taschen rutschten, mit jenen Mädchen verfegten, die am geschicktesten den Rumba tanzten.
Sogar die Agenten, die Leute für die Monterias anwarben, wurden von keinem der Burschen als die verhängnisvolle Macht angesehen, deren Gewalt man nicht entweichen konnte. Alle diese Männer, der Diktator, seine Minister, die Direktoren der Mahagonikompanien in New York, die Hafenagenten und die Werbeagenten, schienen selbst wieder von einer größeren Macht gezwungen zu sein, Macht nach unten hin, bis zu den Peones auszuüben. Die Direktoren der Mahagonikompanien, soviel sie auch als die eigentlichen Herren erschienen, waren nur Angestellte gegen Monatsgehalt.
Sie konnten entlassen werden wie die Stenografen und Maschinenschreiber in ihren Büros. Ihre Tätigkeit in ihren Grenzen nach oben und nach unten wurde bestimmt von Papierbogen, die man Shares nannte, Acciones, Aktien. Und diejenigen Leute, die jene Shares in ihren Stahlschränken hatten, befahlen den Direktoren, was sie zu tun und was sie nicht zu tun hatten.
So weit freilich vermochte wohl auch der intelligenteste unter den Burschen nicht zu sehen, um herauszufinden, wo die Macht war und wer die Macht in Händen hielt, die über sein Leben verfügte.
Jeder einzelne in der langen Kette von Menschen, die in diesem Geschäft ihre Interessen hatten, war an sich völlig unschuldig an all den Härten und Mühsalen und Leiden der Caobaarbeiter. Jeder, wenn man ihn befragt hätte, würde geantwortet haben: »Das wusste ich nicht, dass so etwas geschehen kann. Es tut mir sehr leid, und ich will versuchen, ob ich das nicht mildern kann.«
Wenn es schon unmöglich gewesen wäre, den Peones mit vielen Worten und noch mehr Beispielen zu erklären, dass ein Büro in New York, angefüllt mit emsig und unermüdlich schreibenden und rechnenden Männern und Frauen, die in ewiger Sorge waren, ihre Posten zu verlieren, das Schicksal des Trupps
bestimmte, der durch den Dschungel marschierte, so wäre es noch viel weniger durchführbar gewesen, die Peones zu überzeugen und es ihnen klarzumachen, dass nicht eine Person oder eine Anzahl von Personen die Schicksale von Proletariern bestimmte, sondern ein System. Und auch der geschickteste
Agitator, der feurigste Redner hätte nicht einen einzigen Burschen in dem ganzen Trupp finden können, dem er auch nur mit ganz geringem Erfolg hätte begreiflich machen können, was ein System sei.
Für diese proletarischen Indianer, selbst den intelligenten Andres nicht ausgenommen, war alles das, was nicht unmittelbar mit einer Person verknüpft werden konnte, unbegreiflich.
Vierhundert Jahre Erziehung durch die Kirche hatten nicht vermocht, dass sich auch nur einer von ihnen Gott hätte vorstellen können, ohne die Heilige Jungfrau oder den heiligen Antonio, in Holz geschnitzt und mit Samtkleidern behängt, so wirklich vor sich zu sehen, dass sie das Kleid anfassen und küssen konnten und dass sie ihre Lippen und Hände auf die hölzernen Füße des heiligen Pedro pressen durften. Wie hätten sie dann ein System, viel verwickelter als das religiöse, begreifen können.
So wie der gemeine Soldat, der sich geschunden und gequält und geprügelt sieht, den Militarismus nicht als System erkennt, sondern nur die älteren Kameraden, die ihn nachts verprügeln, und die Unteroffiziere und Feldwebel, die ihn am Tage und in der Nacht quälen, und vielleicht noch seinen Hauptmann als den Militarismus ansieht, der ihm das Leben zur Hölle macht, so sahen auch die Burschen im Trupp nur die als ihre verhängnisvolle Macht an, die ihnen am nächsten waren, die sie sehen konnten, deren Peitschenhiebe sie fühlten. Ihr Hass reichte merkwürdigerweise nicht einmal bis zu den Agenten. Sie entschuldigten die Agenten damit, dass sie sagten, es sei deren Geschäft und deren Auftrag, Leute für die Monterias anzuwerben, wie es das Geschäft von Viehhändlern ist, Vieh anzukaufen für die Fleischverkäufer in den Städten. Die Leute, die sie als die Gewalt und die Macht ansahen, weil sie deren Gewalt und Macht unmittelbar fühlten, waren die Capataces, die Zutreiber für die Agenten und die Treiber hier im Trupp.
Der Diktator, der vielleicht ihr Schicksal hätte ändern können, war den Burschen ebenso fremd, ebenso unerreichbar, ebenso unnahbar, ihnen gegenüber ebenso unerbittlich und ebenso hilflos wie Gott im Himmel, den sie sich nicht vorstellen und zu dem sie nur in eine sehr ferne Verbindung kommen konnten, wenn sie vor einer hölzernen oder wächsernen Heiligenfigur knieten. Ihr Diktator, den sie kannten und sahen, war der Capataz. Der Capataz war zu erreichen. Ihn anzuflehen, weniger grausam zu sein, daran dachten sie nicht einen Augenblick. Es wäre besser gewesen, einen Stein anzurufen. Ein Stein hätte sich vielleicht bewegt, wenn man ihm nahe genug gewesen wäre und genügend laut gebrüllt hätte.
Die Peones, wenn sie an ihrer eigenen Wut nicht zerbersten wollten, fühlten keinen anderen Ausweg, als ständig in Aufruhr gegen die Capataces zu sein, nicht nur auf den Transporten, sondern erst recht in den Monterias. Es war ihr steter Gedanke bei Tag und bei Nacht, wenigstens einen Capataz unter ihre Fäuste zu bekommen. Sowenig wie ein geschundener Soldat daran denkt, seine Qualen zu enden dadurch, dass er das ganze militärische System zu stürzen trachtet, sowenig und noch hundertmal weniger dachte auch nur einer der Peones daran, die Capataces zu beseitigen durch einen gemeinsamen Angriff auf das Wirtschaftssystem, in dem der Capataz nur ein Werkzeug ist. Das Äußerste, zu dem sie vielleicht in ihrer Hoffnungslosigkeit getrieben werden konnten, war, die Monterias zu zerstören, so wie einige Jahre später die revolutionären Peones im Staate Morelos alle Zuckerfabriken bis auf die untersten Grundmauern völlig vernichteten, weil sie die Zuckerfabriken als die Quelle ihrer Leiden ansahen.
An dem See, wo der Trupp rastete, verzögerte sich der Marsch eine gute Weile. An dem Urwaldbach, der zu durchkreuzen war, hatten mehrere der Tragtiere Schwierigkeiten gehabt, ungefährdet hinüberzukommen.
Der Bach war sehr steinig, mit zahlreichen ausgewaschenen Löchern, in denen die Tiere strauchelten und fielen. Und er war angefüllt mit angeschwemmten Bäumen, die irgendwo abgebrochen waren und nun hier die Furt versperrten. Es musste ein neuer Weg weit im Bogen aus dem Dschungel geschlagen werden, um die Tiere durchzubringen. Ein großer Teil des Trupps war bereits am See, während ein beinahe ebenso großer Teil noch nicht den Bach gekreuzt hatte. Darum wartete hier der gesamte Trupp so lange, bis die Reste nachkommen konnten. Dieser Nachtrupp wollte natürlich gleichfalls rasten.
Der Vortrupp war bereits abmarschiert. Und nun wollte sich der Haupttrupp aufmachen. Aber da kam Botschaft vom Vortrupp, dass erst eine Brücke gebaut werden müsse über einen Sumpf, weil die Tiere versanken. Und weil an jener Stelle der Pfad so schmal war, dass nur immer je zwei Mann oder ein Tier marschieren konnten, kam die Anordnung, dass der Haupttrupp am See lagern bleiben solle, bis der Marschbefehl da sei. Es wurde gleichzeitig angesagt, dass keine weitere gemeinschaftliche Rast an diesem Tage gemacht werden würde, bis das Ruhelager erreicht sei, das noch eine gute Wegstrecke entfernt war.
Infolge des engen Weges konnten nur wenige Burschen beim Bauen der Sumpfbrücke gebraucht werden, denn zu viele würden sich gegenseitig nur im Wege gewesen sein.
»Dann lasst uns nur ruhig hier ordentlich Vorrat schlafen«, sagte Santiago, und darauf streckte er sich aus.
Andres wollte gleichfalls schlafen. Aber es schien, dass Celso nicht schläfrig war und dass er nicht allein wach bleiben wollte. Er bemühte sich deshalb, jemand zu finden, mit dem er sprechen konnte.
Sein Schicksal, das ihn so mitleidlos von seinem Heimatdorf, von seinem Mädchen und damit von allen Dingen getrennt hatte, die er benötigte, um für sich selbst sein eigenes Leben aufzubauen, sei es reichlich oder sei es ärmlich, aber es war sein eigen, dieses Schicksal, das sich in seinen Weg gedrängt hatte, würgte stetig in ihm. Er ließ es niemand merken, was in ihm vorging, wie er innerlich litt und in seinem Herzen traurig war, so traurig, dass er zuweilen meinte, sein Gemüt weine nach innen und fülle sein ganzes Wesen mit Tränen. Nach außen hin wusste er wohl kaum, was Tränen sind; denn der Charakter
seiner Rasse ließ es nicht zu, dass er sein Gefühl und sein Weh auf dem Antlitz trug. Er war in allem, was er war, Indianer. Ein Indianer stellt sich nicht hin und sagt mit Worten oder Gebärden:
»Seht hierher, Menschen, seht, wie ich leide. Habt Mitleid mit mir oder doch wenigstens Verständnis.«
Er hatte wie alle seine Rassengenossen den stoischen Charakter des Widerstandes und der unerschütterlichen Hoffnung auf Rettung in einer Form, die in der weißen Rasse nur die Fanatiker und die gefolterten und gehetzten Kommunisten haben. Aber des Abends, wenn er sich niederlegte zum Schlafen, oder auch am Tage, wenn er rastete und schläfrig wurde, dann begann es in ihm zu würgen und zu wüten. Dann, häufig schon halb im Traum, zauberte er sich Bilder vor von Rache, die er üben wollte an denen, die an seinem Schicksal unmittelbar schuld waren. Er sah die Capataces und Agenten und Contratistas sterben unter entsetzlichen Qualen, sah sie bitten, ihnen zu helfen, und er sah sich ihnen gegenüberhocken und ihren Leiden so erbarmungslos zusehen, wie sie ohne Erbarmen gewesen waren gegen ihn und seine Arbeitsgenossen. Diese Vorstellungen regten ihn auf, machten ihn wild, ermüdeten ihn und erschlafften ihn mehr, als es sexuelle Gedanken vermocht haben könnten. Er fürchtete sich vor diesen Vorstellungen, ihrer zermürbenden Folgen wegen. Er war immer froh, wenn er sich am Tage so überarbeiten konnte, dass er in Schlaf fiel, sobald er sich nur auf seinem Petate ausstreckte. Aber jetzt war er nicht müde genug, um rasch einzuschlafen. Darum suchte er nach Gesellschaft, um plaudern zu können und wach zu bleiben.
Auf der Anhöhe, wo der Trupp lag, standen turmhohe Tannen. Sie wuchsen bis unten dicht an den See heran.
Die Tannen erinnerten ihn an sein Dorf und an die friedlichen Hütten seiner Heimat. Die Hütten waren aus Lehm gebaut, ohne Fenster, ohne Möbel. Das Herdfeuer brannte auf dem gestampften Erdboden in der Mitte der Hütte.
Und wenn seine Mutter kochte, war die Hütte immer voller Rauch; denn der Rauch zog nur langsam ab an den Seiten, wo das Palmdach auflag auf den Balken, die die Lehmmauern der Hütte zusammenhielten.
Hier war der Boden dicht bestreut mit den fingerlangen Tannennadeln, die abgeschüttelt waren von den Bäumen. Und das erinnerte ihn an die Festtage in seinem Dorfe, wenn in allen Hütten der Erdboden dicht bestreut war mit grünen Tannennadeln, die schöner waren als der schönste Teppich und die die Hütten mit einem würzigen Duft füllten, lieblicher als das köstlichste Parfüm.
Er hockte und hatte die Arme um die Knie geschlungen. Er rauchte nicht, sah nur hinauf in die Kronen der Tannen.
»Andres«, sagte er, »habt ihr in eurem Dorfe auch Tannennadeln in euren Jacalitos, wenn ihr Feste habt?«
»Gewiss doch«, gab Andres zur Antwort.
Andres, der in diesem Augenblick an seine Carretas dachte und wer sie wohl führte und wie die Jungen vielleicht jetzt irgendwo im Schlamm mit den Carretas stecken mochten, wurde durch diese Frage aufgerüttelt. Auch er wurde durch den Teppich der Nadeln, auf dem sie hier rasteten, an die Heimat
erinnert. Und auch er wurde, wie mit einem Ruck, an sein Mädchen Estrellita, das Sternchen, erinnert, das er hatte zurücklassen müssen und mit dem er gehofft hatte, einst in einer Hütte wohnen zu können, wo der Erdboden mit Tannennadeln bestreut war. »Bueno«, redete Celso weiter, »wenn ihr auch Tannennadeln habt in euren Casitas und du auch daran denkst, wie schön das zu Hause ist, dann sieh dir nur diese Tannen hier recht und recht lange an. Nimm Abschied von ihnen. Es sind die letzten Tannen, die du auf Jahre hinaus sehen wirst. Vielleicht sind es überhaupt die allerletzten Tannen, die du in deinem Leben siehst. Denn wir sind die Perdidos, die Verlorenen.«
Andres nahm ein kleines Ästchen auf, das ihm zur Seite lag, spielte damit, roch daran, und wie gedankenlos steckte er es in seinen Packen.
»Das ist eine gute Idee«, sagte Celso, als er das sah. »Das will ich auch tun. Es ist wie ein kleines Stückchen Hoffnung, so ein Ästchen zu haben und es gelegentlich in der Hand zu halten am Abend beim Feuer in der Monteria. Auch wenn es vertrocknet sein wird, es bleibt doch immer Hoffnung, und man
vergisst nicht, dass irgendwo Tannen wachsen in der Welt und dass irgendwo jemand ist, der auf dich wartet und an dich denkt, so übel es dir auch gehen mag.«
Andres hatte nun ebenfalls seine Schläfrigkeit verloren. Er hatte sich aufgerichtet und war dicht neben Celso gerückt. Sie redeten für eine Weile nicht. Sie blickten nur hinunter in den See, wo kleine Wellen in der Sonne spielten.
Um sie herum schwätzten einige der Burschen. Die meisten schliefen. Einige wenige packten an ihrem Gepäck herum.
Dann hörte man ein knirschendes Bersten, ein Krachen und das Fallen einer gigantischen Tanne, deren Äste beim Stürzen knatterten und zwitschten. Drüben auf der anderen Seite des Sees hatte eine altersmüde Tanne aufgehört, ihre Krone im Sonnenlicht zu wiegen. Sie hatte sich niedergelegt, zu sterben
und Raum zu geben den Jungen, die zum Licht wollten und die Hoffnung in sich trugen, dass ihnen nie das gleiche Schicksal werden würde wie dem vom Alter und von verbrauchter Lebenskraft gefällten Kameraden.
»Schneide dir hier genügend Ocote, Kien, heraus«, sagte Celso endlich. »Wenn du hier keinen Ocote schneidest, dann hast du keinen mehr auf dem ganzen Wege, und du kannst dann versuchen, mit vertrocknetem Schitt Feuer anzublasen. Hast du das mal versucht? Geht ganz gut. Aber es muss
Pferdeschitt sein oder Muleäppel. Der Schitt von diesen gottverdammten Capataces ist zu nichts zu gebrauchen.
Stinkt nur wie die Pest, wie überhaupt die ganze Bande. Wenn ich doch nur allen diesen Coyotes den Machete durch den Kadaver jagen könnte. Mijito, mein Söhnchen, das wäre noch ein schönes Vergnügen, verflucht noch mal. Ich weiß überhaupt nichts auf der Welt, das ich mit mehr Andacht tun möchte als das.
Dafür lasse ich mich sogar mit Wollust henken und hier begraben. Du kennst doch die beiden Räuber, die mich in Hucutsin eingefangen haben für fünf Duros, für fünf beschissene Pesos. Aber ich habe gar nicht nötig, meinen Machete an ihrem stinkigen Leder zu zerkratzen.«
»Ich weiß nicht, was du meinst, que pienses, hombre«, sagte Andres, ohne seinen Blick von dem glitzernden See abzulenken.
»Ich bin ein Adivinador, ein Weissager, mein Söhnchen«, sagte Celso. »Weißt du das nicht? Ich kann ganz genau voraussagen, was diesen beiden Schurken geschehen wird hier auf diesem Marsche. Im letzten Campo, in der letzten Siedlung, von der wir heute morgen abmarschiert sind, da habe ich doch
gestern helfen müssen, den Zaun zu bauen, den die Mules eingetreten hatten. Da hatte ich einen Palo eingerammt, einen Pfosten, und als die Burschen anzogen mit dem Bast zu dem anderen Palo, da stürzte mein Pfosten um. Wie kannst du denn so rasch einen Palo einrammen, wenn du das Loch nur mit dem
Machete und mit den Händen graben musst und der Capataz nicht warten will, bis ich den Boden wieder festgestampft habe. Da hat mir der verfuckte Hurensohn einen mächtigen Striemen rübergerissen, dass ich nur so aufwichste, sage ich dir. Verflucht noch mal. Und kaum eine halbe Stunde später stehe ich da und polke mir Dornen aus den Händen, weil die Dornen sich einbohrten und ich nicht richtig zupacken konnte, da kommt der andere Sohn einer verdreckten Hündin heran und sagt: >He, du Flojo, du stinkige Kanaille von einer Mula, willst wohl hier Fiesta machen, einen Feiertag, ich will dir nur gleich deine Fiesta geben.< Und da wichste er mir gleich ein halbes Dutzend über mit seiner Mulepeitsche. Ich habe nichts gesagt. Was hat es denn für einen Zweck, sich zu streiten. Man muss nicht reden, man muss tun. Und am Abend, da habe ich getan. Ich habe den beiden Hunden, die mich für fünf
Duros verkauft haben und mich nun auch hier noch auf dem Marsch schinden wollen, die Hände gelesen. Ich kenne jetzt ihr Schicksal so gut wie das meine. Ich habe dir ja gesagt, ich bin Weissager. Meine Schuld ist es nicht. Es steht in ihren Händen geschrieben, dass die Hündin, die den einen der beiden
Wegelagerer zur Welt gebracht hat, diesen unter ihren Söhnen nicht mehr wieder sehen wird und dass jene Tortillahure, die den anderen Muleschitt ausgekotzt hat, ebenfalls einen Sohn weniger haben wird, ehe wir in der Monteria ankommen werden. Ich mache keine Schicksale, ich lese nur in den Händen, was das Schicksal zu vollbringen hat. Diese beiden Knaben, so schön sie auch sind, so stolz sie auch im Sattel sitzen mögen und so herrlich sie auch hier herumflitschen und herumkommandieren mögen, keiner von den beiden bleibt bei uns bis zur Monteria, keiner von beiden kommt wieder zurück, und keiner von ihnen wird auf einem gesegneten Friedhof eingegraben. So sind die Schicksale der Menschen, daran können wir nichts ändern. Und wenn das Schicksal seinen Lauf nimmt, ich werde nichts dazu tun, diesen Lauf aufzuhalten.«
»Es sind in der Tat Schurken«, sagte Andres, »und ich glaube, dass es angenehmer in der Monteria sein wird, wenn diese beiden nicht dort sind.«
»Da kannst du sicher sein, Söhnchen, es ist besser dort ohne die beiden. Die Capataces, die wir da haben, sind ja gewiss nicht verweichlicht, und sie wissen verflucht gut auszuholen. Aber sie haben wenigstens keine so höllische Freude daran, jemand zu schinden, wie die beiden hier. Die elendsten Schurken auf
diesem Erdboden sind die, die sich an Wehrlosen vergnügen.«
»Hast du den beiden Hunden gesagt, was du in ihren Händen gelesen hast?« fragte Andres unschuldig.
»Dir ist sicher die Sonnenhitze in die Gedärme gehuscht, dass du so etwas von mir glauben kannst«, sagte Celso.
»Es ist doch vielleicht besser, dass du es ihnen sagst, damit sie sich gut vorsehen auf dem Wege und du nicht die Schuld hast wenn ihnen etwas geschieht.«
Celso sah Andres mit halb zugekniffenen Augen an. Er wusste nicht recht, ob Andres das im Ernst sagte oder in Ironie.
»Du meinst das wirklich«, fragte er, »dass ich die beiden warnen sollte, was das Schicksal mit ihnen vorhat?«
»Es ist, ich meine, sie sind doch auch Christen und keine Heiden«, sagte Andres zögernd.
Aus dem Ton heraus, mit dem Andres sprach, fühlte Celso, dass Andres wirklich das meinte, was er gesagt hatte.
»Christen? Schitt sind sie. Trockener Ochsenschitt sind sie, aber keine Christen.« Celso sagte es so, als habe sich das Schicksal an den beiden Capataces bereits vollzogen. »Christen? Meinetwegen. Dann will ich kein Christ sein, sondern lieber Chinese oder ich weiß nicht was, aber jedenfalls nicht dasselbe, was die sind. Und ich es ihnen sagen? Konnten ja ein altes Weib in Hucutsin auf dem Heiligenfeste fragen und ihr zwei Reales geben, damit sie ihnen weissage. Das ist nicht mein Geschäft. Mein Geschäft ist es vielleicht, darauf zu sehen, dass meine Weissagung recht bekommt. Und ich will dir auch gleich noch etwas anderes erzählen: Wenn du diesen beiden Hurenbrüdern, diesen Cabrones, auch nur eine kurze Silbe sagst von meiner Weissagung oder wenn du auch nur einem anderen Muchacho hier im Trupp, etwa deinem dicken Amigo Santiago, ein Wort sagst, mein Söhnchen, dann haue ich dir so mächtig eins in deine Fresse, dass du vorn und hinten Zähne pisst. Das weißt du nun, und du hältst dein gottverfluchtes Maul und sagst auch später nichts, dass ich aus Händen weissagen kann. Ja, und nun wird es lebendig. Da kommen die Capataces, und da hörst du auch die Pfiffe zum Weitermarsch. Los denn.«


SIEBENTES KAPITEL

Der Trupp wurde rasch lebendig. Die Arrieros packten den Tieren auf, und diejenigen, die nicht abgepackt hatten, zogen alle Gurte an den Packen fest und schoben rüttelnd die Packen in gute Gleichgewichtslage.
Dann gellten die Schreie der Muletreiber auf. Zwischendurch schrieen die Capataces und Treiber der Peones, damit der Trupp regsam wurde. Es knallten die Peitschen, und es pfiffen die Signale der Agenten.
Die Burschen riefen sich gegenseitig Worte zu, und hier und dort schrie sich der eine oder der andere heiser, einen Kameraden anzurufen, ihm beim Aufpacken zu helfen oder einen anderen zu erinnern, dass er seinen Hut oder seine Kürbisflasche auf dem Lagerplatz vergessen habe.
Nach kurzem Marsch kam der Trupp an die neugebaute Brücke über den Sumpf. Die Brücke, ebenso notdürftig wie rasch hergestellt, lag über einem Bach, dessen Wasser schwarz war von Morast; es erweckte den Eindruck, dass, wenn man einbrach, man sofort bis über den Kopf hinweg im Sumpf stecken bleiben würde.
Die Brücke selbst war wohl die geringste Arbeit gewesen. Was mehr Arbeit gekostet hatte, war die Befestigung, des Pfades zu beiden Seiten des Baches. Diese Ufer lagen flach und waren ständig völlig versumpft.
Eine Brücke über diesen Sumpf zu bauen wäre möglich gewesen. Aber es hätte eine gute Zement- und Stahlbrücke sein müssen. Wenn auf den großen Verkehrsstraßen im Staate, wo die Carretakarawanen reisten, die Brücken nur aus Holz waren und sich immer in einem Zustande befanden, dass man nicht sicher war, ob man diesmal noch heil mit dem Pferde hinüberkommen würde, ohne durchzubrechen, um wie viel, ja um hunderttausendmal weniger war unter solchen Verhältnissen zu erwarten, dass hier im Dschungel Brücken sein konnten. Es lag nun freilich keine Notwendigkeit vor, hier Brücken zu bauen; es
war noch nicht einmal irgend eine Notwendigkeit gegeben, eine Straße durch den Dschungel zu bauen.
Zwei- oder dreimal im Jahre zog hier eine größere Maultierkarawane nach den Monterias. Dafür zwanzig oder dreißig Millionen Pesos auszugeben, wenn selbst in den reichlich bevölkerten Distrikten des Staates keine Straßen waren, das hätte niemand in der Regierung verantworten können. Es wäre auch eigentlich nur Sache der Monterias gewesen. Denn die Monterias waren die einzigen Unternehmungen, die Interesse an guten Straßen und Brücken gehabt hätten. Aber dann wäre das Mahagoniholz noch teurer geworden, man hätte es nicht verkaufen können, und die Möbelmacher würden andere Holzarten gesucht haben, um Brautpaaren schöne und verkäufliche Bettstellen und Spiegelschränke anzubieten, und so billig anzubieten, dass sich die Brautpaare mit der Heirat beeilten, um nicht zu spät zu kommen in der Vermehrung hungriger Proleten.
Zwanzig Meter nach der einen Seite des Pfades hin und ebenso weit oder einige Meter weiter nach der anderen Uferseite hin breitete sich der Sumpf aus. Der Sumpf war grünlichschwarz, mit kleinen wässrigen Tümpeln durchsetzt. In der dunkelgrünen, flirrenden, lastenden schweren Eingeschlossenheit des Dschungels erschien der Sumpf viel schwärzer und unheimlicher, als er vielleicht im hellen brütenden Sonnenlicht gewesen wäre. Wagte man sich einen Schritt weiter hinein und trat man fest aus, glitschte man sofort bis zum Knie ein. Der Morast klebte am Bein und klammerte sich an, als wäre er ein
lebendiges Wesen. Er saugte sich fest, zog nach, und man bekam das Gefühl, dass jemand den Fuß langsam, aber stetig nach unten zöge.
Die Arrieros kannten ihre Tiere. Mules und Pferde, die in Tabasco geboren und in Tabasco aufgewachsen sind, haben den Ruf, gute Sumpfgänger, bestias de lodo, zu sein. Sie sind von Jugend auf an Sumpf und Morast gewöhnt. Darum sind diese Sumpfgänger sehr begehrt und sehr teuer.
In diesen Dschungeln jedoch beginnen auch die Tabascomules Schwierigkeiten zu machen. Die Mehrzahl der Tiere, bei diesen Monteriakarawanen zumeist alle, sind jedoch keine Sumpfgänger, sondern Tiere, die an Steppenland gewöhnt sind. Und diese Tiere kann man wohl durch Bäche und tiefe Flüsse bringen, nicht aber durch Sümpfe. Sinken sie auch nur bis über die Hälfte des Unterschenkels ein, so werden sie wie wahnsinnig vor Furcht. Sie schlagen um sich, vertiefen den Morast, befreien sich endlich daraus, und wenn man nun nicht gut Acht gibt und sie nicht gut am Lasso hat, rennen sie zurück, und man findet sie erst wieder am nächsten Rancho.
Man lässt sie natürlich nicht ausbrechen. Aber weder mit Hieben noch mit süßem Zureden, noch mit grässlichem Fluchen kann man sie nun durch den Sumpf bringen. Es mag gelingen, sie vielleicht unbeladen durchzubringen, aber mit einer Last auf dem Rücken ist es aussichtslos. Die Tiere fühlen, dass die Last sie tiefer hineinzieht in den Sumpf und es ihnen härter, vielleicht unmöglich wird, sich herauszuziehen.
Zuweilen hilft es, gute Tabascotiere als Leittiere zu haben und die übrigen folgen zu lassen. Aber oft schlägt auch dieser Trick fehl.
Aus allen solchen Gründen und weil auch wirklich die Gefahr besteht, dass die Tiere mit ihrer Last völlig versinken, ohne dass man sie zu retten vermag, machen die erfahrenen Arrieros keinen langen Versuch, den Durchmarsch durch einen Sumpf zu erzwingen. Erfahrung hat sie gelehrt, dass es weniger Zeit kostet und dass Ladung und Tiere sicherer sind, wenn bei geringsten Anzeichen von Sumpfscheuheit der Sumpf überbrückt wird.
Es werden Stämme, Äste und reichlich belaubte Zweige in Unmassen abgeschnitten und geschickt über den Sumpf gebreitet. Durch die belaubten Äste verliert der Sumpf sein gefährliches Aussehen für die Tiere. Das ist ein Punkt von Wichtigkeit. Und der zweite Punkt ist, dass der Boden eine scheinbare Festigkeit gewinnt. Diese Decke wiegt sich und schaukelt sich auf ihrer sumpfigen Grundlage. Dieses Nachgeben macht die Tiere unsicher, sie gehen sehr behutsam, aber sie gehen wenigstens. Über den Bach, der die Ursache der Versumpfung des Geländes ist, muss eine schon beinahe vollwertige Brücke gebaut werden, aus langen, kräftigen Stämmen, zusammengehalten mit Bast oder mit eingerammten Pflöcken an den Seiten und reichlich bedeckt mit Zweigen und Laub, damit die Tiere nicht mit den Hufen zwischen die Stämme rutschen, falls diese Stämme nachgeben und sich verrücken.
War alles gebaut, wurde das Signal gepfiffen, und dann bekamen die Muletreiber Arbeit. Die Tiere, besonders die lebhaften und diejenigen, die jeden Weg gingen, so schlecht er auch sein mochte, drängten bereits gegen den Bau, wenn noch alle Peones damit beschäftigt waren, Zweige und Äste auszubreiten.
Gute Tiere, einmal auf dem Marsch, lassen sich nicht leicht halten. Sie wollen vorwärts. Sie wissen aus langer Erfahrung, dass sie eine bestimmte Wegstrecke am Tag zu gehen haben.
Es waren diese Tiere, die bereits über die Brücke drängten, ehe sie wirklich fertig war, und die Peones mussten aus dem Wege gehen, um nicht von den Tieren getreten zu werden.
Die Treiber hatten nun darauf zu achten, dass alle nachkommenden Tiere so dicht auf die vorausmarschierenden Tiere drängten, dass die unsicheren Tiere keine Zeit hatten, zu erschrecken angesichts des unbehaglichen Gefühls der schwankenden Laubdecke über dem Sumpf. Die Balken der Brücke lagen nicht fest, sie rückten und schoben sich hin und her, und das machte die zaghaften Tiere so unsicher, dass einige versuchten, seitlich abzuspringen. Aber hier sahen sie das schwarze, morastige Wasser, bekamen Angst und sprangen in einem Satz auf das Ufer, wo sie durch den Sprung die leichte Decke über dem Sumpf eintraten. Jedes eingetretene Loch sog sich sofort mit schwarzem Wasser voll. Es herrschte hier an dem Sumpf ein wildes Geschrei der treibenden Arrieros, die kein Wort herausbrachten, das nicht ein teuflischer Fluch war auf Hurensöhne und Hurenweiber und Hurenböcke, die alle gemeinschaftlich eine Orgie an wollüstigen Genüssen feierten. Aber irgendwelche Genüsse auch nur der bescheidensten Gattung waren hier weit entfernt.
Das Geschrei und Gefluche und das Getümmel der sich drängenden Tiere, die um sich schlugen und bissen und stampften und stöhnten, ihr Keuchen und Grunzen, das Knistern und Knattern der Riemen und Seile der Packen, das Stürzen eines Tieres und sein Kampf um ein rasches Aufstehen, um nicht von den nachkommenden Tieren getreten oder von der Brücke gestoßen zu werden, war Leben genug.
Das Schreien und Fluchen der Arrieros und der Dutzende von Peones, die zum Teil bis an die Brust im Sumpf standen und von den Seiten gegen die Tiere mit Ästen hieben, damit sie auf der Decke und auf der Brücke bleiben sollten, lockte eine große Herde von Affen herbei, die Gritones, die hoch in den Kronen
der Bäume über dem Sumpf saßen und hingen und ein fürchterliches Gebrüll erhoben, das auch die grässlichsten Schreie der Arrieros wie ein Flüstern erscheinen ließ.
Alles das machte die Tragtiere nur verwirrter, die jetzt sicher glauben mussten, dass die Hölle an der nächsten Biegung des Pfades sich auftun würde. Aber je mehr die Tiere erregt wurden, um so mehr gab auch die Decke des Sumpfes nach. Die letzten Tiere wateten schon bis zu den Gurten in dem Sumpf, und
nur mit Ungewissheit überquerten sie die Brücke, die jetzt auch zu zerfallen begann.
Der Trupp der Arbeiter, der absichtlich zurückgehalten worden war, um die Brücke für die Tiere zu sichern, kam nun heran und brauchte die letzten dünnen Restchen, die von der Bedeckung des Sumpfes und der Überbrückung des Baches noch übrig waren, völlig auf. Als der halbe Trupp auf der anderen Seite des Sumpfes anlangte, waren an dem Übergang sowohl Decke wie Brücke verschwunden.
Die Äste und Zweige waren zerweicht und durchgetreten, sie hatten den Morast vertieft, und der Sumpf sah nun wüster und unpassierbarer aus als am Tage vorher. Einige Balken lagen noch über dem Bach. Die Burschen, alle mit nackten Füßen, balancierten auf den einzelnen Stämmen, die noch übrig geblieben waren, über den Bach hinweg. Der Zusammenhang mit den anderen Stämmen war nicht mehr vorhanden, und kein Tier hätte die Brücke oder richtiger das, was noch davon übrig war, benutzen können. Die weichen Ufer des Baches hatten nachgegeben, einige der Stämme waren abgerutscht und lagen lang und quer im Bach. Die nächste Karawane, auch wenn sie nur aus zwei Tieren bestehen sollte, hatte eine neue Brücke über den Sumpf zu bauen.
Es war am zweiten Tage des Marsches durch den Dschungel. Der Trupp hatte gegen Mittag eine kurze Weile an einem Platze gerastet, der La Lagunita hieß. Celso hatte sich den Fuß an einer scharfen Felskante verletzt. Er hockte am Rande des Wassers und wusch sich das Blut ab.
Der Trupp erhielt das Signal der Agenten zum Aufbruch und Weitermarsch.
Celso wickelte sich einen schmutzigen Baumwollfetzen, den er irgendwo von seinem Hemd oder seiner Hose abgerissen hatte, um den verwundeten Fußballen. Es ging langsam, denn Celso wollte den Verband, schlecht und schmutzig wie er war, doch so gut festknüpfen, dass er auf dem Wege nicht abrutschen und verloren gehen sollte.
Wie alle Angehörigen seiner Rasse, die als Bauern oder Landarbeiter leben, war er nicht zimperlich in Dingen körperlicher Verwundungen. Er konnte einen fünf Zentimeter tiefen und zwanzig Zentimeter langen Machetehieb in der Schulter haben oder gar einen ähnlichen, wenn auch etwas weniger tiefen Hieb im Schädel, und er würde darum weder ohnmächtig werden noch nach einem Doktor winseln.
Es würde ihm hier so wenig helfen wie in seinem Heimatdorfe, wo der nächste Doktor zwei Tagereisen weit entfernt wohnt, der wahrscheinlich auch kein besserer Doktor ist als die uralte Geburtshelferin in seinem Dorfe, die mehr als fünfhundert Kindern in ihrem Leben zum Licht geholfen hat, ohne sich vorher, und häufig auch nicht nachher, die Hände zu waschen. Die Hälfte der Kinder und ein Fünftel der Frauen sterben freilich, aber das ist nicht ihre Schuld, sondern eine natürliche Folge der Geburten, die der gütige Gott im Himmel mit unendlichen Schmerzen belegte, um den Menschen die vorgeburtlichen Genüsse mit Dornen, Stacheln und Disteln zu verbittern, damit nicht vergessen werden soll, dass die schönsten und köstlichsten Sünden auf Erden Erbsünden sind.
Nicht der Schmerzen wegen verband Celso seinen Fuß so sorgfältig, sondern aus Erfahrung. Er hatte einst, als er in den Kaffeeplantagen in Soconusco arbeitete, gesehen, wie sich ein Bursche mit dem Machete eine kleine Wunde gehackt hatte und wie dann Erde hineingekommen war. Am nächsten Tage konnte der Bursche weder den Kopf noch die Schultern bewegen, und ein paar Stunden später war er tot.
Durch den Verband wollte Celso die Wunde gegen giftige Erde schützen, und gleichzeitig wollte er verhindern, dass die Wunde sich durch abermaliges Aufstoßen vergrößere und verschlimmere. Ein Arzt war weder hier im Trupp noch in irgendeiner der Monterias. Jeder hatte auf sich selbst Acht zu geben und sein eigener Doktor zu sein. Wer zugrunde ging, bewies damit nur, dass er kein Recht zum Leben hatte, und er bewies ferner, dass er ein schuftiger Bursche war, der den Agenten oder die Monteria, um den erhaltenen Vorschuss betrog.
Der Trupp hatte sich bereits aufgemacht und marschierte. Celso war noch nicht ganz fertig geworden mit seinem Verband, als auch die letzte Gruppe an ihm vorbeimarschierte.
Hinter jener Gruppe, als Wächter und Treiber der Schwanzgarde, ritt El Zorro. Das war der Neckname des einen der beiden Zutreiber, die Celso in Hucutsin eingefangen hatten, um sich fünf Pesos zu verdienen. Der andere hatte den Beinamen El Camaron. Warum der eine El Zorro und der andere El Camaron genannt wurde, war nicht ganz klar, wie so häufig der Ursprung von Beinamen nicht immer genügend nachgewiesen werden kann, um einen Neugierigen zufrieden zu stellen. Die Necknamen hatten die beiden sicher noch von ihrem Jugendalter her. Niemand, nicht einmal ihre Arbeitgeber, die beiden Agenten Don Ramon und Don Gabriel, kannten ihre richtigen Namen, und niemand wusste, wo sie eigentlich zu Hause oder aus welchem Gefängnis oder aus welchem Gefangenentransport sie entwichen waren.
El Zorro kletterte auf sein Pferd, ritt einige hundert Schritte weit zurück, um zu sehen, ob nicht etwa einer der Burschen sich nach hinten weggeschlichen habe, und kam dann angetrabt, den abmarschierenden Schwanz aufzurütteln und ihm glühende Asche unter die Fußsohlen zu blasen. Er sah Celso auf einem Stein hocken, immer noch beschäftigt mit dem Zurechtkneten des Verbandes und mit den Versuchen, wie er am besten auftreten und laufen könne, ohne dass sich der Verband verschob.
»Andele, Chamula, alte stinkige Mula«, rief El Zorro Celso an, »andele, andele, willst wohl hier schlafen gehen und von Weibern träumen. Los, vorwärts, die anderen sind schon in der Monteria.«
Weil Celso nicht gleich auf den Füßen stand und seinen Packen hoch hatte und weil El Zorro dem Celso, dem er seiner rebellischen Widerreden wegen nicht sehr zugetan war, wieder einmal zeigen wollte, wer hier das Recht hatte zu kommandieren, darum hieb er ihm ein paar kräftige Hiebe mit der Peitsche über das Gesicht.
»Damit du nicht vergisst, Chamula«, sagte er, »dass ich der Ladino und du der dreckige Chamula bist.«
Celso hatte seinen Packen nun hoch und war dicht hinter dem Pferd des El Zorro, als er sagte: »Diese Hiebe haben mir gefehlt zur Abrechnung, und die Quittung bekommst du heute, Cabron, bei der Heiligen Allerreinsten Gottesmutter.«
Celso hatte das in seiner indianischen Sprache, in Tsotsil, gerufen.
El Zorro verstand nur gerade einen Brocken oder zwei, mit denen er aber nichts zu beginnen wusste.
Aber er verstand Hurensohn und wusste, dass ihm Celso keine Schmeichelei gesagt hatte.
»Ich werde dir den Cabron, den du mir jetzt angepfeffert hast, schon noch reichlich wiedergeben, mein Brüderchen«, rief er, »lass uns nur erst einmal recht schön und niedlich in der Monteria und mich dann vielleicht bestellt sein, die Fiesta abzuhalten. Dich nehme ich dann zuerst vor, wenn ich noch die volle
Kraft in den Armen habe. Auf dich warte ich schon lange. Du bist mir zu frech und hetzt auch noch alle anderen auf. Dich und den Tseltalburschen, den Carretero, euch werde ich mir schon vornehmen.«
»Wenn du bis zur Monteria kommst, du Hundesäugling einer Dreckhure«, antwortete darauf Celso. Er ging immer noch dicht hinter dem Pferde. El Zorro hielt seine Reden nach rückwärts gewandt, einmal, damit er sicher sei, dass Celso kein Wort davon verliere, zum anderen, weil er hoffte, er könne sich an
dem verängstigten oder wütenden Gesicht des indianischen Peons weiden. So gab er nicht acht auf den Weg. Das Pferd stolperte über eine Wurzel. Pferde haben die Gewohnheit, auf diesen langen, einsamen Wegen über Steppen, durch Busch, Dschungel und Urwald aufmerksam zu werden und hinzuhören, wenn der Reiter spricht. Sie drehen die Ohren herum und wenden zuweilen auch noch den Kopf zur Seite. Sie wissen ja nicht, ob nicht die Rede für sie bestimmt und in der langen Rede vielleicht ein Kommandowort für sie enthalten ist, dem sie folgen sollen, und wenn sie nicht rasch genug folgen, einen übergerissen bekommen. Reiter sind auf diesen langen Reisen oft tagelang völlig allein mit ihrem Pferde, und wie Menschen, die allein leben, sich angewöhnen, mit ihrem Hunde zu sprechen, als wäre er ein menschlicher Genosse, so verfallen auch einsame Reiter in die Gewohnheit, auf dem Marsche, und selbst am Lagerfeuer, zu ihrem Pferde zu sprechen. Das Pferd, sich gleichfalls nach Gesellschaft sehnend, hört nach einiger Zeit ebenso aufmerksam und scheinbar verstehend zu, wie es Hunde so vortrefflich können.
Das Pferd des El Zorro hatte mehr auf die Reden geachtet, weil es glaubte, es möchte darin ein Kommando enthalten sein, als dass es genau und sorgsam hingesehen hätte, wo es marschierte. El Zorro, der mit seinem Pferde sowenig Erbarmen hatte wie mit den Indianern, die er einfing, auf den Märschen trieb und in den Monterias dann im Monatslohn auspeitschte, hieb dem Tiere tief die Sporen in die Seiten, und gleichzeitig zwitschte er ihm einen brennenden Pfeifer über den rechten Schinken. Der Hieb war eigentlich mehr für Celso gemeint gewesen als für das Pferd; denn alle seine Wut war auf den Burschen gerichtet, und das Pferd, weil es einen kleinen Fehler beging, bekam die Wut zu fühlen.
Das Pferd, gleichzeitig die Sporen in den Weichen und den weit ausgeholten Hieb auf dem Schinken, bäumte auf vor Schmerz und legte gleichzeitig aus zur linken Hand, weil der Hieb auf der rechten brannte. Die Wege durch den Dschungel können nicht im Trabe geritten werden, von einigen kurzen Strecken vielleicht abgesehen. Die Wege sind so beschaffen, dass ein Tier seinen Weg unausgesetzt fühlen muss. Es kann abrutschen zur Seite, nach hinten, nach vorn; es sind große und kleine Steine im Wege, die kollern oder nachgeben; es stehen Wurzeln kreuz und quer hervor; ganze Bäume liegen längs oder in der Quere zum Wege; es geht steil auf und es geht steil ab; bald zur einen Seite tiefe Schluchten, bald zur anderen Seite. Aber das Böseste sind die tiefen Löcher im Wege, Löcher, die alle möglichen Ursachen haben und die gewöhnlich mit Laub, Reisern, Morast und Wurzeln leicht überdeckt sind, einer Decke, die von der Natur geschaffen wird.
Das Pferd des El Zorro, durch den Schmerz der eingehauenen Sporen und den grausamen Hieb völlig aus der Fassung gebracht, verlor jegliche Vorsicht. Es sprang zur Seite des Weges und sprang so heftig auf, dass es mit beiden Vorderbeinen in Löcher versank. Da sich das im Springen ereignete, schlugen die Hinterbeine hoch. Das Tier versuchte, sich zu wenden, und fiel auf die Seite. Das linke Vorderbein drehte sich aus dem Loch heraus, während das rechte tiefer einsank. Das Tier arbeitete wie toll, sprang und schlug um sich und brachte endlich auch das rechte Vorderbein aus dem Loch heraus.
Es stand dann keuchend und zitternd eine Weile an der Stelle und wartete geduldig darauf, dass sich sein Reiter wieder aufsetzen werde.
Der Reiter war, als das Tier so ganz unerwartet in die Löcher sank, über den Kopf des Pferdes gesaust. Er geriet dabei mit dem Gesicht in ein Morastloch, krabbelte sich heraus und bekam von dem schlagenden Tier einen Huftritt gegen den Bauch. Er fiel wieder zurück, fluchte und begann, sich den
Schlamm aus dem Gesicht zu wischen.
Als das Pferd in die Löcher sank, ließ Celso sofort seinen Packen vom Rücken gleiten und sprang zur Seite, um zu verhüten, dass er von dem erschrockenen Tier geschlagen oder, sobald es sich befreit hatte, überrannt werde.
El Zorro konnte gerade einen Blinzer aus den verschlammten Augen tun, als er auch schon schrie:
»Komm her, du Chamula! Siehst du nicht, dass ich hier in der Schitt sitze. Hilf mir 'raus! Und gib acht, dass die Bestia nicht davonjagt. Halte sie fest! Los, du Stinkfurz von einem Chamula!«
Während El Zorro das sagte, schabte und klitschte er den Morast aus den Augen und aus dem Haar, spuckte, und halb dumm von dem Fall, schmierte er sich den Morast wieder zurück ins Gesicht, merkte es und schleuderte nun die Schitt von den Händen. Er versuchte sich aufzurichten, aber teils von dem Huftritt des Pferdes, den er gegen den Bauch bekommen hatte, teils weil er mit einem Fuß in eine Liane gekommen war, die ihn festhielt, und teils weil er so wütend war, dass er keinen Gedanken zu einer bestimmten Handlung fassen konnte, kam er nicht hoch.
»Du gottverlassener Hund, komm her und zottele mich hier endlich heraus!« schrie er wie besessen.
»Ya me voy«, sagte Celso, »ich komme ja schon, und ich komme diesmal gut und reichlich.«
Er hatte das Pferd an einen Baum gebunden. Als er den Zügel, der am Boden schleifte, aufheben wollte, sah er da einen kräftigen Ebenholzast liegen. Er hob ihn auf, nahm ihn gut in die Faust und kam auf El Zorro zu.
El Zorro suchte nach seinem Taschenmesser, um die Liane, in der sich sein Bein verfangen hatte, durchzuschneiden. Er hatte sie mit bloßen Händen nicht zerreißen können. Er sah Celso mit dem Ast näher kommen.
Celso zögerte nur eine Sekunde. Er hörte hin, ob, nach den Rufen der Maultiertreiber zu urteilen, der Trupp so weit voran und so verdeckt von dem dichten Dschungel war, dass niemand sehen oder hören konnte, was hier geschah.
»Wozu brauchst du denn den Palo, den Knüppel?« fragte El Zorro. Seine Augen weiteten sich, sein Mund blieb offen stehen, und sein Gesicht verfärbte sich grün vor entsetzlichem Schreck. Das Bein immer noch in der Liane steckend, drehte er sich halb um und kam auf die Knie. Beide Hände hielt er hoch und öffnete die Finger weit, wobei ihm das Taschenmesser aus den Händen fiel.
Celso traf ihn zwischen die beiden Hände und genau da, wo er hingezielt hatte. Er hob das Taschenmesser auf, das noch nicht aufgeklappt war, und steckte es dem El Zorro wieder in die Hosentasche. Dann holte er das Pferd herbei.
Er hob das Bein des El Zorro auf. Ob er tot war oder nicht, darum kümmerte sich Celso nicht weiter.
Er wollte dem Pferd einen Teil der Ehre lassen, den Rest gegenüber seinem Peiniger zu besorgen, damit das Gleichgewicht in der Welt wiederhergestellt werde.
Celso quetschte den Fuß des El Zorro in den Steigbügel, riemte den Sporn an dem Fuße gut fest und schob den Sporn geschickt in einen Schlitz des Steigbügels, dergestalt, dass der Fuß auf keinen Fall aus dem Steigbügel rutschen konnte, vorausgesetzt, dass der Riemen des Sporns nicht riss. Dann bog er, um ganz sicher zu gehen, die Fußspitze so in den Steigbügel ein, dass der Fuß in ihm wie in einer Schlinge hing. Da der Steigbügel nach mexikanischer Art einen Vorschuh aus Leder hatte, so erweiterte Celso die
bereits halb aufgerissene Vordernaht genügend, um den Fuß so einzuquetschen, dass man eher den Fuß hätte abschneiden oder den Steigbügel hätte zersägen müssen, ehe es möglich gewesen wäre, das Bein
nach außen hin zu befreien.
Darauf beschäftigte er sich mit dem Lasso am Sattelknopf.
Als das alles getan war, zog er das Pferd auf den Weg, gab ihm einen leichten Hieb auf den Schinken, und das Pferd trabte los.
Der Körper des El Zorro schleifte mit dem Kopfe auf dem Erdboden entlang. Der Körper geriet beim Laufen des Tieres immer etwas unter den Leib des Pferdes. Dabei presste sich der Sporn in die Weiche des Pferdes, und das Pferd trabte an, den Körper hinter sich und halb unter sich herschleifend.
Das Tier wurde erregt und begann nun rascher zu laufen. Dabei hämmerte der Kopf des El Zorro über die Steine und Wurzeln und gegen die Bäume. Immer wenn das Pferd langsam zu gehen begann, schob sich der Körper unter den Leib des Pferdes, der Sporn presste sich in die Weiche, und das Pferd fing wieder an zu rennen. Celso ging ruhig seines Weges. Das Pferd war nun so weit voraus, dass er es nicht mehr sehen konnte.
Er kannte den Weg genügend; denn er war ihn ja bereits zweimal marschiert. Einmal hin und einmal zurück. Und als er mit jenem kleinen Händler als dessen Begleiter marschierte, hatte er gut auf den Weg achten müssen. Der Weg wand sich in Hunderten von Spiralen weiter infolge des bergigen Geländes und infolge von Seen, Flüssen und Sümpfen, denen der Weg auswich, weil es keine Brücken gab und man nur dort die Flüsse kreuzen konnte, wo sie nicht zu breit und zu reißend waren.
Celso kam jetzt an eine lange Biegung des Weges, der sich hier um einen hohen Berg wand, den die Tragtiere nicht auf geradem Wege gehen konnten, weil er zu steil und voll Röllgestein war.
Celso nahm alle seine Kräfte zusammen. Wie eine Ziege zwängte er sich seitlich durch das dichte, dornige Gestrüpp und kletterte auf Händen und Füßen den Berg hinauf. Er glaubte nicht, es schaffen zu können.
Jeden Augenblick war es ihm, als überspringe sein Herz mehrere Schläge und bleibe stehen, dann wieder schien es ihm, als wollten seine Lungen explodieren.
Triefend von Schweiß und keuchend mit weit aufgerissenem Munde und flatternder Nase, erreichte er die Bergkuppe.
Er ließ sich fallen, ließ den Packen hinuntergleiten, wischte sich den salzigen Schweiß aus den Augen, die sich zu verkleben schienen, rieb sich Nacken und Kehle heftig, rieb sich die linke Brust und schlug sie mit der Faust, holte einige Male tief schnaufend Atem und nahm dann seinen Packen wieder auf.
Beim Hinuntermarsch auf der anderen Seite des Felsens kugelte er viele Male gleich zwanzig Meter weit.
Aber er raffte sich auf und sprang in Sätzen voran, sich fallen und kugeln lassend, wo er glaubte, er könne es tun, ohne zerschunden zu werden, und wo er sah, dass in einiger Entfernung Sträucher und Bäume waren, an die er sich klammern konnte, falls er in diesem sturmraschen Laufen nicht einhalten und in den Abgrund stürzen könne.
Er langte auf dem Wege an, als dort der Vortrupp gerade vorübergezogen war und die marschierenden Arbeiter krümelnd, einer nach dem anderen, hinterher zogen.
Er ging nicht geradeswegs aus dem dichten Dschungel auf den Weg hinaus. Ganz dicht kam er an den Weg heran und hielt sich eine kurze Weile hinter einem Gebüsch verborgen. Er ließ den Packen hinuntergleiten und zog die Hosen ab.
Mit halb heruntergezogenen Hosen trat er dann aus dem Gebüsch hervor und kam in den Weg. Hier zockelte und zupfte er an seinen Hosen herum, zog sie hoch und wickelte sie wieder fest.
»Einen guten und gesunden Schitt gemacht, verflucht noch mal«, sagte er lachend, als die nächste Gruppe herankam. Einige der Burschen warfen ihre Packen ab, um einige Minuten zu rasten, sich den Schweiß aus den brennenden Augen zu wischen und um zu neuem Atem zukommen. Celso keuchte mit vollen Lungen. Aber das fiel keinem unter den rastenden Burschen besonders auf. jeder hatte mit seinen eigenen Mühen genug zu tun.
Dann sagte Celso: »Ich war hinter einem jungen wilden Schweinchen her. Ich glaubte schon sicher, es zu haben, aber dann wischte es mir doch noch fort und auch gleich in so niedriges Dornengestrüpp hinein, dass ich es aufgeben musste.
Was für einen herrlichen Braten das heute Abend gegeben hätte.
Dieses kleine Biest hat mir die Beine unter die Hinterbacken gepfeffert. Verflucht noch mal, wie so ein junges Ding doch rennen kann. Bin noch ganz leer in der Windpfeife und muss pusten wie ein altes Mule, hinter dem ein Tiger her war. Hätte ich den Schritt vorher machen können, bei der heiligen Purisima, ich hätte den Puerco doch noch aufgehakt. Aber so hatte ich den ganzen Bauch voll bis an den Hals hinauf.«
»Ja, da denkt ihr alle vielleicht, so ein kleines Häufchen von einem wilden Ferkel kann nicht rennen «, sagte einer der Burschen, »aber ich weiß das. Ich bin auch einmal hinter einem hergewesen, zwei oder drei Stunden lang, bis ich mich ganz und gar in der Seiva, in diesem verfluchten Dschungel, verlaufen
hatte, aber das Ferkel habe ich nicht gekriegt.«
Jeder der Burschen begann gleich eine eigene Jagdgeschichte zu erzählen, um zu offenbaren, dass er kein Junge mehr war.
Celso zerrte seinen Packen aus dem Gebüsch hervor, zog eine Zigarre aus einer Falte seines Packens, zündete sie an, nahm seinen Packen hoch und sagte: »Ich muss mich auf die Sohlen machen, Muchachos, ich gehöre da vorn zu der Gruppe, wo meine Companeros, meine Kameraden, sind. Die sind nun sicher
ein gutes Stück voraus.«
Der Trupp erreichte den Lagerplatz gegen vier Uhr nachmittags. Die Nachzügler, die Erlahmten und die Burschen, bei denen sich bereits Fieber eingestellt hatte, kamen gegen fünf Uhr an.
Es fiel niemand auf, dass El Zorro fehlte. Da er meist beim Schwanz war, um die Trägen aufzumuntern, und oft eine Viertelstunde hinter dem letzten Nachzügler ritt, um ganz sicher zu sein, dass niemand zurückblieb, vermissten ihn die Agenten nicht.
Dann aber kam ein Bursche atemlos angelaufen. Aufgeregt rannte er auf das Feuer zu, an dem die Agenten und die Händler hockten: »Patroncito, da weiter oben am Wege ist das Pferd des El Zorro an einem Baumstumpf festgehakt, und El Zorro ist heruntergefallen.«
»Wenn der Hurensohn vom Pferde fällt, wird er ja auch wieder 'raufkommen können, er ist ja kein Säugling«, sagte Don Ramon.
Niemand nahm den aufgeregten Burschen ernst. Und was kümmerten sich auch schon die Agenten sehr um das Wohlergehen der Zutreiber. Wenn ein Treiber vom Pferde herunterfallen kann, ist er sowieso nichts wert. Wahrscheinlich wieder besoffen. Weiß der Henker, wo er den Tequila her hat.
Die Agenten und die Händler hatten Wichtigeres zu tun, als sich um El Zorro zu kümmern. Von dieser Sorte konnten sie in jedem Städtchen gleich zwei Dutzend haben, wenn sie wollten.
»Ob wir im nächsten Jahr wieder einen so großen und guten Trupp zusammentreiben können wie diesmal, Don Gabriel, das kann uns nicht einmal Don Porfirio versprechen, viel weniger der Gobernador«, sagte Don Ramon, als er sich die Frijoles in heißen Brocken Totopostles aufschaufelte. »Auch dieses Geschäft wird mit jedem Tage schlechter und elender.«
Don Gabriel sah das Geschäft bei weitem weniger pessimistisch an. Verglichen mit seinen früheren Geschäften, war dies hier eine Goldmine. Auf dem ganzen langen Marsch dachte er nur immer an dies eine: wie er das Geschäft Don Ramon abnehmen und wie es vielleicht geschehen könne, dass auf dem
Rückwege Don Ramon verunglücke, und so verunglücke, dass bei der Abrechnung niemand zugegen sei, der mit gutem Gewissen beschwören könnte, dass Don Ramon nicht fünftausend Pesos dem Don Gabriel
schulde, die Don Gabriel dem Don Ramon im Laufe der Aufkäufe von Peones geborgt hatte.
Sollte es sich aber nicht ereignen, dass Don Ramon verunglückte, dann würde der Verdienst des Don Gabriel nicht den dritten Teil von fünftausend Pesos ausmachen, und Don Gabriel würde noch einige Jahre hart arbeiten müssen, ehe er das Geschäft allein und nur zu seinen eigenen Gunsten würde führen
können.
»Un accidente, ein Unglück, ein großes Unglück!« schrie da aus dem schnatternden Geschwätz der abkochenden Burschen heraus eine Stimme. Don Gabriel, unausgesetzt an ein Unglück denkend, das seinen Geschäftsteilhaber treffen sollte, erbleichte, als er das Geschrei hörte. Aber dann sah er Don Ramon vor sich hocken, ruhig essend und zwischendurch redend, und dadurch kam er wieder zurück zur Wirklichkeit.
Die Caballeros hier am Feuer regten sich durch das Geschrei von dem Accidente, dem Unglück, nicht auf. Sie warteten erst einmal ab, bis ein genauer Bericht kam. Wahrscheinlich war es nur ein Peon, der in eine Schlucht gerutscht war, oder es war ein Mule, das gefallen war, oder es war ein Pferd oder eine Mule, das einen Burschen geschlagen hatte. Wollte man sich auf diesen Märschen aufregen des Geschreis eines Indianers wegen, dann käme man nie zu einer ruhigen Minute.
Die Peones waren von ihren Feuern fortgelaufen und standen nun in einem dichten Haufen beisammen.
Der Haufen kam näher zum Platz. Und als er nur noch zwanzig Schritt vom Feuer der Caballeros entfernt war, öffnete er sich und ließ eine Gasse frei. Die Caballeros standen nun gemächlich auf und gingen auf den Haufen zu. Da war ein Bursche, der das Pferd des El Zorro am Zügel hielt. Das Pferd war auf seinem Wege mehrere Male mit den herunterhängenden Riemen und Strippen an Gebüschen und Baumstümpfen hängen geblieben. Aber es hatte sich offenbar immer wieder befreien können, wenn das auch seinen Marsch wesentlich verzögert hatte.
»Das ist ja der El Zorro«, sagte Don Ramon. »Was hat denn der gemacht? Wird der nicht mit einem Pferde fertig? Verteufelt, er ist übel zerschunden. Man kennt ihn nicht mehr. Es könnte gut jemand anderes sein. Aber es ist seine Hose, es sind seine Stiefel und seine trockenen und verschrumpften Ledergamaschen, und es ist sein Pferd.«
Die Caballeros kamen nun ganz nahe heran.
Das Pferd war über und über mit Schweiß bedeckt. Es zitterte, und seine Augen waren groß und voll Entsetzen. Man fühlte, dass es glücklich war, unter lebenden, schwatzenden und gestikulierenden Menschen zu sein, dass es die anderen Tiere in der Nähe roch und dass es sich in einer Umgebung befand, die ihm gewohnt war und die es erlöste von der entsetzlichen, gespenstischen Furcht, die es in den letzten Stunden durchlebt hatte.
»Wie hat der Hurenknecht denn das nur fertig gebracht, so unter die Bestia zu geraten?« sagte Don Alban, einer der Händler. »Er verdirbt mir den ganzen Appetit. Dank der Santisima Virgen, dass wir ein paar Flaschen Comiteco mit uns haben, oder ich würde die ganze Nacht hindurch diese Erscheinung nicht los.«
Der Sattel war heruntergerutscht, so, dass der Sitz seitlich am Bauch des Pferdes klebte. El Zorro hatte seinen Fuß im Steigbügel. Wahrscheinlich hatte er sich, auf dem Pferde sitzend, mit dem Oberkörper nach hinten wenden wollen, um Zurückgebliebene zu kommandieren, und dabei hatte er sich den Fuß im
Steigbügel so verdreht, dass der Fuß bei einem Scheuen des Pferdes nicht freikommen konnte.
Die Kleidung des El Zorro war völlig zerfetzt und zerrissen von dem Entlangschleifen an den Bäumen und Gebüschen.
Das Gesicht war unkenntlich. Der Kopf war eine dreckige Masse. Kaum noch irgendwelches Fleisch war am Schädel und nur einige Büschel Haare. Das Genick war wie ein Waschlappen.
»Schneidet ihn ab vom Sattel, wenn ihr ihn nicht aus dem Bügel herausbekommt«, sagte Don Ramo. »Legt ihn da drüben hinter den Sträuchern hin. Wir werden ihn später eingraben. Sattelt das Pferd ab und führt es zu den anderen Tieren. Pobre bestia; armes Tier.«
Die Caballeros gingen zurück zu ihrem Feuer. Die Lust zum Essen war ihnen vergangen. Sie redeten von allen möglichen Dingen. Gelegentlich von anderen Unglücksfällen, die sie gesehen hatten oder von denen man ihnen erzählt hatte.
»Raus mit dem Comiteco, Don Alban«, sagte Don Gabriel. »Ich hoffe, Sie werden uns unter solchen Umständen doch nicht trocken sitzen lassen.«
»Sicher nicht, Caballeros, der Comiteco gehört Ihnen sowohl wie mir. Bedienen Sie sich. Nur nicht kleinmütig und zaghaft. Ich habe eine gute Batterie mit mir. Was wir hier trinken, brauche ich in den Monterias nicht zu verkaufen. Salud, caballeros.«
Don Ramon rief den Burschen, der für ihn und Don Gabriel das Kochen besorgte: »Ausencio, ruf mir den El Camaron heran, ich habe mit ihm zu reden.«
»Orita, patroncito«, erwiderte der Bursche und schrie dann: »El Camaron! El Camaron! Al Patron.«
Er musste ihn suchen gehen und fand ihn in der Gruppe der Arrieros und Muletreiber. Die Arrieros waren die soziale Schicht in dem Trupp, der er zugehörte. Es war die Schicht der Unteroffiziere dieser Armee.
»Ya me voy. Ich komme schon«, sagte El Camaron und folgte dem Bursche.
»El Zorro ist dein Companero, he?« fragte ihn Don Ramo.
»Companero? Nun ja. Wie das so ist, Companero««, sagte El Camaron. »Ich kenne ihn auch nicht weiter als eben gerade hier, so, dass wir zusammen bei Ihnen arbeiten, Patron.«
»Du weißt doch aber wenigstens, wo er zu Hause ist?«
»Wie soll ich denn das wissen, Jefe?« erwiderte El Camaron.
»Wo hast du ihn denn getroffen?«
»Im Calabozo in Tullum, im Gefängnis, Jefe.«
»Schöne Brüder«, lachte Don Alban. »Komm her, El Camaron, nimm einen Schluck!«
»Muchas gracias, vielen Dank, Patron«, sagte El Camaron und hob einen gigantischen Schnapper aus der gereichten Flasche. Er wusste ja nicht, ob man ihm die Flasche noch ein zweites Mal anbieten würde, und was man im Bauche hat, kann einem niemand mehr stehlen.
»In der Carcel in Tullum also«, sagte Don Ramon nickend.
»Ich war aber völlig unschuldig drin, Jefe, das dürfen Sie mir glauben, das kann ich schwören bei der Jungfrau und bei dem Kinde.« Als er das sagte, machte er einige geübte Kreuze über den Mund und küsste seinen Daumen zur Bekräftigung seines Schwurs.
»Warum saß denn El Zorro in der Carcel?« fragte Don Alba. »Das war so eine Sache, Patron, Sie wissen ja, was ich meine«, antwortete El Camaron mit breitgezogenem Munde. »Was für eine Sache?« wollte Don Ramon wissen.
»El Zorro hatte da ein Mädchen, eine Criada, ein Dienstmädchen. Er behauptete, sie habe sich mit einem Carretero eingelassen. Er hat sich darum mit der Muchacha elendiglich gezankt, wie das so geht, und als er dann näher hinsah, da war die Muchacha nicht mehr am Leben. Und da war ein großes Geschrei, und da haben sie ihn einfach in den Calabozo gesteckt.«
»Haben sie ihn denn nicht drinbehalten in der Carcel?« fragte Don Gabriel.
»Que va, no. Es hat ja niemand gesehen, ob er das Mädchen erschlagen hat oder ob ihr ein Stein vom Dach auf den Kopf gefallen war. Geld hatte er keinen Cent. Da hat sich niemand darum gekümmert, ob er in der Carcel bleibt. Und da hat man ihn nach einigen Wochen wieder gehen lassen.«
»Seid ihr zusammen herausgekommen?« fragte Don Ramon.
»No, ich kam viel früher 'raus; ich hatte ja nichts getan; ich war ganz unschuldig drin.«
»Du hast doch in Tullum beim Don Eliseo gearbeitet als Mozo, als Helfer«, sagte Don Ramo.
»Richtig, Jefe, es la verdad.«
»Don Eliseo hat in Tullum eine Botica, ist mein Compadre«, erklärte Don Ramon den Caballeros.
Er wandte sich wieder an El Camaron: »Don Eliseo hat dich hinter die Rejas, hinter die Gitter, sperren lassen, weil du bei ihm Medizinen gestohlen hast, wenn du die Kisten aufmachtest, und du hast dann die Medizinen an den Don Ismael, den türkischen Händler, verkauft, der auf die Märkte und Ferias mit
seinem Kram zieht.«
»Das sind Mentiras, gemeine Lügen, Jefe. Ich habe nie etwas angefasst, was meinem Patron gehörte.«
»Versuche nur einmal, etwas anzufassen, was uns hier gehört, du Cabron, du Hurenjunge. Wir stecken dich nicht in die Carcel, wir pfeffern dir eine in die Eingeweide«, sagte Don Ramon. Dann fuhr er fort:
»Sage uns, wo El Zorro her ist, damit wir seine Mutter oder seine Brüder oder was er haben mag benachrichtigen können.«
»Vielleicht ist er von Pichucalco«, antwortete El Camaron. »Er hat einmal so etwas Ähnliches gesagt. Aber bestimmt weiß ich es nicht.«
»Ja, dann«, sagte nach einer Weile Don Ramon, »bleibt uns nichts weiter zu tun übrig als ihn einzugraben. Kommen Sie, Caballeros!«
Die Männer standen auf.
Es wurden Kienfackeln gebracht, und die Männer suchten einen geeigneten Platz, etwa fünfhundert Schritte vom Lagerplatz entfernt.
»Unangenehmes Gefühl«, sagte Don Ramon, »einen Begrabenen zu dicht beim Lagerplatz zu haben.
Wer weiß, wie oft wir noch in unserem Leben hier werden lagern müssen. Dann ist es eine große Beruhigung, den Cementerio, den Friedhof, nicht zu nahe zu haben und vielleicht gar auf den Kadaver zu treten, wenn man die Hosen 'runterlassen muss.«
Einige der Burschen hatten den Leichnam herangeschleppt. Einige andere Burschen waren mitgekommen, um zuzusehen.
Im Trupp waren Äxte, Kletterhaken, Ketten, Drahtseile, Stacheldraht, schwere eiserne Klammern, Bandeisen, Hebezeuge und manche anderen Dinge, wie sie in den Monterias gebraucht wurden und von den Verwaltungen der Monterias bestellt worden waren und nun von Transportunternehmern auf den Rücken von Tragtieren mitgeführt wurden.
Aber im ganzen großen Trupp war nicht ein einziger Spaten und nicht eine einzige Schaufel. Denn das waren Gegenstände, die in einer Monteria nicht gebraucht wurden. Vielleicht war in der einen oder anderen Monteria ein Spaten vorhanden, den man fand, wenn man lange genug suchte, und der vielleicht hier einmal hergekommen war, als die ersten Entdecker und Forscher so nebenbei Gold zu suchen gedachten. Im Trupp jedenfalls war kein Spaten.
Die Burschen fragten auch gar nicht nach einem Spaten. Sie machten sich sofort mit ihren Macheten an die Arbeit, eine Höhlung in die Erde zu kratzen. Als die Höhlung etwa einen halben Meter tief war, wurde der Boden zu hart. Das wartete Don Ramon aber nicht erst ab. Als er sah, dass tief genug ausgekratzt war, um dem Körper gerade Platz zu geben, sagte er: »Legt ihn 'rein! «
Als die Burschen den Körper hochhoben, rief er: »Augenblick, un momento. Sucht einmal erst die Taschen alle durch. Zieht ihm die Stiefel aus und seht, ob er etwas in den Stiefeln hat. Den Ring lasst ihm nur am Finger, es ist nur Messing mit einem Glasstein.«
Die Burschen fanden in seinen Taschen zwölf Pesos und einige Centavos, Zigarettentabak in einem Säckchen und gewöhnliches weißes Papier, das er sich selbst zugeschnitten hatte, ferner ein kräftiges Taschenmesser und das übliche Feuerzeug, das alle Leute mit sich führen, die durch den Dschungel und
den Busch reisen müssen. Das Feuerzeug ist ein Stück Stahl, ein Stück Feuerstein und eine Lunte.
Kein Mensch, der den Dschungel in Zentralamerika kennt und dort gewandert ist, macht sich auf den Weg, ohne ein solches Feuerzeug mitzunehmen, auch wenn er nebenbei hundert Schachteln von guten, modernen Zündhölzern im eisernen Tropenkoffer mit sich führen sollte.
»Du bist ja wohl hier der einzige berechtigte Erbe des El Zorro«, sagte Don Ramon zu El Camaron, »und da nimm das hier nur alles an dich.«
»Mill gracias, jefe«, sagte El Camaron zufrieden und steckte die Sachen und das Geld ein. »Aber mit Ihrer Erlaubnis, Jefe, vielleicht kann ich mir doch dann den Ring auch noch nehmen. Der Hombre braucht ihn nicht mehr, und der Ring ist ja noch ganz gut, auch wenn er wie Messing aussieht, aber die Mädchen wissen das ja nicht, und sie denken, es ist Gold.« Ohne die Erlaubnis seines Patrons abzuwarten, hockte sich El Camaron nieder und streifte dem Leichnam den Ring ab. Die Hände, die wie der Kopf ebenfalls den Weg entlanggeschleift worden waren, sahen so zerschunden aus, so widerlich, und sie waren so flappig, dass man sich entsetzen konnte, wenn man sie länger als mit einem kurzen Blick ansah. Da die Finger von dem Aufschlagen und Entlangschleifen verquollen waren, so vermochte El Camaron den Ring nur dadurch abzustreifen, dass er reichlich Spucke gebrauchte und den Finger des Toten renken, verdrehen und zerquetschen musste. Sobald er den Ring herunter hatte, steckte er ihn gleich an seinen eigenen Finger, rieb ihn am Hemdsärmel ab und ließ ihn in dem flackernden Schein der Kienspäne glitzern.
»Nun könnt ihr ihn in das Grab legen«, sagte Don Ramon zu den Bursche.
Die Peones hoben den Körper in die Höhlung und wollten sie gleich zuscharren.
»Un momento, einen Augenblick, Muchachos!« rief Don Ramon. »Caballeros, er war ja ein Schuft, ein Bandit und ein Mörder und was weiß ich sonst noch alles, aber er war ja trotzdem ein menschliches Wesen und ein Christ. Lassen Sie uns für seine Seele ein Ave-Maria beten.« Die Caballeros und die Burschen nahmen ihre Hüte ab, und alle begannen zu leiern: »Ave Maria, Santa Purisima, Santa Madre de Dios, salvenos, ora pro nobis, Santa Purisima, Santa Madre de Dios, ora pro nobis. Amen.«
So gedankenlos, wie ihnen als Kinder die Gebete eingedrillt worden waren ohne Sinn und ohne Überlegung und ohne Nachdenken, so gedankenlos schnurrten sie die Gebete jetzt auch herunter. Darum kam es ihnen gar nicht in den Sinn, wie widerspruchsvoll ihr Verhalten war. Sie hatten die Absicht und den guten, ernsten Willen, für die Seele des Verunglückten zu beten, aber es kam so heraus, dass sie die Heilige Jungfrau darum baten, beim lieben Gott um das Heil ihrer eigenen Seelen zu bitten. Da aber der liebe Gott alle Dinge weiß, die im Herzen des Menschen sind, so wird er ja diese Gebete für die arme Seele des zu Tode Geschleiften so aufgenommen haben, wie sie von den Betenden gemeint waren, trotz der Kirche.
Als das Gebet vorüber war, hoben die Caballeros einige Brocken Erde auf und warfen sie auf den Körper. Don Alban zog sein rotes Taschentuch aus der Hosentasche und breitete es über den abgescheuerten Teil des Schädels, der einst das Gesicht des El Zorro gewesen war. Dann machte er drei Kreuze über das Tuch und sagte: »Ahora, muchachos, nun könnt ihr zuscharren.«
Die Peones kratzten die aufgeworfene Erde teils mit ihren Füßen, teils mit den Macheten, teils mit Ästen über den Körper. Da der Körper die Höhlung völlig ausfüllte, so bildete die ausgeworfene Erde, die über den Leichnam gescharrt wurde, einen Hügel.
Mehrere Burschen liefen mit ihren schmockenden Kienspänen im Dschungel hin und her und schleppten Steine herbei, die sie auf dem Hügel ausbreiteten. Dann streuten sie darüber Äste und Zweige und abermals einige Steine, um zu verhindern, dass die Äste beim ersten Winde fortgeweht würden.
Der Körper war keineswegs so gut gesichert, dass nicht für Wildschweine oder hungrige Tiger die Möglichkeit bestand, den Leichnam auszukratzen.
Es war kein Zweifel, dass Tiger die Spur aufnahmen und verfolgten, wo der Körper des El Zorro entlanggeschleift worden war. Die Tiger folgten mit Sicherheit sogar Karawanen, die erlegtes Wild mit sich führten, auch wenn das Wild bereits zerlegt war und das Fleisch in den Packen und Kochkesseln
transportiert wurde.
Wurde das Grab aber nicht von den Tieren aufgerissen, so vermoderten die aufgelegten Äste und Zweige rasch, bildeten neue reiche Erde, einige der frisch gebrochenen Äste schlugen Wurzel und nach wenigen Wochen konnte niemand mehr das Grab finden, sosehr er es auch suchen mochte. Es wäre um so schwerer zu finden gewesen, weil die Eingrabung in tiefer Nacht beim Schein der schmockenden Kienspäne erfolgt war, die der Umgebung ein Aussehen gaben, dessen sich niemand am hellen Tage in Einzelheiten hätte erinnern können.
»Macht ihm ein Kreuzchen und steckt es auf!« sagte Don Ramo.
Und Don Alban fügte hinzu: »Ihr, die Muchachos, die den Hombre hier hergebracht und ihn eingegraben haben, kommt zu unserem Feuer und nehmt einen Schluck, damit ihr nicht die ganze Nacht davon träumt.«
An den Feuern der Peones wurde der Fall eingehend besprochen, denn er war das frischeste Ereignis, und es war gleichzeitig ein Erlebnis, das keiner bis an den letzten Tag seines Lebens vergessen würde.
Die Muchachos, die beim Begräbnis geholfen hatten, bekamen ihre Flasche des gewöhnlichen Aguardiente von Don Alban. Sie waren damit zufrieden, denn sie waren an diese Sorte besser gewöhnt als an den Anejo, den die Caballeros tranken und der sie nicht genug in der Kehle gekratzt haben würde, um als wohlverdienter Lohn für ihre unangenehme Extraarbeit betrachtet zu werden.
Don Alban, dem das Leben und Sterben des El Zorro ganz und gar gleichgültig war, weil er ja nicht sein Muchacho gewesen, hatte alle Kosten des Begräbnisses zu tragen. Denn als er die Ausgaben überrechnete, fand er, dass ihn der Unfall des El Zorro zwei Flaschen gewöhnlichen Aguardiente und vier
Flaschen Comiteco gekostet hatte. Bei der einen Flasche für die Peones war es nicht geblieben. Er musste noch eine zweite Flasche opfern, weil sich nach einer Weile noch andere Burschen einfanden, die mit Recht behaupten konnten, dass sie gleichfalls an dem Verunglückten herumhantiert hätten und dass sie in den nächsten Wochen nicht mehr essen könnten, wenn sie nicht die Pest mit einem guten Schluck hinunterspülen würden.
An dem Feuer, an dem Celso, Andres, Paulino und Santiago hockten und kochten, saßen auch noch einige andere Burschen, die sich im Laufe des Marsches den vier Kameraden zugesellt hatten.
Keiner aus dieser Gruppe hatte sich um das Ereignis gekümmert. Sie waren nur für einen Augenblick hingelaufen, als das Pferd mit dem verunglückten Zutreiber in das Lager gekommen war. Nach einigem Zusehen waren sie zurückgegangen zu ihrem Feuer.
Celso hatte gesagt: »Geht aus dem Wege. Hier gibt es Extraarbeit. Lasst euch nicht in der Nähe sehen.«
Keiner von ihnen war zum Begräbnis gegangen. Aber es ergab sich von selbst, dass darüber geredet wurde.
Paulino, der weise und erfahrene Indio, mit guter Kenntnis des Lebens und Geschehens in den Monterias, sagte: »Hombres, was für ein Glück ihr habt, wisst ihr gar nicht. Dieser Cabron, dieser hundsgemeine Hurensohn, ich meine den El Zorro, dass der jetzt unter dem Dreck liegt, ist etwas, wofür ihr alle San José danken könnt. Diesen Burschen und den anderen Henkersknecht, den El Camaron, in der Monteria zu haben und noch dazu als Capataz, Hijitos, meine Söhnchen, da habt ihr nichts zu lachen.
Da habt ihr nur eine Menge Gelegenheit, heftig zu heulen. Dass ihr den einen los seid, dafür dankt allen Heiligen im Himmel. Das einzige Unglück, das heute geschah, war, dass nicht El Camaron im anderen Steigbügel seines Pferdes hing. Und wenn ich ihm das besorgen könnte, ich würde das viel lieber tun als
zwei Botellas Aguardiente auszutrinken. Wenn ihr an die Heiligen glaubt, so betet nur recht fest und nachhaltig heute Nacht, dass El Camaron morgen ebenfalls eingegraben wird. He dicho, ich habe gesprochen.«
Andres sah Celso an. Celso nahm den Blick auf, zuckte aber gleichgültig die Schultern. Was ging ihn denn das an, was Paulino über das Schicksal des El Camaron dachte.
Ein wenig später ging Celso mit seinen Töpfen zum Fluss, um sie auszuwaschen, den Mund zu spülen und die Zähne mit seinem Zeigefinger zu polieren.
Andres folgte ihm, um das gleiche zu tun.
Als sie am Ufer hockten, nebeneinander, und Andres sah, dass sonst niemand in der Nähe war, sagte er: »Wie konntest du denn das wissen, dass El Zorro vom Pferde geschleift werden würde?«
»Das habe ich nicht gewusst«, erwiderte Celso gleichmütig, »ich habe nur in den Sternen gelesen, dass er umkommen wird. Auf welche Weise der stinkige Hund verrecken würde, das haben mir die Sterne nicht verkündet. Auch seine Hände nicht. Um solche Kleinigkeiten kümmere ich mich nicht. Du kennst meine Geschichte bis auf das letzte Pünktchen.«
»Sie ist mir ja ausführlich erzählt worden, als du mich erschlagen wolltest, ohne mich zu kennen«, sagte Andres lachend.
»Und glaubst du denn, das Schicksal lässt es zu, dass zwei so hundsniederträchtige Halunken für eine so gotterbärmliche, stinkige und höllengiftige Gemeinheit, wie sie sie mit mir verübt haben, um sich drei Pesos zu verdienen, am Leben bleiben, sich an der Sonne freuen und sich jeden Tag daran ergötzen können, mich schuften zu sehen, und noch obendrein das Recht haben, mich auspeitschen zu dürfen? So ein Schicksal, das so etwas zulassen würde, gibt es nicht. Der andere Hurensohn kommt auch nicht bis zur Monteria. Vielleicht wird der andere gar nicht einmal mit einem Ave-Maria eingegraben.
Der andere Cabron wird wahrscheinlich von den Geiern und Schweinen aufgefressen. Ich kann daran gar nichts tun. Das ist seine Bestimmung und sein Schicksal.«
Andres lachte und sagte: »Das Schicksal macht zuweilen recht sonderbare Fehler.«
»Wie meinst du denn das, Andresillo?«
»Als heute am Nachmittag das Pferd des El Zorro hier im Paraje ankam, da hast du nicht weiter hingesehen und dich um nichts gekümmert. Niemand hat sich um etwas im einzelnen gekümmert. Alle waren so aufgeregt, so erschreckt, so entgeistert, dass sie nur auf den hängenden und schleifenden Kadaver des stinkigen Hundes sahen. Der Anblick war entsetzlich genug. «
»Ja, und was denn nun weiter? Um mir das zu erzählen, spare dir nur die Worte. Das interessiert mich doch nun gar nicht. Ob der Hund so oder so aussah, hat nicht das geringste mit seinem Schicksal zu tun.«
»Ich habe aber doch genauer hingesehen, gerade darum, weil du das alles richtig voraus geweissagt hattest. Und da wollte ich sehen, wie das Schicksal arbeitet. Aber«, und nun platzte Andres lachend heraus, »ich möchte doch das Schicksal kennen, das einen erfahrenen Jinete, einen erfahrenen Pferdeburschen, wie El Zorro einer war, mit dem linken Fuß im rechten Steigbügel hängen lässt. Wie El Zorro auf seinem Pferd gesessen haben muss, um den linken Fuß im rechten Steigbügel einzuquetschen, das kann mir kein Schicksal klarmachen.«
»Lagarto, lagarto«, rief Celso aus, »verflucht noch mal! Ja, wenn ich so jetzt darüber nachdenke, ich glaube, du hast recht, Andresillo.«
»Freilich habe ich das. Ich war ja auf das Schicksal vorbereitet und habe mich nicht aufgeregt, und darum habe ich manches gesehen, was die anderen nicht gesehen haben.«
»Bist du sicher, dass niemand sonst das bemerkt hat?«
»Nicht einmal Don Ramon. Ich will dir sagen, warum. Der Sattel war beinahe ganz unter dem Bauch des Pferdes. In dieser Lage des Sattels sah es natürlich so aus, als ob der richtige Fuß im richtigen Steigbügel
hinge. Jeder, der herumstand, sah sich nur den zerschundenen Schädel des El Zorro an, weil das viel interessanter war. Der Cabron wurde auch so rasch aus dem Steigbügel herausgeschnitten, dass niemand Zeit hatte, daran zu denken, welcher Fuß in welchem Steigbügel hing.«
Nun lachte auch Celso und sagte: »Gut gesehen und gut geurteilt. Aber so leicht fangen, wie du glaubst, kannst du mich doch nicht, Brüderchen, Manito. Nicht du. Und kein Agent. Viel weniger ein Polizeichef.« »Ich spreche gar nicht von dir, Celso.« »War ich vielleicht beim Schwanz?«
»Lass mich mal nachdenken. Nein, das ist richtig. Du warst nicht im Nachzug.«
»Stimmt, Söhnchen. Richtig und gut beobachtet. Ich war auf dem ganzen Marsch mit den Burschen von Cahancu, noch weit voraus vor der Mitte, wo die Mules der Händler marschieren.
Frage einen einzigen von den Cahancu-Muchachos, und die werden dir sagen, dass es so ist. Was habe ich dann mit dem Kadaver zu tun, wenn der am Schwanz war und ich im ersten Zug des Trupps?«
Andres schwieg für eine Weile. Dann sagte er: »Da will ich doch aber gleich von einem Hammel vergewaltigt werden, wenn ich mir das alles zusammenreimen kann. Ich habe ganz im Ernst geglaubt, dass du dem Schicksal hier auf die Beine geholfen hast.«
»Ich? Ja, Andresillo, was denkst du denn eigentlich von mir? Ich? Diesen elenden Coyote? Da hast du einmal ganz und gar vorbeigeraten. Dir könnte ich es ja gut sagen, Brüderchen. Zu dir habe ich Vertrauen. Aber, was ich nicht getan habe, dafür kann ich keinen Dank beanspruchen.«


ACHTES KAPITEL

Der Marsch am nächsten Tage war so eintönig, so trottend und so schleppend, wie die Märsche an den vorhergehenden Tagen gewesen waren, seit die letzte Siedlung verlassen war. Den Schwanz hatte nun El Camaron. Durch den Unfall seines Spießgesellen war er furchtsam geworden. Er hatte in der Nacht nicht gut geschlafen. Immer wieder war ihm das Schicksal seines Genossen in den
Sinn gekommen. Er fühlte sich unbehaglich seit dem Morgen. Es nagte in ihm etwas, worüber er sich nicht klar wurde. Während des Marsches grübelte er darüber nach, wie es möglich gewesen sei, dass ein so geübter und erfahrener Bursche wie El Zorro vom Pferde fallen konnte. Und selbst wenn er vom Pferde gefallen war, was ja jedem geschehen kann, wie es nur möglich war, dass er das Pferd nicht anhalten und sich aus dem Steigbügel befreien konnte. Seine einzige Erklärung war, dass El Zorro beim Fallen mit dem Kopf auf einen nackten Fels geschlagen sei, was ihm die Besinnung raubte; ehe er die Besinnung wiedererlangt hatte, war er dann wohl so zerschlagen, dass er einem Toten glich. Am Schluss eines Trupps durch den Dschungel zu reiten ist beinahe so gefährlich wie völlig allein zu reiten. Stößt dem, der am Schluss reitet oder wandert, etwas zu, niemand im Trupp erfährt es. Der Trupp
marschiert weiter. Man wird des Fehlenden erst gewahr, wenn der Trupp am Nachmittag im Lager ankommt und der Mann vermisst wird. Dann wird erst einige Stunden gewartet, in der Hoffnung, dass der Nachzügler aufkommen wird. Kommt er nicht, dann werden zwei Burschen, zu Fuß oder zu Pferde, auf
die Suche geschickt. Darüber wird es Nacht, die Burschen können in der Nacht nicht viel ausrichten und kehren zurück zum Lager, um am Morgen die Suche wiederaufzunehmen. Inzwischen kann alles mögliche, was im Dschungel nur immer geschehen kann, dem Vermissten zugestoßen sein.
El Camaron machte sich gut Freund mit den Nachhinkern, damit sie in seiner Nähe blieben, und er gab sich große Mühe, so dicht dem Trupp aufzubleiben, wie das nur möglich war. Jedoch die Peones, gewandt wie Katzen und seit ihrer Kindheit an Märsche und Wanderungen gewöhnt, schnitten hier und dort den Weg ab. Sie konnten trotz ihrer schweren Packen an den Felsen hinuntergleiten, über sumpfige Stellen leicht hinweghüpfen, über gefallene Urwaldriesen hinwegklettern.
El Camaron musste auf seinem Pferde den Weg völlig auswandern. Nur selten konnte er im Trab reiten. Das Gelände ließ es nicht zu. So fand er sich oft viertelstundenlang und mehr ganz allein im Dschungel. Und es war in diesen Viertelstunden, wenn die Burschen durch Querpfade ihm weit voraus waren, dass er von heftiger Angst befallen wurde. Wie eine geheime Stimme, die unausgesetzt auf ihn einredete, glaubte er, in dem Wispern der Bäume und Büsche zu hören, dass El Zorro seinen Tod nicht ganz durch einen Unfall gefunden habe, sondern durch ein Zusammenwirken verschiedener Umstände, das etwas Unnatürliches an sich hatte.
Er mäßigte seine Brutalität gegen die angeworbenen Indianer so weit herab, dass er sich selbst lächerlich erschien.
Mit allen möglichen kleinen Kniffen suchte er sich die Nachzügler nahe zu halten. Er gab ihnen Zigaretten, er redete mit ihnen über ihre Familien, und nicht ein einzigesmal peitschte er auf einen los. Dennoch ließ sich auch nicht einer der Peones einsäuseln. Jeder wusste, dass El Camaron den Teufelspelz nur darum mit Engelspuder bestreute, weil er begonnen hatte, sich zu fürchten. Sie wussten auch recht gut, dass El Camaron, so lieblich er sich jetzt auch gebärdete, alles Versäumte nachholen werde, sobald erst einmal die Monteria erreicht war und er das Amt des Capataz hatte. Und weil die indianischen Burschen keine Heuchler und Anschmeißer waren, darum nahmen sie seine gebutterte Freundschaft nicht an. Sie verweigerten seine Zigaretten mit der Ausrede, dass sie gerade jetzt nicht rauchen mochten, und auf seine Versuche, sich mit ihnen in vertrauliche Gespräche einzulassen, knurrten sie nur und taten, als ob sie nicht hörten oder als ob sie zu müde seien, voll zu antworten.
Sobald sie eine Abkürzung erkannten, rissen sie aus und verschwanden.
Das Verhalten der Peones machte El Camaron nur noch unsicherer und erfüllte ihn mit tieferer Furcht. Jetzt wurde es ihm zur Gewissheit, dass irgendeiner oder einige der Burschen nachgeholfen hatten, dass El Zorro sein Ende auf dieser Erde fand. Damit stieg in ihm das würgende Bewusstsein auf, dass er der nächste sein werde, der El Zorro folgen müsse.
Aus irgendwelchen Gründen war Celso der Bursche, an den er am wenigsten von allen dachte. Celso machte auf ihn immer den Eindruck eines geistig trägen Indianers, der seine Arbeit verrichtete wie ein Ochse und zufrieden war, wenn er nicht gepeitscht wurde. Celso war nicht der einzige Bursche im Trupp, den er und El Zorro durch eine erbärmlich gemeine Handlung für die Agenten, die ihn bezahlten, eingefangen hatten.
In seinen Gedanken überdachte er alle Peones im Trupp, um zu dem gelangen zu können, vor dem er sich zu hüten habe. Es waren mehrere, die er als die Burschen betrachtete, die ihm gefährlich erschienen.
Unter ihnen befand sich Andres. Aus irgendeinem Grunde biss er sich auf dem Gedanken fest, dass er sich am meisten vor Andres zu hüten habe. Andres war intelligent, war frech zuweilen, gab Widerworte und ging nicht für seine eigene Person, sondern für seinen Vater in die Monteria.
Sehr früh, um ein Uhr mittags, langte der Trupp an den Ufern des Santo-Domingo-Flusses an.
Die Arrieros, die Muletreiber, hatten am Morgen mit allen ihren Kräften gearbeitet, um so zeitig abzumarschieren, wie es nur durchführbar war. Sie hatten das getan im Hinblick auf den Übergang über den Fluss.
Das Lager befand sich auf dem jenseitigen Ufer.
Die Arbeit dieses Tages war nicht der Marsch, sondern der Übergang über den Fluss.
Es waren schon Schwierigkeiten genug für einen solchen Übergang zu bewältigen, wenn es sich nur um ein paar Reisende handelte; aber je größer ein Trupp war, um so verwickelter wurden die Probleme, die sich hier ergaben.
Es konnten nur wenige Tiere mit ihren Packen bis dicht ans Ufer in einer Gruppe heran. Der Pfad war schmal und sumpfig. Der Fleck, wo die Tiere zu halten hatten, war nur etwa drei Meter breit und etwa acht Meter lang. Der Dschungel war zu dicht, als dass man den Platz hätte erweitern können; es hätte eine
Arbeit von vielen Stunden verursacht. Alle Tiere wurden abgeladen.
Die Uferböschung war steil und ungefähr zwei Meter hoch. Das Wasser des Flusses war schwarz, undurchsichtig und morastig. Durch den Dschungel, der sich dicht bis an das Ufer drängte, wurde der Fluss in seiner Farbe noch unheimlicher.
Auf dem langen Marsche waren wohl drei Dutzend Flüsse zu durchqueren. Es waren nicht immer andere Flüsse, sondern in vielen Fällen nur andere Windungen desselben Flusses, bis der Trupp in ein neues Flussgebiet kam. Die Mehrzahl dieser Flüsse war jedoch leicht zu kreuzen. Ihr Wasser war klar, und die Tiere konnten bis auf den Grund sehen, der meist sandig, von Kieselsteinen bedeckt oder felsig war. Der Einmarsch in jene Flüsse war meist flach oder erfolgte doch wenigstens von niedrigen Ufern aus. Hier am Santo-Domingo-Fluss jedoch scheuten sich die Tiere vor dem unheimlich schwarzen und morastigen Wasser, dessen Tiefe sie nicht abschätzen konnten. Und besonders die bedächtigen und vorsichtigen Tragmules zu bewegen, von der hohen, steilen Böschung geradeaus in den Flug zu springen und hinüberzuschwimmen, gelang auch den besten Arrieros nicht. Die Tiere zu schlagen hilft nicht; es wird von den erfahrenen Leuten auch gar nicht versucht.
Die gefährlichsten Wasserläufe im Dschungel sind nicht die breiten, sondern diejenigen, die schmal sind und sehr steile, häufig zehn bis zwölf Meter hohe Ufer haben. Diese sind ungemein schwer für die Tiere zu nehmen.
Es würde vielleicht gelingen, die Tiere von dem hohen Ufer durch Scheuchen, Schreien, Nachdrängen der anderen Tiere in den Fluss zu jagen. Aber wenn sie dann im Fluss schwimmen, können sie nicht mehr heraus. Sie können am gegenüberliegenden hohen Ufer nicht hinaufklettern; denn sie sind ja keine
Katzen. Sie legen die Vorderbeine gegen das Ufer, aber die Hinterbeine, die sie zum Nachschieben und zum Springen gebrauchen, finden keinen Halt in dem Morast. An vielen Stellen ist das Ufer auch noch unterwaschen. Die Tiere schwimmen zwei Stunden hilflos im Wasser herum, bis sie endlich, völlig erschöpft, abtreiben und vielleicht zwei oder drei Meilen weiter unten ein flaches Ufer erreichen können. Aber sie können von dort nicht mehr herbeigeholt werden, weil das dazwischenliegende Gelände Sumpf
ist.
Der Fluss musste an dieser Stelle gekreuzt werden oder gar nicht.
Gute Krieger kehren nicht um. Und die Arrieros, die Händler, die ihre Waren nach den Monterias bringen, und die Agenten, die ihre angeworbenen Indianer in den Monterias verkaufen wollen, sind alle gute Krieger.
Wenn diese Leute einen Kriegsmarsch unternehmen, so erreichen sie ihr Ziel, auch wenn eine Anzahl von Tieren verloren geht und der eine oder andere Mann auf der Strecke bleibt. Ein Unmöglich kennen sie nicht. Sie kennen nur Schwierigkeiten. Es geschieht in der Tat, dass sie einen vollen Tag an einem Ufer oder an einer steilen Felsenrinne sitzen und überlegen, wie es zu machen sei, um durchzukommen. Niemals drängt sich in ihr Überlegen der Gedanke an ein Umkehren.
Die erste Gruppe der Tiere wurde abgeladen. Das Gepäck wurde von den Peones aufgenommen. Weiter oben war der Fluss schmaler, aber die Ufer waren höher, und der Dschungel kam bis dicht an den Uferrand heran. Hier lag ein riesiger Baum quer über dem Fluss. Auf diesem Stamm balancierten die
Indianer das Gepäck auf die andere Seite des Flusses.
Sobald die erste Gruppe der Tiere abgeladen war, wurde sie auf dem engen Wege, den man rasch gelichtet hatte, zurückgeführt auf einen offenen Platz, der zwar sumpfig war, wo aber die Tiere stehen konnten. Dadurch wurde der enge Platz am Ufer frei, und eine zweite Gruppe von Tieren konnte herbeigeführt, abgeladen und dann ebenfalls auf jenen offenen Platz getrieben werden.
Emsig wie Ameisen schleppten die Indianer die Packen, sobald sie abgeladen waren, über den Baum auf das andere Ufer.
Als alle Tiere befreit waren und hier am Ufer Platz zum Arbeiten war, wurden sowohl auf dieser wie auf der gegenüberliegenden Seite Brücken gebaut.
Es wurden sehr lange Stämme geschlagen. Die Stämme wurden mit abgeschältem Bast und mit Lianen nebeneinander verflochten. Darauf wurden Quersprossen eingeflochten. Dann wurde diese Brücke, die einem Floß ähnlich war, in den Fluss geschoben, bis sie den Grund erreichte. Oben wurde sie mit Lianen verankert, um nicht abzurutschen. So wurde ein Weg geschaffen, auf dem die Tiere von dem hohen Ufer allmählich und furchtlos in das Wasser gehen konnten. Wenn sie das Wasser erreichten, rutschten sie ab von der Brücke, weil hier absichtlich keine Quersprossen eingeflochten waren, und sie begannen zu schwimmen. Umkehren konnten sie nicht mehr, weil oben an der Brücke schon das nächste Tier stand. Eine Weile schwammen die Tiere unsicher herum, aber bald fanden sie die Brücke, die am anderen Ufer in gleicher Weise gebaut und ins Wasser gelassen worden war. Jene Brücke hatte Quersprossen von unten auf, so dass die Tiere sofort Fuß fassen konnten. Sobald sie festen Boden fühlten, liefen sie rasch und mutig die Brücke hinauf und waren vergnügt am anderen Ufer angelangt.
Die ersten Tiere hinüberzubringen war nicht immer ganz leicht. Darum wurden die ersten drei oder vier Tiere an lange Lassos genommen. Der Lasso wurde auf das andere Ufer geworfen, hier von Burschen aufgefangen, und sobald das Tier schwamm, wurde es mit Hilfe des Lassos zur Brücke gezogen. Die Tiere, die zu folgen hatten, wurden eines nach dem anderen dicht hintereinander geführt und mit infernalischem Geschrei und einem wilden Aufwerfen der Arme und mit kleinen Steinen, die ihnen auf die Schinken geworfen wurden, auf die Brücke gescheucht. Die Tiere bekamen keine Zeit, zu überlegen und zu scheuen oder sich zu fürchten. Wenn sie sahen, dass den vorausgehenden Tieren nichts geschah, so folgten sie willig und ohne Widerstreben in solcher Ordnung, als ob sie auf dem gewöhnlichen Marsch auf fester Erde wären.
Die Arrieros besitzen eine ganz erstaunliche Fähigkeit in der Kunst, Brücken und andere Hilfsmittel zu bauen in solcher Weise, dass sie haargenau nur für ihren eigenen Transport ausreichen und, wenn das letzte Tier hinüber ist, zusammenfallen. Und es ist merkwürdig, dass die Brücke immer hinter dem letzten Tier zusammenfällt, ganz gleich, ob die Karawane aus sechzig Tieren besteht oder aus sechs.
So etwas soll erst einmal ein europäischer Brückenbauer nachmachen; mit allen seinen mathematischen Kunststückchen wird es ihm nicht gelingen, eine Eisenbahnbrücke so zu bauen, dass sie genau für fünfzig Eisenbahnzüge ausreicht und unter der Lokomotive des einundfünfzigsten Zuges zusammenbricht.
Aber Arrieros haben keine Mathematik studiert, und das mag vielleicht der Grund sein, dass sie etwas können, was die Diplomingenieure nicht können.
Die Krieger, die in das Land zogen, wo die Caoba erobert wird, um der Zivilisation zugänglich gemacht zu werden und sich in Dividenden verzaubern zu lassen, waren die genügsamsten und schlichtesten Krieger, die je ein Feldherr zur Verfügung hatte. Sie waren die genügsamsten Krieger und dennoch vielleicht unter allen Kriegern die tapfersten. Sie kämpften nicht für Ruhm und Orden, nicht für das Vaterland, aber sie bluteten, litten, wurden getötet, und wenn sie lebten und kämpften, so lebten sie genügsamer, als je ein Soldat Hannibals gelebt haben würde. In ihren Kochtöpfen Frijoles und Chile am Morgen und Chile und Frijoles am Abend. Schwarze Bohnen mit roten oder grünen Pfefferschoten zusammengekocht.
Und dazu als Labe dünner schwarzer Kaffee mit einem Bröckchen braunem Rohzucker. Tagein, tagaus. Woche für Woche, Monat für Monat. Und wenn sie es erlebten, jahrein, jahraus. Manchmal in Fett gerösteter Reis mit rotem Pfeffer. Zuweilen ein Streifen getrocknetes Fleisch, hart wie ein Lederriemen. Kein Sonntag, kein Feiertag. Zuweilen das Fest, La Fiesta, wo die Tänzerin die Peitsche des Capataz war, mit der der Peon, je nach der Notierung, die er hatte, fünfzig oder hundert oder zweihundertfünfzig Male zu tanzen hatte.
Kein Krieger in irgendeiner Armee, in alten Zeiten oder in denen von heute, trug je einen schwereren Packen auf seinem Rücken als diese ruhmlosen Krieger, die ohne Musik, ohne Trommeln und Flöten und ohne Lieder ihren Weg marschierten. Umschwärmt und geplagt von Moskitos, Bremsen, Stechfliegen, Wespen und Zecken; marschierend ohne Schuhe über felsiges Gestein, durch
Sumpf und Wasser, durch Dornengestrüpp, steil hinauf, steil hinab; von Sonnenaufgang bis in den Nachmittag hinein, mit Arbeit hier und dort am Wege; marschierend unter der strömenden und nie versiegenden Hitze, die schwer und drückend war in der dunkelgrünen, lastenden Feuchtigkeit des
Dschungels.
Dann kamen sie am Lagerplatz an, wo es erneut Arbeit gab. Sie schliefen unter freiem Himmel, ob es in Gießbächen regnete oder ob ein dicker Nebel, der im Dschungel lastete und sich nicht verzog, ihre Glieder schwellen ließ und lähmte. Nun freilich lebten auch ihre Führer nicht in Schlafwagen oder in den reichen Luxuszelten klassischer Heerführer.
Sie hatten überhaupt keine Zelte und nichts, was Zelten ähnlich war.
Sobald der Trupp auf dem Lagerplatz ankam, wurden von den Peones Casitas für die Ladinos gebaut. Diese Häuschen hatten mit Häusern nur den Namen gemeinsam. Die Burschen zogen mit ihren Macheten in das Dickicht und schlugen Stämmchen ab. Zwei Stämmchen wurden in etwa vier Meter Entfernung voneinander senkrecht in die Erde gepickt. Oben wurde ein
Stämmchen quer darübergelegt, auf die Gabeln, die man an den Stämmchen gelassen hatte. Gegen dieses quergelegte Stämmchen wurden lange, dünne Stämmchen schräg angelehnt. Diese angelehnten Stämmchen wurden mit einigen Striemen Liane leicht verbunden. Dann wurden diese Stämmchen mit Laub und Palmblättern bedeckt. Wenn das ganze Häuschen fertig war, so sah es aus wie ein halbes Dach, das auf dem Erdboden ruhte. Es war auch nichts weiter als ein halbes Dach, welche Bezeichnung man dieser Casita auch immer geben mochte. An beiden Seiten und an der Vorderfront war das Häuschen offen. Wenn der Regen von der Vorderseite aus in das Häuschen getrieben wurde, dann hatten die Bewohner genau dasselbe Erlebnis, als ob sie ganz im Freien schliefen.
Don Gabriel trauerte an diesem Abend. Er redete von nichts anderem am Feuer als von dem grausamen Schicksal, das ihn betroffen.
Einer der Peones, die er auf einer Finca angekauft hatte, war, um zu seiner Kolonne zu gelangen, von der er zurückgeblieben war, auf dem Marsche an der Seite des Pfades marschiert, um ein Tragmule zu überholen.
Als der Bursche gerade neben dem Mule war, brach eine Platte aus dem Fels heraus, auf die das Mule trat. Das Mule mit seinem schweren Packen überkugelte sich und fiel auf den Burschen. Der Bursche, bereits arg auf der Brust gequetscht, vermochte sich an dem Abhang nicht zu halten. Der Gurt seines Packens, den er über der Stirn trug, rutschte herunter und würgte seinen Hals. Der Packen war ungemein schwer, und wie auch der Bursche um sich tastete, um sich an einem Gebüsch festzuhalten, er rutschte dennoch den Felsen hinunter. Die Burschen, die sofort in die Schlucht stiegen, ihn zu suchen, fanden ihn tot. Sie gruben ihn an derselben Stelle ein, wo sie ihn gefunden hatten.
Don Gabriel ritt an der Spitze des Zuges. Er bemühte sich immer, in der ersten Kolonne zu marschieren, und wenn möglich als der Vorreiter. Er wollte, wie er dachte, den Weg besser kennen lernen.
Er sagte jedoch zu Don Ramon, seinem Geschäftsteilhaber, dass er darum an der Spitze marschiere, weil die Burschen zu sehr stänkerten auf dem Wege, der vielen Bohnen wegen, die sie ewig äßen.
Don Gabriel hörte erst am Nachmittag im Lager, was ihm heute zugestoßen sei. Sofort zog er sein Büchelchen hervor, rechnete und sagte: »Caray, chinga la matricula, hundertachtzig Pesos im Ursch.«
Darüber vergaß er, nachträglich ein Ave-Maria für den verunglückten Burschen zu beten.
Und da auch kein anderer der Caballeros sich die Mühe gab, ein Ave-Maria zu schnurren, muss der arme Indianer ungeweiht in Gottes Erde ruhen.
Don Gabriel strich den Namen des Peons wohl zwanzigmal durch, immer wieder und wieder. Er tat es gedankenlos, sagte aber ein paar Mal: »Der reine Betrug. Hundertachtzig Pesos. Hätte ich ihm doch wenigstens keinen Vorschuss in Hucutsin gegeben. So wird man um sein Geld betrogen. Don Alban, Sie haben solche Sorgen nicht wie wir. Ihr Geschäft wickelt sich einfacher ab.«
Er zuckte auf. Ein Hoffnungsstrahl leuchtete ihm. Er rief einen der Burschen herbei, die zugegen gewesen waren. Er fragte: »Er war vielleicht gar nicht tot? Ihr habt ihn doch nicht etwa lebendig eingegraben?«
»No, patroncito, gewiss nicht. Der war so sehr tot, dass ihm der halbe Kopf fehlte. Wir haben ihn gesucht, um ihn hinzuzulegen, aber wir haben ihn nicht finden können.«
»Da seht ihr«, sagte Don Gabriel, »was euch Hähnen auf diesem Marsch alles geschehen kann, wenn ihr nicht gut auf euch Acht gebt.«


NEUNTES KAPITEL

Andres saß rauchend auf einem gestürzten Baum, hundert Schritte oder einige mehr entfernt von dem Lager. Als er gelegentlich den Kopf wandte und in das grüne Licht des Dschungels blickte, sah er Celso wie einen ungewissen Schatten zwischen einigen offenen Stellen vorüberhuschen. Celso machte den
Eindruck, als ob er einem Wilde auf der Spur sei. Andres blickte der Richtung, die Celso verfolgte, voraus, und da sah er El Camaron gehen, der sich für ein persönliches Geschäft einen geeigneten Platz zu suchen schien.
El Camaron schien nicht zu wissen, dass jemand hinter ihm her war. Andres stand auf und ging zurück zum Lager, wo er sich an das Feuer setzte. Es begann nun rasch Abend zu werden.
Nach einer Weile kam Celso ruhig an und hockte sich gleichfalls an das Feuer. Er stellte seine Bohnen und den Kaffee heran und rührte die Glut auf.
»Ich habe heute den ganzen Tag El Camaron nicht einmal gesehen«, sagte Andres.
»Bist du so verliebt in den, dass du nicht leben kannst, wenn du ihn einmal nicht sehen kannst?« fragte Celso grinsend. »Der hat jetzt immer den Schwanz, und wir sind in der ersten Kolonne des Trupps. Was geht uns der Hurenhund an.«
An dem Feuer saßen auch Paulino und Santiago und noch zwei andere Bursche.
Da sagte Paulino: »Was der uns kümmert, El Camaron? Der kümmert uns schon gut was, das sage ich dir. Und wenn wir erst einmal in der Monteria sein werden, dann wirst du schon bald erfahren, was der uns kümmert. Ich kann euch sagen, wenn ich es könnte, ich würde den Coyote erschlagen wie einen kranken Hund. Das würde ich tun, bei der Purisima. Ich bin nur zu schlapp dazu. Vielleicht einmal, wenn ich eine Flasche Aguardiente heruntergegurgelt habe. Mit einem gewöhnlichen Knüppel würde ich ihn erschlagen.«
»Vielleicht fällt er in den See Santa Clara«, sagte darauf Celso, »dann sind wir ihn alle los.«
»Wie soll er denn in die Laguna fallen, das möchte ich wissen?« erwiderte Paulino. »He, du, Andresillo«, mischte sich Santiago ein, »wenn wir hier mit unseren Carretas wären, dann würde das nicht lange dauern mit ihm.«
»Meinetwegen, macht, was ihr wollt«, sagte Andres. »Lasst ihn doch leben, der hängt sich eines Tages vielleicht ganz von selbst auf.«
»Das ist auch ganz meine Meinung«, meinte Celso, »lassen wir ihn doch leben. Und mit dem Aufhängen, das ist gar nicht so unmöglich, wie ihr denkt. Er hat die Hosen voll Schitt. Er phantasiert herum und denkt, dass El Zorro hinter ihm her ist, weil er sein Geld genommen hat und seinen Ring. Voll Schitt hat er die Hosen, das hat er.«
»Por Diabolo, zum Teufel noch mal, wer hat denn mein Salz hier genommen?« sagte Paulino. »Schrei doch nicht um dein Krümchen Salz«, antwortete Santiago, »hier ist dein Salz, friss es und erstick daran.«
»Ich habe El Camaron in das Dickicht gehen sehen vor einer halben Stunde«, sagte Celso. »Vielleicht sucht er einen Baum, um sich daran aufzuhängen. Aber meine Meinung ist, dass der viel zuviel Schitt in den Pantalones hat, sich selber aufzuhängen. Da muss erst einer nachhelfen, damit er nicht abreißt. Und wenn der einmal hängt, mit Sturm saust er in die Hölle und trifft dort El Zorro an, der ihm schon gleich bei der Ankunft etwas Kräftiges erzählen wird von wegen des Geldes und auch schon von wegen des Diamantringes.«
»Ist ja gar kein Diamantring«, sagte Santiago.
»Ist aber doch ein Diamantring«, mischte sich Paulino ein.
»Streitet euch doch hier nicht um Diamanten herum, die wir nicht haben«, sagte Andres. »Was geht es uns denn an, ob das ein Diamant ist oder ein Rubin oder ein Kieselstein.«
»Andresillo hat recht, es ist kein Diamant«, sagte Santiago, »es ist ein blauer Topas.«
»Es ist überhaupt nur ein Stück ganz gewöhnliches Glas, und Gold ist der Ring auch nicht«, sagte ein anderer Bursche, Otilio, der hier am Feuer saß und sich nur selten in das Gespräch der vier Vertrauten mischte.
»Du natürlich weißt das ganz genau«, sagte Santiago höhnisch. »Und ich weiß, dass der Ring echt ist und wenigstens hundert Pesos kostet. Gekauft hat der Hurensohn den Ring nicht. Er hat einen spanischen Händler da oben in der Nähe von Copainala angefallen, erschlagen und verscharrt und ihm den Ring und alles Geld abgenommen.«
Es wurde eine lange Nacht für die Burschen. Da sie einmal zu schwatzen angefangen hatten, schien das kein Ende mehr zu nehmen die ganze Nacht hindurch, und keiner kam recht zum Schlafen.
Am Morgen, es war noch stockdunkel, brannten schon wieder alle Feuer hell auf für den Kaffee und um für das Frühstück die Bohnen anzuwärmen, die vom Abendessen stets übriggelassen wurden, damit man etwas bei Beginn des Tages zu essen habe.
Auch die Caballeros rekelten sich aus ihren Casitas heraus und krochen zu dem Feuer, das die Burschen, die sie zu ihrem persönlichen Dienst befohlen hatten, bereits angefacht hatten.
Das Feuer der Caballeros brannte immer dicht vor der offenen Seite ihres Daches, damit es das Innere ihrer Casita erwärme und damit sie des Nachts ihre Füße in die Richtung des Feuers strecken konnten, um die Füße warm zu halten. Außerdem gab ihnen das Feuer Schutz gegen die Tiger, die des Nachts stets um das Lager schlichen, angelockt durch das aufgehängte Fleisch und angelockt durch die Ausdünstung der Mules.
Die Mules liefen des Nachts frei umher, um sich Laub und anderes Grünfutter zu suchen und geeignete Stellen zum Niederlegen. Sie legten sich drei- oder viermal des Nachts hin, aber selten länger als je eine halbe Stunde. Dann sprangen sie auf, schüttelten sich und schnaubten heftig. Sie hielten sich immer in Rudeln zusammen. Alles, was die Mules und die Pferde taten, diente ihrem Schutz gegen die Tiger. Es wurden darum auch nur einzelne Tiere, die sich verirrt hatten oder weit zurückgeblieben waren, von Tigern oder Löwen angegriffen. Selbst dann waren es meist immer nur Tiere, die schwächlich und
hufkrank waren.
Die Arrieros sperrten den Pfad, den der Trupp gekommen war, mit Dornengebüschen ab, und einige der Treiber machten ihr Lager für die Nacht an diesem künstlichen Tor. Der Pfad war eng, und des Dickichts wegen konnten die Tiere seitlich der aufgebauten Hecken nicht ausbrechen. Sie versuchten immer nur nach rückwärts auszubrechen, auf dem Wege, den der Trupp gekommen war und den die Tiere deshalb kannten. Auf dem Wege, der am folgenden Tage marschiert werden sollte, gingen die Tiere in ihrer Suche nach grünem Futter des Nachts selten mehr als zwei Kilometer weit. Hier an diesem Lager, wie an der Mehrzahl der Lager, brauchte der Pfad nicht geschlossen zu werden.
Hier sperrte der Fluss den Tieren den Rückweg. Selbst wenn die Brücken nicht bereits durchgebrochen gewesen wären, so hätte dennoch kein Tier versucht, in der Nacht allein zurückzuwandern, denn der Übergang über den Fluss war zu schwierig. Der eine Grund, warum ein Lager immer an einem Flusse geschlagen wurde, war das Wasser, das man zum Kochen und zum Trinken benötigte. Der andere Grund war die größere Sicherheit, dass die frei laufenden Tiere nicht so leicht ausbrechen konnten. Es war meist auf dem Rückmarsch, dass jene Tore gebaut werden mussten.
Die Tiere am Morgen zu suchen war eine schwere Arbeit. Nur sehr geübte Arrieros verstanden es, sie in kurzer Zeit zusammenzubringen. Diese erfahrenen Karawanenführer haben einen merkwürdigen Instinkt, die Tiere fühlend aufzufinden, auch wenn die Nacht im Dschungel noch so schwarz ist.
Die alten Veteranen unter den Karawanenmules freilich kommen sehr früh am Morgen selbst zum Lager, weil sie wissen, dass der Mais auf sie wartet. Es gibt nur einmal am Tage Mais. Mais ist der Braten für die Mules und die Pferde. Und wer nicht rechtzeitig am Morgen zur Stelle ist, muss leer ausgehen oder sich mit dem begnügen, was die Arrieros für sie vor den rasch arbeitenden Mäulern der pünktlichen Tiere retten konnten.
Da der Weg nicht immer durch das Dickicht geht, sondern lange Strecken auch durch Dschungel, wo Bäume und Büsche weniger dicht stehen, so schweifen die Tiere des Nachts von dem Pfade ab und gehen zur Seite oft einen Kilometer und weiter in den Dschungel hinein. Diese Tiere zu suchen ist die Arbeit, die am Morgen die meiste Zeit verschlingt und oft genug die Ursache ist, dass einige Muletreiber ohne Frühstück abziehen und auf ihre erste Mahlzeit am Tage warten müssen bis zum Abend im neuen Lager.
Die Caballeros krochen fröstelnd unter ihrem Dach hervor. Ihre Decken schlugen sie fest um sich herum und zogen sie hoch bis über die Nase. Am frühen Morgen ist es ganz verteufelt kalt im tropischen Dschungel. Weil sich der Körper völlig auf die tropische Hitze einstellt, so fühlt man jene Morgenfrische um so empfindlicher. Die Caballeros richteten sich nicht auf, um nichts von der Wärme der Nacht zu verlieren. Sie krochen gebückt zu dem hellen Feuer.
Der Kaffee war bereits fertig. Gierig schlürfend, mit einem grunzenden Gurgeln, das ihr Wohlbehagen verriet, tranken sie den Kaffee in sich hinein. Sie klammerten ihre Hände dicht um die Emailletassen, um die Hände zu wärmen.
Dann stellten sie die Tassen fort, kratzten sich den ganzen Körper, rülpsten, spuckten, gähnten, fluchten, verschworen ihre Seele, rekelten sich, schabten sich mit allen Fingernägeln im Haar, scheuerten sich den wachsenden Bart mit den Knöcheln, rotzten und spuckten und fluchten wieder und richteten sich dann endlich auf, ihren Körper ziehend und streckend.
Hierauf kamen ihre Burschen mit halben Fruchtschalen, gefüllt mit frischem Wasser. Die Burschen gossen ihren Herren das Wasser über die Hände, die Caballeros rieben sich die Hände, wischten sich mit den nassen Händen die Augen aus und schleuderten dann das Wasser von den Händen ab. Dann trockneten sie sich die Hände an dem Handtuch, das jeder Caballero während der Nacht um den Kopf gewickelt hatte, um zu verhindern, dass ihm Insekten in die Ohren und in den Hals kröchen und die Moskitos sein Gesicht zerstachen.
Die Burschen brachten abermals Wasser, und die Caballeros spülten sich den Mund und gurgelten lange und gründlich.
Zwischendurch gellten bereits die Befehle für den Tag über das Lager hin, während die Burschen am Feuer Reis rösteten, Bohnen anwärmten, Kaffee frisch ansetzten, Sardinenbüchsen öffneten und die zerbröckelten Totopostles aus dem Leinensack fischten.
Das Lager war bereits zum Aufbruch gerüstet.
Bei den Tieren fluchten und verschworen sich die Arrieros, weil die Tiere nicht geduldig stehen und sich die Packen ruhig aufladen lassen wollten.
Dann war wieder ein Tier, das man schon hier hatte, erneut fortgelaufen, ein anderes, bereits geladen, warf sich hin und versuchte, die Last abzuwälzen, einige marschierten bereits von selbst los. Hier riss ein Gurt, dort brach ein Strick, und die Last rutschte ab, weiterhin kreischte ein Arriero ein Dutzend Cabrones und Hurensöhne auf einen Burschen los, der die falsche Schleife gereicht hatte, wodurch die geordneten Züge der Seile in Unordnung gerieten, so dass die Last nicht festgezogen werden konnte. Celso, Andres und die übrigen Burschen dieser Marschgemeinschaft schnürten an ihren Packen herum. Paulino scharrte das Feuer aus und pickte die Reste des Kienholzes auf, das nicht völlig verbrannt war. Er schob die angekohlten Späne in seinen Packen.
Die Burschen hockten herum und tranken die letzten Schlucke ihres Kaffees aus ihren Blechkännchen. Diese Kännchen wurden oben auf den Packen aufgebunden oder oben in die Öffnung des Netzes geschoben.
Da hörte man Don Gabriel schreien: »El Camaron, du himmelgottverfluchter fauler Stinkknochen, wo hurst du denn herum? Komm her!«
Andres erschrak heftig. Er sah Celso an, der gleichmütig am Boden hockte, seinen Kaffee in dem Blechkännchen herumschwenkte und vor sich hin knurrte: »Schitt und nochmals Schitt und verflucht noch mal.«
Es war immer noch dunkel, aber der Morgen eilte doch sehr rasch heran. Die Umgebung färbte sich in ein graues, schimmerndes Blau. Andres vermochte das Gesicht des Celso genügend zu sehen. Er verwunderte sich, dass Celso so gleichgültig blieb. Dann bemerkte Celso, dass ihn Andres aufmerksam ansah.
»He, du Ochsentreiber, was stierst du mich denn so an?« sagte er übel gelaunt. »Ich soll dir wohl gleich am frühen Morgen eins in die Zähne hauen. Ich bin gerade in der rechten Stimmung dazu. Ich könnte mich selbst erwürgen.«
»Orita, jefe«, schrie da aus einiger Entfernung im Dickicht El Camaron, »gleich, gleich, ich komme schon, a sus ordenes, zu Ihrem Befehl!«
»Bueno«, rief Don Gabriel, »wir reiten ab. Du nimmst wieder den Schwanz wie gewöhnlich und zählst ab von hier an, dass keiner fehlt.«
»Muy bien, jefe, sehr wohl«, antwortete El Camaron. Jetzt sah aber Celso Andres an. Dabei stand er auf, nahm seinen Packen auf und sagte: »Los, komm,
Andresillo. Wir sind in der ersten Kolonne.«
Als sie eine Weile nebeneinander marschiert waren, sagte Celso: »Was hast du denn gedacht, Brüderchen, Manito?« Er griente. »Ich weiß ganz genau, was du gedacht hast. Bin nicht umsonst Weissager und Sternenleser. Aber du hast falsch gedacht. Siehst du, wenn du oder sonst einer sich etwas denken kann,
dann geschieht gar nichts. Nur wenn du gar nichts denkst und gar nichts siehst, dann vielleicht arbeitet das Schicksal. Nebenbei habe ich dich gestern beobachtet, als du mich da herumschwirren sahst. Ich war hinter einem Pescuintle her. Fleisch könnte uns wieder einmal gut tun. Und noch eins, Söhnchen, wir sind noch nicht am See Santa Clara. Das sind noch zwei gute Tagereisen. In zwei Tagereisen durch den Dschungel können noch viele Dinge geschehen. Wenn du noch mal hinter mir herguckst, gerade wenn ich hinter einem Pescuintle her bin, dann kriegst du doch noch eins in die Fresse von mir. Rein aus guter Freundschaft. Und nun lass mich allein. Ich habe viel nachzudenken. Die Vereda, der Pfad, wird nun auch wieder zu eng, als dass wir nebeneinanderher laufen könnten.«
An diesem Tage erreichte der Trupp den Paraje Busija. Der Busijafluss war breiter als der Santo-Domingo-Fluss, aber er war so leicht zu kreuzen, dass der Übergang wie ein Spaziergang war. Der Boden steinig und grober Sand. Die Tiere hatten nur darauf zu achten, dass sie nicht über die Steine stolperten
oder zwischen Steinen mit ihren Hufen stecken blieben. Aber das Wasser war klar wie die Luft, und die Tiere konnten sehen, wohin sie traten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses befand sich ein geräumiger Platz zum Lager. Der Fluss hatte einen Seitenarm. Dieser Arm bog sich in einem Halbkreis auf und vereinigte sich nach etwa fünfzig Metern wieder mit dem Fluss. So bildete sich eine Insel.
Kleine Trupps, die zu den Monterias zogen, lagerten auf der Insel.
Für einen so großen Trupp jedoch war nicht genügend Platz auf der Insel. Darum blieben hier nur die Caballeros und deren Burschen.
Es war einer der schönsten Lagerplätze. Aber in der Nacht stürzte ein schwerer Regen herunter, der die Peones mitten in der Nacht zwang, sich einige notdürftige Schutzdächer zu bauen.
Diese Schutzdächer halfen nicht viel; aber sie gaben den Peones doch wenigstens das Gefühl, dass sie ohne Dächer noch nasser hätten werden können. Jedoch beim ersten Morgengrauen stellte es sich heraus, dass dies ein Trugschluss war; denn die Peones waren bis auf die Haut durchnässt, und sie konnten auf keinen Fall nasser werden, auch wenn sie die ganze Nacht mitten im Fluss geschlafen hätten.
Celso ging an diesem Abend nicht auf die Pescuintlejagd. Er sagte, hier wäre es zwecklos, seine Zeit damit zu verlieren, denn hier herum gäbe es keine Pescuintles. In der Nacht aber zog er wie die übrigen im Dschungel herum, Palmblätter und Zweige zu suchen und ein Dach zu bauen.
Es war nun die Zeit des zunehmenden Mondes. Die Abende wurden dadurch ein wenig aufgehellt.
Sie schienen freundlicher zu werden, der Dschungel bekam ein anderes Licht und sah nicht mehr so schreckhaft drohend im Anfang der Nacht aus.
Als die Burschen abends beim Essen hockten, sagte Celso: »Hier ist einmal eine Monteria in der Nähe gewesen. Sie ist jetzt freilich tot. Sie hatte keinen langen Atem. Natürlich war das keine vollwertige, gut ausgewachsene Monteria. Es war nur gerade so eine Monteria, wie man sie vielleicht kleinen Kindern
zum Spielen gibt, damit sie nicht schreien sollen.«
Andres sah sich um. »Aber man sieht gar nichts mehr von der Monteria.«
Paulino lachte. »Da sieht man, dass du ein Neuer bist. Von einer Monteria sieht man nie viel. Du kannst mitten in einer Monteria sein und weißt es nicht einmal.«
Santiago sagte: »Ich sehe auch gar keinen Caobo, keinen Mahagonibaum, hier.«
»Wenn eine Monteria in der Nähe war, wie willst du denn da noch einen Caobo sehen?« antwortete Celso. Alle Mahagonibäume sind geschlagen, und das ist der Grund, warum du keine mehr siehst. Die Kompanien haben alle ihre Konzessionen mit der Bedingung, dass sie für jeden geschlagenen Caobo drei
junge Mahagonibäumchen pflanzen müssen, damit der Baum nicht ausgerottet wird. Das müssen sie tun, oder es wird ihnen die Konzession entzogen, und sie müssen Strafe bezahlen. Siehst du hier vielleicht einen einzigen jungen Mahagonibaum? Nicht einen einzigen! Die Kompanien rauben alles aus, und wenn sie nicht einen trockenen Knüppel vom Caobo mehr übriggelassen haben, dann ziehen sie ihrer Wege.«
»Nun wird doch schon den ganzen lieben langen Marsch entlang immer von Caoba geredet. Caoba am Morgen, am Mittag und am Abend. Mahagoni und nichts als Mahagoni«, sagte Andres. »Ich möchte doch nun endlich einmal echte Caoba sehen mit eigenen Augen.«
»Ich könnte hier ja für dich einen guten Baum suchen gehen«, sagte Celso. »Weiter drinnen sind sicher noch ein paar schmächtige Jünglinge übrig geblieben. Aber du wirst noch genug sehen. Wirst noch so viel sehen, dass du freiwillig Blut spuckst, von vorn und von hinten und aus allen Löchern und Kiemen, wenn du nur schwirren hörst: >A donde quede hoy tu jornal, cabron? Wo bleibt denn heute deine Tagesleistung, du Hurenschwengel?< Sei nicht übereilig. Die Caoba läuft dir schon nicht fort. «
Am Morgen hatte der Regen nachgelassen. Aber es stürmten schwere, dicke Wolken über den Himmel hin, und es war ringsum so schwarz, dass die Arrieros die doppelte Zeit brauchten, um aufzupacken. Die Packen waren gut verschnürt in Petates, in Schilfmatten, die nicht leicht Wasser hindurchlassen. Aber sie lagen im Schlamm. Alle Seile und Gurte waren nass und ließen sich nicht leicht anziehen. Auf dem Marsch unter der heißen Sonne trockneten sie aus, wurden schlaff, und die Packen fielen den Tieren zwischen die Beine und mussten erneut aufgeladen werden.
Celso trank seinen Kaffee und rührte in den Bohnen herum.
Die übrigen Burschen an seinem Feuer wrangen ihre Hosen und ihre Decken aus und hielten sie gegen das Feuer. Rings um das Feuer standen die Kännchen und Krügchen für das Frühstück. Da hörte man von der Insel her, wo die Caballeros lagerten, Don Gabriel schreien: »Ahooouahooo, El Camaron, du fuckender Cabron, wo hurst du denn nun jetzt schon wieder? He, komm her, du elender Knochen von einem Dormilon, einer verschlafenen Ratte! He, El Camaron!«
»Der ist sein Caballo, sein Pferd, suchen gegangen, Patroncito«, sagte einer der Burschen, der den Reis für die Caballeros in der Pfanne rührte.
»Das ist so, Patron«, sagte ein anderer Bursche, »beinahe jeden Morgen muss er hinter seinem Pferde her. Das bleibt nicht in der Nähe. «
»Soll er es anbinden, wenn er es nicht besser erziehen kann«, erwiderte Don Gabriel unwillig, während er sich die Hände und die Augen wusch.
Nach einer halben Stunde rief Don Gabriel erneut nach El Camaron: »Zu allen Teufeln und Höllen, wo ist denn der Bursche eigentlich? Du, Chicharon«, redete er einen Burschen an, der in die Nähe gekommen war, »los, mach dich auf und sieh einmal nach, wo El Camaron steckt!«
Der Trupp war marschbereit.
»Was wollen Sie denn von El Camaron?« fragte Don Alban. »Er wird schon nachhinken. Er weiß doch, dass er den Schwanz hat. Der Spitzbube geht schon nicht verloren.«
»Darum ist es nicht«, sagte Don Gabriel, »aber er hat die Marschliste zum Abzählen.«
Don Ramon, der es nicht liebte, sich unnötig aufzuregen, und der, weil er ja wusste, dass er der König des Ganzen war, seinen Unterführern das gewöhnliche Kommandieren überließ, sagte. »Ja, Don Gabriel, dann nehmen Sie nur den Schwanz und zählen Sie aus, so gut Sie können. Es wird schon keiner fehlen. Wer bis hier nicht fehlt, der fehlt nun nicht mehr. Der Rückweg ist zu lang geworden.«
»Bueno«, antwortete Don Gabriel, »ich werde den Schwanz nehmen, die Cola. Ich reite lieber vorn oder in der Mitte. Aber gut, einer muss ja die Cola nehmen.«
Don Ramon pfiff das Signal zum Abmarsch.
Als die Peitschen knallten und die Arrieros fluchten, weil die Tiere in den Morast gesunken waren und sich nur widerwillig in Marsch setzten, kam Chicharon angelaufen, der indianische Bursche, den Don Gabriel auf die Suche nach El Camaron geschickt hatte.
Er kam angefegt, als ob alle Flammen der Hölle hinter ihm her wären. Als er nahe heran war, konnte er keine Worte hervorstoßen. Er schluckte und gurgelte und zeigte mit dem Arm in die Richtung, aus der er gekommen war.
»Rede schon, por diabolo«, sagte Don Ramon, »oder ich ziehe dir einen über!«
»El Camaron ist tot, da drüben im Dickicht, beim Abhang, er ist aufgespießt.« »Aufgespießt?« riefen alle Caballeros.
»Ja, aufgespießt«, wiederholte der Bursche, »Purisima, Santisima, rette mich und erlöse mich!«
»Halt's Maul mit deinem Gewinsel!« sagte Don Gabriel. »Los, komm und lass uns sehen, wo er ist! Du bist wohl verrückt? Aufgespießt? Als ob man das im Leben je gehört hätte. Vamos, Senores, lassen Sie uns gehen und nachsehen.«
Da rief ein Arriero: »Perdoneme, jefe, entschuldigen Sie, Don Ramon, was machen denn wir? Die Bestias wollen nicht mehr stehen. Die rennen uns davon. Sind alle geladen. Wir können doch nicht wieder abladen.«
»Dann los, ihr marschiert schon los mit den Tieren. Wir kommen nach.« Don Ramon pfiff abermals, und der Trupp machte sich auf den Weg.
Er schmitzte den ihm nahe stehenden Tieren eins über die Kacheln, und sie rückten den schon voranmarschierenden Spitzengängern eilig nach.
Don Alban rief einer Gruppe Burschen zu: »Ihr da, ihr kommt mit uns, vielleicht gibt es etwas zu tun.«
Dieser Auftrag galt nicht der Gruppe, in der Andres war.
Celso hatte sofort gesagt, als Chicharon schreiend herbeilief: »Nicht so nahe, da gibt es nur wieder Extraarbeit. Nicht vordrängen. Kannst später noch mehr als genug arbeiten.« Er beeilte sich, mit seiner Gruppe gleich hinter die ersten abmarschierenden Tiere zu kommen.
»Ich möchte doch aber sehen, was mit El Camaron los ist«, sagte Paulino.
»Was geht dich denn der Pisser an?« meinte Celso. »Lass ihn doch verrecken. Ist er vielleicht dein Bruder?«
»Lieber den Onkel des Satans als Bruder«, antwortete Paulino.
»Dann geh deiner Wege und pfeife dir ein Liedchen«, sagte Celso, den Marschtritt aufnehmend.
»Wenn der Klötensauger verreckt ist, um so besser für dich, eine Peitsche weniger. Und was für eine.«
So marschierten sie los und weinten keine Träne.
Die Caballeros mussten ihre Pferde zurücklassen und zu Fuß gehen. Chicharon führte sie etwa dreihundert Schritte tief in den Dschungel hinein.
Da fanden sie El Camaron am Boden liegen. Chicharon hatte richtig gesehen. Der Zutreiber war aufgespießt am Boden. In der Hand hielt er den Lasso, mit dem er sein Pferd eingefangen hatte. Der Lasso war fest um sein Handgelenk geschlungen, so dass er sich nicht auflösen konnte, wie sehr auch das Pferd daran zerren mochte.
Die Augen waren offen und verglast. In seinem Gesicht zeigte er einen Schrecken, als ob er im letzten Augenblicke sich vor irgend etwas heftig entsetzt haben musste.
Don Ramon gab den Burschen, die gefolgt waren, den Auftrag, El Camaron aufzuheben.
Der Körper musste hin und her gezerrt werden, damit er sich von dem Spieß abheben ließ, denn er saß sehr fest drin.
Die Caballeros untersuchten den Spieß.
Don Ramon sagte: »Ein seltener Unglücksfall, aber so etwas kann vorkommen. Ich habe einmal, als Junge, etwas gesehen, was so ähnlich war wie dies. Es ist ganz natürlich.«
Der Spieß war ein dünnes Stämmchen eines jungen Baumes von sehr hartem Holz. Die Burschen, auf der Suche nach Stämmchen für die Schutzdächer, hieben solche Stämmchen mit einem Hieb des Machete ab. Der Hieb wurde nicht von der Seite geführt, sondern heftig von oben nach unten. So zeigte der Stumpf, etwa vierzig Zentimeter über der Wurzel, einen langen, schrägen Schnitt. Dieser Schnitt war so scharf wie das Ende eines abgerundeten Schwertes. Wer durch den Dschungel in der Dunkelheit der Nacht oder des
frühen Morgens herumtappte, stolperte und heftig fiel und zu seinem Unglück auf einen solchen geschnittenen Hartholzstumpf stürzte, wurde unrettbar aufgespießt. Er wurde um so rettungsloser aufgespießt, wenn er eben ein Pferd gelassot haben sollte, das noch scheute vor dem unerwarteten Auftauchen seines Einfängers und im Augenblick des Überwerfens des Lassos rannte und dadurch den Mann, der den Lasso hielt, mit voller Heftigkeit in den dicken Stachel hineinbohrte. Es konnte noch etwas anderes geschehen sein: Das Pferd, an dem Lasso zerrend, fegte aufgeregt einige Male im Kreise herum
und trat dem gefallenen Mann auf die Brust, ihn mit dem Gewicht des Pferdekörpers in den spitzen Stumpf pressend.
Don Alban spuckte aus, bekreuzigte sich und sagte: »Der Anblick ist ebenso gräulich und entsetzlich, wie der Anblick des anderen Spitzbuben war. Senores, entschuldigen Sie, ich kann hier nicht stehen bleiben, es wird spät. Ich gehe zurück zu meinem Pferde, steige auf und reite voran.«
Don Ramon stand für einen Augenblick unschlüssig. Dann sagte er: »Das hat keinen Zweck, hier lange herumzustehen. Aufwecken können wir ihn nicht mehr. Eiskalt ist er. Muss schon in der Nacht aufgespießt worden sein. Schrecklicher Tod. Und wie er stiert. Sicher schon angelangt in der Hölle.
Mir wird ganz dreckig im Magen. Und auch gleich so frisch auf das Frühstück.«
Don Gabriel zündete sich eine Zigarette an und meinte: »Scharren wir ihn ein.«
»Natürlich«, mischte sich der Händler Gervacio ein, »natürlich müssen wir ihn eingraben. Wir können ihn doch nicht mitnehmen. In zwei Stunden stinkt er. Ich gehe, Senores. Ich muss bei meinen Waren bleiben.«
Es war nun Tag geworden.
Don Ramon ruckte sich zusammen: »Hören Sie, Don Gabriel, ich mache mich zum Trupp. Können den Trupp nicht ganz allein lassen. Wenn wir hier noch lange überlegen, kommen wir heute nur bis zum Paraje Cafetera. Da haben wir kein Wasser. Nur eine stinkige Pfütze, gelb, schleimig, voll Frösche.
Nicht einmal die Mules rühren die verpestete Pfütze an. Müssen auf alle Fälle Santa Clara machen, den See. Gute reine Quellen. Ich gehe, Don Gabriel. Besorgen Sie hier die Abrechnung. Santisima Madre de Dios, ruegue por mi.« Er bekreuzigte sich und stolperte eiligst davon, zurück zum Pfad, wo die Burschen
mit den Pferden warteten.
»Leert ihm die Taschen aus!« befahl Don Gabriel den Peones, die hier waren, um beim Verscharren zu helfen. »Hat er Briefe bei sich oder Papiere?«
»Ningun papeles, jefecito«, antwortete Chicharo.
»Die Abzählliste hat er in der Satteltasche«, sagte Don Gabriel.
»Könnt euch untereinander teilen, was er hat!« ordnete er darauf an. »Aber erst grabt ihn ein und streitet euch später.«
»Soll ich ihm auch den Ring abnehmen, Jefe?« fragte Chicharo. »Kannst du dir anstecken.«
Chicharon spuckte auf den Finger des El Camaron und drehte mit Mühe den Ring herunter. Er betrachtete ihn eine Weile und steckte ihn sofort an seinen eigenen Finger. Er passte ihm nur auf dem Mittelfinger.
Die Burschen scharrten bereits eine Höhlung für den Körper aus.
»Zeig mal her den Ring, Chicharon!« sagte da plötzlich Don Gabriel.
Der Peon zog den Ring wieder ab und reichte ihn Don Gabriel mit enttäuschter Gebärde.
»Hilf den Muchachos beim Graben, damit wir nicht so viel Zeit hier verlieren!« befahl er. »Zieht ihm die Stiefel aus und seht, ob er Papiere oder Geld drin hat!«
»Haben wir schon nachgesehen, Jefe«, rief einer der Burschen, »hat nichts drin. Die Sohlen sind auch durch und haben Löcher, und das Leder ist an den Seiten aufgeplatzt.«
Don Gabriel betrachtete den Ring sehr aufmerksam. Er hauchte ihn an und scheuerte ihn am Hemdsärmel blank. Er sah sich den großen Stein sorgfältig von innen aus an, um zu sehen, ob der Stein belegt sei oder freiliege. Dann wog er den Ring abschätzend in der Hand, rieb ihn nochmals am Ärmel und kratzte mit seinem Taschenmesser an dem Stein herum.
Endlich schob er sich den Ring auf einen Finger und betrachtete wohlgefällig seine Hand, wobei er den beringten Finger wegspreizte und die Hand nach allen Seiten verdrehte. Er schnalzte zufrieden mit der Zunge und sagte endlich halblaut. »Sieh mal an, wer hätte das wohl gedacht. Möchte wissen, wo der
Bandit den Ring her hat.«
Er zog den Ring vom Finger und schob ihn in die Tasche. Nach einer Weile fischte er ihn wieder heraus und knüpfte ihn in sein Halstuch sorgfältig und bedächtig ein.
»Seid ihr gottverfluchten faulen und pestigen Schlingel denn immer noch nicht fertig?« schrie er erbost und trat einem der Peones, der ihm am nächsten arbeitete, mit dem Stiefel in den Hintern, dass der Bursche kopfüber in die ausgekratzte Erde fiel. »Ich werde euch auf die Beine helfen, wenn ihr vielleicht denkt, dass ihr euch hier ausschlafen könnt. Los, hurtig! Weiß der Teufel, wann wir den Trupp einholen werden.«
Er stampfte herum, zündete eine neue Zigarette an, tastete, an dem Knoten seines Halstuches, wo der Ring eingeknüpft war, ging ein paar Schritte, wendete sich zurück, kam näher und sagte: »Tief genug. Die Wildschweine schnüffeln ihn ja doch heraus und auch noch die Tiger. Hebt ihn 'rein und werft zu.
Mach ihm das Halstuch los!« sagte er dann zu einem der Burschen.
»Hier ist es, Jefe.«
Don Gabriel breitete das Halstuch aus, schüttelte es auf, trat zur Höhlung und deckte das offene Tuch über das Gesicht. Dann drückte er durch das Tuch auf die Augäpfel des Toten. Er richtete sich auf, bekreuzigte sich und sagte: »Purisima Virgencita, bitte für uns heute und immerdar. Amen.«
Er machte ein Kreuz über den Körper und drei über sein eigenes Gesicht und küsste den Daumen seiner Hand.
Darauf bückte er sich, warf eine Handvoll Erde auf den Toten und sagte: »Schmeißt zu! He, du, Chicharon, mach ein Kreuzchen!«
»Ist schon fertig, Jefecito«, erwiderte der Indianer.
»Bueno, steckt das Kreuz obenauf! Nicht da, du Burro. An das Kopfende. Und nun los und die Beine an den Ursch genommen. Und dass ihr mir alle schön mitkommt, sonst lehre ich euch laufen, ihr gottverfluchten Stinker.«
Es waren etwas weniger als vierzig Kilometer, die der Trupp heute zu marschieren hatte.
Gegen Mittag wurde der Desempeno-Fluss erreicht, wo der Trupp für eine kurze Erholung rastete.
Wie Stöcke fielen die Burschen lang hin, die Don Gabriel marschieren gelehrt hatte. Don Ramon sah es, ging auf sie zu und sagte: »Wenn ihr so wild draufloslauft, werdet ihr nicht bis zur Monteria kommen.«
Er nahm aus seinem Morral, dem Bastbeutel, den jeder mexikanische Reiter mit sich führt und in dem er seine Tagesration trägt, eine Büchse Sardinen, warf sie den keuchenden Burschen hin und sagte: »Teilt sie euch, und trinkt nicht so viel Wasser in euch hinein. Das tut nicht gut.«
Später sagte er zu Don Gabriel: »Amigo, eins müssen Sie noch bei diesem Geschäft lernen und noch manches andere mehr. Es genügt nicht, Leute einzufangen, man muss sie auch bei guten Kräften und bei guter Gesundheit in den Monterias abliefern, sonst wird nichts dafür bezahlt.«
Als er das sagte, schlenderte Don Alban heran. »Senores mios, mir ist entsetzlich unheimlich. Es kommt mir gerade so vor, als ob wir hier ewig in diesem Dschungel marschierten, als marschierten wir immer im selben Kreise herum. Nicht ein einziges Mal den offenen Himmel über sich. Grün und dunkel, grün und dunkel. Und diese brüllende Hitze und die drückende Feuchtigkeit. Dazu das ewige Wispern und Zirpen umher und das grauenhafte Brüllen der Gritones, das man Tag und Nacht nicht los wird. Wenn ich nicht bald ein Haus sehe und einen Tisch und einen Teller und ein paar andere Gesichter vor meinen Augen, ich glaube, bei der Santisima, ich werde verrückt. Dass mich auch der Teufel zwicken musste, mit meinem Handel in die Monterias zu ziehen.«
Don Ramon lachte auf, schlug ihm heftig auf die Schultern und sagte: »Reden Sie keinen Erbsenbrei, Don Alban. Alles geht vorüber. Und wenn Sie alles, was Sie hier mit sich schleppen, mit hundert Prozent Profit verkauft haben werden, denken Sie anders über den Dschungel. Für nichts ist nichts.«
Er zog die Pfeife hervor und pfiff das Aufbruchssignal.
Gegen fünf Uhr nachmittags fühlte der Trupp in der umgebenden Luft die ersten Anzeichen des großen Sees.
Ein leichter Wind vom See her trug den Geruch des Schilfes, der modernden Seegräser, der verschlammten und versumpften Ufer hinauf auf den felsigen Berg, an dessen abschüssigem Gefälle der Trupp sich in Windungen hinunterschlängelte zum See.
Zuweilen sah man den See und die Offenheit über dem See durch einige Lichtungen im Dschungel aufblitzen.
Der Pfad war bröckelig und oft nur einen Fuß breit. Aber wenn man auch abrutschte, weder Mann noch Pferd konnten in den Abgrund stürzen, weil der hohe, felsige Berg dicht bewachsen war mit Bäumen und Büschen.
Der Trupp marschierte in langer Linie, Mann hinter Mann, Tier hinter Tier. Niemand durfte halten, weil das den ganzen Trupp aufhielt. Es rutschten Packtiere ab. Aber ohne dass der Trupp zum Stehen kam, wurden die Tiere von den Händen der Arrieros gestützt, und man half ihnen wieder hinauf auf den Pfad.
Die Tiere, den See und seine frischen Weiden im Geruch aufnehmend, wieherten und trompeteten, dass es widerhallte vom See. Je näher sie zum Wasser kamen, um so eiliger wurden sie. Die letzte Viertelstunde setzten sie sich sogar in Trab, trotz ihrer Packen, trotz ihrer aufgescheuerten, wunden
Rücken, trotz ihrer Müdigkeit. Die Luft war angefüllt von dem Geschrei und Gekreische der Wasservögel, die zu Tausenden hier am See lebten.
Dennoch lastete über dem See und an seinen Ufern eine Einsamkeit, die zugleich unheimlich und erschütternd wirkte.
In der Nähe des Sees waren große Weiden, auf die die Ochsen, die in den Monterias arbeiteten, alle drei Monate in die Ferien geschickt wurden. Die Peones, die indianischen Caobaarbeiter, schufteten in den Monterias tagein, tagaus, Jahr um Jahr, bis sie endlich eingescharrt wurden. Sie bekamen nie Ferien.
An dem Ufer des Sees, das der Trupp jetzt erreichte, stand ein Haus mit Palmblätterdach. Aber das Haus hatte keine Wände. In dem Hause wohnte der Bursche, der die Ochsen bewachte, die in den Ferien hier waren.
Als der Trupp ankam, war der Bursche nicht da. Er hatte auch noch andere Weiden zu besuchen, die eine volle Tagereise von hier entfernt waren und an den anderen Ufern des Sees lagen.
Der Lagerplatz war offen. Man sah den Himmel frei über sich. Nach den vielen Tagen in dem ewigen Einerlei des dunklen Grüns im Dschungel war es gleich einer Erlösung aus einem wüsten, schweren Traum, hier am See rasten zu können.
Aber nach drei Stunden Anwesenheit begann die Qual. Eine Qual, so groß, dass man bereit war, alle Schönheiten des Sees gern herzugeben. Infolge der Ochsen, die hier ständig weideten, war das Lager angefüllt mit Milliarden und Milliarden von Garrapatas, von Zecken. In einer Stunde hatte jeder, der hier lagerte, seinen Körper und seine Kleidung so übervoll von Zecken, dass man jeglichen Widerstand aufgab und sich zerbeißen ließ, wo und wie es den Herren dieser Welt, den Zecken, gefiel. Baden im See tötete die Zecken nicht ab, sondern tat ihnen ebenso wohl wie dem Badenden. Aber ein Baden war nicht
möglich, weil die Ufer zweihundert Meter weit sumpfig waren und verwachsen mit Schilf. Das Wasser für den Trupp wurde nicht aus dem See genommen, sondern aus den zwei Quellen, die am Fuße des Felsenberges dicht am See entsprangen.
Abends am Feuer sagte Celso zu Andres, als die beiden allein waren: »Ich hatte geweissagt, dass El Camaron hier an diesem Felsen verunglücken würde. Aber das Schicksal hat es anders gewollt. Mit dem Schicksal soll man nicht rechten, und man soll nichts besser machen wollen, als das Schicksal es will.«
»Hast du gehört«, fragte Andres, »was die Burschen, die ihn eingescharrt haben, erzählen, wie er verunglückt ist?«
»Wenn ich auf solches Geschwätz hören sollte, käme ich ja zu keinem eigenen Gedanken«, erwiderte Celso. »Und überhaupt und so, was geht mich denn der Räuber an? Er und El Zorro fangen jedenfalls keinen Indianer mehr ein und stehlen ihn weg von seiner Frau und seiner Freude am Leben. Ich spucke
nur aus, wenn ich an diese beiden Hurenbengel denke.«
Der Marsch am nächsten Tage ging durch dichten Dschungel, der in seinem Charakter völlig abwich von dem, den sie in den letzten Tagen angetroffen hatten.
Der Weg wurde nicht ein einzigesmal fest oder sandig oder steinig. Es war Morast und Sumpf ohne Aufhören und ohne die geringste Abwechslung.
Celso, neben dem Andres marschierte, sagte: »Mein Söhnchen, jetzt kannst du hier bereits die Caoba in allen Ecken und Winkeln riechen, wenn du auch nicht einen einzigen Baum sehen solltest. Aber nun hat das Reich der Caoba wirklich begonnen. Heute Abend wirst du die ersten Überreste einer abgebauten großen Monteria zu sehen bekommen. Und noch manches andere, das dir zu denken geben wird, wenn du das Denken noch nicht verlernt hast.«
Die Pflanzenwelt wurde eine andere. Der Wechsel war so auffallend, dass er nicht nur den indianischen Peones auffiel, die hier zum ersten Male wanderten, sondern selbst den Händlern, die sich um Pflanzen und Bäume, die sie auf ihren Reisen sehen, gewöhnlich nicht kümmern. Baum ist ihnen Baum, und Strauch ist ihnen Strauch. Ob es ein Ebenholzbaum ist oder ein Kastanienbaum oder ein Apfelsinenbaum oder ein Eichbaum, das ist ihnen alles gleichgültig. Solange die Bäume nichts von ihnen kaufen wollen, solange haben sie kein Interesse an ihrem Aussehen und ihrem Wert.
Die Reitpferde und die Tragmules sanken und flitschten in den weichen Boden bei jedem Schritt tief ein. Sie tasteten ihren Weg voran, immer nach den trockensten Stellen suchend, wo sie den Fuß fest aufsetzen konnten.
In diesen Regionen war ständige Regenzeit. Selbst wenn es nicht regnete, lag am frühen Morgen ein so schwerer und dicker Tau auf dem Dschungel, dass, wenn man hier marschierte oder ritt, man von den abtropfenden Bäumen und Sträuchern bis zum Mittag ständig nass war bis auf die Haut. Um ein Uhr begann man trocken zu werden, und um zwei Uhr begann der tropische Regen zu gießen, ununterbrochen für vier oder acht Stunden. Darum war es kein Wunder, dass der Weg hier war wie ein gepflügter Kartoffelacker nach einem ständigen Regen von sechs Wochen.
Wohin man sah, wuchsen Fächerpalmen und Staudenpalmen. Die Palmwedel sprossen aus den Palmen heraus, gleich dicht an der Wurzel. So hatten diese Palmen scheinbar überhaupt keinen eigentlichen Stamm. Aber weil die Palmwedel nicht oben am Stamm wuchsen, sondern gleich am Boden ausschlugen, darum wurde der Dschungel so dicht, dass man mit Recht sagen mochte, man sehe den Dschungel vor Palmen nicht.
Es war ein wildes, träumerisches Gewirr von Pflanzen der Urzeit. Die Palmwedel waren zuweilen dreißig Meter hoch. Den Boden konnte man neben dem Pfad nicht erkennen, so dicht war er bewachsen, so verfilzt, so verschlungen. Man fühlte in der Seele und im Gemüt den mitleidlosen Kampf, den die Pflanzen hier miteinander führten, um ein Stückchen Raum zu gewinnen, das die Größe eines
Fingernagels hatte. Der Kampf der Menschen um ihre Lebensexistenz kann nicht rücksichtsloser geführt werden, als der Kampf der Pflanzen hier geführt wurde. Und dennoch: Alles wuchs und wucherte und atmete unversiegbare Ströme reicher Lebenskraft aus, die sich durch nichts bezwingen, durch nichts
unterdrücken ließ.
Das war die Erde, die Caoba zeugte und Caoba gebar und Caoba zu voller Pracht und Kraft heranwachsen ließ. So schön und vollsaftig und eisenhart kann ein edles Holz nur werden, wo es um seine Existenz und um seine Erhaltung und um sein Überleben so hart und unerbittlich zu kämpfen hat wie hier.
»Sieh dich um, Söhnchen«, sagte Celso zu Andres, der wie träumend durch diese Zauberwelt wanderte, die so neu und ganz und gar unerwartet für sein Empfinden gekommen war. »Sieh dich um, sage ich dir. Hier beginnt das große, wilde Reich der Caoba. Und nun, vielleicht zum ersten Male, wirst du wohl verstehen, warum man Caoba nicht auf dem Felde einer Finca ernten kann. Verflucht noch mal, wo ich jetzt wieder hier bin und Caoba rieche, ich glaube wirklich, und die Santisima soll mich notzüchtigen dafür, ich glaube wirklich, ich könnte nirgends anderswo mehr leben. Ich glaube beinahe, ich hatte Heimweh nach der Caoba. Sieh dich vor, Andresillo, dass dir das nicht auch eines Tages so geht. Dann wird niemals etwas mit dir und deiner, he, wie war der Name, deiner Estrella, deinem Sternchen.«
Das ging so Stunden hin. Es war, als habe eine völlig neue Welt begonnen und als wäre die alte bekannte Welt versunken. Eine neue Welt hatte sich aufgetan, und diese Welt war nichts als eine unentwirrbare Pflanzenmasse. Man verlor die Fähigkeit, einzelne Pflanzen zu unterscheiden. Es war nur Grün umher, Dichtigkeit, Verwirrung, goldene Sonnenmännlein, die auf den Palmwedeln und Zweigen hüpften. Es war, als läge über dieser Welt kompakter Pflanze ein brünstiger Schrei, der noch in dieser Sekunde losbrechen und eine neue Welt gebären würde, eine phantastische Welt, in der nicht Mensch oder Tier herrschte, sondern die Pflanze. Wie eine Erlösung aus unbestimmter und unerklärbarer Erdrückung der Seele wäre ein solcher Schrei gewesen. Man fühlte sich verlassen und einsam, getrennt von allen übrigen Welten, obwohl die Reihen der Peones und die knurrenden Packtiere maschinenmäßig dahinmarschierten.
Die Marschierenden, Mensch und Tier, erschienen, als marschierten sie dieser Welt kompakter Pflanze willenlos entgegen, um von ihr verschluckt zu werden.
Und da schrie Andres auf: »Dios mio, was ist - aber das ist ja... « Mit einem Ruck blieb er stehen und ließ den Packen fallen. »Was ist denn das?« fragte er mit hartem Atem.
Vor ihm hatte sich der Dschungel plötzlich weit geöffnet. So weit, dass er alle Horizonte weltenweit ausbreitete. Zu Füßen der beiden lag tief unten der Strom, der gewaltige, mächtige, geheimnisvolle Ushumacinta-Strom. Er war der Gott, ohne dessen Hilfe kein Mahagoni aus diesen Regionen zur zivilisierten Welt gebracht werden könnte. Er war der Gott, der verantwortlich war für die Indianer, die von der Caoba aufgefressen wurden. Ohne diesen majestätischen Urwaldstrom wäre die Caoba hier so wertlos wie ein morscher Knüppel in einem Wald in Dakota. Und weil dann die Caoba wertlos wäre, würde niemand Indianer verkaufen, damit sie in den Monterias arbeiten.
Trotz alledem, unvergleichlich in seiner Weite und in seiner Erhabenheit, war der Anblick von hier, hoch über den Ufern, von wo aus man den Strom in langen Zügen verfolgen konnte.
Es war noch früh. Kaum zwei Stunden in den Nachmittag hinein. Aber es wurde dennoch Lager befohlen.
Von hier aus begann die erste Verteilung der angeworbenen Arbeiter auf die verschiedenen Monterias, die Leute benötigten und angefordert hatten.
Der Haupttrupp marschierte einige Tage weiter in den Dschungel hinein, auf dieser Seite des Stromes bleibend. Kleinere Trupps wurden hier in Canoes über den Strom gesetzt und auf der gegenüberliegenden Seite zu jenen Monterias gebracht, die dort ihre Königreiche hatten.
Die Söhne Mexikos, die von hier auf das gegenüberliegende Ufer gebracht wurden, gelangten in ein fremdes Land, ohne es zu wissen. Sie kamen unter die Oberhoheit einer anderen Regierung, ohne befragt zu werden.
Die Mahagonikompanien anerkannten weder Staatsbürgerschaften noch Bürgerrechte, noch den Raub von Landeskindern, noch Landesgrenzen. Sie anerkannten nur das mächtige Reich der Caoba.
Wo die Caoba herrschte, da war ihr Land, in dem sie regierten und wo die Gesetze galten, die sie machten, wo sie die Strafgewalt ausübten, die ihnen recht dünkte.
Was kümmerten sie sich hier um Konzessionen und deren Paragraphen, was scherten sie sich hier um Landesgrenzen, Landespräsidenten und Diktatoren!
Das war alles so weit, so unendlich weit. Alles das war versunken irgendwohin. Es lag zwei Wochen erbarmungslosen Marsches durch den Dschungel weit entfernt.
Wer hier ankommt, um nach Gerechtigkeit zu suchen, kommt an, so winzig und klein, dass der Verwalter der ersten Monteria, wo er zu Gaste ist, ihm mit der Fliegenklatsche eins auf die Nase gibt, und er steht nicht mehr auf und weiß nicht mehr, warum er gekommen ist. Denn die Caoba kennt ihren Wert und ihre
Macht. Die Kameraden der Gruppe des Celso hatten sich hingehockt. Sie dachten vorläufig nicht daran, ein Feuer anzuzünden. Es war so viel Zeit dazu. Der Tag war noch lang. Sie saßen da, behaglich und zufrieden, dass sie Ruhe hatten.
Dicht an das hohe Ufer des Stromes hatten sie sich hingehockt.
»Wie schön der Strom ist«, sagte Celso. »Der allein ist es wert, dass man in die Monteria geht und hier verfault. Unten hat er an einigen Stellen wunderschöne sandige Ufer. Da wollen wir später schwimmen gehen.«
»Was sind das für Hütten da hinten, auf der anderen Seite des Stromes?« fragte Andres.
»Das ist bereits eine Monteria. Die Verwaltungsgebäude«, erklärte Celso. »Die eigentliche Monteria liegt weiter drin im Dschungel.«
Er rückte seinen Packen dicht heran, suchte sich rohen Tabak heraus und wickelte sich eine Zigarre.