»Mutter«, sagte der kleine Abner, »da unten wohnt ein Mann, der baut einen Wagen, und er will ohne Pferde damit fahren.«
»Der ist doch verrückt«, meinte die Mutter mißbilligend.
»Sieht aber nicht wie 'n Verrückter aus«, entgegnete der Junge, »das is'n ganz prima Kerl!«
»Egal, du bleibst mir weg da. Du läufst nicht hinter solchem Blödsinn her.«
Das soll es ja schon häufiger gegeben haben, dass Mütter nicht begreifen wollen, was ihre Kinder wirklich interessiert. Jedenfalls wollten alle anderen Jungen den Wagen sehen, der ohne Pferde fahren sollte, und sie mussten hören, was der >prima Kerl< erklärte. Deshalb war er ja ein prima Kerl: er unterhielt sich gern mit Kindern. Ihre Köpfe waren noch nicht durch den Glaubenssatz vernagelt: >Was es nicht gibt, das wird es auch nie geben.< An warmen Sommerabenden, wenn er bei offener Tür arbeitete, standen immer einige Jungen vor seiner Werkstatt und schauten ihm zu. Stellten sie gescheite Fragen, durften sie näher herankommen. Er erklärte ihnen dann die neue
Maschine: Bei ihr war das Feuer nicht unter dem Kessel, sondern in einem Zylinder aus Metall; die Kraft wurde durch eine Folge kleiner Explosionen erzeugt.
Abner erzählte seiner Mutter nichts mehr, schon das Wort >Explosion< hätte ihr einen Schrecken eingejagt. Nach dem Abendessen lief er hinaus, angeblich um zu spielen. War es denn wirklich so schlimm, wenn sie, statt Katzen zu jagen oder Mädchen an den Zöpfen zu ziehen, lieber seinen Erklärungen über die Verbrennungsmaschine lauschten? Das war doch endlich mal was! Das gab es nicht einmal in den Distriktstädten! Manchmal stritten ein paar Jungen, und man löste die Frage, ob ein Wagen aus eigener Kraft fahren könne, mit den Fäusten.
Das Ding sah einem Kinderwagen verdammt ähnlich, einem doppelten für eine Familie mit Zwillingen. Der hier war groß genug für ein Paar ausgewachsener Zwillinge. Er hatte vier Fahrradräder mit Vollgummireifen. Vorn war ein Hebel wie das Steuer bei einem Boot; er wurde auch so bedient, also entgegen der Fahrtrichtung.
Hinter und unter dem Sitz saß diese neue seltsame Maschine. Monatelang hatte der Erfinder sie auf seiner Werkbank bearbeitet, daran herumgeklopft und neue Teile eingebaut. Sie hatte zwei Gasrohr-Zylinder von zweieinhalb Zoll Durchmesser; in jedem Zylinder war ein Kolben, gut abgedichtet, außerdem eine Pumpe, durch die ein Tropfen Benzin eingelassen wurde, das dann ein elektrischer Funke zündete. Wenn die Maschine lief, machte sie einen Lärm wie ein Maschinengewehr, stieß einen stinkenden Qualm aus, der den Erfinder zwang, die Tür des Schuppens aufzureißen. Die Nachbarn sagten dann: »Nun knattert das verrückte Ding schon wieder! Eines Tages wird er sich noch selbst in die Luft jagen.« Besonders Ängstliche wetterten gar. »Wir werden noch alle in die Luft fliegen!« Es war unbegreiflich, wie die Polizei so etwas in diesem ruhigen Viertel überhaupt erlauben konnte. Ein Skandal war das!
Aber die Jungen fanden es genauso schön wie den Nationalfeiertag. Sie standen vor dem Schuppen und sperrten Mund und Nase auf. Die Maschine stieß knatternd kurze helle Funken aus, aufregend! Das geschah meistens am Abend, denn tagsüber arbeitete Mr. Ford für die Elektrizitätsgesellschaft. Er arbeitete bis spät in die Nacht, offenbar interessierte ihn sonst nichts auf der Welt. Selbst am Samstag arbeitete er bis nach Mitternacht und belud sich deshalb mit Sünde - das sagten die Nachbarn. Nie zuvor hatte es hier in der Gegend einen Menschen gegeben, der am Samstag oder gar am Sonntag arbeitete.
Die Maschine drehte eine Welle so schnell um ihre Achse, dass man die Bewegung nicht mehr sehen konnte. Ford hatte sich überlegt, wenn er die Welle mit den Achsen des Kinderwagens koppelte, so würde sie den Wagen antreiben. Immer wieder baute er die Maschine ein und versuchte es. Aber immer wieder gab es irgendwo ein Problem. Er musste sie wieder ausbauen und weiter daran arbeiten. Er war ein junger Mann, der gern über seine Pläne sprach, Geheimnisse schien er nicht zu haben. Natürlich, er baute einen Wagen, der aus eigener Kraft fahren würde, besser als jeder Wagen zuvor. Es würde eine Zeit kommen, wo die Straßen voll von ihnen wären, ja, eines Tages gäbe es gar keine Pferde mehr.
Die Nachbarn gewöhnten sich schließlich an den sonderbaren Erfinder, sogar daran, dass er den Feiertag nicht heiligte. Aber keiner glaubte ihm, dass er eines Tages ohne Zugtier einen Berg hinauffahren würde. Die Leute kannten zwar die schwerfälligen Dampfmaschinen, die auf Schienen fuhren, aber auf einer normalen Landstraße frei umherfahren? Ohne irgendein Pferd? Das war gegen die
Natur, gegen Gottes Gesetz. Das war so närrisch wie die Versuche dieser anderen Wahnsinnigen, die durch die Luft fliegen wollten.
Abners Vater hieß mit Nachnamen Shutt und arbeitete in einer großen Fabrik, wo Güterwagen für die Eisenbahn hergestellt wurden. Er musste die Planken dieser Wagen mit Bolzen anschrauben; das wurde halbwegs als gelernte Arbeit betrachtet und gut bezahlt. Er bekam etwa einen Dollar vierzig Cents pro Tag. Aber es war auch ein harter Job, und obwohl er ein zäher Mann war und sein Leben lang gearbeitet hatte, war er nach zehn Stunden erschöpft. Manchmal schlief er auf dem Heimweg in der Straßenbahn ein und wachte erst an seiner Haltestelle wieder auf. Oft zu müde, um die Abendzeitung zu lesen, blieb er an Werktagen selten länger als eine Stunde nach dem Abendessen auf.
Tom Shutt bewohnte mit seiner Familie die Hälfte eines kleinen Doppelhauses, es war ein Holzhaus in der Straße hinter Fords Schuppen. Das Haus war früher einmal weiß gewesen, aber das lag lange zurück, niemand konnte sich mehr daran erinnern. Unten waren ein Wohnzimmer und eine Küche, oben zwei Schlafräume. In einem schlief Tom mit seiner Frau und ihrer kleinen Tochter, in dem anderen Abner und seine drei älteren Brüder. In der Küche gab es fließendes Wasser, aber die Toilette stand als kleines Häuschen im Hinterhof, das war im Winter zwar kalt, aber die Familie kannten es nicht anders.
In der anderen Hälfte des Hauses lebten die O'Rourkes mit neun Kindern, heißblütige Iren. O'Rourke war jeden
Samstag besoffen und verprügelte seine Familie. Man konnte alles hören, als ob es im gleichen Zimmer geschähe. Eine protestantische amerikanische Familie konnte sich nur schwer an so etwas gewöhnen, aber Mrs. O'Rourke erklärte, sie lasse sich lieber verprügeln, als dass sich die Nachbarn dazwischensteckten. Es war ein Segen für die Shutts, dass der Vater einer evangelischen Sekte angehörte, den >Wahren Gläubigem. Die lebten nach zwei Grundsätzen - völlige Abstinenz und Erwachsenen-Taufe; der Täufling trug ein weißes Gewand und wurde ganz im Wasser untergetaucht.
Sie waren arm, aber nicht ohne Hoffnung. Sie hatten die Gewissheit eines seligen Heils nach diesem Erdenleben, ihre Kinder besuchten alle die Schule, und die Familie teilte den Glauben aller amerikanischen Familien, dass die Kinder schon vorwärts kommen würden. Amerika war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Täglich geschahen wunderbare Dinge! Ein armer Junge konnte Präsident werden, und neben diesem großen Los konnte man unzählige kleinere ziehen: Senator, Gouverneur, Richter und all die anderen Könige: die Barone und den Kleinadel der Industrie. Das Leben in diesem Lande war eine immerwährende Lotterie. Jede Mutter, die ein Kind gebar, und sei es in der erbärmlichsten Hütte, langte in eine Lostrommel, auch sie konnte einen Hauptgewinn ziehen.
Auch der von Arbeit zermürbte Tom Shutt dachte so, denn er hielt sich eine Zeitung. Sie wurde ihm jeden Sonntag ins Haus gebracht, und wenn der Kirchgang und das Mittagessen hinter ihm lagen, las er, bis er über der Zeitung einnickte. Er sah die Bilder modisch gekleideter Damen und fabelhaft reicher und erfolgreicher Herren. Die Zeitung berichtete, wie die Männer aus einer ärmlichen Lage, ähnlich seiner eigenen, aufgestiegen waren.
Das war ihnen gelungen, weil sie Nützliches geleistet, den Lebensstandard Amerikas gehoben hatten, der nun der höchste der Welt war. Jedem, der an diesen Errungenschaften teilhatte, wurde das Herz warm vor Stolz. Toms wurde so warm wie das aller anderen, er wünschte sich nur, die Schuhe der Jungen würden nicht so schnell zerreißen und die Frau möchte weniger Löcher in den Hosen der Bengels zu flicken haben.
Eines Abends im Herbst, es war Altweibersommer und noch recht warm, saß Tom auf einer der beiden Holzstufen vor seiner Tür. Er trug noch das blaue Baumwollhemd seiner Arbeitskleidung und wusch sich vor dem Abendbrot nur die Hände. Sein struppiger dunkler Bart war schon einige Tage alt - er rasierte sich nur am Sonntagmorgen. Sein ledernes Gesicht war schon runzlig und hatte den geduldigen Ausdruck eines Ochsen. Er sog bedächtig an seiner Pfeife und war voll des gesegneten, ehrlich verdienten Friedens.
Sein sommersprossiger Junge kam aus dem Haus und setzte sich zu ihm.
»Vater«, sagte Abner, »du musst dir den Wagen ansehen, den Mr. Ford baut. Er ist draußen vor dem Schuppen.«
Tom hatte schon seit langem von dieser Erfindung gehört, und heute war er nicht ganz so müde, also überließ er sich seiner Neugier. »Gut, wir gucken mal hin.« Er klopfte seine Pfeife aus und ließ sich von seinem Jüngsten, der gerade dreizehn geworden war, die Straße hinunterführen bis zu dem kleinen roten Ziegelschuppen, in dem der Erfinder arbeitete.
Mr. Ford war ein schlanker Mann von 28 Jahren -schmales Gesicht mit lebhaftem Ausdruck, lockiges braunes Haar. Seine Werkstatt war gerade groß genug für einen Einspänner und ein Pferd; ein breites Tor für den Wagen
und ein kleines für das Pferd waren auch vorhanden, außerdem ein Mauerloch für ein Fenster. Er hatte diesen Schuppen ausgeräumt, eine Werkbank, seine Werkzeugausstattung und diesen Kinderwagen hineingestellt. Im Augenblick befand sich die neue Erfindung vor dem Tor, und einige Jungen hatten ihren Spaß daran, sie hierhin und dorthin zu schieben, Mr. Ford bediente das Steuer. Er schien zufrieden, wie es funktionierte. Wenn er das Ding überhaupt in Bewegung brachte, so würde er es wohl auch dahin lenken können, wohin er wollte.
»Das is' mein Vater«, sagte Abner, als die Lenkversuche beendet waren. Mr. Ford nickte höflich, und Tom meinte: »Is 'ne große Sache, wenn Sie das in Gang kriegen, Mr. Ford!«
»Ich werde es in Gang bekommen«, sagte der. »Ich habe alles genau berechnet, bevor ich anfing.«
»Das müsste sich gut verkaufen lassen!« sann Tom weiter, denn als guter Amerikaner dachte er vor allem an die geschäftliche Seite. »Es gibt 'ne Menge reicher Leute, die würden ihren Spaß dran haben, in so einem Ding herumzufahren.«
»Nicht nur reiche Leute, Mr. Shutt«, erwiderte der Erfinder, wie immer zum Plaudern aufgelegt. »Das wird kein Spielzeug! Ich baue es für den täglichen Gebrauch. Ich will sie in Massen herstellen, ein Mann wie Sie wird sich einen kaufen, um damit zur Arbeit zu fahren.«
»Wo soll denn ein Mann wie ich das Geld hernehmen, um so ein Ding zu bezahlen, Mr. Ford?«
»Haben Sie mal darüber nachgedacht, was der Weg zur Arbeit Sie kostet? Nehmen wir einmal an, es wären zehn Cents am Tag; das macht im Jahr dreißig Dollar - und das nur für eine Person. Warum sollte man Wagen wie diesen nicht so bauen, dass er vier Personen zugleich befördern kann?«
»Kann sein! Davon versteh' ich nichts, Mr. Ford«, murmelte Tom. Er wollte höflich sein und bescheiden, darum sagte er nicht: »Das glaub' ich erst, wenn ich es sehe.« Also sagte er noch: »Ich wünsche Ihnen Glück dazu, Mr. Ford!«
Mr. Ford war aber nicht bescheiden, er war begeistert von seinen Ideen: »Nein, nein, nicht Glück, Mr. Shutt! Wissenschaft und Berechnung ist das! Ich habe dieses Ding berechnet, und ich weiß, was ich kann. Warten Sie es nur ab, Sie werden sich wundern!«
Diese Begegnung fand in der Bagley Street statt, in Detroit; damals schon eine recht große Stadt, dieses Detroit. Und alt war sie auch schon, zumindest nach der Meinung der Amerikaner. Sie lag an dem Fluss, der den St. Clair- und den Erie-See verbindet. Dampfer kamen von weither. Auf der anderen Seite lag Kanada. Einige Eisenbahnlinien führten durch die Stadt; es gab viel Industrie hier, und man trieb einen schwunghaften Handel. Dieser junge Mann nun, Mr. Ford, hatte dahinten in der Hütte, wo er mit seiner Frau wohnte, seine eigene Fabrik aufgemacht.
1892 war das. All sein Geld und jede freie Stunde hatte er in diesem Jahr auf seine Erfindung verwandt. Für 45 Dollar im Monat hatte er bei der Elektrizitätsgesellschaft angefangen, aber er war nicht nur auf dieses Gehalt angewiesen. Sein Vater war Farmer, er hatte dem Sohn 40 Morgen Land gegeben, auf denen dieser eine Sägemühle baute. Sein Leben lang hatte Henry Ford schwer gearbeitet und alles gelernt, was es im Maschinenbau gab. Er trug eine Taschenuhr mit zwei Zifferblättern; eines zeigte die Sonnenzeit, nach der sich ein Farmer richtete, das andere aber die neue Zeit, die mit der Eisenbahn eingeführt worden war. Henry hatte auch diese Uhr selbst gebastelt. Draußen auf der Farm stand eine Dampfmaschine, die einen Pflug ziehen sollte, der erfinderische junge Mann hatte sie aus den rostigen Teilen alter Ackermaschinen gebaut.
Das Jahr verging, wie Jahre vergehen - langsam; kein Pferd zieht sie, und keine Maschine treibt die Zeit. Es war ein kalter Winter, Mr. Ford hämmerte immer noch in seinem Schuppen. Ein kleines Holzfeuer brannte, hin und wieder testete er seinen Wagen, aber irgend etwas stimmte immer noch nicht. Die Maschine hatte ein hölzernes Schwungrad, die Kraftübertragung besorgte ein lederner Treibriemen; beides ging oft kaputt. Es war schwierig, die Zündfolge der elektrischen Funken in exakten Abständen zu erzeugen. Kaum war ein Problem gelöst, so entstanden andere.
Im April kam eine wahre Arbeitswut über ihn. Er arbeitete zwei Tage und Nächte durch, dann, morgens um zwei Uhr, sagte er zu seiner Frau: »Die Maschine ist fertig, ich werde den ersten Versuch machen.« Es regnete, sie kam mit einem Regenschirm heraus, um ihrem Mann zuzuschauen.
Vorn am Wagen war eine Kurbel; man musste sie drehen, um die Maschine anzuwerfen. Der Motor spuckte gewaltig, dann heulte er auf und schüttelte das Fahrzeug beängstigend, aber es hielt zusammen. Ford stieg ein und fuhr los. Am Bug war eine Lampe befestigt mit einer Kerze darin, und bei ihrem milden Schein fuhr er die Straße hinunter, die mit Katzenköpfen gepflastert war. Mrs. Ford stand lange im Regen und fragte sich, ob sie ihren Mann je wieder sehen würde. Noch konnte die Maschine nämlich nicht rückwärts fahren. Landete er in einer Sackgasse, so musste er aussteigen, den Wagen hinten hochheben und ihn herumsetzen.
Der junge Erfinder blieb lange aus, den Weg zurück musste er sein Vehikel schieben; eine Mutter hatte sich bei all dem Gerüttel gelöst. Aber er frohlockte. Statt über das Kopfsteinpflaster und durch die aufgeweichten Wagenspuren war er querfeldein gefahren, wie es ihm gefiel. »Du bist ja völlig durchnässt«, stellte seine Frau fest; er ließ sich von ihr in die Küche führen und zog die nassen Kleider aus. Sie schenkte ihm heißen Kaffee ein, er sagte nur immer wieder: »Ich habe einen Wagen gebaut - ohne Pferde - und er fährt!«
Der junge Mann bastelte weiter an seinem Fahrzeug. Er machte Verbesserungen an seiner Erfindung, bis er schließlich genug Vertrauen zu ihr hatte und sich bei Tage damit hinaus wagte. Das gab Aufregungen! Die Straßen von Detroit waren voller Pferde, und in diesem Fahrzeug erkannten sie ihren Bezwinger. Ihr einziger Gedanke war, so weit wie möglich von ihm fortzukommen. Sie drehten ohne Rücksicht auf die Deichsel oder Gabel um und jagten in die Felder. Die Kutscher verfluchten diesen >Teufelswagen< und bedrohten seinen Fahrer. Der ging zum Bürgermeister und erhielt die Erlaubnis, einen Wagen ohne Gespann zu fahren. Er war somit der erste lizenzierte Autofahrer der Vereinigten Staaten.
Die Schule war aus, es war Sommer. Für die Jungen war Mr. Fords Wagen eine Sensation, und kaum hörte Abner die Ratterkanone schießen, so stürzte er auch schon aus dem Haus. Ein Trupp anderer Jungen gesellte sich zu ihm und folgte der qualmigen Spur des >Feuerwagens<. Er fuhr nicht schnell, die Jungen konnten gemütlich nebenherlaufen. Und sie hatten dem Wagen eins voraus - sie konnten die Schlaglöcher im Pflaster überspringen. Wenn die Maschine anhielt, waren stets genug Helfer da, um sie herumzuheben. Versagte sie ganz, so halfen sie schieben. Es war das Ereignis, und Abner war dabei! Sein Leben lang würde er davon erzählen.
Dass man ihn nach Hause schieben musste, war für Ford eine alltägliche Erfahrung. Es stellte sich heraus, dass ein Gasmotor nach ein oder zwei Meilen zu zerschmelzen drohte. Man musste also einen Wassermantel haben, und eine Pumpe war nötig, um das Wasser zirkulieren zu lassen, und schließlich ein Kühler. Dieser Versuch, die einfachen Maschinen wie das Fahrrad durch etwas anderes zu ersetzen, machte immer neue Schwierigkeiten. Sie schienen unüberwindlich.
Die Radfahrer folgten dem Wagen in Trauben, sie fuhren nebenher und äußerten ihre Meinung über den Erfinder. Musste er unfreiwillig anhalten, so riefen sie: »Nimm doch ein Pferd!« Hielt er aber absichtlich an, so versammelten sie sich um ihn und glotzten. Wenn er fortging und den Wagen stehenließ, so bestieg ihn wohl einer und versuchte, ihn zu starten. Also musste Ford eine Kette und ein Schloss besorgen und ein Rad an einen Laternenpfahl schließen.
Die Zeitungen griffen die Erfindung natürlich auf. Aber sie taten sich schwer mit dem Thema. Wie sollten sie sich dazu stellen? Ein Fahrzeug ohne Gespann! War das nun ein Witz oder ein Fortschritt der Zivilisation? Mr. Henry Ford war eine ernste und würdige Erscheinung, er ging nie ohne seinen steifen Hut aus, der wie eine kleine schwarze Kuppel auf seinem Kopf saß. Oft fuhr seine hübsche junge Frau mit ihm, um zu zeigen, wie gefahrlos und angenehm solch eine Fahrt sei. Also behandelten die Zeitungen ihn meist recht höflich, auch wenn ein Radfahrer wieder einmal versucht hatte, unter seine Räder zu kommen. Die Geschäftsleute jedoch gaben diesem Fahrzeug keine wirtschaftliche Chance, auch nicht, als der Erfinder seinen Wagen für zweihundert Dollar verkaufte und einen leichteren baute, der schneller und mit weniger Lärm fuhr.
Ford kam in der Elektrizitätsgesellschaft voran, man wollte ihn zum Generalinspektor machen und bot ihm diese Karriere unter der Bedingung an, dass er die närrischen Versuche aufgebe, den >Benzinkarren< einzuführen. Die Gesellschaft glaubte fest, Elektrizität sei die Kraft der Zukunft. Der Gasmotor war mit gesunder Geschäftsmoral unvereinbar. Ford gab also seine Stellung auf und widmete sich ganz der verrückten Idee. Das war seine Antwort auf das Angebot. Er wusste, dass er sich beeilen musste; andere Männer in Amerika arbeiteten an der gleichen Erfindung. Sie kannten einander nicht, nur hin und wieder lasen sie in den Zeitungen, dass der Fahrer eines solchen Fahrzeugs in die Luft geflogen oder im Graben gelandet war. Oder auch, dass es ihm gelungen war, eine Meile zu fahren und tatsächlich wieder zurück!
Es waren schmerzliche Ereignisse, die verhinderten, dass Abner Shutt an Fords Erfindung weiter aus der Nähe teilnehmen konnte. Im Sommer 1893 gab es in Wallstreet einen Krach. Abner wusste nichts davon, aber im Laufe des Winters hörte er von Leuten, die ihre Arbeit verloren und keine neue finden konnten. >Schwere Zeiten<, hieß es, eine Naturerscheinung wie der Winter selbst; die Gründe dafür waren geheimnisvoll; grausame Zeiten, die vor keinem Halt machten. Die Eisenbahngesellschaften kauften keine Güterwagen mehr. Tom kam eines Morgens mit der Nachricht zurück, das Werk sei stillgelegt. Mit seinem Lohn, ein Dollar und 40 Cent, war es vorbei. Sehr bald geschah den beiden ältesten Jungen das gleiche. Die Shutts waren nun am Ende, die mageren Ersparnisse in wenigen Wochen aufgebraucht. Sie blieben mit der Miete im Rückstand, mussten Möbel verkaufen; mit dem Rest möblierten sie ein gemietetes Zimmer und lebten jetzt vom bitteren Brot der Wohltätigkeit.
In der großen Lotterie des Lebens gewinnen einige Jungen glückliche Jahre. Sie wachsen in friedlichen Zeiten auf, haben alle Chancen eines glücklichen Lebens. Andere wachsen in Kriege hinein. Man reißt sie aus ihren Familien, schickt sie in die Schlacht und schießt sie in Fetzen. Abners Pech war es, dass er mit vierzehn in eine Zeit der >Wirtschaftsdepression< hineingeriet. Er bekam nicht genug zu essen, musste die Schule verlassen und auf der Straße ein paar Pennies mit dem Verkauf von Zeitungen verdienen. Jede Ecke war von Jungen besetzt, die behaupteten, dass dies ihre Ecke sei. So wurde Abner von Ecke zu Ecke gejagt, sie verprügelten ihn und zerrissen seine Zeitungen. Der erbarmungslose Wintersturm peitschte seine magere, dürftig bekleidete Gestalt, seine Finger waren so steif, dass er kaum das Geld wechseln konnte, wenn er wirklich einen Zeitungskäufer fand. Ein Finger erfror ihm und wurde schwarz. Man brachte den Jungen, der vor Schmerzen schrie, in ein Krankenhaus, der Doktor amputierte den Finger - ein ewiges Andenken an die schweren Zeiten.
Ein Junge weniger lief hinter Fords Wagen her, Abner musste um Pennies betteln, wenn er sie schon nicht verdienen konnte. Sein Vater stand mit hundert anderen Männern in einer Brotschlange. Seine abgearbeitete Mutter schlug ein Tuch um die Schultern und lief ans andere Ende der Stadt, um einen Napf voll Suppe zu ergattern. Ihre Kirche half ein wenig, aber fast alle Gemeindemitglieder waren Arbeiter. Die waren selbst in Not und hatten ihre eigenen Sorgen. Die Mittel der wohltätigen Vereinigungen gingen aus, in ganz Amerika herrschten Hunger, Kälte und Elend.
So verlief das Leben des Jungen in den nächsten drei Jahren. Er ging nie wieder zur Schule, machte Botengänge und übernahm jede Art Arbeit. Als die Wirtschaft sich endlich erholte, fanden seine älteren Brüder Arbeit in der Waggonfabrik. Der Vater, dessen Haar schon grau wurde, war froh, dass er einen Posten als Nachtwächter bekam. Abner kutschierte eine Zeitlang einen Lieferwagen, dann bekam er Arbeit in einem Fabrikschuppen; dort fertigte er Körbe an. Irgendwie schlug er sich durch und wuchs heran. Er wurde nie so kräftig wie sein Vater. Er war schmal, seine Schultern hingen, seine Lippen waren etwas aufgeworfen, und die beiden Vorderzähne standen vor wie bei einem Hasen. Aber einen starken Schnurrbart hatte er wie sein Vater und dessen ehrliche graue Augen. Überhaupt war er gutmütig und das, was die Gottesfürchtigen einen >guten jungen Mann< nannten. Und das blieb er auch. Als die Zeit gekommen war, kleidete man ihn in ein weißes Gewand und taufte ihn nach dem Ritus der >Wahren Gläubigen<.
In seiner Gemeinde lehrte man ihn den Glauben seiner Väter. Aller Armut und Plackerei zum Trotz hielt er an diesem Glauben sein Leben lang fest. Die Zeitungen erzählten ihm, für alle Völker gäbe es schwere Zeiten, ein Naturgesetz, dem man nicht entgehen könne. Bald aber würde der Wohlstand wiederkommen, und Amerika bliebe das größte und reichste Land der Welt. Wenn man nur fleißig arbeitete und ein sauberes und gottesfürchtiges Leben führte, so würde der Erfolg sich schon einstellen. Es gab aber auch Unzufriedene und Agitatoren im Lande, die den Politikern und den Reichen die Schuld an den Zuständen gaben. Abner traf hin und wieder einen von diesen Unruhestiftern, aber was immer sie ihm auch erzählen mochten, er schaute weiterhin zur Regierung seines Landes auf wie zu einem Gott. Etwas sehr Fernes und Erhabenes war diese Regierung für ihn; man musste sie anbeten, selbst dann, wenn sie einen zertrat. Er war ein guter Republikaner. Bis ans Ende seiner Tage stimmte er für >Amerika und Wohlstands<.
Ford hatte vor elf Jahren die Farm seines Vaters verlassen und war nach Detroit gekommen, seitdem stand stets irgendeine Art von Motorwagen in seiner Werkstatt. Er verbrauchte all seine Ersparnisse, um Material zu kaufen, und seine Freizeit für die Lösung von technischen Problemen. Er baute zuerst Wagen mit zwei Zylindern, dann mit vieren. Er verkaufte sie, sie liefen, und er reparierte sie auch.
Er versuchte es mit Geschäftsleuten, hatte aber nicht viel Erfolg damit, Menschen zu finden, die seine Ansichten teilten. Die Geschäftsleute wollten beim Verkauf von Motorwagen nur schnelles Geld verdienen. Sie sahen es so: Man musste nur jemand auftun, der sich so ein kostspieliges Hobby leisten konnte. Man musste ihn fragen, wie er es haben wollte, es so bauen und das Geld dafür einstecken. Damit war der Handel erledigt. Sollte der Käufer später doch wiederkommen und sich beklagen, dass sein teures Spielzeug nicht funktionierte - was ging das den Verkäufer an?
Henry Ford aber blieb auf seinem Standpunkt. Der Motorwagen war für ihn kein Spielzeug der Reichen, sondern ein nützliches Gerät für jedermann. Es war närrisch, jemanden nach seinen Wünschen zu fragen, solange der den Wagen nicht sehen konnte und seine Möglichkeiten erkannt hatte. Er wollte eine Anzahl Fahrzeuge zu niedrigem Preis fabrizieren, dann würde es schon werden und das Geschäft von Dauer sein. Seine Devise war: Die Ware empfiehlt sich auf den Straßen selbst, schon bald wird man sie in Massen herstellen und ein Vermögen verdienen, ohne erst lange experimentieren zu müssen. »Wer will mit mir ein Vermögen machen?« fragte Ford. Er fand keine Freiwilligen.
Er arbeitete zunächst mit einer Gruppe von Leuten zusammen, die sich die Detroit-Motor-Company nannte. Er war Chefingenieur, konnte aber den Verkauf nicht kontrollieren, ja nicht einmal bestimmen, welche Fahrzeuge gebaut wurden. Das hatte er bald satt, und er kehrte in seine eigene kleine Werkstatt zurück, dem einzigen Platz, wo er nach seinen Plänen arbeiten konnte.
Es war die Zeit des Fahrradrummels. Jeder fuhr in den Straßen von Detroit auf so einem Dings herum; man nannte sie >Gesundheitsräder<. Alle Welt redete über Fahrräder und verglich die Vorzüge der >Columbias<, >Monarchs< und der englischen >Humber< mit denen der einheimischen Marken. Etwa zehn Millionen Fahrräder sollten in den Vereinigten Staaten im Gebrauch sein. »Da haben wir doch schon die Massenproduktion!« dachte Ford. Eines Tages würde man das gleiche bei den >Motorwagen<, wie man sie jetzt allgemein nannte, erleben.
Die Fahrräder wurden auch durch Wettrennen propagiert; die Fabriken hielten sich Berufsfahrer und zahlten ihnen hohe Prämien für einen Sieg ihrer Marke. Ford hatte nicht genug Geld, um einen Fahrer zu bezahlen, aber er konnte ja selbst fahren. So schickte er eines Tages eine Herausforderung an einen Mr. Winton, der in Cleveland einen Wagen baute und große Reklame dafür machte.
Das erste Autorennen - ein Ereignis! Nicht weit von Detroit auf der Grosse-Painte-Rennbahn wurde es abgehalten. Die Zeitungen schrieben, Menschenmassen kamen, die meisten auf Fahrrädern. Unter ihnen war auch ein junger Arbeiter namens Abner Shutt. Er fuhr ein Modell, das die Markenbezeichnung >Stearns Gelbes Rad< trug. Nach vielem Knappsen und Sparen hatte er es aus dritter Hand gekauft. Er trug eine Radfahrermütze, aber keinen passenden Sport-Anzug, nur Hosenklammern um die Sonntagshose.
Neun Jahre war es her, seit Abner diesen Mr. Ford an seinem ersten kleinen Wagen hatte herumhämmern sehen. Abner hatte es nie vergessen, und wenn er den Erfinder in den Straßen der Stadt fahren sah, winkte er ihm zu. Als er in den Zeitungen über Fords Fortschritte las, war der junge Arbeiter sehr stolz: Er war bei den ersten Anfängen dabei gewesen. Jetzt beugte er sich weit über die Brüstung der Rennbahn, sein Gesicht war rot, er riss den Mund auf und feuerte seinen Helden an. Viele Leute schrieen, aber der Held beachtete es nicht. Es ging hier um Ruhm und Glück oder auch Unglück, eine Sache, die sogar den Tod bringen konnte.
Wintons Wagen hieß die >Flintenkugel<, Fords Wagen nur der >Ford<. Die Pistole knallte, die Motoren brüllten auf. Los ging es! Ford war von Anfang an vorn, und dabei blieb es. Die Menge schrie, und Abner Shutt tanzte vor Aufregung und Freude. Als der Sieger gefeiert wurde, stand er unter den hundert Menschen, die den Erfinder umringten und hochleben ließen. Ford erkannte ihn nicht, er sah ihn nicht einmal, aber Abner konnte den anderen sagen: »Den Knaben hab' ich schon gekannt, als er seinen ersten Wagen baute. Damals in der Bagley Street, in einem kleinen Schuppen.« Dies zu erzählen würde ihm sein Leben lang Vergnügen bereiten.
Ganz Detroit wusste nun, dass ein Motorwagen Rennen fahren kann. Aber man war noch immer nicht überzeugt, dass so ein Gefährt von irgendeinem Nutzen sei. Henry Ford ging im Winter aufs Eis und fuhr seinen Wagen über eine Meile mit einer Geschwindigkeit von über dreißig Meilen pro Stunde. Er brach den Vanderbilt-Rekord, und zur Feier des Tages gab er ein Essen mit Bisonfleisch auf dem Eis. Aber die Leute nahmen ihn immer noch nicht ernst. Wer, außer einigen Verrückten vielleicht, wollte mit einer Geschwindigkeit von dreißig Meilen fahren?
Aber Rennen sahen sie gerne, und Ford wollte ihnen einmal ein richtiges Rennen zeigen. Er baute mit einem Freund einen Wagen mit vier Zylindern und acht PS. Sie testeten ihn - es war, >als ob man den Niagara hinunterfährt<. Ford selbst wollte nicht fahren. Er verhandelte mit Barney Oldfield, einem Radrennfahrer, verrückt wie der Teufel, der sein Leben der Geschwindigkeit verschrieben hatte. Die Rennbahn war nicht überhöht und das Durchfahren der Kurven eine Sache auf Leben und Tod, besonders auch deshalb, weil man den Wagen mit einem schwergängigen Lenkrad steuern musste, für dessen Drehung man große Kraft brauchte.
Diesen >Teufelswagen< nannten sie >999< und schickten ihn 1903 zum Rennen von Grosse Painte. Abner Shutt war wieder dabei, mit zwei Kameraden, die mit ihm im Lager einer Werkzeugfabrik arbeiteten. Das Rennen ging über drei Meilen. Der wilde Barney kam mit einer halben Meile Vorsprung ans Ziel. Abner tanzte und schrie und erzählte wieder allen, die es hören und nicht hören wollten: »Ich kenn diesen Mr. Ford schon lange! Das könnt ihr glauben!«
Nachdem das aufregende Ereignis vorbei war, fuhr Abner auf >Stearns Gelbem Rad< nach Detroit zurück. Während sie in die Pedale traten, besprachen er und seine Freunde das Ereignis und was sie über die Fahrzeuge in den Zeitungen gelesen hatten. Sie waren in ein Zeitalter der Geschwindigkeit hineingeboren und stolz darauf. Als Radfahrer schwor jeder auf seine Marke, als gehöre ihm die betreffende Fabrik. Jeder war ein Kämpfer, und es war Ehrensache, sich nicht überholen zu lassen. Nun kamen diese Wagen auf, die von einem Motor getrieben wurden; sie waren um vieles schneller, um vieles gefährlicher und aufregender. Junge Arbeiter, die mit Maschinen zu tun hatten, redeten bald über Zündungen, Getriebe und Kühlersysteme. Die Sache hatte Zukunft, das glaubten sie alle. Auf der Fahrt sagte Abner plötzlich: »Bin mal gespannt, ob Mr. Ford mir eine Stellung gibt!«
Abner Shutt musste jetzt etwas aus seinem Leben machen; er war vierundzwanzig Jahre alt und in einer Krise. Drei Jahre hatte er seine schwere Arbeit bei der Werkzeugfabrik getan, aber auch erkannt, dass es dort für ihn kein Vorwärtskommen gab. Sein Vorarbeiter begünstigte seine >Freunde< - Leute, die ihm schmeichelten und ihm Geschenke machten. Abner jedoch konnte sich nicht ins rechte Licht setzen, denn in der Sonntagsschule und in den Zeitungen hatte man ihn gelehrt, dass man allein durch fleißiges und ehrliches Arbeiten vorankommt.
Auch war vor fünf Jahren die Romantik in das graue und mühsame Leben Abner Shutts getreten. Sie hieß Milly Crock. Ihre Eltern waren Arbeiter und ebenfalls Anhänger der >Wahren Gläubigen<. Milly war blond und hatte große strahlende blaue Augen. Sie war etwas schwächlich, aber Abner wusste das nicht. Für ihn war sie das wunderbarste aller Geschöpfe und viel zu gut für einen so hässlichen Bengel wie ihn. Erst allmählich merkte er, dass auch sie ihn gern hatte. Er konnte es gar nicht fassen! Sie trafen sich bei den Veranstaltungen der Kirche, schließlich fand Abner den Mut, bei ihren Eltern einen Besuch zu machen. Sie waren beide sehr schüchtern, und es dauerte lange, bis Abner herausgefunden hatte, wie er um ihre Hand anhalten sollte. Als es dann geschehen war, waren dies die seligsten Augenblicke, die er je gekannt hatte.
Aber sie hatten kein Geld und konnten nicht heiraten. Sie mussten arbeiten und sparen. Jetzt nach fünf Jahren taten sie es immer noch. Langsam wurden sie der Hoffnung müde, deren Erfüllung man immer wieder hinausschieben musste. Ohne es zu erkennen, litten sie unter dem Zwang, ihren Anteil zur Vergrößerung der schnell wachsenden Stadt Detroit beitragen zu müssen. Teddy Roosevelt war Präsident, er war der Liebling des kleinen Mannes und ein Verfechter des >Wettbewerbs um jeden Preis<. Die Wirtschaft blühte, jedermann wurde reich, so schien es Abner Shutt, außer ihm selbst. Dies waren die Gedanken, die in dem jungen Arbeiter wühlten, als er auf seinem Fahrrad nach Hause fuhr. »Ich werde zu Mr. Ford gehen.« Er hielt es für klüger, mit seinen beiden Begleitern von dieser glänzenden Idee nicht weiter zu sprechen.
Auch Ford befand sich zu dieser Zeit in einer Krise. Er war vierzig und hatte noch keinen größeren geschäftlichen Erfolg gehabt. Noch immer baute er die Wagen mit eigener Hand und musste zusehen, wie andere ihn überholten. Das Interesse an der Sache wurde breiter, Fabriken wurden gebaut - nur er hatte nichts davon.
Unter seinen Freunden gab es einen Kohlenhändler mit Namen Malcolmson. Er hatte Kohlen an die Elektrizitätsgesellschaft geliefert, als Henry Ford hier den Einkauf leitete. Der Kohlenhändler war in einem Fordwagen gefahren, und Fords Enthusiasmus hatte ihn angesteckt. Nach dem überraschenden Sieg Barney Oldfields verkündete er, jetzt sei er überzeugt, und schlug seinem Freund vor, sie beide sollten die Ford-Motor-Company gründen; 51 Prozent der Aktien wollten sie sich teilen, das würde ihnen die Majorität sichern. Malcolmson brachte siebentausend Dollar auf, um die Gründungskosten der Gesellschaft zu decken. Andere wurden zur Investition überredet. Ein Angestellter des Kohlenhändlers, James Couzens, kratzte tausend Dollar zusammen. Der Buchhalter tat das gleiche. Ein Zimmermann, dessen Werkstatt man mieten wollte, stieg mit ein und dann noch die Gebrüder Dodge. Sie hatten eine Werkstatt und verpflichteten sich, Motoren für die neuen Wagen zu bauen und dafür Aktien in Zahlung zu nehmen. Man beauftragte zwei Rechtsanwälte, den Vertrag aufzusetzen; die neue Gesellschaft begann ihr Geschäft mit 28000 Dollar in bar. Keiner der großen Kapitäne der amerikanischen Industrie war vertreten, auch keiner der großen Finanzmoguln. Meist waren es kleine Leute, die sich das Geld für ihren Anteil auf ihr Gehalt liehen. Sie wollten die Chance nutzen, das amerikanische Volk mit billigen Motorwagen zu versorgen. Sie taten es, weil sie Henry Ford kannten oder aber Freunde hatten, die ihn kannten.
Abner Shutt hätte es nichts genützt, wenn er davon erfahren hätte, er besaß nicht einmal hundert Dollar. Er wusste auch nicht, was eine Aktiengesellschaft ist, er wusste nicht einmal, wohin Henry Ford gezogen war und wie er das herausfinden sollte. Aber er hatte Glück. Als er auf seinem Fahrrad durch die Mack Avenue fuhr, sah er ein zweistöckiges Holzhaus, an dem ein neues Schild prangte: Ford-Motor-Company.
Dies war die Werkstatt, die Ford von dem Zimmermann für 75 Dollar im Monat gemietet hatte. Das Gebäude hatte eine prächtige >falsche Fassade<, eine Giebelwand also, die über die Höhe des Daches hinaufgezogen war; sie sollte vortäuschen, das Haus sei größer. Aber das war nicht gelungen, denn wenn man die Straße heraufkam, sah man, dass die Seitenwände niedriger waren. Viele dieser falschen Fassaden gab es jetzt in Amerika, und nicht nur bei Häusern.
Abner stieg ab und lehnte sein Rad gegen das Geländer. Mr. Ford war da. Er war draußen in der Werkstatt und sorgte dafür, dass die Produktion vorankam. Abner wartete respektvoll, die Mütze in der Hand. Endlich sah er eine Gelegenheit, ihn anzusprechen, und er trat an ihn heran.
»Mr. Ford, mein Name ist Abner Shutt. Sie kennen mich wohl nicht mehr. War einer der Jungen, die immer in Ihre Werkstatt kamen und zuschauten, damals, in der Bagley Street. Hab' mal Ihren Wagen mit nach Haus geschoben, als er nicht mehr wollte.«
»Richtig, Abner«, sagte Ford, »ich glaube, nun erkenn' ich Sie wieder. Wie geht's Ihnen?«
»Nicht sehr gut, Mr. Ford. Hab' 'ne Stellung bei der Perfection-Werkzeugfabrik. Ich arbeite ja so gut, wie 'n Mensch eben kann, aber ich komm' nicht weiter, hab' keine Zukunft da. Ich weiß, dass Ihr Laden in Schwung kommt, Mr. Ford, möchte verdammt gern für Sie arbeiten.«
»Kenntnisse über Maschinenbau, Abner?«
»Ziemlich, Mr. Ford, hab' mir das hier und da angenommen. Hab' ein Fahrrad und bastel dran rum. Hab' auch über Ihre Wagen gelesen und wie die gebaut sind. War auch bei den Rennen, wie Sie Mr. Winton geschlagen haben - und erst die Fahrt von Barney Oldfield! War mächtig stolz drauf, wirklich!« Und als er den anderen lächeln sah, fügte er rasch hinzu: »Bin 'n guter Arbeiter, Mr. Ford, trinke nie und komme regelmäßig zur Arbeit. Wenn Sie mir 'ne Chance geben - ich würde alles tun. Sie sollen mit mir zufrieden sein. Weiß noch, wie gut Sie zu uns Kindern waren.«
In das Gesicht des Erfinders kam ein ernster Zug. Er war jetzt Vizepräsident und Chefingenieur einer Gesellschaft; er trug eine schwere Verantwortung. »Wir haben hier kein Wohltätigkeitsunternehmen aufgemacht, Abner. Wir bauen Wagen, und zwar eine ganze Menge. Die Männer, die für uns arbeiten, müssen ganze Arbeit leisten, das ist keine Spielerei hier.«
»Oh, Mr. Ford!« rief Abner. »So hab ich's auch nicht gemeint! Ich wollte Sie nur um Arbeit bitten. Sie finden in der ganzen Stadt keinen Arbeiter, der so hart arbeitet wie ich, und keiner wird dankbarer für die Chance sein.«
Der Chefingenieur schätzte den jungen Mann ab, während er sprach. Er war jung, seine Augen waren klar, also trank er wirklich nicht. Die Hände zeigten, dass er schwere Arbeit gewohnt war. Ehrlich und einfach war dieses Gesicht. Intelligenz und Einfallsreichtum bedeuteten für
Ford weniger als der Wille, sich belehren zu lassen. Denn die Wagen, die er bauen wollte, sollten sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Die Arbeit aber sollte so geteilt werden, dass jeder Arbeiter nur einige Handgriffe auszuführen hatte.
»Gut, Abner«, sagte er, »ich will Ihnen eine Chance geben, und wenn Sie sich so halten, wie Sie es versprochen haben, dann werden Sie sich auch verbessern können.«
»Oh, danke, Mr. Ford, danke!« Es war einer der glücklichsten Augenblicke in Abners Leben. Er hatte schon immer geglaubt, dass Ford ein großer Mann sei, jetzt war er sich dessen ganz sicher und auch überzeugt davon, dass sie beide, Ford und er, ihr Glück machen würden.
Ford führte ihn durch eine überfüllte Werkstatt zu einem Vorarbeiter, der gerade seine Jacke anzog und gehen wollte.
»Foster, dies ist Abner Shutt. Ich kannte ihn schon, als er noch ein Junge war. Ich möchte ihn Ihnen anvertrauen. Sie sollen ihm eine Chance geben. Soll mal zeigen, was er kann. Wann, meinen Sie, werden Sie ihn brauchen können?«
»Wenn er will, kann er gleich anfangen, Mr. Ford.«
»Nun, Abner?«
»Ich werde morgen kommen, Mr. Ford. Ich muss doch erst zu meiner alten Stelle gehen und mich abmelden. Ist's recht, wenn ich morgen früh um halb neun hier bin?«
»Halb neun ist recht«, sagte der Vorarbeiter, und Abner dankte beiden mit einer Überschwänglichkeit, die sie hätte rühren müssen. Aber ihre Gedanken waren mehr mit den Problemen der Produktion beschäftigt.
So wurde Abner Shutt ein Zahnrad in der Maschine, die Ford in seinem Hirn erdacht hatte und die jetzt Wirklichkeit wurde. Als er noch allein in seiner Werkstatt war, konnte er tun und lassen, was er wollte. Stets aber, wenn er sich mit anderen verbunden hatte, war er ein Teil ihrer Organisation geworden. Er musste tun, was sie wollten. Jetzt arbeitete er zum ersten Mal in seinem Leben mit seiner eigenen Gesellschaft. Andere Menschen hatten ihm zu gehorchen und nach seinen Anweisungen zu arbeiten.
Er musste jetzt nicht mehr nur für sich selbst denken, sondern auch für Abner - und das gefiel diesem ausgesprochen gut. Seine Selbständigkeit war begrenzt und sein Geist nicht geschult. Hätte er sich in dieser engen emsigen Werkstatt selbst nach Arbeit umsehen sollen, er wäre todunglücklich gewesen. Aber der Vorarbeiter zeigte ihm genau, was er zu tun hatte; Abner war dankbar dafür. Er brauchte jetzt nur noch etwas Zeit, um den Dreh zu lernen, danach arbeitete er unablässig. Je seltener er die Handgriffe verändern musste, desto besser gefiel es ihm. Der neue Chefingenieur hatte einen guten Griff getan, als er den Sohn der >Wahren Gläubigen< anstellte.
Die Werkstatt, in der Abner arbeitete, war eigentlich keine richtige Autofabrik. Hier gab es keine Maschinen, die Autoteile produzierten. Jedes Teil wurde in Fremdarbeit nach Fords Angaben hergestellt. Die frühere Zimmermannswerkstatt war nur der Platz, an dem man diese Teile montierte. Im ersten Jahr wurden in diesem Werk 1708 Wagen fertig gestellt - also an jedem Werktag sechs. So etwas hatte man bisher in der Industrie nicht gekannt. Das Problem für den Chefingenieur bestand darin, die Arbeit in eine Anzahl von Teilaufgaben aufzulösen, von denen jede aber noch groß genug sein musste, dass ein Arbeiter zehn Stunden daran zu tun hatte, wenn er so schnell arbeitete, wie er irgend konnte.
Auf Rollwagen, von Pferden gezogen, kamen ganze Ladungen bereifter Speichenräder. Abner fasste zwei Räder auf einmal und rollte sie zu einem Wagen, der fast fertig war. Er musste die Räder auf die Achse setzen und die Mutter an der Radnabe mit einer Zange anziehen. Das war seine Arbeit. Die Drehung musste behutsam angesetzt werden, um das Gewinde der Mutter nicht zu beschädigen, und er musste sie fest genug anziehen, damit der Fahrer nicht eines Tages ein Rad verlor und die Firma Ford blamiert war. Da Abner die Räder seines Fahrrades oft auf- und abmontiert hatte, lernte er diese Arbeit schnell. Doch als er in seiner Begeisterung einmal gezeigt hatte, wie schnell er sie verrichten konnte, wurde dieses Tempo die Norm. Blieb er dahinter zurück, gab es böse Blicke und hämische Fragen.
Als er seine Arbeit beherrschte, zeigte man ihm, wie das Signalhorn angebracht wurde, das vorn an jedem Wagen befestigt war. Dann lernte er die Laterne anzubringen, sie war größer als beim Fahrrad und wurde auf das Schutzblech montiert. Auch das waren Dinge, die Abner vom Fahrrad her kannte. Sie machten ihm keine Schwierigkeiten. Endlich wies man ihn an, die Polster für die Sitze heranzuschaffen, sie in den Wagen einzubauen, den Staub herauszuklopfen und Schrammen oder Schäden zu melden. Diese Aufgaben hielten ihn den ganzen Tag in Trab. Aber das machte ihm nichts aus, er bekam ja 17 und einen halben Cent in der Stunde. So viel hatte er vorher nie bekommen. Außerdem hatte Mr. Ford ihm versprochen, er würde befördert werden, wenn er nur fleißig arbeite. Konnte ein Arbeiter noch mehr verlangen?
Abner und die blauäugige Milly Crock fassten wieder Mut. Jetzt wurde ihr Leben doch besser. Sie hielten Hochzeit in ihrer weißen Kirche und machten eine Reise mit dem Dampfer zu den Niagarafällen. Es war ihr erster und letzter Urlaub. Sie ließen sich fotografieren, das große Naturschauspiel war der Hintergrund. Beide schauten feierlich und ernst auf den Bildern drein, Milly mit Puffärmeln, Abner mit Vatermörder und aufgebauschter Krawatte, die Spitzen seines Schnurrbartes steif vor Bartwichse. Das Bild kam ins Familienalbum, ihre Urenkel sollten es noch bewundern können.
Kaum ein Jahr später lieferte das gläubige Paar seinen ersten Beitrag zum Bevölkerungswachstum der aufblühenden Stadt. Es war ein Junge, und sie nannten ihn John Crock nach Millys Vater. Insgesamt bekamen sie sechs Kinder, von denen vier am Leben blieben, drei Jungen und ein Mädchen. Der Jüngste hieß Tom nach Abners Vater, aber sie nannten ihn Tommy, solange der alte Nachtwächter noch lebte.
Während Abner und Milly ihren Traum verwirklichten, war Ford mit seinem beschäftigt. Wenn all die kleinen Shutts aufgewachsen waren - und ebenso die kleinen Smiths, Schultzes, Slupskis und Steins -, so sollten sie Millionen kleiner Motorfahrzeuge vorfinden, deren Preis aus zweiter Hand für sie erschwinglich wäre. Zu jedem Platz des Kontinents sollten diese Wagen sie bringen, ein paar Berggipfel ausgenommen.
Ja, das war Fords Traum, das wollte er! Deshalb inspizierte er dauernd die ehemalige Zimmermannswerkstatt, in der sich jetzt zweihundert Arbeiter drängten. Er beobachtete, wo sie einander behinderten. Er arbeitete Pläne aus, dies zu vermeiden. Er prüfte Material, las Verträge, verhandelte über Verkaufsfeldzüge, bereitete Reklamen vor, die sich einfach und sinnfällig an den Verstand des Durchschnittsamerikaners wandten - und den kannte er genau. Vierzig Jahre war er selbst einer von ihnen gewesen. Wer im Geschäft Erfolg haben will, muss immer an den >Durchschnittsmenschen< denken, das war sein Grundsatz. Und er hatte ein halbes Leben lang danach gehandelt, bevor er diesen Satz predigte.
Im ersten Jahr brachten die Verkäufe der Ford-Motor-Company 1,5 Millionen Dollar, ein Viertel davon war Gewinn. Von nun an hatte Henry Ford sein Leben lang stets Geld genug, um seine Ideen durchzusetzen. Er verwaltete sein Geld gut und benutzte es nur für diesen Zweck.
Der erste Wagen, Modell A, war für 850 Dollar verkauft worden. Fords Plan war, den Preis weiter herabzusetzen und 1904 noch mehr Wagen zu verkaufen. Das führte zu Auseinandersetzungen mit seinen Gesellschaftern. Sie glaubten immer noch, das Auto sei ein Spielzeug für Reiche. Sie wollten die Preise erhöhen und diverse Luxusmodelle herausbringen, damit die Käufer größere Auswahl hätten. Mit den Autos wurde es jetzt wie mit Damenhüten und Kleidern. Jedes Jahr musste die Form geändert werden, so dass die Reichen, wollten sie mit der Mode gehen, sich rasch einen neuen Wagen kaufen mussten. Die Konstrukteure setzten hinten auf den Wagen einen Aufbau, den man das >Tonneau< nannte, das war eine Art Box mit zwei Extrasitzen. Heute zogen sie es tief herunter, im nächsten Jahr bauten sie es ganz hoch auf; heute stieg man von der Seite ein, im nächsten Jahr dagegen von hinten. In Paris hatten sie das Modewort >Automobil< aufgeschnappt, und jetzt gab es jeden Winter eine >Automobilausstellung< in New York. Dort versammelten sich die Verkäufer und überzeugten die Käufer davon, dass sie unbedingt kaufen müssten.
Auch Henry Ford wollte Wagen auf der Automobilausstellung verkaufen, aber dieses Geschäft sollte ebenso in Oshkosh und Topeka florieren, und er war überzeugt, das könne ihm einzig und allein durch einen niedrigen Preis gelingen. Er stritt mit seinen Gesellschaftern, und als es zur Abstimmung kam, wurde er überstimmt. Die Ford-Motor-Company baute jetzt nicht mehr das Modell A für 850 Dollar, sondern Modell C für 900 Dollar, Modell F für 1000 und Modell B für 2000. Die Verkaufszahlen fielen von 1708 im ersten Jahr auf 1695 im zweiten. Im nächsten Jahr lief das billigste Modell ganz aus, und die Verkäufe fielen auf 1599. Ja, sie machten Fortschritte, aber die Gewinne fielen.
Woran lag es? An dem hohen Preis, wie Henry Ford behauptete, oder an dem Fehlen neuer Modelle? Das behaupteten nämlich die Verkäufer und Teilhaber. Sie erklärten, seine Modellpolitik sei der Ruin. Aber an einem anderen Konzept hatte er kein Interesse. Er hielt seine Dividenden zusammen und nutzte jede Gelegenheit, die Aktien der unzufriedenen Aktionäre zu kaufen. Der erste war der Zimmermann Strelow, der Besitzer der Werkstatt. Er hatte fünftausend Dollar im Geschäft und erklärte, er würde sie lieber in eine Goldmine stecken. Als nächster war der alte Freund Malcolmson dran. Ford hatte erklärt, dass er mit diesem Kohlenhändler nicht zurechtkommen könne, und der Kohlenhändler war sich darüber klar geworden, dass er mit Ford nicht auskam. Er verkaufte. Nun hatte Ford die Majorität! Wer mit seiner Politik nicht einverstanden war, wurde hinausgesetzt. Das war von nun an Grundsatz der Gesellschaft: Wer Fords Anweisungen widersprach, wurde sofort gefeuert.
Die Ford-Motor-Company baute jetzt keine Tourenwagen mehr, wie die teuren Wagen genannt wurden. Sie baute Gebrauchswagen und Roadsters. Ihr teuerster Wagen wurde für 750 Dollar verkauft, es gab sogar einen,
der nur 600 Dollar kostete. Das Resultat sprach für sich: 1906 verkaufte man fünfmal soviel Wagen wie im Jahr vorher. Henry Ford hatte seinen Weg zum Erfolg angetreten.
Während all dies sich ereignete, arbeitete Abner treu ergeben in dem Werk. Er rollte Räder heran, entweder Drahträder oder hölzerne, wie sich eben die Mode änderte. Er schraubte also Achsenmuttern mit einem Rechts- oder einem Linksgewinde auf. Er befestigte Glocken und später ein Ding mit einem Gummiball - wenn man ihn drückte, gab es quäkende Töne von sich. Er schraubte Lampen an, zuerst Kerzenlampen und später solche mit Karbid, für das ein besonderer Behälter auf dem Armaturenbrett angebracht war. All diese Verrichtungen führte Abner geduldig aus. Er lief zum Schuppen und holte ein Räderpaar, er bückte sich tief beim Schrauben und achtete mit aller Aufmerksamkeit darauf, dass er ja nicht einmal eine Mutter mit einem Rechtsgewinde auf eine Achse mit Linksgewinde setzte.
Nun gab es diese Umstellung in der Gesellschaft. Natürlich klärte niemand Abner über derartige Dinge wie Aktienmehrheit und ähnliches auf. Er merkte nur, dass man die Modelle wechselte und billigere Wagen in weit größerer Zahl herstellte. Bald kam das neue Material heran. Abner musste zunächst noch schneller arbeiten, bis man herausfand, dass er für die Glocken keine Zeit mehr habe. Er gab diesen Posten an einen anderen Mann ab. Die Produktion wurde noch größer, und es erwies sich, dass er auch für die Lampen keine Zeit mehr hatte. Fast ohne es zu merken, war er der Spezialist für das Aufsetzen der Achsenmuttern im Fordwerk geworden.
Nie in seinem Leben würde Abner vergessen, wie er eines Tages allen Mut zusammennahm und nach Arbeitsschluss vor dem Werk wartete. Etwas knieweich stand er da, denn Henry Ford war jetzt ein mit Geschäften überhäufter Mann, und wenn man ihm in die Quere kam oder ihn in einem unpassenden Moment störte, konnte er verdammt heftig werden. Doch Abner hatte einen Monat lang hin und her überlegt, und sein Entschluss stand fest. Die Zeiten waren gut, und wenn er nicht befördert wurde - es gab auch anderswo Arbeit, die genauso gut war.
Da kam er! Abner nahm die Mütze ab und trat auf seinen Chef zu, der zu seinem Wagen ging. »Guten Abend, Mr. Ford, ich bin Abner Shutt.«
»Hallo, Abner«, sagte der Chef; er hatte ein gutes Gedächtnis. »Wie geht es Ihnen?«
»Kann nicht klagen, Mr. Ford. Aber ich muss Ihnen was über die Arbeit sagen, die ich da mache. Das müssen Sie unbedingt wissen. Wenn ein einfacher Arbeiter mal was dazu sagen darf.«
Es war Fords Mittagszeit. Aber seine Frau hatte längst begriffen, dass immer erst das Geschäft und dann das Vergnügen kam.
»Worum handelt sich's Abner?«
»Es wird hier immer größer, Mr. Ford, und es wird auch noch immer größer werden. Ich hör' ja, was die Leute sagen. Sie mögen Ihre Wagen alle und wünschten, sie könnten sich einen kaufen.«
»Ja, wirklich, Abner?« Das war der Weg zum Herzen des fleißigen Mannes.
»Deshalb werden Sie in meiner Abteilung mehr Leute brauchen, und dann könnte da eine Menge Schaden entstehen.«
»Schaden, Abner, was meinen Sie damit?«
»Nun, die Muttern für die Achsen kommen alle durcheinander an, rechte und linke vermischt. Ich hab' noch keine verdorben, aber irgendeinem wird das eines Tages passieren. Und dann - ich muss immer zum Schuppen laufen und mir die Räder holen. Sie müssten mir gebracht werden, weil das Aufsetzen der Schrauben eine Spezialarbeit ist - ist doch so. Ich könnte viel mehr tun, wenn ich nicht immer wegrennen müsste. Ich tu' ja, was ich kann, aber wenn Sie sich weiter vergrößern, dann brauchen Sie einen Mann für die rechten und einen für die linken. Dann wird es auch ein Arbeitsgang für sich sein, die Räder aufzusetzen. Das muss einer tun, der damit Bescheid weiß, das darf man nicht irgendeinem überlassen.«
»Das lässt sich hören, Abner. Werd' mir das morgen mal ansehen.«
»Ich arbeite jetzt drei Jahre für Sie, Mr. Ford, hab' noch nie einen Tag gefehlt, außer damals, als ich heiratete. Ich sagte Ihnen bei meiner Einstellung, auf mich könnten Sie sich verlassen, und Sie sagten, wenn ich fleißig wäre und gut arbeitete, würde ich auch vorwärts kommen. Das wollte ich Sie noch fragen, Mr. Ford« - Abner sprach atemlos weiter, denn dies war sein eigentliches Anliegen, zumindest der Teil, der ihm am meisten Furcht gemacht hatte, - »eines Tages werden Sie eine Abteilung haben, in der nur Räder aufgesetzt werden. Da möchte ich Ihnen nur sagen, ich hab' diese Arbeit gelernt, hab auch gezeigt, dass ich's kann, kann's auch jedem beibringen und beaufsichtigen. Da wollt ich Sie bitten, Mr. Ford, mir keinen andern vor die Nase zu setzen. Meine, ich selbst müsste der Vormann, oder was Sie da einsetzen müssen, sein.«
Nun war's raus! Mr. Ford wurde nicht böse, im Gegenteil, er schien ernsthaft darüber nachzudenken. Er sagte, er wollte sich die Sache ansehen. Nein, er würde Abner keinen andern vor die Nase setzen. Am nächsten Tag kam er und schaute Abner eine Weile bei der Arbeit zu. Abners Herz schlug wild, er konnte kaum atmen, aber Gott sei Dank beherrschte er seine Arbeit so gut, dass er sie im Schlaf konnte. Von nun an kamen die Muttern geordnet an, und ein Mann war jetzt da, der die Muttern brachte und die Räder aus dem Schuppen herbeischaffte. Das war das Ergebnis der Unterredung. Es dauerte nicht lange, da schraubte Abner nur noch rechte Muttern auf, und ein zweiter Mann war eingestellt, der die linken aufsetzte. Und wie stolz war Abner, als er ihm zeigte, wie man es machen musste!
Bald kam noch ein Fortschritt. Es gab jetzt zwei Arbeitsgänge, in denen die Achsenmuttern aufgeschraubt wurden, und in jedem Gang wurden auf einer Seite Muttern mit Rechtsgewinde und auf der anderen solche mit Linksgewinde aufgesetzt. Wieder war es Abner, der die Arbeit lehrte. Schließlich waren fünf Leute da: einer, der die anderen vier überwachte, der darauf achtete, dass sie schnell genug von einem Wagen zum anderen gingen, dass die Räder ihnen im rechten Augenblick gebracht wurden, dass sie die Windungen nicht beschädigten und die Kappen nicht verschrammten. Das war der größte Tag in Abners Leben, denn dieser höchst verantwortliche Mann war - Abner Shutt. Jetzt war er wirklich Vorarbeiter für das Aufsetzen der Achsenmuttern in der Ford-Motor-Company. Zwei Dollar und 75 Cents bekam er pro Tag - es war kaum zu glauben!
Als dies geschah, lebte Abner mit seiner wachsenden Familie im oberen Teil eines kleinen Hauses, der Hausbesitzer wohnte im Erdgeschoß. Mit drei Jungen und einem Mädel waren die Shutts arg beengt. Der neue Wohlstand und die Gewissheit, Ford würde sie schützen, gab ihnen den Mut, von einem eigenen Haus zu träumen. Abner fuhr eines Sonntags durch die Stadt und fand ein Haus mit fünf Zimmern, das man für neun Dollar im Monat mieten konnte. Es hatte fließend Wasser, die Toilette war im Hause. Das war für die bescheidene Familie wie eine Tür zur Zivilisation. Für mehrere Jahre wurde dieses Haus nun ihr Heim.
Henry Ford wurde um diese Zeit auch ein stolzer Vater. Seine Schöpfung war ein dreistöckiges Fabrikgebäude aus roten Ziegeln, an der Ecke Piquette und Beaubien Street. Er hatte es aus seinen Gewinnen bezahlt. Als das Werk aus der gemieteten Zimmermannswerkstatt, die kaum drei Zehntel eines Morgens Grundfläche hatte, in dieses neue Gebäude zog, das über zwei und einen halben Morgen groß war und in dem für eine Viertelmillion Dollar Maschinen steckten, da war Henry Ford zwar stolz, aber wohl kaum so aufgeregt und stolz wie sein ergebener Arbeiter. Sie beide hatten dieses Werk aus dem Nichts entstehen sehen, und jeder hatte sein Teil dazu getan, es voranzubringen.
Jedes und alles in diesem neuen Werk war im voraus geplant. Der Stand jeder Werkbank war mit Kreide auf den Boden gezeichnet. Sobald die Arbeit am letzten Wagen in der alten Werkstatt beendet war, wurden die Werkbänke und Werkzeuge in die neue hinübergeschafft. Die Männer transportierten sie selbst und waren schon bald am neuen Ort bei der Arbeit an neuen Wagen. Ford selbst war dabei und überwachte jeden Handgriff. »Herumschnüffeln« nannten es viele, aber so schuf er Erfolge.
»Mal los hier, beweg dich schneller, dass wir weiterkommen!« - Das waren die Redensarten in der Fabrik. »Ausruhen kannst du dich zu Hause, aber in der Arbeitszeit beziehst du Geld von der Gesellschaft, und das musst du mit deinem Schweiß verdienen.«
Henry Ford fuhr nach Florida zu einem Autorennen, wo einer seiner Wagen mitfuhr. Es gab einen Unfall, ein französischer Wagen wurde zertrümmert. Ford hob ein Stück von diesem Wagen auf - es war leichter und fester als jedes Metall, das er je in der Hand gehabt hatte. Er nahm es mit nach Hause und untersuchte es. Vanadiumstahl, eine neue Legierung, deren Zugfestigkeit dreimal so groß war wie die des Stahls, der in Amerika benutzt wurde. Das war das Richtige für Autos, jedenfalls für die Henry Fords. Er trieb in England einen Experten auf, dem es nach einigen Schwierigkeiten gelang, diesen Stahl herzustellen.
Damit begann eine neue Epoche. Jetzt würden die Wagen leichter, stärker und billiger werden. Sollten die Leute nur ihre Witze über die Fords machen. Henry kümmerte das nicht. Sie würden schon herausfinden, dass die Wagen in Ordnung waren - sie kauften sie, bezahlten mit barem Geld, und Henry scheffelte es. »Siehst du einen Mann behänd in seinem Geschäft, der wird vor den Königen stehen und wird nicht stehen vor den Unedlen«, sagt Salomon; Ford zitierte die Heilige Schrift nicht häufig, aber viele seiner Käufer kannten sie auswendig.
Auch im neuen Werk blieb Abner Shutts Stellung die gleiche; er war der Spezialist für das Verschrauben von Radnaben. Er arbeitete nicht mehr mit seinen Händen, außer wenn Not am Mann war oder wenn er einem zeigen musste, wie es gemacht wurde. Er ging von Wagen zu Wagen und beaufsichtigte die Arbeit der anderen. Das war noch, bevor das Montageband oder >Fließband< erfunden wurde. Man baute Wagen wie ein Haus: an einem Platz. Arbeitsmannschaften kamen mit den neuen Teilen, die montiert werden sollten, und die dafür notwendigen Werkzeuge brachten sie mit. Das bedeutete, viele Menschen mussten durcheinander eilen und behinderten sich. Jede dieser Behinderungen aber schlug sich in den Kosten der fertigen Wagen nieder.
Abner Shutt tat seine Aufsichtsarbeit gewissenhaft; aber ganz im Innern überwand er doch nie ein gewisses Unbehagen darüber, nicht selbst mit den Händen zu arbeiten. Wäre nicht der höhere Lohn gewesen, dann hätte er lieber einen Schraubenschlüssel in der Hand gehabt und Achsenmuttern angezogen wie früher. Er hatte Angst vor der Verantwortung und davor, Entscheidungen treffen zu müssen. Welch ein schwieriges Wesen war doch der Mensch! Er hatte bisher nichts davon gewusst und erkannte es erst heute, wo er mit Menschen statt mit Metallteilen umgehen musste. Diese waren alle gleich gewesen - und wenn sie es nicht waren, so war das nicht Abners Schuld.
Aber diese Arbeiter! Sie betranken sich, kamen mit Kopfschmerzen zur Arbeit und waren bissig. Sie verloren die Aufmerksamkeit für das, was sie tun sollten, und wies man sie zurecht, so gaben sie ihrem Vormann die Schuld, nie sich selbst. Abner war von Natur ein gutmütiger Kerl und hasste es, mit anderen Streit zu haben. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr vermeiden, denn die Arbeit musste ordentlich getan werden. Er musste schimpfen, Hölle und Himmel in Bewegung setzen, ja, mit einem Donnerwetter dazwischenfahren, und wenn das alles nicht half, so musste er es Mr. Foster melden, der sie feuerte. Abner maßte sich nie das Recht an, selbst jemand hinauszuwerfen. Ihn verlangte gar nicht, noch höher zu steigen, nicht einmal höheren Lohn wollte er haben.
Im Herbst 1907 gab es wieder einen Bankkrach. Er brachte der Stadt viele arbeitslose, hungernde Menschen und lehrte jene Bescheidenheit, die ihre Arbeit behalten hatten. Die Umsätze der Ford-Werke fielen nur geringfügig, denn die Nachfrage nach diesem neuen Erzeugnis wurde immer größer. Unter den hundert Millionen Amerikanern gab es noch genug, die sich kaufen konnten, was sie wollten. Henry Ford plante unablässig und fand neue Wege, ihnen die Wagen noch billiger zu liefern. Im Jahr nach dem Krach lieferte er 6181 Wagen, etwa drei pro Arbeiter, und drei Jahre später konnte er schon 35000 Wagen mit sechstausend Arbeitern herstellen.
Natürlich kannte Abner Shutt diese Zahlen nicht. Sie hätten ihm auch wenig bedeutet. In diesen Jahren lernte Abner nur, für seinen Chef doppelt so viele Wagen zu bauen. Er bekam eine fünfzehnprozentige Lohnerhöhung und hielt sich für einen der glücklichsten Menschen in Amerika. Und wahrscheinlich war er das auch. In Detroit gab es zwei Winter lang Hungerschlangen. Sie mahnten ihn an die schrecklichen Jahre seiner Kindheit, die ihn an Körper, Geist und Seele geschwächt hatten.
Als Abner um ihre Hand anhielt, war Milly Crock hübsch. Sie war lustig, besaß lachende blaue Augen und blondes Haar, das keine Brennschere nötig hatte. Dann waren fünf Jahre des Wartens gekommen, danach die
sechs Jahre, in denen ihre Kinder geboren wurden und sie den Haushalt bewältigen musste. Nun waren die Reize verschwunden. Sie hatte oft Schmerzen, deren Ursache unerklärlich blieb. Stets hatte sie die vier Kinder um sich, und da sie kränkelte, war das recht beschwerlich. Ihr fünftes Kind war schwächlich, und der Arzt sagte ihr, es wäre besser, wenn sie nun keines mehr bekäme. Aber er sagte ihr nicht, wie sie das anstellen sollte. So etwas galt damals als unmoralisch. Das fünfte Kind starb, und bald danach kam ein sechstes. Es war dunkelblau bei der Geburt, und die Mutter hat es nie gesehen.
Seitdem hatte Milly eine Abneigung gegen ihren Mann. All ihre Fürsorge wandte sie nun ihren Kindern zu. Für Abner, der doch, so wie er es verstand, ein guter Ehemann gewesen war, war das schwer. Aber er fand sich damit ab -keinem wurden alle Wünsche erfüllt; es war das klügste, seine Pflicht zu tun und für die Zukunft vorzusorgen. Abner liebte seine Kinder und spielte gern mit ihnen, wenn er von der Arbeit nach Hause kam; aber oft musste er Millys Klagen über sie anhören und sie nach dem Kodex der Heiligen Schrift abstrafen.
Drei heranwachsende Jungen und ein Mädchen verschlangen eine Unmenge Nahrung und trugen einen Haufen Schuhe und Kleider auf. Milly kochte und stopfte, sie schrubbte und schalt und sehnte den Tag herbei, da diese immer hungrigen und fragenden Geschöpfe alt genug wären, dass sie zur Schule gingen. Dann war sie sie einige Stunden am Tag los. An sechs Tagen der Woche, ob im heißen Sommer oder im Schneesturm, stand Abner um halb sechs auf und stieg in seine Kleider. Er holte Kohlen und Feuerholz herein, machte Feuer an, aß seine Schüssel mit fettem Speck und Bratkartoffeln und trank heißen Kaffee mit etwas kondensierter Milch dazu. Schließlich bestieg er sein Fahrrad und fuhr zum Ford-Werk. Wie immer das Wetter auch war und wie es zu Hause auch gehen mochte, wenige Minuten vor der Zeit steckte Abner seine Karte in die Kontrolluhr und sorgte dafür, dass Mann und Werkzeug am richtigen Platz waren, wenn die Pfeife zum Arbeitsbeginn ertönte.
Dann kam Bewegung in Arbeiter und Maschinen, dann sprang das Hämmern und Dröhnen an. Dem Besucher mochte es als betäubender Lärm erscheinen, aber für Abner war es das normale Geräusch der Arbeit. Er kannte jeden Ton und hörte sofort, wenn irgendwo ein falscher oder gar ein gefährlicher Misston aufklang. Er verlangte nur, dass jedermann mitkam, dass die Achsen und Räder zur rechten Zeit da waren, dass kein Schraubenschlüssel abrutschte und keine Mutter herunterfiel, dass nicht geflucht oder gar über ihn, Mr. Ford oder die Fabrik und die Wagen geschimpft wurde. Nur eine fleißige und gewissenhafte Mannschaft wollte er haben, mehr verlangte er nicht. - War der lange Tag dann vorüber, befriedigte ihn das Gefühl, dass er wieder drei Dollar verdient hatte. Am Wochenende würde er Milly das Geld bringen. Für Miete, Gas, Heizung und Nahrung würden sie es verbrauchen.
Manche Menschen hätten so ein Leben nicht ausgehalten. Aber Abner kannte solche Menschen nicht und wusste nichts von ihren Gedanken. Er empfand das Ford-Werk nicht als riesigen berüchtigten Schwitzladen. Für ihn war es der Ort, wo er seine Pflicht tat und Arbeit hatte; dort machte er, was ihm aufgetragen war, und als Entgelt bekam er seinen Lebensunterhalt. Wenn man ihn gebeten hätte, sein Urteil über seinen Job abzugeben, so hätte ihn die Frage zunächst wohl erstaunt. Schließlich aber würde er erklärt haben, er arbeite an einem wunderbaren Ort, wo man aus fünftausend Teilen unterschiedlichster Größe und Form und aus den verschiedensten Materialien ein zauberhaftes Ganzes mache, in dem man überall hinfahren könne, wenn auch nicht gerade die Wand hoch. Hätte man ihn nach seinem größten Lebenswunsch gefragt, so hätte er wohl geantwortet, er möchte einmal Geld genug haben, um sich einen dieser Wagen kaufen zu können, einen gebrauchten natürlich, der aber noch gut liefe, damit er bei Regen trocken zur Arbeit käme. Sonntags würde er Milly und die Kinder hineinpacken und aufs Land fahren, wo sein ältester Bruder bei einem Farmer arbeitete. Dann könnten sie ihr Gemüse für die Hälfte des Preises einkaufen, den jetzt der Laden an der Ecke verlangte.
Bis jetzt hatte Henry Ford mit acht verschiedenen Modellen gearbeitet. Das erste Modell A hatte zwei Zylinder; der Motor war hinten montiert, es hatte Kettenantrieb. Nach und nach hatte man diese Technik aufgegeben, und ein Vierzylindermotor mit Kardanantrieb, vorn unter einer Haube montiert, war jetzt die Standardausführung. 1908 wagte er es, seine Lieblingsidee zu verwirklichen: nämlich nur einen einzigen billigen Wagen für die große Masse zu bauen. Ohne seinen Verkäufern vorher einen Wink zu geben, verkündete er: Von nun an ist es mit den Modellen A, B, C, F, N, R, S und K für immer vorbei. Ab heute gibt es nur den Fordwagen Modell T. Die Ankündigung schloss mit seinem berühmten Satz: »Jeder Käufer kann einen Wagen in der gewünschten Farbe haben - vorausgesetzt, sie ist schwarz.«
Es war ein ziemlich unansehnliches Modell, für das er sich entschieden hatte. Mit seinem hohen Aufbau sah es wie eine kleine Kiste auf Rädern aus. Aber es hatte Sitze, es gab ein Verdeck, das vor Regen schützte, und eine Maschine war darin, die laufen und nochmals laufen würde, sowie Räder, die sich drehten, unaufhaltsam drehten. Ford ging von dem Gedanken aus, dass die Masse der Amerikaner genauso dachte wie er und wenig Wert auf Schönheit, aber um so mehr auf Zuverlässigkeit legte. Sie wollten sich in einen Wagen setzen und damit irgendwohin fahren können. Vielleicht wussten sie nicht immer, wohin sie fahren wollten oder was sie an dem Ort eigentlich sollten, aber diese Probleme brauchten ja Henry Ford nicht zu kümmern.
Die Verkaufsabteilung war wie vor den Kopf geschlagen; der Automobilhandel sagte voraus, Henry Ford würde in sechs Monaten pleite sein. Er kaufte daraufhin sechzig Morgen Land in der Stadt Highland Park, zehn Meilen nördlich von Detroit, und begann mit dem Bau der größten Automobilfabrik, welche die Welt je gesehen hatte. Das war seine Antwort. Er setzte den Preis für den neuen Wagen auf 950 Dollar herunter und verkaufte achtzehntausend im Jahr. So verdiente er mehrere Millionen, mit denen er Land und Gebäude bezahlen konnte. Im nächsten Jahr ermäßigte er den Preis auf 750 Dollar, verkaufte das Doppelte und verdiente noch mehr Millionen.
Henry war ganz oben. Er hatte seinen Kampf gewonnen, er war der Boss. Er konnte den Menschen befehlen, und sie gehorchten. Er konnte etwas erzeugen und Maschinen bauen, um noch mehr zu erzeugen. Hundert Wagen am Tag, das war erst der Anfang, behauptete er. Bald würde er tausend am Tag bauen, und schon lange vor seinem Tode würde er eine Million Fords gebaut haben.
Er umgab sich mit Sachverständigen. Leute, die etwas von Metallen verstanden, wie man sie schmelzen, verbessern, legieren und bearbeiten konnte; Leute, die sich in Betriebsstoffen auskannten, die wussten, wie man höhere Hitzegrade bei geringeren Kosten herausholen konnte; Leute, die etwas von den hundert verschiedenen Materialien verstanden, die in einem Wagen vereint waren oder zum ersten Mal in einem Wagen verwandt wurden. Fachleute für Architektur, Herstellungsverfahren, Berechnungen, Transport und Reklame scharte er um sich - Fachleute für tausend Künste, die helfen sollten, Wagen zu bauen, zu verkaufen und Geld zu verdienen, um noch mehr Wagen zu bauen, sie wieder zu verkaufen und noch mehr Geld zu verdienen.
Man spottete zwar oft, wenn man über ihn sprach, aber das störte Henry Ford nicht im geringsten. Er kannte sein Ziel: Er wollte das Transportwesen Amerikas umgestalten. Er wollte seine Landstraßen wieder beleben und die Gewohnheiten der Menschen ändern. Er wollte sie zu Menschen machen, wie er selbst einer war. Sie sollten nüchterne, ehrliche und fleißige Arbeiter werden gleich ihm. Reich? Ja, auch das; vielleicht nicht ganz so reich wie er, aber so reich, wie es für sie gut war. Sie sollten hohe Löhne haben, und man würde sie lehren, jede Woche einen Teil davon zu sparen, bis sie Geld genug beisammen hatten, um die Anzahlung für einen Ford Modell T zu machen, den sie zehn, ja, zwanzig Jahre fahren konnten -man würde diese Wagen noch auf den Straßen sehen, wenn Fords Enkel erwachsen waren.
All dies begann in Highland Park. Er baute sein eigenes Kraftwerk, sein eigenes Stahlwerk, seine eigenen Hochöfen. Bald würde er auch seine eigenen Bergwerke haben, seine Kohlengruben, Schiffe und Eisenbahnen. Ein mächtiges Reich würde es sein und sich über die ganze Erde ausdehnen. Henry Ford würde sein Gründer und Beherrscher sein. Sein Geist, seine Weisheit und sein gesunder Menschenverstand würden es regieren. Dies war sein Lieblingssatz: »Ich habe nichts als gesunden Menschenverstand« - und das war seine tiefste Überzeugung.
Abner Shutt konnte von diesen Plänen nichts wissen, die im Kopf seines mächtigen Herrn Gestalt annahmen. Aber hin und wieder erfuhr er doch etwas davon. Er kaufte jeden Abend eine Zeitung, las noch ein bisschen darin, wenn er auch noch so müde war. Darin war er seinem Vater voraus. Dann und wann las er Berichte über das, was in dem neuen Werk vorbereitet wurde. Mit einigen Arbeitskollegen fuhr er eines Sonntags hinaus, um sich die Sache anzuschauen. Die ganze Woche über sprachen sie von dem, was sie gesehen hatten.
Die meisten dieser Menschen waren wie Abner stolz auf ihren Arbeitgeber und seinen Erfolg. Aber ein paar Neider gab es auch, ewige Widerspruchsgeister, die behaupteten, Fords Aufschwung sei aus ihrem Schweiß gemacht. Als ob sie sich dies ganze Geschäft hätten ausdenken können, meinte Abner. Als ob sie gewusst hätten, welchen Wagen man bauen musste! >Sozialisten< nannte er sie. Das Wort hatte er in den Zeitungen gelesen. Aber er wusste nicht recht, was es bedeutete. Gespräche über Politik waren im Werk nicht erwünscht, Mr. Ford hielt nicht viel von der Politik.
Am Anfang des Jahres 1912, als die Ford-Motor-Company mehr als zweihundert Wagen pro Tag ausstieß, war Abner zum ersten Mal ernstlich krank. Er legte sich nieder, weil er sich schlecht fühlte, und wachte mit hohem Fieber auf. Es war ein kalter Wintermorgen. Mühsam kletterte er aus dem Bett, um wie gewöhnlich Feuer zu
machen, doch Milly musste ihn wieder ins Bett bringen und noch Decken draufpacken, damit ihn nicht fror. Sie war aufgeregt und lief zum nächsten Arzt. Der kam und sagte, Abner habe die Grippe, es sei eine Epidemie im Ort. Abner musste im Bett bleiben, und man sagte ihm, es könne sein Tod sein, wenn er nicht gehorche.
Der Arzt gab ihm eine Medizin, die vielleicht seinem Körper half, aber nicht seinen Gedanken. Seit acht Jahren hatte er keinen Tag in seinem Dienst für Henry Ford ausgesetzt. Angst befiel sein Herz! Halb im Fieberwahn befahl er Milly, in den nächsten Laden zu laufen, das Büro anzurufen und seine Krankheit zu melden. Zugleich sollte sie bitten, man möchte ihm seine Arbeit nicht nehmen. Auch als der Beauftragte der Gesellschaft kam, sich vergewisserte, dass er wirklich krank sei, und versprach, man werde ihm seinen Platz erhalten, war er nur halb beruhigt. Er wusste genug über die Gepflogenheiten in diesem Werk. Er kannte die Gefahr, die darin bestand, dass man bemerken könnte, ein Mann sei zu entbehren. Klappte das Verschrauben von achthundert Achsen täglich eine Zeitlang auch ohne einen Vorarbeiter, warum dann noch drei Dollar hinauswerfen?
Sie hatten etwas Geld auf der Sparkasse. Abner gehörte außerdem einer Vereinigung an, die sich ABSABS nannte; es war die fortschrittliche philanthropische Vereinigung der Amerikanischen Beavers<. Sie hatten ein Vereinszimmer gemietet, hatten Fahnen, Schmuck und feierliche Satzungen. Einmal im Monat ließen sie ihre Frauen allein zu Haus, rauchten Zigarren und besprachen die Angelegenheit der Stadt, die sie besonders interessierten. Die Mitglieder waren Fabrikarbeiter wie Abner, außerdem ein paar kleine Kaufleute. Das Wichtigste an der Sache aber war, dass sie sehr zahlreich waren und jede Woche einen kleinen Betrag in ihre Kasse zahlten, damit die heranwachsenden Kinder ernährt werden konnten, wenn der Vater ohne Verdienst war.
So musste Abner nun liegen, bis die Natur ihn geheilt hatte, ob mit oder ohne Hilfe des Arztes, wer wollte das beurteilen. Er saß in seinem Sessel und war einige Tage noch sehr schwach. Jetzt hatte er einmal Zeit, seine Kinder kennen zu lernen. John, der älteste Junge, war sieben Jahre alt. Er ging zur Schule, wenn das Wetter es nur irgend zuließ. Er war ernst und gutartig. Der zweite hieß Henry Ford, folglich war er recht unternehmungslustig und von seiner Mutter schwer zu leiten. Daisy, das kleine Mädchen, war blond und zart; sie erinnerte Abner in vielem an ihre Mutter. Der kleine Tom war erst drei, und man konnte noch nicht viel über ihn sagen. Aber er wusste doch schon, dass er es gern hatte, wenn sein Vater ihm Puppen aus Zeitungspapier ausschnitt. Er malte sie mit Buntstiften an. An der Art, wie er das machte, glaubte Abner Talent zu erkennen.
Endlich durfte er wieder zur Arbeit, jedoch nicht mit dem Fahrrad durch den dicken Schnee. So fuhr er mit der überfüllten Straßenbahn. Er war mager geworden und sah zehn Jahre älter aus. Bei der Arbeit musste er sich öfters hinsetzen, was der Arbeitsdisziplin schadete. Doch die Kollegen waren nett zu ihm und taten nichts, was ihm Ärger gemacht hätte. Langsam kamen seine Kräfte wieder, doch diese Unterbrechung machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Sie rief in ihm die graue Angst seiner Kindheit wieder wach.
Mehr denn je war er dem guten und mächtigen Mr. Ford dankbar, der ihm gesicherte Arbeit bot und ihm darüber hinaus einen Gewinnanteil von siebeneinhalb Prozent seines vorjährigen Lohnes zahlte. Für Abner waren das etwa siebzig Dollar, ein wahres Gottesgeschenk! Damit konnte er die Rechnungen des Arztes und andere Verluste bezahlen. Abner hatte keine Gelegenheit, Ford zu sagen, was er für ihn empfand. Offenbar erriet Henry Ford es, denn einige Jahre später schrieb er: Wenn er an die Tausende von Familien denke, die von seinem Unternehmen abhingen, so scheine es ihm, als ob die Ford-Motor-Company Segen verbreite.
In diesem Jahr war Präsidentenwahl. Der Rektor einer Hochschule namens Wilson stand auf der Liste der Demokratischen Partei und gab sich alle Mühe, Abner von seinen eingefleischten republikanischen Grundsätzen abzubringen. Er hielt gewandte Reden über die >neue Freiheit<. Abner las diese goldenen Worte in seiner Zeitung. Aber er las auch, dass schwere Zeiten kommen würden, wenn die Demokratische Partei ans Ruder käme. >Schwere Zeiten< aber fürchtete er mehr als jede Tyrannei. Der Hochschulrektor wurde gewählt - und es konnte keinen Zweifel geben, dass die Geschäfte von diesem Zeitpunkt an zurückgingen. Das genügte, um Abner ein für allemal zu belehren. Er sprach kaum über Politik, aber er ging von nun an zur Wahl und stimmte für Hughes, Harding, Coolidge, Hoover, Landon - von all den Gouverneuren, Senatoren und Kongressmitgliedern der >Großen Alten Partei< ganz zu schweigen.
Glücklicherweise taten die schweren Zeiten Henry Ford nur wenig Schaden. Er ermäßigte den Preis seines Wagens auf 600 Dollar und verkaufte täglich über fünfhundert Stück. Im nächsten Jahr setzte er den Preis auf fünfhundertfünfzig herunter und verkaufte täglich fast tausend. Seine Taktik, die Preise herabzusetzen, um die Verkäufe zu steigern, bewähre sich, behauptete Henry. Und die Leute bewiesen ihm, dass sie diesen Grundsatz billigten.
Die Menschen hatten plötzlich entdeckt, dass sie herumfahren und die Welt anschauen wollten. Ihre Großväter hatten den Kontinent in Planwagen durchquert und ein Jahr dafür gebraucht. Jetzt wollten die Enkel den Kontinent in einem Monat durchqueren. In wenigen Jahren würden sie sogar nur eine Woche brauchen. Die kleinen schwarzen Wanzen wimmelten überall auf den Straßen. Man erfand Scherznamen für sie: Sie hießen >Flivvers<, sie waren >Jitneys<, es waren >Blechbüchsen< oder manchmal auch >Henrys<. Die Leute erzählten Anekdoten über die >Karren<. Wo man ging und stand, hörte man >Fordwitze<. Die Pointe war immer dieselbe: Man hatte ein halbes Dutzend Blechkannen und eine Sprungfeder irrtümlich für einen Ford gehalten; man reparierte sie, und nun liefen sie ganz ausgezeichnet. Jeder dieser Witze war eine kostenlose Reklame für Mr. Fords Wagen.
Abner Shutt zog mit seiner Familie in die Nähe des neuen Werkes. Wohin der Herr ging, dahin würden sie folgen. Abner hatte noch immer seinen Posten beim Verschrauben der Achsen. Und eins war gewiss: So ein Mann hatte Verantwortung. Er musste ja überwachen, wie tausend Achsen pro Tag verschraubt wurden. Das Werk war jetzt so groß, dass kein Arbeiter viel von dem sah, was insgesamt vorging. Aber sie hörten hier und da davon, und es war, als nähmen sie teil an der Schöpfung der Welt. Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht. Henry Ford sprach, wir wollen >Flivvers< bauen. Ein Fordwitz erzählte von einem Mann, der durch das Highland-Park-Werk gegangen war. Als er herauskam, kratzte er sich den Kopf und sagte: »Hab so das Gefühl, die kleinen Dinger krabbeln überall an mir herum.«
Die Automobilfabrikanten standen vor einem Problem. Je mehr Leute sie beschäftigten, um so mehr Zeit brauchten diese Leute, um von einem Montageplatz zum nächsten zu gehen, weil sie sich gegenseitig behinderten. Bei General Motors hatte irgend jemand eine glänzende Idee: Statt die Männer zur Arbeit zu schicken, sollte die Arbeit zu den Männern kommen. Warum eigentlich nicht?
Sie machten Versuche, und schon bald berichteten Fords Kundschafter ihm die Neuigkeit. Er konnte es sich nicht leisten, dass man ihn überholte; so probierte er es ebenfalls. Die Teile für einen Schwungradmagneten, ein kleines Teil, aber eine sehr arbeitsintensive Montage, wurden auf einen gleitenden Tisch gelegt, der gerade hoch genug für die Arbeiter war. Sie saßen auf Stühlen, und jeder machte einen Handgriff an einer Reihe Magneten, die langsam an ihm vorbeikrochen. Nach der alten Methode, bei der ein Mann einen Magneten baute, konnte er in 20 Minuten einen anfertigen. Jetzt, da die Arbeit in 29 Teile zerlegt war und von 29 Leuten ausgeführt wurde, benötigte man nur 13 Minuten und 10 Sekunden. Das war eine Revolution.
Ford wandte dieselbe Technik auf die Herstellung des Motors an. Bei einem Mann hatte es 9 Stunden und 55 Minuten gedauert. Als die Montage auf 48 einzelne Leute verteilt war, konnte man die Zeit um mehr als 40 Prozent kürzen.
Anfang 1913 wurde auch Abner Shutt, der Vormann, von dieser Revolution berührt. An einem sonnigen Morgen wurde er zu der John-R.-Straße hinausbefohlen, die durch das Highland-Park-Werk führte. Er sollte an dem Versuch teilnehmen, ein Chassis zusammenzubauen, also den Rahmen mit Rädern, noch ohne Motor und Verkleidung. Sie hatten eine Plattform auf Rädern konstruiert, an der ein Zugseil von 250 Fuß Länge hing; eine Winde war daran, die sie ziehen sollte. Die Materialien, die gebraucht wurden, waren entlang der Bahn in Abständen aufgehäuft. Monteure fuhren mit der Plattform und sollten unterwegs ein Chassis zusammensetzen, während Leute mit Stoppuhren und Notizbüchern jede Sekunde festhielten, die sie benötigten.
Nach der alten Methode, einen Wagen wie ein Haus an einer Stelle zu bauen, hatte man für die Arbeit des Zusammenbaus eines Chassis 12 Stunden und 28 Minuten benötigt. Schon bei diesem groben Experiment verkürzte sich die Zeit um mehr als die Hälfte. So begann man bald, lange Bahnen in der Werkhalle aufzureißen und sie zu überbauen. Eine bewegliche Plattform wurde eingebaut, und die verschiedenen Teile des Chassis wurden ihr entweder an Haken, die von Ketten herabhingen, zugeführt oder durch kleine Motorzüge, die entlang der Bahn fuhren. Bald schon wurde die Bahn auf Brusthöhe eingerichtet, und es dauerte nicht lange, da gab es zwei solcher Bahnen, eine für große Arbeiter und eine für kleine.
Welch ein Unterschied zu den Tagen, als Abner in den Schuppen lief und zwei Räder mit der Hand selbst herbeirollte, rechte und linke Achsenmuttern heraussuchte und aufschraubte. Jetzt überwachte er eine Gruppe Arbeiter, deren einzelne Handgriffe von Ingenieuren berechnet waren. Die fertigen Räder, Erzeugnisse eines eigenen Montagebandes, wanderten an langen Hakenreihen herbei und senkten sich bis zur passenden Höhe, damit man
sie abnehmen und auf die Achsen schieben konnte. Der Mann, der diese Aufgabe hatte, tat nichts anderes. Ein anderer setzte die Muttern auf und drehte sie mit der Hand an, und wieder ein anderer beendete die Sache mit einem Schraubenschlüssel. Die Ingenieure waren mit dem Studium der Handgriffe noch gar nicht fertig, da hatten sie die Zeit, die man für den Aufbau eines Chassis braucht, schon von 12 Stunden 28 Minuten auf eine Stunde und 30 Minuten gedrückt.
Als der Arbeitsgang eingerichtet war, kam das unvermeidliche Bestreben, die Geschwindigkeit des Bandes zu erhöhen. Mochte Henry Ford auch immer wieder behaupten, der Wettbewerb führe zu nichts und er glaube nicht an sein Prinzip, in Wahrheit stand er doch in jedem Augenblick seines Lebens im Wettbewerb, und das würde so bleiben, solange er Autos baute. In hundert anderen Werken in ganz Amerika versuchte man ihn zu schlagen. In diesem langen Rennen mussten diejenigen siegen, denen es durch diese oder jene Methode gelang, den größten Arbeitswert aus dem Dollar herauszuholen. Das begann beim ersten Griff der Hand, die Eisenerz schürfte oder den Saft der Gummibäume in tropischen Wäldern sammelte.
Die Verkäufer forderten immer mehr Wagen. Als das Werk tausend am Tage ausstieß, wussten die Leute, die es ausrechnen konnten, dass sie sechzehn Wagen mehr pro Tag herstellen konnten, wenn sie die Geschwindigkeit des Fließbandes nur um eine Minute in der Stunde erhöhten. Warum sollte man es nicht versuchen? Und warum nicht noch einmal, als die Arbeiter sich nach ein paar Wochen an die neue Geschwindigkeit gewöhnt hatten?
Nie zuvor hatte es ein derartiges Mittel gegeben, um die Arbeit zu beschleunigen. Man brauchte nur an einem Schalter zu drehen, und schon schufteten tausend Männer schneller. Es war wie der Steueranteil einer Ware, den der Verbraucher zahlt, ohne es zu wissen. Der Arbeiter kann nicht mit der Stoppuhr die Anzahl der Wagen nachzählen, die pro Stunde an ihm vorüberwandern. Und sollte er es wirklich erfahren, etwa durch den Mann, der die Geschwindigkeit des Bandes einstellt - dann ist es wie bei der Steuer, gegen die er nichts tun kann. Bist du zu schwach dafür? Nun, draußen warten Dutzende starker Männer auf deinen Platz. Also halt den Mund und tu, was man dir sagt!
All das war offenbar, und keiner wusste es besser als Henry Ford. Es beunruhigte sein Gewissen, denn er hielt sich für einen Idealisten und wollte die Menschen glücklich machen. Aber er war auch ein guter Wirtschaftler und den volkswirtschaftlichen Theoretikern darin voraus, dass er folgenden Gedanken hatte: Wenn ich den Leuten hohe Löhne zahle, so können sie Fordwagen kaufen. Warum sollte Henry Ford um Geld feilschen, von dem er doch wusste, dass er es wiederbekam? Inzwischen aber wollte er seinen Spaß haben und immer mehr Wagen bauen. Man sollte auf den gesunden Menschenverstand hören.
Ford bereitete eine Bombe vor, und am 5. Januar 1914 ließ er sie platzen: Die Ford-Motor-Company würde von nun an jedes Jahr einen Bonus von zehn Millionen Dollar unter ihre Arbeiter verteilen, und zwar so, dass der niedrigstbezahlte Arbeiter des Werkes auf mindestens fünf Dollar pro Tag kam! Diese Ausschüttung betrug etwa die Hälfte des im nächsten Jahr erwarteten Gewinnes der Gesellschaft. Zugleich wurde die Arbeitszeit von bisher neun auf acht Stunden verkürzt.
Diese Ankündigung begründete den Ruhm des Henry Fords. Das war die eine Seite des Erfolges. Bis dahin war sein Wagen zwar bekannt gewesen, aber er selbst war nur einer von vielen Fabrikherren. Nun wurde er über Nacht einer der Nationalhelden Amerikas. Ein heftiger Sturm brach um ihn los. Auf der einen Seite standen die Arbeiter und die Sozialreformer - auf der anderen die Fabrikanten, die Geschäftsleute und die Zeitungsverleger. Jene sagten, Henry Ford sei ein tüchtiger Kopf und ein wahrer Staatsmann der Industrie - diese behaupteten, er mache für sich selbst Reklame, er wolle sich ins Licht der Öffentlichkeit stellen, er sei ein Mann mit ungesunden Anschauungen und eine Gefahr für das allgemeine Wohl. Die Industrie könne solche Löhne nicht zahlen, und jeder, der das behaupte, locke die Arbeiter in eine Falle. »Ausgesprochen utopisch und im Widerspruch mit jeder Erfahrung«, meinte die >New York Times<. Man schickte einen Mann nach Detroit, der Henry Ford fragte: »Sind Sie ein Sozialist?« Ford wusste nicht genau, was ein Sozialist ist, aber er empfand doch klar genug, dass er mutmaßen konnte, er sei keiner.
Fords Ankündigung hatte eine zweite Wirkung: Tausende von Arbeitern kletterten auf die nächsten Güterwagen und fuhren nach Highland Park. Die Gesellschaft gab Warnungen heraus, aber es war zu spät. Am ersten Tag standen Zehntausende vor den Toren, und am Wochenende, als der Beteiligungsplan in Kraft treten sollte, war es eine Armee. Ströme eiskalten Wassers spritzte man gegen sie, und Polizeikompanien kämpften zwei Stunden, um sie von den Toren fortzutreiben. Steinwürfe und zertrümmerte Fensterscheiben - das war das peinliche Ende eines freudvollen Tages. Die halberfrorenen Arbeiter gingen fort; Wut gegen Henry Ford kochte in ihren Herzen. Aber die Glücklichen im Werk wie Abner Shutt machten sich darum keine schlaflosen Nächte. Die Welt war nun einmal hart, und wer einen Posten hatte, musste ihn verteidigen.
Mr. und Mrs. Ford fuhren nach New York. Dort erlebten sie, was es heißt, berühmt zu sein. Eine Schar Reporter erwartete sie auf dem Bahnhof, und das Aufleuchten der Blitzlichter bekundete, dass ein Held angekommen war. Im Hotel zertrampelten die Reporter die Topf-Palmen, um einen >Schuss< auf Ford anzubringen. Ein Sack Post wartete schon, und bald musste das Telefon in seinem Zimmer abgestellt werden. Bis jetzt war Henry Ford ein einfacher Bürger der Vereinigten Staaten gewesen. Aber von diesem Tage an war er gezwungen, wie ein europäischer Fürst zu leben, mit einer Leibgarde und einer Mauer von Sekretären, die ihm die Öffentlichkeit vom Leibe hielt, die ihn zugleich bewunderte und fürchtete, aber um jeden Preis wissen musste, wie er über die Gewerkschaften, die Prohibition, die Geburtenkontrolle und die Lage in Europa dachte. Und sie mussten natürlich auch wissen, was er zum Frühstück aß und welche Zahnpasta er anschließend benutzte.
All diese Nachrichten brachten die Detroiter Zeitungen, und die vierzehntausend Arbeiter, die für den Mindestlohn schufteten, erfuhren zum ersten Mal, welch ein wahrhaft großer Mann ihr Arbeitgeber sei. Als er zurück war, lasen sie alles über sein Familienleben, das ihnen bis dahin verborgen war. Sie lasen von seiner Vogelliebhaberei; dass er für zweitausend Vögel Kästen hatte aufhängen lassen; dass er einmal vierzehn Tage lang die Vordertür seines Hauses nicht benutzt hatte, weil ein Hänflingpaar ein Nest darüber gebaut hatte. »Ganz gleich wie das Wetter ist«, sagte er, »die Stare kommen am 2. Mai nach Dearborn zurück.«
Sie sahen Bilder von ihm: Wie er in seiner Bibliothek saß oder am Schreibtisch in seinem Büro, wo er telefonisch Anweisungen für die Schöpfung einer neuen Welt gab. Sie sahen ihn bei seinem Wintersport, dem Schlittschuhlauf, und später bei seinem Sommervergnügen, bei der Heuernte, auf seinem Gut mit seinem Sohn Edsel, der jetzt 21 Jahre war. Sie sahen auch Bilder, wo er auf dem ersten Auto saß, das Abner einmal aus einem Loch in der Bagley Street hatte ziehen helfen. Ford hatte dies ehrwürdige alte Vehikel zurückgekauft und bewahrte es jetzt in einem Hinterzimmer seiner Büroflucht auf. Ab und an wurde es vorgeführt, um zu zeigen, dass man noch immer damit fahren konnte, oder damit man ein Bild aufnehmen konnte - er am Steuerruder und auf dem zweiten Sitz Mrs. Ford oder Thomas A. Edison, John Borroughs oder sonst einer seiner Freunde.
Die Öffentlichkeit war der Meinung, die Ford-Motor-Company würde von nun an jedem Arbeiter fünf Dollar pro Tag zahlen. Die Arbeiter hatten es auch so aufgefasst, und es gab enttäuschte Gesichter, als sich herausstellte, dass es so nicht gemeint war. Die früheren Löhne blieben bestehen, aber alle vierzehn Tage erhielten die Arbeiter einen Bonus - vorausgesetzt, sie hatten sich bewährt. Es gab eine Falle in diesem Begriff >Bonus<, eine recht komplizierte und versteckte allerdings, und viele Arbeiter kamen nie dahinter.
Es gab drei Gruppen. Verheiratete Männer mussten >in ihrer Familie leben und für sie sorgen<. Junggesellen über zweiundzwanzig sollten >gesund leben und den Beweis ernsthafter Gesittung erbringen<. Junge Leute unter zweiundzwanzig und alle Frauen sollten sich >nur um die Unterstützung ihrer Verwandten sorgen<. Um den Vollzug solcher Tugenden bei vierzehntausend Arbeitern des Werkes zu überprüfen, bedurfte es umfangreicher Nachforschungen. Um sie durchzuführen, bildete Henry Ford die >Soziale Abteilung der Ford-Motor-Werke<. Sie hatte einen Stab von fünfzig moralisch gefestigten, tüchtigen jungen Menschen, die ihm helfen sollten. Zwei Jahre später überredete er einen Bischof, den Dekan der St. Paulskirche in Detroit, sein ehrbares Amt aufzugeben und sich der Moral der Fordarbeiter anzunehmen.
Henry und sein Stab hatten eine Liste der Grundtugenden aufgestellt. Sie wollten die üble Sitte mancher Arbeiter ausmerzen, Mieter in ihre Häuser zu nehmen; das machte aus dem Heim eine Verdienstquelle und begünstigte zweifellos die Begegnung der Geschlechter. Sie rieten jedem jungen Menschen, einen Geistlichen oder einen Friedensrichter aufzusuchen, bevor er einen Haushalt gründete. Sie wollten die Unsitte abstellen, dass junge Burschen vom Elternhaus fortliefen und ihre Familie nicht unterstützten. Sie wollten endlich die üble Sauferei ausmerzen und darauf achten, dass die Häuser sauber gehalten und für Kinder und Kranke gesorgt würde. Das waren gute Ziele, und wenn der Arbeiter der Sozialen Abteilung darin folgte, bekam er als Belohnung alle vierzehn Tage einen Scheck, dessen Wert etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Dollar betrug.
Soweit es die Familie Shutt betraf, lag der Fall einfach. Millys Heiratsurkunde hing eingerahmt an der Wand, und in ihrem Strumpf, wo sie gewöhnlich das Geld verwahrte, das Abner am Sonnabend heimbrachte, zeichnete sich eine dicke Wölbung ab. Ihr Haus war nicht ganz so blitzblank, wie es vielleicht hätte sein können. Das war leider nun mal so. Aber es war nicht ihre Schuld, denn sie litt an Ohnmachtsanfällen. Sie hatte auch einen Arzt, der sie oft untersuchte. Nun kam ein junger Mann von der Company, um zu sehen, wie es bei ihnen stand. Er war so nett und sympathisch und gab ihr so viele gute Ratschläge, dass Milly sie gar nicht alle behalten konnte. Er sagte ihr, sie solle sich von dem Extrageld eine Aushilfe nehmen, eine kräftige Frau, die einmal in der Woche zum Schrubben und Reinmachen komme. Man erklärte ihr die Zubereitung von Fleisch, wie man billigere Sorten durch längeres Kochen genießbar machen könne, und man sagte ihr, wie notwendig es sei, den Kleinen viel frisches Gemüse und Obst zu geben.
Sie sprachen auch über die Mieten, die in Highland Park und ringsum rasch anstiegen. Milly gestand, es sei einmal Abners und ihr Traum gewesen, in einem eigenen Haus zu wohnen. Sie war von dem Vorschlag begeistert, man könnte doch einen Teil des Bonusgeldes dafür anlegen. Der Mann ging fort, und die Fakten, die er sich notiert hatte, wurden in eine große Kartei der Sozialen Abteilung eingetragen. Man teilte Abner mit, dass er >sich bewährt< habe. Zu seinem regulären Lohn von 42 Cent pro Stunde bekam er noch ein Aufgeld von 26 und einen halben Cent. Er bekam nun also alle vierzehn Tage einen zusätzlichen Scheck über 25 Dollar und 44 Cent.
Wie konnte auch nur irgend jemand, ob Frau oder Mann, gegen solch göttliche Mildtätigkeit des Mr. Ford undankbar sein? Das war Abner unbegreiflich. Aber die menschliche Natur ist nun einmal schlecht, und viele Leute schimpften recht giftig darüber, dass man ihr Privatleben unter die Lupe nahm. Sie änderten den Namen der neuen Einrichtung aus >Soziale< in >Schnüffel<-Abteilung. Statt die Forderungen des Statuts zu erfüllen, versuchten sie es durch Winkelzüge zu umgehen. Die Vermieter verwandelten ihre Mieter in Brüder oder Schwäger. Die jungen Männer versteckten ihre Mädchen eine Zeitlang oder gaben sie als verwaiste Halbschwestern aus. Ja, einige böse Burschen heuerten sogar einen älteren Verwandten an, der sich dann für sie >bewährte<. Einige dieser Tricks flogen auf, und man warf die Betrüger hinaus. Aber das Spionieren, Verdächtigen und Klatschen nahm kein Ende.
Die Shutts fanden nur eins an der neuen Regelung falsch - dass die Preise so schnell zu steigen begannen. Zuerst erhöhten die niederträchtigen Grundbesitzer die Mieten. Die Shutts hatten bisher zwölf Doller im Monat bezahlt; nun wurde ihnen mitgeteilt, die Miete betrage jetzt zwanzig Dollar. Sie erhoben natürlich Einspruch dagegen, aber der Agent sagte ihnen, sie könnten ja wählen: zahlen oder ausziehen.
Abner nahm sich einen Sonnabendnachmittag dafür und fuhr herum und sprach mit anderen Agenten. Er lernte viel über die elementarsten Dinge der Volkswirtschaft dabei. Das Leben in Highland Park war teuer geworden, seit der gütige Mr. Ford jedes Jahr zehn Millionen Dollar zusätzlich auswarf. Warum sollten denn die Grundbesitzer nicht auch ihren Anteil an diesem Wachsen und Blühen haben? Den Grundbesitzern ging es wie Abner. Auch ihnen schien es erstrebenswert, einen Fordwagen zu besitzen, sonntags mit ihren Familien ins Grüne oder gar im Sommer an einen der Michigan-Seen zum Fischen zu fahren oder den Winter in Florida zu verbringen. Warum sollten sie sich das nicht auch wünschen?
Abner und Milly fassten einen Entschluss: Ja, sie wollten es wagen und sich sofort ein eigenes Haus kaufen. Dabei lernten sie wieder etwas von der Volkswirtschaft: Die Preise für Häuser waren seit der Ankündigung der Ford-Company ebenfalls um das Doppelte gestiegen. Wenn Abner nur vorher hätte kaufen können! Hätte er nur einen Tipp gehabt! Einige von Fords Gesellschaftern hatten davon gewusst. Sie hatten sich schleunigst Land gekauft und trieben nun den Preis hoch. Für die Shutts war es jetzt fast ebenso schwer, als wenn sie gar keinen Bonus bekommen hätten.
Immer wieder wurde ihnen in den nächsten Jahren diese Lektion eingebläut. Milly, die in der Wahl der Läden sehr sorgfältig war, sah ihre Familie schon verhungern und lief sich die Füße lahm, um ein Geschäft aufzuspüren, wo sie die Waren noch zu einem Preis kaufen könnte, den sie in den Tagen vor dem Bonus bezahlt hatte. Aber solche Läden gab es nicht. Die Händler erklärten, dass ihre eigenen Mieten und Löhne gestiegen seien. Wer wollte denn in Highland Park noch für den alten Lohn arbeiten, wenn er doch höhere Mieten und höhere Preise für die Lebensmittel zahlen musste? Nein, irgendwie war die Welt falsch eingerichtet.
Der einzige, der durch den Bonus das gewann, was er gewollt hatte, war Henry Ford selbst. Zunächst einmal gewann er den Ruf, er sei der beste Arbeitgeber in Amerika. Keine schlechte Reklame, auch für den Fordwagen nicht, der an die einfachen Leute verkauft wurde, von denen viele Arbeiter oder Idealisten wie er selbst waren. Wenn sie ihren alten Flivver gegen einen neuen einhandelten, hatten sie auch gern das Bewusstsein, damit einem großen Unternehmen der Nächstenliebe zu helfen. >Hilf deinem Kollegen<, stand auf Tafeln, die überall im Werk angebracht waren. Arbeiter und Besucher sollten es lesen.
Der zweite Erfolg war, dass er die besten Arbeiter des Landes bekam. Er konnte beim Einstellen jetzt noch wählerischer sein. Hatte er aber einen Mann angenommen, so konnte er ihn durch seinen Lohn auch halten.
Auch mit dem Wechsel der Arbeitkräfte war es jetzt ganz anders. Früher, vor dem Bonus, hatte man jährlich 35000 Mann einstellen und entlassen müssen, um einen Stamm von 14000 Arbeiter zu halten. Aber schon im nächsten Jahr stellte man nur 6508 ein, und das waren meist neue Leute. Man hatte sie angenommen, weil das Werk sich vergrößerte.
Ein Grundstückmakler machte sich an Milly und Abner heran. Sehr ernsthaft versicherte er ihnen, er habe die allerletzte günstige Gelegenheit in Highland Park an der Hand. Er wolle nur ihr Bestes, darum erzähle er es ihnen, nicht weil ihm etwas daran liege. Wenn sie sich die Gelegenheit entgehen ließen, würde irgendein anderer sie sofort ergreifen, und sie würden es ihr Leben lang bereuen. Das Haus hatte sechs Räume und war größer, als sie es sich gewünscht hatten. Aber sie empfanden so stark, dass es mit ihnen bergauf ging, und bedachten auch, dass ja die Kinder bald groß sein würden. Das Mädel konnte auch nicht immer in einem Raum mit den Eltern schlafen. Nach vielem Bedenken entschlossen sie sich: Ja, sie wollten es wagen.
Sie bezahlten 3150 Dollar für das Haus. Vor dem Bonus hätten sie es um tausend Dollar billiger haben können. Sie zahlten sechshundert Dollar an, und das war praktisch alles, was sie in den zehn Jahren hatten zurücklegen können. Sie verpflichteten sich, monatlich zwanzig Dollar und die Zinsen zu zahlen, die anfangs etwa dreizehn Dollar im Monat betrugen.
Wegen der Steuern fielen sie fast aus allen Wolken – der Makler hatte wohlweislich davon geschwiegen, und die Familie hatte ja vorher nie irgendein Vermögen gehabt. Nun, die Zinsen würden kleiner werden, aber an dem Kaufpreis würden sie in den nächsten elf Jahren zu zahlen haben. Der Makler meinte, Miete hätten sie ja sowieso zahlen müssen, und die Mieten würden bestimmt steigen. Hierin hatte er recht - es kam wirklich so.
Alle Preise zogen an. Unheimlich und beängstigend war das. Was mochte der Grund dafür sein? Die Völker Europas, fast alle, bereiteten sich in diesem Sommer auf den Krieg vor. Abner las das in den Schlagzeilen seiner Abendzeitung. Er las es einige Tage vor dem Datum, an dem er und seine Frau den Kaufkontrakt für das Haus unterzeichneten. In der Haustür sitzend, las er Milly die Neuigkeiten vor. Jeden Tag stürzte sich eine neue Nation ins Verderben. Armeen marschierten, und bald kämpften sie auch schon, und die Schlagzeilen berichteten: >Zwanzigtausend Deutsche eingekesselt< - oder Russen, Franzosen, Österreicher oder Serben. All diese Völker waren für Abner nur Namen; er hatte keine Ahnung, wofür sie eigentlich kämpften. Er freute sich, dass er in einem freien Lande lebte, wo die Leute zu vernünftig waren, um so eine Verrücktheit mitzumachen.
So dachten fast alle darüber, die er kannte, auch sein Arbeitgeber. Henry Ford hielt Kriege für sinnlos. Er hatte seine Meinung darüber immer wieder ausgesprochen, so wie er seine Ansichten über Schutzzölle, Goldwährung, Bankiers, Gewerkschaften und die Lage in Mexiko kundtat. Dieser Krieg war das Böseste, das in neuerer Zeit geschehen war. Der Grund dafür lag allein darin, dass die Menschen glaubten, sie könnten dadurch reich werden, dass sie anderen ihren Reichtum raubten, statt ihren Kopf anzustrengen und selbst Werte und Reichtum zu schaffen. Wenn die Leute den Krieg wollten, so war das ihre Sache.
Aber soviel wollte der Präsident der Fordwerke nur sagen, er sagte es mit äußerstem Nachdruck: Sein Werk werde nicht für den Krieg arbeiten und nichts an kriegführende Mächte verkaufen.
So sagte er, und die kriegführenden Mächte waren erstaunt, dass er es tatsächlich so meinte. Vertreter der britischen Regierung reisten nach Highland Park, um Fordwagen zu kaufen. Man ließ sie wissen, für sie gebe es keine. Sie trauten ihren Ohren nicht. Sie sagten, man habe sie vielleicht falsch verstanden, sie wollten bar bezahlen. Sie seien ermächtigt, Schecks auszuschreiben, die auf das alte Bankhaus Morgan lauteten, auf die alte bewährte Firma da an der Ecke von Broadway und Wallstreet in New York. Ja, Mr. Ford kannte diese Firma, aber das änderte gar nichts! Er verkaufte keine Wagen für Kriegszwecke.
Es war natürlich möglich, dass die Engländer dennoch einen Weg fanden und hier und dort einige Fordwagen ergatterten, trotz der Sturheit eines Pazifisten, der in diesem Geschäft mitzureden hatte. Man konnte nicht erwarten, alle Vertreter und Verkäufer Fords seien reine Idealisten wie ihr Arbeitgeber selbst. >Geld stinkt nichts dieses Sprichwort war so alt wie die Römer, und die waren in ihrer Zeit die besten Geschäftsleute. Man konnte auch nicht erwarten, dass Henry Ford persönlich jeden Wagen überwachte, der von ihm verkauft wurde, um zu gewährleisten, dass keiner von ihnen den Weg in ein Land namens Kanada fand, das just auf der anderen Seite eines schmalen Flusses bei Detroit lag. Im ersten Kriegsjahr verkaufte Henry über 300000 Wagen und im zweiten mehr als eine halbe Million. Im dritten aber verkaufte er mehr als eine Dreiviertelmillion. Aber dieser Anstieg war vielleicht auch darin begründet, dass andere Autofabrikanten, welche die Kriegsmächte belieferten, Ford jetzt einen größeren Teil des amerikanischen Marktes überließen.
Die Shutts zogen um. Diesmal sollte es für immer sein, meinten sie. Ihr neues Haus brauchte dringend Farbe, der Zaun fiel fast zusammen, und das Land, 50 mal 120, war voller Unkraut. Aber für sie war es ein Herrenhaus, und Abner war, wenn er heimkam, nie zu müde, um nicht noch ein paar Quadratmeter umzugraben oder Zwiebeln und Kohlrabi zu pflanzen. Milly nahm zwei Tage in der Woche eine Frau zum Reinmachen, und auch die Kinder packte der Eifer, auch sie wollten mit anfassen. Mr. Ford hatte doch wie immer recht. Es war schon eine feine Sache, so ein eigenes Haus!
Soweit es die Shutts anging, war der wohltätige Bonusplan fraglos ein voller Erfolg. Abner und Milly benutzten ihr Geld für genau die Zwecke, die Ford empfahl. Der gefällige Mensch, der seine Soziale Abteilung vertrat, kam und sah sich die neue Lage an. Die kleine Familie glühte vor Dankbarkeit für ihn und den göttergleichen Mann, der so viele Probleme ihres Lebens gelöst und ihnen soviel Glück beschert hatte.
Das Werk arbeitete in zwei Achtstundenschichten. Abner musste also um sechs in der Frühe fortgehen und kam am frühen Nachmittag zurück. Da blieb ihm viel Zeit, um den Garten zu besorgen und den Zaun zu flicken, um die Küken des Nachbarn fernzuhalten. Im Herbst raffte er sich sogar auf und gab dem Haus einen neuen Anstrich. Im Laufe der Zeit würde sich das bezahlt machen. Es war ja ihr eigenes Haus.
Jetzt hatte er auch Zeit, die Kinder zu beobachten und sie kennen zu lernen. Johnny war nun zehn Jahre alt und ein ernster, handfester Bursche, der für alles Interesse hatte, was sein Vater sagte und tat. Er brachte seine jungen Geschwister sicher zur Schule, und wenn er zurück war, half er seiner Mutter und jätete das Unkraut im Garten. Er hielt sich stets in Abners Nähe; er wollte bei der Arbeit so gern helfen. Er begriff schnell, und niemand zweifelte, dass er seinen Weg machen würde.
Aber der zweite Junge, Henry Ford, machte Sorgen. Hank, so nannten die Jungen ihn, hatte keine Lust, die Treppenstufen zu fegen oder Unkraut zu jäten. Er widersetzte sich jeder Zucht und ließ sich nicht einmal von seinem älteren Bruder bei der Hand nehmen, wenn sie über die Straße gingen. Ein Zaun war für ihn nur dazu da, um hinüberzuklettern. Er war stets auf der verbotenen Seite, zerbrach Fensterscheiben mit dem Football oder hatte Streit mit seiner >Bande<. Half das Schelten seiner Mutter nicht, so wurde Abner herbeigerufen, der ihn verprügeln musste. Doch auch das war nicht so recht befriedigend, denn es veranlasste Hank, vieles vor seinen Eltern zu verbergen und ihnen über seine Schandtaten etwas vorzulügen.
Daisy war ein süßes und sanftes Mädchen, das mit acht Jahren schon jede Hausarbeit verstand und sie gern verrichtete. Wenn sie mit ihrer Stoffpuppe auf den Treppenstufen saß und zärtlich mit ihr sprach, dann war sie restlos glücklich. Bald schon zog sie ein kleines Zicklein groß, und von nun an war es ihre größte Sorge, die Jungen daran zu hindern, dass sie es neckten. Abner zäunte einen Teil des Hofes ein und schaffte einige Hühner an. Als im Frühling eine Schar Küken ausschlüpfte, war Daisy nur schwer von dem Platz fortzubringen.
Es ist bezaubernd, wenn man die Seelen der Kinder sich entfalten sieht. Alle vier lernten schnell, aber sie lernten unterschiedliche Dinge. Johnny würde Mechaniker wie sein Vater werden, das konnte man schon sehen. Sein größtes Vergnügen war, wenn er die Räder des Fahrrades abnehmen durfte, um die Achsen zu reinigen, zu schmieren und sie beim Wiedereinsetzen ganz genau zu richten. Der kleine Tommy würde später einmal Menschen führen. Obwohl er der Jüngste war, wollte er den anderen immer befehlen, was sie tun sollten. Konnte er aber keine Jungen kommandieren, so suchte er sich Mädchen dazu. Er war ein prächtiger kleiner Kerl, voll Eifer und immer schnell erregt. Er hatte einen klaren Sinn für Gerechtigkeit, der ihm später viele Schwierigkeiten bringen sollte.
Die Zeit verging, und die Ford-Company wuchs immer noch. Abner Shutt bekam weiterhin seinen Wochenlohn und alle vierzehn Tage am Sonnabend seine Zulage. Er leistete die Zahlungen für sein Haus, ernährte seine Familie und konnte sogar etwas sparen, obwohl die Preise stiegen. Die Zeitungen erklärten jetzt, daran sei der Krieg schuld: die Völker Europas kauften auf, was sie nur immer ergattern konnten.
Dennoch regte sich ein alter Traum wieder in Abners Seele. Sein Haus war fast drei Meilen von seinem Arbeitsplatz entfernt, eine Straßenbahn gab es auf dieser Strecke nicht, und in Schnee und Regen war es wirklich kein Vergnügen, mit dem Rad zu fahren und danach in klammen Kleidern zu arbeiten. Viele Arbeiter hatten sich gebrauchte Wagen gekauft und fuhren nun großartig zum Werk; gnädigst nahmen sie manchmal so einen >Drahtesel< mit - samt dem Esel, der darauf saß. Die Familien dieser Glücklichen fuhren sonntags ins Grüne. Sie konnten die alten Kollegen besuchen oder aufs Land hinausfahren und Gemüse, Früchte und Eier weit unter dem Ladenpreis einkaufen. Warum sollten die Shutts solche Freuden entbehren?
Es war ein regelrechter Markt für gebrauchte Wagen entstanden. Die Preise waren präzise festgelegt wie eben alles, womit Henry Ford, wenn auch nur indirekt, zu tun hatte. Fords verloren ihren Wert nicht so schnell wie andere Wagen. Ihre Besitzer hatten es nicht nötig, die Mode mitzumachen, und Henry hatte immer wieder erklärt, es sei sinnlos, den Wagentyp zu ändern, nur um etwas Neues zu haben. Das Modell T würde auch Modell T bleiben. Und da er es sagte, blieb es auch dabei. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass das amerikanische Volk auch die Mode mitmachen wollte. Die Fordagenturen und Verkäufer hätten ihnen gern dabei geholfen. So kam es, dass 1913 eine andere Spielart des Modells T herauskam, und nun gab es auch schon ein Modell 1914, und bald würde der Ford Modell T 1915 auf dem Markt erscheinen. Wer es sich leisten konnte, die Mode mitzumachen, oder wer glaubte, es würde für sein Geschäft eine gute Reklame sein, verkaufte schleunigst seinen alten Wagen und erstand einen neuen.
An einem der offenen Stände, wo die Händler mit gebrauchten Wagen ihre Geschäfte machten, entdeckte Abner einen Modell T von 1910, der für >dreieinviertelhundert< angeboten wurde. Wenn Abner von einer Sache etwas verstand, so waren es Fordwagen. An diesem hatte er wahrscheinlich die Achsenmuttern noch selbst aufgesetzt. Er probierte ihn aus und war zufrieden; den konnte er noch gut zehn Jahre fahren, wenn er auch ab und zu ein bisschen daran würde herumbasteln müssen. In dieser Zeit würde er eine Menge Fahrgeld sparen, von den Schmerzen in den Füßen und Knien ganz zu schweigen.
Die Familie tat so einen Schritt nicht, ohne sich vorher mit dem gütigen Mann der Sozialen Abteilung zu beraten. Er kam und besprach es mit Milly. Das sei ein vernünftiger Gedanke, meinte er. Außerdem ehrten sie ja auch ihren Arbeitgeber, wenn sie sich einen seiner Wagen hielten. So zahlte Abner 50 Dollar an und verpflichtete sich, monatlich 10 Dollar abzuzahlen, dazu zwei Prozent Zinsen pro Monat; das war mehr, als es zunächst schien. Zahlten sie nicht, so würde der Wagen an den Verkäufer zurückgehen. Aber sie würden ja zahlen, daran zweifelten sie gar nicht.
Ho-ho! Da kam Abner mit seinem herrlichen Wagen vorgefahren! Die ganze Familie stürzte hinaus, um es zu sehen. Bis heute war das der stolzeste Augenblick ihres Lebens, ohne Zweifel! Ihre soziale Stellung in der Nachbarschaft stieg gewaltig. Einer von Millys Brüdern hatte einen Wagen und sie ein- oder zweimal mitgenommen. Aber noch keines der Kinder war je in so einer Schöpfung gefahren, die ihr Vater mitgebaut und von denen er seit elf Jahren immer erzählt hatte. Die vier hatten gerade auf dem Rücksitz Platz. Sie kreischten und hüpften vor Vergnügen. Abner musste mit ihnen noch vor dem Abendessen einmal um den Block herumfahren.
Sie hatten keine Garage für den Wagen. Das gab wieder Arbeit für Abner, die er in seiner freien Zeit ausführen musste. Sein alter Vater half ihm dabei. Der hatte trotz der achtzehn Jahre, die er nun schon als Nachtwächter verbrachte, nicht vergessen, dass er Zimmermann gewesen war. Das war auch wieder eine gute Gelegenheit, Abners Bonusgeld anzulegen. War schon recht schwer, das Geld in diesem Land zusammenzuhalten, wo es so frei und unbekümmert ausgegeben wurde.
Abner und Milly verstanden nichts von Volkswirtschaft, sonst hätten sie sich alle Geldsorgen ersparen können. Denn solange die Völker Asiens und Europas Krieg führten, würde es eine unaufhörliche Nachfrage nach Transportmitteln geben und nie an Arbeit und Beschäftigung für jene fehlen, die mit dafür sorgten, dass man Munition und Menschen an die Fronten fahren konnte. Die Welt würde auch weiterhin alle Wagen kaufen, welche die Ford-Motor-Company je erzeugen konnte. Wenn Henry Ford den Preis herabsetzte, so tat er es, weil er es so wollte, nicht aber, weil er dazu gezwungen war.
Ford erfasste die Situation. Er war ein Idealist und stolz darauf, dass er ein >sauberes< Vermögen durch die Erzeugung nützlicher Güter verdient hatte, nicht aber durch Raub und Krieg. Doch jetzt hatte er das Gefühl, es klebe Blut an seinem Geld. Darüber konnte ihn auch die Tatsache nicht täuschen, dass die Verkaufsabteilungen das Geld abwischten, bevor sie es ihm überreichten. Er ließ sich von niemandem hinters Licht führen, denn in dieser Phase seines Lebens machte er sich selbst noch nichts vor.
Er verurteilte den Krieg als eine unvernünftige und überhaupt scheußliche Sache. Er wandte immer weniger Zeit an die Erfindung neuer Essen und Stanzen, sondern er schrieb und sorgte dafür, dass Interviews und Artikel veröffentlicht wurden, die den Krieg verurteilten und sein Ende forderten. Den anderen Geschäftsleuten, deren einziges Ziel es war, soviel Geld wie nur möglich zu verdienen, ganz gleich wie - diesen anderen schien seine Propaganda unpatriotisch und das um so mehr, weil viele von ihnen sich bemühten, Amerika in diesen Konflikt hineinzuziehen, damit sich ihr Vermögen über Nacht vervielfachte. Der Vizepräsident der Ford-Motor-Company, James Couzens, der vor elf Jahren tausend Dollar eingeschossen hatte, stellte jetzt seinen Posten mit der Begründung zur Verfügung, er habe keine Lust, sich von Henry Ford wie von einem Habicht bewachen zu lassen.
Aber es gab auch andere, die glaubten, dies sei immerhin ein recht großmütiger Habicht. So die Pazifisten, die sozialen Erneuerer, all jene Männer und Frauen, die meinten, in der Welt sei etwas verkehrt; all jene, die es sich zur höchsten Aufgabe gemacht hatten herauszufinden, wie man die Übel beseitigen könnte. Diese Leute hatten meistens kein Geld, weil ihnen die Zeit fehlte, es zu verdienen, oder aber die Gabe, ihre Mitmenschen auszurauben. Doch sie hielten stets Ausschau nach einem der das nötige Geld hatte, um ihre Ideen zu verwirklichen.
Seit der Verkündung des Bonusplanes war Henry Ford für viele soziale Neuerer eine Verheißung. Delegationen standen täglich vor seinem Büro oder seinem Haus, täglich erreichte ihn ein Sack Briefe. Henry hatte diese Besucher nie vorgelassen, weder ihre Briefe gelesen noch durch seine Sekretäre beantworten lassen. Doch jetzt, da er sich als Pazifist entpuppte, gelang es vielen dieser Leute, mit ihm in Verbindung zu treten, und man raunte, Henry Ford sei in gefährlicher Gesellschaft, ja, er werde von verrückten und betrügerischen Elementen missbraucht. Solche Märchen wurden gerne von den militaristisch eingestellten Leuten geglaubt, die Amerika davon überzeugen wollten, man müsse mehr Geld für die Rüstung ausgeben. Auch jene prominenten Persönlichkeiten glaubten es, die die Sitten und Ideale der englischstämmigen Oberschicht für die höchsten und nobelsten der Welt hielten.
So dämmerte es Abner, als er eines Nachmittags seine Zeitung las, dass es Leute gab, die es wagten, seinen großen und gütigen Arbeitgeber zu kritisieren und über ihn zu schimpfen. Er war entsetzt, und täglich wuchs seine Empörung. Andere mochten in ihrer Treue schwankend werden, niemals aber Abner Shutt! Sah er nicht das große Werk aufwachsen? Sah er nicht neue Gebäude sich erheben, deren Zweck und Nutzen er kaum erfassen konnte? Aber er wusste, das war alles richtig so, denn Mr. Ford und sein Stab wollten es so. Ford, wir folgen dir! Er baute vernünftige und nützliche Dinge! Plünderer und Mordbrenner waren alle, die ihn hassten und ihn gern zu Fall bringen wollten. Abner hasste den Krieg, aber in einen Krieg wäre er fröhlich hineingeschritten - in den Krieg Henry Fords gegen Wallstreet.
Rosika Schwimmer hatte vor Ausbruch des Krieges in Ungarn gelebt. Sie kämpfte für die Frauenrechte, den Kinderschutz, den Frieden. Da im Kriege pazifistische Agitatoren im österreichisch-ungarischen Kaiserreich nicht mehr gelitten waren, hatte sich Rosika in die neutralen Länder begeben und schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort arbeitete sie mit Jane Addams und anderen an einem Plan: der >ständigen Vermittlung zwischen den Kriegführenden<.
Rosika besuchte Henry Ford und gewann ihn für ihren Plan. Sie gewann ihn auch für ihre Person, er bewunderte die Frau, die wirklich etwas von Frieden und dem Weg dahin verstand. Sie hielt ihm vor Augen, dass jeden Tag zwanzigtausend Männer getötet würden, dass es Menschen in höchsten Stellungen gebe, die diese Tatsache kalt
und berufsmäßig betrachteten, dass die Kriegslüsternen wollten, es solle immer so weitergehen.
Henry hasste jegliches Zaudern. Wenn er etwas wollte, so setzte er sich auch dafür ein. Er ließ sich bei Präsident Wilson anmelden und erfuhr, Washington werde keinen Schritt tun, der dem britischen Empire missfallen könnte. Wenn ein solcher Schritt unternommen werden sollte, so musste Ford ihn also selbst tun. Rosika schlug vor, mit einer Delegation amerikanischer Pazifisten die neutralen Länder zu besuchen und dort den Plan einer >Konferenz der neutralen Nationen zum Zwecke ständiger Vermittlung zwischen den kriegführenden Völkern< zu verwirklichen. Eine derartige Bewegung würde sich rasch ausbreiten, war sie erst einmal ins Leben gerufen.
Ford entschloss sich, ein Schiff zu chartern und die Pazifisten Amerikas aufzufordern, ihn auf seinem Kreuzzug zu begleiten. Das war im November 1915, und jemand hatte den Satz geprägt: >Bis Weihnachten müssen die Jungen aus den Schützengräben sein<. Das klang gut, und Ford griff ihn auf. Hätte es sich um einen Auftrag zur Herstellung von hunderttausend Tachometern gehandelt, er hätte die Arbeitsprozesse berechnet und erkannt, dass es in dieser Zeit nicht zu schaffen war. Aber hier handelte es sich um die Rettung des Lebens von zwanzigtausend Menschen pro Tag - also einer Million bis Weihnachten -, und Ford hatte es eilig. Der Satz von den >Schützengräben< sei »keine Prahlerei, sondern ein Gebet«, sagte Henry Ford.
Er setzte einen Stab ein, um den Kreuzzug in Gang zu bringen. Er charterte den Dampfer >Oskar II<. Mit Rosika und seinen neuen pazifistischen Freunden stellte er eine Liste angesehener Personen zusammen, darunter auch die Gouverneure der 48 Staaten und der Staatssekretär William Jennings Bryan. Mr. Bryan lehnte ab. Siebenundvierzig Gouverneure lehnten ebenfalls ab. Aber andere waren bereit, ihren Platz einzunehmen, und Ford ließ sie kommen. Die >Reform der Welt< war für ihn Neuland, und er wusste in seiner Einfalt wirklich nicht, wie viel verschrobene Geschöpfe darauf herumliefen.
Henry Fords Ankündigung des >Friedens-Kreuzzuges< erschien. Das war die größte Sensation seit Kriegsausbruch. Amerikas erfolgreichster und schnellster Millionär wollte ein Friedensschiff auf den stürmischen Atlantik führen und trotz aller Unterseeboote eine Ladung pazifistischer Agitatoren hinüberbringen. Teddy Roosevelt, der sich kriegerisch gab, nannte dies Unternehmen >das beschämendste Ereignis des Vaterlandes<. Ein Rechtsanwalt von Wallstreet, der sich noch vor der Wahl gegen Teddy gestellt hatte, nannte Henry jetzt einen >Hinterwäldler und Clown<. - >Fords Zirkusschau<, >ein Friedenspicknicks >eine Lustfahrt mit dem Blechauto<, so zogen die Blätter Wallstreets vom Leder. Aber Henry erwiderte nur: »Einen Krieg zu beenden ist ein großer Kampf. Man darf ihn nicht vor den üblen Ergüssen leitartikelschreibender Komödianten aufgeben.«
Die deutschen Militaristen hatten ihre Kriegsmaschine raffiniert aufgebaut. Aber sie verstanden sich nur halb so gut auf die Mentalität anderer Völker. Ihre Diplomaten hatten versagt und die halbe Welt in den Krieg mit Deutschland gedrängt. Sie wären vielleicht froh gewesen, wenn sie eine Gelegenheit gehabt hätten, sich jetzt aus dem Schlamassel zurückzuziehen, um den Krieg später und besser geplant wieder anzufangen. Aber die britischen Marineexperten, die mit angesehen hatten, wie man vor ihrer Haustür eine feindliche Flotte baute, waren um keinen Preis bereit, den Krieg aufzugeben, bevor diese Flotte zerstört war. Das war ihr Ziel, dafür setzten sie alle Macht und das Prestige ihres Empires ein - nicht nur Kanonen und Gold, auch die Beredsamkeit ihrer Literatur, die Frömmigkeit ihrer Moral, die Heiligkeit ihrer Kirche und das wahrhaft majestätisch-süffisante Selbstbewusstsein ihrer herrschenden Klasse.
Diese Mächte hatten in New York Einfluss, und es gab starke Kräfte im Lande, die sie unterstützten. Wallstreet hatte eine Hausse, wie es sie in der Weltgeschichte noch nicht gegeben hatte. Was nur irgend in einem Weltkrieg gebraucht werden konnte, zog an. Siebzehntausend neue Millionäre wurden in den Vereinigten Staaten gemacht. Das alte Bankhaus J.P. Morgan und Co., das noch immer an der Ecke Broadway und Wallstreet residierte, handelte mit den Dollarmilliarden der Alliierten und überwachte ihre Verteilung unter die >Kriegskinder< der Industrie. Alle Banken in Wallstreet waren mit Geld voll gestopft. Die großen New Yorker Zeitungen und Zeitschriften aber, entweder Kunden dieser Banken oder direkt von ihnen beherrscht, eiferten für die Fortsetzung des Krieges und die Zerstörung der deutschen Flotte. Man hatte die Lösung ausgegeben, Henry Ford als Affen hinzustellen und sein Friedensschiff als Affenkäfig. Dieser Auftrag wurde mit einer Gründlichkeit ausgeführt, die man nur in generationenlanger Übung in Zynismus und Bosheit erwirbt.
Ein anständiger Mensch konnte in jenen Tagen durchaus sagen, dass Henry Ford für die Aufgabe, die er sich vorgenommen hatte, ungeeignet war. Aber er musste doch seinen Mut und seine Selbstlosigkeit bewundern. Ein ehrlicher Mensch konnte auch glauben, Ford sei im Irrtum, und es sei besser, dass der Krieg ausgefochten und der Kaiser geschlagen werde. So konnte man es auch sehen. Wenn aber die Historiker heute von dem besseren Blickpunkt, den der Abstand der Jahre verleiht, auf die Ereignisse jener Tage schauen und feststellen, was unsere alliierten Staatsmänner aus ihren Gelegenheiten gemacht haben, und sich dabei gar an die Ideen von Wahrheit und Gerechtigkeit erinnern, die ihnen damals angeblich vorschwebten, wenn sie gar den Frieden betrachten, den man dann schloss, und was letztlich dabei herauskam - dann könnten sich die Historiker fragen, ob Henry Ford und sein Narrenschiff nicht mehr Vernunft zeigten als alle Staatskanzleien Europas und des britischen Empires zusammen.
Abner Shutt kam eines Nachmittags nach Hause, zog seine Schuhe aus, wärmte seine Füße am Küchenherd und las von der Welt und was in ihr geschah. Als er erfuhr, dass Mr. Ford auszog, den Krieg zu beenden, war er nicht überrascht, im Gegenteil - es schien ihm nur richtig und vernünftig. Er hatte längst bei sich entschieden, dass sein Arbeitgeber der größte Mann der Welt sei, und wenn jetzt die gekrönten Häupter und Potentaten Europas Mr. Fords Wahrheit erkannten, so war das für sie und ihre unglücklichen Völker das beste. Mr. Ford würde ihnen schon zeigen, wie man die Sache anpacken musste, und schon bald würden alle Arbeiter wie Abner fünf Doller achtundvierzig pro Tag verdienen.
Der Inspektor für das Verschrauben der Räder las von den Szenen, die sich beim Ablegen des Friedensschiffes abgespielt hatten. Da war das große Schiff, >Frieden um jeden Preis< stand darauf. Berühmte Leute waren gekommen, um mitzufahren oder Abschied zu nehmen. Große Menschenmassen und Musikkapellen hatten sich eingefunden. Ein Rufen und Singen war das, und Reden wurden gehalten. Mr. Ford kam in einem dicken braunen Mantel, der mit Pelz gefüttert war. Seine Freunde Bryan und Edison, die von ihm Abschied nehmen wollten, begleiteten ihn. Irgend jemand überreichte ihm einen Armvoll Rosen, und Ford verteilte sie an seine Freunde, während er an der Reeling stand. Die Kapelle auf dem Steg spielte Jungs, es ist Zeit für die Heimat<.
Ein theatralischer Mensch in schwerem Ulster postierte sich auf dem Oberdeck, spielte den Zeremonienmeister und schrie seine Anweisungen durch ein Megaphon. »Ah, da ist der Mann, der euch das Licht gebracht hat, auf dass ihr sehen könnt! Meine Damen und Herren, ein dreifaches Hoch für Thomas Alva Edison, hipp, hipp, hurra! Und jetzt ist die Kapelle wohl so nett und spielt das rührende Lied >Ich habe einen Jungen, aber nicht für den Krieg<.«
Zwei Friedenspilger ließen sich an Bord trauen; Ford und Bryan waren Trauzeugen. Ein Mann mit einer neuen Religionsphilosophie war mit an Bord gekommen und ein Dichter mit einer Manuskriptrolle, darauf stand eine Ode an die Friedensgöttin. Es kamen Vegetarier, Antialkoholiker und der Präsident der Liga der Nichtraucher an Bord. Ein Mann erschien mit einem Eichhörnchen im Käfig, das er Mr. Bryan getauft hatte. Als das Schiff ablegte, sprang ein Mann ins Wasser und schwamm hinterher.
Friedenskämpfer aller Schattierungen waren an Bord dieses Schiffes, bedeutende und Schwärmer: Ein Richter, der sein Leben der Einrichtung des ersten Jugendgerichts gewidmet hatte. Der erste weibliche Senator der USA.
Der erste Landarbeiter, der Gouverneur geworden war. Die Witwe eines Fabrikanten, die ihr Vermögen für die Durchführung der Steuerreform gestiftet hatte. Eine junge Dame, die bei der ersten Suffragetten-Demonstration auf einem Schimmel durch die Fifth Avenue geritten war. Auch ein pazifistischer Geistlicher, dessen gespreizte weiße Schnurrbartspitzen etwas komisch wirkten. Und endlich ein Mann, der einmal im Central Park eine Margarinekiste bestiegen und die Arbeitslosen aufgefordert hatte, ihm zu folgen und die Regierung über den Haufen zu werfen.
Mr. Ford bekam die Grippe und musste in seiner Kabine bleiben, was mitten auf dem Ozean und im Spätherbst kein Vergnügen war. Die Berichte sprachen von geheimen Konferenzen, und jede Fraktion versuchte, ihre Position durchzusetzen. Sie erzählten aber nicht, wie die Reporter in Mr. Fords Kabine eindrangen und ihn sehen wollten. Sie fühlten sich dazu berechtigt, man hatte sie schon einmal, nämlich bei dem Tode des älteren Morgan, hinters Licht geführt. Sie wollten sich schließlich nicht auch noch den Tod des Henry Ford aus der Nase gehen lassen!
Es waren 45 Reporter der verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften als Henry Fords Gäste an Bord. Er glaubte an die Freiheit der Meinungsäußerung und dass das Volk ein Recht habe, alles zu erfahren. Ein Journalist der Londoner >Daily Mail< meldete sich an; als man ihn abwies, hatte er ein Billett zweiter Klasse als Passagier gekauft. Der gütige Mr. Ford hörte davon und lud den Herrn selbstverständlich zu der Reise ein. Er war recht
naiv, dieser Mr. Ford! Er wusste weder, wer dieser Journalist war noch welche Zeitung er vertrat.
Der Verleger der Londoner >Daily Mail< war in ähnlich schneller und Aufsehen erregender Art zum Erfolg gekommen wie Henry Ford selbst. Nur, statt solide Maschinen zu verkaufen, hatte er sein Geschäft mit Sensationen und Skandalen gemacht. Er war jetzt Multimillionär, er hatte Macht, und da dies in England geschah, war aus Alfred Harmsworth ein Lord Northcliffe geworden. Sein Reporter erkannte die Einfalt des Farmerssohns aus Michigan und funkte über den nicht zensierten Telegraphen des Friedensschiffes detaillierte Berichte über Streit und Eifersüchteleien zwischen den Pazifisten, gespickt mit allen erdenklichen Lügen, Verdrehungen und Übertreibungen. Diese Berichte gingen an alle neutralen Länder. Durch die Presse des >erhabensten< aller Länder, dieses Weltreichs durch Waffengewalt, wurden die >Skandale< verbreitet, und man erzählte der Welt, Henry Ford sei >ein Gefangener in seiner Staatskabine<, werde von dem Dekan Marquis im Bett festgehalten und von bewaffneten Revolverhelden bewacht.
Präsident Wilson hatte im Kongress gerade einen Antrag eingebracht, darin forderte er eine starke Vermehrung der militärischen und maritimen Streitkräfte des Landes. Das gefiel Wallstreet natürlich, und entsprechend verzweifelt waren die Pazifisten. Auf den Dauersitzungen, die auf dem Schiff abgehalten wurden, hatten die Freunde Rosika Schwimmers eine Resolution gegen Wilsons Vorlage eingebracht und erklärt, man werde jeden im nächsten Hafen an Land setzen, der diese Resolution nicht unterschreibe.
Nun waren einige Amerikaner an Bord, die zwar bereit gewesen waren, ihre Geschäfte im Stich zu lassen und die stürmische See um der Sache der Vermittlung willen zu überqueren, die aber durchaus nicht der Meinung waren, Amerika solle angesichts der U-Boot-Gefahr schutzlos bleiben, und sich erst recht dagegen verwahrten, dass eine Dame aus Ungarn die Politik ihres Landes bestimmte. Heftige Auseinandersetzungen über diese Streitfragen gaben den Reportern Stoff genug und machten es ihnen leicht, die Welt davon zu überzeugen, auf der Friedensarche herrsche ein Kampf bis aufs Messer.
Als das Schiff in Christiania anlegte, wurde Henry Ford in ein Hotelzimmer gesperrt und von seinen Freunden und Sekretären bewacht. Sein treuer Dekan Marquis, der Geistliche, der seine Soziale Abteilung leitete, hatte von diesem Unternehmen abgeraten. Aber er war dennoch mitgekommen, um seinem Chef zu helfen. Er drang jetzt in ihn, in die Heimat zurückzukehren, Mrs. Ford schickte Telegramme und bat ihn ebenfalls. Bald wurde erklärt, dass Henry aus Krankheitsgründen das nächste Schiff in die Heimat nehme. Aber er werde Komitees einsetzen, um die Angelegenheiten des Friedensunternehmens weiter zu bearbeiten, und einen Geschäftsführer bestimmen, der die Kosten begleichen werde.
Die betrübten Pazifisten fuhren weiter. Sie hielten ihre Versammlungen ab und taten, was sie konnten, um in den neutralen Ländern Begeisterung für die Sache zu entfachen. Doch das Licht der Scheinwerfer auf ihrer Mission war erloschen. Es folgte jetzt dem Automagnaten auf seiner Heimreise. Als er in New York ankam, erklärte er, er sei mehr denn je ein Pazifist. Er veröffentlichte ganzseitige Anzeigen in 250 Zeitungen, die gespickt waren mit Angriffen gegen die Rüstungsindustrie. Die Navy League(Anm.: Navy League - entspricht etwa dem Deutschen Flottenverein der Kaiserzeit.) verklagte ihn daraufhin wegen Verleumdung.
Henry Ford war wieder in Highland Park und überwachte die Fertigung seiner zweiten Million Wagen. Abner Shutt überwachte noch immer seinen Teil des Fließbandes. Das mochte keine große Aufgabe sein, aber Abner hatte viel Mühe damit. Die Arbeit wurde immer einfacher und beziehungsloser. Abner, der Vorarbeiter, vertrat ganz den Standpunkt seines Arbeitgebers und wunderte sich nur: Wie stellten diese faulen und schwerfälligen Burschen sich das eigentlich vor? Wie sollte die Firma bei ihrer Trägheit denn weiterkommen? Glaubten sie etwa, Mr. Ford betreibe sein Geschäft nur, um sie mit seidenen Hemden und Socken zu versorgen?
Außerdem hatte er daheim Sorgen. Sein Vater war nun sechzig. Zwanzig Jahre lang hatte er tagsüber geschlafen, in den sieben Nächten der Woche aber die Gänge der Desmond-Wagenfabrik abgeschritten, einen Revolver in der Tasche und eine elektrische Lampe in der Hand. Alle zwei Minuten musste er stehen bleiben, einen Schalter drehen und einen Klingelknopf drücken, um dadurch kundzutun, dass er sich nicht etwa hingesetzt habe, um seine müden Beine auszuruhen. Jetzt konnten diese Beine nicht mehr. Der alte Tom wurde derart von Rheumatismus geplagt, dass er im Bett bleiben musste; nur hin und wieder stand er auf, um ein bisschen herumzuhumpeln.
Tom Shutt hatte für seine Gesellschaft über zwanzig Jahre gearbeitet. Jetzt warfen sie ihn ohne ein Wort des Dankes hinaus, und nur ein Stempel auf seiner Lohntüte verzeichnete seinen Abgang. Er hatte etwas Geld gespart, aber die beiden Alten hatten keinen Platz, wo sie nun bleiben konnten. Abner und Milly mussten sie aufnehmen. Abner war ein ordentlicher Sohn und machte sich nichts draus. Bald aber zeigte sich, dass es eine schlechte Lösung für Milly und die Kinder war. Milly war durch die Jahre der Sorgen und harten Arbeit mürrisch geworden. Dagegen war die Großmutter sanft und gütig. Bald schon wandten sich die Kinder an sie, wenn sie etwas haben wollten. Das machte Milly eifersüchtig: »Das kann jeder«, behauptete sie, »wenn man die Kinder verzieht, kann man sie leicht gewinnen.« Was nun falsch oder richtig an all dem sein mochte, so ein Haushalt mit doppelter Autorität war Jedenfalls keine schöne Sache. Der zweite Sohn, Hank, war jetzt elf und entfaltete seine unbeherrschte Natur, die ihn und seine Eltern später unglücklich machen sollte. Hatte Milly ihn geschlagen, so gab seine Großmutter ihm Bonbons und verteidigte ihn, und Milly beklagte sich bei Abner: »Nur die alte Frau ist schuld an allen Sorgen, die der Junge uns macht.«
Der Vater tat, was er konnte, um Frieden zu stiften. Das war nicht klug gehandelt: Ein Arbeiter, dessen Leben schon unsicher genug ist, der jeden Tag so viele Sorgen hat, darf das nicht. Er darf sich nicht damit trösten, die Zeit werde alles regeln. Und das tat Abner. Frauen mussten sich zanken, daran war nichts zu ändern, meinte er, und Kinder kamen eben in die Flegeljahre. Aber schließlich würden sie sich schon zurechtwachsen und arbeiten. Abners Lohn wurde wieder erhöht. Er bekam jetzt sechs und einen halben Dollar! Das konnte wohl einem Haufen Sorgen die Waage halten, meinte er. Er brachte seiner Frau das Geld und wusste, dass sie es zusammenhielt. Wenn es ihr gut tat, ein bisschen zu murren und zu schelten, dann sollte sie es tun. Abner kam schließlich so müde nach Hause, dass er selbst bei einem Gewitter durchgeschlafen hätte.
Die Preise stiegen und mit ihnen auch die Wünsche der Familie. Die Kinder wollten jetzt so vieles haben, das sie sich in Abners Jugend nicht zu wünschen gewagt hätten. Die drei Jungen wollten ein Fahrrad haben, und Abner sagte ihnen: »Arbeitet in eurer Freizeit und verdient euch selbst Geld.« Sie waren ja glücklicher dran als er. Sie konnten zur Schule gehen und hatten zu essen, wenn sie heimkamen. Er erzählte ihnen, wie die schlechten Zeiten damals gewesen waren. Wer konnte wissen, ob solche Zeiten nicht wiederkommen würden?
Einen Luxus hatten sie ja, das Familienauto. Sonntags und feiertags fuhr Abner mit ihnen hinaus, und sie besuchten die Familie seines Bruders oder eine von Millys Schwestern. Jahrelang hatte er damit gerechnet, die Landprodukte billiger einzukaufen und jedes Mal eine ganze Ladung mitzubringen. Aber damit war es nichts. So viele Arbeiter hatten jetzt Wagen, und die Bauern waren schlau geworden. Sie bauten Verkaufsstände an der Straße auf und nahmen die gleichen Preise wie die Läden in der Stadt. Aber man hoffte immer wieder, eine billige Quelle zu finden.
Im Highland-Park-Werk wuchsen immer neue riesige Schornsteine empor, die schwarze Rauchwolken in den Himmel pafften. Henry Ford stellte Stahl her, er baute neue Maschinen und neue Gebäude, um sie darin aufzustellen. Sechzehn Stunden am Tag stieß das Werk Ketten von Automobilen aus, alle 25 Sekunden einen Wagen. Ford kaufte Grundbesitz und drang nach und nach in alle Industrien ein, um die Rohmaterialien und Produktionsmittel zur Herstellung seiner Wagen beherrschen und kontrollieren zu können: Stahl, Eisenerz, Kohle, Glas, Gummi, Zement - um ein Auto zu bauen, musste er eine ganze Welt beherrschen.
Beide, Abner und Henry, lasen auch weiterhin die Nachrichten über die Ereignisse der Welt, und jeder erklärte sie sich so, wie er es verstand. So seltsam es scheinen mag - ihre Anschauungen waren recht ähnlich und machten zu gleicher Zeit die gleiche Wandlung durch. Anfang 1916 waren beide noch überzeugt, dass der Krieg eine kollektive Dummheit sei. Das einzig Gute war eben nur, dass die Vereinigten Staaten sich herausgehalten hatten. Aber Anfang 1917 spielte jeder mit Schlagworten wie >Freiheit der Meere< und >nationale Ehre<. Man hörte auch schon, >man müsse den Krieg durch einen Krieg beenden<.
Es war ein bitterer Scherz, den das Weltreich der Waffen und seine Bankiers sich mit unseren beiden geleistet hatte. Nur dadurch, dass sie den Alliierten soviel Geld borgten und ihnen soviel Waren verkauften, hatten sie einen Zustand heraufbeschworen, wo ein verlorener Krieg den Zusammenbruch der amerikanischen Wirtschaft zur Folge gehabt hätte. Kein Mensch würde dann auch nur noch einen Dollar besitzen, um ein Auto zu kaufen. Henry würde seine Werke dann schließen müssen, Abner und seine Familie aber hungern.
Ganz so einfach wurde die Sache in den Zeitungen zwar nicht dargestellt, doch Ton und Inhalt änderten sich, um auf die neue Lage vorzubereiten. Wo Abner und Henry 1916 von den Schrecken des Krieges gelesen hatten, da lasen sie 1917 nur noch von den Schrecken des U-Boot-Krieges. Man las jetzt auch von den Ruhmestaten der französischen Zivilisation und den humanen Idealen, die die herrschende englische Klasse immer verteidigt habe. So kam es, dass Abner Shutt bald zu seinen Kameraden im Werk sagte: »Bei Gott, diese Hunnen müssen geschlagen werden!« Ja, im Februar ließ Henry Ford, der Pazifist, einen Reporter der >New York Times< wissen, er habe eine glänzende Idee für ein Ein-Mann-U-Boot. Er nannte es >eine Pille auf der Stange<. Die Stange sollte vorn an dem U-Boot befestigt werden, und die Pille war eine Bombe.
Begeistert durch die Beredsamkeit Woodrow Wilsons stürzte Amerika sich endlich in den Krieg, um die Welt für die Demokratie reif zu machen. Abner Shutt verdoppelte seine Wachsamkeit und achtete darauf, dass deutsche Spione dem Strom der Autos keinen Schaden täten, die jetzt ganz frei an die alliierten Nationen verkauft wurden - d.h. sie wurden gegen ihre Wechsel eingehandelt, die später bezahlt werden sollten. Die Zeitungen klärten Abner über die Gefahren der Spionage auf und beschrieben ihm, wie die Agenten des Kaisers zu Werke gingen, um amerikanische Fabriken zu zerstören. Diese Scheußlichkeit hieß Sabotage, und Abner hätte sein Leben gern dafür eingesetzt, sie zu verhindern. Aber in der Abteilung für Radmontage gab es nie eine Gelegenheit dazu.
Henry tat auch sein Teil. Er stellte zwar weiter Personenwagen her, opferte aber die übliche Erhöhung der Produktion und baute statt dessen Heeresfahrzeuge, Artilleriewagen, Krankenwagen und eine halbe Million Zylinder für >Freiheitsmotoren<; so nannte man die Motoren der Flugzeuge. Er fertigte Stahlhelme und Horchgeräte an, er machte Versuche mit Panzerplatten für Menschen und Schiffe. Er baute fünftausend Traktoren, die nach England gebracht werden sollten, um die Gefahr einer Hungersnot abzuwenden, die durch die U-Boot-Blockade drohte. Er kaufte eine Strecke Land am Rouge River im Distrikt von Detroit und errichtete eine Halle, die eine Drittelmeile lang und etliche Häuserblocks breit war. Dort begann er den Massenbau von U-Boot-Zerstörern. Sie hießen >Eagle-Boote< und waren einige hundert Fuß lang; ihr Rumpf war ganz aus Stahl. Es hallte wüst in diesen Schiffen - und es war eine scheußliche Tortur für
die Seeleute, die auf diesen Dingern gefangen waren. Das Hirn einer Landratte hatte sie erdacht.
So hatte Abner zwei Jahre lang Arbeit genug, und sein Lohn stieg auf acht und einen viertel Dollar pro Tag. Das schien eine astronomische Zahl, aber in Wahrheit war es nicht gar soviel, denn gelernte Zimmerer und Maurer bekamen achtzehn, und der Preis für alle Dinge des täglichen Bedarfs stieg ebenso schnell wie die Löhne. Einen wirklichen Vorteil hatte die Familie jetzt: Die Zahlungen für das Haus waren fest, kein Grundbesitzer konnte sie erhöhen, wie das so viele jetzt mit ihren Mieten machten. Jedes Mal wenn Abner bei der Bank vorsprach, um seine Abzahlung zu leisten, beglückwünschte er sich, dass er sein Geld so gut angelegt hatte.
Der Vorarbeiter fuhr stolz in seinem Wagen zur Arbeit und nahm ein paar Kollegen mit, wenn das Wetter schlecht war. Sie zahlten ihm dann jedes Mal eine Kleinigkeit. Das war für die Straßenbahngesellschaften ein Verlust, und sie versuchten eine städtische Verfügung zu erreichen, die diese Gepflogenheit verbieten sollte. Dadurch bekamen Leute wie Abner wieder Interesse an der Politik. Der zweite Grund war, dass Mr. Ford für Michigan als Senator in Washington vorgeschlagen war. Es gab einen heißen Wahlfeldzug, bei dem es zum ersten und letzten Male gestattet war, im Werk über Politik zu reden. Henrys Gegner war ein Marineoffizier, und der Wahlfeldzug war in Wahrheit der Versuch der Navy League, einen Ketzer abzustrafen. Die Opposition gab fünf Millionen Dollar für Wahlwerbung aus und kaufte so den Sitz. Henry gab auch einen Haufen Geld aus, aber es kostete ihn bei weitem mehr, Material über die Ausgaben seines Gegners zu sammeln. Später hatte er die Genugtuung, dass dieser vor Gericht kam und wegen Bestechung verurteilt wurde.
Dank Henrys und Abners Anstrengungen gewann Amerika den Krieg. Aber aus irgendeinem Grunde schien die Welt doch noch nicht ganz reif für die Demokratie. Jetzt kam eine neue Gefahr- eine neue Art Menschen, von denen man bisher noch nicht gehört hatte: die Bolschewisten! Davon tauchten jetzt viele in Amerika auf, und man fürchtete sie mehr als früher die deutschen Spione. Abner wurde in den Zeitungen immer wieder gepredigt, er solle wachsam sein. Abner wollte sein Bestes tun; man erschwerte ihm die Aufgabe sehr, weil man ihm die Bolschewisten stets als Menschen mit dichten schwarzen Bärten schilderte. Jedoch die einzige Person mit einem solchen Bart war ein jüdischer Händler, der eines Tages an ihre Haustür kam und Milly beschwatzen wollte, Spitzen und seidene Strümpfe zu kaufen.
Natürlich gab es Unzufriedene in den Werken, aber die hatte es immer gegeben, und sie sahen aus, wie sie immer ausgesehen hatten - nämlich wie müde, erschöpfte Arbeiter. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie jetzt im Solde Moskaus standen. Die Leute waren unruhig, das war es; der Krieg hatte sie an einen hohen Standard gewöhnt, und all das hörte jetzt abrupt auf, ohne dass sie Gelegenheit hatten, all die großen Taten zu vollbringen, auf die man sie vorbereitet hatte. Abner sah Leute an den Straßenecken, die vor dichten Menschenmengen Reden hielten. Er fuhr in seinem Wagen vorüber, aber er hielt nie an. Nur hin und wieder las er, dass die Polizei solche Leute festgenommen und dass es Schlägereien gegeben hatte.
Henry Ford, der mehr als sein Teil für den Krieg getan hatte, nahm Urlaub und ging nach Südkalifornien. Er mietete ein bescheidenes Haus in einer Provinzstadt namens Altadena. Dort verbrachte er mit seiner Frau und Edsel, der jetzt fünfundzwanzig war, einen ruhigen Winter.
In der Nachbarschaft lebte ein Schriftsteller, der ihnen einen Besuch machte. Er fand Vater und Sohn in der Garage. Sie hatten dort eine Werkstatt eingerichtet. Da konnten sie nach Herzenslust herumhämmern - wie Henry es in der alten Bagley Street gemacht hatte, damals, als Edsel noch nicht geboren war. Hier hatten sie die Reste eines alten Vergasers gefunden, dessen Konstruktion ihnen nicht bekannt war. Es war so, als ob Agassiz (Anm.: Louis Agassiz, Schweizer Paläontologe 1807-1873.) das Skelett eines fossilen Geschöpfes aus einem Knochenstück rekonstruierte. Henry war von einer gewissen Bohrung, deren Sinn sie nicht erkennen konnten, ganz in Anspruch genommen. Sie zeigten das Ding dem Schriftsteller und fragten ihn, was er davon hielte? Aber leider fuhr dieser nur ein Fahrrad und wusste nicht einmal, was ein Vergaser war.
Der Schriftsteller war Idealist wie Ford und träumte von Frieden und Brüderlichkeit. Er sah die Welt von Gewalt beherrscht und ahnte, dass es in der Zukunft noch schlimmer werden würde. Er suchte einen Weg, wie man das verhindern könnte, und wollte die Menschen überzeugen, dass sie zusammenarbeiten müssten, um Nahrung und Sicherheit für alle zu schaffen. Er hoffte Henry für seine Ideen zu gewinnen. Da Henry gut in Form war, wanderten sie stundenlang in den Vorgebirgen der Sierra Madre, sahen zu den schneebedeckten Gipfeln auf und blickten in Täler, die grün waren vom Laub der Orangen. Sie unterhielten sich über das Problem, wie man den Veredelungsprozess der Welt in Gang setzen könnte.
Henry Ford war jetzt 55 Jahre alt. Er war schlank, sein Haar schon grau, seine Züge waren lebhaft, seine Bewegungen schnell und energisch. Seine langen, schmalen Hände waren niemals ruhig, stets spielten sie mit irgendeinem Gegenstand. Er war ein gütiger, anspruchsloser Mensch, und sein großer Erfolg hatte ihn nicht verändert. Da er nicht einmal eine gründliche Elementarschulbildung besaß, hatte seine Sprache noch immer all die Eigentümlichkeiten der einfachen Leute aus dem mittleren Westen. Er hatte nie gelernt, sich in Theorien zurechtzufinden. Wenn er aber doch einmal damit zu tun hatte, so wandte er sich rasch wieder den Tatsachen zu, wie ein Kaninchen zu seinem Bau zurückläuft. Was er wusste, hatte er durch Erfahrung gelernt, und wenn er noch etwas lernen sollte, dann nur auf die gleiche Art.
Der Schriftsteller fragte, was er von dem Profitsystem halte. Henry schaute erstaunt drein. »Was ist das?« Der andere fand, dies sei die seltsamste aller Fragen. Der größte Meister des Profits wusste nicht, dass es ein Profitsystem gab? Er glich Monsieur Jourdain in Molieres Schauspiel, der entzückt entdeckt, dass man die Sprache, die er sein Leben lang gesprochen hat, Prosa nennt. Als Henry Ford das Wort begriffen hatte, behauptete er: »Profit muss sein. Wer würde denn ohne ihn arbeiten? Wofür sonst arbeitet man denn?«
In den Köpfen solcher Männer können die größten Widersprüche nebeneinander bestehen. Kurz nach seiner Behauptung, niemand würde, könnte und sollte ohne Gewinn arbeiten, erzählte Henry Ford, dass er an dem Abend, als die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland abgebrochen wurden, im Hause des Marineministers diniert habe, und zwar mit dem Präsidenten und dessen Frau. Da habe er ihnen eröffnet, dass es seine Absicht sei, sein Werk und all seine Rohstoffquellen ohne Gewinn an den Staat zu überschreiben.
Als der Schriftsteller ihn auf diesen Widerspruch zum Profitsystem aufmerksam machte, erklärte Henry: »Ja, aber damals hatten wir Krieg!«
»Warum«, sagte der andere, »soll man nicht auch im Frieden der Öffentlichkeit dienen? Warum sollen wir nicht die gleiche Begeisterung dafür aufbringen, Menschen zu nähren und zu kleiden, wie dafür, sie zu töten?«
Ingenieure und Erfinder arbeiteten um der Sache selbst willen, das wollte Ford gern zugeben. Sie seien nicht die Typen, die Geld machten. Das gleiche mochte für Dichter und ähnliche Leute stimmen - Henry kenne sich da nicht so aus. Er selbst wolle mit seinem Geld auch etwas schaffen. Wenn die Gesellschaft ihm die Gelegenheit gebe, ein großes Unternehmen zu leiten, so sei er durchaus damit zufrieden. Als daraufhin der Schriftsteller vorschlug, die Öffentlichkeit solle die Autoindustrie übernehmen und Henry zum Beauftragten der Unternehmen machen, berührte er allerdings die empfindlichste Saite des Industriellen. Henry wünschte nicht, dass irgendein Politiker sich in seine Arbeit mischte. Er kenne Beispiele genug für Ausbeutung, Unfähigkeit und Klüngelwirtschaft: so etwas gebe es im Fordwerk nicht.
Er führte die Eisenbahnen an. Im Kriege waren sie zusammengebrochen, und die Regierung musste sie übernehmen. Man hätte sie von Grund auf reorganisieren müssen. Henry war mit dem zuständigen Minister zusammengetroffen. Der forderte ihn auf, Vorschläge zu machen und Zahlen zu nennen. Henry hatte das auch getan, aber nichts war daraufhin geschehen. Der Finanzminister war ein Mann Wallstreets. Er glaubte an die
Wallstreetbanken und diente ihnen. Da konnte er sich natürlich nicht dem öffentlichen Interesse widmen.
»Genau da liegt das Problem«, stimmte der Schriftsteller zu. »Das Privatinteresse lähmt die Politik und schöpft Gewinne ab, indem es die Volksvertreter für seine eigenen Ziele kauft.«
Aber dieser Gedankensprung war für Henry Ford zu groß. Abschöpfung war für ihn ja gerade das Wort für Politik, sprich Vergeudung und Unfähigkeit. Er behauptete, er könnte die Post in privater Hand besser betreiben als der Staat zur Zeit. Er wollte nicht einmal zugeben, dass die Feuerwehr von Altadena etwas sei, das unbedingt in öffentlicher Hand sein müsse. Man solle ruhig einmal einen tüchtigen Geschäftsmann damit beauftragen, die Brände zu löschen.
Der Schriftsteller erzählte ihm, wie er sich den Weg durch diese Probleme gesucht hatte. Als junger Mann fand er beim Studium der Geschichte heraus, dass die Monarchie eine gute Sache ist, wenn man zufällig einen guten König hat. Das Unglück beginnt, wenn er nichts taugt und man ihn nicht wieder austauschen kann. Darum sei das Geschäft der Könige schließlich in Verfall geraten, und das Geschäft der industriellen Monarchen werde genauso zusammenbrechen, weil es so wenige Henry Fords gebe. Aus Bescheidenheit wollte Henry dies erst nicht zugeben, stimmte dann aber doch zu. Er erklärte, dass es in den Fordwerken keine Gewerkschaften gebe, weil die Arbeiter keine wollten. Wenn sie sie wünschten, so könnten sie sie bekommen.
Theodore Roosevelt war einer der härtesten Kritiker Henry Fords gewesen. So war Henry jetzt nicht wenig erstaunt, als der Schriftsteller behauptete, Ford und Roosevelt hätten die gleiche Geisteshaltung. »Ich habe mit ihm gesprochen, Mr. Ford, und ich musste den Versuch aufgeben, ihm die Augen über die wirtschaftlichen Kräfte und soziologischen Gruppen zu öffnen. Er kennt nur Individuen, gute und schlechte. Er sah Männer, die mit ihrem großen Reichtum in Wallstreet Verbrechen begingen, und er bekämpfte sie. Aber es war ein Krieg mit Worten, denn er wusste nicht, was er sonst gegen sie tun sollte. Nun ist seine Aufmerksamkeit auf die fremden Mächte gerichtet, und er möchte die Rute in Europa schwingen. Das aber bedeutet, dass er den Rest seines Lebens auf seiten der Reaktion kämpfen wird. Nehmen Sie sich in acht, sonst tun Sie das gleiche, Mr. Ford!«
In diesem Land des Sonnenscheins und der Orangenblüte lebte noch ein anderer amerikanischer Industrieller. Er war zwar nicht ganz so reich wie Ford, aber ebenso berühmt, denn sein Bild schmückte jede Packung Rasierklingen, die man in jenen Tagen kaufte. Auch er träumte von Brüderlichkeit und Frieden. Bis ins einzelne hatte er einen Plan ausgearbeitet, durch den die Industrieherren Amerikas den Wechsel von privater Anarchie zu öffentlicher Ordnung vollziehen könnten, ohne dass Zerstörung und Schaden entstünden. Sie sollten eine große >Volksgesellschaft< gründen, die das Geld des Volkes dazu benutzen sollte, die Aktien aller wichtigen Industrien aufzukaufen, um diese zum Nutzen der Allgemeinheit zu betreiben.
König Gillette war jetzt ein alter Mann und konnte diesen Plan nicht mehr selbst ausführen. Aber es war sein Traum, er möge einen führenden Mann der Geschäftswelt finden, der diese Aufgabe übernehmen wollte. Er musste mit Ford darüber sprechen. Sie trafen sich im Haus des Schriftstellers und tauschten dort zwei Stunden am Kamin ihre Gedanken aus. Es war wie der Zusammenstoß zweier Billardkugeln: Es gab einen scharfen Klick, sie flogen wieder auseinander, und keiner hatte etwas von der Farbe, Gestalt oder Substanz des anderen angenommen.
Henry Ford blieb der Superindividualist; am liebsten hätte er sogar die öffentlichen Schulen in private verwandelt. Er war überzeugt, früher oder später würde jeder die Richtigkeit seiner Methode einsehen: die besten Waren herstellen und sie zum niedrigsten Preis verkaufen. War das erst geschehen, so bedeutete dies Überfluss und Sicherheit der Existenz für alle. Niemand konnte ihn überzeugen, dass das Auto, diese neue Erfindung mit weltweiten Marktchancen, ein Sonderfall auf dem Gebiete der Industrie sei. Er behauptete, das gleiche gelte für Stahl, Zement, Gummi und Glas, ja für jede Art von Produktion, und er versicherte, er könnte alles und jedes zu einem billigen Marktpreis herstellen und dennoch jedem Arbeiter sechs oder sieben Dollar pro Tag zahlen.
Gillette war ein großer und starker Mann. Er sah so aus, wie der Zeichner sich einen Plutokraten vorstellt. Aber in diesem robusten Körper wohnten eine zarte Seele und die Empfindlichkeit eines Kindes. Er konnte den Gedanken, dass andere litten, nicht ertragen; er schrak vor dem Lärm der Meinungen und dem Wüten der Welt zurück. So lebte er ganz in seine Ideen versponnen - ein Sozialtheoretiker, der die Entwicklung des Kapitalismus von seinen primitiven Anfängen über seinen jetzigen Wirbel der Verwirrung bis zum unausbleiblichen und schrecklichen Zusammenbruch analysierte. Vierzig Jahre lang hatte er sich Notizen über die unendlich vielschichtigen Schäden gemacht, die der Kapitalismus verursachte. Er hatte so viel darüber geschrieben, dass er eigens einen Sekretär benötigte, um seine Bemerkungen und Notizen zu ordnen und seine Bleistifte anzuspitzen, damit er noch mehr Notizen machen könnte.
Der >Rasierklingen-König< vergeudete etwa eine Stunde damit, dem >Karren-König< den Irrsinn des Wettbewerbssystems begreiflich zu machen. Da stellte man blindlings Waren her, und jeder tat sein möglichstes, um dem anderen zu verheimlichen, was er wirklich herstellte. Und das Publikum täuschte man über die wahre Natur seiner Waren. Für jedes Beispiel von Schaden aber, der so der Allgemeinheit entstand, hatte der >Karren-König< eine Antwort, die sich bald auf den knappen Satz beschränkte: so etwas sei doch >erzieherisch<: »Die Leute werden daraus lernen, Mr. Gillette.«
»Ja, Mr. Ford, aber was werden sie lernen? Sie sagen, das ist erzieherisch, aber damit darf man sich nicht begnügen. Lernen heißt doch >belehrt werden<. Bevor man aber etwas lehrt, muss man zunächst doch wissen, woran man glaubt.«
»Das werden die Leute schon selbst herausfinden, Mr. Gillette!«
»Aber warum sollten Sie und ich es dann nicht auch für uns herausfinden? Sie sagen, man lernt aus seinen Fehlern. Nun, was haben wir denn beispielsweise aus dem Weltkrieg gelernt?«
Nach einigem Zögern erwiderte Henry Ford, der Weltkrieg habe die Völker gelehrt, dass sie einen Völkerbund brauchten.
»Also eine politische Organisation der Staaten. Aber sehen Sie denn nicht ein, dass diese Staaten sich verbünden und Machtpolitik treiben müssen, wenn deren Regierungen die Interessen ihrer Wirtschaften vertreten, die um Rohstoffe und Märkte miteinander im Wettstreit liegen? Und hat uns nicht gerade das den Krieg gebracht?«
Henry konnte das nicht einsehen. Und wenn er es auch einsah, so wollte er es doch nicht zugeben, nicht einmal vor sich selbst. Was sollte dann aus seinen ganzen Plänen werden? Er wollte doch Neuland erobern, neue Entwicklungen anbahnen, die Wasserkräfte neu nutzbar machen, die Produktion vermehren und die Erzeugnisse verbessern. Was würde aus all diesen Plänen werden, wenn er letzten Endes doch zugeben musste, dass, wie sehr man diese Dinge unter dem Profitsystem auch beschleunigte, man doch nur Überproduktion schaffe und Millionen von Menschen arbeitslos mache?
Irgendeiner der Neuen Propheten hatte Henrys Gedanken beeinflusst, sein Glaube an das Profitsystem grenzte an Mystizismus. Er hatte auch Jack Londons >Star Rover< gelesen und sich den Gedanken der Reinkarnation zu eigen gemacht. »Wir leben immer in der Ewigkeit«, sagte er jetzt. Gillette war bereit, jedem seine Ewigkeit zuzugestehen. Aber was sollte das hier? Warum diesen Gedanken hier einwerfen und damit das Denken über Erzeugung und Verteilung materieller Güter noch mehr verwirren? Am Ende dieser ergebnislosen Zusammenkunft sagte der Rasierklingen-König zum Karren-König: »Mr. Ford, in Ihrem Werk halten Sie auf Ordnung und dulden keine Vergeudung. Aber in der übrigen Welt sehen Sie Chaos und Anarchie, die verteidigen Sie, und diese Verteidigung nennen Sie Optimismus.«
Henry Ford kehrte im Frühjahr nach Detroit zurück. Es gab dort verschiedene Dinge, die seine Anwesenheit verlangten, unter anderem zwei Prozesse.
In den unruhigen Tagen des Jahres 1916, als es so aussah, als würden die Vereinigten Staaten mit Mexiko Krieg führen, hatte Henry Ford verkündet, jeder seiner Arbeiter, der sich zur Armee melde, werde seine Stellung verlieren. Die >Chicago Tribune< hatte ihn daraufhin einen Anarchisten genannt, und Henry war in Zorn geraten und hatte eine Klage über eine Million Dollar wegen Verleumdung angestrengt, obwohl er nicht einmal genau wusste, was ein Anarchist eigentlich war. Allerdings wussten die >Tribune< und ihre Leser ebenso wenig, dass das beste Beispiel für einen aktiven Anarchisten Jesus Christus gewesen wäre. Aber die Leser der >Chicago Tribune< würden jeden gelyncht haben, der ihnen das erzählt hätte. Für sie war das Wort eine Bezeichnung für einen gefährlichen Menschen, der sich nicht an die Gesetze hielt. Das beste Beispiel für einen solchen Menschen hätten sie jedoch in ihrer direkten Nachbarschaft finden können, nämlich im Verleger der >Chicago Tribune< selbst; sein Blatt, das sich >das größte der Welt< nannte, strebte mit allen Mitteln danach, Amerikas gehässigste und gemeinste Zeitung zu werden.
Die Verhandlung fand im Gerichtsgebäude der kleinen Stadt Mt. Clemens in Michigan statt. Es war wieder ein Schauspiel wie bei der >Friedensarche<, mit Texas Rangers und anderen Patrioten als Zeugen. Scharen von Reportern waren gekommen, die ganze Welt hörte aus der Ferne zu. Eine Verleumdungsklage verlangt die Erforschung der Lebensgeschichte, der moralischen und geistigen Entwicklung desjenigen, der die Klage vorbringt, und der arme Henry fühlte sich zwei oder drei Monate recht unwohl. Eine große Detektei war seit drei Jahren bemüht, alle Dummheiten und Fehler aufzudecken, die er jemals in seinem Leben gesagt oder begangen hatte. Die gerissensten Anwälte, die man nur auftreiben konnte, nahmen ihn jetzt ins Kreuzverhör und prüften ihn auf Herz und Nieren.
Sie legten Bücher mit vielen Fremdwörtern vor und forderten Henry auf, daraus vorzulesen - so wollten sie ihn lächerlich machen. Henry ließ einfach seine Brille zu Hause. Mochten die Leute nur glauben, er könne gar nicht lesen! Es war nämlich so: Er konnte zwar lesen, aber nur langsam, und er wusste nicht genau, wie er die Fremdwörter betonen sollte.
Auch vieles andere wusste er nicht. So antwortete er, als der Rechtsanwalt ihn nach Benedikt Arnold fragte, das sei wohl ein Schriftsteller. Die Englisch sprechende Welt jauchzte vor Vergnügen! Millionen Menschen mit Bücherweisheit durften sich einem Multimillionär überlegen fühlen. Aber der Durchschnittsamerikaner, der seine Wagen kaufte und mit ihnen fuhr, war weit mehr daran interessiert, dass er einen guten Starter baute, als dass er in amerikanischer Geschichte und englischer Dichtung beschlagen war. »Ich könnte in fünf Minuten einen Mann finden, der mir alles Wissenswerte darüber erzählt«, sagte Henry, und die meisten seiner Käufer meinten, das sei eine durchaus vernünftige Antwort.
Henry gewann seinen Prozess. Das Gericht entschied, er sei kein Anarchist, fand jedoch nicht, dass er eine Million Dollar verlangen dürfe, und billigte ihm nur sechs Cent zu. Henry fuhr heim und war um vieles weiser geworden. Er kannte jetzt nicht nur den Unterschied zwischen Benedikt Arnold und Arnold Bennett, er wusste jetzt auch, wie nutzlos Prozesse sind. Mochten die Zeitungen von nun an über ihn soviel lügen, wie sie wollten, er würde sich nicht drum kümmern und weiter Automobile bauen.
Henry hatte aber noch einen zweiten und weit wichtigeren Prozess. Der war von den Brüdern Dodge gegen ihn angestrengt worden, den beiden Inhabern jener Maschinenfabrik, die man mit Aktien der Ford-Company dafür bezahlt hatte, dass sie 650 Motoren bauten, die in die ersten Fordwagen eingebaut wurden. Bald danach hatte Dodge selbst begonnen, Wagen zu bauen. Jetzt war es eine große Gesellschaft. Aber sie besaß noch Aktien der Ford-Company. Doch was nützten die, wenn Ford nie Dividenden zahlte?
Darüber hatte Ford seine eigenen Ansichten. Er war nicht der Meinung, dass man für die Bereitstellung von Geld Zinsen zahlen müsse. Er lieh auch nie Geld von einer Bank. Er hielt es für falsch, Leuten Geld zu geben, das sie nicht durch nützliche Arbeit verdient hatten. So hatte er sechzehn Jahre die Gewinne der Gesellschaft dazu benutzt, sie in neuen Gebäuden, Land, Maschinen und anderen Dingen anzulegen, mit denen er Autos bauen konnte. Für Henry war das sehr schön, nicht so sehr für die Brüder Dodge. Die wollten das Geld haben, um Dodgeautos zu bauen - und Henry wollte Fordwagen bauen!
Die Dodges setzten bei Gericht eine Verfügung durch, die Henry Ford verbot, weiterhin Geld für den Ausbau seines Werkes zu verwenden, bevor er nicht seinen Aktionären ihre Dividenden ausgezahlt habe. Es kam zu einem Prozess, den Dodge gewann. Das brach Henry fast das Herz. Er gab die Fama heraus, er und Edsel würden eine neue Gesellschaft gründen und einen neuen Wagen bauen, der für 250 Dollar verkauft werden sollte. Damit schüchterte er die Minorität der Aktienbesitzer ein und kaufte ihre Aktien zu einem Bruchteil des Marktwertes. Immerhin war es noch das Tausendfache dessen, was sie einmal investiert hatten. Jener James Couzens, der Angestellter in einer Kohlenhandlung gewesen war und seine Ersparnisse hineingesteckt hatte, stieg mit 37 Millionen Dollar aus und benutzte das Geld, um sich damit zum Senator von Michigan zu machen. Henry konnte diesen Posten damals nicht bekommen. Aber da Couzens ein intelligenter Mann mit Weitblick war, wurde er ein guter Senator. Und das wäre Henry wahrscheinlich nicht geworden.
Die Zeitungen schrieben getreulich über diese Finanz-Transaktionen, und Abner las dem alten Tom die Zahlen laut vor. Sie dachten an jene Tage zurück, da Abner noch ein kleiner Junge war und sie zusammen losgegangen waren, um zuzusehen, wie Mr. Ford das Rudersteuer vor seiner Werkstatt in der Bagley Street ausprobierte. Es war die stolzeste Erinnerung ihres Lebens geworden, und sie erzählten allen Bekannten immer wieder ausführlich davon. Wenn sie nur damals die Zukunft erkannt hätten, die in dem Babywagen mit Motor lag! Hätten sie ihren Karren nur damals an Henrys Auto gehängt! Wie viel Geld hatten sie damals eigentlich auf der Sparkasse gehabt? Wenn sie es in Aktien der Ford-Company angelegt hätten, wie viel wäre es jetzt wohl?
Jeder, der Henry Ford damals gekannt hatte, stellte die gleiche Berechnung an. Millionen Amerikaner taten es und meistens aus keinem besseren Grund, als dass sie in Detroit lebten oder einen der Fords besaßen. Das war die Romantik Amerikas. Sie gab dem Leben der Menschen einen gewissen Glanz und erleichterte die Eintönigkeit ihres Alltags. Beim Geschäft war es wie bei der Heirat - es war eine Lotterie. Die Tatsache, dass solche Treffer gezogen wurden, gab dem Leben etwas Spannendes. Millionen Männer und Frauen lasen die Legende vom Reichtum der Ford, der Dodge, der Couzens und waren ebenfalls bereit, jede Chance des Spiels zu nutzen, die sich ihnen bieten würde. So machten sie es den Verkäufern von Schwindelaktien für Kohlengruben, Öl- und ähnlichen Wunderquellen leicht, ihnen jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar aus der Tasche zu ziehen.
Aber Ford kümmerte sich nicht darum. Das waren Erzählungen, die ins Fach des >Rasierklingen-Königs< gehörten.
John Crock Shutt, Abners ältester Sohn, war jetzt fünfzehn Jahre alt. Er war ein großer Junge mit rundem Gesicht und hellen blauen Augen. Seine Nase war wie bei seiner Mutter etwas gestupst, und sein Haar war widerspenstig und wollte sich keiner Frisur fügen. Er besuchte die Highschool und lernte dort alles, was er über Metalle und Maschinen lernen konnte. Dies war ein Glücksfall, der den Rest seines Lebens bestimmte.
Etwa ein Jahr bevor Amerika in den Krieg eintrat, hatte Henry Ford eine Berufsschule gegründet, um den Jungen weiterzuhelfen, welche die Schule frühzeitig verlassen mussten. Er wollte gut ausgebildete Facharbeiter aus ihnen machen, weil er sie brauchte. Es war eine Schule nach Fords Vorstellungen. Die Jungen lernten aus Büchern, aber sie arbeiteten auch praktisch und mussten Werkstücke in den verschiedenen Abteilungen des Fordwerkes herstellen. Dafür bekamen sie 35 Cent pro Stunde. Das war mehr, als sie verdienen konnten, wenn sie die Schule verließen.
In diese Schule aufgenommen zu werden, war Johnny Shutts ganzes Trachten. Er bewarb sich und vergaß nicht zu erwähnen, dass sein Vater seit ihrer Gründung Angestellter der Ford-Motor-Company sei. Er wurde geprüft,
man sah sein Schulzeugnis an und nahm ihn auf. Er konnte sich kaum vor Glück halten. Jetzt kam er jeden Tag nach Hause und erzählte Vater und Mutter von all den Wundern, die er gesehen und vollbracht hatte. Er lernte alles, was man vom Autobau wissen musste. Die große Ford-Organisation war jetzt seine Welt.
Für einen Jungen war nun alles klar. Leider sah es beim zweiten nicht so glücklich aus. Zu schade, dass Johnny nicht Henry Ford mit Vornamen hieß, das hätte ihm sicher in seiner Karriere noch geholfen. Hank, ihr zweiter Junge, war das, was die Lehrer einen schwererziehbaren Jungen nennen. Er schielte etwas, und vielleicht lag es hieran, dass er sich mit den Menschen nicht vertrug. Er belog seine Lehrer und seine Mitschüler; darum mochten sie ihn nicht. Er schwänzte die Schule, und als sein Vater ihn einmal bestrafte, lief er fort und kam nicht wieder. Seine Frau ließ ihm keine Ruhe, also ging Abner zur Polizei, um ihn suchen zu lassen. Wahrscheinlich bemühte man sich nicht allzu sehr, jedenfalls wurde Hank nicht aufgegriffen. Er kam erst wieder, als man ihm alles verzieh. Abner durfte ihn nicht wieder schlagen, weil er drohte, dann für immer zu verschwinden.
Danach schwänzte er die Schule, wann immer es ihm passte. Er verschwand auch des Nachts, und bald erfuhr man, was er trieb. Er gehörte zu einer jugendlichen Diebesbande, die Lastwagen aufbrach und die Ladung stahl. Die Polizei fasste ihn, und nun saß er im Kittchen. Seine Mutter weinte herzzerreißend. Sie konnte ihn nicht ans Herz drücken, weil die eisernen Stäbe sie trennten. Er bereitete seinen Eltern furchtbare Schande, und sie waren doch so ehrlich und mühten und plagten sich. Stets hatten sie ihre Kinder sonntags zur Kirche geführt, kaum dass sie laufen konnten. Wie war es nur möglich, dass eins ihrer Kinder so aus der Art schlug? Woran lag das? Milly und Abner konnten es nicht begreifen.
Abner musste einen halben Tag Urlaub nehmen und zum Gericht gehen. Er nahm den Pfarrer Orgut, seinen Pastor, mit, damit der bezeuge, dass Abner ein ehrbarer Mensch sei. Sie verhandelten mit dem Richter, und Hank Shutt bekam >Bewährung<. Einmal im Monat musste er sich bei einem Bewährungshelfer melden und über seinen Lebenswandel berichten. Das dämpfte ihn für einige Zeit. Er ging zur Schule, aber er fühlte sich nie wieder in seiner Familie oder in seiner Gemeinde zu Hause. Er war gezeichnet, galt als jugendlicher Verbrecher. Die Leute würden ihn immer von der Seite ansehen, und er würde immer über ihre dumme Ehrbarkeit grinsen. Ein schwieriger junger Bengel, das war er wohl. Aber es zeigte sich bald, dass es auch für ihn eine Chance gab.
Henry Ford dehnte seine Unternehmungen weiter aus. Jetzt hielt ihn kein Dodge oder Couzens mehr auf, er war Herr im eigenen Haus. Er, seine Frau und sein Sohn waren die drei Direktoren der Ford-Motor-Company, sie waren auch die einzigen Aktionäre. Er räumte gehörig auf. Wer nicht ganz und gar zu ihm stand, flog raus. Der Krieg hatte Henry geändert und ihn eine andere Art gelehrt, mit seinen Mitmenschen umzugehen. Keine Kreuzzüge mehr, keine Friedensschiffe und keine Idealisten mehr, die sich seiner bemächtigten und ihm seine Zeit stahlen. Von nun an war er nur noch Geschäftsmann und führte alles mit noch strafferer Hand. Dies hier war seine Industrie, er hatte sie selbst aufgebaut, und von den Leuten, die er anstellte, verlangte er, dass sie genau das taten, was er ihnen befahl.
Seine Haltung wurde schroffer, seine Sätze noch knapper. »Dankbarkeit?« sagte er. »Im Geschäftsleben gibt es keine Dankbarkeit. Die Menschen arbeiten für Geld.« Er begann viele seiner ältesten Mitarbeiter hinauszuwerfen, Leute, die seit den Anfängen für ihn gearbeitet hatten. Oft machte er sich nicht einmal die Mühe, es ihnen mitzuteilen, sie fanden am nächsten Morgen jemand anders an ihrem Arbeitsplatz vor. Immer öfter packte ihn der Jähzorn, kam so ein armer Mensch dann an seinen Arbeitsplatz, so fand er seinen Tisch mit einer Axt zerschlagen. Dem Mann konnte niemand helfen. Der Tisch >gehörte ihm< ja nicht, er gehörte Henry Ford. Wenn es ihm einfiel, ihn zu zerschlagen, oder wenn er einem Mann befahl, ihn zu zertrümmern, durfte er das etwa nicht?
Unter denen, die ihren Abschied nahmen, war der Geistliche, der die Soziale Abteilung geleitet hatte. Ehrwürden Marquis war in den fünf Ford-Dienstjahren ein weiser Ratgeber gewesen. Aber jetzt sah er, dass Ungerechtigkeiten begangen wurden. Er versuchte zu vermitteln, Henry tat so, als wüsste er nichts von diesen Dingen, die auf seinen ausdrücklichen Befehl geschahen. Er versprach eine Untersuchung, unternahm aber nichts. So kam Marquis zu der Überzeugung, dass die Zeit des Idealismus vorbei sei und dass es von nun an im Fordwerk keinen Platz mehr für einen Christen gebe. Als er abtrat, stellte Henry alle weiteren Überlegungen darüber ein, wie seine Angestellten ihr Geld ausgaben. Man hatte ihn wegen seiner Sozialabteilung angegriffen, so sagte er jetzt: »Also gut - sollen sie machen, was sie wollen.« Er war der Reformer und Idealisten müde, die ihn an jene Epoche seiner Karriere gemahnten.
Er zog auch Versprechungen aus jenen überschwenglichen Tagen zurück. Damals hatte er Präsident Wilson versprochen, er werde dem Staat jeden Dollar Kriegsgewinn zurückzahlen, und diese Versicherung mit allem Pomp veröffentlicht. 29 Millionen hatte er verdient und stellte nun fest, dass er sie behalten wollte. Aber er liebte gleichfalls den Ruhm und ließ zu, dass einer seiner Biographen - ein Freund seiner Frau - behauptete, er habe dem Staat das Geld zurückgezahlt. Der Finanzminister stellte fest, nirgends sei eine solche Zahlung verbucht.
Der Krieg hatte Werte von etlichen hundert Milliarden Dollar zerstört, und nach Henrys simpler Rechnung mussten diese Werte ersetzt werden. Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung stand also vor der Tür. Im ersten Jahr nach dem Waffenstillstand verdoppelten sich die Verkäufe von Fordwagen, und er sah seine Theorien bestätigt. Doch im Jahre 1920 gab es in Wallstreet einen Börsenkrach, und das Geschäft ging stark zurück. Sogar die Verkäufe der Fordwagen sanken ab. Henry behauptete, die Preise seien durch Spekulationen hochgetrieben worden. Deshalb setzte er seine Wagen von 525 auf 440 Dollar herab. Der Preis lag weit unter den Herstellungskosten, aber er konnte das tun, weil er das Material selbst lieferte.
Er hatte bisher hunderttausend Wagen pro Monat gebaut, und dabei wollte er bleiben. Die Verkäufe gingen trotzdem zurück, Henry musste sich eingestehen, dass er in einer üblen Lage war. Als sie die Anteile der Dodge und Couzens kauften, hatten Edsel und er Wechsel über siebzig Millionen Dollar unterschrieben. Fast die Hälfte
dieses Betrages war jetzt fällig, außerdem mussten achtzehn Millionen Dollar Steuern an den Staat gezahlt werden. Diese Tatsachen wurden bekannt, und Gerüchte verbreiteten sich, dass Ford Geld leihen wolle und keins bekommen könne. Es ist eine Eigentümlichkeit des Bankensystems, dass ein Geschäftsmann dann kein Geld bekommen kann, wenn er es braucht. Henry hatte oft darauf hingewiesen.
Es erschienen Berichte über Fords Schwierigkeiten im Wirtschaftsteil der Zeitungen, aber den las Abner nicht. Dann tauchte auch die Nachricht in den Titelseiten auf, und da las er es. Eine Gruppe New Yorker Bankiers hatten Beauftragte geschickt, die einen Plan ausarbeiten sollten, wie man Ford finanzieren könne. Die Grundzüge des Plans waren: Die Bankleute wollten einen Verwalter einsetzen, um die Verwendung des Geldes zu bestimmen. Wallstreet wollte den größten unabhängigen Produzenten der Vereinigten Staaten übernehmen. Ford konnte nicht einmal soviel Bargeld auftreiben, wie es dem zehnten Teil seines Vermögens entsprach.
Abner las diese Nachrichten und war bestürzt. Er sprach mit seinen Arbeitskollegen darüber: »Was geht das uns schon an!« meinten die Jüngeren, »Wir bekommen überall Arbeit. Und eine Arbeit ist so gut oder schlecht wie die andere.« Die älteren hatten noch einen Sinn für Treue und machten sich Sorgen. Aber sie konnten auch nichts ändern. Sie bauten weiter Wagen und überlegten, ob das Werk schließen würde und wann.
Henry Ford las diese Berichte auch, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Er baute weiter Autos, und jeder erklärte ihn für verrückt. Er hatte einen Plan; zur rechten Zeit sollte die Welt schon davon erfahren. Überall im Lande gab es Fordvertreter, mehr als siebentausend. Sie hatten die Verkaufskonzession, das war viel wert, die
meisten hatten all ihr Geld hineingesteckt. Die Zeiten waren jetzt zwar schlecht, aber der Wohlstand würde schon wiederkommen, und dann konnten sie froh sein, dass sie nicht abgesprungen waren.
Anfang Dezember führte Henry seinen Schlag aus. Er hatte einen riesigen Bestand an Wagen angehäuft, sie standen in 35 Montagewerken in allen Teilen des Landes. Jetzt schickte er seinen Verkaufsvertretungen ein Schreiben und teilte ihnen mit, sie hätten diese Wagen sofort zu übernehmen, jeder eine bestimmte Zahl, und zwar gegen Barzahlung. Etliche tausend Vertreter protestierten telegraphisch. »Unmöglich!«, sagten sie, »es bedeutet den Ruin.« Aber Henry war unerbittlich: »Jeder Händler, der seine Anzahl nicht übernimmt, verliert die Konzession.«
Henry musste von den Banken kein Geld leihen! Diese peinliche Aufgabe wälzte er auf seine Vertreter ab, auf die kleinen Leute. Die sollten jeder in ihrer Stadt leihen! Sie würden nichts unversucht lassen. Mit dem Bankier ihres Ortes würden sie sich zusammensetzen und mit ihm verhandeln; von ihren Freunden würden sie borgen oder eine Hypothek auf ihr Haus nehmen. Irgendwie würden alle das Geld aufbringen und es Henry schicken. Hatte denn Henry nicht den Wagen geschaffen und auch das Geschäft, von dem der Vertreter lebte? Was nützte dem aber die Fordvertretung, wenn es keine Fords mehr gab? Also red nicht lang und zahle!
Als der Autokönig den Markt mit seinen Wagen überschwemmt hatte, schloss er seine Fabriken. Für seine Arbeiter ein schönes Weihnachtsgeschenk! Es handle sich um eine >Reorganisation<, sagte man ihnen. Viele wussten nicht, was das Fremdwort bedeutete. Es sollte nur ein paar Wochen dauern. Aber durfte man das glauben? Die Ankündigung versicherte auch, sie würden den im Januar fälligen Bonus am ersten Januar bekommen. Aber auch dem trauten sie nicht.
Es waren >schlechte Zeiten<. Abner hatte seinen Kindern oft davon erzählt, und jetzt konnte er sagen: »Hab ich es euch nicht immer gesagt!« Er hatte etwas Geld gespart und stets darum gekämpft, dass es nicht ausgegeben wurde. Man hatte ihn deshalb einen Geizkragen genannt. Jetzt musste er Geld von der Sparkasse holen; ihm und Milly war zum Sterben elend. Er hatte das Haus reparieren wollen, aber er wagte nicht, das Material zu kaufen. Es fehlte auch der Mut zum Arbeiten. Wenn sie nun ihr Haus verloren! Sie hatten erst die Hälfte der Abzahlungen geleistet. Oh, daran durften sie gar nicht denken!
Abner saß zu Hause und brütete vor sich hin oder schlenderte die Straße entlang, um die Sache mit den Nachbarn zu besprechen. Es waren alles Fordleute, die ebenfalls zu Hause saßen und warteten. Ein Schneesturm gab einmal etwas Beschäftigung, und sie reinigten die Bürgersteige. Das war eine andere Arbeit als die am Fließband. Sie kamen dabei außer Atem. Abner hatte zugenommen und das für ein Zeichen der Gesundheit gehalten. Aber da irrte er sich, denn es war nur ein fetter Bauch. Seine Beine waren schwerfällig geworden, und vom vielen Stehen hatte er Krampfadern. Ein Boss am Fließband durfte sich niemals hinsetzen, und viele der Arbeiter durften nie im Stehen arbeiten.
Er versuchte die Sorgen mit seinen Kindern zu bereden, aber das war nicht leicht. Sie waren jung und selbstsicher. Sie kannten die Welt noch nicht. Die niedliche kleine Daisy hatte alles darangesetzt, eine Handelsschule zu besuchen. Sie wollte eine schöne Stenotypistin werden und Seidenstrümpfe tragen. Der kleine Tommy war jetzt elf Jahre; er wollte die Welt später einmal regieren. Er fing schon in der Schule damit an, wo es immer Unternehmungen und Veranstaltungen gab. Immer musste er irgendwohin und fand keine Zeit für Arbeiten im Hause. Es blieb ihm nicht einmal Zeit, seine Eltern näher kennen zu lernen.
Die Wartezeit dehnte sich auf sechs Wochen aus. Abner wollte die Hoffnung schon aufgeben, da brachte der Briefträger die Nachricht, er könne wieder anfangen. Nun sah er, was sein Arbeitgeber inzwischen getan hatte. Alle Überbleibsel der Rüstungsarbeit waren beseitigt, ein neues Werk war entstanden. Überall wurde bis aufs letzte gespart. Keine Abteilung und nicht einen einzigen Angestellten gab es, die für die Herstellung der Wagen nicht unbedingt notwendig waren. Keine Statistiken mehr, keine Wohlfahrtsarbeit mehr für die Arbeiter, keine Umschweife und keine Verzettelungen fortan! Sechzig Prozent der Telefonverbindungen wurden beseitigt. Junge Damen, die bisher seidene Strümpfe in den Büros getragen hatten, arbeiteten jetzt am Fließband der Magneten.
Bisher hatte man pro Wagen und Tag fünfzehn Leute beschäftigt. Das war jetzt auf neun gekürzt. In seinen öffentlichen Verlautbarungen erklärte Ford: »Das bedeutet nicht, dass sechs von fünfzehn Leuten ihre Arbeit verloren haben. Sie stehen oder sitzen jetzt nur nicht mehr unproduktiv herum.« Wollte man dieser Verlautbarung glauben, dann hätte das Werk die Produktion um 66 Prozent erhöhen müssen. Aber tatsächlich wurde genauso viel produziert wie vor der >Reorganisation<, nämlich viertausend Wagen pro Tag. Sie kürzten die Herstellungskosten für einen Wagen von 146 auf 93 Dollar. So sparte man 60 Millionen im Jahr. Das Ergebnis war, dass Tausende von Menschen sich in die Brotschlangen von Detroit und den benachbarten Städten einreihen mussten. Und dennoch veröffentlichte Henry Ford auch weiterhin Artikel in der >Saturday Evening Post<, in denen er bewies, dass die Entwicklung der Maschine keine Arbeitslosigkeit verursache.
Abner Shutt hatte bisher die Arbeit von fünf Leuten beaufsichtigt. Jetzt überwachte ein Vormann die Arbeit von zwanzig Leuten, und Abner war einer dieser zwanzig. Man stellte ihn ans Band zurück. >Wir wollen die Leute nicht verzärteln, die für uns arbeiten<, schrieb Henry, und so bemitleidete niemand Abner, als er seinen Posten verlor. »Der Mensch arbeitet fürs Geld«, sagte der Boss, und Abner bekam den geringsten Lohn, sechs Dollar pro Tag, und war noch dankbar dafür wie ein Hund für seinen Fraß.
Bei dieser >Reorganisation< kam das Chassis zu ihm, die Achsenmuttern waren schon aufgeschraubt. Abners Arbeit bestand nur darin, einen Splint durchzustecken und ihn zu spreizen. Der nächste Mann hatte einen Spatel und strich eine braune Schmiere in die Öffnung, schon war das Chassis zum nächsten Arbeiter gewandert, der die Schutzkappe aufschraubte. Abner konnte bei seiner Arbeit seine übermüdeten Beine ausruhen, aber sein Rücken begann abscheulich zu schmerzen. Die Arme fielen ihm fast herunter, weil er sie ewig ausgestreckt halten musste. Aber er strengte sich an, als gelte es das Leben. Er war jetzt über vierzig, und das ist für den Arbeiter in jeder Fabrik ein gefährliches Alter. >Wir verlangen, dass die Leute tun, was ihnen gesagt wird<, schrieb Henry.
In Dearborn, wo Henry Fords Büro war, gab es eine verkrachte kleine Wochenzeitung. Sie hieß der >Independent< und hatte etwa 700 Abonnenten. Um jemandem aus der Patsche zu helfen, hatte Ford sie für 1200 Dollar gekauft, und weil er nun einmal nichts nutzlos herumliegen lassen konnte, setzte er einen Herausgeber ein und sagte ihm, wie er das Blatt wieder auf die Beine zu bringen habe. Da er vor Ideen stets überkochte, gab er dem Herausgeber einige Richtlinien, die dieser verwirklichte. Außerdem mussten die Fordvertretungen eine bestimmte Anzahl subskribieren. So wurde die Ausgabe des >Dearborn Independent< auf 150000 erhöht.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Schriftsteller aus Kalifornien an einem Buch, das die Ehrlosigkeit der amerikanischen Presse aufdecken sollte. Viele seiner Gespräche mit dem Autokönig drehten sich um dieses Thema. Es war auch das einzige, was Henry wirklich interessierte. Er hatte seine Erfahrungen mit Zeitungen gemacht und stimmte gern zu: »Ja, das Land braucht eine Zeitung, die für das Wohl des Volkes spricht und den Mut hat, es über die wahren Geschehnisse aufzuklären.« Henry hatte dem Autor versprochen, er wolle diese Lücke im öffentlichen Leben Amerikas schließen. Er wollte den >Dearborn Independent< zu einem nationalen Organ mit einer Auflage von zwei bis drei Millionen machen.
Das Blatt unterstützte Präsident Wilson bei seinen Bemühungen um einen gerechten Frieden und um den Völkerbund. Aber allmählich merkte Henry, dass die Dinge sich nicht so entwickelten, wie er es gehofft hatte. Die Welt schien am Rande des Abgrunds. Es war ganz offenbar: Böse Kräfte waren am Werk! Sie durchkreuzten die Pläne guter Kapitalisten, wie er selbst einer war, die doch nur billige Automobile herstellen und ihren Arbeitern hohe Löhne zahlen wollten, damit sie sich einen Wagen kaufen konnten, um zur Arbeit zu fahren und noch mehr Wagen zu schaffen. Irgendwo war etwas faul im Staate! Henry Ford wollte die Übeltäter demaskieren, die dafür verantwortlich waren.
Boris Brasol, ein Exilrusse, kam Henry Ford wie gelegen. Er hatte die bösen Kräfte erforscht, die jetzt versuchten, Europa zu vernichten. In Brasols Heimat war ihnen das schon gelungen. Jetzt streckten sie in Ungarn die Hand nach der Macht aus, und in Deutschland waren sie auch schon nahe daran. Die Bolschewisten? Oh ja, das schon - aber wer stand hinter den Bolschewisten? Diese Frage leuchtete Henry Ford ein. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, folglich konnte er nicht anders denken: Es musste Geld dahinterstecken, wenn Dinge in größerem Ausmaß geschahen. So war es in der Politik, so war es auch im Weltkrieg gewesen. Bei der >Weltrevolution< konnte es zweifellos nicht anders sein.
Ein ehemaliger Agent der >Schwarzen Hundertschaft< lieferte Unterlagen. Sie waren sorgfältig zusammengestellt, sauber mit der Maschine geschrieben und mit einem Index versehen. Das vereinfachte das Zitieren. Henry Ford war entschlossen, jedem Menschen zu beweisen, dass die Übel der Welt ihre Ursache in einer Verschwörung der Juden hatten, dieser egoistischen und übelsinnigen Rasse, die nach der Weltherrschaft strebte.
Sehen Sie nur, Mr. Ford! Die Bankiers haben doch versucht, Ihnen Ihr Geschäft fortzunehmen. Wer sind sie denn, diese Bankiers? Juden! Alle internationalen Bankiers sind Juden! Rothschilds, Samuels, Barings, Belmonts und die Baruchs, Strauß', Warburgs und Kuhns, die Loebs, Kahns und Schiffs. Die Liste der Rüstungsmagnaten, die den Krieg anzettelten, liest sich wie die Gemeindeliste einer Synagoge. Und werfen Sie einen Blick auf die Liste der Revolutionäre - Trotzki und Radek, Sinowiew, Bela Kun, Liebknecht und Luxemburg. Wundert es Sie, dass die Juden Streiks und Revolutionen benutzen, um die Nationen ihrem Willen zu unterwerfen?
Hier sind die Beweise, Mr. Ford, die vor jedem Gericht bestehen können. Wir haben die Originaldokumente an einem sicheren Ort in einem Geheimfach: die Aussagen der Verschwörer selbst, die >Protokolle der Weisen von Zion<. Protokolle! Was ist denn ein Protokoll?
Henry Ford veröffentlichte im >Dearborn Independent< eine Artikelserie über das >Internationale Judentum<! Er legte die Protokolle der Weisen von Zion einem entsetzten Amerika vor. Er berichtete dem Land alles über das Jüdische Weltprogramm<, >das umfassendste Programm zur Unterjochung der Welt, das jemals ersonnen wurde<. Jüdische Agenten arbeiteten im geheimen daran, die arische Gesellschaft zu zerstören. Alle Übel der Welt, Kriege, Streiks, Aufstände, alle Revolutionen und Verbrechen, Trunkenheit, Epidemien, Katastrophen waren das Werk verworfener, boshafter Juden.
Die Zeitung blieb zwanzig Wochen lang bei diesem Thema. Sie schrieb: >Die Tatsachen in dieser Serie veröffentlichen wir nach strengster und sorgfältigster Prüfung.< Das amerikanische Volk, das Henry Ford als ehrlichen und tüchtigen Geschäftsmann kannte, war bereit, diese Wahrheit zu glauben, er gab sein Wort dafür.
Einige Juden in Amerika protestierten und versuchten sogar, auf diese Artikel zu antworten. Da begann Henry, der nie eine Arbeit nur halb tat, Material über die amerikanischen Juden und ihr Tun zu sammeln. Er verlegte den größeren Teil seiner Spionageabteilung von Dearborn nach New York. Er veröffentlichte eine Artikelreihe >Die Aktivität der Juden in den Vereinigten Staaten<. Dann folgte eine andere: Jüdischer Einfluss auf das amerikanische Leben<, dann Betrachtungen über die Macht der Juden in den Vereinigten Staaten. Er wies nach, dass die Juden Bühne und Leinwand beherrschten und so die Moral Amerikas zerstörten. Das taten sie nicht etwa, weil es Geld einbrachte. O, nein! Alles war nur ein perfides Mittel, die amerikanische Zivilisation zu zerstören. Trunksucht breitete sich aus und nicht etwa deshalb, weil die Juden am Alkohol Geld verdienten, sondern weil sie wünschten, dass Amerika sich dem Trunke ergäbe. Juden beherrschten den Textilhandel, deshalb trugen die amerikanischen Mädchen kurze Röcke. Juden beherrschten die Musik, deshalb lauschte das amerikanische Volk dem Jazz und tanzte sich verrückt. Der weiße Sklavenhandel, der Anstieg des Bodenzinses, die Abwanderung vom Lande in die überfüllten Städte, die Ausbreitung des Bolschewismus und der Evolutionstheorie, all das waren nur Mittel der Verschwörung der Juden gegen die arische Menschheit.
Henry führte diesen Kreuzzug fast drei Jahre lang. Nachdem die Artikel in der Zeitung erschienen waren, wurden sie als Broschüren gedruckt. Das gab fünf Bände mit je 250 Seiten. Sie kosteten 25 Cent pro Band - noch ein Erzeugnis der Massenproduktion. Die Landbevölkerung Amerikas und die >reinblütigen< Amerikaner in den Städten, die den >Dearborn Independent< bezogen, kauften diese Broschüren und studierten und befragten sie wie die Heilige Schrift.
Henry hatte einmal gesagt, »Geschichte ist wertloses Zeug«; aber damit war natürlich nicht die Geschichte gemeint, wie sie in den >Protokollen der Weisen von Zion< vorlag. Oder gar die Geschichte des Benedikt Arnold und seines >jüdischen Verführers<, der Quartiermeister der amerikanischen Armee war und den unglücklichen jungen Offizier ins Verderben stürzte. Henry hatte Benedikt Arnold kennen gelernt und konnte ihn jetzt auch von Arnold Bennett unterscheiden. Er hatte auch alles Material über die Bolschewisten und ihre Revolution in Russland aufgetrieben. Diese Art >Geschichte< erzählte er den einfachen Menschen Amerikas; und das war kein wertloses Zeug<.
»Alle jüdischen Bankiers leben noch in Russland. Nur die Nichtjuden wurden damals erschossen, nur ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Der Bolschewismus hat nicht das Kapital abgeschafft, er hat nur das Kapital der Nationalen Russen gestohlen. So wird es jeder jüdische Sozialismus, Anarchismus oder Bolschewismus machen. Jeder Bankier, den man mit Dollarnoten am Rock in den Zeitschriften karikiert, ist ein Nationaler Bankier; jeder Kapitalist, der in roten Streitschriften öffentlich beschuldigt wird, ist ein Nationaler Kapitalist. Jeder große Streik bei den Eisenbahnen, bei Stahl und Kohle ist gegen die Nationale Industrie gerichtet. Das ist der Zweck der Roten Bewegung. Sie sind Verbündete, der Jude und der Antichrist.«
Abner Shutt bezog den >Dearborn Independent<. Er kostete einen Dollar fünfzig im Jahr, also noch nicht einmal drei Cent pro Ausgabe. Es war die einzige Zeitschrift, auf die er je abonniert war, außer dem Wochenblatt der >Wahren Gläubigen<. Er las gutgläubig jedes Wort, und als die Broschüren im >Independent< angekündigt wurden, bestellte er sie. Es war das erste Buch, das er sich in seinem Leben kaufte. Die Familienbibel hatte Milly zur Heirat als Geschenk bekommen. So vieles von den Vorgängen in der Welt war ihm geheimnisvoll gewesen. Hier wurde es ihm erklärt! Er sprach darüber mit seinen Kollegen im Werk, die die Wahrheit dieser Schrift bezweifelten.
Abner selbst hatte bisher nichts mit Juden zu tun gehabt. Aber von nun an sah er sich die Gesichter der Handelsvertreter, die an seine Tür kamen, genau an und lernte jüdische Züge erkennen. Aus dem >Dearborn Independent< kannte er nun jüdische Namen. Bemerkte er solche auf einem Schild über einem Laden, so trat er dort nicht ein und musste häufig ziemlich lange herumsuchen, bis er sich eine neue Mütze oder ein Paar Socken in Highland Park kaufen konnte.
Er warnte auch die Kinder davor, sich mit dieser üblen Rasse einzulassen. So erfuhr er jetzt auch, dass der Anführer der Bande, welche die Lastwagen beraubt hatte, Levy hieß. Damit war natürlich alles erklärt, und das machte Abner etwas geneigter, seinem Sohn zu verzeihen. Abner sprach mit ihm darüber und erfuhr die Namen von Leuten hier in der Stadt, die durch Spiel, Whisky und Verkauf gestohlener Waren Geld machten. Einige Juden waren darunter. Abner merkte sich ihre Namen.
Er merkte sich auch eine Lehrerin, die es wagte, seinem Sohn Tommy zu erzählen, Mr. Fords Material über die Juden sei nicht stichhaltig. Der Name der jungen Lehrerin war O'Toole. Das war zwar nicht verfänglich, aber darauf konnte man sich nicht verlassen. Abner war durch Henry darauf hingewiesen worden, wie oft die Juden ihren Namen verdeckten. Wenn man nachforschte, fand man wahrscheinlich heraus, dass die Lehrerin ursprünglich Otulinski hieß oder sonst irgendwie so ausländisch. Als er diese Informationen sammelte, war es noch nicht viel mehr als Neugier. Eines Abends aber kam ein Mann zu ihm, der Abners Namen aus der Subskriptionsliste der Zeitung hatte. Dieser Mann gehörte einer Bürgergruppe an, die sich mit Worten allein nicht zufrieden geben wollten, sondern Taten verlangten. Die Verräter und Revolutionäre waren organisiert, Amerika musste ein Gleiches tun. Früher gab es einen Bund, den Ku Klux Klan, dessen Trachten es gewesen war, die Negeraufstände im Süden niederzuhalten. Das war ein Stück Geschichte, kein wertloses Zeug<. Jetzt sollte dieser Bund wieder ins Leben gerufen werden, um Juden, Katholiken, Rote und ähnliche Feinde niederzuschlagen. Sie suchten Leute wie Abner, und dieser versicherte, er hätte selbst schon nach solch einem Bund Ausschau gehalten.
Er zahlte zwanzig Dollar, seinen halben Wochenlohn. Man führte ihn in einen Saal, kleidete ihn in ein weißes Gewand mit Kapuze und einem roten Kreuz auf der Brust. Er ließ ein feierliches Zeremoniell über sich ergehen und schwor gräuliche Eide, die er sich Wort für Wort zu Herzen nahm. Man lehrte ihn geheime Losungsworte und gab ihm Namen und Adresse seines >Führers<. Dann schickte man ihn los, um Informationen über die Verräter in Amerika zu sammeln.
Wenn er einen gefunden hatte, wurde eine Versammlung der Klanmänner einberufen. Man fertigte ein Schild an, mit Kreuzen darauf und Worten in roter Schrift, nagelte es an die Tür des Verräters: >Der Klan wacht!<. Um die Verräter in Furcht zu versetzen, versammelten sich von Zeit zu Zeit des Nachts Hunderte weiß gekleideter Gestalten auf einem Felde. Sie trugen ein hohes Kreuz, das sie aufrichteten und anzündeten, damit alle Welt es sehen könnte. War das Feuer niedergebrannt, so ging Abner heim und hatte wieder das sichere Gefühl, das Nationale Protestantische Amerika sei gerettet.
Henry suchte weiter nach dem Schmutz der Juden. Er nahm sich einen Fall nach dem anderen vor und präsentierte ihn der Öffentlichkeit. Natürlich geschah das nie ohne gewissenhafte und gründlichste Prüfung. Bis er schließlich an einen Juden mit Namen William Fox, einen Hersteller von Wochenschauen, geriet. Henry sammelte viel Material über die Geschäftsmethoden von Fox und die Unmoral seiner Bilder. Fox erfuhr von den Nachforschungen Fords. Er schickte ihm einen Boten, der Mr. Ford mitteilte, er, Fox, habe auch Untersuchungen angestellt. William Fox hatte eine Wochenschau, die zweimal in der Woche zu Tausenden von Kinos fuhr. Fox ließ Mr. Ford mitteilen, dass erschreckend viele Fordwagen Unfälle gehabt hätten. Er werde seine Kameraleute, und er hatte Hunderte davon, im ganzen Lande Nachrichten und Berichte über Unfälle von Fordwagen sammeln lassen. Auch Bilder der zerstörten Wagen mit allen Einzelheiten sollten sie bringen und wie viele Leute getötet wurden, wie viele Hinterbliebene es gab und so weiter. Fachleute sollten dann untersuchen, welcher Defekt den Unfall verursacht hatte. Die Kameraleute würden jede Woche Hunderte von Berichten schicken, und William wolle nur die besten für seine Wochenschau auswählen.
Diese Botschaft wirkte sofort. Henry sandte William eine Antwort: »Ich habe mich entschlossen, den Kampf gegen die Juden einzustellen.«
Er wurde eingestellt, und Abner Shutt, der gläubige Abonnent, las nichts mehr über die Verbrechen der Juden. Das betrübte ihn nicht, er hatte ja die fünf Bände, in denen er stets nachlesen konnte. Der Ku Klux Klan verbrannte weiter seine Kreuze und graulte einige jüdische Händler fort, die die Preise unterboten hatten. Außerdem verschreckten sie ein paar Männer, die im Verdacht standen, außerehelich mit Weibspersonen zu verkehren.
Ein Jude namens Sapiro hatte gegen Henry Ford einen Verleumdungsprozess angestrengt und fünf Millionen Dollar Schadensersatz verlangt. Einige Jahre lang nutzte Henry jedes nur mögliche Mittel, um zu verhindern, dass der Fall zur Verhandlung käme. Doch schließlich hatten die Bemühungen keinen Erfolg mehr, und als ersten Schritt zu einem Vergleich gab der Automagnat eine Presseerklärung heraus: Er habe bis heute keine Zeit gefunden, all das zu lesen, was der >Dearborn Independent< veröffentlichte. Jetzt hätten ihm einige Freunde erklärt, die Anschuldigungen und Anklagen gegen die Juden seien unwahr. Daraufhin habe er nun zum ersten Mal dieses Blatt gelesen, und er sei »tief erschüttert, dass dieses Blatt, das dem Aufbau dienen sollte, zu einem Werkzeug gemacht worden sei, erfundene Anschuldigungen zu verbreiten.« Es treffe nicht zu, dass die Juden eine Verschwörung planten, um die Welt zu unterjochen. Die >Protokolle der Weisen von Zion< hätten sich als Schwindel erwiesen. Hätte Henry vorher ihren wahren Charakter gekannt, so »würde ich ihre Veröffentlichung ohne auch nur eine Sekunde Zögern untersagt haben«. Henry fuhr fort und schlug sich an die Brust:
»Ich halte es für meine Pflicht als Ehrenmann, die Juden für das Unrecht, das ihnen als Mitmenschen und Brüdern geschehen ist, zu entschädigen. Ich bitte sie daher um Vergebung für das Unrecht, das ich ihnen ohne Absicht zugefügt habe, und, soweit es in meiner Macht liegt, nehme ich die beleidigenden Anschuldigungen zurück, die man ihnen zur Last gelegt hat. Ich gebe ihnen die uneingeschränkte Versicherung, dass sie fortan auf mich in Sachen der Freundschaft und des guten Willens rechnen können.«
Sehr schön, wirklich sehr schön! Aber Henry Ford hatte auch eine Autobiographie unter dem Titel >Mein Leben und Werk< veröffentlicht. Darin sprach er in der ersten Person, erklärte sich eins mit dem antisemitischen Feldzug; ja, die schlimmsten Anschuldigungen waren darin angeführt und nochmals hervorgehoben. In diesem Buch wurde der jüdische Einfluss als >schmutziger Orientalismus< gebrandmarkt, >der jede Ader der öffentlichen Meinung heimtückisch vergiftet habe<. In diesem Buch forderte Henry die besseren Juden auf, >die überholten Ideen rassischer Überlegenheit fallenzulassen, die in einem wirtschaftlichen oder moralischen Vernichtungskrieg gegen die christliche Gesellschaft noch aufrechterhalten werden.< Von sich selbst erklärte er in dieser Biographie, er habe in seinen antisemitischen Schriften verderbliche Ideen ans Licht gezerrt, welche die Volksmoral untergrüben. Er forderte das amerikanische Volk zu der Einsicht auf, >es handele sich dabei nicht um naturbedingten Verfall, sondern um wohlberechnete Heimtücke, die uns zerstören soll<.
Hatte Henry Ford keine Ahnung von dem, was er in seiner eigenen Biographie geschrieben hatte? Oder war er jetzt schon so groß, dass die Wahrheit ihn nicht mehr kümmerte?
Tom Shutt, der Jüngste, war jetzt fünfzehn und sollte bald die Highschool besuchen. Ein kräftiger Bursche - war er doch in einer Zeit aufgewachsen, als die Familie reichlich zu essen hatte. Er besaß zwei große Vorderzähne wie sein Vater, aber die blauen Augen hatte er von seiner Mutter und auch das lockige braune Haar, das den Mädchen so gut gefiel. Abner fand es schlimm, dass Tom nicht wie er dachte. Der teilte die allgemeine Dankbarkeit der Familie gegen Henry Ford nicht, sondern behauptete, Ford habe aus seinen Arbeitern mehr herausgeholt als sie jemals aus ihm. Er hielt auch nichts von dem >Klan<, im Gegenteil - er nannte ihn eine gemeine Bande. Abner wollte ihn deshalb verprügeln, aber Milly hatte noch genug von den Erfahrungen mit Hank. Sie schlang die Arme um ihren Jungen und schrie.
Abner lernte seinen Mund halten und musste die Kinder reden lassen, was sie wollten. Er sprach mit seinen Freunden darüber und kam zu der Überzeugung, die Schuld daran hätten die Lehrer in der Schule. Die >Roten< hatten sich dort eingeschlichen und setzten den Kindern >unamerikanische Ideen< in den Kopf. Bald müsste man etwas dagegen tun, erklärten die hundertprozentigen protestantischen Stammamerikaner.
Der Klan >wachte< weiter und bereitete sich auf seinen größten Kampf seit seinem Bestehen vor. Man wollte im Weißen Haus Fuß fassen. Im ganzen Lande hatten die Klan-Männer, die auch zur Kundschaft Fords gehörten, den Gedanken gefasst, Henry Ford zu ihrem Kandidaten zu machen. Hier im Ort war ein Klub gegründet worden: >Ford aus Dearborn - unser Präsident!< Dieser Klub hielt Versammlungen ab und machte in den Zeitungen unablässig Propaganda. Alle Mitglieder trugen ein Hutband mit der Aufschrift >Wir wollen Henry<. Eins dieser Bänder bekam auch Abner, er fragte aber nie, mit wessen Geld es wohl bezahlt war. Milly musste es ihm auf die Mütze nähen, und er trug es stolz zur Arbeit.
Es war ein seltsamer Wahlfeldzug. Niemand wusste, ob der Kandidat Demokrat oder Republikaner war. Der Kandidat erklärte sich nicht. Wahrscheinlich wusste er es selbst nicht. Henry baute weiter Wagen. Eineinhalb Millionen waren es jetzt pro Jahr, und man näherte sich zwei Millionen. Obwohl er den Preis immer wieder herabsetzte, hatte er jährlich einen Gewinn von hundert Millionen Dollar. Er war einer der zwei oder drei Milliardäre geworden, die es auf der Welt gab.
Schon hatte er den zehnmillionsten Fordwagen hergestellt und schickte in auf eine Werbefahrt durch die Vereinigten Staaten. Da zeigte sich, wie populär er war! Wohin das Auto auch kam, empfing ihn die Bevölkerung mit Paraden und Musikkapellen. Die stolzen Besitzer der uralten Fords - Abner hatte ihnen noch eigenhändig die alten Wagenlaternen aufgeschraubt und die gepolsterten Sitze aufgelegt - holten ihre alten Karren aus dem hintersten Winkel hervor und holperten mit ihnen dem Ururenkel zur Begrüßung entgegen. Als der Wagen nach Hollywood kam, machte er seinen Weg durch alle Studios. Die Filmstars kamen heraus, begrüßten ihn und wollten am Steuer fotografiert werden.
Hunderte von Vereinen >Ford, unser Präsident< wurden gegründet, und die Meinungsumfragen der Zeitungen und Zeitschriften zeigten Henry mit weitem Vorsprung vor allen anderen Kandidaten, sogar vor Präsident Harding. Riesige Summen wurden für diese Kampagne ausgegeben. Woher kam das Geld eigentlich? Man war klug genug, das zu verschweigen. Soviel war klar: Henry konnte bei dieser Sache nichts verlieren. Denn gab es eine bessere Reklame als durch die Stimmzettel einer nationalen Wahl? Wallstreet fürchtete seine Kandidatur so sehr, dass ein Börsianer dort eine Versicherung gegen seine Wahl über 400000 Dollar abschloss.
Präsident Harding, ein Politiker von Kleinstadtformat, von Betrügern umgeben, starb an gebrochenem Herzen. Der Vizepräsident nahm seinen Platz ein, und damit war das Problem für Henry und den Klan gelöst. Dies war ja ihr Mann! Und sogar schon in Amt und Würden! Ein weißer Stammamerikaner, Protestant und hundertprozentiger Vermont-Yankee, handfest, schweigsam - der starke, verschwiegene Staatsmann Cautious Calvin. In seinem kleinen Farmhaus im Gebirge weckten sie ihn im Morgengrauen und ließen ihn den Amtseid schwören. Dann brachten sie ihn rasch nach Washington, damit er sich einer Nation annähme, die durch Ausbeuter, Spekulanten, Juden, Neger, Katholiken und Bolschewisten bedroht war.
Henry besuchte Calvin, und sie hatten eine Geheimkonferenz. Das Resultat war, dass Calvin alle Vorschläge des Henry Ford billigte. Dafür trat Henry von seiner Präsidentschaftskandidatur zurück. >Zeigt Coolidge die kalte Schulter!< Mit diesem Motto betrieben der Autokönig und der Klan nun die Wiederwahl ihres Mannes.
Nun waren wieder glückliche Zeiten ausgebrochen. Die amerikanische Industrie, die sich Henry Fords Politik der Massenproduktion und der niedrigen Preise zu eigen gemacht hatte, ermöglichte es jedermann, von allen Reichtümern seinen Teil zu erwerben. Zeitungen, Volkswirtschaftler und Staatsleute stimmten darin überein, dass der amerikanische Erfindungsgeist das uralte Problem der Armut aus der Welt geschafft habe. Niemals wieder konnte es eine Depression geben! Dies war das Zeitalter des >neuen Kapitalismus<.
Henry hatte einen unerschöpflichen Markt für seine Wagen. Er beschäftigte über zweihunderttausend Leute und zahlte jährlich eine Viertelmilliarde Dollar an Löhnen. Im gehörten 53 verschiedene Industrieunternehmen; man konnte sie nach dem Alphabet aufzählen, mit Aluminium beginnen und mit Wasserkraft aufhören. Er kaufte eine zusammengebrochene Eisenbahngesellschaft und machte sie rentabel; er kaufte Kohlengruben und verdreifachte ihre Erzeugung; er entwickelte neue Verfahren -sogar der Rauch, der früher aus den Schornsteinen qualmte, wurde jetzt in Autoteile verwandelt.
Die Familie Shutt war ein Teil seines großen Reiches. Auch sie kam voran. An fünf Tagen in der Woche, mochte es regnen oder die Sonne scheinen, fuhr Abners >Karre< nach Highland Park hinaus. Er hatte jetzt einen besseren Wagen. Der Preis war auf 300 Dollar gefallen, und jeder Mann, der Arbeit hatte, konnte ihn auf Monatsraten kaufen. Johnny hatte seinen eigenen brandneuen Ford. So waren die Shutts nun eine Familie mit zwei Autos - ein großer Schritt voran war das, wenigstens behauptete das Mr. Ford.
Johnny, immer ernsthaft und fleißig, hatte die Schule beendet und arbeitete jetzt als Schweißer. Das war gelernte Arbeit, die ihm sieben Dollar fünfzig pro Tag einbrachte. Nach knapp einem Jahr war er Vormann und erhielt neun Dollar fünfzig. Es machte sich schon bezahlt, wenn man etwas gelernt hatte.
So seltsam und unerwartet es scheinen mochte, auch der zweite Sohn Hank hatte sein >Einkommen<. Hank hatte zwar keinen Titel und prahlte nicht mit seinem Beruf, außer vor ein paar Vertrauten. Aber er verdiente die >Butter aufs Brot<, wie er es nannte, oder sein >Schmalz<. Wenn er ausging, trug er seidene Hemden und Kragen, messerscharfe Bügelfalten in den Hosen, glänzende neue Schuhe und gab sich erfolgreich und unbekümmert. Oft kam er heim und steckte seiner Mutter einen Schein zu, sagte ihr, sie solle sich etwas dafür kaufen, um sich das Leben leichter zu machen. Er gab seinem alten Großvater ein paar Dollar, damit er immer Tabak hatte. Er war ein goldener Junge.
Hank sagte, er arbeite für die beste Gesellschaft von Detroit. Für all jene, deren Namen in den Parlamentsprotokollen standen und deren Bilder man in den Gesellschaftsrubriken der Zeitungen fand. Gleich nach dem Krieg hatte Amerika für die Prohibition gestimmt; aber die besagte beste Gesellschaft war etwas freier und umging das unbequeme Gesetz. Ganz nahe bei Detroit, auf der anderen Seite des Flusses, lag ja ein freies Land, das mit kanadischem Whisky, westindischem Rum und französischen Weinen bestens versehen war. Es war ein einträgliches Geschäft, diese Artikel über den Fluss zu schmuggeln, und die Arbeit, sie ins Land zu bringen und vor Tagesanbruch zu verstecken, verlangte wendige junge Männer, die mit einem Wagen umgehen konnten, im Notfall auch einmal mit einer Maschinenpistole oder einem Stutzen.
Wie weit war das von der Kirche der >Wahren Gläubigen< und ihren strengen Vorschriften der Abstinenz entfernt! Je weniger Abner von den Geschäften seines Sohnes erfuhr, um so besser für ihn. Hank arbeitete, während Abner den Schlaf eines Fließbandarbeiters schlief - und die hatten einen tiefen Schlaf. Schwester Daisy war die einzige aus der Familie, die von Hanks Geschäften wusste. Sie hielt zu ihm, gab ihm gute Ratschläge und versuchte ihn aus den schlimmsten Geschichten herauszuhalten. Das war eine sonderbare Situation: Daisy war doch ein Mädchen, das auf rechten Wegen wandelte und ein frommes Mitglied ihrer Kirche war, dennoch kannte sie Geheimnisse aus der Detroiter Unterwelt.
Eine scheußliche Welt! Es konnte einem schon einen Schreck einjagen, wenn man nur davon hörte. Alles war von oben bis unten verdorben, nach Hanks Reden. Die Polizei war bestochen, das politische Spiel reiner Schacher; hatte man Geld genug, konnte man alles und jeden kaufen. Und Hank wollte dabei auch >seinen Schnitt< machen. Aber es war eine fragwürdige Art von Erfolg, seine Schwester hatte Mitleid mit ihm. Auf einem Auge schielte er, gab ihm das ein Gefühl der Minderwertigkeit? Hatte das ihn in die Opposition getrieben? Wie dem auch sein mochte, Daisy liebte dieses schwarze Schaf von einem Bruder nun einmal. Sie lauschte seinen Prahlereien und bewahrte sie in ihrem Herzen.
Daisy hatte eine Zeitlang in einem Kaufhaus mit Einheitspreisen gearbeitet und ihr Geld gespart. Jetzt lernte sie auf einer höheren Handelsschule die Dinge, die eine Sekretärin können muss. Aber keine Schule hatte sie Eleganz lehren müssen; wozu seidene Strümpfe, Lippenstift, Rouge und Dauerwelle gut waren, das erfasste sie von selbst. Die Natur hatte ihr eine zarte Schönheit geschenkt und dazu den Trieb, sie einzusetzen. Ihr Blick war auf höhere Regionen gerichtet, dorthin, wo in wunderbaren und eleganten Büros eine Stenotypistin die Bekanntschaft leitender Angestellter machte, die nur weiße Hemden bei der Arbeit trugen. Die Shutts hatten keineswegs den Wunsch, der Arbeiterklasse erhalten zu bleiben, sie hätten die harte und schweißige Arbeit dieser Welt gern jenen überlassen, die sie >Hungerleider< und >arme Teufel< nannten.
Tommy, der Jüngste, war auf der höheren Schule, und auch er fand eine Leiter, die nach oben führte. Er war ein schneller Läufer und hatte ein flinkes Auge. Er bewährte sich in einer Football-Mannschaft und entdeckte, dass es Förderer gab, die am Sieg der Mannschaft interessiert waren und Geld für Sweater und Reisekosten stifteten. So konnten Söhne armer Eltern sportlich Karriere machen.
Später kam ein >Kundschafter< von der Mannschaft des Ann Arbor Michigan Colleges. Dort wurde Talent noch weit besser bezahlt. Zwar musste alles unter der Hand geschehen, um keinen Preis durfte College-Football zum Profi-Sport werden. Aber wenn Tommy Shutt nach Ann Arbor kommen wollte, wenn er mit der Highschool fertig war, so würden gute Freunde schon dafür sorgen, dass er eine Arbeit bekam, die ihm ein angenehmes Leben gestattete und nicht mehr als drei Stunden seiner kostbaren Trainingszeit beanspruchte. Abner kam von seinem Achtstundentag nach Hause. Er hatte den ganzen Tag Splinte eingesteckt und aufgebogen und hörte sich nun das verrückte Gerede seines Sohnes an. Der wollte aufs College! Als er aber Näheres über dieses Angebot hörte, wurde ihm wieder einmal klar, dass Amerika doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war.
Henry Ford war jetzt nahe an seinem Ziel, zwei Millionen Wagen pro Jahr herzustellen. Er brachte die Kohle aus seinen Gruben in West-Virginia mit eigenen Eisenbahnen heran, er holte die Erze aus seinen Gruben in Michigan auf eigenen Schiffen und zeigte der Welt ein Wunderwerk der Industrie. All die Prozesse der Umwandlung des Erzes in Stahl, das Zerschneiden, die Umformung in Autoteile durch eine Hundert-Tonnen-Druckstanze und endlich die Zusammensetzung von fünftausend Teilen zu einem Automobil, das mit eigener Kraft vom Fließband fuhr -alle diese Prozesse dauerten nur etwa 36 Stunden, von dem Augenblick an gerechnet, da das Erz in River Rouge ausgeladen wurde.
Jetzt liefen etwa 45 000 Maschinen und stellten Fordwagen her. In sechzig verschiedenen Werken waren sie über die Vereinigten Staaten verteilt. Die Einzelteile wurden auf Fords Schiffen zu den Montagewerken in 28 ausländischen Staaten gebracht. Ob das Ford-Modell T in Yokohama, Köln oder in Buenos Aires zusammengesetzt wurde, stets waren seine Teile gleich, und man konnte sie auswechseln. Wo auch immer man damit fuhr, auf den Pässen des Himalaja oder im Dschungel des Chaco, überall fand man jemanden, der die Instandsetzung und Reparatur des Wagens gelernt hatte. Henry ließ die Landstraßen Amerikas zu neuem Leben erwachen. Er würde schließlich auch die Landstraßen der ganzen Welt wieder beleben. Mit Tankstellen und Würstchenbuden nach amerikanischem Muster wollte er sie ausstatten.
Die Leute werden reisen und sich verstehen lernen, bessere Produkte sehen, und das Verlangen danach wird in ihnen geweckt werden. Schließlich werden sie vernünftig werden und auch vernünftig denken. Das war Henrys Plan gewesen, und manchmal glaubte er noch, dass er ihm gelänge, aber mit den Jahren packte ihn immer häufiger der Zweifel. Er verlor seinen blinden Optimismus, wurde argwöhnisch und bitter. Es gab zu viele Dinge auf dieser Welt, die nicht nach seinem Geschmack waren.
Er schrieb nun selbst Bücher, die voll guter Ratschläge und Richtlinien für die Menschheit waren. Aber es nutzte nichts. Der >schmutzige Orientalismus<, breitete sich immer weiter aus. Die Mädchen trugen noch kurze Röcke, die Leute lauschten noch dem Jazz und tanzten danach. Ja, sie begannen sogar, den Ford Modell T zu
kritisieren! Sie sagten, ihm fehle Schönheit und Grazie. Auch die Farben fehlten, da es ja bis jetzt nur schwarze Wagen gab. Wie konnte man das Land vor all diesen Übeln retten? Henry beriet sich mit seiner Frau, einer würdigen Dame, die ein vornehmes Haus führte und sich mit Wohltätigkeit beschäftigte, wie es die Satzungen der episkopalen Kirche verlangten. Er beriet es mit Edison und noch anderen Freunden. Er glaubte den Mangel Amerikas gefunden zu haben: Es musste zu seiner Vergangenheit zurückkehren. Es musste wieder schätzen lernen, was seine Vorväter geleistet hatten. Henry war jetzt über sechzig Jahre alt, und wenn er an seine Kindheit dachte, so erschien sie ihm wie eine Zeit des Friedens und der guten Kameradschaft unter den Menschen. Sein Herz sehnte sich danach zurück.
Er richtete ein riesiges Museum für das alte Amerika ein. Er kaufte im ganzen Lande Altertümer: das Schulhaus, in das Marias kleines Lamm ihr gefolgt war; die Dorfschmiede, über die Longfellow sein Gedicht gemacht hatte. Er baute ganze Dörfer in altem Stil wieder auf. Er ließ Ruinen nach Dearborn bringen, ließ sie wieder aufbauen und stopfte sie mit Altertümern voll. Er stöberte Postkutschen, Planwagen und Kaleschen, alte Lokomotiven und Autos auf. Auch der erste Ford war nicht vergessen. Jede Woche kaufte er irgend etwas Neues. Eine Brücke, die hundert Jahre alt war, eine Sägemühle, in England eine Hütte aus dem vierzehnten Jahrhundert, eine alte Begräbnisausstattung, einen dreibeinigen Ofen, achtzehn Kutschen, die Hütte, in der einmal Charles P. Steinmetz gewohnt hatte. Er belebte dadurch einen Handel, der Duncan-Pfyfe-Stühle suchte, Spinnräder, Krüge und Trinkgefäße, Wachskerzen, Talglampen, Familienalben, Reifröcke - kurz, allen Plunder, den man auf Dachböden und in alten Truhen nur fand. Es musste nur alt genug sein, damit es als >antik< gelten konnte »Kramt all den Plunder hervor, lasst den Staub nur darauf, und schreibt an Henry Ford. Er wird dann einen Fachmann schicken, um es zu prüfen, zu kaufen und nach Dearborn zu bringen.«
Henry Ford sorgte dadurch mehr als irgendein anderer Zeitgenosse dafür, dass dieses alte Amerika entwurzelt und zerstört wurde. Er wollte in seine Kindheit zurückkehren und weckte in Millionen anderen Menschen das gleiche Verlangen. Vornehme Damen und Herren fuhren jetzt mit ihren teuren Limousinen auf Wildpfaden in abgelegene Gebirgsgegenden. Sie suchten nach alten Bauernhäusern, die noch einen offenen Herd, Hängekessel, Kürbisflaschen und solche Dinge hatten. Sie kauften diese Schätze, brachten sie nach Hause und stellten sie in ihre Wohnungen neben der modernen Hausbar und dem elektrisch gekühlten Coktailschrank auf.
Jedermann sollte meinen, das sei eine ruhige und harmlose Beschäftigung für einen großen Mann, um sich im Alter die Zeit zu vertreiben, und eine schöne Liebhaberei, um in seiner zweiten Kindheit damit zu spielen. Aber der Ärger ließ ihn auch hier nicht in Frieden. Nirgendwo konnte er ihm entfliehen.
Ein wendiger Geschäftsmann überredete Henry zum Ankauf einer weißen Hütte, die das >Geburtshaus von Stephan G. Foster< sein sollte, dem Dichter von >Way Down Upon the Suwanee River< und anderer amerikanischer Volkslieder. Der Kauf war vollzogen, und man hatte einen Riesenlärm darum gemacht. Aber nun erschienen eine Nichte und ein Neffe des Komponisten und erklärten, die bewusste Hütte sei nicht das Geburtshaus. Und schon war der Auto-König in einen neuen Krieg verwickelt, der starrsinnigste aller Männer. Es war ihm unerträglich, einen Fehler einzugestehen. Er machte sich sogar die Mühe, die alte verkalkte Tochter des Komponisten zu besuchen. Nach Wochen der Beeinflussung, der Schmeichelei und Suggestion überredeten seine Beauftragten sie zur Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung.
Der Krieg wurde sogar unter den Höflingen des Autokönigs geführt. Sie versuchten jetzt, sich gegenseitig von seiner königlichen Gegenwart auszuschließen. Sie intrigierten, fälschten Interviews, ja sie setzten sogar einen bestochenen Sachverständigen in das Büro des Urkundenarchivars jenes Landbezirks. Henry hatte seinen Ankauf über den Rundfunk bekannt gemacht und erklärte: »Nein, keine Reproduktion, es ist natürlich die kleine weiße Hütte, in der Stephan G. Foster geboren wurde.« Er ließ seinen Katalog ändern, und Nummer 35 war von nun an Stephan G. Fosters Haus, obgleich in Wahrheit weder Foster noch irgendein Mitglied der Familie jemals in dem Haus gelebt hatte. Man hatte sogar ein großes Dachfenster herausnehmen müssen, damit es wie das wirkliche Fosterhaus aussah, das längst abgerissen war.
Henry erklärte jetzt dem scheußlichen Tanzstil neuerer Zeit den Krieg. Auch das gehörte zu seinem Kreuzzug gegen das neue Amerika. Diese schreckliche Art zu tanzen hatten die internationalen Juden und Bolschewisten das amerikanische Volk gelehrt, um es zu zersetzen, so behauptete Henry. Er liebte die einfachen fröhlichen Volkstänze, die man in seiner Jugend auf dem Lande getanzt hatte. In Neu-England fand er einen Tanzlehrer, der diese fast schon vergessene Kunst kultivierte. Er holte ihn nach Dearborn und zahlte ihm ein Gehalt. Schon bald
gab es Kurse, man lernte den >Schottischen< und den >Rheinländers<, den >Lancier<, die >Quadrille<, >Portland Fancy<, >Speed the Plow< und sogar >Money Musk<, zu dem sechs Paare antreten mussten.
Henry spürte die Fiedelleute der alten Zeit wieder auf und holte sie für Tanzfeste zusammen. Sie spielten >Turkey in the Straw< und >Paddy in the Turnpike< und >Stony Country< und >Old Zip Coon<, und >Two Dollars in my Pocket<. Sie lehrten die Kinder in der Schule diese alten Weisen. 1925 wurden zur Weihnachtszeit in der Haupthalle des neuen Gebäudes, das für die Untersuchungen zur Verbesserung der Motoren eingerichtet war, die Maschinen zur Seite gerückt und mit Zeltbahnen abgedeckt. Der Fußboden wurde gewachst, und dann tanzten fünfzig Paare, darunter Henry Ford und seine Frau, den >Virginia Reel<. Man schickte nach Norway in Maine und holte Grandpa Mellie Dunham, den Champion der alten Fiedelgeiger. Der saß nun da, sein zahnloser Mund war von dem weißen Schnauzbart ganz verdeckt, und spielte zum Tanz auf: >Pop goes the Weasel<, >Lady Washington's Reel<, >Fisher's Hornpipe< und den >Arkansas Traveller<. Und Henrys Arbeiter, leitende Angestellte und Freunde schwangen zur Freude einer großen Zuschauermenge das Tanzbein dazu.
Henry sprach begeistert mit den Reportern und erklärte ihnen seine Gedanken über diese eminent wichtige Sache. Diese alten Tänze förderten die Freundschaft, sagte er. »Sie kommen beim Tanz immer in Kontakt mit wenigstens sieben Personen. Sie fassen sie bei der Hand, sie bekommen einen menschlichen Kontakt zu ihnen, und so entsteht wieder die Nachbarlichkeit, die wir fast verloren haben. Amerika und die Welt aber brauchen das Verständnis füreinander, sie brauchen den freien, unbeschwerten Sinn des Spielens.« Henry erklärte, er habe bereits ein
Buch über das Fahren und Reparieren seines Autos herausgegeben und werde jetzt eins über Tänze veröffentlichen, und zwar ein vollständiges und grundlegendes. Die altmodischen Tänze sollten also genormt und ihre einzelnen Teile einheitlich gestaltet werden - wie die Teile eines Ford Modell T.
Abner, Milly und ihre Freunde in der Gemeinde hatten in ihrer Jugend getanzt, weil es ihnen Spaß machte. Längst tanzten sie nicht mehr. Sie waren alt und müde geworden, und die Jungen tanzten ja doch lieber nach der modernen Musik. Jetzt sagte Henry ihnen, es sei eine patriotische Tat, wenn man den >Virginia Reel< oder den >Lancier< tanze. Der wohltätige Verein der >Kirche der Wahren Gläubigen< mietete einen Saal und einen alten Geiger, und Abner und Milly tanzten dort zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit wieder. Wie David vor dem Herrn mit aller Kunst tanzte, so schwenkte jetzt das echte protestantische Uramerika seine Partner im Gedenken an seine alten Traditionen.
Abner und Milly gingen nur einmal hin. Der Zauber wirkte nicht auf sie, Milly wurde auch immer schwächer, und Abner hatte das Geschick einen bösen Streich gespielt. Als sein Boss im befahl zu tanzen, hatten die Untergebenen dieses Herrn ihn schon so ausgepresst, dass er sich kaum noch wach halten konnte, wenn er mit seiner >Karre< nach Hause fuhr.
Bei den Shutts waren bislang die Dinge prächtig gediehen. Vielleicht war das Oberhaupt der Familie deshalb ein wenig zu selbstbewusst geworden. Eine fixe Idee ging ihm dauernd im Kopf herum: die Erinnerung an jene fernen Tage, als er noch persönlich mit Henry Ford sprechen konnte. Wie weit zurück lag das alles! Jener Sommerabend des Jahres 1893, als er seinen Vater zum Schuppen in der Bagley Street führte. Dann der Tag im Jahre 1904, an dem er den großen Boss ganz allein ohne Vermittlung ansprach und Arbeit von ihm bekam. Dann, im folgenden Jahr, hatte er mit ihm über das Aufsetzen der Achsenmuttern gesprochen und - vielleicht sogar die Idee des Fließbandes angeregt? Dann die schönen Tage des Jahres 1914, da war der Vertreter der Sozialen Abteilung gekommen und hatte sie beraten. Konnte man es Abner übel nehmen, wenn er glaubte, er dürfe wohl etwas mehr über alles nachdenken als so mancher andere Arbeiter des Fließbandes?
Abner arbeitete jetzt 22 Jahre für Ford, und wie oft hatte man ihm erzählt, sogar in Henrys eigener Zeitschrift und auch in Artikeln der >Saturday Evening Post<, die in anderen Zeitungen zitiert wurden, dass treue Dienste in den Fordwerken niemals unbelohnt blieben! Abner war vor Jahren Vorarbeiter gewesen und hatte bewiesen, dass er die Sache verstand. War es da nicht natürlich, wenn er davon träumte, eines Tages würde er seinen alten Posten wiedererhalten? Außerdem hatte Henry in einem seiner Interviews mitgeteilt, er gebe, was die Arbeit betreffe, nichts auf Rang und Titel. Jeder seiner Arbeiter könne jederzeit zu ihm kommen oder zu dem Leiter seiner Abteilung oder zu jedem anderen seiner Vorgesetzten. Abner konnte Henry Ford persönlich nicht mehr aufsuchen. Jetzt standen am Fließband viele Arbeiter, die den Autokönig in ihrem Leben nicht einmal gesehen hatten und die ihren Augen kaum getraut hätten, wenn er durch das Werk gegangen wäre. Abner konnte nur zum Chef seines Fließbandes gehen, und eines Tages tat er es nach der Arbeit und brachte in ein paar gestammelten Sätzen sein Anliegen vor.
Damit brach Abner eines der strengsten Gesetze der militärischen Disziplin, die diese modernen Erzeugungsarmeen beherrschte. Er bekam den wütenden Argwohn dieses Mannes zu spüren, der glaubte, Abner wolle seine
Stellung. Daran hatte er aber gar nicht gedacht! Er wollte ja nur einen kleineren Posten. Der begann ihn nun zu schikanieren. Er konnte zwar nicht bemäkeln, wie Abner die Splinte einsetzte; aber er konnte mit der Stoppuhr danebenstehen und ihm die Hölle heiß machen, wenn er auch nur zehn Sekunden hinter den drei Minuten zurückblieb, die in der Tabelle dafür vorgesehen waren, oder wenn er seine Mittagspause von 15 Minuten dadurch ausdehnte, dass er noch einen letzten Bissen Brot nach Ende der Pause hinunterschlang. So etwas halten die Nerven nicht lange aus; eines Tages war es soweit - Abner widersprach; und der Fließbandchef schrie ihn an, er solle sich seine Papiere geben lassen.
So weit war es also mit ihm gekommen. Nach 22 Jahren treuer Arbeit wurde er aller Ehren und Verdienste beraubt, und das obendrein durch einen miserablen Nichtskönner von Vorgesetzten, der erst ein paar Jahre bei der Gesellschaft war und dem Ford in seinem ganzen Leben nicht einmal auch nur zugenickt hatte. Als Abner erschrocken protestierte und erwähnte, er kenne Mr. Ford, da lachte der Mann ihm ins Gesicht und sagte, er solle nur gleich zu ihm in sein Haus in River Rouge laufen und sich beklagen.
Abner blieb nichts übrig, als zu seinem Sohn zu gehen. Der überredete jemanden der Werkzeugabteilung, seinem Alten Herrn Arbeit zu besorgen. Aber es war nur ein Posten bei der Bedienung der Schleifmaschinen frei. Abner musste also jetzt wieder im Stehen arbeiten. Er steckte Stahlstücke, die einander bis auf einen Zehntausendstelmillimeter glichen, in Maschinen, die an einer Seite eine Rille hineinschnitten. Abner musste von einer Maschine zur nächsten gehen und, wenn er mit der letzten fertig war, zur ersten zurücklaufen. Aber dann schrie der Boss schon: »Los, vorwärts Shutt, das können wir uns nicht leisten, dass die Schleifer faulenzen!«
Abner hatte jahrelang nicht im Stehen gearbeitet, seine Beine waren schwer geworden, und der Bauch hing ihm herunter. Seine Fußgelenke schmerzten; am Abend waren sie so geschwollen, dass er kaum einschlafen konnte. Er würde diese Arbeit nicht durchhalten. Doch er musste durchhalten! Er musste doch leben! Und dies war seine letzte Chance. Er war 48 Jahre alt, und sein Arbeitgeber rühmte sich in den Zeitschriften der Güte gegen seine alten Arbeiter. Wenn es in ganz Amerika noch einen zweiten Chef gab, der dies von sich sagte, so musste es Abner entgangen sein. Und wenn er bei Ford nun in den Ruf eines Schwächlings und Faulenzers kam, wie sollte er dann je seinen Wagen bezahlen können?
> Arbeitsbeschleunigung< und >Zeitnehmen< hießen die furchtbaren Erfindungen; jeder Arbeiter wurde bis zum äußersten seiner Leistungsfähigkeit beansprucht, jeder musste auch die letzte Unze Kraft seines Körpers hergeben. Henry Ford leugnete das natürlich. So sanft, so überzeugend schrieb er über den Nutzen der wissenschaftlichen Arbeitsplatzforschung: sie habe ja gerade den Zweck, die Zeit festzulegen, in der jeder Arbeiter mühelos eine bestimmte Aufgabe erfüllen könne, um ihm dann diese spezielle Arbeit zuzuweisen. Lüge, nichts als Lüge war das! Seine Arbeiter wollten vor Wut schreien, wenn sie solche Artikel von ihm lasen. Sie waren müde, wenn sie morgens zur Arbeit gingen, und wenn sie heimgingen waren sie grau und stolperten vor Erschöpfung. Zitronenschalen glichen sie, der letzte Tropfen Saft war aus ihnen herausgepresst.
So ging es überall zu, nicht nur bei Ford; die ganze Industrie war grausam. Schneller, immer schneller! Bis die Herzen der Leute vor Bitterkeit kochten. Alle Autowerke standen unaufhörlich in Konkurrenz auf Leben und Tod; jede Abteilung in jedem Werk wetteiferte mit den anderen, ja, sogar mit sich selbst - mit ihren Leistungen von gestern, mit den neuen >Normen<, welche die Ingenieure forderten, die immer neue Maschinen und Methoden erfanden und die Arbeit überwachten.
Wusste denn Henry Ford überhaupt von diesen Zuständen? Sein ergebener Diener Abner Shutt glaubte fest, er wisse nichts davon. Er las ja in der Zeitung, was der Autokönig trieb. Er reiste durch Europa, inspizierte sein weites Reich und erklärte den Leuten da drüben, wie sie sich amerikanisieren könnten. Dann war er in Georgia und machte Versuche mit 15000 Morgen Goldrute, aus denen er Gummi erzeugen wollte. Oder auf seiner Mammutfarm in Michigan und inspizierte die Sojabohnen. Er überwachte die Versuche seiner Experten in den Laboratorien, die Lenkräder daraus herstellen wollten. Er vollendete sein Buch über Tänze und sammelte Antiquitäten für sein Museum. Er studierte Tausende von Vögeln, für die er luftige, der Natur angepasste Flugkäfige baute. Er war überall, er tat alles, nur um die Fließbänder seines Riesenwerkes kümmerte er sich nicht. Dort fertigten 200000 Sklaven Autoteile an: Zupacken, Ansetzen, Verschrauben, das nächste - wieder Zupacken, Ansetzen, Verschrauben - Zupacken, Ansetzen, Verschrauben - so und immer weiter - man konnte wahnsinnig werden, wenn man darüber nachdachte.
Abner Shutt, der geduldige abgearbeitete Industrieklepper, trottete in seiner Tretmühle auf und ab und wagte nicht, auch nur einmal während seiner acht Stunden Arbeitszeit aufzuschauen, außer in den genau bemessenen
fünfzehn Minuten, wenn der >Speisewagen< herankam und Mittagessen zum Preis von fünfzehn Cent an jene verkaufte, die sich nichts mitgebracht hatten. Abner arbeitete und hielt den Mund. Er kannte die Sprüche über Verdienst und Treue aus seiner Schulzeit noch, und jeden Tag kämpfte die fromme Ergebenheit, die er sein Leben lang geübt hatte, gegen die gemeine Wirklichkeit und die bösen Flüche, die er von den anderen Arbeitern hörte. Man wagte sie nur zu flüstern, natürlich, denn man musste ja stets vor den Spionen und Spürhunden der Werkspolizei auf der Hut sein.
Aber eines konnte Abner nicht, auch dann nicht, wenn er seinem Arbeitgeber einen noch so großen Gefallen damit getan hätte: alte Volkstänze tanzen, wenn er von der Arbeit kam.
Achtzehn Jahre lang baute nun Henry Ford bereits den Ford Modell T. Er setzte ihn durch gegen die ganze Welt. In den letzten Jahren war dieser Kampf aufs neue ausgebrochen. Der alte Karren ist aus der Mode, behaupteten die Verkäufer. Das Publikum verlangt neue Formen, Linien und Farben. Bisher baute Henry als Antwort auf solche Klagen jedes Jahr zwei Millionen Modell T. Man konnte den Wagen immer noch in jeder Farbe haben, vorausgesetzt, sie war schwarz. Der Wagen hatte, wenn das Verdeck aufgespannt war, etwa soviel Stil wie eine Ballonmütze. Der Aufbau war ein schmuckloser viereckiger schwarzer Kasten. Den Zweisitzer nannte das Publikum >coop<, also Hühnerstall. Man konnte das für schlechtes Französisch halten, aber es war ausgezeichnetes
Amerikanisch. Alle Wagen liefen, und sie würden in zwanzig Jahren noch laufen. Und gerade solche Wagen wollten die Amerikaner haben, behauptete Ford.
Seine Rivalen dachten anders. Sie meinten, der Amerikaner wolle denselben Standard wie andere Länder und, wenn möglich, diese übertrumpfen. Sie behaupteten, die moderne Welt wünschte Stil, Geschwindigkeit, Schwung, Eleganz, Chic - die große Zahl dieser Wörter zeigt schon, wie viele Leute sich den Kopf darüber zerbrachen. Das Publikum wollte schnell fahren - warum sollte man dem nicht entgegenkommen und einen Wagen mit Stromlinienformen bauen? Und gar die Farbe - die Leute trugen jetzt bunte Seidenhemden und gestreifte Pullover, Socken und Krawatten. Und erst die Frauen! Mit Farben der Kleider allein gaben sie sich nicht zufrieden; sie malten sich noch obendrein Lippen, Finger- und Fußnägel an.
Auf der New Yorker Automobilschau brachten die Händler jetzt wahre Blumen der Werbelyrik hervor, wenn sie ihre Wagen anpriesen. >Ein herrlicher Schmetterling ist ausgeschlüpft<, riefen sie entzückt aus. >Das sanfte Streicheln der fließenden Bewegung<, schwärmten die Verkäufer von Reo. Jordan bot >ein unvergleichliches gelbes Coupe mit einem Verdeck, das man herunterklappen konnte<, an. Buick prahlte mit >einem sportlichen Roadster, grau gepolstert, mit grauem Schlangenleder ausgeschlagen<. Dodge aber schlug alles mit einem >neuen Roadster in sattem Creme mit dunkelblauer Haube und roten Streifen<.
Auch das meinte Henry Ford mit >schmutzigem Orientalismus<, und er tat alles, um ihn aus seinem sauberen Werk fernzuhalten. Er stellte seinen fünfzehnmillionsten schwarzen Ballonhut her und schickte ihn quer durch den Kontinent, auf dass er mit Wein und Banketts gefeiert werde. Er feuerte auch weiterhin jene Mitarbeiter, die ihn überreden wollten, das Modell zu wechseln. Jahr für Jahr hatte er sie hinausgeworfen, wenn sie es wagten, seinem Willen zu widersprechen.
Doch gab es ein oberstes Schiedsgericht, das sogar noch mächtiger war als Henry Ford selbst: das Publikum, das die Wagen kaufte. Nach und nach, ganz allmählich holten die Chevrolets und Plymouths auf, während Ford abfiel. Henry musste die Produktion kürzen und Zehntausende von Arbeitern entlassen. Der dickköpfigste der großen Männer Amerikas hielt immer noch an seinen fixen Ideen fest: Sein Wagen würde nie, aber auch nie geändert werden. Aber im Frühjahr des nächsten Jahres musste er sich eingestehen, dass er geschlagen war. Man musste einen neuen Ford herausbringen.
Wieder war ein Teil des alten Amerika verloren! Die alte >Karre<, der >Flivver< fuhr auf allen Straßen der Welt, zehn Million wenigstens. Langsam würde die Zahl kleiner werden, und eines Tages würden sie so selten wie Veteranen aus dem Bürgerkrieg sein. Henry rechnete aus, dass sie in den neunzehn Jahren ihrer Existenz denen, die sie gebaut und verkauft hatten, sieben Milliarden Dollar einbrachten. Und erst den Wert der Arbeit, den sie geleistet hatten, wer konnte ihn auch nur abschätzen?
Eine ungeheure Aufgabe stand dem Autokönig bevor. Die meisten seiner Maschinen konnten nur ein Werkstück herstellen und nichts anderes. Man würde sie umbauen oder verschrotten müssen. Bevor man irgendein Wagenteil stanzen konnte, musste zunächst eine Schablone dafür geschnitten werden. Und es handelte sich um mehr als fünftausend Einzelteile. Man musste die Werke eine Zeitlang schließen, außer Highland Park, wo weiter Ersatzteile für die alten Wagen hergestellt werden sollten. Henry würde in River Rouge eine neue Werkanlage auf einem Gelände von eineinhalb Millionen Fuß errichten.
Unter den hunderttausend Leuten, die arbeitslos wurden, war ein einfacher Hilfsschleifer eine viel zu bescheidene Größe; man beachtete ihn gar nicht. Abner gab sich alle Mühe und jagte ein paar Monate lang den seltsamsten Tätigkeiten nach, aber er fand nur wenige und musste an seine Ersparnisse gehen. Sein Sohn John hatte noch Arbeit, Gott sei Dank! Er war mit der Umstellung der Maschinen beschäftigt. Und wieder konnte er sich für seinen alten Vater verwenden. Abner wurde als Feger eingestellt. Das war der niedrigste Arbeitsrang; er musste hierhin und dorthin eilen und den Schmutz forträumen, den die anderen hinterließen. Aber das störte ihn nicht. Die Hauptsache war doch, dass er jetzt den Minimallohn von sechs Dollar bekam und seine Familie wieder einmal gerettet war.
Er sah, wie die Riesenumstellungsarbeit vorwärtsging; noch mehr aber hörte er darüber. Er sah, wie riesige Maschinen von elektrischen Kränen hochgehoben, auf Transportwagen gesetzt und zur Umstellung in die Werkstätten gebracht wurden oder gar nach River Rouge, wo man sie aufstellte. Andere Teile verlud man auf Schiffe. Ein ganzes Traktorenwerk schafften sie nach Irland. In River Rouge bauten sie fünfundzwanzig Meilen als Zubringerstrecken aus, um das Material für die verschiedenen Teile heranzubringen und die fertigen Teile zu den Hauptfließbändern zu transportieren. Sie bauten neue Kraftmaschinen, die man bisher nicht gekannt hatte. Im alten Werk hatte man für das Herstellen der Rahmen eine 200000-Pfund-Stanze gehabt. Im neuen Werk bauten sie eine auf, die mehr als doppelt so stark war.
Fünf Monate dauerte es, bis diese Arbeit fertig war, und währenddessen durfte sich die Automobilwelt über das größte Rätsel ihrer Zeit den Kopf zerbrechen. Wie würde der neue Ford aussehen? Wie würde er heißen, wie viele Pferdestärken würde er haben, und wie viel würde er kosten? Henry wusste es, und seine Herren vom Stabe wussten es auch, aber sie hielten den Mund. Abner wusste nur, was er in den Zeitungen las, und das war jede Woche etwas anderes. Der neue Wagen war fertig, man hatte ihn geprüft - aber er war unter der Karosserie eines Ford Modell T verborgen, so dass niemand etwas darüber aussagen konnte. Henry Ford selbst fuhr einen, aber nur von hohen Zäunen verdeckt. Es war ein Wagen mit starkem Motor, und die Fotografen der Zeitungen versuchten ihrerseits, ihm mit entsprechend starken Linsen beizukommen.
Das Geheimnis wurde bis zum Schluss gewahrt. Die Produktion der neuen Wagen lief an. Einzelne hatte man schon in die Ausstellungsräume geschickt. Sie waren in festes Segeltuch eingenäht, 400000 Vorbestellungen hatte man schon aufgenommen. Die Leute kauften die Katze im Sack; an dem Tag, als der Wagen für den Verkauf freigegeben wurde, begann die Ford-Motor-Company einen fünf Tage währenden Propagandafeldzug in fünftausend Blättern im ganzen Land. Henry teilte mit, der neue Ford Modell A habe ein synchronisiertes Getriebe und Vierradbremsen, flache schnittige Linien und >in Form und Ausstattung ein gewisses europäisches Etwas<. Also endgültig Schluss mit dem alten Amerika!
In New York wurde der Wagen einem mondänen Publikum im Waldorf Astoria gezeigt; die Verkäufer kamen im Abendanzug. Am nächsten Tag stürmte eine Viertelmillion Menschen die siebenundsiebzig Vertretungen in New York. Der Verkehr der Stadt stockte, man musste den Madison Square Garden für eine Woche mieten, damit die Käufer ihre Neugier befriedigen konnten. Das Publikum erfuhr auch, es könnte den Wagen in jeder Farbe haben, vorausgesetzt, dass sie dunkelsandfarben mit hellen Streifen sei oder stahlblau mit Streifen von französischem Grau, oder niagarablau mit Französisch-Grau, oder gar ein Dämmergrau, auch mit Streifen in Französisch-Grau. >Der schmutzige Orientalismus< hatte gesiegt, und zwar so erfolgreich, dass Ford im ersten halben Jahr eine Million Wagen herstellen musste.
Abner Shutt drehte jetzt wieder Achsenmuttern an; das war eine Arbeit, die er verstand. Er setzte sie jetzt bei einem eleganten Wagen auf und fand, dass sich seine soziale Stellung gehoben hatte. Aber er zahlte auch dafür. Sein Arbeitsplatz war nun in River Rouge, und er musste jeden Tag ein Dutzend Meilen fahren. Das war nicht gerade sparsam und im Winter kein Vergnügen.
Die Kinder klommen weiter auf den Stufen der sozialen Leiter. John Crock Shutt war in jene Schicht aufgestiegen, die statt des Wochenlohnes ein monatliches Einkommen bezieht. Er hatte die Tochter seines Abteilungsleiters kennen gelernt und sich mit ihr verlobt. Das junge Paar wollte jetzt ein Haus in einer so vornehmen Gegend kaufen, dass die Eltern sich stets schämen würden, mit ihrem alten Flivver dort vorzufahren.
Daisy sah jetzt auch ihren Herzenswunsch erfüllt. Sie erhielt eine Stellung im Büro eines Konzerns, der Polster für Fordwagen herstellte. Sie bekam 23,50 Dollar in der Woche und lernte rasch, worauf es ankam. Die Ziele ihrer Arbeitgeber machte sie zu ihren eigenen, und das entsprach ganz den schönsten Weisheiten ihrer Schulbücher. Abends sprudelte sie all den Klatsch über das heraus, was in dieser kleinen Trabantenindustrie vorging. Es währte nicht lange, so kannten die Eltern die Namen aller leitenden Angestellten, welche die Herstellung der Polster überwachten und registrierten. Sie wussten, wie sie aussahen und was sie verdienten.
Ü ber Hank hörte man allerdings etwas ganz anderes. Auch sein Geschäft war vorangekommen, doch Abner und Milly hatten nicht viel darüber erfahren. Jetzt aber war etwas geschehen, wovon man sogar in den Zeitungen sprach. Der Junge war in eine Schießerei geraten. Er wurde eingelocht und des Totschlags angeklagt. »Er ist unschuldig«, erklärte Daisy ihren Eltern, »er ist kein Verbrecher, im Gegenteil: er ist ein Held und hat nur das Eigentum seines Chefs gegen eine Horde Räuber verteidigt.« Die Tatsache, dass dies Eigentum aus einer Wagenladung Schnaps bestand, war aber wenig dazu angetan, die frommen Gemüter der beiden Mitglieder der Gemeinde der >Wahren Gläubigen< zu beruhigen.
Diesmal konnten Abner und sein Pastor nicht helfen. Aber Hank hatte jetzt mächtige Freunde. Man nahm einen gerissenen Anwalt, und als es zur Verhandlung kam, waren auch Zeugen da, die beschworen, dass sie mit Hank zur Zeit der Schießerei Billard gespielt hätten. Er wurde freigesprochen. Er verschwand einige Zeit aus der Stadt, bis der Chef der rivalisierenden Bande erschossen war. Dann tauchte er wieder auf, so munter wie zuvor, und der alte Tom bekam wieder sein Taschengeld. Daisy aber erfuhr alle Geheimnisse des Alkohol-Schmuggel-Ringes, der Detroit beherrschte.
Tommy machte auf der Universität Karriere als Footballspieler. Er beendete die Saison mit großem Erfolg, da er vom Feld aus eingeschossen hatte. Solch plötzlicher Ruhm war für den Charakter eines jungen Burschen eine ziemliche Versuchung, aber Tommy schien dem gewachsen, und John und Daisy, die in der Arbeitswelt Erfolg hatten, sorgten dafür, dass der sportliche Erfolg ihm nicht allzu sehr zu Kopf stieg. Er war zu einem gutaussehenden jungen Burschen herangewachsen, hatte wolliges braunes Haar, eine rötliche Hautfarbe und Sommersprossen, ganz das, was seine Eltern einen >guten Jungen< nannten. Er widerstand auch den Versuchungen des Sportlebens. Aber die Neigung zur Kritik, die seine >roten< Lehrer ihm eingeimpft hatten, hatte er noch nicht verloren. Er sprach immer noch anzüglich über den >Feudalherrn von Dearnborn<, und das schien dessen treu ergebener Familie der Gipfel der Blasphemie.
Aber es gab jetzt viele, die wie Tommy dachten, und das nicht nur in den Schulen. Die >Roten< gaben Zeitungen heraus, im Werk trieben Unruhestifter und Querulanten ihr Unwesen, und es wurden ihrer immer mehr. Um die Ku-Klux-Klan-Leute war es still geworden, und selbst der schwerfällige Abner musste sich eingestehen, dass es ihnen nicht gelungen war, alle Amerikaner zu Patrioten zu machen. Wieder war etwas faul im Staate. Aber seit Henry Ford den >Dearborn Independent< nicht mehr herausgab, konnte Abner die faulen Stellen nicht mehr orten.
Die Regierungsperiode von Cautious Calvin ging zu Ende. Ein neuer Präsident stellte sich vor. Den >großen Ingenieur< nannte man ihn. Alle Industriebosse unterstützten ihn, auch Henry Ford, und Abner konnte in seiner Zeitung lesen, was sie über ihn sagten. Ja, dachte er, das war genau der Mann, den ein großes Handels- und Industrieland wie Amerika an seiner Spitze brauchte. Der >Neue Kapitalismus< blühte auf wie eine Sonnenblume. Geld konnte man umsonst haben. Der Autokönig gab eines seiner glasklaren Interviews und sagte, heute könne ein junger Mensch nicht mehr durch Sparen, sondern nur durch das Ausgeben seines Geldes reich werden. »Zwei Autos gehören in jede Garage, zwei Hühner in jeden Topf.« Dem stimmte auch Herbert Hoover zu.
Die Shutts waren so eine Familie, die Ford und Herbert Hoover wohl gefallen konnte. Sie besaßen jetzt sogar drei Wagen, seit Hank sich einen sehr schnellen gekauft hatte, mit einer Pistole in der Hosentasche herumfuhr und verschiedene >Sachen< für seinen Boss bereinigte. Ja, es fehlte nicht viel, und sie hätten noch einen vierten Wagen bekommen, denn Tom stellte plötzlich fest, es sähe doch recht billig aus, wenn der Feldläufer einer berühmten Mannschaft auf einem Fahrrad in die Universität fahre.
Aber schon im ersten Jahr der Amtszeit des >großen Ingenieurs< erschien eine Wolke am Himmel. Sicher, sie war nur klein, und Abner Shutt verstand nicht genug von diesen Dingen, als dass er sich Sorgen gemacht hätte. Er sah sie eher ganz gern, da sein Arbeitgeber ihn gelehrt hatte, Wallstreet und den internationalen Banken zu misstrauen, da dort nur Juden saßen. Als er von einem schrecklichen Börsenkrach hörte und davon, dass Milliardenwerte in ein paar Stunden zu einem Nichts geschrumpft waren, sagte er nur: »Geschieht ihnen recht so! Die Kerle haben das Geld ja auch nicht selbst verdient.«
Das mochte stimmen, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass es diese Kerle gewesen waren, die das Geld ausgegeben hatten und damit jetzt aufhörten. Und >diese
Kerle< waren nicht nur Wallstreetspekulanten. Es waren auch kleine Kaufleute der Stadt darunter, sogar Schuhputzer, Sodaverkäufer und Farmer, die der Filiale einer Marklerfirma Aufträge gegeben und so die Hausse mitbestimmt hatten. Überall in Amerika war es so gewesen. Es war die Folge all der schönen Theorien vom Aufschwung und dauernden Wohlstand, den die Zeitungen gepredigt hatten. Wenn es etwas zu gewinnen gab und es gar eine sichere Sache war, warum sollten dann die kleinen Leute nicht auch ihren Teil davon haben? Sollte man Wallstreet alles lassen? Wieso denn?
So hatten die einfachen Leute gedacht, und nun hatten sie sich selbst geprellt. Sie konnten den neuen Fordwagen nicht kaufen, wer ihn aber schon gekauft hatte, konnte die Abzahlung nicht aufbringen. Millionen Menschen zwischen Bangor und San Diego machten diese betrübliche Erfahrung. Das war ein neuer Faktor im Wirtschaftsleben, und es währte lange, bis er überwunden war, und ebenso lange, bis das Großkapital, seine Wirtschaftler und Zeitungsschreiber mit ihm zu rechnen gelernt hatten.
Der erste Krach dauerte nur einige Tage. Man beruhigte sich wieder, war aber doch ängstlich geworden. Präsident Hoover rief die Wirtschaftsführer zusammen, um mit ihnen zu beraten. Die großen Medizinmänner versammelten sich und behaupteten, das Land müsse nur Vertrauen haben. Darin waren sich alle einig. Henry Ford wartete ruhig ab, und als die Krise vorüber war, zeigte er ihnen den Weg. Durch die Zeitungen ließ er verkünden, die Ford-Motor-Company habe so großes Vertrauen in die Zukunft Amerikas, dass sie den Mindestlohn in ihrem Werk auf sieben Dollar pro Tag erhöhen werde.
Eine große Geste! Henry erntete wieder den rauschenden Beifall, den er so gut beim Verkauf seiner Wagen zu nutzen gelernt hatte. Nur ein paar Sauertöpfe wollten beweisen, dass die Preise nahezu um das Doppelte gestiegen seien, seit Ford vor 16 Jahren seinen Minimallohn auf fünf Dollar festgesetzt hatte, dass also der Lohn von sieben Dollar heute weit weniger Wert als der alte habe. Außerdem hatte Ford nicht mitgeteilt, wie viele Leute diesen neuen Lohn bekommen sollten. Nichts konnte ihn daran hindern, Leute auf die Straße zu setzen. Und das tat er auch sofort. Vor dieser Ankündigung hatte er den Mindestlohn von sechs Dollar an 200000 Arbeiter gezahlt. Gleich nach der Ankündigung zahlte er den neuen Mindestlohn von sieben Dollar nur noch an 145000 Arbeiter. Jetzt multipliziere und subtrahiere man und sehe, was Henry Ford tatsächlich für die Vermehrung der Kaufkraft des amerikanischen Arbeiters tat.
John Crock Shutt war Spezialist für Autogenschweißen in der riesigen Maschinenwerkstatt im River-Rouge-Werk geworden. Das war ein neues und ganz wunderbares Verfahren! Verschiedene Autoteile wurden damit zu einem festen Stahlstück zusammengefügt. John war in die Details des Verfahrens vernarrt. Während der Arbeit gab es keine anderen Gedanken für ihn, und in seiner Freizeit sprach er gerne darüber oder las technische Zeitschriften über Stahlherstellung. Jeden Tag erfand man neue Zusammensetzungen, und je mehr man davon wusste, desto höher stieg das Gehalt.
John hatte ein rotbäckiges volles Gesicht, schaute zufrieden drein, und der Wohlstand leuchtete ihm aus den Augen. Er hatte eine elegante junge Frau geheiratet, sie war eine Highschool-Absolventin und stammte aus einer höheren Gesellschaftsschicht, die sie bis dahin von der Berührung mit niedrigeren Klassen ängstlich ferngehalten hatte. Das junge Paar hatte sich ein Haus in einem Viertel gekauft, das sie davor bewahrte, mit Leuten zusammenzutreffen, die nicht 8000 Dollar für ein Heim aufbringen konnten. John und Annabell zahlten monatlich 75 Dollar und die Zinsen. Die Villa zeigte etwas her, war aber nachlässig gebaut, ihre Besitzer würden später beträchtliche Rechnungen für die Reparaturen begleichen müssen. Aber darüber machten sie sich keine Sorgen. Solange die Menschheit Auto fuhr, würden Johns Spezialkenntnisse das Gehalt bestimmen. Dessen waren sie sich ganz sicher.
Die beiden jungen Leute waren in das System des industriellen Feudalismus hineingewachsen. Wenn man es ihnen gesagt hätte, wären sie beleidigt gewesen. Aber es war so. Ihr Denken war in einem Kreis von Anschauungen befangen, der so fest und unverrückbar für sie war wie die Stahlteile, die das Werk zu Millionen anfertigte. Sie lebten in einer Hierarchie, in der gesellschaftlicher Rang sich nach dem Einkommen richtet. Annabell verkehrte mit den Frauen gleicher Gehaltsstufe, vermied sorgfältig jene der niedrigeren Basis und suchte hartnäckig und rücksichtslos Kontakt mit denen einer höheren Stufe. Unter ihr lebten die Sklaven der Industrie, die Massen der Lohnempfänger. Über ihr waren die höheren Angestellten und ganz an der Spitze die großen Bosse - die unsichtbaren, göttergleichen Wesen, von denen alle Welt unaufhörlich schwatzte; jeder Brocken ausgestreuten Klatsches über sie wurde gierig aufgegriffen; man staunte sie an wie Edelsteine.
Fords Weltreich - das war keine Metapher, sondern eine Tatsache; das Wort war keine Redensart, sondern enthielt eine soziologische Analyse. Henry war mehr, als je ein Feudalherr gewesen war; er besaß ja nicht nur die Macht des Geldes, sondern auch die der Presse und des Rundfunks. Er konnte sich seinen Vasallen allgegenwärtig machen. Er war der Herr nicht nur über Speise und Trank, er beherrschte auch ihre Gedanken und Ideale. John war dazu erzogen worden, für Henry Ford zu arbeiten, ihn zu bewundern und ihm alle Ehre zu erweisen. Je mehr John dies befolgte, um so besser ging es ihm. Je besser es ihm ging, um so mehr bewunderte und verehrte er seinen Herren. Nach Johns und Annabells Ansicht war das ein sehr nützlicher Zirkel.
Das gleiche galt für alle anderen Shutts, die versuchten, ihren Weg in jener Welt zu machen, die nur durch die Auto- und Geldkönige von Detroit existierte. Abner und Milly waren die niedrigsten der Lohnsklaven. Sie schnitten Fotografien ihres Königs aus den Sonntagsbeilagen der Zeitung aus und hefteten sie an die Wand. Dort hingen sie wie Ikonen in Russland. Sie waren stolz darauf, dass ihr ältester Sohn eine gehobene Stellung in Henrys Diensten hatte und dass Daisy einen viel versprechenden Buchhalter in Henrys Verwaltung liebte. Sie hofften nur, dass Tommys jugendliche Aufsässigkeit schwinden und eines Tages auch er zu Henrys Anhängern zählen würde. Sie meinten, an allen denkbaren Übeln seien nur die bösen Stellvertreter und Untergebenen schuld, die das Vertrauen des großen und guten Herrn missbrauchten, der streng, aber gerecht und mit Weisheit begnadet war.
Und nebenbei bemerkt - ob du dem Herrn dienst oder gegen ihn aufstehst, dein Leben beherrscht er doch! Daran ist leider etwas Wahres, und es traf auch für Henry Ford Shutt zu, diesen Ausbund an Ungesetzlichkeit, der einem Robin Hood glich, der sich im Sherwood Forest verbarg. Hank machte in seiner hämischen Art über all die Großen seine Glossen und behauptete, sie seien allesamt Diebe und Nichtsnutze wie er selbst. Und überdies, unternahm er nicht des Nachts gefährliche Fahrten, damit sie den Stoff für ihre Cocktailparties bekamen? Hatte er nicht mehr als einmal sein Leben eingesetzt, um ihr Eigentum zu schützen? Henry Ford trank nicht und schenkte in seinem Haus keinen Alkohol aus. Aber die meisten seiner leitenden Angestellten taten es, und Henry brauchte gewiss andere Dienste, wenn er schon nicht trank. Hank würde das schon noch herausfinden, und dann sollte es auch nicht mehr lange dauern, und er würde zur Freude seines Vaters ebenfalls unter dem Banner des Autokönigs dienen.
Wieder gab es eine Krise. Es kamen noch andere, in großen und kleinen Abständen. Das Geschäftsleben in Amerika stockte, versickerte, und dann starb es. Die Leute hörten auf zu kaufen, die Händler widerriefen ihre Bestellungen. Angst griff vom Kleinverkäufer auf den Großverkäufer über, dann sprang sie den Spediteur und die Produzenten an, und endlich ließ sie die Quellen, aus denen das Rohmaterial kam, versiegen. Die Gewinne zerrannen, die Aktienwerte fielen. »Der Markt hat keinen Grund und Boden mehr«, sagten die Börsenmakler, entließen ihre Angestellten und schlossen ihre Büros. Dann gingen sie zu den East-River-Docks hinunter und sprangen ins Wasser oder fuhren mit dem Fahrrad vom Dach ihres Verwaltungsgebäudes.
Die Zeit vom ersten Krach bis zum Gipfel der Katastrophe betrug etwa dreieinhalb Jahre, fast so lange, wie der große Ingenieur an der Spitze des Staates stand. Das ruinierte den armen Herbert Hoover. Er wusste zwar, es war nicht seine Schuld, aber er musste dafür herhalten. Es fiel ihm auch nichts Besseres ein, als den Kongress riesige Summen für seine Freunde und Wohltäter, die Großbanken und Trusts, bewilligen zu lassen, die einst seinen Wahlfonds gefüllt hatten. Der Sinn dieser Maßnahmen war, das Geld langsam bis zu den Verbrauchern durchsickern zu lassen, um die Kaufkraft zu verbessern. Aber was geschah wirklich? Das Geld blieb in den Banken, denen er es gegeben hatte. Sollten sie es etwa ausleihen, solange sie keine Gewinnchance sahen? Wie aber konnte ein Geschäftsmann Gewinn versprechen, wenn er niemanden finden konnte, der Geld hatte, um seine Produkte zu kaufen? Das Ende eines Zeitalters war gekommen.
Die erste und selbstverständlichste Einsparung, die jeder Amerikaner vornahm, der sein Bankkonto zusammenschmelzen sah, war zunächst, dass er seinen alten Wagen weiterfuhr, statt ihn in einen neuen umzutauschen. Die Autoindustrie traf es also zuerst. In Detroit wurden in knapp einem Jahr 175000 Menschen arbeitslos. Die Stadt musste für 40 000 verarmte Familien sorgen und hatte ein Haushaltsdefizit von 46 Millionen.
Natürlich mussten auch die Autofabrikanten ihre Geldreserven verringern, die sie in den Banken aufbewahrten. Doch für die einfachen Leute war es schlimmer: sie mussten ihr Geld Woche für Woche abheben, um über die Runden zu kommen. Eines Abends kaufte sich Abner eine Zeitung, als er von der Arbeit kam. Er hatte die Schlagzeile gelesen - eine Bank war in Schwierigkeiten! Es war seine Bank! Dort hatte er sein Erspartes! Vor Angst bebte er und rannte zu seinem alten Wagen, einem der unzähligen Modelle T, von denen es in jener Zeit noch wimmelte. Schleunigst fuhr er zur Bank. Aber es war natürlich schon Geschäftsschluss, und er konnte nichts tun als dort herumstehen und andere Leute fragen, die ebenso ängstlich waren. Sie wussten genauso wenig wie er.
Ein Bankkrach! Abner hatte dieses große Gebäude mit seinen marmornen Säulen und bronzenen Gittern mit ebenso großem Vertrauen betrachtet wie Henry Ford, die Regierung der Vereinigten Staaten und den lieben Gott, der für seine Zukunft im Himmel sorgte. Alle vier waren doch für die Ewigkeit gemacht und lagen außer- und oberhalb des Blickfeldes eines armen Arbeiters! Jetzt erfuhr er, dass auch seine Bank zusammenbrechen konnte, dass die Regierung ihre Hand darauf legte, dass niemand sein Geld bekam, zumindest in nächster Zeit nicht. Es werde sich schon alles einrenken, meinten die Zeitungen beruhigend. Bemerkungen über derartige Vorfälle schlossen immer mit der Feststellung, Amerika sei ein gesundes Land, und am Ende werde sich alles zum Guten wenden. Man müsse Vertrauen haben!
Schon früh am nächsten Morgen erklärte Abner seine Sorgen dem Vorarbeiter und bat um einige Stunden Urlaub, damit er hingehen und versuchen könne, sein Geld von der Bank zu holen. Die Antwort des Mannes war geradezu >ermutigend<. »Schon recht, Shutt, gehen Sie nur, erledigen Sie ihre Angelegenheiten bei der Bank. Aber vorher lassen Sie sich am besten ihre Papiere geben. Wir brauchen hier nämlich Leute, die nicht von der Arbeit weglaufen. Ich habe übrigens schon längst gesehen, dass Sie das Tempo nicht durchhalten können.«
So erging es ihm, Abner Shutt. Die Tränen liefen ihm die Wangen herunter. Wieder erzählte er die alte Geschichte - wie lange er für den guten großen Lord Henry gearbeitet habe, das waren jetzt 28 Jahre; da sollte ein Mann doch wohl ein kleines Recht auf Rücksicht haben! »Mein Gott, Mister, ich hab 'ne Frau und Familie! Was soll ich jetzt tun?«
Aber der Vormann blieb hart. Für ihn lag der Fall so: Er hatte Anweisung, heute ein Dutzend Leute zu entlassen.
Er hatte schon hin- und herüberlegt, wen er bestimmen sollte. Und da kam nun dieser arme Teufel und lieferte sich selbst ans Messer. Steckte den Kopf heraus, der Kerl, und rums, schon sauste das Fallbeil herab. Ein Boss ist ja auch nur ein Mensch, nicht wahr? Und er sieht weiß Gott nicht gern einen alten Kerl da herumstoppeln, der immer wieder versucht mitzukommen - wie er eine Maschinenreihe, halb so lang wie ein Häuserblock, entlanghastet und immer wieder zurückbleibt, so dass man ihn stets antreiben muss. Wenn ein Werk einsparen muss, so überlässt man das am besten dem Vormann und dessen Lungen! Vor etwa 20 Jahren, in den Tagen des Idealismus, hatte Henry in seinem Werk eine Untersuchung angestellt, und als er herausfand, dass der Prozentsatz alter Leute in seinem Werk geringer war als in der Bevölkerung, hatte er seine Manager angewiesen, sie sollten mehr Arbeit für alte Leute ausklügeln. Aber seitdem hatte die Welt sich verändert. Henrys Werk war jetzt zehnmal so groß und Henry selbst alt. Er überließ seine Sorgen anderen und wollte gar nicht wissen, was sie taten.
Nun lag er also wieder auf der Straße, Abner Shutt. Er war in fürchterlicher Stimmung! Wenn einer der schnellen Wagen, die auf dem Asphalt dahinjagten, ihn überfahren und in die Ewigkeit geschickt hätte, ihm wär's recht gewesen. Er ging zu der geschlossenen Bank, lungerte dort eine Weile herum und unterhielt sich trübsinnig mit anderen, die sich in der gleichen Patsche befanden. Es dauerte nicht lange, da wurden alle Banken in Detroit geschlossen, und 50000 Familien saßen mit den Shutts im gleichen Dreck. Eine Notiz an der Tür besagte nur, die Bank sei auf Weisung des obersten Verwalters der Bundesbank geschlossen. Wollte man mehr wissen, so musste man schon eine Zeitung kaufen, wenn man wenigstens noch soviel Geld hatte.
Mit diesen schlimmen Nachrichten konnte er nicht nach Hause kommen! Er brachte es einfach nicht fertig! Er fuhr zu anderen Autowerken und Fabriken. Häufig fanden nämlich Arbeiter, die man bei Ford hinausgeworfen hatte, bei einer Fabrik Arbeit, die Teile für Ford herstellte. Bei Ford hatten sie sieben Dollar verdient; hier bekamen sie nur zwei oder drei Dollar pro Tag. Das war auch so eine Gemeinheit, die Henry mit seinen Arbeitern trieb. Immer mehr lagerte er die Fertigung von Einzelteilen aus, und das geschah stets unter so harten Bedingungen, dass die Fabrik, die sie herstellte, zur Arbeitshölle wurde. Niemand aber konnte Henry Ford für Löhne verantwortlich machen, die jene zahlten, die seine Polster, Reifen, Tachometer, Scheibenwischer oder andere Teile herstellten.
Keines dieser Werke stellte Arbeiter ein, die meisten hatten Posten aufgestellt, die niemanden bis zum Büro vorließen. »Haben keine Arbeit, Alter!« Woanders standen die Leute auch in langer Schlange an, und Abner sah, dass weit kräftigere Männer ihre Arbeitskraft feilboten. Er war dreiundfünfzig, sein Haar war grau, schwere Sorgenfalten zerfurchten sein Gesicht, sein Gang war kraftlos -kurz, er schied von vornherein aus, er brauchte gar nicht erst zu fragen.
Er musste sich nun zu jenen Leuten halten, die im Winter die Heizungen versorgten, im Sommer den Rasen in Ordnung hielten oder andere niedrige Arbeit taten. Es wurde erwartet, dass man solche Arbeit für einen Dollar oder noch weniger verrichtete. Ständig lungerten Leute vor den Türen der Reichen herum, die bereit waren, jede Arbeit für ein Mittagessen zu verrichten. Die Wohlhabenden ließen das die Arbeitsuchenden deutlich spüren. Man ging zur Bridgeparty oder zu einem Abendessen. Besprach dort die Probleme der Zeit und stellte fest, dass die meisten dieser Arbeitslosen ja gar nicht arbeiten wollten, auch wenn man ihnen dazu Gelegenheit gab.
Die anderen Mitglieder der Familie Shutt - bis auf Daisy - bekamen noch ihren wöchentlichen Lohn. Die hatte gerade geheiratet, und der Abteilungsleiter teilte ihr mit, dass er Anweisung habe, zweihundert Angestellte zu entlassen, und darunter seien alle verheirateten Frauen. Es täte ihm leid. Himmel! War das nicht ein prächtiges Hochzeitsgeschenk, das die Polsterfirma ihr da machte?
So musste Daisy jetzt mit dem Gehalt eines Buchhalters auskommen, der nur zwei Tage in der Woche arbeitete. Aber nicht einmal damit konnte man fest rechnen. Die Notlage des jungen Paares war so groß, dass es bei den Eltern wohnen musste, deren Haus jetzt bezahlt war. Daisy stieg in den kleinen >Coop<, den sie sich gekauft hatten, fuhr den ganzen Tag umher und suchte Arbeit. Als sie endlich begriff, dass es für eine junge verheiratete Frau keine Arbeit gab, annoncierte sie, um ihren Wagen zu verkaufen. Da stellte sie fest, dass sehr viele Leute die gleiche Idee gehabt hatten. Der Markt war mit Wagen überschwemmt. Man musste Tausende gebrauchter Wagen aus Detroit fortschaffen, damit die Wagen nicht ganz auf Null fielen. Schließlich bekam sie 42 Dollar für den Wagen. Für 225 hatten sie ihn sich gekauft.
Hunderttausend Familien des Distrikts waren mit dem gleichen beschäftigt wie die Shutts - nämlich irgendeinen Weg zufinden, um ein paar Cents zu ergattern. Die Ärmsten bettelten um einen Groschen für Brot, die Reichsten versuchten eine Million zu borgen, um eine Bank oder ein Werk zu retten. In diesen Kreisen kam eine neue Mode auf. Früher hatte ein Spekulant oder Finanzmann sich damit gebrüstet, wie viel er bei diesem oder jenem Geschäft verdient hatte. Jetzt brüstete er sich mit seinen Verlusten. Sicher war das eine sonderbare Art von Stolz, aber es war wohl die einzig mögliche.
Sind die Waren knapp, so steigen die Preise, ist Geld knapp, so fallen die Preise der Waren. Abner und Milly grübelten elende Tage und Nächte darüber und mühten sich gemeinsam, die Gesetze der Wirtschaft zu begreifen. Aber da keiner von ihnen irgend etwas von diesen Gesetzen verstand, so konnten sie auch unmöglich begreifen, was mit dem Wert der Häuser, Möbel und Wagen geschehen war. Wenn Abner und Daisy losgingen und irgendeinen Gegenstand verkaufen oder versetzen wollten, so schimpfte Milly stets darüber, dass sie keinen besseren Preis erzielt hatten. Sie war immer so sparsam gewesen und hatte stets auf den Pfennig gesehen. Ständig hatte sie über ihre Kinder geklagt, die mit dem Ausgeben so schnell bei der Hand waren. Und jetzt schien es ganz gleich zu sein, ob man sein Geld gespart oder hinausgeworfen hatte.
Sie konnten auch die Steuern für ihr Haus nicht mehr aufbringen. Sie wollten verkaufen und in eine Mietwohnung ziehen. Aber wie viel konnte man in Highland Park schon für ein Haus bekommen? Henry Ford hatte der Stadt böse mitgespielt, als er sein großes Werk nach River Rouge verlegt hatte, also zehn oder zwölf Meilen weiter. Alle Fordarbeiter hatten versucht, ihre Häuser zu verkaufen, und zwar zur gleichen Zeit. Die Preise waren bis auf Null gefallen. Jetzt waren auch noch zwei Drittel der Bevölkerung dieser Stadt arbeitslos, und man konnte nicht einmal jemanden auftreiben, der einem auf Grundbesitz ein paar hundert Dollar lieh.
Wenn sie nun vermieteten? Das war wohl die beste Lösung des Problems. Sie rückten also näher zusammen und begannen das freudlose Geschäft, an Arbeitern Geld zu verdienen, die selbst durch die Arbeitslosigkeit in die Enge getrieben waren. Manche dieser Leute dachten sich die verschiedensten Tricks aus, um ihren Magen zu füllen und ein Dach über dem Kopf zu erschleichen, wenn auch nur für ein paar Tage. Und Milly war nicht besonders helle im Durchschauen solcher Tricks. Bald also bekamen sie einen jungen Burschen ins Haus. Er hatte zwar Arbeit, aber es dauerte nicht lange, da stellte er Daisy nach, dieser jungen ehrsamen verheirateten Frau, die jeden Sonntag zur Kirche ging. Als sie sich das verbat, wurde er frech und ließ die Familie mit fünfzehn Dollar Mietschulden sitzen.
Der arme alte Tom, der durch seinen Rheumatismus völlig hilflos geworden war, starb im ersten Winter der Depression. Da die Kinder halfen, konnten sie sein Begräbnis noch bezahlen. Aber als die Großmutter ihm ein Jahr später folgte, mussten sie die Demütigung ertragen, dass die Stadt die Bestattungskosten übernahm. Dem Außenstehenden mag das belanglos scheinen. Aber so etwas bricht armen Leuten, die stets nur das ausgegeben haben, was sie auch verdienten, das Rückgrat. Abner musste jetzt vergessen, dass sein zweiter Sohn ein Alkoholschmuggler war. Er sah auch mit an, wie Milly dankbar das Geld annahm, das Hank ihr brachte. Unglücklicherweise hatte sein Geschäft ebenfalls einen >Knacks< bekommen. Die Kunden kauften nur noch die billigen Sorten.
Auch der Football-Betrieb war in Nöten. Die freigebigen >Alten Herren< des Colleges kamen jetzt wie jeder
andere mit Ausflüchten, und der Spielausschuss gab sie an die Spieler weiter. Tommy sei ein guter Feldläufer, niemand habe etwas an ihm auszusetzen, sagte der Ausschuss. Aber es lasse sich jetzt einfach keine angenehme Beschäftigung mehr für ihn finden wie seither. Er müsse jetzt die Heizung versorgen und putzen. Ein halbes Jahr genügte, um seine Ansichten über das Collegeleben gründlich zu ändern, und da seine Eltern nicht einmal wussten, woher sie das Geld fürs Essen nehmen sollten, meinte Tommy: »Ich habe jetzt keine Zeit mehr für Football. Wenn ich schon arbeiten muss, dann auch richtig. Mal sehen, wie sich meine Collegeerziehung bezahlt macht.«
Das blühende und selbstzufriedene Ehepaar John Crock Shutt hatte zwei Jahre lang in seinem gelben zweistöckigen Ziegelbau mit gekacheltem Badezimmer, Zentralheizung und einer Pflegerin für ihre beiden Babies gewohnt. Sie hatten sich verpflichtet, monatlich 75 Dollar plus Zinsen abzuzahlen. Es war einer jener >Michigan<-Kaufverträge, wonach dem Verkäufer der Gegenstand so lange gehörte, bis der volle Preis gezahlt ist. Und jetzt - Annabell war gerade bei den Vorbereitungen für eine Bridgegesellschaft - erhielt ihr Mann Bescheid, dass man seine Fachkenntnisse in der Ford-Motor-Company nicht mehr benötige.
Sie waren in furchtbarer Aufregung, denn es war fast kein Geld im Haus. Und auf Annabells Vater konnten sie nicht zurückgreifen, da es ihn an der Börse erwischt hatte. Etwas Geld konnten sie sich auf Johns Lebensversicherung leihen, aber das reichte bei weitem nicht aus. Sie mussten monatlich etwa 160 Dollar Abzahlungen und Zinsen für das Haus, die Möbel und einen neuen Ford Modell A zahlen.
John setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um irgendeine Arbeit zu bekommen. Er verlangte keine gehobene Stellung, er war bereit zu nehmen, was er bekommen konnte. Unter dieser Voraussetzung erhielt er Arbeit in der gleichen Abteilung im River-Rouge-Werk, aus der er entlassen worden war. Er tat auch fast die gleiche Arbeit. Der Unterschied war nur, dass er statt 325 Dollar im Monat jetzt den Mindestlohn von 6 Dollar pro Tag bekam. Henry hatte ihn herabgestuft. Außerdem arbeitete das Werk nur noch montags, dienstags und mittwochs. Also achtzehn Dollar die Woche!
Die kleine Familie konnte ihren Zahlungen nicht nachkommen, sie musste das Haus aufgeben, für das sie schon 3 800 Dollar bezahlt hatte. Sie musste die Möbel zurückgeben, auch den neuen elektrischen Kühlschrank und den Wagen, der Annabell gehört hatte. John hatte noch einen älteren, mit dem er zur Arbeit fuhr. Sie mussten ihre Habseligkeiten in eine Wohnung eines Zweifamilienhauses bringen und jetzt in der verachteten Nachbarschaft der Arbeiterklasse wohnen. Hier konnte Annabell keinen ihrer Freunde einladen. Statt Bridgeparties zu geben, musste sie nun den Fußboden schrubben und ihren beiden Babies die Nasen putzen. John stand wieder genau da, wo er bei seiner Geburt gewesen war. Ja, die vorige und seine Generation konnten sich getrost die schwielige Hand reichen! Sie hatten es beide nicht weit gebracht.
Kommt die Armut ins Haus, fliegt die Liebe hinaus, sagt ein Sprichwort. Annabell, die so energisch danach gestrebt hatte, die soziale Position ihres Mannes zu verbessern, lenkte jetzt ihre Fähigkeiten darauf, Fehler an ihm zu entdecken. Dem Gesellschaftssystem konnte sie die Schuld nicht geben, dazu wusste sie nicht genug davon.
Sie suchte die Schuldigen in ihrer Nähe und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass ihr Mann seiner Familie Geld hatte zukommen lassen. Das musste aufhören! Dafür wollte sie schon sorgen! Die Verwandten sollten keinen Pfifferling mehr bekommen! Sollte doch der großartige footballspielende Bruder arbeiten! Sollten sie doch sehen, dass sie von ihrem Alkoholschmuggler und Gangster etwas bekamen!
Annabell wusste alles über Hank. Er war wieder einmal verhaftet worden, sein Bild erschien in der Zeitung. Dieses Mal war es eine Wahlsache. Er habe Wähler bestochen, wurde gesagt. Komisch genug war es ja - er arbeitete für einen Kandidaten, der die Unterstützung Fords hatte, ja, man sagte sogar, die Firma halte ihn auch finanziell aus. Was steckte dahinter?
Annabell wusste es nicht. Sie wollte es auch gar nicht wissen, denn sie stand jetzt auch gegen den großen Herrn von Dearborn. Die Shutts konnte er ja vielleicht zum Narren halten, aber sie würde ihm nicht ins Garn gehen. Dass John auf die Straße gesetzt wurde, war doch nur ein verdammter Trick, seinen Lohn zu kürzen, ohne es zugeben zu müssen. So machte man es überall im Werk. Annabell hörte immer wieder davon, und bald gab auch ihr eigener Vater es zu und sagte ihr, er habe Anweisung, es so zu machen. O ja, die großen Kapitalisten wie Henry Ford kümmerten sich nicht ums Geld. Sie arbeiteten nur, weil es ihnen Spaß machte, die Leute mit guten Wagen zu versorgen! »Ich könnte kotzen«, sagte Annabell gar nicht mehr fein, sondern wütend.
Doch auch der Autokönig bekam seinen Teil von der Krise zu spüren. Einst war er der Mann Amerikas gewesen, der auf die größten Gewinne stolz sein konnte; jetzt hätte er mit den größten Verlusten prahlen können. In den Jahren 1924, 25 und 26 hatte er jährlich einen Reingewinn von mehr als hundert Millionen. Die Umstellung des Werkes hatte ihn 1927 um 70 Millionen zurückgeworfen, und im Jahr darauf war es nicht besser. Aber 1929 hatte der neue Ford Modell A 60 Millionen eingebracht. 1930 hatte er noch einmal 60 Millionen dadurch herausgewirtschaftet, dass er Arbeiter entließ und die übrigen noch stärker ausbeutete. So konnte er zunächst die Auswirkungen der Krise vermeiden, 1931 aber dämmte nichts mehr die Flut, die Ford-Motor-Company verlor 53 Millionen, im nächsten Jahr sogar 75 Millionen.
So las man es in den Berichten über Fords Verkäufe. In den letzten drei Jahren, als er noch das alte Modell T herstellte, hatte er fast zwei Millionen im Jahr verkauft, und 1929 konnte er auch nahezu zwei Millionen vom Modell A absetzen. Im nächsten Jahr sanken seine Verkäufe jedoch auf eineinhalb Millionen. 1931 gab er keine Produktionsziffern mehr heraus, aber es war allgemein bekannt, dass der Verkauf seiner Personenwagen auf unter eine halbe Million gefallen war.
Sicher, Henry Ford konnte das besser als jeder andere Industrielle der Vereinigten Staaten durchhalten, da er 300 Millionen bare Geldreserven hatte. Aber wie lange würde diese Depression dauern? Henry stütze Herbert Hoover loyalerweise noch, wenn dieser »Vertrauen, immer wieder Vertrauen« predigte. Aber im stillen gestand er sich ein, dass keiner von ihnen wusste, was in Zukunft geschehen würde. Nur seinem Geld durfte man trauen!
Detroit war nicht nur deshalb so gegen Henry Ford aufgebracht, weil er seine Arbeiter schwer arbeiten ließ
und sie plötzlich auf die Straße warf, es hasste ihn wegen seiner Scheinheiligkeit. Schön und gut, dachte man, er ist Geschäftsmann und will überleben; mag er sich seiner Haut wehren, wenn er kann - aber um Himmels willen soll er doch endlich damit aufhören, uns glauben zu machen, er sei ein Menschenfreund!
Henry wollte, dass die Menschen glaubten, die guten Zeiten kämen wieder. Das würde ihnen das Vertrauen zurückgeben und sie veranlassen, wieder seine Wagen zu kaufen. Gut, das war ein Geschäftstrick, den jeder Kaufmann im Lande verstand und den jeder jederzeit benutzte, sobald er eine Rede hielt. Aber war es fair, wenn Henry Ford folgendes ankündigte: »Weil mein neuer Wagen so ausgezeichnet ist, die Zeiten sich nun ganz bestimmt bessern und die Verkäufe sich mehren, will ich jetzt zehn - bis zwanzigtausend Mann neu einstellen!« War es fair, dass er das von Zeitungen bringen ließ, worauf sich Hunderte armer Teufel von den Notküchen und Obdachlosenheimen aufmachten und nach River Rouge hinüberwanderten? Andere arme Teufel fuhren im bittersten Winter auf offenen Güterwagen herbei - und als sie vor die Tore des Werkes kamen, standen dort Mannschaften des Werkschutzes. Die hatten Gummiknüppel in den Händen und Gewehre auf den Schultern. Sie hielten alle Arbeiter an, die keinen Ausweis hatten. Sie trieben die Ärmsten mit Hieben auseinander, und wenn es zu viele waren, so bearbeitete man sie mit eiskaltem Wasser, das man aus Wasserkanonen gegen sie spritzte. War das fair? Musste man, um sich die Menschen vom Leibe zu halten, die brutalsten Gangster anheuern? War das eine menschenfreundliche Haltung, Mr. Ford?
Vor nunmehr 18 Jahren war Henry Ford als das Vorbild eines Arbeitsgebers ins Licht der Öffentlichkeit getreten, galt er als Führer und Lehrer aller amerikanischen Arbeitgeber. Seither hatte er vier Bücher, die seinen Namen trugen, etliche Dutzend Artikel in Zeitschriften und unzählige Interviews veröffentlicht. Nun war es wohl an der Zeit, einmal zu untersuchen, wie sich seine Theorien bewährt hatten. Die Antwort ist zunächst einmal, dass jetzt Henry Ford der meistgehasste Mann der amerikanischen Autoindustrie war. Wenn einer seiner Arbeiter sich eine >Saturday Evening Post< kaufte und auf einen Artikel stieß, der die idealen Zustände in dem Werk schilderte, so warf er das Blatt auf den Boden und trat mit seinem dreckigen Stiefel darauf.
Jahrelang hatte Henry seinen Leuten erzählt, die Maschine bringe keine Arbeitslosigkeit. Aber bitte! Im River-Rouge-Werk stellten sie immer neue Maschinen auf, es konnte ihnen gar nicht schnell genug mit dem Erfinden und Bauen gehen. Bisher hatten zwanzig Leute ein Teil hergestellt, jetzt erlebten sie, wie die neue Maschine herbeigeschafft und aufgestellt wurde. Einer von ihnen wurde für die Bedienung angelernt und verrichtete nun die Arbeit der zwanzig. Die neunzehn anderen warf man nicht sofort hinaus; scheinbar sollte das nicht sein. Der Vormann stellte sie bei anderer Arbeit an. Bald aber begann er sie zu schikanieren, und die Männer wussten genau, warum.
Und welche lächerlichen Vorwände benutzte man, um die Leute loszuwerden! Neben Abner wohnte ein Kollege, der hatte siebzehn Jahre für die Gesellschaft gearbeitet. Nun hatte man ihm gesagt, er sollte sich seine Papiere geben lassen. Warum? Er hatte seine vor Müdigkeit lahmen Arme ein paar Sekunden vor Schluss der Arbeitszeit ausgeschüttelt. Unten in der Straße wohnte ein junger Mann. Er war als Laufbursche beschäftigt gewesen und hatte sich einmal aufgehalten, um ein Stück Schokolade zu kaufen. Sie hatten tausend nette Richtlinien, wonach die Spitzel einen anzeigen konnten. Ein Vormann hatte mit einem seiner Untergebenen gesprochen; das war gegen die Anweisung; er musste gehen. Zwei Leute hatten während der Arbeitszeit miteinander gesprochen; sie flogen beide raus. Man konnte hinausfliegen, weil man vergessen hatte, seinen Arbeitsausweis in der linken Brusttasche zu tragen, weil man sich zu lange auf der Toilette aufhielt, weil man sein Essen auf dem Fußboden sitzend einnahm, weil man mit Kameraden der nächsten Schicht gesprochen hatte. Beschweren konnte man sich nicht.
War man aber auf Draht und befolgte alle Anweisungen, so warfen sie einen auf andere Art hinaus. »Wir können Sie im Augenblick nicht recht verwenden«, hieß es dann, »aber behalten Sie ihren Arbeitspaß noch. Sie bleiben auf der Lohnliste. Wir benachrichtigen Sie, wenn wir Sie wieder benötigen.« Derart hielten sie ihre Statistiken sauber, aber für den Mann hieß es, dass er nirgendwo sonst Arbeit bekommen konnte. Der neue Boss fragte ja, wo man bisher gearbeitet habe. Er rief das Ford-Werk an, um sich zu erkundigen, und selbstverständlich wollte er niemanden einstellen, der noch auf Fords Lohnliste stand.
Während der Depression war es mit diesen Machenschaften Monat für Monat schlimmer geworden. Die 250 000 Arbeiter im Werk wurden aufs äußerste angetrieben; sie waren am Ende ihrer Schicht halb verrückt. Oft wurde einer auf einer Bahre hinausgetragen, denn die Leute, die man so antrieb, konnten die Maschinen gar nicht mehr bedienen, ohne Unfälle zu verursachen. Über keinen Gegenstand jedoch hatte Henry beredter geschrieben als über die Wichtigkeit der Unfallverhütung. Aber immer wieder wurde seine >Abteilung für Arbeitsschutz<
von seiner >Abteilung für Beschleunigung< an die Wand gedrückt. Es ging das Gerücht um, man habe im Werk täglich einen Toten. Aber Ford hatte ein eigenes Krankenhaus, und Zahlen darüber waren nicht zu bekommen.
Henry Ford war jetzt fast siebzig. Er war der reichste Mann der Welt und die vollkommenste Verkörperung jener Ansichten, die man als >wirtschaftlichen Determinismus< bezeichnet. Er hatte mit so wunderbaren Idealen begonnen, mit soviel Großmut im Herzen, mit so vielen Entschlüssen, die erwarten ließen, sein Leben werde ein gutes sein. Nun war er Milliardär, und sein Geld hielt ihn gefangen wie das Spinnennetz die Fliege. Der mächtigste Mann der Welt zappelte hilflos in der Faust seiner Dollarmilliarde. Sie machte aus ihm etwas, wovon er niemals geträumt hatte. Sie war nicht nur Herr seiner Taten, sondern auch seiner Gedanken, und so war ihm nicht einmal bewusst, was aus ihm geworden war. Er war nicht nur blind für die Wahrheit in seinem Werk, sondern auch für jene in seinem Herzen.
Er hatte das Evangelium der Arbeit gepredigt und sie zu seiner Religion gemacht. Arbeit, Arbeit, das war das Heil der Menschen. Die Produktion aber war der Gott. So hatte der Autokönig nun die wunderbarste Maschine der Welt zur Gütererzeugung - aber sie stand neun Zehntel der Zeit nutzlos herum. Er hatte hunderttausend Menschen dazu erzogen, sich auf ihn, was die Arbeit betraf, zu verlassen. Jetzt musste er etliche Tausend anderer anstellen, um sie sich mit Gummiknüppeln und Gewehren vom Leibe zu halten. Er hatte für das tägliche Brot von einer Million Menschen gesorgt, er hatte sie von sich abhängig gemacht - und jetzt überließ er sie sich selbst. Sie mochten sich in Mansarden, Kellern und leeren Lagerschuppen zusammenpferchen oder in Hütten, die man aus Blech und Teerpappe zusammenflickte, oder gar in Erdlöchern -sollten sie doch überall zusammenkriechen, wenn sie nur Henry Ford nicht in den Weg kamen!
Früher war er schlicht und demokratisch gewesen. Aber seine Dollarmilliarde verlangte, dass er wie ein orientalischer Despot lebte, durch eigenen Entschluss eingekerkert und von Leibwachen umgeben. Er, der früher gern mit seinen Arbeitern gesprochen und ihnen die Arbeit gezeigt hatte, wagte jetzt nicht einmal, ohne Bewachung an seinem Fließband entlangzugehen. Er, der so gesprächig gewesen, war jetzt einsilbig und mürrisch geworden. Seine einzigen Gesellschafter waren Ja-Sager, die alles guthießen, was er äußerte. Fremde traf er selten, denn alle wollten Geld von ihm, und er war der Bettelei überdrüssig. Seine Sekretäre schirmten ihn ab. Er hatte sich zu oft zum Narren gemacht, und sie wussten nie, welchen Unsinn er das nächste Mal sagen würde.
Da lebte er nun in seinem großen steinernen Haus, seinem eigenen Park mit den Bäumen, den Blumen und Vögeln, die er so liebte. Auf sie konnte man sich verlassen, wenn man sie richtig behandelte. Sie waren ganz anders als die niederträchtige und undankbare Menschheit. Kinder, alte Tänze und Fiedelleute, die alte Weisen spielten -solche Dinge beschwichtigten das Gemüt des unglücklichen alten Flivverking. Aber Kinder, die zu seinen Gesellschaften kamen, mussten pausbäckig und fröhlich sein. Niemand durfte die zehntausend hungernden Kinder erwähnen, sie sich in den Notküchen von Detroit drängten! Niemand durfte das traurigste aller Kapitel anschneiden, nämlich die Forderung der Stadtverwaltung, Henry Ford müsse einen Teil der Kosten für die Ernährung der Kinder tragen, da die meisten Eltern erwerbslose Arbeiter der Fordwerke seien. Da Henrys Werke sämtlich außerhalb Detroits lagen, brauchte er der Stadt keine Steuern zu zahlen. Die Stadt aber war der Meinung, das sei ungerecht.
Ja, einst gab es eine ausgezeichnete Verwaltung in der Stadt, nämliche jene, die Henry bezahlt hatte und die ihm zu Willen war. Aber die Leute waren damit ja nicht zufrieden gewesen. Sie setzten Henrys Bürgermeister ab und bestimmten einen nach ihrer eigenen Wahl, einen Iren und katholischen Richter, Murphy mit Namen. Der war nun genau das, was Henry einen Demagogen nannte, einen Fanatiker, einen Schwätzer, all das, was er unter dem berüchtigten Wort >Politiker< verstand. Nun hatte Detroit ja, was es sich gewünscht hatte, und Henry ließ es im eigenen Saft schmoren.
Der demagogische Bürgermeister setzte einen Ausschuss gegen die Arbeitslosigkeit ein, der feststellte, dass die Stadt jährlich 722000 Dollar ausgebe, um die Erwerbslosen der Fordwerke zu erhalten. Der Wohlfahrtsausschuss der Stadt bewies, dass Ford tausende Familienväter hinausgeworfen habe, ohne auch nur einen Finger für ihre Unterstützung zu rühren. Der große Industrieherr und Weltverbesserer verlor den Spaß an seinen Tanzveranstaltungen, und sein Sohn Edsel, der sich sonst nicht um die Geschichten der Zeitungen kümmerte, gab der >New York Times< ein langes Interview, in dem er versuchte, die Anwürfe zu widerlegen. Was war denn das, ein Angestellter der Fordwerke? Und wie lange rückwirkend war denn eigentlich die Gesellschaft für jene verantwortlich, die einmal bei ihr gearbeitet hatten? Es lief darauf hinaus, dass die Gesellschaft die Verantwortung für jene zugab, die erst kürzlich entlassen worden waren. Nun, Abner Shutt war einer davon, und er hätte sich bestimmt recht glücklich geschätzt, wenn er von seinem Brotherrn diese Botschaft erhalten hätte. Aber davon war in der Veröffentlichung nun auch wieder nicht die Rede.
Kurz nach dem Kriege hatte der Staat versucht, eine Flotte Frachter abzustoßen. Sie waren für den Nachschub der Armee gebaut worden. Die Handelsschifffahrt konnte sie nicht verwenden. Henry hatte 199 dieser Schiffe gekauft und sie nach River Rouge gebracht. Dort hatte er sie nach allen Regeln der Kunst zerlegt und für alles eine Verwendung in seinem riesigen Werk gefunden. Er wollte nichts daran verdienen, es machte ihm Spaß, so wie es anderen Spaß macht, Kreuzworträtsel zu lösen. Seine Leidenschaft war es nun einmal, Dinge zu verwerten und auszuklügeln, wie man das anstellen kann.
Mit diesen Schiffen hatte er die Maschinisten übernommen, die auf ihnen gedient hatten. Nun waren die Schiffe zerlegt, und eine weitere Gruppe von Menschen musste in der Ford-Empire eingereiht werden. Wieder ein Problem, das Henry reizte. Unter diesen Leuten war der berühmte Marineboxer Harry Bennett. Er hatte einen harten Schädel und eine schwere Faust; er besaß außerdem eine Eigenschaft, die im alten System des Feudalismus die Grundlage von Gesetz und Ordnung war: Verdingte er sich an einen Menschen, so machte er dessen Angelegenheit zu seiner eigenen. Henry, der in der Zeit des modernen Industriefeudalismus lebte, hatte das gleiche Bedürfnis, welches den Sultan der Türken veranlasst hatte, seine Janitscharen aufzustellen, oder die Fürsten der Renaissance ihre Condottieri um sich sammeln ließ. Er brauchte eine Garde gut ausgerüsteter und wohltrainierter Kämpfer als Schutz für sich und seine Dollarmilliarde.
Bennett wurde Chef von Henrys >Dienst-Abteilung< -eine Bezeichnung übrigens, die er wohl auch erst finden konnte, nachdem die Dollarmilliarde ihm den Sinn für Humor genommen hatte. Bennetts Aufgabe war es, die 3600 Mann starke firmeneigene Polizeitruppe aufzustellen und zu trainieren. Sie sollte die Tore des Werkes bewachen, die Arbeit im Werk überwachen, die Übertretung der etlichen hundert Richtlinien melden, sich als Spitzel unter die Leute mischen, um Aufwiegler und Hetzer zu entdecken und Gewerkschaftsagenten und Agitatoren der >Roten< aufzuspüren. All dies aber war nicht nur im Werk, sondern überall notwendig. Kam ein Arbeiterführer in die Stadt, so musste Henrys Dienst-Abteilung wissen, wohin er ging und mit wem er verhandelte. Mit anderen Worten: Henry Fords Armee stellte eine Spionageabteilung auf mit Spionen und Gegenspionen, wie sie im Krieg notwendig sind. Da der Angriff stets die beste Verteidigung ist, verübte Henrys Armee auch ihren Teil an Verbrechen. Daher konnte Frank Murphy, ehemals Richter und jetzt Bürgermeister von Detroit, mit Recht sagen: »Henry Ford bezahlt einige der übelsten Gangster unserer Stadt.«
Der Alkoholschmuggel war auch nicht mehr so ein Geschäft wie früher; denn der Schmuggler-Ring hatte den Zolldienst des Bundesstaates derart fest in der Hand, dass die Aufgabe Henry Ford Shutts fast ein simples Kraftwagenfahren wurde. Dementsprechend war auch die Bezahlung gesunken. Aber zum Glück hatte Hanks Chef einen Bruder, der ein wichtiger Mann im Geheimdienst Henry Fords war. Der bat Hank, ihm Material gegen eine Gruppe von Alkoholschmugglern zu beschaffen, von denen man behauptete, sie mischten sich in die Dearborner Politik, die Ford kontrollierte. Die Informationen, die Hank brachte, waren so gut, dass er nun eine Zeitlang einen doppelten Job und doppelten Lohn hatte. Als ein Spion gegen Spione verkehrte er in der Unterwelt, und die Dinge, die er wusste, hätten das politische und industrielle Regime von Detroit auffliegen lassen können, aber er behielt sie schön für sich und spielte sie sparsam aus. Hank hatte nun wieder Geld. Dann und wann ließ er sich im Hause seiner Eltern sehen und sorgte durch seine Zuwendungen für ihren Lebensunterhalt.
Dem amerikanischen Volke hatte man jahrelang erzählt, der großmütige Mr. Ford gibt ehemaligen Kriminellen gern eine Chance, um sich zu rehabilitieren, und Amerika glaubte, das sei eine edle und schöne Tat. Aber allmählich hatten sich die Praktiken der Ford-Motor-Company gewandelt: jetzt heuerte man ehemalige Verbrecher an, nicht etwa, damit sie ein besseres Leben führten, sondern damit sie so weitermachten wie bisher. Davon allerdings wusste das amerikanische Volk noch nichts.
Edsel hatte vier reizende Kinder, drei Jungen und ein Mädchen. Sie waren Henrys ganzer Lebenstrost. Von anderen Kindern hielt man sie fern, sie sollten ja die Erben dieses riesigen Reiches werden, sie sollten den Namen Ford tragen und die Tradition fortführen, die damit verbunden war. Sorgfältig wurden sie für diese Verantwortung erzogen, sollten sie dereinst würdig tragen und so Henrys Verteidigung des Systems der erblichen Monarchie in der Industrie rechtfertigen. »Demokratie hat nichts mit der Frage zu tun, wer herrschen soll« - so hatte Henry Ford in einem seiner Bücher geschrieben.
Als eine Folge der Depression hatte sich in Amerika eine neue Art des Verbrechens entwickelt: eine Welle des Kindesraubs ging durch das Land. Organisierte Gangsterbanden entführten die Kinder der Reichen und hielten sie um eines Lösegeldes willen fest; häufig behandelten sie die Kleinen grausam, und mehr als einmal hatte man sie getötet, wenn der Plan fehlschlug. Diese Ereignisse lasteten wie schwere Schatten auf dem Leben des Autokönigs. Er war von der Idee besessen, dieses Schrecknis könnte einem seiner angebeteten Erben zustoßen.
Die Gründe für diese Verbrechen lagen für jeden klar auf der Hand, der sich nur einmal die Zeit nahm, darüber nachzudenken. Die Kinder der Armen spielten auf den Straßen und waren vor den Kidnappern sicher, viele Eltern wären in jenen Tagen vielleicht gar nicht böse gewesen, wenn man ihre Kinder entführt hätte, vorausgesetzt, dass sie dabei gut genährt würden. Aber wenn von einem Manne bekannt war, dass er 200 Millionen Bargeld auf der Bank liegen hatte, so war das doch vielleicht die Chance, das größte Lösegeld aller Zeiten herauszuschlagen. Die Gangster wussten es, und Henry wusste, dass sie es wussten. Das zerstörte seine Ruhe; Liebe und Menschlichkeit verdorrten in seinem Herzen, Angst und Argwohn wucherten darin auf. >Schwer ruht das Haupt, das eine Krone trägt.<
Harry Bennett war der Mann, bei dem Henry Schutz gegen diese Gefahr suchte. Bennett trieb Männer auf, denen man die Bewachung der Kinder anvertrauen konnte und die sie für keine noch so große Summe an die Gangster verkaufen würden. Sie spielten im Leben des Autokönigs die gleiche Rolle wie die >königliche Leibgarde< in England. Der Chef der >Dienst-Abteilung< wurde Kommandeur der >Haus-Truppe<. Er kam und ging zu jeder Tageszeit, er war der einzige, der jederzeit bei Henry Zutritt hatte. Oft untersuchte er sogar Journalisten, die um Interviews baten, und nicht selten musste er entscheiden, ob ein Besuch bewilligt werden sollte.
Wieder bestimmte die Dollarmilliarde Henry Fords Leben. Bennett war durchaus der Mann- nach ihrer Fasson. Er hatte eine harte Faust, er war ein Meisterschütze und fackelte nicht lange. Er fürchtete sich vor nichts auf der Welt. Für ihn war das Recht einer Dollarmilliarde, die Welt zu regieren, ebenso erwiesen, wie es unwiderleglich wahr ist, dass Stahl hart und Blut rot ist. Er übernahm jetzt die Obhut für Henrys Leben und die Aufgabe, seinen Geist und Charakter umzuformen.
Was für ein Wechsel, wenn man überlegt, dass Reverend Samuel Marquis vormals diesen Platz in Henrys Leben eingenommen hatte. Er war ein gewissenhafter hochgeistiger christlicher Mensch gewesen, doch die Dollarmilliarde war stärker. Sie hatte im Fordwerk und in Fords Haus eine Atmosphäre geschaffen, in der er nicht atmen konnte. Er hatte es also aufgegeben und ein Buch über Henry Ford geschrieben, worin er mit betrübtem Herzen, aber klarem Blick dessen Charakter beschrieb. Marquis war allerdings wohl nicht klar geworden, dass Henry Ford nur eine ähnliche Entwicklung durchschritt wie die Kirche, die der Dekan vertrat - er riss Christus aus seiner Brust und setzte Cäsar an seine Stelle.
Abner Shutt trottete durch die Ford-Straße in Detroit, von Fabrik zu Fabrik. Vielleicht würde es der Zufall ja fügen, dass sie doch irgendwo Leute einstellten. Von seinem Wagen hatte er sich längst trennen müssen, das hieß in dieser weitläufigen Gegend, dass er die Chance, eine Arbeit zu bekommen, von vornherein verloren hatte, oder sie zu erreichen, wenn er wirklich eine fand. Wann immer es eine Mitfahrgelegenheit gab, fuhr er trotzdem in die Stadt und ging von Werk zu Werk. Wenn er noch das Geld für eine Zeitung hatte, las er die Anzeigen und den Teil der neuesten Nachrichten. Er hoffte immer noch, einer der Konzerne könnte sich wieder erholen.
Er kam zu einem Platz, auf dem sich eine Menge zusammengefunden hatte, irgendeine Kundgebung wurde abgehalten. >Ford-Arbeiter, versammelt euch<, las er auf einem großem weißen Plakat. Ein Mann hatte einen Lastwagen erklettert und sprach. Abner hielt sich immer noch für einen Ford-Arbeiter und trat näher, um zu sehen was man von ihm wollte.
Er lauschte der Rede eines Mannes, der behauptete, er sei viele Jahre bei Ford beschäftigt gewesen. Es war die Geschichte, die Abner selbst bestens kannte: die Beschleunigung des Arbeitstempos und die Tyrannei der Vorgesetzten, die sinnlosen, niederträchtigen Richtlinien, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, das Fehlen jeglicher Sicherheit und aller Dinge, die das Leben erträglich machten. Ja, das war einmal ein Kerl! Der wusste, was er sagte! Und als die Menge ihm Beifall gab, wurde Abners Herz warm. So durften die Leute im Werk nicht reden, nicht einmal flüstern. Aber hier draußen war Amerika noch frei.
Der Redner sagte: »Wir wollen einen Protestmarsch nach Dearborn organisieren. Wir wollen vor die Tore des Werkes marschieren und Henry von den Sorgen seiner Arbeiter berichten.« Da ahnte Abner, um was es sich handelte, er hatte in der Zeitung gelesen, dass Agitatoren so einen Marsch planten, und der Bürgermeister von Detroit gab die Erlaubnis. Die Zeitungen schrieben, das seien Kommunisten, die notorischen und gefürchteten
> Roten<. Abner hätte diese Warnung beherzigen sollen, aber im Augenblick war er ganz hingerissen. Der Mann schien für die Sache der Arbeiter zu sprechen, und Abner wollte noch mehr darüber erfahren.
Er hörte sich noch mehr Sprecher an. Sie erzählten nicht nur von den Zuständen im Werk, die ihm ja bekannt waren, sondern auch von Fords Weigerung, einen Beitrag zur Unterstützung seiner arbeitslosen Arbeiter zu leisten. Auch von dem baldigen Bankrott der Stadt Detroit sprach der Redner: dass die Bankiers die Stadt zwangen, Hunderte von Angestellten zu entlassen, bevor sie ihr weitere Darlehen geben wollten. Jede weitere soziale Arbeit der Stadt hatten sie verboten und von der Wohlfahrtsbehörde verlangt, sie sollte 15000 arbeitslose Familien von den Unterstützungslisten streichen. Vielleicht waren ja einige Väter solcher Familien hier auf dem Platz? Ja, ja, wir sind da! riefen die Männer.
Es war der 7. März 1932. Ein beißender Wind fuhr übers Land. Die Männer standen zitternd da, der Wind trieb ihnen Tränen in die Augen, ihre zerrissenen Jacken hatten sie fest zugeknöpft und ihre Hände tief in den Taschen vergraben. Ein grauer, trüber Tag war es, Schnee lag auf dem Boden, die Männer stampften mit den Füßen, um warm zu werden. Erbärmliche, ausgemergelte Gesichter, die von der Gerechtigkeit träumten, die es nirgends auf der Welt gab, und von der Freiheit, etwas mehr tun zu können als verhungern. Sie wollten ihre Träume dem großen Herrn in Dearborn vortragen, der vor Zeiten einmal ihr Freund gewesen war, aber jetzt sein Antlitz von ihnen gewandt hatte.
Ein Redner las die Forderungen vor. Es war eine lange Liste: Arbeit für alle, die man auf Wartezeit gesetzt hatte, oder fünfzig Prozent ihres Lohnes, bis sie wieder Arbeit hatten; Verlangsamung des Arbeitstempos, Aufhebung
des Spitzelwesens - ja weiß Gott, im Ford-Werk würde das Arbeiten weit angenehmer sein, wenn diese Redner ihren Willen hätten! »Seid ihr mit diesen Forderungen einverstanden?« Die Zuhörer schrieen laut: »Ja, wir sind einverstanden!«
Die Straße herauf marschierten lange Kolonnen zerlumpter und hungriger Menschen, sie marschierten zu vieren in einer Reihe. Sie sangen ein altes Lied: »Hoch die Solidarität« und trugen große Schilder, deren Texte sich an den mächtigen Fabrikherrn wandten. Einige Polizisten gingen an der Spitze und an den Seiten des Zuges. Bürgermeister Murphy, der sich selbst liberal nannte, hatte gesagt, der arbeitslose Arbeiter müsse das Recht haben, seine Sorgen herauszuschreien, Versammlungen abzuhalten und Umzüge zu veranstalten. Alles würde ohne Zwischenfälle ablaufen, hatten die Organisatoren versprochen, und die Redner warnten die Männer: wenn es zu Gewalt käme, würden sie die öffentliche Sympathie verlieren, in der doch ihre ganze Hoffnung lag.
»Wir sind unbewaffnet. Wir sind keine Aufständischen, sondern Arbeiter und amerikanische Bürger. Wir bringen nur gerechte Forderungen vor und bestehen auf unserem Recht, gegen unhaltbare Ungerechtigkeiten zu protestieren. Kommt mit uns, Arbeiter und Kollegen!« Das erklärten die Sprecher und forderten alle auf, sich der Demonstration anzuschließen. In der Ferne sah man das River-Rouge-Werk; seine gewaltigen Schornsteine ragten wie riesige Orgelpfeifen in den Himmel. Dreitausend arbeitslose Arbeiter marschierten hier, um ihre Sorgen kundzutun. Abner Shutt war unter ihnen.
Sie kamen an die Stadtgrenze von Detroit. Hier hörten Bürgermeister Murphys Befugnisse auf. Dearborn begann, hier lag das Werk, in dieser Stadt herrschte Henry Ford. Der Bürgermeister und alle Beamten gehorchten ihm. Der Polizeichef hatte jahrelang ein Gehalt von Ford und ein zweites von der Stadt Dearborn eingestrichen. Erst kürzlich hatte er eine neue Ausstattung Maschinengewehre erhalten.
Die Demonstration stoppte, die Dearborner Polizei verbot ihr weiterzuziehen. Ein Redner erwiderte, sie wollten nur zum Ford-Werk und darum bitten, dass man eine Delegation vorlasse, die ihre Sorgen darlegen solle. Er beteuerte nochmals, dass es eine geordnete Demonstration sei, und warnte wieder alle Teilnehmer, Gewalt anzuwenden.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Polizei warf Bomben mit Tränen- und Lachgas. Aber die Straße war breit, und die Leute wichen nach allen Seiten aus. Der Marsch ging weiter. Polizisten in Autos und auf Motorrädern rasten zum Werk voraus und ließen die Sirenen heulen.
Henry hatte die Straßen mit großen Brücken überbaut, damit die Leute, die zu seinem Werk hinüber wollten, den Verkehr nicht behinderten. Auf der ersten Brücke standen Angehörige der >Dienst-Abteilung< mit Gasbomben und Maschinengewehren. Militärisch gesehen eine ausgezeichnete Stellung - wenn der Gegner nicht bewaffnet war. Eine Kette der Ford-Polizei, darunter Dearborner Polizei, war vor den Toren des Werkes postiert. Die Berichterstatter behaupteten, sogar Polizei aus Detroit sei darunter gewesen. Es sah so aus, als sei Bürgermeister Murphy nicht mehr Herr in seinem eigenen Distrikt.
Es kostete Mut, gegen diese Stellung vorzugehen, besonders, wenn man als Führer marschierte und wusste,
dass sie es auf einen abgesehen hatten. Vielleicht wagten das nur die roten Fanatiker, aber vielleicht war es auch umgekehrt, und man nannte jeden so, der diesen Mut aufbrachte. Hier jedenfalls standen sie, die Polizei forderte sie auf auseinander zugehen, und die Arbeiter verlangten, man möge eine Delegation hineinlassen, die ihre Forderungen vortragen könne.
Abner Shutt hatte keine Angst und war auch nicht verwirrt. Er war ja so häufig über diese Brücke gegangen, er fühlte sich hier ganz zu Hause. Und arbeitete denn nicht sein eigener Sohn noch jetzt dort? Sicher hatte er das Recht, nach Arbeit zu fragen, und gewiss würde Mr. Ford, wenn er davon erfuhr, dieses Recht ihm auch zugestehen. Doch als Abner dann sah, wie die Männer auf der Brücke Bomben nach ihm warfen, als er sie um sich her platzen hörte, da wollte er zurückgehen. Als dann gar ein Mann an seiner Seite sich an den Leib griff und von einer Kugel getroffen zusammenbrach, drehte Abner um und lief auf den freien Platz, wo er früher seinen Wagen geparkt hatte.
Von dem, was weiter geschah, sah er nichts mehr. Aber er las in den Zeitungen darüber. Die Tore des Werkes wurden geöffnet, und Harry Bennett fuhr in einem Wagen heraus, ein zweiter Mann lenkte. Bennett saß zur Rechten und schrie der Menge zu, sie solle auseinander gehen. Ob er einen Revolver oder eine Gaspistole abfeuerte, darüber gingen die Berichte auseinander. Jedenfalls hatte er geschossen. Irgend jemand warf daraufhin einen Stein, traf ihn am Kopf, er war reif fürs Krankenhaus. Sofort feuerten die Männer auf der Brücke mit ihren Maschinengewehren in die Menge. Sie schossen Dauerfeuer, fünfzig Mann wurden verwundet und vier getötet.
Das also war die Antwort von Mr. Ford an Abner Shutt und alle Arbeiter! Es war die Antwort der Dollarmilliarde, die ihn in den Klauen hatte. Zwei Dutzend Menschen lagen mit Schusswunden im Krankenhaus. Mit Handschellen und Ketten hatte man sie an ihre Betten gefesselt. Aber nicht ein einziger Polizist oder einer von der >Dienst-Abteilung< hatte eine Schussverletzung!
Mit dem Ford Modell A war es nun wieder genauso wie damals, als man ihn nur in einer Farbe haben konnte. Mochte man sie arabisch-sandfarben nennen oder dunkelgrau oder niagarablau oder stahlgrau - stets war es die Farbe menschlichen Blutes.
Abner Shutt fuhr allein mit der Straßenbahn heim und hatte viel Zeit nachzudenken. Was war geschehen? Man hatte auf ihn geschossen! Er hatte gesehen, wie ein Mann getötet wurde! Es war der erste Mord, den er miterlebt hatte. Er war entsetzt, und je länger er darüber nachdachte, um so mehr war er erstaunt über sich selbst. Die Gewöhnung an Ordnung und Gehorsam gewann wieder die Oberhand, und er sagte sich: »Ich wäre besser zu Haus geblieben.« Er dachte an seinen guten und großen Freund Henry Ford. Wie sehr musste es ihn schmerzen, wenn er von diesen Ereignissen erfuhr und dass gerade Abner daran beteiligt war. Wenn Mr. Ford gewusst hätte, dass die Leute ihn sprechen wollten, so wäre er sicher gekommen, hätte mit ihnen geredet, ebenso freundlich und gütig wie vor Jahren mit Abner. Warum hatte es ihm denn niemand gesagt?
Diese Überlegungen wurden noch bestätigt, als Abner eine Abendzeitung kaufte und über die Führer der Demonstration las: Es waren die schlimmsten roten Agitatoren, die es in Detroit gab. Die Zeitung nannte die
Namen, die Abner deshalb vertraut waren, weil er sie öfters in dem gleichen Blatt gelesen hatte. - So weit also war es gekommen! Diesen abgefeimten Gaunern war es gelungen, ihn, den loyalsten hundertprozentigen Amerikaner und Klansmann, in ihre Falle zu locken! Geheime Agenten des Bolschewismus waren das! Den freien amerikanischen Staat wollten sie vernichten und die Arbeiter zu Sklaven machen wie in Russland! Abner wusste, dass die Arbeiter in Russland in der Sklaverei lebten. Es hatte doch im >Dearborn Independent< gestanden!
Je länger Abner darüber nachdachte, um so mehr regte er sich auf. Himmel! Sein eigener Sohn John hätte auf der Brücke stehen und mithelfen können, das Werk gegen die Kommunisten zu verteidigen! Sein Sohn Hank hätte in der Menge sein können, um die Feinde der Ford-Company zu bespitzeln! Abner beschloss, der Familie sein Abenteuer etwas anders zu erzählen. Er war nicht mitmarschiert, o nein! Er war nur hinterhergelaufen, um zu sehen, was die Agitatoren tun würden. Wahrscheinlich hatte ihn ja auch keiner erkannt. Warum sollte er sich selbst ins schlechte Licht rücken?
Milly regte sich trotzdem gewaltig auf, als er es so erzählte. Er musste versprechen, dass er nie wieder so einen Unsinn machen würde. Daisy sagte, er hätte nicht nur getötet werden, sondern sein Verhalten hätte auch verschulden können, dass man John und ihren Mann entließe. Und was sollte dann aus ihnen werden? Ihre Furcht war durchaus begründet; man warf ja sogar Männer hinaus, die Geld für das Begräbnis der getöteten Demonstranten stifteten.
Als Hank nach ein oder zwei Tagen hereinschaute, sagte er, er sei in der Menge gewesen und habe seinen Vater gesehen, aber seinen Namen natürlich nicht angegeben. Der Alte solle es sich nur ja nicht noch mal einfallen
lassen, sich in solche Sachen zu mischen. Das könnte ihm verdammt schlecht bekommen.
In Wahrheit war Hank noch nicht einmal in der Nähe des Schauplatzes gewesen. Daisy hatte die Geschichte in einem Telefongespräch erwähnt, und Hanks Phantasie hatte alles übrige dazugetan. Seit er seine Hände in den geheimen Affären hatte, setzte er sich gern in Szene und tat so, als sei er überall dabei, habe das Vertrauen der >ganz großen Bosse< und sei mit allen auf du und du. Solange Hank diese Aufschneidereien nur bei so kleinen Leuten wie in seiner Familie anbrachte, war ja nichts dabei, und er war zu klug, um bei seinen Bossen damit anzugeben.
Wenige Tage nach der Demonstration brachte die Ford-Motor-Company zwei neue Typen des Modells A heraus. Es geschah mit dem üblichen Reklame-Getöse. Man prophezeite Riesenverkäufe und ein Sinken der Arbeitslosigkeit. Diesmal blieb die Wirkung aus. Erst vor kurzem waren endlich alle Banken in Detroit zusammengekracht, und die Not war schlimmer als je zuvor. Henry hatte Geld in diesen Banken, und da er der einzige Mann war, der über die nötigen Mittel verfügte, sie zu retten, musste er sie übernehmen. So wurde dem Ford-Reich ein weiteres Fürstentum einverleibt.
Für die Arbeiter Henry Fords vergrößerte sich das Unglück. Ihre Arbeit war schon auf ein oder zwei Tage in der Woche gekürzt, jetzt wurde auch noch der Mindestlohn auf vier Dollar pro Tag herabgesetzt. Die wirtschaftlichen Realitäten hatten sich stärker erwiesen als Henrys Theorien. Aber man glaube ja nicht, er hätte deshalb nun seine Theorien geändert! Er behauptete immer noch, der Weg zum Wohlstand liege in der Zahlung hoher Löhne. Ausgerechnet er sagte das, der nur noch einem Viertel seiner Arbeiter Lohn zahlen konnte!
Diese Riesenlast an Elend drückte die Bevölkerung Detroits wie ein Berg. Die Shutts hatten ihr Heim in ein Mietshaus verwandelt, sie waren in zwei Räume zusammengerückt. Abner jagte hinter Arbeit her, bis seine Beine lahm waren, doch er fand bestenfalls ein paar Gelegenheitsarbeiten, die mit einer Mahlzeit abgelohnt wurden. Er versetzte seine Uhr und dann seinen Wintermantel. Im Sommer machte das nichts aus, aber jetzt wurde es Herbst, und er musste Hank um Geld bitten, den Mantel wieder einzulösen.
Milly war fast immer bettlägerig, und sie hatten kein Geld für den Arzt. Der letzte hatte ihr Medizin verschrieben, aber sie konnten sie nicht mehr bezahlen. Daisy musste den Haushalt führen, und auch ihr ging es schlecht. Sie hatte verzweifelt dagegen gekämpft, ein Kind zu bekommen, zweimal schon abgetrieben, aber das hatte sie so krank gemacht, sie wagte es nicht noch einmal. Jetzt war ein Baby da, doch sie kümmerte sich nicht viel um das Kind; sie hatte auch nur wenig Milch, das Kind blieb winzig. Sie war ein Hausdrache geworden und so schlampig, dass ihre Tugend vor den Mietern ziemlich sicher war.
Und was waren das für herrliche Träume gewesen! Eine elegante Stenotypistin in einem Büro wollte sie einmal werden, stets seidene Strümpfe tragen und einen Boss heiraten. Sie hatte einen armen Angestellten bekommen, der ein oder höchstens zwei Tage in der Woche für den Mindestlohn von vier Dollar arbeitete. Er arbeitete in der Lohnbuchhaltung, auch hier war die Arbeitszeit auf ein Viertel gekürzt worden. Er hieß Jim Baggs, ging gern zum Football und feuerte seine Mannschaft an, und er spielte gern Bowling. Jetzt hatte er kein Geld mehr für derartige Vergnügungen. Auch seine Frau hatte jegliches Interesse an ihm verloren.
So zerstörte die Depression das Leben der Armen und jener, die sie arm machte. In Detroit gab es Zehntausende obdachloser Menschen. Sie schliefen in den Parks, gruben sich Höhlen in die Sandberge, saßen den ganzen Tag an den Kais und hofften, vielleicht einen Fisch zu fangen. Zugleich aber las man in den Zeitungen die Mahnungen der Politiker und Wirtschaftsführer, der Staat müsse sparen. Sie meinten damit, die Sozialausgaben müssten verringert werden, man müsse noch mehr Leuten die Unterstützung streichen. Ohne ihnen aber sagen zu können, was sie nun beginnen sollten. In Highland Park konnten die Shutts keine Unterstützung bekommen. Sie besaßen ja ein Haus! Aber was sollten sie denn mit diesem Haus anfangen? Darin sitzen und zu Tode frieren? Oder verhungern? Oder gar beides? Sie konnten es um keinen noch so geringen Preis losschlagen.
Wenn man den Wohlfahrtsbeamten mit diesem Argument kam, so antworteten sie, die Stadt stehe vor dem Bankrott, es sei kein Geld mehr da. Die Steuern erhöhen? Nein, dadurch würden die Einnahmen der Stadt auch nicht größer werden. Dann würden nur noch mehr Leute ihr Haus aufgeben und Unterstützung beantragen. Nein, was würde dabei schon herausspringen? Keiner der Shutts kannte die Lösung für solche Rätsel, und wenn irgend jemand auf der Welt sie wusste, woran sollte man diesen wunderbaren Menschen erkennen?
Wieder einmal stand eine Präsidentschaftswahl vor der Tür; vielleicht brachte das die Erlösung. Die Republikaner stellten den >großen Ingenieur< wieder auf. Hätten sie einen anderen präsentiert, wäre das ein Eingeständnis ihres Irrtums gewesen. Auch waren sie durchaus mit dem einverstanden, was ihr Präsident getan hatte: Er hatte der Industrie Staatskredite gegeben. Das war recht so, denn daher musste ja der Wohlstand kommen, wenn er überhaupt wiederkommen sollte. Die Demokraten stellten den Gouverneur des Staates New York auf. Er hielt gewandte Reden im Rundfunk und versprach einen >New Deal<(Anm.: >New Deal<, etwa = >Die Wende<.). Die Shutts hatten ihr Radio verkauft und lasen die Nachrichten über den Wahlkampf nur in der Zeitung, die ihnen versicherte, wirtschaftliche Gesetze ließen sich nicht mit politischen Reden durchbrechen.
Der große und gütige Henry Ford richtete einen Aufruf an seine Arbeiter, in dem er ihnen empfahl, für Präsident Hoover zu stimmen. Abner hielt sich immer noch für einen Ford-Arbeiter, und dieser Empfehlung hatte es bei ihm auch nicht bedurft, er war darauf festgelegt, dem Blendwerk demokratischer Redner zu widerstehen. Daisy und ihr Jim waren verbittert, sie wollten für Roosevelt stimmen. Solange der Wahlkampf tobte, versuchten sie den alten Abner zu überzeugen. Der aber hatte gelernt, den Mund zu halten, das tat er denn auch. Er stimmte für Hoover und bewies dadurch, dass er ein freier, unabhängiger Amerikaner war.
Daisy Baggs war in ihren glücklichen Tagen so oft sie konnte ins Kino gegangen. Jetzt hatte sie kein Geld mehr dafür. Aber sie fand einen schmerzstillenden Ersatz. In der Straße war ein Kramladen, wo man allerlei Zeugs kaufen konnte, so auch alte Magazine. Viele zerlesene Schundromane konnte man hier für fünf Cents das Heft haben, ja, man bekam das halbe Geld zurück, wenn man sie wiederbrachte. War das nicht wirklich ein preiswertes Glück für die Ärmsten der hungrigen Seelen? Daisy verschlang diese Schmöker und las sie laut ihrer Mutter vor.
Es ging immer romantisch in diesen Heften zu, sie handelten von reichen, glücklichen und erfolgreichen Menschen. Und fing ein Roman einmal traurig an, so waren die Helden jedenfalls am Schluss der Geschichte reich und glücklich. Gerade das unterschied die Romane vom wirklichen Leben und erklärte, warum arme, einsame und erfolglose Menschen ihre Groschen für sie ausgaben. In diesen Geschichten heirateten Mädchen, die fleißig lernten und Stenotypistin wurden, wirklich den Boss und nicht einen Buchhalter mit geviertelter Arbeitszeit. Mädchen in Hotels heirateten reiche Grubenbesitzer oder doch Männer mit einem Herzen treu wie Gold, die dann auch bald Ölquellen entdeckten. Nette, aber arme Burschen hielten ein durchgehendes Pferd auf, trafen so die reichste aller Erbinnen und heirateten sie. Oft auch retteten sie einem Magnaten das Leben und wurden an Sohnes Statt in sein Haus aufgenommen.
Abner hörte sich diese Geschichten an, wenn er zu Hause saß und seine müden Beine ausruhte. So also konnte man im Leben Erfolg haben! Leider war er nicht mehr jung und kein fescher Bursche mehr. Früher, richtig, da hatte er die Gelegenheiten wohl vorübergehen lassen. Aber der einzige reiche Mann, den er kannte, hatte nie ein Pferd geritten, er war, soviel Abner wusste, nie in Lebensgefahr gekommen. Mr. Ford war auch immer von unzähligen Leuten umgeben, die bereit waren, für ihn alles zu tun, was er verlangte. Abner hatte ihn später einige Male gesehen, als er durch das Werk ging oder von seinem Chauffeur gefahren wurde. Aber auch da hätte er nie eine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen. Abner wusste, wo sein Haus lag, und hatte sich einmal von hinten herangepirscht. Er sah dort Posten stehen - man konnte nicht einfach so hineingehen. Nein, die guten alten Zeiten waren vorbei, wo ein Arbeiter mit Henry Ford über alles sprechen konnte und ihn um eine Gunst bitten durfte.
Dennoch bewirkten Daisys Geschichten, über die sie endlos schwatzte, dass in Abner das Bewusstsein eines Bandes zwischen Herr und Arbeiter erhalten blieb. Abner fing auch an, sich Romane auszudenken, und stellte sich vor, was wohl alles geschehen könnte. Nun mal angenommen, er träte vom Fließband vor, wenn Ford vorüberging, und sagte: »Mr. Ford, ich bin Abner Shutt, hab' Ihr'n Benzinkasten mal mit aus 'm Dreckloch rausgeholt, ist schon fast vierzig Jahre her.« Oder wenn er nun zu dessen Haus ginge und einem der Posten seine Geschichte erzählte? Oder wenn er irgendwo auf den dreitausend Morgen von Mr. Fords Anwesen wartete? - Irgendwann einmal musste der große Mann ja vorüberkommen, und es konnte doch auch nicht alles abgezäunt sein!
Oder - wenn er nun einen Brief schrieb? Die Zeitungen sagten zwar, Ford bekäme täglich Tausende von Briefen. Aber es war doch möglich, dass auch ein Sekretär mal ein Herz hatte und durch so eine rührende und tragische Geschichte, wie er sie erzählen konnte, weich gestimmt wurde. Jeder Schreiber eines Bittbriefes hat den gleichen schönen Wahn dabei. Jeder ist ein Tropfen Wasser, der vom Himmel fällt. Noch ist es so! Aber eines Tages werden die Tropfen erkennen, dass sie Teile eines Stromes sind und auf dem Weg zum Ozean.
Einmal traf es sich, dass Daisy nicht zu Hause war und seine Frau schlief, als Abner heimkam. Darauf hatte er schon lange gewartet - endlich einmal das tun zu können, was er wollte, ohne Fragen beantworten zu müssen Heimlichkeit war eine seiner Eigenschaften geworden Das machte das enge Zusammenleben mit so vielen Menschen, die über alles anderer Meinung waren als er und ihn einen Tropf oder einen bemoosten Karpfen nannten. Abner war nicht besonders gescheit, aber er hatte sich doch überlegt, dass es besser sei, wenn der Brief auch wie der Brief eines Arbeiters aussah und nicht in der Handelsschulschrift seiner Tochter geschrieben war.
In der Zeitung hatte Abner viel über Mrs. Fords Nächstenliebe und ihre Betriebsamkeit in frommer Fürsorge gelesen. Er dachte sich, sie bekommt vielleicht nicht soviel Briefe wie ihr Mr. Ford. Er kramte Tinte und Feder hervor, riss eine Seite aus seinem Notizbuch, und mit mehr Arbeit und Schweiß als je am Fließband komponierte er einen Brief, der mit »Verehrte Mrs. Ford« begann und dann fortfuhr:
»Als Kind lebte ich dahinten, Bagley Street, hab oft den Kasten mit aus dem Dreck gezogen und einmal auch rumgedreht. Ich arbeitete seit dem ersten Jahr in der Fabrik. Hab damals manchmal mit Mr. Ford gesprochen. Hab fast dreißig Jahre für ihn gearbeitet und immer gut. Bin jetzt schon zwei Jahre ohne Arbeit. Hab eine kranke Frau, meine Tochter hat ein Baby, ihr Mann hat nur einen Tag Arbeit, im Büro. Mein Sohn hat in Mr. Fords Berufsschule gelernt, hat jetzt auch Familie und nur zwei Tage Arbeit. Mr. Ford kennt meinen Namen, hat mich selbst angestellt und viele Male mit mir gesprochen. Mrs. Ford, bitte, geben Sie mir Arbeit. Ich fass alles an, was ich kann. Kenn den Fordwagen. Hab mein Leben lang dran gearbeitet. Helfen Sie einem guten Mann. Gehöre zu Pfarrer Orguts Gemeinde.
Ihr ergebener Abner Shutt.«
Abner las den Brief wieder und wieder durch. Er hatte den unangenehmen Verdacht, einige Worte sähen wohl nicht so ganz richtig aus. Aber, überlegte er, ich bewerbe mich ja nicht um eine Stelle als Lehrer. Er glaubte, Mrs. Ford werde schon begreifen, was der Brief bedeute, und darin hatte er recht. Nur einen dummen Fehler machte er - er vergaß, seinen Absender auf den Brief zu setzen.
Er ging aus dem Haus, kaufte eine Briefmarke und steckte den Brief in den Kasten. Und nun wartete er. Er erzählte niemandem davon, er wollte sie alle überraschen. Den ganzen nächsten Tag blieb er zu Hause und wartete, weil er glaubte, es werde ein Sendbote kommen. Er wartete auch den darauf folgenden Tag noch, bis Daisy und Milly zu zetern begannen. Wollte er denn gar nicht mehr nach Arbeit suchen? Da ging er wieder los und wanderte durch die Straßen.
Mit dem Brief geschah folgendes: Ein Sekretär von Ford öffnete ihn und merkte ihn für eine Untersuchung und Nachprüfung vor, wie Mrs. Ford es für solche Fälle angeordnet hatte. Er wurde einem Angestellten im Verwaltungsgebäude zugestellt, der diese Fälle bearbeitete. Der Mann schlug den Namen Abner Shutt in der mehrere Millionen Namen zählenden Kartothek von ehemaligen Arbeitern der Ford-Company nach. Die fehlende Adresse war nicht so wesentlich. Abner Shutt war kein häufiger Name, die Eintragungen bewiesen, dass er bei der Gesellschaft gewesen war. Der Fall wurde also einem Mann übertragen, der im Außendienst tätig war.
Ein junger Mann kletterte vor dem Hause der Shutts aus seinem Ford Modell A Coupe und läutete. Er musste eine ganze Weile läuten, weil niemand außer Milly im Hause war, die nur selten aufstand. Aber endlich schleppte sie sich zur Tür, guckte durch den Spalt und war natürlich in hellster Aufregung, als sie einen fremden Mann sah, der
behauptete, er komme von Ford. Milly ließ ihn ein, stotterte Entschuldigungen und setzte sich stöhnend auf einen Stuhl. Sie schämte sich ihrer Armut. Das Zimmer war für einen Empfang gar nicht vorbereitet.
Viele der >rührseligen Erzählungen<, die in den Briefen an Mrs. Ford standen, hatten sich als nicht ganz wahr herausgestellt, doch in diesem Fall konnte der Prüfer sehen, dass Milly wirklich krank war. Er bemerkte auch, dass sie nichts von dem Brief wusste, den ihr Mann geschrieben hatte. So war es leicht, die Wahrheit jedes Wortes, das Abner geschrieben hatte, zu überprüfen. Der Ehemann war nicht zu Hause, suchte anscheinend Arbeit, ein ehrbares, aber vergebliches Bemühen. Der junge Mann stellte Fragen, die jede Einzelheit der Familie und alles über die finanzielle Lage der Shutts aufdeckten. So unwahrscheinlich es schien, dieser Shutt hatte tatsächlich Mr. Ford in seinen frühen Tagen gekannt; war sogar persönlich von ihm angestellt und gefördert worden. Der Fall hatte Aufmerksamkeit verdient.
Gab das eine Aufregung in der Familie, als sie nach und nach heimkamen und von diesem Ereignis hörten! Und wie stolz war erst das Haupt der Familie! Die lange Untätigkeit und Hilflosigkeit hatte ihn körperlich zerrieben, aber sein Kopf war helle geblieben. Jetzt schwoll ihm der Kamm, und es wurde schwer, mit ihm in einem Zimmer zu leben. Jeden Tag wartete er ungeduldig auf den Briefträger. Endlich erhielt er die Aufforderung, er möge sich im Highland-Park-Werk melden. Dort stellten sie immer noch Ersatzteile für das Modell T her. Abner durfte jetzt am Fließband einige winzige Schrauben der Magneten einsetzen. Zwei Tage in der Woche arbeitete er. Acht Dollar bekam er dafür und brauchte nicht einmal Fahrgeld. Diesen Menschen, die fast verhungert waren, schien es wie der Himmel auf Erden.
Wenn ein Mann 250000 Angestellte hat, so macht es ihn nicht bankrott, wenn er 250000 und einen Arbeiter hat. Außerdem bleibt ja immer noch die Möglichkeit, einen anderen Mann hinauszuwerfen oder gar hundert, wenn er es für richtig hält. Der Mann möchte seine Frau glücklich sehen, da liegt der Hase im Pfeffer. Sie hat eben ein weiches Herz wie alle Frauen, denen die wirtschaftlichen Zusammenhänge ein Buch mit sieben Siegeln sind. Und wenn sie sich obendrein dagegen wehrt, dass man die Bittbriefe an sie zerreißt, so muss ein Weg gefunden werden, ihre Wünsche zu erfüllen. Deshalb bekam Abner seine Arbeit. Er antwortete mit einem Brief voll rührender Dankbarkeit, der in seiner Ungelenkheit und seinem Stammeln so herzzerreißend war, dass man ihn der großen Dame vorlegte. Sie bewahrte ihn in ihrer Handtasche auf und zeigte ihn einigen ihrer Freunde; da konnten sie einmal sehen, was für eine gütige und fromme Einrichtung doch die Ford-Motor-Company war!
Abner vergaß über Nacht alle Wunden und Schmerzen, die man ihm zugefügt hatte, er vergaß die Kugeln, die über seinen Kopf gepfiffen waren - Kugeln, die von Henry Fords Geld bezahlt und von seinen Leuten verschossen wurden. Aber wir wollen nie mehr von dieser Verwirrung in Abner Shutts Leben sprechen, solange er noch lebt. Abner war jetzt mehr denn je überzeugt, dass Henry Ford einer der größten und besten Menschen sei. Er hatte das immer geglaubt. Wenn ein Unrecht geschah, so lag das nicht an Henry Ford. Sein Werk war groß, und er fand eben keine Männer, die seiner Ziele würdig waren. Daran lag es! Jetzt gehörte Abner wieder dazu. Sollte nur noch einmal irgendein Boss oder Vormann wagen, ihn hinauszuwerfen! Er wusste jetzt, was er dann zu tun hatte!
Amerika wählte Präsident Hoover nicht wieder; auch Henrys Macht half da nicht. Sie wollten es jetzt einmal mit den Demokraten versuchen. Sofort nach der Wahl begann der totale Zusammenbruch in Finanz und Industrie. Es war der schwerste, den man je erlebt hatte. War dieses Elend nun die Folge dessen, was Mr. Hoover getan oder unterlassen hatte? Oder fürchteten sich die Leute vor dem, was Mr. Roosevelt tun wollte, und lag hier die Ursache? Die Weisen stritten endlos darüber. Der Präsident lud seinen Nachfolger ein, um mit ihm Sofortmaßnahmen gegen die Missstände zu beraten. Aber Roosevelt lehnte es ab, die Verantwortung für jegliche Maßnahme zu tragen, die während Hoovers Amtsperiode noch beschlossen würde. Die Gegensätze verschärften sich also. Wer trug die Verantwortung, dass nun alle Banken des Landes die Schalter schlossen?
Abner war einer von den hundert Millionen Amerikanern, die nur das wussten, was sie in den Zeitungen lasen. Für ihn war jetzt alles noch rätselhafter und unbegreiflicher. Was würde aus dem Land werden? Fiel alles in Scherben? Würde Ford wieder schließen und ihm seine Stellung kündigen müssen?
Der neue Präsident war zuversichtlich und lächelte. Das half einigen Leuten, doch noch mehr brachte es in Zorn. Der neue Präsident vertrat den Gedanken, nicht den Großbanken und der Industrie, die es nur in ihren Safes anhäuften, sondern den Farmern und Arbeitern müsse man Geld geben. Die würden es sofort in Umlauf setzen. Dieser neue Plan schien all denen gut, die kein Geld hatten, sie versprachen ernsthaft und von ganzem Herzen, es sofort wieder auszugeben. Der Plan lief an, und sofort wurden wieder Waren gekauft. Die Industrie erholte sich, die Farmer fanden wieder Absatz für ihre Erzeugnisse.
Die einfachen Leute konnten wieder Nahrung kaufen, um sich sattzuessen.
Das war der Kurs in den nächsten Jahren. Der Staat verschuldete sich mit Milliarden von Dollars und lenkte sie nach diesen oder jenen Grundsätzen an die Endverbraucher, von denen man annehmen konnte, sie würden sie auch ausgeben. Doch letzten Endes lief es wieder darauf hinaus, dass die Großbanken und die Großindustrie zum Schluss alles Geld vergnügt einstrichen. Man sollte meinen, das hätte ihnen behagt und sie wären dem Präsidenten dankbar gewesen, der diese prächtige Idee ausgedacht und eingeführt hatte. Aber - die Banken waren kaum wieder geöffnet und mit Geld voll gestopft, die Farmer erzielten gute Preise, die Aktiengesellschaften zahlten die höchsten Dividenden seit ihrem Bestehen - da, kaum waren sie wieder obenauf, wandten sich alle aus einem dunklen Grunde gegen ihren Retter. Sie schimpften ihn einen Diktator, einen Verschwender und gaben ihm andere Namen, die man besser nicht nennt.
So auch Henry Ford: Ende 1934, etwa eineinhalb Jahre nach dem Beginn der >Wende< erklärte er, die Depression sei jetzt vorüber, er werde wieder eine Million Wagen pro Jahr herstellen. Soviel hatte er seit 1930 nicht mehr erzeugt. Diesmal stimmte es und war nicht nur Verkaufspsychologie. Die Leute hatten jetzt Geld, konnten ihre alten Wagen, die sie jahrelang gefahren hatten, durch neue ersetzen. Henry rief seine Arbeiter zurück und erhöhte den Mindestlohn. Könnte man nun nicht von ihm erwarten, er werde seine Wirtschaftsphilosophie ändern und versuchen, mit dieser Regierung zusammenzuarbeiten?
Durchaus nicht! Die Regierung wollte eine >National Recovery Act (Anm.: N.R. A. - National Recovery Act, etwa = Konzertierte Aktion.) beschließen: Man wollte die Lohnkürzungen, die blinde Überproduktion, sowie alle anderen Schäden der industriellen Anarchie verhindern. Henry aber, der eigensinnigste aller Individualisten, bockte wie ein Esel. Er verweigerte sein Einverständnis, sagte aber nicht, was er statt dessen zu tun gedächte. Nein, er überließ es der Regierung, seine Wagen zu boykottieren und seine Proteste abzulehnen.
Was dachte Abner Shutt sich bei solchen Ereignissen? Nun, er dachte sich gar nichts dabei. Er glich ebenfalls einem Esel der Industrie, aber einem von jener Art, den man an einem Pfahl anpflockt, der ewig im Kreis trottet und eine Maschine antreibt. Unendlich viele Male trottet er so jeder Stunde im Kreise, acht Stunden jeden Tag, fünf Tage jede Woche. Er wünscht sich nichts Besseres auf dieser Welt, solange er noch laufen kann, will er so angepflockt bleiben, damit er jeden Freitagabend einen der schönen Schecks der Ford-Motor-Company bekommt, damit er seine Familie kleiden und ernähren und die Steuern für sein Haus bezahlen kann. Vielleicht gelingt es auch, ein paar Dollar auf die Bank zu bringen, damit er und seine kranke Frau nicht hinweggeschleudert werden, wenn wieder einer dieser wirtschaftlichen Wirbelstürme über das Land hereinbricht. Ja, das wird er vielleicht tun, denn diesmal bürgt der Staat ihm ja für seine Ersparnisse.
Um diese Zeit kam noch ein Name der Familie in die Zeitung. An der Universität hatte eine Gruppe Studenten zur Verweigerung des Militärdienstes aufgefordert. Sie hatten eine Versammlung gegen >Krieg und Faschismus< einberufen mit sensationellen Ideen: ein William-Randolph-Hearst-Tribunal abgehalten und sein Bild verbrannt. Die Zeitungen erhoben ein entrüstetes Geschrei, und der Rektor der Universität versicherte öffentlich und feierlich, dass solche Störungen der friedlichen Entwicklung durch die Gruppe >Krieg und Faschismus< in Zukunft verboten seien. Er sagte, der bedauerliche Zwischenfall sei das Werk einiger weniger Berufs-Agitatoren. Die Zeitungen nannten Namen der Studenten, die an der Sache beteiligt waren. Darunter auch ein Mitglied des letzten Semesters, Thomas Shutt.
Abner war längst kein aufmerksamer Zeitungsleser mehr. Er erfuhr von der Sache erst, als eine Abordnung von drei Bürgern ihn besuchte. Es waren alte Bekannte, die damals auch die Hutbänder des Highland-Park-Clubs >Macht Ford zum Präsidenten< getragen und mit Abner gemeinsam an der Verbrennung von Feuerkreuzen teilgenommen hatten. Die Aktivität des Klans war geschwunden, und der müde alte Arbeiter hatte das Interesse an politischen Dingen verloren. Aber diese Besucher machten ihm jetzt klar, er vernachlässige seine Bürgerpflichten. Es sei besser, sein >Söhnchen< totzuprügeln, als es den Roten zu überlassen.
Der arme Abner Shutt war verwirrt und versicherte den Männern aufrichtig, dass er von der ganzen Geschichte nichts gewusst habe. Er erklärte, nach wie vor sei er ein loyaler und guter Patriot. Ganz im stillen hatte er dabei allerdings ein schlechtes Gewissen - er war doch einmal in einer roten Demonstration marschiert. »Aber nun, meine Herren, wie soll ich denn meinen Sohn beaufsichtigen, wenn ich doch gar nicht begreife, was der Bursche studiert? Der redet doch nur so gelehrtes Zeug, davon versteht man nichts«, sagte Abner. »Und was soll ich jetzt wohl noch machen? Aus dem >Söhnchen< ist ein Football-
spieler geworden, der stark genug ist, um gleich zwei solcher Väter wie mich übers Knie zu legen.«
Die Besucher sagten, sie kämen gerne, um bei der Züchtigung zu helfen, wenn es nötig sei. Sie warnten Abner ernstlich. Eine neue Organisation sei entstanden, viel stärker als damals der Klan. Sie werde von vielen großen Gesellschaften unterstützt und wolle schon dafür sorgen, dass das Gebiet von Detroit den >roten Hunden< nicht in die Hände falle. Mehr wollten sie ihm nicht sagen, denn ihm könne man ja nun nicht mehr trauen. Und sie stießen furchtbare Drohungen aus, die den armen alten Mann veranlassten, einen Brief an seinen Sohn zu schreiben. Wie hilflos war dieser Brief! Tom fühlte Mitleid mit seinem Vater. Aber seine Anschauungen änderte er nicht.
Sein Vater hörte jetzt immer wieder von dieser neuen wachsamen Truppe, der >Schwarzen Legion<, die eine große Mitgliedschaft um sich sammelte, besonders unter den Raufbolden, den weißen Arbeitern der Südstaaten, welche die Autofabriken jetzt zu Tausenden Jahr für Jahr herbeiholten. Diese Leute konnten zum größten Teil nicht einmal lesen, aber sie waren >Patrioten< und schwollen vor Rassenstolz. Sie hassten Katholiken, Juden, Neger und jeden, auf den die Bezeichnung >Roter< halbwegs passte. Einer von ihnen arbeitete im Highland-Park-Werk und fuhr öfters mit Abner zusammen heim. Der Mann konnte es nicht lassen, hin und wieder Andeutungen über seine neue Organisation zu machen, obgleich er geschworen hatte, nie etwas von ihren geheimen Satzungen zu verraten. Ja, einen ewigen Schwur hatte er darauf geleistet, und eine Pistole hatte man ihm dabei an die Schläfe gedrückt.
Eine beängstigende Sache, dieser >Schwarze Schwur<, den man mit seinem Blut unterschreiben musste: »Ich gelobe, dass ich mein Leben dem Gehorsam gegen meine Vorgesetzten weihen und allzeit bereit sein will, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um die Anarchisten und Kommunisten auszurotten, die Vorherrschaft Roms und seiner Hintermänner zu vernichten, so wahr Gott und der Teufel mir helfe!« Nur uramerikanische, protestantische, reinrassige Bürger wurden aufgenommen. Die Todesstrafe stand auf den Bruch dieses Schwurs: »Man wird dich in Stücke reißen und den Hunden zum Fraß vorwerfen.« Man kleidete den Kämpfer in ein schwarzes Gewand, und er zog aus, um die Strafe des >Feuers, des Stäupens und des Todes< an den Feinden der Idee zu vollziehen.
Dieser Klan begründete eine gewaltige politische Macht. Seine Führer waren Richter, Staatsanwälte, Bürgermeister, Ratsmänner, Polizisten, Soldaten und Anhänger der >Amerikanischen Legion<. Der arme Abner hatte keinen Eid abgelegt, er war in großer Sorge um seinen Sohn, der so ganz aus der Art geschlagen war. Da hatte er einen großen Fehler gemacht, als er den Jungen aufs College gehen ließ. Dort hatte er diese gefährlichen Anschauungen aufgeschnappt und all dies verdammte gelehrte Geschwätz gelernt!
Die Dinge spitzten sich immer mehr zu, selbst der arme dumme und besorgte Abner musste es merken. In Dearborn hatten die Fordleute eine neue Gruppe gebildet; sie nannten sich die >Ritter von Dearborn<(Anm.: Knights of Dearborn, vgl. >Knights of Labour< = >Arbeiter<.). Es waren etliche hundert Mann, die auf Fords Lohnlisten standen, aber nur agitierten und zuschlugen, wo immer man sie brauchte. Eine wahre Spionagewut breitete sich in Henrys Werk aus. Drei Männer standen beisammen und unterhielten sich - das reichte schon für den Verdacht der Verschwörung. Die >Dienst-Abteilung< untersuchte sogar die Frühstücksdosen der Arbeiter nach hochverräterischer Literatur. Selbst die Stullen klappten sie auseinander!
Tom Shutt hatte sein Studium beendet und verließ das College. Er trug ein schwarzes Barett und eine schwarze Robe: und welcher Glanz umgab ihn! Und erst die Feierlichkeiten! Lieblicher Chorgesang an warmem Frühlingsabend, ganze Schwärme junger schöner Mädchen in zarten reizenden Kleidern. Mütter und Väter waren gekommen, auch sie alle schön und elegant. Ein berühmter Rechtsanwalt verlieh die Doktorwürde und rief tausend jungen Frauen und Männern, die nun ins Leben traten, zu, Amerika brauche ihren Idealismus und ihre höchste Hingabe gerade in einer Zeit, wo die Kräfte der Unzufriedenheit und der Unordnung in der Welt ihr Unwesen trieben.
Von der Shutt-Familie hatte nur Daisy Bagg Zeit, um Zeuge dieses großen Ereignisses im Leben seines jüngsten Mitgliedes zu sein. Sie hatte geschwankt, ob sie sich in eine so illustre Gesellschaft wagen solle, aber Tom hatte sie eingeladen. So bestellte sie eine Nachbarin, die nach ihrem Kinde sah, und lieh sich ein Kleid von einer Freundin, die in einem Modesalon arbeitete. Sie lieh sich auch den Familienwagen aus und fuhr die etwa dreißig Meilen nach Ann Arbor hinüber. Sie parkte die alte Kiste recht weit vom College.
Die Eleganz und all der Glanz blendeten sie. Es war, als sei sie plötzlich in die Märchenwelt ihrer Schundromane versetzt. Ihr Bruder sah so großartig aus! Sie konnte sich kaum noch vorstellen, dass er der gleiche Bengel sein sollte, dem sie einst die Nase geputzt hatte. Er machte sie mit einer reizenden Studienkameradin bekannt, einem Wesen in blassblauem Chiffon, der Tochter eines Industriellen; ihre Augen hingen mit tiefer Bewunderung an
Tom. Da begriff Daisy die Bedeutung der akademischen Bildung. Sie war so beeindruckt, dass sie einen großen Akt der Entsagung vollziehen wollte, der wahrlich einer ihrer Heldinnen aus den Schundromanen würdig gewesen wäre: Sie wollte leise fortgehen, um Tom seine Chance nicht dadurch zu verderben, dass sie ihn zwang, seine arme dumme Schwester diesen reichen und gelehrten Freunden vorzustellen.
Aber Tom ließ das nicht zu, er wollte nach Hause zurück und bat sie, bis zum Abend zu warten und ihn und seine Koffer heimzufahren. Während der Fahrt versuchte er ihre romantischen Träume zu zerstören. Das College war >schlechtes Theater<, nichts weiter! Barett und Robe hatte er für zwei Dollar gemietet. Der große Rechtsanwalt, dessen beredter Idealismus sie so bewegt hatte, war ein Mietling der mächtigen Industrie, der ihnen dazu half, die Republikanische Partei zu beherrschen und ihre staatlichen Gesetzgeber und Richter zu bestimmen. Wäre er in seiner Baccalaureatsrede bei der Wahrheit geblieben, so hätte er den tausend jungen Menschen sagen müssen, dass sie eine überflüssige Generation seien, dass sie ertrinken würden, bevor sie noch die Segel gesetzt hätten, wenn der reiche Papa ihnen keine Stellung beschaffen konnte.
Und die reizende Tochter des Industriellen, die mit abgöttischer Liebe zu ihm aufgeschaut hatte? Ja, sie war eine brave Tochter, aber Tom hatte nicht um ihre Hand angehalten, weil sie seine Anschauungen nicht verstand. Sollte er etwa nur der Vorzeige-Akademiker in irgendeinem reichen Hause werden? Nein, dazu hatte er keine Lust. Das Mädchen, mit dem er zusammenleben wolle, erklärte er seiner erstaunten Schwester, sei die Kleine mit der großen Brille. Sie sah etwas abgespannt aus, weil sie gerade eine Statistik ausgearbeitet hatte, die Beziehungen zwischen Löhnen und Gewinnen in allen bisherigen
Depressionen der amerikanischen Geschichte aufzeigte. Sie hatte bewiesen, dass die Reallöhne stets viel schneller fielen als die Gewinne; sie erholten sich auch viel langsamer als diese. Jene Zahlen betrafen die Leiden der Shutts, die sie in mehreren Generationen verspürt hatten.
Es war kurz vor Mitternacht. Die Mondsichel stieg vor ihnen auf, Blütenduft lag in der Luft, der Asphalt der Straße leuchtete wie ein Band. Die Lichter der Wagen darauf, die nach Detroit zurückkehrten - alles war wundervoll, und die arme Daisy sehnte sich so nach etwas Fröhlichem und Aufregendem aus der mondänen Collegewelt. Statt dessen saß ein junger Mann neben ihr, der sich keine Illusionen machte, höchstens vielleicht über seine eigene Stärke und die Kraft seiner Entschlüsse. Er trat jetzt ins Leben, jawohl, aber er biss die Zähne zusammen, als gelte es zu kämpfen.
»Tom, du redest wie ein Roter«, rief seine Schwester aus. »Mag sein, dass die Zeitungen mich so nennen werden«, antwortete er. »Als ich ins College eintrat, wusste ich schon, dass die Arbeiter ein verdammt schlechtes Geschäft machen, und nach vier Jahren Studium hab' ich die Fakten und Zahlen, die es beweisen.«
Daisy fragte:
»Und was willst du nun tun, Tom?«
»Ich werde mir eine Stellung bei Ford beschaffen und Geld verdienen.«
»Du meinst als Arbeiter?«
»Sicher, genau das meine ich.«
Das traf Daisy ins Zentrum ihrer romantischen Träume. Vier Jahre höhere Schule, vier Jahre College - und das alles nur, um dann am Fließband zu arbeiten!
»Du bist verrückt, welchen Sinn hatte es dann überhaupt, eine Bildung zu erwerben, Tom, wenn du sie doch nicht benutzen willst?
»Oh, ich werde sie schon richtig nutzen«, sagte er. »Ich werde ein Arbeiter sein, der weiß, was mit ihm geschieht; und vielleicht kann ich das einigen anderen auch klarmachen.«
»Du willst also ein Aufrührer werden?«
»Man wird mich wohl so nennen, Schwesterchen. Stört es dich?«
»Für uns andere wird das nicht gerade von Vorteil sein.«
»Ach, ging es euch in letzter Zeit denn wirklich so gut?<
»Nein, aber es sah jetzt gerade so aus, als würde es wieder besser werden.«
Tom lachte. »Wenn ihr es lieber seht, so kann ich auch woanders hingehen und arbeiten. Amerika ist ja ein großes Land.«
»Oh, das habe ich nicht sagen wollen, Tom. Nur -Vater und Mutter werden das schwer verstehen können. Wir dachten doch alle, du wirst Rechtsanwalt.«
»Nein, Daisy, es gibt in Detroit hundert arbeitsloser Rechtsanwälte. Ich denke, das sind genug. Will lieber mein Glück am Fließband versuchen.«
Daisy schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Ich an deiner Stelle würde der Familie nichts von deinen Ideen und Absichten erzählen. Sie werden es doch nicht begreifen, es beunruhigt sie nur. Sag doch einfach, du willst für den Sommer Arbeit annehmen, damit du dir Zeit lassen und herumschauen kannst.«
»Einverstanden, Daisy, du kennst sie besser als ich.«
»Und noch etwas - sprich nicht mit Hank darüber.«
»Was ist denn mit Hank?«
»Ich darf dir nichts von seinen Geschäften erzählen, Tom.«
»Nicht einmal mir?«
»Wenn er es dir erzählen will, so ist das seine Sache. Ich werde dir nichts sagen von ihm und ihm nichts von dir.«
»Blödsinn!« sagte Tom. »Ich muss doch annehmen, dass mit der Aufhebung der Prohibition sein Job futsch ist.«
»Frag ihn selber, ich sag dir nichts.«
»Die meisten dieser Vögel sind doch in gut gehenden Kneipen untergekommen. Wollte denn keiner Hank anstellen?«
»Er hat sich nun einmal daran gewöhnt herumzuhängen, ich glaube nicht, dass es ihn befriedigen würde, hinter einer Kasse zu sitzen.«
»Er macht also irgend so eine Schnüffelarbeit, ja?«
»Ist nicht schön von dir, dass du mich so fragst, Tom.«
»Gut, ich tu's nicht mehr. Aber ich weiß gut genug, dass Fords Laden ein reines Spionagenest ist. Kann ja ganz amüsant werden, wenn ich eines Tages mit meinem Bruder zusammenstoße. Er könnte mich bespitzeln und ich ihn. Wie gefällt dir das?«
»Mutter fühlt sich verdammt schlecht«, sagte Daisy. »Ich glaube nicht, dass wir sie noch lange haben werden. Es ist irgend etwas mit ihr los; die Ärzte können es auch nicht finden.«
Schön, dass Tom wieder da war! Das sagten sie alle. Sie hatten ihn etwas furchtsam erwartet, weil er doch jetzt so gelehrt geworden war. Aber er machte sich über keinen seiner Familie oder ihrer Freunde lustig. Er war der gleiche gute Junge, der er immer gewesen war. Er war der zuverlässigste Hausbewohner, weil er sein Geld pünktlich heimbrachte und mehr abgab, als er musste.
Er ging gleich los und bekam bei Ford eine Stellung. Das war eben der Vorzug, wenn man jung und kräftig war und wusste, wie man mit den Leuten reden musste. Viele Studenten kamen in den letzten beiden Wochen dieses Juni an die Tore der Fabrik und suchten eine Gelegenheit, ihren Unterhalt für den Sommer und die Gelder für den Winter zu verdienen. Mancher Arbeitgeber hatte erkannt, dass diese Burschen voller Energie steckten und sich auch nicht scheuten, sie herzugeben. Die Studenten aus Toms Generation waren also doch nicht gar so überflüssig. Nach achtjähriger akademischer Ausbildung gab man ihnen beim Ausheben von Gräben und beim Verladen von Zementsäcken den Vorzug vor den alten Arbeitern. Man bevorzugte sie auch in vielen anderen Stellungen, welche die moderne Industrie erst geschaffen hatte und die das erforderte, was man >Persönlichkeit< nannte: Für das Füllen von Autotanks und das Abputzen der Windschutzscheiben zum Beispiel, für die Begleitung von Passagieren zu den Flugzeugen, für die Vorführung elektrischer Kühlschränke, die Unterweisung im Gebrauch neuer Erfindungen - also für alle Tätigkeiten, bei denen ein Auftreten und eine gewisse Begeisterung nötig waren.
Sie setzten Tom bei der Herstellung von Zahnradgetrieben ein. Vor der Depression hatte ein Mann vier Maschinen bedient. Man hatte noch die gleichen Maschinen, aber jetzt benötigte man nur einen Mann für zwölf Maschinen, und so hatten wieder zwei Männer ausgespielt. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis man die Arbeit begriffen hatte, und das war im Grunde alles, was Tom je von der Herstellung der Automobile lernen musste. Er schritt die
Reihe der Maschinen auf und ab, hielt bei jeder an, nahm ein fertiges Stück heraus und steckte ein noch unfertiges hinein. Es strengte ihn nicht an, behauptete er. Ihm blieb Zeit dabei, um über die Dinge nachzudenken, die ihn interessierten. An jedem Freitagabend hatte er fünf mal fünf Dollar und 65 Cent verdient. Tom hoffte, es möchte immer so bleiben. Aber irgend etwas sagte ihm, dass es nicht so bleiben würde.
Er erwarb einen kleinen Wagen auf Raten. Selbstverständlich kaufte er einen Ford; es wäre auch nicht tunlich gewesen, irgendeine andere Marke auf dem großen Platz zu parken, der für die Fordarbeiter vorgesehen war. Die Gesellschaft bestritt stets, dass es eine Vorschrift gab, aber wenn irgend jemand den Nerv gehabt hätte, einen Chevrolet auf dem Platz zu parken, so hätte es nicht lange gedauert, und der Boss hätte irgend etwas an seiner Arbeit auszusetzen gehabt. Tom wollte niemandem Anlass zu Streit geben. Er war fleißig und sanft wie ein Lamm, tat, was man ihm sagte und studierte die Richtlinien so gewissenhaft, wie er früher die Beziehungen zwischen Löhnen und Gewinnen in seinem volkswirtschaftlichen Seminar studiert hatte.
Er wollte seine Arbeitskameraden kennen lernen. Aber das war nicht so einfach, wie er angenommen hatte. Die Männer kamen am Morgen angehastet, steckten ihre Karte in die Kontrolluhr, warfen ihre Jacken ab und gingen an die Arbeit. Auch während der Mittagspause war kaum Zeit zum Reden. Man musste sein Essen holen, man schlang es hinein, wischte sich die Hände ab und musste in genau fünfzehn Minuten wieder an der Arbeit sein. Nach der Arbeit stürzte man zu seinem Wagen oder zur Straßenbahn und fuhr nach Hause, das irgendwo im Umkreis von fünfzig Meilen lag.
Schließlich gelang es Tom doch, und hatte er einen kennen gelernt, so erzählte der ihm seine Geschichte, wie es ihm und anderen ergangen war. Tom fragte, ob da nicht irgendwo ein Unrecht sei? Und worin es wohl bestand? Es dauerte nicht lange, da hatte Tom diese Frage mit Dutzenden von Männern durchgesprochen. Und bald trafen sich die Leute abends heimlich in ihren Häusern und diskutierten über die Fragen, die sie am meisten bewegten, ohne dass Tom viel dazu sagen musste.
An vielen Universitäten gab es Gruppen junge Menschen, die sich mit den Fragen der Industriearbeit beschäftigten. >Zellen< konnte man sie nennen. Wenn sie die Universität verließen, so fanden sie Mittel und Wege, um miteinander in Verbindung zu bleiben. Sie waren sich nicht in allen Ansichten einig, im Gegenteil, sie verschwendeten sehr viel Zeit damit, über die verschiedenen Strategien zu diskutieren. Aber sie einigten sich dann auf die vordringlichsten Aufgaben. Eine davon war, persönlichen Kontakt mit den Arbeitern aufzunehmen, herauszufinden, was sie dachten, und sie zum Mitdenken zu bewegen. Deshalb taten viele der Studenten, Frauen und Männer, das gleiche wie Tom Shutt - sie arbeiteten praktisch und hielten sich bereit, einer Gewerkschaft beizutreten, wenn und wann immer eine gegründet wurde.
Diesen >Zellen< war es klar, dass der Grund für die große Arbeitslosigkeit der Mangel an Kaufkraft in der Hand der Massen war. Einen zu großen Anteil des Produktionsgewinnes kassierten die Kapitaleigner, die ihn für neue Investitionen verwandten, und nicht die Arbeiter, die ihn für Kleidung, Nahrung und andere Bedürfnisse hätten ausgeben können. Der Arbeiter konnte mit seinem Lohn die Erzeugnisse nicht bezahlen, die Produktion ging zurück, und die Löhne fielen weiter. Die Farmer fanden keine Absatzmöglichkeit mehr für ihren Weizen und ihren Mais. Die Schuhfabriken wurden auf halbe Zeit gestellt, weil die Arbeiter in den Automobilfabriken ihre alten Schuhe weitertrugen, ein Teufelskreis.
Das schlimmste aber war, dass die Rezepte des >New Deal< die Schäden nicht beseitigten. Die Staatsanleihen und -ausgaben bewirkten, dass die Industrie wieder auflebte, aber es gab fast ebenso viele Arbeitslose wie zuvor. Toms Freunde konnten es täglich im Ford-Werk sehen, wo jede Abteilung neue Maschinen einführte, die alten beschleunigte und so eine immer kleinere Anzahl Arbeiter zur Erzeugung des Güterüberschusses antrieb. Die Produktion hatte den Stand vor der Depression erreicht, aber man brauchte nur zwei Drittel der früheren Arbeiter dazu. Es schien, als würden zehn Millionen Arbeitslose eine Dauererscheinung im amerikanischen Leben werden. Natürlich würden sie immer vor den Fabriktoren stehen und den Lohn der anderen drücken.
Die großen >Gehirn-Zellen< in Washington hatten dieses Problem mit ihrer Erfindung der >National Recovery Act< zu lösen versucht, die Löhne und Preise festschreiben sollte. Aber das oberste Bundesgericht hatte diese Gesetzesvorlage gerade verworfen - so lagen die Dinge jetzt. Da sagten die kleinen >Zellen< in Highland, Dearborn und tausend anderen Industriezentren: »Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen.« Tom Shutt sagte: »Wir müssen eine Gewerkschaft der Automobilarbeiter haben, eine große Gewerkschaft, die wirklich etwas schafft, und nicht nur einen Haufen Vertreter, die ihre Polstersessel wärmen und dicke Gehälter einstreichen.«
Im Distrikt Detroit war der Anfang schon gemacht. Es bestand schon eine Gruppe, die >Mechanics Educational Society<, die auf dem Höhepunkt der Depression gegründet worden war. Die Führer dieser Gewerkschaft waren Werkzeugmacher, die geschicktesten und begabtesten Arbeiter und die einzigen, vor denen die Arbeitgeber Furcht hatten. Sie hatten mehrere schnelle Streiks veranstaltet und auch gewonnen. Was aber vielleicht noch wichtiger war: sie hatten ihre Ideen verbreitet und alle Autoarbeiter zum Nachdenken und Diskutieren gebracht.
Eine neue Bestrebung entstand bei den Arbeitern im ganzen Lande. Man verlangte Gewerkschaften, die nach Industrien und nicht nach Einzelberufen organisiert werden sollten. Die Idee war alt, aber sie musste abwarten, bis die Arbeiter die Notwendigkeit erkannten. Mitten in der Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit hatten Tausende von Arbeitern im Distrikt Detroit die Diskussion dieser fundamentalen Idee aufgegriffen: Ja, eine einzige große Gewerkschaft der Arbeiter brauchten sie in der Autoindustrie, mochte die Arbeit, welche der einzelne verrichtete, auch noch so unterschiedlich sein. Henry Ford, der Herr über 200000 Arbeiter, würde mit einer Gewerkschaft mit der gleichen Mitgliederzahl zu verhandeln haben und nicht mehr mit hundert kleinen Gewerkschaften.
Den ganzen Sommer über hielt Tom seinen Posten und sparte einen Teil seines Geldes. Die Autoindustrie erholte sich, und alle Männer der Familie waren beschäftigt. Daisy blieb im Hause und führte den Haushalt, denn die Mutter war hilflos - sie hatte Magenkrebs. Sie musste viel aushalten und die Familie auch. Vor Ende des Jahres war ihr Leiden zu Ende. Es war wieder Geld im Hause, und sie konnten ihr ein schönes Begräbnis bereiten.
Abner arbeitete noch immer seine fünf vollen Tage am Fließband der Magneten. Die Preise stiegen weiter, aber er war trotzdem zufrieden. Er erinnerte sich vergangener Notzeiten, war froh, dass es ihm besser ging, war stolz auf seinen Sohn, der studiert hatte, wenn auch seine radikalen Ideen ihn etwas beunruhigten. Tom vermied jeden Streit mit ihm. Der Alte sollte nach Hause kommen und sich des Friedens freuen können, den er verdient hatte; mochte er nur die Zäune ausbessern, sich mit den Küken beschäftigen, mit seinem Enkel spielen oder auf den Stufen vor der Tür sitzen und seine Pfeife rauchen. Zweiundvierzig Jahre lang hatte er sich seinen Lebensunterhalt verdient und zigmal soviel Werte erzeugt, wie er bekommen hatte. Aber für ihn war es nun schon zu spät, die Sache noch einmal und anders anzufangen.
John Crocks Familie kam ebenfalls wieder voran. Die Autoindustrie erholte sich mit einem Ruck, und John stand wieder in der Klasse derer, die ein monatliches Gehalt bezogen. Das Paar kaufte sich wieder ein Haus, aber diesmal ein bescheidenes. Aus der Depression war ihnen eine panische Angst und der rabiate Wille geblieben, nie wieder am Boden zu liegen. Wenn der nächste Schlag kommen würde, musste John soviel Fähigkeiten und Annabell so viele einflussreiche Freunde haben, dass sie sicher vor dem Abgrund waren. Sie gierten nach Erfolg. Sie beteten die Fordmaschine und jeden erfolgreichen Mann darin mit einem solchen Fanatismus an, dass sie gegen den jüngsten Bruder unduldsam wurden.
Es stimmte, Tom konnte die beiden nicht ausstehen. John und Annabell meinten, Tom sähe sie von oben herab
an, weil er eine akademische Ausbildung und viele intellektuelle Freunde hatte. Annabell zeterte dann, dass ihr Mann, der sich ja nicht mit solchen Kulturidioten verbrüdern wolle, immerhin mehr erreicht habe, als es Tom je gelingen werde. Sie las in den Zeitungen über die >Zellen< und hasste die jungen Snobs, die ihren Spaß daran hatten, die wiederaufblühende Wirtschaft des Landes herunterzureißen. Sie sprach von ihrem Schwager als von einem sauertöpfischen Fachidioten. Bei Freunden betonte sie immer wieder, dass sie für ihn nicht verantwortlich seien, aber auch nicht im geringsten, dass sie nie mit ihm zusammenkämen, ja, in kaum wahrnähmen.
Annabell war eine scharfzüngige junge Frau, erzog ihre Kinder streng, ließ bei ihren Mädchen nichts durchgehen und bewies die gleiche mittelalterliche Haltung in ihren Äußerungen über politische und soziale Fragen. Sie verlangte, die Arbeiterbewegung solle ausgemerzt werden, bevor sie einem aus der Hand gleite. Dass sie überhaupt existierte, nahm sie als persönliche Beleidigung.
Ein großes Reich wie das Fordunternehmen hat auf jene, die in und von ihm leben, viele Wirkungen. Es hat seine eigenen Notstände und entwickelt seine eigenen Maßnahmen, um ihnen zu begegnen. Untereinander mögen seine Höflinge und Diener sich heftig bekämpfen, aber die Grundgesetze müssen sie anerkennen, auf denen diese Welt aufgebaut ist. Es ist ein Handelsreich, also müssen sie an das Geld glauben, an die Symbole des Geldes und an seine Vorschriften der Eleganz und des Status. Der Autokönig selbst hatte dies Gesetz von seiner Höhe, auf der er thronte, gegeben: »Die Menschen arbeiten fürs Geld!« Und John und Annabell richteten sich danach.
Sogar Hank stellte sich gegen seinen jüngeren Bruder, so erstaunlich das auch scheinen mochte. Er gehörte jetzt nämlich wieder zur ehrbaren Gesellschaft, und man glaube ja nicht, er habe die Schande damals nicht empfunden, als er ausgestoßen war. Als ob er nicht gespürt hätte, wie seine Familie ihn verachtete und sich schämte, seinen Namen zu nennen, während sie doch in der Not Geld von ihm annehmen musste! Jetzt aber hatte er es geschafft! Er stand wieder auf der Seite von Recht und Ordnung und hatte die mächtige Fordorganisation hinter sich. Da kam nun dieser Kindskopf von einem Bruder und wagte, alles zu zerstören - dieser junge Narr, dem ein Haufen weltfremder Theoretiker den Kopf mit Flausen voll gestopft hatte. Kerle, die nie in ihrem Leben auch nur einen Tag wirklich gearbeitet und keine Ahnung hatten, was für Verbrecher es gab und welche Gefahr darin bestand, die Arbeiter zum Aufruhr anzustacheln.
Zwischen den beiden Brüdern hatte es seit ihrer Kindheit immer Streit gegeben. Es wäre natürlich gewesen, wenn Tom zu Hank, dem vier Jahre Älteren, aufgeblickt hätte. Aber der Jüngere konnte sich nicht erinnern, wann Hank beim Spielen mal nicht betrogen oder sich durch Lügen aus der Patsche zu helfen versucht hätte. Allmählich hatte Tom gelernt, sich seine eigenen Kameraden zu suchen. Jetzt waren sie ein Dutzend Jahre älter, und die Situation war noch die gleiche - jeder hatte seine eigenen Genossen. Das Unglück war nur, dass diese beiden Gruppen miteinander Krieg führen wollten.
Hank besuchte seine Schwester in dieser Sache; er käme da in einen schönen Dreck, sagte er. Daisy solle mal mit dem dummen Jungen reden. Warum er das nicht selbst tun wolle, fragte sie. Das sei nicht möglich, meinte er. »Für ein Geschäft wie meins darf man keine Reklame machen.«
»Ich glaube, Tom hat es längst erraten«, sagte Daisy.
»Ob er raten muss, oder ob man ihm das Recht gibt zu behaupten, ich hätte es ihm selbst gesagt, das ist zweierlei. Ich darf nun einmal um keinen Preis mit einem Gewerkschaftler sprechen.«
»Darfst du denn zulassen, dass ich es ihm sage?«
»Das ist ein ganz verfluchter Mist«, platze Hank heraus. »Soll ich etwa meinen eigenen Bruder festnehmen?«
»Du musst selbst wissen, was du tust, Hank.«
»Früher oder später wird der Boss ja doch dahinter kommen und zu mir sagen: >Zum Teufel, was ist denn das, Shutt? Arbeiten Sie für beide Seiten oder was? Du weißt doch - die Gewerkschaften möchten nichts lieber als so einen Spitzel in der >Dienst-Abteilung< von Ford haben.«
»Natürlich, Hank. Ich verstehe dich, aber du musst auch Tom begreifen. Es bringt ihn genauso in Verlegenheit. Eure >Dienst-Abteilung< möchte doch auch wohl nichts lieber als eine Hintertür zu den Gewerkschaften haben. Und die habt ihr ja sicher schon, und wohl mehr als eine.«
»Werd mich hüten, dir zu sagen, was wir haben«, brummte er düster.
»Ich frage dich ja auch nicht danach, und Tom erzählt mir auch nichts darüber. Ich sag' dir jetzt nur, was er mir entgegenhalten wird, wenn ich mit ihm spreche. Für ihn ist es genauso schwer, seinen Freunden von der Gewerkschaft das zu erklären, wie für dich, es deinem Boss begreiflich zu machen.«
»Ich war aber schon dabei, bevor er hierher kam«, knurrte Hank.
»Das schon, aber du hast ihm nichts davon gesagt. Er hat der Familie doch angeboten, woanders hinzugehen, das hat er immerhin getan.«
»Hör zu, Daisy, das ist der einzige Weg, wie wir aus dem Dreck jetzt noch herauskommen können. Kannst du ihn nicht überreden, woanders hinzugehen? Er kann sich doch Arbeit bei General Motors suchen. Werd's ihm zu danken wissen, wenn er abschiebt. Sag ihm, dass es mir hundert Dollarscheine wert ist - kannst auch bis zweihundert raufgehen, wenn du glaubst, dass du damit mehr erreichst. Es würde mir ein Stein vom Herzen fallen.«
Daisy ging zu Tom. Hank komme zu spät, meinte er. Er könne seine Freunde jetzt nicht im Stich lassen. Was das Geld beträfe, so könne Hank auch ein glücklicher Empfänger werden. Er wüsste auch eine Stelle, die jederzeit gern hundert Dollar hergeben würde, wenn Hank Nachrichten über den Fordschen Spionagedienst bringen könne, besonders aber über die Spitzel, die sie unter den >Agitatoren hätten.
Hank wurde bleich, als er diesen Vorschlag hörte. »Siehst du nun, wie ich im Dreck sitze? Das - genau das wird der Boss annehmen. Wie soll ich ihn überzeugen, dass ich nichts damit zu tun habe?«
»Du willst dich also nicht bestechen lassen?«
»Wie lange würde man mich denn noch leben lassen, wenn ich diese Sauerei tatsächlich machte? In solchen Dingen verstehen sie keinen Spaß.«
»Ich will nichts mehr dazu sagen«, meinte Daisy.
»Aber damit bin ich genauso weit wie vorher! Was soll ich denn mit Tom anfangen?«
»Ich hab' ihn gefragt. Er sagte, du solltest deine Pflicht tun.«
Daisy sagte das mit dem Anflug eines Lächelns, aber Hank stand nicht die Laune danach. „Schöne Scheiße! Soll ich etwa zum Boss gehen und sagen, mein Bruder ist ein Roter?«
»Das wird dir sicher bei ihm nützen.«
»Habe für diese melodramatischen Auftritte nichts übrig. Müsste da auch viel zuviel erklären, das liegt mir nicht.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Außerdem möchte ich dem Jungen nichts zuleide tun.«
»Du solltest dir darüber wirklich keine Gedanken machen, Hank. Tom macht sich nichts draus, wenn man ihn hinauswirft.«
»Aber Daisy, der Junge setzt sein Leben aufs Spiel! Glaub es mir!«
»Das weiß er«, antwortete die Schwester ruhig.
»Dem geht's wohl ums Märtyrertum, wie? Will wohl auf billige Art berühmt werden, was? Verdammte Angeber, diese roten Bastarde« - Hank fluchte eine ganze Tonleiter von Schimpfnamen heraus, bis seine Schwester sagte: »Nimm's nicht zu tragisch, Junge. Bedenk doch, schließlich bist du ja doch nur Henry Ford Shutt und nicht Henry Ford!«
Der Winter brachte viel Schnee; dann gab es Tauwetter und über Nacht Frost. Tom, der am Morgen zur Arbeit fuhr, knallte gegen einen anderen Wagen. Als man die beiden auseinanderzog, stellte er fest, dass seine Vorderachse gebrochen war. Er musste einen Schleppwagen holen und sich zur Werkstatt bringen lassen. So kam er über eine Stunde zu spät zur Arbeit. Als er die Halle betrat, bediente ein anderer Mann seine Maschinen.
Damit musste er selbstverständlich rechnen. Er hatte auch einen schweren Anpfiff verdient. Aber als er dem Boss die Sache erklären wollte, merkte er, dass es um mehr ging. »Schon gut, Shutt«, sagte der Mann, »hab' mit Ihnen jetzt genug Scherereien gehabt. Sie sind entlassen, Sie können sich ihre Papiere holen.«
»Was für Scherereien haben Sie denn sonst mit mir gehabt?« fragte Tom.
»Hab' keine Lust, mich mit Ihnen noch zu unterhalten. Ein anderer macht jetzt Ihre Arbeit. Gehen Sie.«
Tom sah umher. Viele Leute in diesem Teil des Werkes kannten ihn. Er überlegte: Sollte er sie zum Protest auffordern? Schon mancher Streik war auf diese Weise begonnen und gewonnen worden. Aber da kamen schon zwei Rauhbeine in Zivil herangeschlendert. Man konnte die >Dienst-Abteilung< stets schon an ihren gebrochenen Nasenbeinen und Blumenkohl-Ohren erkennen. Einer hatte die rechte Hand in der Tasche - Schlagring hieß das. Es konnte das Leben kosten, wenn man hier Unruhe stiftete.
»Schon gut«, sagte Tom ruhig, wandte sich um und ging in die Kleiderkammer. Die beiden Werkschutzpolizisten folgten ihm. Sie passten auf, dass er seine Kontrollkarte steckte, seinen Ausweis abgab und das Werk durch das nächste Tor verließ.
Jetzt hatte Tom also das Märtyrertum, nach dem es ihn verlangt hatte. Jetzt war er ein Fordarbeiter auf der schwarzen Liste. Unter seinem Namen würde er in keinem größeren Werk im Distrikt Detroit Arbeit finden. Sie würden fragen, wo er zuletzt gearbeitet habe, und ein Anruf würde dann alle Chancen zunichte machen. Nie würde der neue Chef sagen: »Wir wollen in unserem Werk keine Agitatoren haben.« O nein! Denn jetzt saß ein Gewerkschaftler im Weißen Haus, und viele waren im Kongress. Sie brachten törichte Gesetze durch und machten es den Geschäftsleuten schwer, sich zu behaupten. O nein, der Chef würde nur höflich sagen: »Tut mir leid, mein Bester, aber der Kollege, der diesen Posten bisher hatte, ist wiedergekommen, und wir versuchen solange wir können, unsere eigenen Leute zu halten.«
Für diesen Fall hatte Tom sein Geld gespart. Jetzt war er frei und konnte sich ganz der Gewerkschaft widmen. Am Tage nahm er an Komiteesitzungen teil und traf sich mit Leuten von der Nachtschicht. Abends suchte er die Arbeiter der Tagschichten auf oder sprach auf Versammlungen, die in dunklen Sälen in den Arbeitervierteln stattfanden. Die Arbeiter kamen auf Umwegen, parkten ihre alten Wagen weit von dem Versammlungsort und schlichen sich durch Hintertüren in die Säle, die Mützen tief in die Stirn gedrückt, Taschentücher vor dem Gesicht. Die Versammlungen wurden in völliger Dunkelheit abgehalten. Einige kräftige Arbeiter standen bei den Schaltern, damit man ganz sicher sein konnte, dass niemand plötzlich das Licht einschaltete. So standen die Dinge in allen Automobilstädten, in den Stahl-, Gummi- und Ölstädten im Lande der Freien, in der Heimat der Tapferen. Der Versuch der Leute, sich zu versammeln und ihre Sorgen miteinander zu besprechen, galt als Verbrechen. Wer sich daran beteiligte, setzte nicht nur seinen Posten aufs Spiel, sondern riskierte auch Gesundheit und Leben.
Die Studentin, die Tom seiner Schwester mit den Worten »diese Kleine mit der großen Brille«, beschrieben hatte, war nach Detroit gekommen. Sie hatte hier eine Stellung im Wohlfahrtsamt der Stadt, hieß Dell Brace und war eine kluge und ernste Frau, die ihr Leben der Sache der Arbeiter verschrieben hatte. Ihr Vater war Senator im Staate Iowa, ein reaktionärer Republikaner, der seine Tochter für ein Opfer der vergifteten Propaganda auf den Universitäten hielt. Sie und Tom hatten sich vor einiger Zeit entschlossen zu heiraten. Deshalb war sie nach Detroit gekommen.
Gerade als sie ihre Stellung bekam, verlor er seine Arbeit und kehrte plötzlich eine komische Anschauung von >Ehre< heraus, indem er erklärte, er könne sich von seiner Frau nicht ernähren lassen. Dem jungen Mädchen schossen die Tränen in die Augen. Wie ein Bourgeois benehme er sich gegen sie, warf sie ihm vor. Glaubte er nun an seine Grundsätze oder nicht? War die Frau dem Manne wirklich gleichgestellt? Warum sollte sie ihn dann nicht unterhalten? Sie ließe sich ja auch von ihm ernähren, wenn es nötig sei! Tommy, der eine Frau nicht weinen sehen konnte, war geschlagen. Sie besiegelten die Sache damit, dass sie am Nachmittag hingingen und das Aufgebot bestellten.
Nun kam er und brachte seine Braut heim, damit sie die Familie kennen lernte. Daisy war geblendet von dieser akademischen jungen Dame, und sie vergoss Freudentränen, als die junge Dame sie küsste und sagte, sie hoffe, sie würden wirkliche Freunde werden. Daisy war jetzt das Aschenputtel der Familie und nahm den Platz der Mutter ein. Sie hatte ihre hübschen Züge verloren, war dürr und mager, ihr Haar war glanzlos und nur selten frisiert. Aber die Romantik blühte noch in ihrem Herzen, und die Groschenromane nährten sie. Gab es denn etwas Romantischeres als diese ungewöhnliche Liebe zweier junger Arbeiteragitatoren, die gerade die Universität verlassen hatten? Für sie fiel es nicht so schwer ins Gewicht, dass sie beide Rote waren. Tim Baggs Frau hatte während der Depression soviel Not bei den Arbeitern gesehen und längst begriffen, dass ein Gewerkschaftsführer durchaus nicht das war, was die Zeitungen daraus machten.
Ein Thema für die Unterhaltung mit Dell hatte sie auch. Ihr Kleiner war es, der jetzt vier Jahre alt war. Er war blass, und bei diesem Winterwetter konnte er auch nicht draußen spielen. Dell kannte sich mit Vitaminen, Proteinen und solchen Dingen aus. Sie sagte ihr, was der kleine Kerl haben müsse und wie man es billig beschaffen könne. Dies war ja ihr Beruf als Wohlfahrtspflegerin, im ganzen Ort herumzufahren, die Ärmsten aufzusuchen und herauszufinden, was ihnen fehlte. Sie war weichherzig und nahm ihre Aufgabe sehr ernst. Ihr Herz blutete für diese armen Menschen, weil sie so wenig von dem bekommen konnten, was ihnen nottat. Es war schon eine schwere Arbeit, sich heutzutage mit dem Elend herumzuschlagen, und die Reichen waren nicht schlecht beraten, als sie diese Arbeit bezahlten Fachkräften übertrugen, selbstverständlich nur studierten Leuten.
Bald kam auch Abner nach Hause. Ihm blieb der Verstand stehen, als er hörte, er habe jetzt eine neue Schwiegertochter. Er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Er war ganz durcheinander, als sie ihn auf seine lederne Wange küsste, die von den öligen Fingern noch streifig war. Abner konnte ja nicht ahnen, was in der Seele dieser jungen Dame vorging, die so fein war, obgleich sie sich ganz einfach kleidete. Er konnte nicht wissen, dass sie die Arbeiterklasse idealisierte, dass sie seine schwielige Hand mit dem verstümmelten Finger und die vielen Narben und Scharten auf der anderen für Symbole ehrwürdiger Arbeit, für Auszeichnungen eines Soldaten der Arbeit nahm. Aber er begriff doch, dass sie eine gütige junge Frau und sein Sohn glücklich war. Dass sie mit Toms gefährlichen Ideen sympathisierte, wunderte ihn nicht. Dem alten Mann war es gelungen, in seinem Kopf verschiedene Zimmer einzurichten. So konnte er felsenfest überzeugt sein, Agitatoren seien gefährliche und verruchte Personen, und zur gleichen Zeit sich doch mit ihnen unterhalten und mit allem übereinstimmen, was sie sagten.
Der Gedanke, Industriegewerkschaften der Arbeiter zu gründen, verbreitete sich rasch im Lande. Er flammte spontan an tausend verschiedenen Orten auf. Er war aus der verzweifelten Notlage der Arbeiter geboren. Nur die Strategie der Politik musste erarbeitet werden, und diese Erfahrungen brachten die großen Gewerkschaften der Grubenarbeiter und der Textilarbeiter ein, die schon nach Industrien und nicht nach Berufen organisiert waren. Bald wurde das Komitee für die Industrieorganisation gegründet, dessen Initialen - CIO (Anm.: CIO = Committee for Industrial Organization.) - eine magische Bezeichnung für Millionen Arbeiter wurden.
Die Gelder brachten ebenfalls die großen, schon bestehenden Gewerkschaften auf; sie schickten auch die Organisatoren in die verschiedenen Kampfbezirke. So hatte Tom bald wieder eine Stellung. Er bekam zwar nur fünfundzwanzig Dollar pro Woche und zehn Dollar Spesen, aber das sprach bei Tom nicht gegen die Stellung. Es scherte ihn auch nicht, dass dies einer der denkbar gefährlichsten Berufe war. In Detroit war ein Arbeiterführer verhältnismäßig sicher, solange er sich nicht allein in dunkle Winkel begab. Aber in einigen kleineren Städten hatten die Schläger freie Hand. So auch in den Fordstädten, wo Henrys Dollarmilliarde um ihren Bestand kämpfte.
Toms Aufgabe war es, im Umkreis der Fordwerke die Arbeiter in ihren Wohnungen oder sonst wo zu besuchen. Das tat er auch. Es dauerte gar nicht lange, da kamen ihm ein paar Polizei-Detektive auf die Spur. Sie zeigten ihm ihre Blechmarken und forderten ihn auf mitzukommen. Im Polizeihauptquartier saß er einem Inspektor und einigen seiner Gehilfen gegenüber. Er sagte ihnen Name, Adresse und machte Angaben über seine Person: Doktor der Universität Michigan, Fordarbeiter, der auf der schwarzen Liste geführt werde, jetzt Gewerkschaftler der Vereinigten Automobilarbeiter von Amerika. »Ich beziehe ein Gehalt, habe Geld auf der Sparkasse; Sie können also nicht behaupten, dass ich keine Mittel für meinen Unterhalt habe. Ich bestehe auf meinem Recht, einen Rechtsanwalt anzurufen, und ich mache Sie darauf aufmerksam: wenn Sie mir dieses Recht verweigern, so werde ich, wenn ich wieder frei bin, sofort eine Klage wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung anstrengen. Was wünschen Sie noch von mir?«
»Wir wollen die Namen der Leute wissen, mit denen Sie zusammenarbeiten.«
»Sie können mich einsperren oder verprügeln, bis ich mich erbreche, aber ich werde keinen Namen nennen. Kann ich nun mit meinem Rechtsanwalt sprechen?«
»Wir werden dir erst mal eine kleine Kostprobe geben, du Held,« sagte der Inspektor.
Sie brachten ihn in den Keller und steckten ihn in einen Raum, den sie Zelle nannten, ein finsteres Verlies mit einem schmalen Guckloch in der Stahltür. Es war nichts drin, außer einem stinkenden Eimer für die Notdurft und einem Wassereimer, der augenscheinlich bis vor kurzem ebenfalls als Scheißeimer gedient hatte. Da stand er und lauschte. Er hörte Schritte, und jedes Mal fragte er sich: Kommen sie jetzt mit ihren Gummipeitschen?
Die Gewerkschaft passte auf, wohin ihre Organisatoren gingen, es war vereinbart, dass sie das Büro regelmäßig anriefen. Wenn einer es unterließ, nahm man an, die Polizei habe ihn eingesperrt. Man merkte also, dass Tom Shutt verschwunden war, und begann ihn zu suchen. Sie riefen alle Frauen und Schwestern der Mitglieder an und baten sie um Mitarbeit. Das Telefon im Polizeigebäude läutete, und eine zornige Frau wollte wissen, wo Tom Shutt sei. Ausflüchte wurden nicht akzeptiert, die Polizei hatte ihn oder wusste, wo er sich befand. Die Frau verlangte seine Freilassung. Der Sergeant hängte ein, aber sofort läutete es wieder. Eine andere Stimme verlangte das gleiche. Tag und Nacht ging das Telefon; die Polizei konnte nicht arbeiten, solange Tom Shutt eingesperrt war.
Erhielt man auf diese Art keine Nachricht von dem Gefangenen, so ging man gegen Ford vor. Diese Art des Drucks konnte man schon als >niederträchtige Sabotage< bezeichnen, aber sicher war es kein größeres Verbrechen, als einen Menschen ohne Haftbefehl in einem Verlies einzusperren und ihn dann und wann mit der Gummipeitsche zu schlagen, die keine Spuren hinterließ. Ein Anhänger der Gewerkschaft ging in eine Kneipe oder an einen anderen Ort, wo eine öffentliche Telefonzelle war, rief das Verwaltungsgebäude an und verlangte das Büro des Präsidenten. Dann entwickelte sich etwa folgendes Gespräch:
»Ist dort der Sekretär des Präsidenten?«
»Ja.«
»Ich möchte Tom Shutt haben.«
»Wer ist Tom Shutt?«
»Er ist ein Gewerkschaftler der Vereinigten Automobilarbeiter von Amerika. Die Polizei hat ihn eingesperrt, und wir verlangen seine Freilassung.«
»Wir wissen nichts von ihm.«
»Sagen Sie Mr. Edsel Ford, er soll sich beeilen und die Sache in Ordnung bringen. Ihre Telefonleitungen werden gestört, bis Tom Shutt frei ist.«
Danach klemmte der Sprecher ein Streichholz unter den Hebel, und verhinderte so, dass der Hörer aufgelegt war. Da die anrufende Stelle die angerufene beherrscht, waren die Leitungen der Fordgesellschaft solange >besetzt<, bis die Telefongesellschaft einen Mann schickte, der das Übel beseitigte. Inzwischen war der Anrufer zum nächsten Automaten gegangen und wiederholte die ganze Geschichte. So ein >Schuss< kostete nur fünf Cents, und wenn ein paar Leute es darauf anlegten, so waren nach kurzer Zeit alle Leitungen, die zum Verwaltungsgebäude von Ford führten, >besetzt<. Hochbezahlte Angestellte, die Chicago oder New York anrufen wollten, um einen Vertrag über Millionen von Dollars abzuschließen, mussten in ihren Wagen springen und irgendwohin fahren, um ihr Gespräch führen zu können. »Tom Shutt! - Wer ist Tom Shutt?« Jeder im Werk fragte so, und etliche tausend Arbeiter in weißen Hemden flüsterten: »Das ist die Gewerkschaft! Sie wollen bei Ford eine Gewerkschaft aufbauen!«
Tom Shutt wurde freigelassen. Aber ein anderer Gefangener schmachtete noch in seinem Verlies. Der kam nicht heraus und hatte auch keine Hoffnung, je wieder freigelassen zu werden: der Flivverking, der Gefangene seiner Dollarmilliarde. Ketten umschlangen seine Füße und sorgten dafür, dass er nie wieder frei schreiten würde; Ketten fesselten seinen Geist - er durfte nie mehr einen Gedanken denken, den seine Dollarmilliarde nicht guthieß. Die Dollars flüsterten ihm ein, dass die Arbeitermassen ihn tödlich hassten, dass eine halbe Million Menschen ihn anklagten, weil er sie zum langsamen Hungertode verdammt habe, dass in der ganzen Nation, ja, in der ganzen Welt eine Verschwörung bestehe, die ihm sein Vermögen rauben wolle. Der Farmerssohn war einst so fröhlich und gesprächig gewesen. Jetzt war er einsilbig und verbittert. Meistens blieb er allein und kontrollierte höchstens seine Wächter, um sicher zu sein, dass sie ihn bewachten.
Henry Ford, einst das Vorbild aller Arbeitgeber, war jetzt der schlimmste geworden. Er hatte seine Rivalen überholt. Er zahlte die niedrigsten Löhne in der Industrie, seine Arbeiter hatten einen Durchschnittslohn von höchstens 1000 Dollar im Jahr. Seine Antreiberei war die brutalste, der Name seines Werkes wurde ein Schimpfwort unter den Arbeitern. Vor sechzehn Jahren hatte er verkündet, die Arbeiter könnten ihre Gewerkschaft haben, wenn sie es wünschten. Jetzt gab er die Anweisung, jeden, der die Sache nur erwähnte, sofort hinauszuwerfen, und um dessen sicher zu sein, besoldete er mehr Spitzel, als man sie in der Industrie der Vereinigten Staaten je gekannt hatte.
Henrys ganzes Denken war von einem düsteren historischen Präzedenzfall beherrscht. Schon einmal hatte ein Herrscher gelebt, der eine Milliarde besaß - der Zar der Russen. 1905 waren die unzufriedenen Arbeiter vor seinen Palast gezogen und hatten um Gehör gebeten - man hatte sie mit Maschinengewehren zusammengeschossen. Etwa dreizehn Jahre später waren der Zar, seine Frau und seine lieblichen Töchter in einem Verlies erschossen worden. Der Autokönig hatte mit seinen Arbeitern das gleiche gemacht, und zwar unter den gleichen Umständen, natürlich nicht persönlich. Aber das hatte der arme Nicky genauso wenig getan. In beiden Fällen hatte die Milliarde das Verbrechen begangen; aber eben - nicht die Milliarde war im Verlies erschossen worden.
Ich bin die Größe und die Macht, ich bin der Stolz, der Prunk und die Herrschaft, sagte Henry Fords Vermögen. Ich bin eine Dynastie, die bis in fernste Zukunft leben wird; ich werde Geschichte machen, die kein >Geschwätz< ist; ich werde den Namen und den Ruhm Henry Fords den Milliarden noch Ungeborener überliefern. Aber es gibt ruchlose Menschen auf dieser Welt! Teufel in Menschengestalt treiben ihr Unwesen! Sie haben sich verschworen, mir diesen Ruhm zu rauben. Sie wollen nicht, dass die Welt von Henry, Edsel, Henry II., Benson, Josephine Clay und William Ford spricht, die jetzt erwachsen sind und ihren Teil am Ruhm haben sollen. Nein, die Welt soll von Menschen wie Trotzki und Sinowjew, Bela Kun und Radek, Liebknecht und Luxemburg, Jaures und Blum sprechen! Das wollen diese Ruchlosen!
Jüdische Namen! dachte Henry. Sein Widerruf damals in der Judenfrage geschah ja nur aus Geschäftsrücksichten, und er war nach wie vor überzeugt, dass die große Verschwörung gegen seine Dollarmilliarde keine andere sei als die jüdisch-bolschewistische, die der >Dearborn Independent< damals aufgedeckt hatte. Immer wieder veröffentlichte Henry Artikel, in denen er behauptete, dass die Bewegung für eine industrielle Arbeitergewerkschaft eine kommunistische Verschwörung sei und dass sie im geheimen von interessierten Bankkreisen finanziert werde. Man wolle die Ford-Motor-Company zerschlagen und sie Wallstreet in die Hand spielen. Und musste man noch besonders erwähnen, dass die kommunistischen Führer und die großen Bankiers >Internationale Juden< waren? Dies Detail verstand sich von selbst. Der ehemalige Herausgeber des >Dearborn Independent<, der auch die antijüdischen Artikel geschrieben hatte, war nun Henrys Geheimsekretär. Er war jetzt der Mann, der die Verbindung mit der Öffentlichkeit und der Außenwelt beherrschte. William J. Cameron hatte seine Ansichten auch nicht um einen Deut geändert, im Gegenteil: Er stand in Verbindung mit antisemitischen Kräften in der ganzen Welt und hielt Henry mit ihnen in Kontakt.
»Was soll ich tun?« fragte der Autokönig und die Milliarde beugte sich zu ihm und flüsterte ihm wie Mephisto ins Ohr:
»Sehen Sie, Mr. Ford, es ist schon alles vorbereitet. Die Roten bemächtigten sich der Fabriken in Italien, aber jetzt hat ein starker Mann das Land für das Geschäft gerettet. Sehen Sie auf Deutschland! Dort arbeiten keine Roten mehr, um die Autofabriken des Landes in ihre Hand zu bekommen! Der Weg der Rettung ist einfach; aber schnell müssen Sie handeln! Zertreten Sie die Ratten, eh ihre Macht zu groß wird! Lernen Sie von uns. Fangen wir an!«
Die Dollarmilliarde umgab ihren Gefangenen mit Naziagenten und faschistischen Einflüsterern. Sie hatten sich schon früher einmal an ihn herangemacht, als Hitlers Bewegung noch in den Anfängen steckte. Sie wollten vierzigtausend Dollar von ihm haben, um sein antijüdisches Pamphlet in deutscher Übersetzung zu drucken. Die
Namen Hitler und Ford sollten in den Ankündigungen nebeneinander stehen. Man munkelte sogar, ein Enkel des Exkaisers sei der Agent gewesen, durch dessen Vermittlung dreihunderttausend Dollar der Naziparteikasse übergeben wurden. War etwas Wahres daran? Henry hatte große Fabriken in Deutschland und hätte sicher nicht nur aus antisemitischem Idealismus dafür gesorgt, Streiks in diesem Lande zu verhindern.
Jetzt tauchte Fritz Kuhn auf, Hitlers Organisator Nummer eins in Amerika, der uniformierte Chef des marschierenden und exerzierenden >Deutsch-Amerikanischen Bundes<. Er verlegte sein Hauptquartier nach Detroit. Angeblich war er als Chemiker bei Ford tätig. Ein neuer antisemitischer Feldzug begann, und die Nazis schwärmten in den Ford-Werken aus. Grimmige, entschlossene Leute waren das, die mit Henry eine Eigenschaft gemeinsam hatten: Wenn sie etwas wollten, so wollten sie es sofort und unternahmen die nötigen Schritte. Jetzt waren sie in vielen Ländern der Welt am Zuge. Sie hatten den Premier von Rumänien und den Kanzler Österreichs, den König von Jugoslawien und einen Minister in Frankreich ermordet. Sie hatten Hunderte ihrer politischen Gegner in Mitteleuropa entführt und getötet, sogar in Frankreich. Sie raunten dem alten Karrenkönig ins Ohr:
»Wir bieten Ihnen, was Sie brauchen, Mr. Ford: eine reine uramerikanische Bewegung, die alle anderen vereinigt - den Ku-Klux-Klan, die Schwarze Legion, die Silver Shirts, die Amerikanische Freiheitslegion, die Angelsächsische Föderation - all jene Bewegungen, die verschworen sind, die Roten zu vernichten und die Interessen des Privatkapitals in Amerika zu wahren. Wir werden die Bolschewisten aus dem Weißen Haus jagen und ihre schielenden Professoren aus dem Staatsdienst vertreiben. Alle ausländischen Agitatoren werden wir auf steinerne Schiffe bringen, bleierne Segel setzen und sie in die offene See schleppen. Auf Diskussion über Kommunismus und den Aufruf zum Streik muss die Todesstrafe stehen!«
»Nur Geld brauchen wir! Geld für Silber-Hemden und schwarze Hemden. Geld für Stiefel zum Marschieren, für Flaggen zum Schwenken, für Schlagringe, Revolver und Maschinengewehre, für Panzerwagen und Gasbomben, für Flugblätter, antijüdische Zeitungen und Ford-Rundfunksendungen. Wer heute Geld hat, kann die Leute alles glauben machen. Wenn Sie uns genug davon geben, so schaffen wir Ihnen eine politische Partei. Wir werden einen Mann aus unseren Reihen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wählen lassen. Geben Sie uns ein Prozent Ihres Vermögens Mr. Ford, und wir retten ihnen 99 Prozent und Amerika dazu!«
Henry lauschte. Das war eine Möglichkeit! Aber es war auch riskant. Henry blieb, was er immer gewesen war -ein Ingenieur mit dem Geist eines starrköpfigen Farmers.
Bei Sonnenuntergang an einem warmen Frühlingsabend schlenderte der Autokönig im Garten seines Gutes umher und sah nach seinen Vögeln. Hier hatte er zweitausend Vogelkästen eingerichtet; sie wurden im Winter durch eine elektrische Heizung erwärmt und waren mit einer Wasserleitung versehen, die gegen Frost geschützt war. Hier hatte er 380 Paaren englischer Singvögel die Freiheit gegeben und ein andermal 75 Paaren Mauerseglern. Er wollte wissen, wie viele man den Winter über in diesen luxuriösen Nestern halten könnte und wie viele im nächsten Frühjahr wiederkommen würden. Er zählte sie, und die Zahlen interessierten ihn ebenso wie die täglichen Berichte über Erzeugung und Verkauf seiner Wagen.
Zur gleichen Stunde traf sich Tom Shutt mit seiner Frau in einer jener proletarischen Kneipen, in denen man eine Tasse Bouillon oder Kaffee, zuweilen auch ein Schinkenbrot bekam und in denen es stets so voll war, dass man seinen Teller auf die Lehne seines Stuhles stellen musste. Tom sollte heute abend auf einer Versammlung sprechen. Dell war draußen sehr tapfer, aber zu Hause ängstigte sie sich um ihn. Sie ließ ihn daher nie allein gehen und traf sich mit ihm, sobald ihre Arbeit beendet war. Und dann blieb sie bei ihm. »Immerhin kann ich schreien, wenn etwas passiert«, meinte sie.
Um sieben Uhr kam der Diener und erinnerte Henry daran, dass er sich umkleiden müsse. Der Autokönig betrat das Haus und fluchte leise vor sich hin; er hasste alle offiziellen Anlässe. Seine Frau musste diese Dinge arrangieren und ihn förmlich dazu zwingen. Heute lag allerdings etwas Besonderes vor: Ein Dinner im Hause einer jener alten Familien, die schon Würde und Besitz hatten, als der Autokönig noch ein Farmerjunge war und seine erste Taschenuhr zerlegte. Jetzt war er hundertmal so reich, als sie es je werden konnten. Aber was zählte, war die gesellschaftliche Stellung, deshalb hatte er sich Mrs. Fords Wunsch gefügt, dort einmal die Vergnügungen der guten alten Zeit vorzuführen, deren Wiederbelebung in Amerika er so eifrig betrieb.
Um diese Stunde beendeten Tom und Dell ihr Abendessen für 25 Cents. Dell wartete besorgt auf zwei Freunde, die versprochen hatte, sich mit ihnen zu treffen. Toms Wagen war nur ein Zweisitzer, und seine Frau versuchte stets, noch einen anderen Wagen aufzutreiben, der sie zur Versammlung begleitete. Sie sprach nicht viel darüber, sie wollte ihrem Mann mit ihren Ängsten nicht unnötig auf die Nerven fallen. Aber immer wieder musste sie an den Gewerkschaftler denken, der vor knapp einem Jahr ermordet wurde, und an den anderen, den man kurz vorher erschossen hatte.
Um neunzehn Uhr dreißig bestiegen Henry und seine Frau ihre Limousine. Es war doch gut, dass er damals die Lincoln Company gekauft hatte; so konnte er doch einen wunderbar bequemen Wagen seiner eigenen Produktion fahren. Der Chauffeur legte eine Decke über ihre Knie, und sie lehnten sich in die Polster zurück, um in die vornehme Gegend von Grosse Painte zu fahren. »Ich hab' sieben Hänflinge gezählt«, sagte Henry. »Möchte wohl wissen, ob sie von jenem Paar stammen, das damals über unserer Haustür nistete. Wie lange ist das her? Zweiundzwanzig Jahre? Mein Gott, wie die Zeit verfliegt! Möchte mal wissen, wie lange so ein Hänfling lebt? Ich werde in diesem Jahr einige der Jungen beringen.«
Tom und seine Frau, denen ein zweiter Wagen mit Freunden folgte, waren jetzt in die Nähe des Versammlungsortes gekommen. Sie parkten ihre Wagen und schlossen sie ab. Der Saal lag im zweiten Stock über einem Viehstall. Davor stand eine Straßenlaterne, dort ließen sich deshalb nur wenige Leute sehen. An der Rückseite war ein Zugang über eine Treppe, und eine Reihe Frauen und Männer, Taschentücher vor den Gesichtern, stiegen die Stufen hinauf und ertasteten sich in der Dunkelheit ihren Weg zu den freien Plätzen. Es waren fast nur Fordarbeiter hier, darunter auch einige alte, denen Henry Ford vor sechzehn Jahren noch versichert hatte, sie könnten Gewerkschaften haben, wenn sie es wollten.
Henry war stolz darauf, dass er stets pünktlich war, Schlag zwanzig Uhr stiegen er und seine Frau aus der Limousine vor dem hellerleuchteten Portal einer Villa, die ganz dem Geschmack und Format der Auto- und Geldkönige von Detroit entsprach, aber obendrein noch den Vorzug hatte, dass sie fast sechzig Jahre alt war. Ein Diener in schwarzer Gala nahm ihre Mäntel und geleitete sie in einen Raum, der mit alten kostbaren Möbeln eingerichtet war, die das Herz des Sammlers erfreuten. Sie wurden vom Gastgeber und seiner Gattin, einem betagten Paar, von ihrem Sohn und dessen Frau begrüßt. Es waren verhaltene, wohlerzogene, gütige Menschen. Auf den Farmerjungen machten sie großen Eindruck.
Zur gleichen Zeit erzählte der Vorsitzende der Versammlung seinen Zuhörern, dass in dieser Welt noch nie Freiheiten ohne Kampf gewonnen wurden. Die Rechte, deren sich die Amerikaner heute erfreuten, besäßen sie nur, weil es Menschen gegeben habe, die einst bereit gewesen seien, dafür zu kämpfen und zu sterben. Nicht anders würde es mit den Rechten der Arbeiter sein. Der industrielle Feudalismus werde ohne Kampf nichts aufgeben, und kein Fußbreit Boden sei ohne Helden zu erobern, die willens seien, Opfer für diese Sache zu bringen.
Um zwanzig Uhr fünfzehn wurden die Gäste mit Cocktails bewirtet, einige waren mit Bacardi, andere mit Tomatensaft gemixt. Henry und seine Gattin bevorzugten die letzteren. Es gab als Horsd'oeuvres Gänseleber auf kleinen Toaststücken, Kaviar, Anchovis auf Roggenbrot, Schinkenschnitzel und kleine Würstchen auf Holzspießen, viele wunderbare Sachen, sie regten den Appetit an.
Der Vorsitzende führte den Redner des Abends ein, einen Arbeiter der Ford-Werke, der auf der schwarzen Liste stand. Der Vorsitzende hätte gern hinzugefügt, dass er der Sohn eines Fordarbeiters sei, aber Tom hatte ihn gebeten, das nicht zu erwähnen. So sagte er, der Redner stamme aus einer Familie von Fabrikarbeitern. Sein Vater und Großvater hätten schon die Nöte ertragen, welche die Arbeiter des Distrikts Detroit jetzt beenden wollten.
Kurz vor halb neun saßen die sechzehn Gäste im Speisezimmer, wo die Bildnisse alter Vorfahren auf eine Szene stiller Eleganz herabschauten. Die Tafel war mit einer Filigrandecke aus schwerer Spitze bedeckt - poliertes Mahagoni schimmerte hindurch, Teerosen waren darauf verstreut, wunderbar schön im Schein weißer Kerzen, die in silbernen Leuchtern steckten. Alte handgeschliffene Gläser gab es und Silber mit Familienmonogramm. Hier fand ein Mahl nach alter Sitte statt, und eine Gastgeberin bot es dar, die von Kindheit an wusste, wie man so etwas anzurichten hatte. Ihre Diener waren so erzogen, dass alles reibungslos ablief, fast so wie in einem der perfekten Motoren des Autokönigs.
Tom Shutt sprach vor seinen unsichtbaren Zuhörern über die Situation der Arbeiterklasse im Kapitalismus und seinem Konkurrenzkampf: »Man schuf riesige Anhäufungen von Kapital - Großkapital«, sagte Tom und bemühte sich, seinen akademischen Hang zu Fremdwörtern zu unterdrücken. »Allein und einzeln sind die Arbeiterwehrlos. Die Massen der Arbeitslosen werden sie immer weiter schwankend machen, bis man in Amerika einen Standard hat wie die Kulis in China. Sie werden zur Arbeit rennen wie die Rikschamänner und mit vierzig Jahren alt und verbraucht sein. - Vereinigen wir uns und treten den Arbeitgebern mit einem Monopol entgegen, das den ihren ebenbürtig ist! Das ist der einzige Weg, diesem Schicksal zu entgehen.«
Die Gastgeberin hatte das Mahl wohl überlegt, und es hatte ihr Probleme gemacht. Sie wusste, ihr Ehrengast war überzeugter Amerikaner, ganz wie ihr verstorbener Großvater es gewesen war. Sie zweifelte, ob er die Künste ihres Küchenchefs schätzen würde, und wusste recht gut, dass er die Namen der französischen Speisen nicht richtig aussprechen konnte. Wenn man nun aber alte amerikanische Tänze tanzte, war es da nicht auch angebracht, die alten amerikanischen Gerichte wieder zu reichen? Aber sollte man das tun? Sah das nicht recht überspannt aus? Sie hatten einen ehrwürdigen alten Onkel befragt - welchen Salat hatten ihre Vorfahren eigentlich gegessen? Und er hatte geantwortet: »Rübenblätter, und dazu tranken wir den süßen pot-likker-Likör.« Aber dazu konnte sie sich nicht überwinden; sie beruhigte sich mit der Überlegung, dass Alligator-Birnen ja in Florida wüchsen und so auch rein amerikanischen Ursprungs seien. Es war auch gar nicht nötig, diese Fragen aufzuwerfen, denn Mr. Ford, der auf dem Ehrenplatz zu ihrer Rechten saß, sprach angelegentlich über seine englischen Vögel, während er seinen Salat aß.
Tom Shutt beschrieb seinen Zuhörern die Stufe, auf der das Großkapital heute stand. Die Automobilindustrie hatte die Kapazität, doppelt soviel Wagen zu erzeugen, wie das amerikanische Volk mit seinem Geld kaufen konnte. Die drei großen Gesellschaften lagen in so heftigem Konkurrenzkampf, dass sie es nicht wagten, die Jahresproduktion früher als im letztmöglichen Augenblick anlaufen zu lassen. Denn jeder fürchtete, seinen Spionen sei vielleicht doch irgendeine neue Verbesserung entgangen und die anderen könnten ihn überholen, wenn er sie nicht einführte. Deshalb wurde die Arbeit eines Jahres in zwei oder drei Monate zusammengedrängt. Die Leute wurden in dieser Zeit wie Rennpferde gehetzt, danach warf man sie wieder auf die Straße. Da konnten sie sich wieder bei den Notküchen anstellen, um ihr Leben zu fristen.
Als zweiten Gang gab es eine Schildkrötensuppe, und die Gastgeberin meinte, dieses Gericht besonders anpreisen zu dürfen. Ihre Vorfahren stammten von der Ostküste, und sie wusste, dass die Karrettschildkröte auch im alten Amerika als Delikatesse galt. Die Lobpreisungen des köstlichen Geschmacks flogen rund um die Tafel. Auch der Ehrengast hörte sie und vergaß die Warnungen seines Arztes, die er bei großen Dinners beachten sollte.
Tom Shutt konnte keinen seiner Zuhörer sehen, aber er konnte sie hören, und sie hielten durchaus nicht mit ihren Gedanken über seine Ausführungen zurück. Gab die Autoindustrie ihnen etwa einen Lohn, von dem sie leben konnten? Konnten sie die Erzeugnisse der Farmer und der Fabriken kaufen? Sie sagten klipp und klar, dass sie es nicht könnten, und Tom bewies ihnen, dass all ihre Nöte durch eine simple Tatsache zu erklären waren. Unter dem >New Deal< waren die Gewinne um 50 Prozent gestiegen, die Löhne aber nur um zehn Prozent. Der Faktor, der die Depression verursacht hatte, wirke jetzt also noch stärker als zuvor! Das führe geradenwegs in den nächsten Zusammenbruch, wenn man nicht einen Weg finde, die Löhne auf Kosten der Gewinne anzuheben.
Als nächstes gab es Wachteln. Ohne Zweifel haben die Vorfahren diese im Überfluss verzehrt. Allerdings hatten sie sie wohl nicht in kleinen Kasserollen aus feuerfestem Glas servieren können, und es war immerhin zweifelhaft, ob sie eine so delikate Sache wie diese Champignonsauce zubereiten konnten. Jene zutraulichen kleinen Geschöpfe, die so schnell und weit fliegen, haben zwei starke Brustmuskeln, deren jeder ein paar köstliche Bissen für ein Essen liefert. Auch bei einem so vornehmen Mahl, wo man sich die Finger mit feinen handgesäumten Tüchern säubert, pflegt man nur wenige Bissen von dieser Köstlichkeit zu essen.
Der Redner behandelte die Frage, wie man die Löhne erhöhen könne. »Politik ist eine Kunst der Winkelzüge«, sagte er, »der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten ist ja geradezu eine Garantie dafür, dass die Gesetze nur das sind, was die Richter mit ihren Auslegungen aus ihnen machen. Nur die Macht aller Arbeiter, die in einer Gewerkschaft organisiert sind, kann man mit keinem noch so legalen Schachzug zerschlagen. Einer Industriemacht von einer Dollarmilliarde, wie es die Ford-Werke sind, können wir nur eines entgegensetzen, nur ein Mittel gibt es, sie zu bekämpfen: eine Gewerkschaft der 200000 Fordarbeiter, die von dem demokratischen Willen ihrer Mitglieder beherrscht ist. Das wollen wir, weil es für die Arbeiter der einzige Ausweg aus Not und Elend ist.«
Es war eine kleine Sensation, als die Gastgeberin Schöpfungen aus Eis servieren ließ, jede ein Abbild des neuen Stromlinienwagens Ford Victory 8, der jetzt das Land überschwemmt und dessen Produktionsziffer die Million bereits überschritten hatte. Dazu wurden kleine runde Kekse aus dunklem Teig gereicht, niedliche Imitationen von Automobilrädern, deren Speichen aus dünnen Zuckerschnüren zwischen Nabe und Felge kunstvoll eingesetzt waren. Das Lachen und die Unterhaltung darüber schmeichelten dem großen Mann; er liebte jegliche Art von Fordspäßen.
»Können die Arbeitergewerkschaften alter Prägung diese Aufgabe lösen?« fragte Tom Shutt. »Wären sie dazu
in der Lage, auch wenn sie ehrliche Führer hätten, die sich für die angelernten und ungelernten Arbeiter der Massenindustrie einsetzten? Sie können es nicht! Denn die Basis Ihrer Organisation ist falsch. Die Fachgewerkschaften alten Stils sind für kleine Unternehmungen geschaffen worden. Sie heute benutzen, hieße mit Pferd und Wagen auf einer Autobahn fahren, die für höchste Geschwindigkeiten gedacht ist. Stellt euch einmal vor, in den Ford-Werken hätten wir hundert verschiedene Gewerkschaften! Alle wollten ihr Recht durchkämpfen! Das River-Rouge-Werk wäre dann in Zimmerleute, Maschinisten, Kesselwarte, Glasarbeiter und Fahrer der Zugmaschinen aufgeteilt. Alle diese Arbeiter haben aber doch einen Chef! Dann soll dieser Chef auch gegen eine Gewerkschaft kämpfen müssen.«
Geräuschlos brachten die Diener den Kaffee. Er wurde in kleinen hauchdünnen chinesischen Tassen serviert, die vor vielen Jahren aus England gekommen waren. Sie wurden als Familienerbstücke gehütet und nur unter Aufsicht der Hausfrau gereinigt, und sie achtete darauf, dass der Wasserstrahl die dünnen Schalen nie direkt traf. Das brachte eine interessante Unterhaltung mit Mr. Ford, der eine Menge von China wusste. Er sagte, er würde dies Service gern für sein Museum kaufen, wenn je der Tag käme, da die Dame es über sich bringen könnte, sich davon zu trennen. Rasch verglich die Dame den Wert dieser Erbstücke mit der Macht der Ford-Banken - vielleicht ergab sich daraus die Möglichkeit einer Familienallianz mit einem der Enkel des Autokönigs? - Und dann schenkte sie großmütig ihrem Gast diese Kostbarkeiten. Henry rief es seiner Frau voll überschwänglicher Dankbarkeit zu. Da sie am anderen Ende der Tafel saß, konnte es jeder hören, er hatte sich somit gebührlich für die Eiscreme V 8 bedankt.
»Organisiert euch!« schrie Tom Shutt, er schlug auf das Rednerpult und fegte in der Dunkelheit fast das Wasserglas herunter. »Werdet euch darüber klar, dass ihr euren Anteil an den Erzeugnissen der Industrie endlich haben wollt. Amerika hat sehr wohl die Mittel, um alle Dinge zu erzeugen, die ihr braucht. - Nahrung, Kleidung, Wohnraum, Gesundheit, Erziehung, Erholung. Menschenwürdige Wohnungen für Arbeiter gibt es nicht, aber man könnte sie bauen. Es gibt in Amerika keine Entschuldigung für das Elend derer, die arbeiten. Fordert euren Anteil! Fordert, fordert immer wieder, bis eure gerechte Forderung befriedigt ist!«
Es war halb zehn, die Gäste hatten sich in den Salon begeben, wo sie über den Markt und die Finanzlage schwatzten, während man ihnen Likör in dünnen Glasschalen reichte. Mrs. Ford erzählte der Schwiegertochter von den englischen Singvögeln, gerade diese hatte die junge Dame an ihren heimatlichen Brutplätzen beobachtet. Mr. Ford zeigte man einen Sheraton-Tisch mit dem eingelegten Bildnis eines englischen Edelmannes. Er bot bereitwillig an, einen seiner Experten zu schicken, der das Alter des Tisches feststellen und das Bildnis identifizieren könne.
Toms Versammlung war vorüber. Da es jetzt heftig regnete, liefen die Leute rasch zu ihren Wagen. Andere warteten und standen im Torweg zusammengedrängt. Ein paar Männer, die draußen herumgelungert hatten, drängten sich dazwischen und starrten den Arbeitern ins Gesicht. Jeder wusste, was das bedeutete. Wer nicht erkannt werden wollte, schlug sich die Jacke über den Kopf und verschwand schleunigst trotz des Regens. Andere ließen sich anrempeln. Es hatte wenig Sinn, sich mit den Schlägern der Gesellschaft, die stets bewaffnet waren, in einen Streit einzulassen.
Die Gäste wurden in den Ballsaal im ersten Stock geführt, er war erst vor kurzem in Creme und Gold renoviert worden, schwere karmesinrote Portieren hingen zwischen den großen Fenstern. Vergoldete Louis-Quinze-Stühle waren an den Wänden aufgereiht, hier saßen andere Gäste, die man zum Tanz geladen hatte. Auch eine Empore für die Musiker gab es. Aber natürlich nicht für eine Jazzkapelle, sondern für drei Fiedelleute war sie vorgesehen. Magere alte Männer mit Bärten waren das, die einzigen in der Gesellschaft ohne Abendanzug. Sie grinsten fröhlich, dabei sah man, dass einer ein Gebiss trug, ein anderer nur noch ein paar Zähne hatte und der dritte deren zwei - »aber sie beißen noch, Gott sei Dank«, sagte er.
Tom und Dell eilten zu ihrem Wagen, ihre Freunde mit ihnen. Sie liefen durch den Regen. Die Wagen sprangen an, fuhren los — bump, bump. Toms Wagen hatte einen Platten; das kommt schon vor, wenn man Geld sparen will und auf dem Cord fährt. Sie hielten an, Tom sprang heraus und machte sich an die Arbeit. Einer seine Freunde half ihm - kein Vergnügen bei so einem Regen. Aber sie würden ja bald zu Hause sein und aus ihren nassen Kleidern kommen. Die jungen Burschen machten sich einen Spaß daraus, während Dell ängstlich umherspähte.
Die Fiedelleute spielten auf: >Turkey in the Straw<, eine lustige Volksweise, nach der Millionen Kolonisten einst auf ihren Festen getanzt hatten. Das Herz wurde einem ordentlich warm, wenn man mit seinen Gedanken bei diesen Vorfahren weilte. Es gab einem doch ein Bewusstsein davon, welch eine große Tradition hinter einem stand - all diese herrlichen Leistungen, und man selbst war der Erbe. Der alte Fiedler mit den künstlichen Zähnen und dem längsten Bart rief die Tänze auf. >Polonaise. Alles aufstellen!< Die Paare stellten sich auf und marschierten um den Saal, fröhlich und dem Tanz hingegeben, aber auch selbstbewusst. Sie wussten ja, wer sie waren - die wichtigsten Leute in diesem Teil der Welt, aufs beste ernährt, aufs beste bedient -, die Damen mit weißem Busen und schimmernden Armen, in Seide, Satin und hauchdünne Gedichte von köstlichen Farben gehüllt, die Herren stark und tüchtig, jetzt dem galanten Spiel hingegeben. Einige der jüngeren trugen weiße Anzüge, das sah sehr schön aus. Alle marschierten im Kreis und lachten den Geigern zu, wenn sie an ihnen vorbeikamen. Ein reizendes Bild war es - ja, diese alten Tänze waren eine prächtige Neuheit.
Tom hatte seinen Ersatzreifen aufgesetzt, sie bogen in eine breite Straße ein, und der Wagen ihrer Freunde folgte ihnen. Dell schaute nach hinten aus, um zu sehen, ob noch ein Wagen käme. Aber es war schwer, im Regen etwas zu sehen. Sie sprachen über die Versammlung, die Reaktion der Zuhörer, die Wochenzeitung, welche die Gewerkschaft herausgab und die an der Tür unentgeltlich verteilt worden war. Es gab viel Arbeit, und über vieles musste man nachdenken. Die Saat war gut aufgegangen, aber der Schnitter waren noch zu wenige.
Es war halb elf, und die Gäste tanzten einen Lancier. Vier Gruppen, zweiunddreißig Personen, traten dazu an. >Old Zip Coon< hieß die Melodie, und die drei Fiedelleute spielten drauflos, dass es eine Art hatte. Einer komm dierte wild schreiend - so mochte er es wohl in dem abgelegenen Dorf seiner Jugend getrieben haben, wenn Ernten und Richtfeste ein Grund zum Feiern waren >Verbeugung!< Die Herren machten ihren Damen eine Verbeugung. >Damen zur Linken!< Sie verbeugten sich vor der Dame des nächsten Herrn. >Alles bei den Händen fassen und Kreis links herum.< Der Herr reichte seiner Dame zur Linken die linke Hand, schritt um sie herum fasste dann die rechte Hand einer anderen und schritt so durch den Kreis, jetzt die rechte, nun die linke Hand, die Damen kamen einem entgegen. Nicht alle kannten die alten Tänze, und sie hatten viel Spaß, wenn sie einen Fehler machten.
Tom und Dell kamen an die Stelle, wo ihre Freunde abbiegen mussten. Die Freunde boten ihnen an, sie noch bis zur ihrer Wohnung zu begleiten, aber Tom lehnte ab. Es gab ja keine Gefahr, und es war auch nicht mehr weit. Tom fühlte sich ganz sicher, und Dell wollte ihn nicht mit ihrer ewigen Ängstlichkeit beunruhigen. Es war ihnen ja auch niemand gefolgt. »Also dann gute Nacht, war eine gute Versammlung, du warst auch gut, wir sehen uns morgen früh - bis dann«, so rief man sich von Wagen zu Wagen zu.
Der alte Fiedler kam in Schwung, er spreizte sich und zeigte, was er konnte. Er kommandierte die Figuren im Singsang und warf allerlei Verse ein: >Rechts herum, außen um den Kreis, Hand in Hand mit der Liebsten, der Kleinen.< Bäuerliche Anweisungen folgten: >Links herum, die rechte Hand, Kartoffeln pflanzt man in den Sand.< Alle waren fröhlich; sie wurden von der Lust der Tänze ergriffen und stampften mit den Füßen. Es war wirklich so, wie Henry gesagt hatte - man kam bei diesen alten Tänzen mit sehr vielen Menschen in Kontakt. Das Herz ging einem für sie auf und wurde zu Güte und Toleranz bereit. Sie waren wahrhaft zivilisierte Menschen.
Tom und seine Frau waren von der Hauptstraße abgebogen und fuhren jetzt an den letzten Häusern eines Vororts vorbei: Offene Felder, ein paar Scheunen, Schienenstränge, die man in einer regnerischen Nacht mit Vorsicht überqueren musste. Tom sprach von einer Komiteetagung im Hauptquartier und von Uneinigkeiten über die Taktik. Dell hörte nur halb zu. Sie wandte sich nach hinten und versuchte durch das kleine Rückfenster hinauszuschauen, an dem der Regen herabströmte.
Jetzt kam der große Augenblick, auf den die Gäste gewartet hatten, das große Ereignis, das ihnen versprochen war. Vier ausgewählte Paare sollten eine Quadrille tanzen. Vier ältere Paare, würdige und besonnene Leute, traten dazu an. Sie wollten den jüngeren einmal zeigen, wie viel wirklich in diesen alten Tänzen lag. Mrs. Ford hatte einen Groß-Bankier aus Detroit zum Partner. Henrys Partnerin war die Frau des Bankiers. Der Tanzmeister war ganz Würde jetzt und machte keine Glossen mehr. >Zunächst viermal rechts- und linksherum<, rief er. >The Girl I left behind me< hieß der Tanz. Henry, würdevoll und zurückhaltend wie stets, nahm die Hand seiner stattlichen Dame und bewegte sich gemessen, doch lächelnd im Kreis. Man tanzte ein Menuett, das früher Könige und Kaiser getanzt hatten. Aber der Flivverking war ein amerikanischer König, und die amerikanische Art war doch die vortrefflichste. Wenn der alte Fiedelmann aus dem Hinterwäldlerdorf von Michigan >Promenade!< rief, wie schön reimte es sich dann auf >Limonade< die doch das passendste Getränk war, das man auf jeder Tanzgesellschaft ausschenken sollte.
Hinter Tom und Dell kam jetzt ein Wagen. Ein plötzliches Kreischen der Bremsen, der Wagen schleuderte streifte fast Toms Wagen und drückte ihn an den Straßenrand. »Himmel! Was soll das!« Dells Herz setzte aus - sie wusste, was es war: jetzt geschah das Furchtbare! Davor hatte sie sich immer gefürchtet! Sie waren hilflos, unbewaffnet, denn ein Gewerkschaftler darf keine Waffen tragen. Er ist froh, wenn die Polizei ihm keine Waffen unterschiebt und ihn dafür ein oder zwei Jahre ins Loch steckt.
»Damenkette«, rief der Tanzmeister, und Mrs. Ford im blassblauen Chiffon gab ihre Rechte der Dame zur Linken, und sie schritten zu den gegenüberstehenden Partnern, reichte ihnen die Linke, drehten sich im Kreis und kehrten zu ihren Partnern zurück. Der Herr, der Mrs. Ford gegenüberstand, war ihr geliebter Gatte. Sie blickte ihn strahlend an und drückte seine Hand, als er sie fasste. Der beste aller Männer war er und der klügste! Hatte er nicht diese reizende Art der Zerstreuung neu entdeckt und sie diese Gesellschaft gelehrt? Seine Kraft für alles Gute war so stark!
Fünf Gestalten sprangen aus dem Wagen und stürzten sich auf den Zweisitzer. Tom sprang heraus; er wollte sich nicht kampflos ergeben. Dell schrie, sie sprang aus dem Wagen, schrie noch lauter, aber ein Mann warf sich auf sie und riss sie zu Boden. Sie biss ihm in die Hand, als er versuchte, ihr den Mund zu schließen. Da drehte er sie herum und drückte ihren Kopf in den Straßenschlamm. Sie konnte nur noch würgen, und bald lag sie still. Tom landete eine Reihe von Schlägen, aber die brachten seine Gegner erst recht in Fahrt. Dann trat ihm einer in den
Unterleib, er sackte zu Boden. Die anderen stürzten sich auf ihn.
Zwei Männer rissen Toms Arme auf den Rücken und fesselten sie mit Handschellen. Die beiden anderen zogen lederne Peitschen unter ihren Jacken hervor, in deren Enden Bleikugeln saßen, und nun bearbeiteten sie ihn. Sie schlugen nicht auf den Kopf, das hätte ihm ja den Spaß an der Sache nehmen können! Aber jeden Zoll seines Körpers zerprügelten sie systematisch.
»Polonaise rechts- und linksherum!« rief der Tanzmeister. Zwei Paare wechselten die Plätze. Die Partner reichten einander die Hand und schritten auf ihren Platz zurück. Dabei passierten sie das Paar zur Rechten, und wenn sie ihren Platz wieder erreicht hatten, drehte der Herr, immer noch ihre Hand haltend, seine Dame am Platz.
Die Schläger machten ihre Arbeit gründlich, sie verstanden sich darauf. Sie hatten Tom auf die Seite gerollt und schlugen ihm in die Weichen, um die Nieren zu treffen.
»Chassez out« rief der Tanzmeister. Die alten Leute sprachen es >Shashay< aus. Und dann: »Formiert«. Die Tänzer bewegten sich mit vollendeter Grazie. Sie beherrschten jeden Pas.
Sie schlugen ihr Opfer ins Geschlecht. »An dem wird seine Alte lange keinen Spaß mehr haben!«
»Six hands around the ladies«, rief der Tanzmeister. Wie reizend lächelten da die betagten Damen. Sie kokettierten, sie waren wieder jung!
»Das reicht«, sagte der Chef der Schlägertruppe. Einer von ihnen löste die Handschellen und steckte sie in die Tasche. Sie riefen nach dem fünften Mann, der noch immer auf Dells Rücken kniete. Er hatte ihr vorsichtshalber den Kopf auf die Seite gedreht, damit sie nicht erstickte.
»Alle zwei Schritte vor und zurück«, rief der Tanzmeister. Sie trippelten leichtfüßig mit kleinen Schritten.
Die fünf Männer sprangen in ihren Wagen und fuhren schnell davon.
Das Menuett war getanzt. Die Gastgeberin trat auf Henry zu, um ihm zu danken. Andere drängten sich heran. »Ganz reizend, herrlich! Eine entzückende Sache... Sie haben uns wirklich ein Geschenk gemacht!«
Henry verbeugte sich; diese Leute zählten, und was sie sagten, hatte Gewicht. Sein Kreuzzug war doch ein Erfolg! Mochte die Menge über ihn lachen - man hatte schon oft über ihn gelacht und zum Schluss doch stets anerkennen müssen, dass er recht hatte.
Dell Shutt kroch im Schlamm herum, »Tom, Tom!« wimmerte sie. Der Regen ertränkte ihre Stimme, sie fühlte ihre Schmerzen nicht. War er tot? Hatten sie ihn fortgeschleppt? »Tom, wo bist du?«
Henry und seine Gemahlin verabschiedeten sich; er ging immer früh zu Bett. Wer die ganze Nacht tanzen wollte, konnte bleiben. Man dankte ihm nochmals, die Leute verabschiedeten sich zum zweiten Mal, er war der wichtigste Mann, es war schon wert, in seinem Gedächtnis zu bleiben, er beherrschte die Schicksale eines Reiches. Und seine Frau war die führende Dame der Gesellschaft - bei Frauen zählen kleine persönliche Berührungspunke. »Hat mich so gefreut, Sie wieder einmal zu sehen - und wie gut Sie aussehen! Kommen Sie doch auch einmal so zu uns! Vergessen Sie den nächsten Freitag nicht! Sie tanzen ganz entzückend, Mrs. Ford!«
Dells Kopf schmerzte, ihre Zähne klapperten, Hände und Füße waren wie Eis. Sie kroch umher und rief: »Tom!« Sie hatte fast keine Stimme mehr, sie hatte Dreck im Mund und konnte ihn nicht herauswürgen.
Die Fords zogen endlich ihre Mäntel an. »Die Nächte sind kalt«, sagte der Gastgeber, der sie zur Tür geleitete. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welche Freude Sie uns bereitet haben.« Der Chauffeur hielt die Tür der Limousine auf und breitete warme Decken über ihre Knie. Der Wachmann, dessen Platz neben dem Chauffeur war, stand auf der anderen Seite des Wagens. Er hatte nur diese Aufgabe - bewachen. Seine Pistole steckte im offenen Halfter, nur von der Mantelklappe verdeckt. Hinter ihnen stand ein zweiter schneller Wagen mit zwei bewaffneten Männern; sie waren ausgestiegen und hielten Ausschau; auch sie hatten nur die Aufgabe - >bewachen<. Die Gangster schreckten heutzutage vor nichts mehr zurück.
Dell hatte den Körper ihres Mannes gefunden. Er war bewusstlos. Sie begann zu weinen und zu schreien. Aber dann wurde ihr klar, dass damit nicht geholfen war. Er fühlte sich kalt an, aber doch nicht so kalt wie der Regen und der Schlamm. Sein Gesicht war aufwärts gewandt, der Mund stand offen. Sie drehte ihn auf die Seite, weil sie fürchtete, er könnte sich erbrechen und dann ersticken. An den Lichtern konnte sie erkennen, wo die Hauptstraße war, und die Verzweiflung gab ihr Kraft. Sie richtete sich auf und rannte in diese Richtung.
»Sei doch nicht zynisch, Henry«, sagte Mrs. Ford, als der Wagen nach Hause fuhr.
»Täusch dich nicht über die Leute«, sagte Henry, »Sie alle wollen nur etwas verkaufen.«
»Ich glaube, diese Leute haben soviel Geld, wie sie brauchen.«
»Das stimmt; ist aber nicht einer unter ihnen, der nicht noch mehr haben möchte und froh wäre, wenn er es mir oder dir abknöpfen könnte. Der erste Schritt dazu ist getan, man hat sich mit dir bekannt gemacht.«
»Solche Gedanken vergiften alle menschlichen Beziehungen, mein Lieber.«
»Ich habe mich früher auch nie nur so zum Spaß in Gala geworfen und Besuche gemacht. Ich hatte immer etwas dabei im Sinn. Das ist bei diesen Leuten nicht anders.«
»Das Tanzen war doch wunderbar.«
»War sehr schön, ja, aber ich wette, jetzt tanzen sie Jazz.«
Der Fahrer und der Wächter waren von den beiden durch eine Glaswand getrennt, die Augen auf die Straße geheftet. Als sie eine Strecke durch offenes Gelände fuhren, sahen sie durch den Regen eine Frau auf die Straße zukommen. Sie schien zu schwanken, und als sie näher kamen, begann sie zu winken und lief schneller, als ob sie sie aufhalten wollte. Sie mussten ausweichen, um sie nicht anzufahren. Der zweite Wagen dicht hinter ihnen wich auch aus.
»Was war das denn?« fragte der Chauffeur.
»Wahrscheinlich ist sie besoffen«, sagte der Leibwächter.
Der Wagen raste weiter. Sie hatten ihre Befehle, sie durften um keinen Preis anhalten. Sie fuhren eine Milliarde Dollar, und so eine Summe kann sich weder Teilnahme noch Neugier leisten. Sie hat genug damit zu tun, auf sich selbst aufzupassen.
Henry und seine Frau hatten nichts bemerkt. Sie saßen in ihren Polstern und ruhten sich aus, sie waren auch nicht mehr die Jüngsten.
»Du solltest dir öfter ein wenig Frohsinn gönnen«, sagte die Frau. »Du hast viel Gutes für die Welt getan.«
»So, wirklich?« fragte der Autokönig. »Manchmal frage ich mich, ob man überhaupt etwas Gutes tun kann. Wenn irgend jemand weiß, was aus dieser Welt wird, dann weiß er verteufelt viel mehr als ich.«