Viele meiner Kameraden werden mich der nachfolgenden Zeilen wegen tadeln. Die einen werden sagen, ich dränge meine Person als Autor in den Vordergrund. Die anderen, das technische Problem soll nicht beschrieben, sondern gestaltet werden. Selbst wenn beide Ansichten richtig wären, würde ich trotzdem diese Einleitung als Selbstkritik schreiben. Ich will dem Leser schon vorher sagen, was ich will und wie das technische Problem liegt. Er soll beim Lesen mithelfen an der Lösung und Gestaltung, prüfen wo das Tempo ins Stocken gerät, und so die wirkliche Verbindung zwischen Autor und Leser herstellen, die der wesentlichste Teil des Inhalts dieses Buches ist. Jeder Inhalt, den man darstellen will, gewinnt dadurch einen neuen Rhythmus. Es wird nicht mehr so sehr ausschließlich Handlung, die sich aufbaut, sondern ein Teil unseres Selbst, der Geschehnisse in und mit uns, unserer Empfindungen, des als lebendige Gemeinschaft Miteinanderverbundenseins. Es wird Handlung mit uns mit, eine neue Form des rhythmisierten Lebens. Die Revolution der Sprache dämmert bereits herauf, und ihre ersten Spitzen werden bereits mit den ökonomischen des Proletariats in das Land der Gemeinschaftlichkeit einziehen.
Die aus der individualistischen Gedankenwelt übernommenen technischen Mittel, so das der Darstellung, sind aus den gleichen Entwicklungsgesetzen hervorgegangen, wie die Truste im Kapitalismus. Sie bedeuten die äußerste Anspannung von sprachlicher Dehnbarkeit, Empfindungsvertiefung im Sinne der Vereinzelung, um die Übertragung und Vermittlung, das Verständnis als Mitgefühl zu erzwingen. Man muss sie benutzen. Die Frage ist nur, wozu. Zu (wenngleich immer klagender auftretendem) Ich, oder zur Sichtbarmachung, Herausarbeitung des Wir. Nicht nur als der Schriftsteller, als Ich zum Wir, zur Gemeinschaft der Leser und allgemein, sondern der Schriftsteller als vorgestoßene Spitze der Leser und der All-Gemeinschaft, als technische Funktion, als Beauftragter. Das Leben wird bunter werden. Ich glaube nicht an die wissenschaftliche Form, die wissenschaftlich bestimmte literarische Form. Wir werden eine andere uns gestalten, herangestalten in der Entwicklung unserer Gemeinschaft. Nicht alle Fragen
werden wir dialektisch, verstandesmäßig lösen, sondern viele gefühlsmäßig und spielend. Obwohl heute noch im Kampf die Dialektik wichtiger und unsere Sehnsucht ist. Wir wollen uns aber auch gestehen, gerade weil wir in Reih und Glied marschieren und für den heftigsten Kampf uns rüsten, dass wir alle zutiefst Frieden wollen. Wir wollen im Grunde nicht als Kriegshelden, nicht im Getümmel der politischen Auseinandersetzungen, bebend das Schwert des Terrors in der Hand, sondern neben- und miteinander leben, etwas im Halbdunkel und die Schulter noch eingezogen. Denn wir vertragen die Sonne noch nicht und es ist schwer aufrecht zu stehen. Wir möchten sagen: Bitte langsam, noch einen Augenblick, wartet doch noch, denn wir sind noch nicht so weit. Das ist wahr. Wir müssen davon ausgehen. Das Heldentum ist für die Darstellung ein gefährlicher Irrtum. Es ist bürgerlich. Wir dagegen haben alle die Zähigkeit, Menschen zu sein. Nicht wie wir diese Menschen sind, bestimmt den Wert, hunderttausend Schattierungen, so genannte Inhalte fallen mit einem Schlage weg, sondern dass wir sie sind. Ich habe in meinen früheren Büchern immer nur alles um das eine gruppiert, den einen Punkt, wo das Menschliche im Menschen, der in beliebiger Lage, in nüchternen und phantastischen Verhältnissen sein mag, sich offenbart. Denn es kann keinem Menschen absolut fehlen. Ich habe gewissermaßen den technischen Sport getrieben, es doch zu finden, und so ein Buch nach dem anderen geschrieben. Wenn es schien, wenn alle Vorbereitungen so weit waren, dass jetzt die Lösung kommen müsste, da machte ich schnell Schluss. Unsere Luft verträgt das nicht, und ich bin nicht stark genug, es trotzdem als Gemeinschaft gefühlt auszusprechen. Schreiben an sich kann man ja viel und leider alles. Weil ich in dem Helden- oder Dulder-Wahn als Schriftsteller befangen war, nahm ich das als Inhalt. Ich habe mich mit den Lesern gestritten. Wollen wir in Frieden gemeinsam gehen. Beobachtet mich, wie ich mit den Sätzen hantiere. Prüft die Verwendbarkeit des technischen Materials und freut euch daran, wie es manchmal durcheinander wirbelt. Arbeitet mit mir an der Feilung des Ausdrucks, auch von der Empfindung her, dann schaffen wir was. Dann stellen wir einen Bau hin, wo jeder sich hundertfältig bunt widerspiegelt und doch nicht einzeln, sondern glücksfrohe Gemeinschaft ist.
Sie waren beide müde, denn sie hatten sich gezankt. Eine plötzliche Schläfrigkeit kommt über einen. Ah, mags gehen wie's will.
Da stand er noch am Ofen gelehnt. Der Mann, wie nun ein Mann in solchen Lagen steht - die Hände in den Taschen, Kinn runtergezogen, dass die Backenknochen spitzer vortreten, und den ganzen Oberkörper etwas vornüberhängenlassend. Groß und kräftig sah er beileibe nicht aus, Hans Merkel, Konstruktionszeichner war er jetzt.
Die Frau dagegen saß an der gegenüberliegenden Seite der Stube am Fenster, auf der Bank. Eine breite Fensterbank, die sich in jeder Bauernstube hätte sehen lassen können. Die Frau hatte die Hände über einander gelegt auf dem Schoß, saß ganz in sich versunken, den Kopf gesenkt. Es war eine nicht eben große blasse schmale Frau. Sie hatte schwarzbraune Haare. Wenn man ihr gesagt hätte, jetzt kommt jemand und trägt hier alles raus, oder wird sie beide als Sklaven nach Amerika verkaufen, es hätte sie nicht wundergenommen. Sie war vollkommen ermattet und wie ausgebrannt. Der Kopf war leer, und das Herz bebte.
So ist das, wenn zwei sich zanken und nicht mehr wissen, wohin.
Es ergibt sich nämlich, dass der Grund des eigentlichen Streites fortwährend wechselt. Er verschiebt sich ständig nach der Seite, die in der letzten Antwort unterlegen scheint und nun den neuen Faden zu spinnen beginnt. Man zieht ständig alle Register, um den immer wieder neuen Unterton von vornherein einzufangen. Das strengt an. So handelt es sich dann bald nicht mehr um die Äußerungen, die aufzunehmen sind und die der Verstand sprechen braucht, sondern die das Gefühl nachmisst, die die Miene oder die Handbewegung spricht; die Steigerung des Gesichts wird wichtiger als das Wort und die eigene Stimme, die unaufhaltsam spricht. Man hört sich laut antworten, lauscht indessen auf das eilende Flüstern, das ungehört und nur geahnt zwischen den Worten gleitet, glüht und blutet, stöhnt, faucht und in einer wahnsinnigen Angst um Antwort bettelt, um Frieden, um Liebe, um Glück. Gerade diejenigen, die wunder wie glauben gut mit einander zu stehen, trumpfen
dann erst recht auf. Sie beschuldigen sich gegenseitig einander in Harnisch gebracht zu haben. Man findet so schwer zurück. Es ist auch unwichtig, denn sie haben sich doch beide etwas gefragt, die Frage bleibt bestehen. Sie wird schärfer, sie drückt. Es ist nicht gerade Hass, was bleibt — obwohl es sich dahin noch entwickelt, sondern das Gefühl, wir verstehen uns letzten Endes doch nicht. Man wird sich unbequem und — sieht sich daraufhin an. Dieser Blick ist nicht gut, auch wenn er freundlich, nachgebend scheint. Es gibt nichts zu handeln, wenn zwei Menschen miteinander um ihr Lebensglück ringen. Denn das ist das Seltsame: Zanke Dich, um was Du willst, es mag noch so geringfügig sein, im Nu wirst Du alles im Mittelpunkt sehen, das Leben sozusagen schlechthin. Mancher hat schon den Kram dabei hingeschmissen. Verflucht hinterher. So standen die beiden sich jetzt gegenüber. Dicke Wehmut quillt auf: verkannt, verleumdet, verschmäht und verstoßen, dazwischen Wut über die Dummheit des andern, der Trotz: er wird niemals nachgeben, nie hört er, nie tut er, nie denkt er daran und das und jenes und die gemeinsame Angst, was soll werden, was wird noch kommen. Und tiefe Müdigkeit. Es ist alles so leer, das Blut wie abgezapft. Und die Erkenntnis: Es brauchte nicht zu sein. Die quält, und das tut weh. Der Schmerz macht die Menschen böse. Wenn sie noch weiter streiten, dann lieber ein Schluss mit Donnerknall. Man belauert sich. Sie passen jetzt aufeinander. Wer sagt das erste Wort. Denn jeder spitzt sich noch mit der letzten Kraft, darauf die Antwort nicht schuldig zu bleiben, den Schluss. Und dann mag gleich alles gleich sein. —
Die dummen blonden Haare stehen in einzelnen Büschen dem Hans über die Stirn. Die Gesichtsmuskeln zucken. Die Frau sitzt still, ergeben in ihr Los. Wer sich da täuschen ließe. Es brodelt und kocht, und die Seele windet sich. Die Gedanken und Bilder darin splittern hoch. Aber auch Hans denkt an vielerlei, ganz zusammengedrängt in wenige Sekunden, und dass die Anna vor ihm da scheint’s sehr unglücklich ist. Wie immer die Frauen, wenn genug gestritten ist. Und die Anna denkt zuletzt, wenn ich nur wüsste, worauf er überhaupt hinaus will, was das in Wirklichkeit zu bedeuten hat. Verdammt bockig ist die, stellt Hans bei sich fest. Anna aber fühlt, der hat einen Schädel wie Eisen, etwas Trotz mag ganz gut sein, gerade
für so einen Mann, aber so gleich, nur brutal und rücksichtslos, mit Füßen wird er mich noch treten wollen. Aber Hans hat schon einen toten Punkt überwunden. Der Spuk ist im Verschwinden. Es wird ihm schon etwas warm ums Herz. Eigentlich Blödsinn, sich deswegen so in den Haaren zu liegen. Aber die Beine sind ihm so schwer. Es sind Klumpen dran. Etwas könnte sie schließlich auch dazu tun — da muss er noch die ganze Länge des Tisches und noch ein Stück, die Fenster im Zimmer sind noch da, und zwei Stühle und — na, die Sonne bricht durch — er geht, er schreitet. Anna zuckt noch ein klein wenig, klingt es nicht so drohend und zittert etwas, den Kopf tiefer gebeugt. Zittert noch mehr, aber schon nicht mehr so in Angst. Dann presst sich eine dicke heiße Träne los und zerspritzt auf dem Knie, man hört es deutlich, und es ist wie ein sehr willkommener Ruf. Denn Hans hat seine Hand auf die schwarzen Haarsträhnen gelegt und streichelt sie, noch unsicher. Vergibt er sich nichts, werden sie nicht brennen — Und dann hat er noch mehr Zutrauen und drückt einen Kuss drauf. Na also. Sie hebt den Kopf, noch widerstrebend, wird gehoben unterm Kinn und dann sieht sie den Hans an, wie der gerade eine neue dicke Träne in ihrem Lauf einhalten will. Hans sieht, wie die grauen und grünen Augen groß werden und schwimmen und schillern und glänzen und dann leuchten - den ganzen Menschen bringen sie dar: Nimm ihn in Menschlichkeit, und Hans fühlt sich sehr klein. Und das Gleichgewicht kehrt wieder, indem man findet, dass es nicht geschwunden war. Dann setzen sie sich wieder zusammen auf die Bank und besprechen sich, Freude im Herzen, und die Worte sind gleichgültig.
Dann soll einer keinen Frieden haben, sagen die Leute. Das ist aber irrig. Meistens liegen die Dinge anders. Denn die bösen Nachbarn fallen ja auch nicht vom Himmel, sondern es ist oft so, dass man sich die bösen Nachbarn züchtet, auch wenn man glaubt, im Recht zu sein.
Hans Merkel verstand sich mit den Leuten nicht. Er sprach fast nie mit ihnen, ging sogar mürrisch beiseite, wenn es manchmal nicht zu umgehen schien. Vielleicht hätten die andern gesagt, er sei ein Schleicher, wenn sein Benehmen nicht so herausfordernd gewesen wäre. Dafür zog er sich aber gerade ihre Bosheit zu. Boshafte Menschen können einen furchtbar quälen, gerade wenn man ganz für sich sein und Ruhe haben will. Ich weiß nicht, ob jemand nur zu seinem Vergnügen boshaft ist. Der Boshafte will doch etwas damit, es spricht etwas aus ihm heraus, eine Bitte, eine Sehnsucht, ein Leid. Darauf fordert er Antwort und beißt sich darin fest, und es wird alles missgestaltet, wenn das Leben äußerlich ungestört weitergeht. Hans ging den Nachbarn aus dem Wege, und diese versäumten keine Gelegenheit, ihn das fühlen zu lassen, auf ihre Art, versteht sich.
Hans war mit sich selbst unzufrieden. Er hatte keine Ruhe, was er auch anfassen mochte. Er stammte aus einer kleinen Kreisstadt, mehr ein großes Dorf, das ein paar Fabrikbetriebe in der Nähe hatte. Der Vater war dort Arbeiter gewesen und dann nach einem Unfall Pförtner geworden. Hans als Pförtnerssohn nahm von Anfang an eine Doppelstellung ein. Der Vater nahm Aufträge nebenbei an, bekam auch Trinkgelder, so dass er sich nicht schlechter stand wie ein Arbeiter. Dazu spielte Hans mit den Kindern der Beamten, die im Verwaltungsgebäude wohnten. Er lernte daher nichts, was ihm als Arbeiter hätte nützlich sein können, sondern wollte Bäcker werden. Da er im Ort blieb, vergingen die Jahre schnell und ohne besondere Ereignisse. Er gewann ein paar Kameraden, die auf den Techniker hinauswollten und zeichneten, und auch Hans machte das besonderes Vergnügen. Dann fiel daheim der Haushalt auseinander, als die Mutter starb, und Hans ging auf Wanderschaft. In den großen Städten sieht aber das Bäckerspielen anders aus als im Dorf. Daran hatte er nicht gedacht, er wechselte oft, suchte vergebens nach den kleinen selbständigen Verhältnissen, die er gewohnt war, lernte noch etwas Koch zu, als er einmal in einem der Riesenhotels in Stellung war und damals schon den Plan gefasst hatte, die Bäckerei über Bord zu werfen und zur See zu gehen. Es dauerte auch gar nicht lange, da fuhr er auf dem Lloyd, erst als Konditor, dann als Verpflegungssteward, wobei er eine Menge Geld verdiente. Da begann er auch Geld auszugeben und das Leben von der leichten Seite zu nehmen. Die Patrone und Wirte von Hoboken, Antwerpen, Hamburg und Boston wurden ihm gute Freunde und Hans schwamm im lustigsten Leben, wenngleich er auch meist zum Narren gehalten wurde. Denn er blieb ein sehr scheuer Bursche, der froh war, wenn er genug gesoffen hatte, dass er voll war und man ihn in Ruhe ließ. Dann verlor er mehrmals schnell hintereinander Chance, ein Verpflegungssteward kann sich bei den üblichen Schiebungen und Schmiergeldern nie lange halten, vor allem wenn der Dampfer viel Mannschaftswechsel hat, so dass der Ruf in die Brüche geht und damit auch der Kredit und der Spaß ihn zum besten zu halten und zu rupfen. Es musste rasch zugegriffen werden, Hans arbeitete eine Zeitlang im Hafen, fuhr zwischendurch auf kleinen Kähnen als Koch, aber mit einer solchen Unruhe in den Knochen, dass er nicht mehr hochkam. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der Krieg einen dicken Strich darunter gemacht hätte. Hans war gerade im Lande, und war gar nicht mal besonders unglücklich. Eine andere Luft musste für ihn kommen. Ich glaube sogar, dass es damals fast allen Menschen so gegangen ist. Ob Krieg oder nicht, das war nicht so wesentlich wie die Explosion dieser drückenden Atmosphäre, die das Proletariat hätte zum Erwachen bringen müssen statt den braven Spießbürger. Aber trotzdem scheint dieser Umweg notwendig und in mancher Hinsicht gut gewesen zu sein. Hans wurde also sogleich eingezogen, das heißt er meldete sich selbst. Es verging fast ein Jahr mit den Zuteilungen und Ausbildungen, denn Hans war einer Marinetruppe überwiesen, bis er schließlich doch als Infanterist ins Feld kam. Jetzt sah er allerdings schon die Sache mit andern Augen an, hatte sich auch einen innern Halt mehr gegeben. Er brachte sich draußen bei der ersten Gelegenheit einen Heimatschuss bei, den er so sorgsam behandelte, dass er auch die ganze übrige Zeit des Krieges meistens reklamiert blieb. Denn er hatte das Zeichnen wieder aufgefrischt und zeichnete in den Patent- und Industriebüros, schließlich schon ein paar Monate in der Konstruktionsabteilung einer Großfirma. Das Auskommen schien gesichert. Inzwischen hatte er das nachgeholt, was er so eigentlich durch seine Fahrten hinausgeschoben hatte. Mit sich selbst innerlich etwas zu Rande zu kommen und sich auf beide Beine zu stellen oder wie man sagt, das Leben zu nehmen wie es ist. Von den Frauen hatte er eine nur sehr beschränkte Vorstellung gehabt. Von denjenigen, die er zu Haus gesehen hatte und denen in den Salons, eigentlich die
einzigen, die er wirklich kannte, war doch ein weiter Abstand, schien es ihm, und sie interessierten ihn nicht eben besonders. Daher schloss er sich immer mehr ab, und las ganze Nächte lang und beschäftigte sich auch mit politischen Fragen. Denn manches kam ihm wie eine Offenbarung vor. Er hatte trotz allem von der Welt genug gesehen, um sich ein Urteil bilden zu können. Er empfand Freude darüber, nachzudenken, zu vergleichen, und studierte nur umso eifriger. Hinzu kam, dass sein Verkehr, ein sehr beschränkter und zuletzt fast ausschließlich politischen Zusammenkünften gewidmet war. Mit den Kollegen stand er ganz gut, solange er sich noch nicht ganz von ihnen absonderte. Da er aber verschiedene Male etwas angetrunken ins Büro gekommen war, so nahm man an, er hat anderswo schon seine Gesellschaft und ließ ihn in Frieden. Soweit war alles klar, wenn nicht zum Teil alles wieder durch seine Heirat umgeschmissen worden wäre. Die Heirat war ein sehr schneller Entschluss, der wie eine Erleuchtung über ihn gekommen war und auch sofort ausgeführt wurde. Schwierigkeiten lagen nicht im Wege. Im Kreis mit den politisch Gleichgesinnten war ein junges Mädchen, das die Versammlungen noch aufsuchte, weil ihr Liebhaber ein eifriges Mitglied gewesen war und die ganz fest hoffte, diese Leute würden ihren Geliebten rächen, denn der war nach einem Straßenkampf von den Regierungstruppen ergriffen und an die Wand gestellt worden. Das Mädchen zog ihn besonders an, weil es so still und zugleich so fanatisch war. Sie schien ein Wesen, das Ruhe spendet und doch einen wieder in die Welt stößt, beides brauchte Hans. Es war genug herumgetrieben, suchte einen festen Halt, wollte aber auch nicht sitzen bleiben. Anna brachte ein kleines Kind von einigen Monaten in die Ehe mit. Das war es, was den Entschluss der Heirat bei Hans erst recht in die Tat umsetzte. Er wollte nicht länger mit ansehen, wie sich Anna mit dem Wurm plagen musste, um sich durchzuschlagen. Das Kind war noch von dem Gefallenen und machte ihnen später noch mehr zu schaffen. Es wollte nicht recht gedeihen, und die Mutter war unglücklich. Nach drei Jahren voll ziemlicher Harmonie bekamen sie ein zweites Kind, das sich kräftig entwickelte. Dieses Kind söhnte manche kleine Unstimmigkeit und Enttäuschung, die in Hans aufgewachsen war, wieder aus.
Trotzdem wurde Hans in immer steigendem Grade mit sich unzufrieden. Er sehnte sich fort. Was er anfasste, kam nicht recht vorwärts. Man hätte sagen können, weil er es bald wieder liegen ließ. Er zog die andern in seine Unruhe hinein. Wenn er zu ihnen sprach, war es immer, als ob er sie verhöhnen und beleidigen wollte. Man wusste nie, wie man mit ihm dran war. Der politischen Bewegung, der er sich angeschlossen hatte, leistete er anfangs gute Dienste, er war einer der Eifrigsten. Dann aber ließ es nach. Es ging ihm zu langsam, er berechnete schon im voraus die einzelnen Niederlagen, die sie erleiden würden. Das machte ihn auch nicht gerade beliebt wie eben die meisten von einem Menschen, dem nichts recht ist, nicht viel wissen wollen. Trotzdem hatte er noch einen wichtigen Vertrauensposten inne. Aber die andern, die mit ihm über Politik sprechen wollten, wie man sich über das Wetter unterhält oder einen Arbeitsplatz, hier die Nachbarn, wenn man gerade am Zaun nebeneinander steht, jeder auf seinem Grundstück und Ausschau hält, die stieß er durch sein kurzangebundenes Wesen, das grob und herrisch erschien, zurück. Es war einfach, weil er mit denen nicht sprechen konnte, sie quälten ihn, er kämpfte in sich mit ganz etwas anderem nämlich die Lust alles über Bord zu werfen. Da kamen die und löcherten ihn aus, dass er wie ein Schulknabe seine Aufgabe hersagen sollte. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie kameradschaftlich zu ihm kamen, sondern mehr, um sich die Zeit zu vertreiben. Vielleicht war es auch anders. Sie suchten vielleicht wirklich erst eine Brücke, um sich näher zu verständigen, um dann als Kameraden zusammenzustehen. Jedenfalls wurde der Hass auf beiden Seiten groß, und sie hätten ruhig ihren freien Tag geopfert, wenn sie etwas herausgefunden hätten, um dem andern heimzuzahlen. Hans brannte darum umsomehr der Boden unter den Füßen. Aber er hing zwischen Himmel und Erde und zappelte. Denn er wusste gar nicht wohin, und was anfangen.
Da standen nun die Häuser wie an einer Schnur aneinandergereiht. Sie boten meist gerade Raum für eine Familie, waren aber auch Doppelhäuser, zusammen und größere, in denen mehrere Familien wohnten. Auch ein schmuckes Verwaltungsgebäude war hingesetzt an einer Straßenkrümmung, die zu einem Platz erweitert war. Von dort aus liefen die Reihen der Häuser strahlenförmig auseinander. Jedes Haus hatte seinen kleinen Garten. Einige, wenn auch kümmerliche Obstbäume standen darin, Raum war genug für Gemüsebeete, eine Sommerlaube und ein kleines Stallgebäude. Die meisten hatten Kaninchen, einige auch eine Ziege. Einige hielten auch Hühner, für die sie vom Hof ein Stück abgetrennt hatten. Die Kolonie war nicht alllzuweit von der Stadt. Nach den ersten größeren Fabrikvororten lief ein guter Fußgänger kaum mehr als eine Stunde. Der größte Teil der Bewohner musste jedoch die Bahn benutzen, um in die Stadt zu kommen. Denn diese Vororte lagen für sich selbst noch weit draußen vor der Stadt. Wald lag dazwischen und Seen, schöne Landschaft, wie man sagt, in die sich überall die Industriekultur hineingefressen hatte. Der Wald stand mehr künstlich und starb schon seit Jahren ab. Um die Siedlung selbst war flaches Land. Im weiteren Umkreis zu beiden Seiten der Bahnstrecke waren noch mehr solche Siedlungen. Der Staat hatte sich ihrer nicht angenommen. Zum Teil von Bauunternehmern errichtet, die mithalfen, dem Großgrundbesitz, dem die Stadt zu eng auf den Hals gerückt war, ihre Grundstücke mit weniger ertragreichem Boden zu teuren Preisen unter die Leute zu bringen, zum Teil aber auch hervorgegangen aus der Bewegung unter der städtischen Arbeiterschaft nach Licht und Luft als Arbeiter-Baugenossenschaften. Immerhin hatte sich auch dieser die eigentliche Bauspekulation bemächtigt, die nötigen Vorschüsse gegeben, und den Bau selbst auf Kredit ausgeführt. Man schloss damit das Gelände auf, die Grundstücke, die nur in Pacht gegeben wurden, stiegen schnell im Wert. Es war für die Bauspekulanten eine nicht unvorteilhafte Kapitalsanlage. Die hundert bis zweihundert Familien boten immerhin eine beträchtliche Sicherheit als Ganzes für den Zins, bis die kommen würde, das so hochgeschraubte Gelände besser zu verwerten und der Genossenschaft dann die Gurgel zuzudrücken. Damit man noch überdies dann dabei etwas herausholen konnte, drängte man den Baugenossen tunlichst ihre Ersparnisse als Einlage ab. Kapital bleibt Kapital, auch wenn es sich in Arbeiterwohlfahrt betätigt, und unter einem kapitalistischen Staat ist der Arbeiter bei bestem Willen, wie auch immer die Organisation sein mag, nicht imstande, sich gegenüber dem Großkapital, das nicht nur den Grundbesitz, sondern den Staat selbst beherrscht, zu behaupten. Es duldet ihn mit seinen paar Pfennigen als Anteil eben nur so lange, wie es sein kapitalistisches Interesse erfordert. Man kann sich vorstellen, dass die Einsichtigen, die nachzudenken gelernt hatten, in so einer Siedlung letzten Endes doch saßen wie auf einem Pulverfasse. Licht und Luft allein macht den Menschen nicht glücklich. Trotzdem sie von den Kameraden, die noch inmitten der Steinmauern im Ungeziefer saßen in den düsteren stinkenden Hinterhäusern, wo die Luft klebrig und stickig war, in Räumen, die schwarz und feucht dazu geschaffen schienen, jeden Wunsch nach menschlichem Dasein von vornherein zu unterdrücken. Trotzdem sie mit Eifer bei der Gartenarbeit waren, bei der Kleintierzucht, die allerdings mehr den Kindern Vergnügen machten als von wirklichem Nutzen für den Haushalt waren, und boshafte Zungen behaupteten nicht mit Unrecht, was der Stadtbewohner an Kino, Schnaps und anderen Kulturdingen verbringt, also nicht nutzlos, sagt man, das gibt der Siedler den Hühnern zu fressen. Wie es auch sein mag, man freut sich, wenn einem was zuwächst, was man zudem erarbeitet hat, und man bekommt eine Ahnung, wie schön das Leben sein könnte, wenn es anders wär. Unter solchen äußerlichen Erwähnungen muss man das Leben der Siedler betrachten. Obwohl die Häuser kaum ein paar Jahre standen, wohnten da etwa nicht mehr die Leute, die als erste Gründer mit eingezogen waren. Viele waren schon zugrunde gegangen, hatten die Arbeit verloren und mussten überhaupt aus der Gegend weg, Familien hatten sich aus dem oder jenem Grunde aufgelöst und die Wohnung aufgegeben, wieder welche vermissten Kino und Schnaps-Gemütlichkeit, einige und nicht die wenigsten vertrugen sich nicht mit den Nachbarn und versuchten es wo anders. Die Bewohner wechselten schnell. So waren auch Merkels reingekommen.
Anna hatte sich vorgenommen auszuhalten. Ihr gefiel das Häuschen mit den drei Zimmern, in dem sie so bequem wohnten. Die Kinder gediehen, besonders dem Ältesten ging es merklich besser. Hans verdiente, dass sie davon leben konnten, umsomehr da Hans wenig für sich gebrauchte. Sie hatte das Nähen angefangen und brachte auch etwas zusammen. Es war sogar Aussicht, dass sie sich und die Kinder allein davon ernähren konnte. Eine Ziege stand im Stall, obwohl sie nicht recht vorwärts kam. Sie hatte keine Zeit, das Tier raus auf die Wiese zu führen. Den Nachbarkindern konnte Anna sie nicht anvertrauen. Es war sozusagen eine Gemeindewiese da, wo die Ziegen der Siedlung weideten. Die Kinder trieben allerhand Unsinn. Sie war noch zu fremd hier, und ihre Ziege würde man das entgelten lassen. Mit den Leuten kam Anna ja kaum zusammen. Hans hatte gar nicht nötig, sich mit ihnen zu streiten. Jeder ging doch seiner Wege. Sie bemerkte gar nicht, dass die Leute ihnen feindlich waren. Sie pflegte dann zu Hans zu sagen, das ist überall so, und in der Stadt, wo vier Parteien und noch mehr auf einem Flur wohnen, noch viel schlimmer. Um das, was sie alle anging, die Sachen und Nöte der Gemeinschaft bekümmerte sie sich gar nicht. Diejenigen, die da Streit aufbringen, sind immer dieselben, überall wird Hans solche treffen. Denen soll man am besten aus dem Wege gehen. Die Nachbarn sah man ja kaum. Außerdem lärmten auf der Wiese und oben am Berg immer die Kinder in großen Horden. Dort werden dann auch ihre Kinder mit spielen, später einmal, man sah doch, die Kinder vertrugen sich und mit den alten Leuten kommt es noch mit der Zeit. Oben am Berg, das war der Platz, von dem Anna am liebsten Ausschau hielt. Es war mehr ein Sandhügel, der mit ein paar Kiefern bestanden war. Aber dahinter flachte das Land ab, Heide und zwischendurch Ackerland. Man hatte den Eindruck, man sieht tief ins Land hinein. Waren die Äcker auch verwildert, die Heide kahl und ein Sandloch neben dem andern, im Hintergrund zog sich eine breite Landstraße, die längst verlassen von jedem Verkehr noch wie aus alten Zeiten erzählte, wo der reisende Handwerksbursche mit dem Ränzel auf dem Rücken nach der Stadt gewandert war und wieder zurück, aufs Land hinaus. Wie um das alles noch deutlicher zu machen, war ein Teil der Straße noch mit alten Kirschbäumen bestanden, so dass man sich immer wieder wunderte, dass die Besitzer nicht Angst hatten, die Kirschen würden gestohlen. Die meisten wussten eben nicht, dass die Bäume verwahrlost waren und kaum mehr trugen, und dass zwischen den Gemeinden, die heute längst Vorstädte waren, schon seit Jahren ein Streitverfahren schwebte, wem das Nutzrecht an dem Bäumen war. Für die Kinder aus der Siedlung, die mehr nach der Bahnstrecke zu sich hielten, war die Straße zu abgelegen. Es galt schon, obwohl nur wenige Minuten entfernt, mehr als Ausflug, und dahinter war auch weiter nichts als ringsum flaches Land und Heide. Ein größeres Bauerngehöft lag noch längs. Das Gutshaus, zu dem alle die Grundstücke einst gehört hatten und allmählich abgestoßen worden waren. Das Gut, wenn man davon noch sprechen konnte, war noch in Bewirtschaftung. Ein alter Hagestolz, sagte man, saß darauf mit einem alten Verwalter und einigem Gesinde. Aber niemand sah oder kannte die Leute. Sie hielten sich abseits und blieben ganz für sich. Es hieß, dass von auswärts Gutsarbeiter dort beschäftigt wurden. Die Äcker, so verwildert wie sie waren, konnten nur wenig Ertrag liefern. Der Alte hat sein Schäfchen im Trockenen, dachte man. Nie wäre jemandem eingefallen, dorthin zu gehen, um sich irgendwelche Produkte zu kaufen. Denn das stand fest, die hatten selber nichts. Aber es war schön, auf dem Berge zu stehen und in das Land hinaus zu sehen. Anna war nicht die einzige, die das herausgefunden hatte. Sie gingen alle mal gelegentlich durch den tiefen Sand die paar Schritte rauf und guckten. Außerdem gehörten die Kiefernstämme zur Genossenschaft.
Anna dachte manchmal, in den ersten Monaten, als der Jüngste noch ganz klein war und sie hinaufgegangen war, weil dort die Sonne so schön warm war und Kiefernduft in der Luft, das ist Heimat hier. Sie hatte das Gefühl, sie müsste sich dort festwurzeln, und alle ringsum mit ihr, denn sie gehörten doch zusammen, und sie sollten alles, Häuser und Gärten und Wiesen und Heide immer schöner machen, dass niemand mehr von ihr fortwolle. Dann würde eine alte Sehnsucht im Blut, die manchmal ganz lebendig wurde und stürmisch, wie sie sie früher nie gefühlt und gekannt, erfüllt werden. Aber die Männer sahen nicht danach aus, und bei den Frauen sah sie auch nicht viel davon. Und sie wusste, sie ist selbst nicht viel anders. Das war nicht das Glück. So konnte eine Heimat nicht aussehen. Die waren alle mürrisch und zänkisch und unzufrieden. Man musste denken, sie sind froh, seufzen zu können. Vielleicht hatten sie alle morgen keine Arbeit, dann saßen sie hier fest und konnten alles stehen und liegen lassen, was sie angefangen. Und wer soll den teuren Umzug bezahlen. Unter der Hand losschlagen konnte man hier draußen auch nichts. Und hier draußen gab es für Leute wie sie keine Arbeit. Das will alles so täglich hineingefressen sein. Da konnte kein Glück, geschweige denn etwas Ruhe, dass man sich mal umsehen konnte, wie man eigentlich lebt, ob man überhaupt lebt, aufkommen. Dann hieß es für Anna die Zähne zusammenbeißen, dass sie festblieb. Sonst wäre sie schon die ersten Monate weggelaufen. Das ist nicht so einfach mit der Heimat. Sie verstand die alten Menschen nicht und die Tiraden, die manchmal in den Büchern darüber standen. Aber jeder Strauch war ihr lieb und die Häuser und alles und auch die Menschen, wenn sie nur nicht so starr und unzugänglich sein würden.
Eines hatte Anna Merkel bei alledem vergessen: Die Leute aus Arbeitsfriede, so hieß die Siedlung, waren nicht nur ständig in Sorge um ihr Dasein, sondern sie führten einen ungleich schwereren, erbitterten und aufreibenden Kampf um ihre Zukunftshoffnung. Sie glaubten an den endlichen Sieg des Sozialismus, und jeder tat sein Möglichstes, noch mit dabei zu sein - an Hoffnung, zaghaftem Bangen und plötzlicher Niedergeschlagenheit. Wer das gelobte Land erfasst und erschaut hat, dem kann es nicht schnell genug mit der Verwirklichung sein, das geht uns allen so. Anna sprach darüber nicht. Schien es ihr auch selbstverständlich, so hätte sie die Wirkungen solchen Kampfes nicht wahr haben wollen. Der Mensch vergisst gern das, was er nicht mag. Anna hatte den Vater ihres ersten Kindes daran verloren, es hätte geheißen, den ganzen schrecklichen Schmerz aufzuwühlen, der sie danach wie mit Messern durchschnitten hatte. Außerdem fürchtete sie Einwirkung davon auf das Mädchen, war das Kind an sich doch schon so schreckhaft. Wenn die Mutter nicht daran denkt, fühlte sie, bleibt das Kind davon unbehelligt. Als sie noch schwanger war, hatte sie sich in die Gedanken der Revolution festgebissen, zum Teil überwiegend in ohnmächtiger Wut und Rachebedürfnis. Es hatte ihr niemand gesagt, aber sie fühlte sich manchmal daran mitschuldig, dass das Kind etwas zurückbehalten hatte. Es war alles andere als gesund, das Kind, wenn es auch nicht gerade schwächlich war, wie so viele Kinder in der Nachbarschaft. Am liebsten hörte Anna von dem allen nichts, dass sie sich nicht aufregt. Das Kind braucht besondere Pflege, und es war ihr wichtiger über das Kind zu wachen. Darin lag für sie der Abglanz eines noch fernen Glücks, das die anderen auf ihre Weise suchten, für sie aber zum Teil, was den Weg anlangt, schon vorbestimmt schien.
Die Bewohner von Arbeitsfriede hatten vergessen, dass alle Vorgänge im Staat, die politischen wie die wirtschaftlichen, nur dem Gesetz einer Entwicklung folgen, und es ist für viele so schwer auseinander zuhalten, inwiefern sie zu dieser Entwicklung das ihrige hinzutun können und sogar müssen, und inwieweit sie selbst mit all ihren Kämpfen nur Teile dieser Entwicklung sind. Früher noch vor Jahren, als die Entwicklung zum Sozialismus noch im Anfange war, konnte man vielfach, wenn in der Propaganda sich die ersten Schwierigkeiten zeigten, wenn die ersten Kämpfe auch die ersten Opfer erfordert hatten, die Meinung hören, es geht eben doch nicht, schmeißen wir den Kram hin; der Mensch soll nichts unternehmen, was über seine Kräfte geht. Und die Menschen versuchten ohne Hoffnung weiterzuleben. Damals lebte eben noch der weitaus größte Teil aller Werktätigen in dieser Dumpfheit, er war schon zufrieden, dass er das Leben hatte, und die Ausbeuter aller Grade, der Fabrikherr, Bauer, Handwerker und die Frau des kleinen Beamten, die sich ein Dienstmädchen hält, sprechen von diesen Tagen noch als von der guten alten Zeit. Und sie sagen, die Welt sei verroht, die Leute hätten keine Religion und keinen Verstand mehr, weil sie aus dieser tierischen Dumpfheit herauswollen und begreifen lernen, dass das Leben größere Inhalte und Anforderungen stellt, als Saufen, Fressen und dienen. Heute konnte man seine Lebenshoffnung nicht mehr einfach wegwerfen, um nicht mehr daran zu denken. Es waren zu viele da, ja alle, die dann daran dachten. Ein solcher hätte sich müssen glatt aufhängen. Es gab nichts, wohin er sich sonst flüchten konnte. Diese Anspannung, nicht besonders mehr können als dabei zu bleiben, diese immer wieder vorschießende Hoffnung, jetzt mit dem nächsten Schlag den Feind endgültig niederzuwerfen, diese tiefe Verzweiflung, wenn es nicht vorwärts damit gehen wollte, alles dies zusammen brachte eine kaum mehr erträgliche Erbitterung und gereizte Stimmung hervor, die jedem auf dem
Gesicht geschrieben stand und die er nach Herzenslust den andern entgelten ließ. Sie blieben darum nicht weniger eifrige Kämpfer für die Sache. Man ist sogar versucht zu sagen, eher im Gegenteil, sie wurden noch eifriger.
Die Revolution und die Befreiung der Arbeiterklasse geht aber ihren eigenen Weg. Sie saugt die Kräfte derer, die darauf hoffen, auf und setzt sie als neue Kräfte der Gesamtbewegung um, kein noch so winziger Schlag, den der einzelne führt, geht verloren. Aber die einzelnen Menschen gehen daran noch zugrunde, was liegt daran. Die meisten Menschen sterben aus Verlegenheit. Sie wissen nicht mehr, wozu sie leben sollen. Und viele sterben gern. Für die andern nur, die Überlebenden wirkt das so schrecklich.
Arbeitsfriede hatte auch Tote zu verzeichnen. Das erste Mal waren bei einem Straßenkampfe, der in der inneren Stadt aus einer auseinander gesprengten Demonstration sich entwickelt hatte, zwei Leute aus der Kolonie, deren Betriebe geschlossen an dem Aufmarsch teilgenommen hatten, dem Maschinengewehrfeuer der wie toll gewordenen Sicherheitssoldaten, die aus Angst blindwütig in die Menge hineinschossen, erlegen. Der eine war auf der Stelle getötet worden, der andere, am Arm verwundet, war nach Monaten im Gefängnis, wohin man ihn nach oberflächlichster Heilung gebracht hatte, noch seiner Verletzung erlegen. Er sollte noch wegen Aufruhrs verurteilt werden. Das zweite Mal lag vom Gang dieser Erzählung gesehen erst eben hinter ihnen. Die Streikwelle, die schon seit Monaten im Ansteigen war, allerdings die wirtschaftliche Widerstandskraft des Arbeiters restlos erschöpft hatte, war überraschend in einen Generalstreik über das ganze Land hin ausgelaufen. Diesmal musste der Sieg kommen, dachten alle. Mit unerhörter Zähigkeit und Erbitterung hielten die Arbeiter den Streik durch. Als dann Truppen eingriffen, die sich anfangs neutral verhielten, Gerüchte gingen sogar, sie würden auf Seiten der Streikenden treten, zum wenigsten große Teile davon, schien das Maß voll und der Zeitpunkt gekommen. Wer noch Waffen hatte, zog sie hervor, an einzelnen Stellen wurden sogar Waffendepots der Regierung gestürmt und in den Außenbezirken die Polizei entwaffnet. Auch in der Kolonie fanden sich noch Waffen genug. Die Leute traten, da keine Verkehrsverbindung mehr nach dem Stadtzentrum war, ganz
von selbst zusammen, wählten ohne Streit und Misstrauen Führer und sonstige Beauftragte, setzten sich mit den Nachbarkolonien Freudenthal und Waldheim in Verbindung, wo die Verhältnisse entsprechend ähnlich lagen. Auch dort waren die Leute unter Waffen und warteten dringend darauf, endlich einzugreifen. Die neu gewählten Befehlshaber der drei Kolonien traten zusammen, richteten eine dauernde Verbindung durch Radfahrer untereinander ein und setzten einen einheitlichen Verteidigungsplan fest für den Fall, dass sie von Truppen angegriffen würden. Leute, die sich längst nicht mehr angesehen hatten, arbeiteten einträchtiglich nebeneinander. Die Verpflegung musste für alle sichergestellt werden, eine Gemeinschaftsküche wurde eingerichtet und alle schossen etwas dazu zusammen. Fast die gesamte männliche Bewohnerschaft war im Wach- und Kundschafterdienst tätig. Eine Versammlung aller Kolonisten war bereits einberufen, die sich mit der Übernahme des Gutes hinter dem Berg oben beschäftigen sollte. Die Meinungen waren geteilt, die einen wollten parzellieren, die andern es als Landwirtschaft gemeinsam bewirtschaften. Rechnungen waren aufgestellt, dass alle drei Kolonien davon bequem hätten ernährt werden können. Man war noch nicht einig, und eine Versammlung sollte darüber entscheiden. Da wurden die ersten Truppen gemeldet. Die Versammlung kam nicht mehr zustande. Ohne direkte Verbindung mit der Stadt wussten die Leute nicht, wie die Gesamtlage war. Nur dass ihre Betriebe noch stillagen, das konnte man sozusagen mit den Augen sehen. Sie folgten daher der Aufforderung einer Militärabteilung, die Waffen niederzulegen, nicht, sondern machten sogar Anstalten, die Soldaten anzugreifen und zu entwaffnen. Der Versuch misslang. Die Sachlage schien sich geändert zu haben, und der Trupp hatte scheint’s eher den Charakter einer Strafexpedition. Trotzdem kämpften die Arbeiter weiter. In Waldheim wurden zwei Häuser regelrecht von dem Militär in Brand gesteckt, als sie die ersten Toten hatten. In Arbeitsfriede musste das Verwaltungsgebäude, in dem sich ein ansehnlicher Trupp Arbeiter verschanzt hielt, unter ziemlichen Verlusten und unter Anwendung von Minen gestürmt werden. Dann brach der Widerstand zusammen. Die Soldaten hatten an zwanzig Tote, die Arbeiter insgesamt sechs, wovon zwei auf Arbeitsfriede fielen. An fünfzig wurden aber als Gefangene weggeführt. Es war gut, dass die Regierung, die sich mit knapper Not noch im Sattel gehalten hatte und einen neuen Stoß fürchtete, schleunigst mit einer Amnestie herauskam. So wurde nach einigen Tagen der größte Teil entlassen, nachdem sie in einem Militärlager zwar wie Kriegsgefangene behandelt, mit Gewehrkolben und anderen Dingen aber halbtot geprügelt worden waren. Der Rest von zehn Mann konnte nicht mehr zurückkehren, da schon an der Bahnstation, eine Viertelstunde von der Siedlung weg, der kommandierende Major herausgefunden hatte, dass die Zahl der Bewachungsmannschaften, die er ohne sich selbst zu gefährden abgeben konnte, in keinem entsprechenden Verhältnis zur Zahl der Gefangenen stand, so dass er am Bahnhofsgebäude kurz entschlossen diese Überzähligen einfach niederschießen ließ.
In der nächsten Woche wurde zwar die Arbeit wieder aufgenommen. Es ging auch alles sonst wieder seinen alten Gang. Die Leute wichen genau wie vorher einander aus. Daher diese Wut von Hans Merkel, der sich die Wirkung anders gedacht hatte. Trotzdem beschäftigten sie sich jetzt mehr miteinander. Es ging eben langsam. Hans sah das nicht. Aber sie waren dennoch fester miteinander verbunden. Sie sahen sich mit anderen Augen an. Sie übten schonungsloseste Kritik. Es sah aus, als wollten sie sich selbst gegenseitig auffressen. Wenn man nur den Tonfall hörte, in dem der eine von dem andern sprach. Aber man muss eben tiefer hineinhören als nur die bloßen Worte. Das was bisher zufällig zusammen war, bildete sich unmerklich zu einem mehr organischen Ganzen. Es wuchs an diesem Baum Woche für Woche ein neuer Zweig an. Noch unter Kälteschauern und grimmigem Wind, anders geht es nun einmal nicht. Das ist die Luft einer Werkstatt, die von den Flüchen der um den Hungerlohn Fronenden angefüllt ist, die zum Ausbruch kommt, auch draußen in der so genannten Freiheit. Daran soll man sich nicht stoßen. Ein paar böse und missmutige Worte wirken wie gutes Salz. Erst war die Frage zu entscheiden, sollen die Gefallenen auf dem Gelände der Genossenschaft gemeinsam beerdigt werden. Der Gedanke drang zwar nicht durch, dazu war der Platz doch zu beschränkt und die Heide auf dem Berg gehörte ihnen nicht, obwohl sie das Nutzungsrecht hatten, aber sie begruben sie auf allgemeine Kosten im Friedhof der nächsten Station. Dann ergab sich die
Frage, sollen die Familien unterstützt werden und wie, das heißt wie lange und gleich die weitere, müssen die Familien ihre Häuser räumen, und wenn ja, zu welchem Termin. Das waren auf einmal eine Summe von Entscheidungen, wie sie in dieser präzisen Schärfe noch nie vor ihnen gestanden hatten. Denn der Konflikt mit der Kreisverwaltung, die Regierungsgeld vorgestreckt hatte, und mit dem privaten Bankkapital, das noch bei weitem nicht abgetragen war, war unvermeidlich. Es war klar, dass die Genossenschaft dann ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Beschlossen sie das, so konnten sie noch Monate brauchen, wenn der Zusammenbruch kam und die Regierung einschreiten würde. Aber sie beschlossen es trotzdem. Ohne allzu lange Erörterungen. Es war ja auch ihre höchsteigenste Not, das hatte jeder begriffen. Das war der Anfang. Erst von diesem Gesichtspunkt aus sahen sie sich gegenseitig mit neuem Misstrauen an. Wird er aushalten oder davonschleichen. -
Als einer der ersten, die das bohrender gewordene Interesse aller zu spüren bekamen, war der eine von Merkels Nachbarn, ein gewisser Hoffmann. Dieser, von Beruf Metallarbeiter, hatte es verstanden, durch seine Fähigkeit sich überall an erster Stelle zur Geltung zu bringen und war sehr bald Vertrauensmann der Gewerkschaft im Betriebe, schließlich Gewerkschaftsbeamter geworden und nahm dann eine führende Stellung im Metallarbeiterverband ein. Die Drehbank hatte er schon lange mit dem bequemen Schreibtisch vertauscht. Die Hoffnungen der Arbeiterschaft auf die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung sahen sich schnell enttäuscht, als die Zusammenfassung nicht mehr Kampfmittel war, als was sie zuerst auftrat, sondern eine neue Zwangsjacke, die ein williges Werkzeug in der Hand der Gewerkschaftsführer geworden war. Die Beamten verstanden es ausgezeichnet, den Willen der tausende Von Einzelmitgliedern zu ihren Gunsten und zu ihrer eigenen Befestigung in ihrer Vorzugsstellung umzubiegen. Dieses Gewerkschaftshausbeamtentum hatte sich zu einem neuen und psychologisch sehr interessanten Beruf ausgebildet, dessen Kunst und Befähigung darin bestand, Misstrauen, Wut über die Unbeweglichkeit der sozialen Lage und Verzweiflung über die Misserfolge der Revolution unter den Mitgliedern aufzufangen, auszugleichen und auf andere Bahnen zu lenken, die Kunst, sich oben zu halten und jeden Stoß gegen die Führung umzubiegen zur Befestigung derselben. Es ist einleuchtend, dass solche Leute in dem alten widerwärtigen Sinne wirklich gute Regierer waren und mit Vorliebe daher auch von der Staatsregierung zur Mitarbeit herangezogen wurden. Das einzige Missliche für sie war, dass sie von ihren Kollegen gehasst und wie als Abtrünnige empfunden wurden. Es mag dies seltsam erscheinen, da diese sie ja meistens auch gewählt haben. Der Arbeiter begriff eben, dass er solche Leute noch brauchte, er hätte sie anders gewünscht, dachte er, es ist immer noch besser, er bestimmt sie selbst, als der Staat setzt ihm direkt seine Polizeibüttel auf den Hals. Solange auch das Beamtentum die Stütze desjenigen Staates ist, der ihn ausbeutet, ist der Hass des Arbeiters gegen den Beamten so erklärlich. Die Entwicklung brachte es eben mit sich, dass auch die Arbeiterbeamten sich in keiner Weise mehr von den Staatsbeamten unterschieden. Daher der Hass. Dieser Hass äußerte sich darin, dass diese Gewerkschaftsführer von ihrer nächsten Umgebung beobachtet wurden, wie mit hundert Spiegeln. Wer da nicht ganz sicher stand, kam dabei an seinem Privatleben schließlich doch zu Fall. Er mochte noch so geschickt sein in der Leitung seiner Geschäfte, das Familienleben brach ihm oft das Genick. Da redeten die Kollegen mit hinein, denn, er beteuerte es ja auch oft genug, er blieb schließlich einer der ihrigen, er hätte unter ihnen zu leben, und man möchte sagen, sich dort zur Kritik zu stellen. Diese Kritik versöhnte auch in vielem mit den sonstigen Auswüchsen des Gewerkschaftsbeamtentums.
Der nach dem Zusammenbruch der Bewegung in Arbeitsfriede einsetzenden Kritik war als erster Hoffmann nicht gewachsen. Er hatte im Lauf der Ereignisse den Zeitpunkt verpasst, sich rechtzeitig zu den anderen zurückzufinden. Er schwebte mit seinen Machtgelüsten allein noch oben und bekam daher die volle Breitseite der Wut. Er redete zwar große Worte, warf mit Kameradschaftsbeteuerungen nur so um sich, aber in dem Augenblick sind die andern hellhörig, der Arbeiter hat überhaupt ein feines Empfinden wie manche hysterische Geheimratstochter, es erwies sich, dass Hoffmann August nur leere Redensarten hatte und alles verdammt hohl war. Und man merkte, er hat Angst, es geht ihm um den Kragen. Das gab erst recht einen neuen Stoff. Auf ihn! und so wurde Hoffmann zu Fall gebracht. Das was er sich aufgebaut hatte, stürzte zusammen wie ein Kartenhaus. Die Meute über ihn her. Der Mann wirtschaftete zu Hause wie ein Pascha. Die Frau war ängstlich und verschüchtert, arbeitete von früh bis spät, im Garten und im Haushalt, und machte nichts recht. An der Frau ließ der Hoffmann besonders seine schlechte Laune aus. Es kam auch vor, dass die Eheleute sich schlugen. Der Mann zog die Frau an den Haaren durch die Stube und verprügelte sie. Die Kinder standen zitternd und stramm. Sie waren militärisch erzogen. Drei Mädchen waren da, von denen das eine schon erwachsen und in der Stadt in Stellung war und ein Junge, der irgendwo das Gymnasium besuchte. Er soll was lernen, hatte der Alte damals gesagt, wenn ihn jemand fragte. Jetzt bekam das alles plötzlich ein anderes Gesicht. Der Hoffmann ist ein besonders feiner Mann, sagten sie, der Sohn wird Staatsbeamter. Die Frau, die sich bisher kaum aus dem Hause getraut hatte und niemanden weiter kannte, wurde von allen bemitleidet. Die Frauen kamen und besuchten sie. Meist noch aus Neugierde, man wollte sehen, wie es da aussieht, was dort vorgeht. Der Alte wagte nichts dagegen zu sagen. Auch die Kinder wurden Gegenstand der Aufmerksamkeit, die Kaninchen, die Hühner, die Ziegen. Hoffmann hatte zwei Ziegen, und Hoffmann hatte überdies noch ein Schwein, obwohl das im Mietskontrakt verboten war. Der Hoffmann hatte das Schwein schon seit Monaten, aber jetzt interessierte es. Man wusste auch, dass ein Schwein schon krepiert war, die Leute verstanden sich nicht darauf und es gedieh nicht. Na ja, hieß es, die Frau muss sich zu Tode quälen für den großen Herrn. Und richtig, wie der so genannte Zufall es will, der ja immer die Lösung bringt, die alle erwarten und dann lange vorausgesehen hatten, die Frau legte sich hin und starb. Gerade zu dieser Zeit starb die Frau. Das war Pech für Hoffmann. Jetzt ging’s los. Jetzt zeigte sich, dass Hoffmann irgendwo Verwandte hatte, die angesehene Bürgersleute waren, bei denen der Junge erzogen wurde und auf die Schule ging. Jetzt erfuhr man, dass zwischen den Eheleuten ein ständiger Streit war über die Erziehung
der Kinder. Denn Hoffmann hatte sich in den Kopf gesetzt, die Kinder katholisch erziehen zu lassen. Niemand wusste bis dahin, dass August überhaupt kirchliche Anwandlungen harte. Man sah ihn nicht in die Kirche gehen. Er hatte auch sonst kein katholisches Aussehen. Er konnte gut fluchen, wenn dies gerade am Platze war. Es hätte sich für einen Gewerkschaftsbeamten auch nicht geschickt mit einem Gebetbuch vor der Versammlung zu erscheinen. Und jetzt hieß es gar, er wollte den Jungen katholischen Geistlichen werden lassen. Darüber hätte die Mutter sich zu Tode gegrämt. Und die mittelste Tochter wollte er in ein Kloster stecken. Die Mutter wollte sie nicht fortlassen, sie brauchte sie im Haushalt, hat sie noch gejammert. In den letzten Tagen ihrer Krankheit war sie zu den Nachbarn gesprächig geworden und hatte über die Rohheit ihres Mannes geklagt, er hört nur auf die Verwandten. Die setzen ihm den Kopf voll. Nur die Älteste war Vaters Liebling. Die konnte machen, was sie wollte. Die trieb sich in der Stadt rum und machte Schulden auf Vaters Namen. Jeden Sonntag kam sie mit einem andern Liebhaber an und immer Militärs, Polizeisergeanten und solche. Vater sagt aber nichts und lässt alles gehen. Den Garten plündert sie vollkommen aus, nimmt immer noch ein großes Paket mit in die Stadt, Fleisch und was sie sonst haben. Es ist dem Alten ordentlich nichts genug, was er ihr nicht zustecken kann. Die Mutter schied von der Ältesten in bitterstem Hass. Die Jüngste war gerade schulpflichtig und sehr kränklich. Die war von der Mutter verzogen, und der Alte durfte sie nicht anrühren. So enthüllten sich die Familienverhältnisse. Es kam auch raus, dass Herr Hoffmann ein paar tausend Mark auf der Sparkasse hatte, die er gern noch vermehrt hätte. Er wird sich in Spekulationen eingelassen haben, er macht Geldgeschäfte. Das alles war das Netz, in dem sich Hoffmann fing und zappelte. Wenn er dagegen auftrat, merkte man, wie großschnäuzig er war. Wenn er fluchte, man soll ihn mit seinen Privatsachen in Ruh lassen, gestand er ein und vergrößerte noch seine Schuld. Ein Lump ist der, hieß es, den die Arbeiterschaft schon längst hätte herausschmeißen müssen. Es war nahe daran, dass es anlässlich des Begräbnisses, bei dem die ganze Kolonie anwesend war, zu stürmischen Auftritten und Tätlichkeiten kam. Hoffmanns Verwandtschaft war erschienen, und alle nahmen für die Frau, um die sich doch früher niemand gekümmert hatte, laut Partei.
Der Hass entlud sich. Vielleicht lagen die wirklichen Verhältnisse, auch mit der Verwandtschaft anders. Das wollte jetzt niemand wissen. Es waren welche, die wollten die älteste Tochter wenn sie sich noch einmal im Ort blicken ließ, mit Steinen hinausjagen. Dem Alten wurde eine Untersuchung seiner Gewerkschaftskasse angedroht, das Sparguthaben spielte eine große Rolle dabei. Blitzschnell zog der Vorfall weitere Kreise auf unter den Gewerkschaftsmitgliedern seines Verwaltungsbezirks. Ankläger traten auf, strengste Untersuchung wurde gefordert, das Privatleben übermäßig breitgetreten. Die Bürokratie hält nicht fest zusammen, solange der Gesamtbestand, an dem sie mitinteressiert ist, nicht gefährdet wird. Man glaubte sogar, es ist besser, um die einsetzende Beunruhigung im Keime zu ersticken, Hoffmann zu opfern. Und sie ließen ihn fallen. Sie drängten ihn, zurückzutreten. Er wusste zu gut, wie leicht es in einem solchen Falle ist, jemanden zu zwingen. Also ging er freiwillig. Er hatte nirgends Unterstützung gefunden. Er verzog nach einer andern Gegend und wird wieder heiraten, hieß es. Ein paar Wochen später war er vergessen.
Als weitere Wirkung dieser Kämpfe war eine zunehmende Streitlust der Jugend zu verzeichnen. Die ganz Jungen bis hinauf zu den Halbwüchsigen und den Lehrlingen im ersten Jahr taten sich zusammen und unternahmen einen Überfall auf die Station, mit den Steinen vom kleinsten Kiesel bis zur Größe eines Kalbskopfes. Sie hatten das Gebäude regelrecht umstellt und als die Steine auf die Walldächer niederprasselten, hielten die Beamten im ersten Schreck es für ratsam, nicht in Erscheinung zu treten. Man konnte ja nicht wissen, was das zu bedeuten hatte. Als sichtbares Zeichen des gelungenen Angriffs gingen ein paar Scheiben zum Teufel. Dann zerstreuten sich die Angreifer unter lautem Johlen. Die Kleinsten waren die eifrigsten. Man beratschlagte schon, auch die durchgehenden Züge mit entsprechenden Mitteln anzugreifen. Ließ es dann aber sein, als einige Eisenbahnarbeiter, die in der Kolonie wohnten, sehr energisch auf das Unsinnige dieses Tuns verwiesen. Im Grunde genommen mochte aber der Stationsvorsteher, der ein sehr aufgeblasener und militärschnäuziger Herr war, allein sehen, wie er mit der Bande fertig wird. Die Kolonisten kümmerten sich sonst nicht darum. Die Kinder fanden bald raus, dass sie freies Feld hatten und die paar Beamtenhäuser um die Station, deren Bewohner zudem ganz für sich abgeschlossen lebten, boten zu wenig Angriffsmöglichkeit. Der Bandenkrieg lebte wieder auf. Da hatten sich gleiche Trupps gebildet in den Nachbarkolonien, die sich zunächst nichts besseres ausdenken konnten, als sich aufs heftigste zu bekämpfen. Nach dem Auftreten des Militärs war der Zusammenhalt der Kolonien wieder schnell verloren gegangen. Zuerst hatte jeder genug mit sich selbst zu tun, und infolge davon bildeten sich auch eigne Meinungen über die Verlässlichkeit, den Mut und die Kampfklugheit der Leute von Arbeitsfriede, Freudenthal und Waldheim. Sie sahen sich ja kaum, und wenn wirklich einige gemeinsam zur Arbeitsstätte fuhren, so hielten sie sich nach der eigenen Kolonie noch zusammen und auch dann nur solange, bis auf näher an die Stadt gelegenen Stationen andere und Fremde zustiegen. Unter diese sich dann zu mischen war vernünftiger, man hörte vielleicht etwas neues. So ging für die Kinder die Parteibildung leicht von statten und bald waren es die Waldheimer gewesen, die durch den Wald auf Arbeitsfriede gezogen waren und dort gebührend empfangen und mit blutigen Köpfen heimgeschickt worden waren. Die Lehrlinge, die nur halb bei der Sache waren, sie ließen sich nötigen, sie schämten sich etwas dieser Kampfgemeinschaft mit den Barfüßlern und Rotznasen, waren jedoch für die Entwerfung der strategischen Pläne unersetzlich. Sie hielten sich mehr im Hintergrunde, gaben aber durch ihre Anwesenheit den Kämpfern die Gewissheit, dass die Sache durchaus ernst war, und nur der Augenblick ihres Eingreifens abgewartet werden musste, um den Kampf zur endgültigen Entscheidung zu bringen. Das ging jetzt schon so Woche für Woche. Die Alten waren ganz froh, wenigstens waren die Kinder aus dem Hause raus. Man passte auch auf den Garten nicht mehr so auf, die Bäume blieben wo sie waren, und Kaninchen und Hühner hatten Ruhe. Mutter behalf sich manchmal in vielem lieber selbst. In Kundschaftertrupps schlichen die Jungen im Walde rum und wo sie einen Einzelnen erwischten von der Gegenseite, der irgendwo aufgestellt und stehen gelassen war und obendrein die Zeit verpasst hatte, noch mit gutem Winde davon zu laufen, den verprügelten sie ganz jämmerlich. Namentlich die Kleinsten traf das gar nicht so selten. Die hatten dafür die Ehre davongetragen, eine wichtige Rolle zu spielen. Man stellte sie auch als Lockvögel auf, während die, die gut zuhauen konnten, im Hinterhalt lagen; um gegebenenfalls einzugreifen, wenn die Überlegenheit sicher auf ihrer Seite war. Manchmal ließen sie allerdings auch ihre Lockvögel im Stich. Deren jämmerliches Heulen konnte man dann kilometerweit hören. Aber das gab Stoff für neue Rachepläne. Und an einem Tage, noch mitten im Vorfrühling, sollte ein entscheidender Schlag getan werden, er ließ sich nicht umgehen. Alle Hilfstrupps waren auf beiden Seiten schon zusammengezogen. Die Kleinsten und die Mädchen bildeten die Spitze, sozusagen die Schutzwehr. Dahinter kamen welche mit langen Stangen, mit Latten, Knüppeln und allerhand Wurfgeschossen, dann hinten einige Gruppen Lehrlinge, die sich auf ihre Fäuste verließen, für alle Fälle aber Steine in die Tasche gesteckt hatten. Große Umgehungsmanöver fanden diesmal nicht statt, dazu war die Entscheidung zu nahe gerückt. Am Dorf, wo den Wald eine Mulde durchzog, künstlich erweitert für die Schneeabwehr, so dass auf beiden Seiten mehrere fußhohe Erhöhungen sich gegenüber standen, trafen sich die feindlichen Haufen. Mit einer unbändigen Kampfesstimmung waren sie ausgestoßen und mit großem Geschrei kamen sie sich einander in Sicht. Rufe gingen hin und her, Schimpfworte und drohende Aufforderungen anzufangen. Aber keiner ging die Höhe hinunter, um durch die Mulde nach drüben hinaufzustürmen. Die Stimmung wurde immer drohender, aber noch fiel kein Stein, die Stangen standen noch fest in den Händen, nur das Maul lief über. Es war ein ziemlicher Lärm. Die älteren Jungens und Lehrlinge berieten in Gruppen den Angriff, standen herum und sparten nicht mit drohenden Mienen. Ein paar Leute, die im Walde Holz sammelten, hatte das Geschrei herbeigelockt. Sie waren voller Erwartung und sahen sich das Schauspiel an, was wohl daraus werden mochte. Aber es wurde nichts. Es wurde dunkel und je hitziger die Drohenden, desto mehr sank die eigentliche Kampfeslust. Man wich auf beiden Seiten der Entscheidung aus, wo doch die Kräfte diesmal wirklich gleich gewesen waren. Die Entscheidung wäre bestimmt gefallen, so aber vertrösteten sie sich auf ein andermal. Nur bei der Nachhut gab es, in der Feldherrnsprache, ein Geplänkel. Ein Bengel von eben sechs Jahren war doch noch den Abhang mit Hilfe eines kameradschaftlichen Schubses heruntergerutscht, und da er zu brüllen anfing, hielten die drüben das für ein Zeichen — und pfefferten ihm ein paar Knüppel an den Kopf. Und einer traf so, dass der ein Loch davontrug. Die anderen waren aber schon im Abmarsch, und der einzige Held lief schreiend hinterher. Sonst ereignete sich weiter nichts.
Dagegen waren die beiden Parteien erbitterter als je aufeinander. Wo sie sich einzeln trafen, gab es tüchtige Schläge. Sie fuhren bis zur nächsten Station gemeinsam zur Schule, die Freudenthaler stiegen allerdings eine Station früher schon ein. Aber man erwischte sie doch gelegentlich, wie es der Zufall wollte. Einmal mussten sogar die Bahnbeamten einschreiten. In der Schule setzte sich das fort. Endlich waren die Alten gezwungen, sich einzumischen. Waldheimer waren dagewesen und hatten im Verwaltungsgebäude ein Fenster eingeschmissen und den Briefkasten abgerissen. Da wars jetzt an der Zeit, sich der Sache anzunehmen. Man besprach die Vorfälle und verständigte sich, mit den Jungen ein ernstes Wort zu reden, um die Sache zu unterbinden. Haupttäter wurden dabei bezeichnet, denen ein kräftiger Denkzettel verabfolgt werden sollte. Die Einigung war nicht ganz so einfach, weil viele darauf bestanden, was die Kinder machten, ginge sie nichts an. Man solle sie währen lassen, was sie wollen, wenn sie nur ins Haus keinen Unfrieden brächten. Den Schädel würden sie sich schon früh genug weichstoßen. Einsichtigere aber meinten, das gäbe ein recht schlechtes Beispiel. Sie hätten doch einander nichts getan, und sie stünden sich schon gegenüber als die größten Feinde, wie soll das erst noch später mal werden. Viele schoben die Schuld auf die Schule, weil sich eben die Lehrer nicht genug darum kümmern. Die Lehrlinge berührte die Sache nicht mehr. Für sie war alles längst abgetan und sie dachten nicht mehr daran. Sie kamen auch wieder mit den anderen zusammen. Die Kinder aber versammelten sich noch insgeheim und berieten und beratschlagten, für sie war die Sache nicht abgetan. Ihr ganzes Denken füllte die kommenden Kämpfe aus. Und sie schwuren den anderen Rache und ewige Feindschaft. Es reizte sie gerade besonders, dass sie zu Haus davon nichts mehr verlauten lassen durften. Das machte sie glücklich. Es wurde für die Alten eine Plage mit den Kindern. Sie fühlten sich der Sache nicht mehr gewachsen. Da traf es sich, dass bei der Mietszahlung, die zu einer bestimmten Stunde im Verwaltungshaus festgesetzt war, so dass doch dann immer viele Bewohner sich trafen und zugegen waren, einer plötzlich mit einem sehr vernünftigen Vorschlage herauskam. Der leuchtete sofort allen ein. Er sagte nämlich, man solle von der Genossenschaft aus einen Spielplatz für die Kinder anlegen. Heideland hätten sie ja oben am Berg genug, und ein paar Geräte würden sich auch finden. Das war alles leicht zu machen. Nur empfanden sie es alle im ersten Augenblick wie eine Beleidigung. Sie zogen die Schultern hoch und hätten den Mann am liebsten zurechtgewiesen. Wie kam der dazu, sich hineinzumischen, sagten welche beim Heimweg, er soll froh sein, dass wir ihn überhaupt hier dulden, so etwas. Allmählich erst überlegten sie sich’s, nach und nach. Einer von der Verwaltung, der ein sehr ruhiger und kluger Mensch war, sagte: Es war schade, dass gerade der Klinger damit herauskommen musste, denn der hat doch schon mal im Zuchthaus gesessen.
Klinger bekam auch noch zu Haus sein Teil. Die Frau, die sich schon Verschiedenes hatte anhören müssen, brummte. Was geht Dich das an. Lass doch die Leute. Der Mann aber begehrte auf: wieso denn — wenn wir auch selber keine Kinder haben, deswegen können sie doch mal hier etwas Vernünftiges tun. Ein Spielplatz für die Kinder, und sie wissen, wo sie hingehören. Die Frau schüttelte trotzdem missbilligend den Kopf: Mann, Mann, dass Du immer noch so vorwitzig bist, und Josef sah die Frau recht eigentümlich von der Seite an, etwas listig, etwas wie Abbitte und etwas Trotz. Sie schwiegen dann. Die Frau musste sich mächtig anstrengen, die Zügel in der Hand zu behalten, und sie hielt sie fest. Josef hatte oft nicht übel Lust über die Stränge zu schlagen, aber er ließ es sich, wenn auch knurrend, gefallen, wieder zurechtgerückt zu werden. Er war ein äußerst gutmütiger Mensch und immer zu Späßen aufgelegt. Er erzählte in einer Weise, wenn er einmal am Reden war, als käme es ihm darauf an, den andern das
Leben von der rosigsten Seite zu schildern, er ließ sie schmunzeln. Und doch verachteten ihn viele. Der muss hinterlistig sein, sagten einige seiner Kollegen, denn schließlich umsonst hat er doch nicht gesessen. Denn das Gerücht darüber lief immer mit ihm. Es wurde durch Kollegen, mit denen er damals gearbeitet hatte, weitergetragen, nur so in beiläufigen Bemerkungen, denn niemand hatte ja eigentlich ein Interesse daran, das zu wissen, jeder hatte wirklich mit sich genug zu tun. So war die Kunde davon auch nach Arbeitsfriede gekommen, kaum dass er eingezogen war. Die Leute sahen ihn mit scheelen Augen an, und hätte sich etwas ereignet, ein Einbruch, Raub oder ähnliches im Ort oder in der nächsten Umgebung, so hätten alle wie mit einer Stimme auf Klinger gewiesen. Dabei war er der gemütlichste Mensch, und sie mussten oft über seine Scherze lachen. Am meisten schiens ließen sie es die Frau fühlen. Sie wurde wie man sagt offenkundig geschnitten. Kaum dass man einander guten Tag sagte. Dabei war die Frau sehr arbeitsam, sie arbeitete mit an der Güterabladestelle in der Station, war immer gleich freundlich und hatte schon manchem mit gutem Rat ausgeholfen, wenn es sich gerade traf, dass sie zu einer Sache dazu kam, wo man guten Rat brauchen konnte. Die Frau trug die Spuren harter Arbeit auf dem Gesicht, die eingefallenen Wangen, Sorgenfalten mehr als genug, und der gebückte Gang ließen erkennen, dass es der Frau nicht leicht wurde. Von allen Bewohnern kannte sie nur die Merkel näher, der sie mit Ratschlägen für die Kinder half, und Anna war vielleicht auch die einzige, die wirkliche Sympathie für sie hatte. Sie saßen manchmal zusammen in der Küche und erzählten sich was. Trotzdem beklagte sich die Frau niemals, sie sprach überhaupt über die Nachbarn so gut wie nichts, und auch Anna hatte wenig Lust dazu, denn sie fürchtete die andern. Obwohl diese sie eigentlich weniger beachteten. Sie ging als unscheinbar so mit drunter durch. Josef Klinger war von Beruf Maschinist, er arbeitete jetzt in einer Gasanstalt. Als junger Mensch hatte er verschiedentlich von der Werkstatt Materialien und Werkzeuge mitgehen heißen, wofür er mehreremals je einige Wochen und Monate Gefängnis abzusitzen hatte. Dann heiratete er, und es ging eine Zeitlang alles glatt; bis er als Maschinist in einer Dampfwäscherei ziemlich allein arbeitete, lustige Gesellschaft hatte und eine Menge Geld verbrauchte. Der Inhaber hatte eine Menge Vorräte aufgestapelt, die mit dem Betrieb eigentlich nichts zu tun hatten. Ein groß angelegter Einbruch räumte damit auf, und es stellte sich bei der Ermittlung, nachdem schon einige der Beteiligten verhaftet waren, heraus, dass auch Klinger daran beteiligt war, wenigstens um die Vorbereitungen gewusst hatte. Diesmal kam er auf achtzehn Monate ins Zuchthaus. Die Frau nahm ihn bei seiner Entlassung wieder in Empfang, aber er schien wenig verändert und blieb lustig und guter Dinge. Er hatte eine gewisse Fixigkeit in allen seinen Bewegungen hinzugelernt. Trotzdem musste etwas im Innern abhanden gekommen sein, es schien alles nur Hülle und innen hohl. Die Frau sah manchmal deutlich, dass er das Hin und Her der Entscheidung verlernt hatte, er machte entweder auf den ersten Anhieb das oder jenes. Das war es, was er vom Zuchthaus mitgebracht hatte.
Man macht sich vielfach davon einen ganz falschen Begriff. Im allgemeinen ist es nicht so schlimm, wie es die Leute machen. Der feste Rückhalt, dass alle zugleich und gemeinsam arbeiten, macht bald Vergnügen und gibt innere Ruhe, sobald es gelungen ist, sich über das Aufsichtssystem, die Rohheit der Wärter, den Verwaltungsbürokratismus, der die kleinste Möglichkeit immer wieder benutzt, dir zu beweisen, dass du gefangen und ehrlos bist. Vielen, ja den meisten gelingt es, sich darüber hinwegzusetzen. Der Mensch findet sich in alles und die innere Freude, die in jedem Menschen ist, weil er überhaupt lebt, lässt sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Anders liegt es mit der Verachtung und dem Hass, der dich umgibt, die immer wieder unterstrichene Tatsache als Stück Vieh behandelt zu werden. Das greift an das Kostbarste, was der Mensch besitzt, die innere Würde der menschlichen Existenz. Das Ehrlose kann ja verschieden gedeutet werden. Ich weiß nicht, welche Ehre darin besteht, mit den Gesetzen und vornehmlich den Eigentumsgesetzen eines bürgerlichen Staates auszukommen. Es mag Klugheit sein, sich neutral zu verhalten und ohne Konflikt auszukommen, es mag sogar die Notwendigkeit dazu bestehen, da alle Energien dagegen gesammelt werden müssen in dem gemeinsamen, alle Kämpfer umfassenden Willen zur Revolution, deren aufklärender Vorbereitung und Verwirklichung. Die soziale Revolution, die um die Gemeinschaft geht, kann
sich nicht in Einzelauseinandersetzungen auflösen, das bedeutet schon Eingeständnis der künftigen Niederlage, und ist einfach nichts mehr als eine andere Form der Selbstvernichtung. Nachdenken soll man aber darüber, dass der bürgerliche Staat und die Familie eine Erziehung unter ihren Gesetzen geschaffen haben, die die alleinige Unterscheidung von Gut und Böse für sich in Anspruch nehmen, in einer dementsprechenden Religion die menschlichen Empfindungen, die eingeengt darüber hinaus wuchern, aufsaugen, und dem Menschen eine Zwangsjacke anlegen, die furchtbarer ist, als die für die Widerstrebenden eingerichtete, das Zuchthaus. Hier wird der Mensch schon in seiner ersten Entwicklung gebrochen und zum Arbeitssklaven gestempelt, dessen Los schlimmer als das eines mit der Peitsche getriebenen Eingesperrten ist, da er nach dem äußeren Schein frei bleibt. Die gedankliche Erfassung dieser Dinge ist zwar erst in ihrer vollen Klarheit möglich, wenn alles schon geschehen, und der Mensch schon gebrochen ist. Sie wirkt trotzdem aber bereits mit unbewusst im Gefühl, in der Verzweiflung, in der Lebensverbitterung der Einzelnen und in der Schwäche, Trieben, die sich aus dem oder jenem Grunde nicht einordnen ließen, freien Lauf zulassen. Wir sollen nicht immer in Anlehnung an die bürgerliche Ideologie sagen, die Not und die schlechte Erziehung schafft „Verbrecher". Das ist richtig vom bürgerlichen Standpunkt, weil sie sonst für die bürgerliche Gesellschaft eingefangen worden wären. Wir müssen sagen, es ist die menschlichste Verbitterung den meisten dieser zutiefst unglücklichen Menschen nicht bewusst, über ein Machtsystem so genannter menschlicher Ordnung, die den Menschen nicht sich frei entwickeln und leben lässt, weil sie den Begriff der Vorrechte kennt und diese Bevorrechteten schützen muss. Nur Gemeinschaft, deren Macht gleiche und gemeinsame Arbeit ist, vermag die Menschen frei in sich aufzunehmen, sich frei entwickeln zu lassen und in die Gemeinschaftsordnung einzufügen, zu erziehen. Es gibt keine Triebe mehr, die außerhalb bleiben und Umwege suchen müssen, sie werden zum Wohle aller in gemeinsamer Arbeit, die zugleich das Glück ist, umgesetzt. Sie gestalten alle, als menschliche Regungen und jedes Menschengefühl ist im Urgrund für den Menschen gut, das Leben farbig und leuchtend, dass es zum bunten Spiel wird. Wir sind noch nicht so weit. Wir liegen noch im Kampf darum und gehen noch zugrunde. Noch Generationen werden um das Gleichgewicht der Übergangszeit ringen müssen. Aber das Ziel muss jedem feststehen. Und darum, richtet nicht nach dem äußeren Schein. Man sagt der Verbrecher ist arbeitsscheu. Er will es leichter haben. Derjenige, der richtet, muss auch schwer genug arbeiten. So kann man das Problem nicht anfassen: Wenn alle arbeiten werden, und mit Freude arbeiten werden, werden auch diese automatisch mit einbezogen sein. Man muss den Urgrund kennen, dem sie entwachsen sind. Seid nicht selbst wieder diejenigen, die ein Vorrecht wollen. Wie Ihr klüger gewesen seid. Weil Ihr schon näher in der Gemeinschaft seid. Aber ist das allein Euer Verdienst?
So hätte Klinger Josef sprechen können, wenn er die Gabe dazu gehabt hätte, und wenn seine Frau nicht gewesen wäre, denn die dachte in solchen Dingen für ihn, und wenn sie nicht ab und zu sich angebrummt und auch mal heftig gestritten hätten, dann säße Josef sicherlich nicht mehr in Arbeitsfriede. Der Verdienst, den er jetzt hatte, war schlecht, und dabei musste er sich immer sagen, dass er mit seiner Maschinistenprüfung auch bessere Arbeit machen könnte. Aber die Frau hielt für ihn durch, und er fühlte sich ganz wohl dabei. Er hatte einen guten Freund aus der Strafzeit zurückbehalten, der ihn öfters besuchen kam. Sie saßen dann gemütlich zusammen am Tisch in der Stube oder draußen in der Laube und tischten alte Erinnerungen auf. Sie lachten dabei, als ob sie die vergnüglichste Zeit ihres Lebens hinter sich hätten. Jeder kameradschaftliche Zug prägt sich tief in die Erinnerung ein und ersetzt zu einem Teil das, was an Menschenwürde verloren geht. Sie blieben, wie sie Nachbarn in der Schlosserwerkstatt gewesen waren drinnen, auch draußen die besten Freunde, und tauschten nach wie vor ihre Erfahrungen miteinander aus. Obwohl sie andere Wege jetzt gingen. Carl hatte sein Einbrechergewerbe wieder aufgenommen und sich ziemliche Berühmtheit darin erworben. Er sprach darüber nüchtern und kühl wie ein Fachmann. Es kam auch vor, dass er in manchen Dingen Josef um Rat fragte. Aber Carl hatte ohne ein Wort des Spottes davon Kenntnis genommen, dass Josef mit dem Gesetz nicht mehr in Konflikt kommen wolle. Ich tauge nicht dazu, sagte Josef mit einem Anflug melancholischer Selbstironie. Und der andere bestätigte das, wenn er das reinliche Häuschen sah, den Garten, in dem Josef mit dem Spaten stand und gerade beim Umgraben war. Du hast es ganz schön hier, bemerkte Carl ganz ohne Neid. Kopfschüttelnd setzte er hinzu: Für mich wäre das nichts. Ich muss Leben um mich haben. Es ist sonst traurig genug. Einbrecher sein ist ein schwereres Gewerbe als mancher denkt. Man muss Nerven aus Stahl haben, und es bringt meist nichts ein. Das, was man hat, geht schnell drauf, es sind auch zu viele, die dran hängen. Es ist mehr ein nervenaufreibender Sport, dessen Zukunftsaussichten gering sind. Das Alter setzt früh ein, und man wird schnell mutlos. Gerade an diesem Tage kam Carl noch auf Besuch vorbei. Er klagte, dass es bergab ging. Er hatte keine richtige Traute mehr, äußerte er sich. Ich spürs im Blut, sagte er müde beim Abschied, ich gehe bald hoch. Nicht dass die Greifer mich fragen, ich laufe ihnen ordentlich schon in die Arme. Ich bin ganz zappelig. Ich hab' auch keine richtigen Leute mehr. Dann verabschiedete er sich. Lass bald wieder von Dir hören, rief Josef ihm nach. Es ging ihm ans Herz, wie der losging. Eine wilde Wut hatte ihn gepackt und er hätte jemanden gewünscht, an dem er sie hätte auslassen können. Aber die Frau sah scheu und ängstlich auf ihn und es war doch gut, dass er sie hatte.
Der Mann, der sich zum Wortführer gegen den Graveur gemacht hatte, gehörte zu den wenigen in der Kolonie, die keine Arbeiter waren. Er war ehemals Kaufmann gewesen und jetzt Geschäftsführer der Siedlung. Mit den Arbeitern verband ihn das Interesse für Siedlungswesen, dessen über den Bezirk bekannter Agitator er war. Seine Tätigkeit in Arbeitsfriede warf nicht viel ab. Er hatte freie Wohnung, zwar die schönste und größte, im Verwaltungsgebäude, aber wenig Geld, so dass er mit knapper Not davon leben konnte. Er verdiente aber auch noch etwas nebenbei. Man kann indes nicht anders sagen, als dass er bisher es immer noch verstanden habe, die Fährnisse, in die die Genossenschaft hineingeriet, mit glücklicher Hand im Interesse der Mitglieder zu überwinden. Er setzte seinen ganzen Ehrgeiz daran, schon für die Gesamtbewegung eine Mustersiedlung zu schaffen, und die Mitglieder fuhren gut dabei. Das eine war nur, dass er mit der Zeit keinen Widerspruch mehr dulden wollte, und dass er sich über alle hinwegsetzte und sämtliche Geschäfte aus eigenen Entschlüssen regelte. Dagegen waren nun Stimmen laut geworden. Hinzu kam, dass die finanzielle Lage der Siedlung eine solche geworden war, dass der Zusammenbruch vor der Tür stand. Zwar nicht durch Schuld der
Geschäftsführung, denn es lag eben zumeist an den allgemeinen Verhältnissen, aber wie das dann so ist, zunächst fiel alles auf die Verwaltung, und diese sollte sich verantworten. In einer solchen Versammlung haben sich zudem alle möglichen Privatdinge noch aufgehäuft, kleine Zurücksetzungen, persönlicher Groll, nicht ganz eingestandener Neid und ähnliches mehr. Es waren fast alle Mitglieder erschienen. Wer nicht abkommen konnte, hatte die Frau geschickt. Nur ganz wenige fehlten noch, darunter auch Merkels. Man kann sich denken, wie über die hergezogen wurde. Der Kaufmann hatte sich Leute für den Vorstand selbst ausgesucht, man weiß, wie das gemacht wird. Das waren Leute, die durch Dick und Dünn gingen und zu allem Ja und Amen sagten. Die Biedermänner waren jetzt ziemlich im Druck. Sie hatten Angst, man wird von jedem Einzelnen Rechenschaft fordern, und sie hätten gar nichts zu sagen gewusst.
Der Kaufmann hielt eine lange Rede. Daraus ging hervor, welchen Aufschwung die Siedlung genommen, dass alles aufs beste eingerichtet sei, und dass jetzt Vorsorge getroffen werden müsste, diese Siedlung den Mitgliedern zu erhalten. Da ging der Krach los. Zuerst wollte schon niemand die genauen Zahlen hören und als die Gesamtschuldsumme erschien, die zwar zunächst noch durch Hypotheken gedeckt schien, aber jeder wusste, wie lange noch — da hätten sie den Vorstand von seinem Tisch vorn am liebsten runtergeholt und ihm handgreiflich die Meinung gesagt. Es war schwer, sich verständlich zu machen. Der Kaufmann wollte beteuern, dass ja die Versammlung einberufen war, um Mittel und Wege zu suchen. Aber der allgemeine Instinkt glaubte ihm nicht. Er hätte das früher wissen müssen, dafür hätten sie ihn angestellt, dafür saß er in seiner protzigen Wohnung und behandelte die Leute von oben herab. Die Vorstandsmitglieder wurden nicht weniger mit Esel und Schafskopf und Idioten tituliert. Die Lage war kritisch. Wenn auch nur ein Ausweg gewesen wäre, hätte man den Vorstand zum Teufel gejagt. Der Kaufmann konnte sich nicht mehr durchsetzen. Geld aus eigenen Mitteln aufzutreiben, war so gut wie unmöglich. Wenn wirklich der eine oder andere seinen Anteil um ein Mehrfaches hätte erhöhen können, das hätte für alle umgerechnet nicht allzu viel ausgemacht, auch wäre es fraglich gewesen, ob das überhaupt die einzelnen
Mitglieder getan hätten. Dazu fehlte vor allem jeder Zusammenhang untereinander. Irgend woher noch eine Anleihe oder Hypothek aufzunehmen, schien gänzlich ausgeschlossen. Auch stand es den Statuten entgegen, die hierfür die Genehmigung der Regierung vorgesehen hatten. Das hieß den Zusammenbruch nur beschleunigen. Denn worum es sich überhaupt handelte, war doch, sich dem Einfluss der Regierung, die jederzeit das Recht hatte einzugreifen und die Häuser an ihre Beamten zu vergeben, wenn die Finanzlage unsicher wurde, zu entziehen. Und sie wussten oder vielmehr fürchteten es als sicher, dass die Regierung davon Gebrauch machen würde. Arbeitsfriede war dann kein Einzelfall. Der Geschäftsführer gab sich Mühe, das Vertrauen zurückzugewinnen. Er hatte ja auch in der Tat schließlich nicht mehr Schuld als sie alle. Und sie hörten ihm wieder zu. Letzten Endes wird er doch vielleicht mehr wissen als sie alle. Denn er verstand sich doch auf solche Sachen. Aber viel Vernünftiges kam nicht ans Tageslicht. Alles nur Hoffnungen und immer wieder Hoffnungen. Vielleicht ging das, vielleicht ging jenes. Er versprach alles zu tun, was sie von ihm wollten. Ein neuer Vorstand wurde ihm hinzugewählt und ein Bewohnerausschuss, der die nächste Stelle für die Verwaltung der Siedlung war, auch Frauen saßen darin. Es sollte alles gemeinschaftlich angefasst werden. Viele neue Vorschläge wurden dann gemacht. In der nächsten Woche wollte man in dieser Angelegenheit nochmals zusammenkommen. Das andere blieb in der Schwebe. So gingen sie auseinander.
Merkel hatte in seinem Betriebe Krach gehabt. Die Galle war ihm übergelaufen. Dann fallen mit einem Schlage alle Rücksichten, vorher nie geahnte Gegensätze platzen mit aller Schärfe aufeinander, und die Kollegen im gleichen Arbeitsraum stehen sich fremder gegenüber, als hätten sie sich vorher nie gesehen. Der Grund war das Verhältnis zwischen Betriebsangestellten und Arbeiterschaft. Obwohl Merkel seiner ganzen Stellung und seiner Beschäftigung nach zu den Betriebsangestellten gezählt wurde, hatte er sich doch immer zu den Arbeitern gerechnet. Anlässlich einer Ausschusswahl fingen ein paar Kollegen an zu sticheln und darauf anzuspielen, dass Merkel sich schon seinen Posten in einer Arbeiterregierung ausgesucht habe. Es bestand eigentlich keine direkte Missstimmung zwischen Arbeitern und kleinen Angestellten, doch blieben die letzteren immer in allen den ganzen Betrieb berührenden Fragen für sich und sie rümpften die Nase, wenn einer mit den Arbeitern auf vertraulichem Fuße stand, so wie in der Schule die Kinder auf den Streber aufpassen. Bei Merkel hatten sie es noch durchgehen lassen, weil sie ihn auch selbst mehr für einen Arbeiter hielten und ihn eigentlich nur duldeten. Merkel war das alles bisher ziemlich gleichgültig geblieben, bis sie ihn schließlich jetzt als einen der den Leuten zum Munde redet, ehrgeizig und eitel und weiß Gott noch alles hinstellen wollten. Schnell gab ein Wort das andre, und es hätte nicht viel gefehlt, dass sie sich in die Haare geraten wären, jetzt wüssten sie wenigstens, was der Merkel für Ansichten hatte, dachten die andern, und Merkel schwur sich, sobald als möglich den Kram hinzuwerfen, er könne nicht länger in dieser Gesellschaft sein. Es mag richtig sein, dass die beengte kleinbürgerliche Anschauungsweise, die so voller Autoritätsdusselei, Neid, Übelwollen und Misstrauen unter manchen Schichten der Angestelltenschaft noch verbreiteter ist, wie unter den Arbeitern. Man findet sie aber auch dort, und alles Gerede von Kameradschaftlichkeit ist leerer Schwall, so lange die Leute nicht kameradschaftlich mit einander zu leben und handeln gelernt haben, und dazu braucht niemand erst die Staffage der großen sozialen Revolution, sondern kann das jede Stunde im Betrieb und zu Haus praktisch üben. Eiserner Zielwille und Selbsterziehung ist notwendig und Menschlichkeit. Merkel kam nicht grade in bester Stimmung heim, und fing gleich davon an, dass ihm die Arbeit jetzt dort gänzlich verleidet sei, dass er die Gegend überhaupt verlassen wolle, und dass es daher schließlich am besten sei, noch heute das Aufgeben der Wohnung drüben in der Verwaltung fertig zu machen, ehe die Genossenschaft erst neue Beschlüsse fasste, sonst könnte wer meinen, er wolle sich drücken. Dann wurde also der eingangs erwähnte Streit wieder fortgesetzt. Als auf das fortgesetzte Drängen, ob er denn schon etwas besseres habe, ob er denn überhaupt andere Arbeit habe, nur immer ein „wird sich finden" erfolgte, atmete Anna ordentlich erleichtert auf. So lange noch nichts entschieden war, hatte sie noch
Hoffnung, und sie kämpfte mit fanatischem Eifer für ihr Haus und ihre Kinder. Manche Einwände sah Hans auch ein, und er hörte es gar nicht ungern, sich überreden zu lassen, das ist manchmal ein wohliges Gefühl, wenn das, was man selbst sich nicht zu sagen getraut, einem der andere an den Kopf wirft, als zögere man noch. Oft war es schon so gegangen, wenn sie unter einander gestritten hatten, heute war es aber doch anders. Hans fürchtete sich einfach, offen herauszusprechen: Ich will fort, auf alle Fälle, ich halte es nicht mehr aus. Denn was konnte die Frau dafür, warum sollte sie darunter leiden — das war die einzige Frage, die er in seinem Kopfe herumwand; er fühlte ordentlich selbst, wie hart und verstockt er war. Es ist furchtbar, niemanden zu haben, mit dem man sich aussprechen kann, einen, der so ist wie du selbst, dem man ganz frei gegenübersteht, ohne Misstrauen. Der Kamerad. Alles musste berechnet werden, und alles war mit Schuld bedeckt. Zu der Frau wollte er nicht sprechen, wie ihm eigentlich ums Herz war. Ihm war nicht die Gnade geworden, die Frau als Kameraden zu empfinden. Irgend etwas war in ihm, das sich fortgesetzt vor ihr schämte. Das machte ihn manchmal doppelt böse, aber auch doppelt nachgiebig. Er wurde daran allmählich zu einem gutmütigen Menschen, der er ursprünglich sicherlich nicht war. Aber es behagte ihm und er sehnte sich manchmal, wenn auch uneingestanden, danach. Dann war er vergnügt, dass die Frau mit ihm machen konnte, was sie wollte. Und es machte ihm Spaß, und es war ihm warm ums Herz. Es war ein ewiges Hin und Her. Wer weiß, ob diesmal die Frau das Wetter noch abgewendet hätte, wenn nicht Besuch erschienen wäre. Das war an sich eine Seltenheit. Noch dazu zwei Leute, mit denen Hans so gut wie gar nicht zusammengekommen war. Sie drückten sich erst etwas verlegen herum, und Anna nahm sogleich die Gelegenheit wahr, davon zu sprechen, dass Hans fort wolle und wie unsinnig das in dieser Zeit sei. Das war den beiden andern ganz willkommen, darin mit einzustimmen und die Sache als wohl nicht so ernsthaft gemeint hinzustellen. Er wäre zwar nicht so recht warm geworden hier, aber das könne doch noch kein Grund sein, und überdies wäre doch bloß ein guter Wille von beiden Seiten nötig und das ließe sich schnell ändern. Hans war im Grunde genommen froh, etwas zu haben, woran er sich klammern konnte. Und die Sache wurde schließlich wieder vergessen. Die beiden aber wollten überhaupt nur mal hören, ob sich mit Hans würde zusammen arbeiten lassen. Denn sie hatten einen noch dumpfen Plan vor sich, hier im Ort Arbeit anzufangen, und soviel hatten sie schon raus, der Merkel verstand sich auf alles, vielleicht kann er einen guten Rat geben. Während sie am ersten Tage noch sehr allgemein um den Zweck herumredeten, wurden sie, als sie nach ein paar Tagen wieder wie zufällig vorsprachen, schon deutlicher, und schließlich kamen sie ein anderes Mal mit dem ganzen Plan raus, nachdem sie gesehen hatten, dass Merkel schon vorher großes Interesse dafür gezeigt und schon, ohne zu wissen was, gut geraten hatte. Sie wollten nämlich an der Station eine ehemals für leichte Reparaturen benutzte Werkstatt, die jetzt von der Bahnverwaltung unbenutzt stand, weil auch die Werkstätten in den Vororten zu einer zentralen in der Stadt zusammengelegt waren - diese Bude wollten sie übernehmen, pachten, wenn es ging, und es war anzunehmen, dass es sehr billig zu bekommen war, und wollten dann sehen, noch mehr in der Genossenschaft dafür zu interessieren, sodass sie vielleicht einen eigenen Betrieb aufmachen könnten. Vorläufig wollten sie jeden Abend noch eine Stunde und Sonntags dort arbeiten. Sie dachten, da gibt es in den Kolonien genug Wirtschaftsgeräte auszubessern, vielleicht konnten sie auch Maschinen fürs Land weiter unten reparieren, vor allem aber sich selbst bessere Werkzeuge schaffen, um auch wirklich mit der gemeinsamen Arbeit was vorwärts zu bringen. Hans fasste die Sache sogleich anders an. Er schlug ihnen vor, und er setzte es auch durch, ein Rundschreiben in den drei Kolonien zu verbreiten und die Errichtung der Gemeinschaftswerkstatt vorzuschlagen. Dafür sollte jeder einen bestimmten Betrag als Anteil zeichnen, der in Raten eingezogen werden kann. Die arbeitenden Mitglieder wählen einen Ausschuss, der die Arbeitszeiten regelt, die Arbeit verteilt und die Verwaltung der Werkstätte in den Händen hat. Zunächst wollten sie mit dem anfangen, was sie hatten. So klein es eben ging. Und allmählich erst die andern, einen nach dem andern hinzuziehen, wie man jeden in seinem Fach verwendete, und dann sich ausdehnen, dass für jeden eine Arbeit war. So dachten sie sich das. Merkel nahm die Sache eifrig in die Hand. Der Aufruf wurde sehr beifällig aufgenommen. Es fanden sich die ersten zehn Mann, die sofort anfangen wollten, zu arbeiten. Neue Pläne werden lebendig
Die Sache mit der Werkstatt wurde wirklich richtig angefasst, und ehe die Vorstände noch eigentlich Zeit gehabt hatten, sich damit zu befassen und die üblichen Bedenken laut werden zu lassen, stand schon alles fix und fertig. Die meisten brachten zudem ihr Handwerkzeug gleich selber mit. Es war Spaß zu sehen, wie gut die Arbeitenden sich hineinfanden, wie glatt die Arbeit von statten ging, und wie jeder eiferte, hinter dem andern nicht zurückzustehen. Die Werkstätte hatte es gar nicht nötig, jene Zeit zu überwinden, in der man spöttelt und kritisiert und sich mehr mit Gewalt von den Vorteilen einer Sache überzeugen lässt. Es brauchte niemand getrieben zu werden, und die wenigen, die schon die riesenhaften Erweiterungen im Kopf hatten, hielten diese zukunftsfrohen Phantasien wohlweislich für sich. Der Gang der Revolution hat den Arbeiter gewitzigt und in die Wirklichkeit gestellt. Dort wankt er nicht mehr.
Aber ein anderer Mann trat auf, der sich bisher gleichfalls scheu im Hintergrund gehalten hatte. Er war eigentlich auch erst durch die letzten Ereignisse mehr in den Kreis hineingezogen worden. Es ergibt sich eben dann leichter die Möglichkeit, mit den Nachbarn in ein Gespräch zu kommen, man spricht auf dem Wege zur Bahn zu einander und bald sieht man sich mit andern Augen an. Es war ein studierter Mann, der den Titel Doktor hatte, und der irgendwo in einem wissenschaftlichen Betriebe arbeitete. Dass er überhaupt in die Kolonie hineingekommen war, verdankte er dem Kaufmann, der ihn untergeschoben hatte. Er kannte den indessen nur beruflich von den Siedlungsbestrebungen her, so dass er völlig ohne Verkehr im Ort war. Er lebte mit Frau und zwei Kindern, die gleichfalls niemand kannte. Dieser Mann kam im Gespräch mit den andern über die Gefahr vertrieben zu werden auf den Gedanken, alle Wochen eine Zusammenkunft einzurichten, in der über literarische, künstlerische und wissenschaftliche Fragen gesprochen werden könnte, so eine Art Bildungskursus, und er erklärte sich gern bereit, da mitzuhelfen. Die Leute nahmen den Vorschlag natürlich gern an, und jeder wollte auch dafür
sorgen, dass der andere kommt, aber es blieb alles so unsicher, und der Doktor wusste nicht recht, ob er jetzt einladen sollte, oder wen damit betrauen. Der Bewohnerausschuss stimmte ja zu, unternahm aber nichts — kurz, der Doktor war etwas betreten und verlegen und auch wohl ein bisschen ängstlich, so leicht lassen sich die Klassenunterschiede nicht verwischen. Bis einer mit dem Vorschlage herauskam, sie wollten sich erst untereinander klar werden, was sie da eigentlich lernen wollten, dann würden sie ihn dazu holen. Der Doktor war darüber sehr froh. Er hörte heraus, dass die Verbindungsmöglichkeit gefunden war, und er wuchs schneller in ihre Gemeinschaft hinein, als er anfangs selbst gedacht hatte. Er gestand sich ein, dass er bisher nur den dumpfen Wunsch gehabt hatte, im Volke zu leben und mit ihm verbunden zu sein, dass er sich aber gar keine praktische Mühe gegeben hatte, diesen Wunsch auch zu verwirklichen. Es waren tausend Kleinigkeiten dazwischen gekommen, und von dem und jenem hatte er sich abgestoßen und auch zurückgesetzt gefühlt. Weil er wohl doch nicht den Wunsch hatte, ganz offen zu sein. Im Innersten seines Wesens erkannte er die gleiche menschliche Linie mit den andern doch nicht an, aber ein anderes wiederum drängte ihn dazu und er kam weiter. Dass er diese ersten Hemmungen ernstlich bekämpfen und unterdrücken müsse, sah er ein, wenn er vor sich selbst nicht als erbärmlicher schwächlicher Lügner dastehen wolle. Nun aber gerade machte die andere Seite ihm Schwierigkeiten, und er begann jetzt endlich zu begreifen, dass diese Schwierigkeiten sein eigenes täppisches Verhalten waren. Wer wie eine Schnecke in seinem Haus sitzt, den beobachtet man bestenfalls nicht weiter. Oder man wartet, bis er von selber kommt und laufen gelernt hat.
Mit dem, was man wollte, kam man nun sehr schnell überein. Sie wollten hauptsächlich eine Arbeitsschule einrichten und dort technische Kenntnisse lernen. Man wollte dort begreifen lernen, was man täglich arbeitete, die Methoden vergleichen und die Mittel, diese Arbeit weniger schwerfällig und anstrengend zu machen. Der Kopf soll doch wenigstens frei bleiben, sagten manche. Wenn ich heim komme, brummt mir der Schädel derart, dass ich mich am liebsten gleich niederlege. Aber andere wollten auch über die Geschichte der wirtschaftlichen Verhältnisse selbst etwas wissen. Die Partei veranstaltete manchmal ähnliche Kurse, aber die kam nicht hier raus, und dann hatte der Doktor noch ausdrücklich gesagt, er wollte keine Politik hineinbringen, er selbst stehe jeder Politik fern. Das hatten sie zuerst auch ganz richtig gefunden. Dann aber war darin doch ein Haken, denn die Arbeiterschaft aufklären, ist ja für sich allein schon Politik, und sie fühlten ihm noch einmal gründlich auf den Zahn, was er damit meine. Sie fanden aber keinen Grund zum Misstrauen, doch nahm sich jeder vor, die erste Gelegenheit zu benutzen und dem Doktor das noch auszutreiben. Farbe müsste er schon bekennen, hieß es. Schließlich wurden der Wünsche und Pläne so viele, dass ein großes weitverzweigtes Bildungsinstitut notwendig gewesen wäre, sie alle zu erfüllen. Doch man fing ernstlich an. Der Doktor hatte jetzt einen Plan entworfen, der allgemeine Billigung fand. Danach gliederte sich nun die Arbeitsschule, die eine Anzahl Genossen aus eigenem errichteten, in eine Reihe besonderer technischer und wissenschaftlicher Kurse. Ein bestimmter Lehrplan wurde aufgestellt, der zwei Abende der Woche beschlagnahmte. Die Leitung des Ganzen wurde dem Doktor übertragen, der für die anderen Lehrkurse Sorge zu tragen hatte. Die Teilnehmer der Kurse setzten je einen besonderen Ausschuss aus ihrer Mitte in die Verwaltung ein. Die Oberaufsicht über das Ganze wurde dem Bewohnerausschuss übertragen, der alles billigte und jetzt Interesse für die Sache gewann. Die Verwaltungsräume wurden zur Verfügung gestellt und für die praktischen Arbeiten ein alter Bauschuppen, der noch stehen geblieben war. Das dort noch lagernde Material wurde an die Mitglieder zur Einlagerung in die Keller verteilt. Es ging vorwärts. Der Doktor ließ sich nicht müde werden, eifrig dafür zu arbeiten. Was zuerst noch unverständlich blieb oder zu schnell ging, wurde immer wieder gefragt, und der Doktor lernte Geduld, immer wieder zu antworten. Die beiden Nachbarsiedlungen kamen von selber. Auf vieles Drängen musste der Doktor einen gleichen Kursus in Freudenthal halten, die Waldheimer kamen nach Arbeitsfriede. Die Vorstände dieser Kolonien waren sich schlüssig geworden, falls man ein Heim bauen wollte, einen Kostenbeitrag dazu zu leisten. Es wurde überhaupt angeregt, bei der Gemeinde im Anschluss daran eine Schule auch für die Kleinen durchzusetzen. Arbeitsfriede lag dafür am günstigsten. So könnte alles unter einen Hutgebracht werden.
Dem Doktor schwindelte vor allen diesen Plänen, die aus dem Boden schossen. Aber er hatte die große Genugtuung, mitzuempfinden, wie leicht und inhaltreich doch sein Leben geworden war.
Jetzt tauchte auch plötzlich eine Gruppe Jugendlicher auf, die zwar schon immer dagewesen war, die aber niemand weiter beachtet hatte. Wie wenn ein Funken Feuer gefangen hat und das Reisig hoch auflodert. Wer hätte früher sich darum gekümmert, was die Jugend macht, wenn die ihre eigenen Wege geht. Die Bewegung unter den jungen Arbeitern ist eine ganz andere Jugendlichkeit als bei den Bürgerlichen. Man braucht nicht etwa nur an das Lächerlichste zu denken, die Studenten, nein, überhaupt alle Zusammenkünfte dieser bürgerlich-jugendlichen tragen den komischen Charakter des Nachäffens der Alten, auch in der bloß umgebenden Form des Altenhasses und der Antiautorität. Widerspruch muss erlebt und Gemeinschaft sein, wenn er nicht bloß einfältig und öder Zeitvertreib sein soll. Die Arbeiterjugend tritt dagegen selbständig auf. Sie wird den Alten zeigen, wie es gemacht werden soll. Man macht das oft nicht, erst wenn die bestimmten Gelegenheiten dazu gegeben sind. Sie übt Kritik an sich selbst und will sich vor allem den eigenen Weg bahnen, und neue Wege gehen. So kommt es, dass sie sich absondert, aber wie anders als die jungen Bürgerlichen.
Die Jugendlichen, die in Arbeitsfriede eine Ortsgruppe in der Gesamtorganisation bildeten, hatten erst harte Kämpfe unter sich auszufechten gehabt, die ja schließlich die Alten und etwa den Bewohnerausschuss nichts angegangen wären. So bildete die Geschlechterfrage einen der Hauptpunkte der Auseinandersetzungen. Sie waren alle nicht mehr dafür, das bürgerliche Versteckspiel mit der Liebe fortzusetzen, und die Abhängigkeit, die Vater und Mutter noch zusammenkettete, sollte auch aufhören. Die Jungen und Mädels waren fest entschlossen, mit diesen widerlichen Dingen aufzuräumen. Da war es zunächst notwendig, den Körper gesund und kräftig zu machen. Wenn der Mensch endlich natürlich sein will, braucht er die Natur. Sie machten große Wanderzüge ins Land. Am liebsten hätten sie wo draußen im Wald eine Hütte gehabt, wo sie sich über Sonntag aufhalten konnten. Denn fast alle standen schon wie die Alten in Arbeit, auch die Mädels. Auf ihren Fahrten behandelten sie dann alle Fragen, die zur Lösung drängten, stritten sich mit heiligem Ernst darüber, bis alle Meinungen geklärt und in den Grundzügen wenigstens zu einer einzigen gemeinschaftlichen zusammengeschlossen waren. Die Frage der Geschlechtlichkeit wird im allgemeinen sehr übertrieben. Für die Arbeiterjugend ist das Geschlechtliche kein Problem mehr. Niemand leidet mehr daran oder geht zu Grunde, es müsste denn an den Resten der bürgerlichen Erziehungsweise sein. Das junge Blut, das die ganze Welt offen vor sich sieht, das sich anschickt, seinen Platz einzunehmen, zu erkämpfen mit den Gleichaltrigen zusammen, mit den Kameraden und Kameradinnen, das drängt gar nicht so sehr nach geschlechtlicher Auslösung, der Gemeinschaftswille und das Gemeinschaftsgefühl hat noch andere darum nicht weniger lebendige kampffrohe Ziele des Erlebens. Es trägt in sich noch die menschliche Erobererforderung des Nichtalleinseinwollens und in diese erst ordnet sich allmählich die geschlechtliche Gemeinschaft ein. Es verläuft sehr natürlich und ohne abgrenzbare Gesetzmäßigkeit und es wird immer frei von der damit verknüpften bürgerlichen Gedankenwelt veredelnd und menschlich sein. Mögen Krisenwellen auch über das Ufer schlagen, der Ausgleich findet sich.
So hatten sie den Fall, dass sie einen zur Rechenschaft zogen, der mit seinem Mädel oben am Berg in der Dunkelheit rumkroch und versteckte Wege ging. Die bürgerlichen Schriftsteller pflegen zu sagen, die Liebe sucht die Einsamkeit. Das war nicht der Jugendgenossen Ansicht. Sie zogen den Kerl zur Verantwortung, umsomehr weil er nicht mal den Mut hatte, das Mädel in die Ortsgruppe einzuführen und sich scheint’s überhaupt schämte, gesehen worden zu sein. Dem machten sie gründlich den Standpunkt klar, dass, wer nicht frei und offen sich bekennt zu dem, was er tut, bei ihnen nichts zu suchen hätte. Dem war das zwar längst leid geworden, und schließlich von einem großen tragödienhaften Gefühl war gar nicht die Rede, also überwand er sich und steckte alles ruhig ein, um eine Erfahrung und gute Lehre schlauer geworden. Das Mädel erschien später auch, und wenn sie auch anfangs die Verlegene machen wollte, so gab sich das bald und sie half dann
feste mit, ihren Kavalier nach allen Regeln aufzuziehen. Die Jugend war schon viel eher als die Alten mit der Nachbarschaft in Verbindung getreten und hielt mit denen gute Kameradschaft. Wie seltsam das auch immer sein mag, gerade die Arbeitsfrieder, obwohl sie als Kolonie die weitaus größte in der ganzen Umgebung war, hatten bisher immer auswärts gearbeitet. Sie bildeten dort mit den Kameraden eine Arbeitskolonne, die liegen gebliebenen Gemeindearbeiten, die die Kolonie schließlich nicht selbst ausführen konnte, aufzuarbeiten. Das ging flott weg und in ein paar Stunden war so eine Straße manchmal vom Schutt geräumt oder ein Zaun hochgeführt. Im Anschluss daran veranstalteten sie dann eine Versammlung und siegfrohe Kampflieder singend kehrten sie heim. Die allgemeine Bewegung, wie wenn die Leute alle aus dem Winterschlaf erwacht wären, gab Arbeitsfriede jetzt einen andern Anstrich. Man machte die Augen auf und es gab viel zu tun. In der letzten Bewohnerversammlung war auch von der Kanalisation gesprochen worden, die ausgebessert und gereinigt werden müsse, wenn man genug Wasser für den Sommer zur Gartenbestellung haben will. Das war eine sehr leidige Kostenfrage, und wer weiß, wo man die Arbeitskräfte herbekommen solle. Das war mit eine von den vielen kleinen Sorgen, die man am liebsten immer zu erledigen hinausschob. Aber am nächsten Sonntag rückte die gesamte Jugend aus der Umgebung an und ordnete sich in Trupps unter Leitung von Arbeitsfriedern und die Arbeit wurde in Angriff genommen. Erst guckten die Alten neugierig, was da wohl vor sich gehen würde. Aber dem einen oder andern ließ es bald keine Ruhe und er schlenderte hin um näher anzusehen, sprach auch manch einer etwas dazwischen, was Sinn und Verstand hatte einen Ratschlag, wie man das eine oder andere am besten anfasst, und es dauerte nicht lange, da waren schon ein paar Alte mit beim Pumpen und zuletzt gar wurde manchem das Mittagessen kalt. Denn die Jungen schaffen wie der Teufel, und vor denen wird man sich doch, was arbeiten heißt, nicht unterkriegen lassen. Den nächsten Sonntag wurde trotz strömenden Regens weiter gearbeitet. Da standen schon so viele Hände bereit, dass Ablösung genug vorhanden war und nicht mal alle gleich praktisch beschäftigt werden konnten. Und als die Arbeit getan war, da traten sie zusammen und hielten Umschau,
was noch weiter zu tun sei. Aber die Arbeitsfrieder hatten jetzt die Sache begriffen und sie organisierten eine Gruppe freiwilliger Feiertagsarbeiter, die sich dem Bewohnerausschuss für die Zwecke der Siedlung zur Verfügung stellte. Aber der Ausschuss brauchte nichts Neues zu organisieren, sondern nur einzuteilen und zu ordnen, denn es schloss sich niemand aus, und diejenigen, die wirklich nichts zu tun hatten, weil man sie gerade nicht brauchen konnte, standen mürrisch und ärgerlich herum.
Im Verwaltungsgebäude hatten sie sich noch etwas verweilt, waren noch unten im Hausflur stehen geblieben und hatten alles noch einmal durchgesprochen, welche Aussichten noch gegeben wären, und auf welche Weise die Interessen der Mitglieder am besten wahrgenommen würden. Es war wenig Hoffnung. Draußen war pechschwarze Nacht, der engere Vorstand war jetzt oft zusammen, aber in der Gesamtlage kamen sie keinen Schritt vorwärts. Das stand fest, und es war auch richtig, dass sie sich das immer vor Augen hielten. Dafür saßen sie im Vorstand. Es waren drei Arbeiter, die lange gedrängt hatten werden müssen, überhaupt den Posten anzunehmen. Zu beiden Seiten der breiten Straße, die ein dicker Grasteppich war, kaum von Räderspuren gefurcht, standen die Häuser, gespenstisch und doch blieb der Eindruck des Friedens. Nur sehr wenige brannten noch Licht. Es war doch alles mehr wie ein einziges Haus, alles gehörte so zusammen wie die Steine in den Baukasten. Eine gütige Schöpferlaune hatte wohl mitgespielt. Das fühlte man. Und man dachte nicht so sehr an die Menschen, die als Bewohner das Ganze so einheitlich machen. Die kleinen Vorgärten tauchten empor und verschwanden wieder, aus allem kam noch der Atem frischer Arbeit, die Hoffnungen und Seufzer, die das Grabscheit mitgeführt hatten. Wenn man richtig hinsah, lagen die Gärten da trotziger, wie ihre Bearbeiter sicherlich waren. Überall war der Boden schon umgeworfen, teilweise die ersten Pflanzen schon in den Beeten, die Bäume rüsteten zur Blüte. Noch ein warmer Regen, und die Arbeit der Mutter Erde konnte beginnen. Dem Boden war es gleich, wem er die Früchte trug und wer ihn bearbeitete.
Seine Bestimmung war fruchtbar zu sein. In ihrer Ruhe und der Gleichmäßigkeit ihrer Anlage schien die Siedlung wie die Überbrückung von Stadt und Land. Das Dorf, in seiner Zufallszweckmäßigkeit aus den Generationen der einzelnen Bauerngeschlechter entwickelt, war verschwunden, und die Stadt hatte sich dem Land angepasst. Hunde hatten die Bewohner nicht. Sie waren sich alle selbst Schutz genug, und es wurde auch lange Zeit nichts gestohlen, bis einzelne Raubbanden aus der Stadt ihre Streifzüge bis hier heraus ausdehnten, um Vieh zu holen. Aber sie wurden auch bald vertrieben, zudem lohnte die Beute nicht. Sicher waren indessen die Bestohlenen, dass es nicht Diebe aus der Siedlung selbst gewesen waren. Dumpf gingen solche Gedanken den Dreien durch den Kopf, wie sie so langsam dahinschritten und Ausschau hielten und keiner eigentlich so recht zu sprechen wusste, was ihn gerade bewegte. Denn alle drei dachten dasselbe: Wie wird es möglich sein, die Kolonie halten zu können. Es ging über ihre Kraft, das fühlten sie, und woher sollte das rettende Wunder kommen. Mit dem Geschäftsführer waren sie zwar wieder ganz zufrieden, aber er gehörte doch nicht zu ihnen. Es war ja gut, wenn seine optimistischen Berechnungen ihnen zustatten kamen, aber erst wollten sie die Grundlage sehen, und die war nicht da. Das beste wird sein, sagte der eine, wir ziehen aus den Mitgliedern noch tüchtige Kräfte mit heran. Der Bewohnerausschuss arbeitet noch zu schwerfällig, wir müssen die Aufgaben noch teilen, und für jede einen fähigen Genossen bestimmen. Damit mehr getan und weniger beraten wird.
Es fragt sich nur, ob wir welche finden, antwortete der andere. Alles das war ja in den Statuten längst vorgesehen, nur hat man sich nicht danach gerichtet; jetzt wird es ja besser, fügte er hinzu. Und der Dritte warf ein: Wir sind eben nur zu wenig hier. Und dann kann man im Kopf nicht alles gleich so zusammenfassen. Wenn ich so einen ausgeruhten Kopf habe wie der Doktor da, dann kann ich auch leicht Lehrer spielen. Worauf der andere unwirsch zurückgab: Es kann eben auch nicht jeder Lehrer sein, und wir sind Gott sei Dank Arbeiter. Ich wünschte mir gar nichts anderes. Und den Doktor lass nur in Ruhe, der ist ganz gut. Man muss nur die Leute kennen lernen. Eben, das mein ich auch, warf da der erste ein, und deswegen sage ich, wir müssen uns noch welche hinzuholen, den Merkel zum Beispiel, der ist weit rumgekommen, und auch mit dem Schreiben gewandt, der könnte unseren Geschäftsführer ganz gut ersetzen, müsste sich natürlich erst einarbeiten. Und als die anderen schwiegen, setzte der seine Betrachtung fort. Ich weiß, er hat sich bisher nicht gerade um den Ort gekümmert, und ist überhaupt manchmal ein ganz eigentümlicher Geselle, er tut so, als läuft er uns mit Fleiß aus dem Wege, aber wir sollten mal mit ihm sprechen, wer weiß, woran das liegt. Ich hab Kollegen gesprochen, die ihn von früher her kennen, auch mal schon im gleichen Betrieb gearbeitet haben. Die kennen ihn als einen ganz andern Menschen, und verlasst Euch drauf, gerade so einen brauchen wir noch, der uns den Karren jetzt aus dem Dreck schiebt. Die andern sagten dann auch, wenngleich zögernd, nun wenn er meine, so solle er doch mal mit ihm sprechen, in der Werkstätte sei er auch schon so eine Art Hauptperson. Nur den Kaufmann dürfe man nichts wissen lassen, sonst ließe sie der schon vorher im Drecke sitzen. Aber warum, sagte der erste, die Schlussrechnung kann er uns immer noch machen, und was sonst noch ist, wo wir nicht firm genug sind, dafür lassen wir ihm die Wohnung billig, nicht? Das schien ein ganz guter Ausweg. Aber der Dritte sagte: Und wenn wir jedem einen Posten geben, deswegen halten wir den Bankrott doch nicht auf. Das stimmt allerdings, sagte der andere. Weil sie eben mit uns machen können, was sie wollen, bekräftigte der wieder. Ich muss immer noch daran denken, wie ich heiratete. Da war meine Frau damals Dienstmädchen bei solchen reichgewordenen Schlächtersleuten in der Stadt, und die sagten, sie solle doch um Gotteswillen keinen Arbeiter heiraten, dem man drei Schritte aus dem Wege geht. Es war direkt zum Lachen, sie fragten nur noch, ob sie es nicht gut genug habe, sie hätte doch Lohn genug und auch genug zu fressen, sie solle doch nicht unzufrieden sein und weiter dienen bleiben. Ja, und sie hätten das dumme Ding auch beinahe breitgeschlagen, aber gerade dessentwegen setzte ich mir erst recht die Geschichte in den Kopf. Na, Carl, sagte der andere, heute denkst Du wohl auch anders darüber — und lachte. Ach, und doch nicht, wehrte der andere, das mein ich nicht. Nein, aber es ist doch einmal so, wir bringen den Menschen einmal nichts besseres von uns als Arbeit bei. Da sagte der andere: Wir nicht, jedenfalls aber unsere Jungens.
Wart mal ab, die werden sich schon durchsetzen. Man hat ordentlich seine Freude dran. Die sind von anderm Holz als wir. Da fuhr der erste dazwischen: Was sprecht Ihr denn da für Unsinn. Wenn wir den ernstlichen Willen haben, unsere Lage zu ändern, müssen wirs schaffen. Von uns hängt doch alles ab, der Staat und der ganze Plunder. Jetzt heißt's nur eins, nicht nachlassen, und immer fester werden. Dann kommt die Kameradschaftlichkeit mit allen andern von selber. Die anderen nickten. Der eine aber setzte noch hinzu: Ja, ja, an der fehlts noch verdammt. Dann trennten sie sich.
Ein anderer, aber höchst unglücklicher Streit
Merkel wurde auch richtig von solchen Absichten in Kenntnis gesetzt und war sehr überrascht. Er fand im ersten Augenblick kaum eine passende Antwort. Das wäre allerdings was für ihn, dachte er. Schon die beiden letzten Wochen war er ganz anders aus sich herausgegangen. Die Werkstätte stand fest auf den Beinen. Man trug sich schon mit dem Gedanken, zwei Leute ganz aus ihrem Betriebe herauszunehmen und ständig arbeiten zu lassen. Hans hatte es fertig gebracht, die ersten kleinen Aufträge von außerhalb hereinzuholen. Der Betrieb näherte sich bereits dem Punkte, wo es notwendig schien, einen Motor aufzustellen. Man sah sich schon danach um, vielleicht wird man einen zuerst noch leihen können. Werkzeuge hatten sie sonst genug, die meisten brachten unter der Hand aus ihrem Betrieb etwas mit. Die Kollegen drücken ein Auge zu, wenn sie wissen, für welchen Zweck. Der Versuch war gar nicht so unbekannt geblieben, wie man hätte annehmen sollen. Viele sprachen davon und beurteilten nicht ohne innere Spannung die Aussichten. Hans hatte in der Partei eine Diskussion darüber mit Erfolg durchgekämpft. Es handelte sich schließlich darum, inwieweit dieser Art Selbsthilfe vom Standpunkte der allgemeinen Arbeiterbewegung gewisse theoretische Grenzen gezogen werden müssten. Wie so immer beurteilt man schon ein mögliches Endziel und übersah dabei, den Anfang richtig einzuschätzen. Es wurde doch in einer Zeit, wo alles müde und verzweifelt die Hände in den Schoß zu legen begann, etwas getan. Gedanken keimten zu einer Bewegung, die aus dem Sumpf herauszuführen man in Angriff nahm. Man soll die Ruhe bewahren und abwarten, sagte Hans, die Kräfte werden gestählt.
Er selbst aber wartete nicht ab. Er schmiss seine Arbeit hin. Er hielt es an seinem Zeichentisch nicht mehr aus. Er konnte seine Zeit besser verwerten, dachte er. Bevor er noch über die Möglichkeit, in der Kolonie selbst sich zu betätigen, richtig im klaren war. Man muss überall gleich mit zwei Beinen stehen, pflegte er zu sagen. Die Folge war, dass er in der Luft hing. Aber er warb der Siedlung in der Partei viele Freunde. Der Vorgang ihrer finanziellen Entwicklung, die Selbsthilfeversuche, die neu gewonnene Form von Kameradschaftlichkeit konnte zu einem neuen Hebelpunkt ausgenutzt werden, gelegentlich. In den Massen fand der Gedanke guten Eingang. Die Arbeitsfrieder blieben bei alledem mehr Zuschauer, nicht ohne gewissen Stolz, dass sich auch andere mit ihnen beschäftigten. Sie ließen Merkel gewähren, und seine Stellung bei ihnen festigte sich. Trotzdem es nicht leicht war, mit ihm im Guten umzugehen. Er fing an, alles alleine machen zu wollen, er war schnell in seinen Reden oben raus, und es hätte ihm manchmal ein Dämpfer gehört. Aber noch ging alles gut, der Erfolg war zu nah. Er ersetzt häufig die fehlenden menschlichen Verbindungen der Arbeitenden untereinander. Alles war auf dem besten Weg.
Da ereignete sich dieser blödsinnige Streit. Dieser blanke Unsinn, der mit seinen Folgeerscheinungen das ganze Gebäude erschütterte und wie mit einem Schlage alles umzuwerfen und zu vernichten schien. Der das so mühsam niedergerungene Misstrauen aller gegen alle gewaltsam hochtrieb und überwuchern ließ.
Selbstverständlich fing Merkel auch an, sich Gedanken zu machen, wie er wieder zu Gelde kam. Die Frau verdiente zwar etwas, noch reichte auch alles, aber dieser „später dann" frisst sich in die Menschen zu tief ein, was wird in 14 Tagen sein, in 4 Wochen — Aussichten sind doch nicht genug, um davon Brot zu kaufen. Vielleicht hatte die Frau darüber noch keine Bemerkungen fallen lassen, aber Hans fühlte doch einen ständigen Vorwurf, wenn sie saß und mehr nähte als sonst, und das erbitterte ihn, machte ihn unruhiger und unsicher. Es ist eben das Elend, dass die Menschen nicht offen von dem sprechen können, was sie im Grunde bewegt. Sie
schämen sich noch in einer ganz unsinnigen Weise so sehr vor einander. Hans suchte in der Stadt noch nebenher Arbeit, die etwas einbrachte und ihm doch den größten Teil des Tages für die Siedlung freiließ. Er war unerschöpflich darin, Möglichkeiten aufzutun, aber immer ohne Erfolg. Es zog sich alles so lange hin. Er verlor in der Stadt die beste Zeit. Und die Lust. In solcher Stimmung war er kaum zu genießen. In der Stube stand er unschlüssig herum, im Garten fing er bald da bald dort etwas an, und am liebsten hätte er alles in Klumpen gehauen. Da kam ihm sein Nachbar, ein Hüne von einem Kerl, in die Arme. Sein Nachbar Schulze arbeitete nicht nur mit in der Werkstätte, sondern war auch einer von denen, die jetzt das neue Leben in der Siedlung am tatkräftigsten unterstützten. Hatte er früher, ebenso wie Hans ihn, Merkel überhaupt nicht beachtet, so tat er jetzt doppelt freundlich und suchte jede Gelegenheit, mit ihm in ein längeres Gespräch zu kommen. Hans war wütend auf ihn, denn er hielt ihn für dumm. Er begriff nicht, dass Dummheit eine sehr irrige Wertbezeichnung ist. Mancher denkt nicht mit dem Kopf, sondern mit den Knien, die Dichter sagen: mit dem Herzen. Der Mann verstand nur nicht sich auszudrücken, und er war vielleicht schwerfällig, wie so viele andere. Und es kommt dann so, dass solch einer die andern für sich denken und mitbestimmen lässt, weil er ja gar keine Zeit hat, sich selbst ein Urteil zu bilden. Wo die meisten waren, da war auch Schulze. In der ökonomischen Lage, in der sich die Arbeiterschaft befand, und der damit zusammenhängenden Absperrung von allen kulturellen Bildungsmitteln war das gar kein Wunder. Im Gegenteil, es war besser, als wenn er sich um jeden Preis querköpfig gestellt hätte, wie auch manche tun. Darin Wandel zu schaffen und jeden mehr auf sich selbst zu stellen und zum Nachdenken über sich selbst und seine Lage zu bringen, war ja gerade eine der Hauptaufgaben der Arbeiterpartei. Merkel hätte das auch eingesehen, wenn man es ihm gesagt hätte. Darauf kommt keiner, wenn zwei gegenüberstehen und die harten Schädel aufeinander prallen.
Schulze fing sogleich an, von allen möglichen Dingen zu sprechen. Wenn man sich die raue Schale und die grob-unbeholfene Art weggedacht hätte, würde man denken können, ein vertrauensseliges Kind reden zu hören, das sich freut, endlich mal frei lossprechen zu können. Merkel aber gab nur kurze und barsche Antworten. Zuerst wurde der andere darauf gar nicht aufmerksam. Aber mit Fleiß würzte Merkel seine bissigen Worte mit Hohn und allmählich mit Geringschätzung und Verachtung. Das hörte der andere, wurde stutzig und zog sich mehr in sich zurück. Nun wurde Hans erst gereizt und begann von der Leber weg zu schimpfen, auf die Siedlung, auf die Bewohner und auf die Arbeiterschaft schlechthin. Er vergaß nur sich selbst dabei zu nennen, obwohl man ihn ja auch dazu leicht hätte bringen können. Da bekam Schulze einen roten Kopf, denn überheben brauchte sich dieser da, weil er jetzt etwas für sie rumlief, noch lange nicht. Solche könnte man nicht brauchen, und es ist gut, dass man gleich sehe, wohin die Fahrt gehe. Für Hans war es jetzt schon zu spät, zurück. Warum kam ihm auch nicht der andere entgegen, ging auf ihn ein. Vielleicht wollte Hans selbst nur hören, dass es nicht so ist, wie er redet. Der andere aber war längst beleidigt und drohend. Merkel fürchtete sich nun, als er sah, was er angerichtet hatte, vor der daraus folgenden Verallgemeinerung und schränkte plötzlich alles auf Schulze ein, der am Zaun ihm gegenüber stand und wie ein wütiges Tier auf ihn los wollte. Ja du, du bist gerade der richtige, schrie er. Du blöder Dickschädel - und da er schon gar nichts mehr zu sagen wusste, kam er auf die unglückliche Idee, noch das Familienleben heranzuziehen. Nun sehe er doch, wie er es treibe; die arme Frau könne nicht Kinder genug gebären, und er wisse gar nicht, ob er sie ernähren könne. Die Frau sehe schon sowieso aus wie ein ausgewundener Strumpf. Der aber rief, er solle sich um seinen Flederwisch kümmern, und dass seine Kinder die Strümpfe hätten. Darauf ließe sich auch mancherlei schließen. Und sie bearbeiteten sich mit Worten, schlimmer als wenn sie mit Messern auf einander losgegangen wären. Und es blieb schließlich bei ihren beiden Frauen, denen sie gegenseitig aus der Vergangenheit und Gegenwart alles mögliche andichteten. Bis diese auf den Wortschwall hin selbst auf der Bildfläche erschienen und mit hineingezogen wurden, wenn sie auch nur die Wut dämpfen wollten durch ein: Lass dich doch nicht mit dem Lump ein, den kennt man doch, oder: ich werde ihn schon rausfegen, wenn er noch mal ins Haus kommt. Und die Frauen schrieen sich auch an, die sich nie weiter im Wege gewesen waren und beide stille Naturen waren, die Schulzen, die acht Kinder hatte, sah wirklich klein und verhunzelt, zum Absterben aus. Und die Merkein begann sogar zu heulen, als hätte man ihr etwas besonderes angetan. Worauf die Schulzes hohnlachend im Haus verschwanden. Nur Merkel blieb und kaute an einem dürren Ast, den er abgebrochen hatte.
Dann kam der Teufel über ihn. Wohin sollte er gehen, ins Haus, da saß die vergrämte und verheulte Frau, zu andern Leuten, vorbeugen, sich verteidigen, wie sah das aus, sie kamen ihm ja auch nicht entgegen — er schwankte noch — dann ging er nach der Station zu. Wie einer, der etwas Drückendes beizeiten hinter sich geworfen hat, heiter und guter Dinge. Jenseits der Station, über den Bahndamm weg, wo die Sonntagsausflügler aus der Stadt in den Wald rein zu gehen pflegten, hatte seit einiger Zeit ein Gastwirt seine Bude aufgeschlagen. Vorläufig waren nur die Bretter roh aneinander gefügt, es sah noch mehr aus wie ein Schuppen, innen drin — draußen war der Sommergarten aufgestellt. Im Herbst wollte der Wirt bauen und ganz hier draußen bleiben. Er hatte daher schon einige Bekanntschaft mit den Bewohnern in der Umgegend angeknüpft, um sich besser einzuführen. Das Geschäft entwickelte sich aber nicht erwartungsgemäß. Die Leute zogen es vor, zu Haus zu bleiben und das, was sie bei ihm holten, war nicht der Rede wert. Hans war wohl schon im Vorübergehen mal eingekehrt kannte aber den Wirt nicht, dagegen begrüßte ihn dieser um so herzlicher, denn der hatte ihn sicher öfter gesehen, auch wusste er, dass er in der Werkstätte einer der Hauptmacher war. Er zog ihn gleich an den Schanktisch. Sie wurden bald wie die vertrautesten Freunde.
Merkel hatte sich seit langem nicht so befreit gefühlt. Er konnte einmal sein ganzes Herz ausschütten. Es hörte ihm jemand eifrig zu und bekräftigte alles. Sie tranken Kognak, dänischen Korn und immer dazwischen einen Bittern. Hans packte gründlich aus. Aber er hätte besser getan, das vor seinen Kollegen zu tun. Denn es war keine Spur von Hochmut mehr drin, in dem was er sagte. Er versuchte eher alles zu erklären, warum er mit denen auseinander gekommen war. Und er setzte dem Wirt eingehend auseinander, was er mit dem Ausbau der Kolonie beabsichtigt hätte und wie ein Rad ins andere greifen müsse. Der war ganz begeistert, denn es konnte nicht ausbleiben, dass, wenn jeder erst hier mal seine Arbeit hatte, auch das Geschäft besser ging. Er überschlug schon in Gedanken, ob es sich nicht verlohnen würde, ein Doppelhaus zu bauen, in denen einige Läden Platz finden könnten. Zweifellos hatte der Ort eine Zukunft. Zwischendurch verzog sich gelegentlich Merkels Gesicht für einen Augenblick, Schatten huschten drüber hin, und der Mund kniff sich zusammen. Aber um so eifriger freundete sich der Wirt an und erwies sich als ein verständiger sozial denkender Mann, der auch seine Leute leben ließ. Verschiedene Lagen hatte der Wirt schon ausgegeben. Sie waren in der Bude allein. Die Dämmerung kroch aus den Winkeln. Der Mensch windet sich in seinen Fesseln, reißt an den Gittern. Schmerz frisst sich ein und eine wahnwitzige Wut wird lebendig. Wie Gewittersturm geht es über das Herz und es nützt nichts, dass es sich zusammenkrampft. Das Blut kann nicht heraus, es ist eingesperrt und bohrt nur tiefer, wie man sich auch dreht und wendet. Und Merkel goss noch einen Schnaps drauf. Dass er die Stellung aufgegeben hat, fühlte er, war ja ganz gut. Wenn er sich Mühe gibt, wird er eine andere finden, und das wird er bestimmt. Er konnte schließlich überall anfangen. So einer ist nicht auf den Kopf gefallen, sagte er zu sich selbst. Mochten die anderen dann in der Partei arbeiten. Ich kann das nicht mehr mitmachen. Es geht alles so schrecklich langsam, es ist noch genau wie vor einem Jahr. Nichts hat sich geändert, wenn man die Leute sieht, verliert man alle Hoffnung, am liebsten möchten sie einander selber auffressen. Und er goss noch einen Schnaps drauf. Am besten ist es, einfach loszugehen, den ganzen Kram liegen zu lassen. Hat er denn Glück gehabt mit der Frau — die Kinder sind krank, sie sieht ihn immer an, als wolle er sie umbringen, dass sie um ihr Leben bitten muss. Und dann zum Teufel, sicher hat sie noch immer den andern Kerl im Kopf, der so dämlich war, sich erschießen zu lassen. An ihm hängt sie nicht, denkt er. Und er goss wieder einen Schnaps drauf. Dann ist das auch so eine Sache überhaupt, mit Menschen so nahe beieinander zu leben. Immer stehen sie sich im Wege und fängt der eine gerade an zu pfeifen, heult der andere, und das soll auch der Teufel
fertig bringen, sich nach der Decke zu strecken, wenn schon die Wände auf einen fallen. Und er musste an seinen Vater denken, wie der die ganze Familie fest in Ordnung hielt und manchmal war es dort so still, dass man den Atem hörte. Mochte es gewesen sein wie es wolle, eine verdammte Feldwebelnatur, er hatte sich nicht unterkriegen lassen, und es schien Hans jetzt, als hätte dort allein Ordnung geherrscht. Von der Mutter konnte er sich keine rechte Vorstellung mehr machen. Sicher hat sie mit den andern Weibern gejammert und geklatscht, aber sonst hatte sie in der Wirtschaft gearbeitet, dass er noch heute Lärm und Hast davon in den Ohren hatte, die Kinder aufgezogen und alles getan, was der Vater angeordnet hatte. Die brauchten nicht daran zu denken, wie sie miteinander auskommen, grübelte Hans. Dann schämte er sich wieder, denn das war ja eben das Elend in einer solchen Familie. Daraus konnte ja ein vernünftiger Mensch sich nicht entwickeln. Das war so klar, da braucht man erst keine Bücher darüber zu lesen. Seine Geschwister kannte er gar nicht mehr, wusste nicht, wo sie hingekommen waren. Und er goss einen neuen Schnaps drauf. Die See rauschte, die Welt tat sich auf. Die Städte und Menschen, in die man sich hineinstürzen, verschwinden konnte, taten ihm nichts. Sie ließen ihn frei und die Sehnsucht kam, wieder zur See zu gehen. Schmeiß alles hinter dich, hier ist nicht dein Platz, raunte es. Die Leute wollen dich nicht, und du hast mit den Leuten nichts zu schaffen, du bist weder Packesel, noch hast du Lust, hier den Schulmeister zu spielen und dir die Galle an den Hals zu ärgern. Und er sprach sich tapfer Mut zu und vergaß das Trinken nicht. Das besorgte zwar schon der Wirt, doch hatte der nicht die Lust, das gleiche Tempo, in dem sie angefangen hatten, fortzusetzen. Er goss mehr wie einen, den Hans für ihn ausgegeben hatte, in das Wasserbecken, in dem die Gläser gespült wurden, und Hans, der eifersüchtig darauf wachte, dass der Wirt sich auch mit einschenkte, musste mehr als einmal mahnen. Der Wirt hatte schon einen roten Kopf und wusste nicht mehr viel auf die Freundschafts- und Kameradschaftsbeteuerungen zu sagen. Und zur Politik schwieg er grundsätzlich, auch wenn er noch so sehr angezapft wurde.
Er hatte auch diesmal Glück. Wer weiß, wie sie noch auseinander gekommen wären, wenn nicht zwei Arbeitsfrieder mit hinzugekommen wären, die im Vorbeigehen einen trinken wollten. Die zog nun Hans mit einer lärmenden Geschäftigkeit mit an den Tisch. Es wurde Licht gemacht, denn es war schon spät, und die Arbeitsfrieder wären gern bald wieder nach Haus gegangen. Aber Hans ließ das nicht zu. Er suchte alle möglichen Punkte, sie zu fesseln, von der Kolonie, von der Partei, von der nächsten Zukunft und wie genau er voraussagen könne, wie sich alles entwickeln würde. Er tat sich mächtig groß. Die waren das von ihm gar nicht gewöhnt, auch dass er so kameradschaftlich und lustig war und taten ihm mit ein paar Lagen Bescheid. Auch der Wirt war wieder aufgetaut und sorgte für die Unterhaltung. So verging noch eine Weile, dann wurden aber die beiden merklich unruhig, und Hans hatte etwas auf der Zunge, das alles zwischen ihm und Arbeitsfriede wieder gut machen sollte. Aber er bekam es nicht heraus. Und wenn er recht ansetzte wurde es so lächerlich und klang so demütig winselnd, dass er bald wieder stoppte. Die anderen konnten sich keinen Begriff davon machen, sie sahen nur, dass Merkel inzwischen ziemlich betrunken war, Merkel aber fühlte immer brennender, wie wichtig es war, dass er alles gutmache und hier die Kolonie in Fahrt brachte und seinen alten Platz wieder einnahm, denn hier musste er Wurzel fassen oder nirgends. Er bekam plötzlich eine schreckliche Angst, dass etwas vorgefallen sein könnte, etwas Unwiderrufliches. Er überfiel die beiden mit Freundschaftsbeteuerungen und strich die Arbeitsfrieder ordentlich heraus und beschwor sie, bei ihm zu bleiben und das mit bekräftigen zu helfen. Die aber fanden das albern und widerwärtig und drückten sich. Wie man sagt ohne Abschied. Hans war mal rausgegangen und als er wiederkam, waren die andern fort. Er sagte erst gar nichts. Denn seine wirren Gedanken brauchten geraume Zeit sich zu ordnen. Dann aber wollte er eine Wut aufbringen. Es gelang nicht. Dazu fehlte es bereits an innerer Kraft. Schließlich hätte er weinen mögen wie ein kleines Kind, hilflos und unaufhörlich und immer stärker. Wenn ihn der Wirt nicht gestört hätte, der auf ihn einsprach, mit der Absicht Schluss zu machen. Davon aber wollte Hans nichts wissen, und sie tranken noch verschiedene, bis der Wirt immer einsilbiger und schließlich sogar grob wurde. Ob er denn noch Geld genug habe. Und wirklich Merkel hatte nicht genug, denn es war eine ganz anständige Zeche aufgelaufen. Sie kamen noch in einen heftigen Wortwechsel, der damit endete, dass der Wirt Merkel an die Luft setzte und hinter ihm die Tür abschloss. Er verrechnete sich aber, Merkel machte draußen keinen Skandal, zerschlug auch nicht die Scheiben, wie er gedroht hatte, sondern torkelte die Straße nach der Kolonie zu, den Kopf tief auf die Brust hängen lassend. Er ging und ging und er hatte nicht viel andre Gedanken, als dass er bald nach Haus müsse, denn dort wäre Ruhe. Dann war die letzte Kraft am Ende. Er stolperte über einen Stein und blieb liegen. Leute kamen noch von der Station. Die sahen ihn liegen und wandten sich voller Verachtung weg. So also sah der aus. Da erkannten sie, man konnte nicht vorsichtig genug sein, bald hätten sie sich den ganz aufgeladen. Und einer aus der Werkstätte nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass dieser Kerl ihre Bude nicht mehr betritt. Mit dem musste man beizeiten Schluss machen. Sich so vollzusaufen wie ein Schwein, sagte eine Frau. Wo er nur das Geld dazu her hat, vom Arbeiten doch sicher nicht. Und alle verachteten ihn. Die Frau des Klinger kam noch spät nachts rum zur Merkein mit der Botschaft, dass Hans unten am Wege liegt. Er hatte sich schon ein Stück weiter gearbeitet. Und die beiden Frauen gingen und holten den Mann rein. Es war ein schweres Stück Arbeit. Er drückte sie beide mit seiner Last, die sich wie ein Klotz an sie hing, nieder. Sie mussten ihn schleifen. Die Nacht war still. Der Frühling war da. Die Gärten blühten und das Glück lag in der Luft. Das letzte Stück Weg begann Hans zu singen. Er grölte und gurgelte und kotzte dann erbärmlich.
Die nächste Vollversammlung der Kolonie bot schon ein anderes Bild. Man konnte es schon daran sehen, wie die Leute hereinkamen und ihren Platz ausfüllten. Darin lag eine ganz andere Sicherheit als damals, als sie sich unter den langatmigen Ausreden des Vorstandes geduckt hatten. Auch diesmal erstattete der Kaufmann wieder einen längeren Bericht. Dort, wo er angeklopft hatte, war er vergebens gewesen, die Regierung jetzt schon anzufragen, hielt er für verfrüht, zumal sie die Deckung für die Zinsentilgung noch in Aussicht hätten. Dagegen deutete er an, dass die Regierung sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer Kontrolle der Siedlungen, auf denen sie Hypotheken hatte, begnügen würde. Es hieße, ein derartiges Gesetz wäre in Vorbereitung. Die Kontrolle würde so zu verstehen sein, dass die Regierung sich das Recht vorbehält, die Hälfte der Wohnungen an Beamte, die sie ihrerseits der Kolonie zuweist, zu vergeben. Sollten indessen Staatsbeamte schon wohnhaft sein, so werden diese mitgezählt. Er glaube also, ungeachtet aller weiteren Versuche, sie ganz flott zu machen, mit Sicherheit in Aussicht stellen zu können, dass mindestens die Hälfte der Wohnungen von dem Zusammenbruch überhaupt nicht berührt würde. Er hatte sich über den erwarteten Erfolg seiner Ausführungen ziemlich getäuscht. Es traten jetzt Leute auf, die über die Siedlungsfrage gleichfalls genaue Erkundigungen eingezogen hatten. Diese erklärten, dass die Regierung allerdings ein derartiges Gesetz plane, das aber an dem Widerstand der Gewerkschaften scheitern würde. Die Gewerkschaften würden mit einem eigenen Plan hervortreten, und es sei noch fraglich, auf wessen Seite schließlich die tatsächliche Macht stünde. Andere sagten, sie seien eine reine Arbeitersiedlung und sie hätten nicht nötig, sich zwangsweise Beamte reinsetzen zu lassen. Denn diese Beamten wären nichts anderes als Aufpasser der Regierung und nur zu diesem Zweck in die Siedlungen verpflanzt, um die einheitliche Massenentwicklung der Arbeiterklasse zu stören und zu brechen. Fast jeder sprach ein paar Worte zur Lage und alle waren sehr ruhig und sachlich. Man brauchte sich nicht einschüchtern zu lassen durch solche Drohmittel. Sie sollten nur kommen und versuchen, sie rauszujagen, dann werde sich das weitere von selbst ergeben. Derjenige, der das sagte, fand den größten Beifall. Zunächst muss die Regierung auch erst zivilrechtlich ihre Ansprüche geltend machen, da lachten alle. Können uns ja pfänden, schrie einer. Aber der Kaufmann griff ein, da wären doch besondere vertragliche Vereinbarungen, und schließlich sei er doch für die Geschäftsführung verantwortlich, und wenn erst einmal die Bücher beschlagnahmt wären, so pflegt der Vorstand dann schnell hinter Gittern zu sitzen, das sei einmal bei Bauvereinen so üblich. Aber das machte wenig Eindruck. Dann werden wieder Wohnungen frei, lachte einer. Schließlich kam er, als er die Stimmung so umgeschlagen sah, noch mit einem Vorschlag heraus, den er sich ausgedacht und auch schon sich umgehört hatte, ob er überhaupt durchführbar sei, nämlich eine Lotterie aufzumachen zum Besten der Siedlung, die Genehmigung hoffte er zu bekommen. Allerdings müssten sie dafür sorgen, dass unter ihren Kollegen genug Lose abgesetzt würden. Er rechnete aus, dass man bei den üblichen kleinen Geldgewinnen und einem größeren Lostreffer eine ganze Menge Geld verdienen könnte. Aber der Vorschlag wurde schlank abgelehnt. Sie hätten gar keine Lust, ihre Kameraden noch mehr zu betrügen, als sie von den Unternehmern schon betrogen werden, und wenn er in seinen Kreisen die Dinger verkaufen wolle, so könne er das ruhig tun. Sie wollen die Finger davon lassen. Dagegen bestünde die Möglichkeit und sie hätten auch schon Besprechungen darüber gehabt, der Kaufmann machte große Augen, die Gewerkschaften dafür zu interessieren, ihre Siedlung zu erweitern. Vielleicht die beiden Nachbarkolonien mit zu vereinigen. Allerdings hänge es davon ab, wie sie mit dem Gutsbesitzer fertig werden. Denn das neue Terrain auf dem Berge, das jetzt brach liege, würden sie wohl dazu haben müssen. Dort könnte dann eine neue Siedlung von 200-300 Häusern angelegt werden. Ursprünglich bei der Gründung von Arbeitsfriede wäre das doch auch mit beabsichtigt gewesen. Natürlich rief der Kaufmann, der ganz Feuer und Flamme dafür war, aber woher das Geld nehmen. Und wenn wir uns auf die großen Organisationen stützen, wird Rat geschaffen werden, entweder sie bauen selber, oder sie zwingen die Regierung, für sie nach ihren Plänen zu bauen. Das lass nur unsere Sorge sein, meinte einer. Das war etwas ganz Neues, aber in der Versammlung war es jedem klar, natürlich wird das so sein. Aber da meldeten sich auch schon welche, die jetzt die Pläne mit der Werkstätte und der Schule weitersponnen und für weiteren Ausbau eintraten und die gleichfalls schon die Unterstützung der Organisationen dafür gewonnen hatten. Der Bewohnerausschuss wuchs mit jedem weiteren Sprecher in seiner Würde und Bedeutung. Die Gemeinschaftsarbeiten müssten in die Statuten aufgenommen werden, damit nicht wieder die frühere Trägheit und Unfrieden einreißen. So ginge das ganz gut. Es wurde zugestimmt, dass von der Jugend ein Vertreter in den Ausschuss aufgenommen wurde. Ein paar Frauen schüttelten allerdings den Kopf. Trauten sie ihren Kindern nichts zu, oder wuchs ihnen die ganze Entwicklung über den Kopf — möglich das letztere. Sie hatten noch nicht recht den Mut aufbringen gelernt, über ihren kleinen Wirtschaftskreis hinauszublicken. Woran meist die Männer schuld wären, die auftraten als hätten sie das Recht zu fordern und sie der Sorge um den Einzelhaushalt überließen. Andere Frauen waren klüger, die trieben auch wieder ihrerseits die Männer an, von denen einige es lieber gehen lassen wollten wie es ging. Sie schämten sich nur vor den andern, es offen einzugestehen. So dass sie schließlich alle einstimmig für diese neuen Pläne eintraten. Dann kam noch ein Fall zur Verhandlung, wo sich zwei wegen des Wasserverbrauchs, den sie gemeinschaftlich bezahlen mussten, gezankt und gegenseitige Beschwerden eingereicht hatten. Aber die hatten keine rechte Lust mehr, ihre Sache zu vertreten. Sie mussten ziemlich derben Spott über sich ergehen lassen und waren froh, dass die Sache geregelt Wirde, ehe noch ihre Beschwerden verlesen wurden. Denn die kamen ihnen jetzt höchst überflüssig und einfältig vor. Sie vertrugen sich schneller als sie in Ärger gekommen waren. Zu guterletzt wurde auch die Sache Merkel vorgebracht, die Beschimpfungen, die er ausgestoßen, sein Verhalten und sein ganzes Benehmen früher kam zur Sprache, ferner dass er die Arbeit aufgegeben hatte und anscheinend hier auf Anstellung wartete. Man entschied sehr schnell. Es gab einen Paragraphen in den Statuten, wonach einer, der Unfrieden und Ärgernis gab, sofort ausgeschlossen werden konnte. Der Kaufmann wollte die Sache zwar erst dem Bewohnerausschuss zur Prüfung und weiteren Erhebungen überweisen, man müsse doch den Merkel erst hören, ihn überhaupt vorladen. Aber es genügte ja schon, sagten die meisten, er ist ja wieder nicht erschienen. Und sie beschlossen, dass Merkel am nächsten Termin das Haus räumen müsse. Klinger hatte sich dabei zum Wort melden wollen, seine Frau hielt ihn aber am Stuhl fest und zischelte: willst du uns auch auf die Straße setzen. —
Die Häuser flimmern in lichten Farben. Darüber blaut Dunst. Noch oben sind weiße Tupfen geblieben. Wie von der Hand, die in der Eile das alles aufgebaut. Auf der Straße nach der Station rollt eine Staubwolke hinter einem Wägelchen her. Grillen.
Auf der Wiese jagten die Kinder. Es gibt Wiesen, die sind so grün wie die Spielsachen und Bäume, die in den Warenhäusern der großen Städte für die Kinder der Reichen gekauft werden, damit diese sie in die Salons herumstellen. Es gibt auch Wiesen, die haben nur noch hier und da einen grünen Fleck, Grasbüschel denn die müssen sein, sonst wäre es keine Wiese, sonst ist aber alles sehr schmutzig und gelb. Wo die grünen Flecke waren, da spielen die Kinder und auf dem anderen Teil weiden die Ziegen. Sie sind angepflockt. Und wenn die Kinder mal plötzlich lärmen, aufschreien, da zerren die Ziegen an ihren Stricken. Sie verfangen sich und stolpern und steigen dann hoch, als wären sie wieder auf den Bergen. Aber die kleinen Ziegen gehen aufeinander los, stoßen die Köpfe aneinander und die hohen Stirnbögen, denn es ist Zeit, dass die Hörner bald kommen. Dann schielen sie nach den grünen Grasbüscheln, die noch weit sind und die Schnur so kurz. Doch die Kinder stehen dort, alle auf einem Haufen. Ein dicker Knäuel und wenn die Kinder einmal zusammenstehen und beraten, ist's immer still. Da spricht nur einer und schlägt was vor und erzählt was und alle lauschen. Da sind die ganz Kleinen dabei, die noch kaum richtig gerade über die Wiese laufen können und ordentlich schaukeln wie so ein Kielboot. Schuhe brauchen sie alle nicht und wenn sie spielen, laufen sie bald zusammen, bald wieder auseinander — und dann bilden sich Gruppen, die ganz für sich alleine weiter machen. Man kennt sich nicht aus. Aber es ist so, sie freuen sich überhaupt nur, dass sie beieinander sind. So wird es auch mit den Alten noch werden.
Reigen, wo die geputzten Kinder der Reichen, die wie die Pudel aussehen, sich geziert im Kreise drehen, kennt man nicht. Und ein solches Kind würde verlegen abseits stehen, denn Mama hat strenge verboten mit den Arbeiterkindern zu spielen. Die sind roh und ungezogen und schmutzig, sagt sie. Da steht das Kind abseits, es möchte mitspielen, es weiß nur nicht, wie anfangen. Man holt es nicht. Es kennt auch nicht, was die da spielen, und fängt an zu weinen, bis Mama die Zuckertüte zieht.
Auf der Wiese die haben aber gerade ein großes Johlen angefangen. Ein kleines Mädchen zieht einen viel größeren Jungen im Kreise herum. Und alle lachen und am meisten freut sich der Bengel, der wie eine Ziege hüpft. Aber welche wollen ihn puffen. Die kommen mit andern ins Gedränge, die ihn schützen wollen. Und dann lassen die den Jungen laufen, schreien und dann alle hinter ihm her. Die Jagd tollt um den Platz, zwischen den Ziegen durch, die Kleinsten stolpern und werden umgerannt. Mit Halloh und Heidi, mit Heulen zwischendurch — die sich weh getan haben — dann haben sie ihn wieder und eine andere führt ihn im Kreise herum.
Der Junge war viel älter als die meisten der Kinder. Er hätte schon müssen ein paar Jahre in die Schule gehen. Aber er lernt so schwer. Und er ist immer gerade bei den Kleinsten. Mit denen freundet er sich an und läuft mit herum. Und allmählich entwachsen sie ihm. Er hat schon mit den Großen damals gespielt, die jetzt abseits für sich stehen und etwas ins Werk setzen werden wo man die ganz Kleinen nicht gebrauchen kann. Sind doch auch schon welche darunter die Vaters Zigaretten rauchen. Denen ist er zu dumm. Er versteht gar nicht, was die wollen und sie lassen ihn fallen, schütteln ihn ab, wenn er mal mit drunter ist. So bleibt er bei den Kleinen und spielt Ziege und freut sich dabei. Er versteht noch nicht, dass er ausgeschaltet werden soll. Noch ist Sommertag auf der Wiese. Dann geht die Sonne im großen Bogen und wird breit und blechern und sinkt tiefer und tiefer. Sie rutscht von oben runter und wird über und über rot. Die Mutter hat schon ein paar Mal gerufen. Die Ziegen zerren und laufen unruhiger hin und her. Dann kommt die Mutter aber selbst und ihre lauten Rufe schneiden über die Wiese. Sie scheuchen die Schar auseinander. Aber sie fasst schnell zu, die Frau, und sie hat die ihrigen jetzt fest an der Hand. Marsch ins Haus, Vater schimpft schon. Aber die Kinder wissen, dass es nicht wahr ist und wollen sich noch wehren. Da gibt’s manchmal noch was ab. Allmählich wird’s still, draußen auf der Wiese. Die Dämmerung zieht. Der Wald rückt näher. Und der erste Stern guckt vor und glitzert vorwitzig. Dann schiebt sich der Vorhang zu. Die Nebel steigen.
An einem der nächsten Sonntage stapften fünf Arbeitsfrieder durch die Heide nach dem Gutshofe zu. Der Sand, in den sie mit jedem Schritt bis an die Knöchel versanken, war schon in den Vormittagsstunden glühend heiß. Eine flammende Wolke von Staub und Sonne lag über den weiten Äckern jenseits der Chaussee. Das Korn stand spärlich, es schien kaum hochzukommen und wies große weiße Flocken auf. Wie ein Teppich, den die Motten zerfressen haben. Der Kaufmann streckte die Hand aus, die er ein paar Mal in der Schwebe rumdrehte und rief: Es wird wieder heiß. Die andern sagten ja. Sie keuchten sich vorwärts. Es wird verdammt heiß. Von dem alten Weißbach hatten sie noch nicht viel Gutes gehört. In welchem Zustande bloß die Äcker waren. Genau genommen hörte man überhaupt nichts von ihm, er ließ sich nirgends sehen und seine Leute schienen nicht viel anders. Die Arbeiter waren mehr neugierig einmal zu sehen, was da auf dem Hof los war. Sie kamen ja nicht als Bettler. Wollten auch keine Arbeit, obwohl sie sich vorgenommen hatten, auch die Werkstätte in Empfehlung zu bringen. Man konnte ja nie wissen, vielleicht war der da gar nicht so schlimm, wie man sagte. Der Kaufmann war noch am ängstlichsten, denn er hatte wohl schon mit ihm zu tun gehabt. Und von dem guten Willen des Alten hing jetzt viel ab. Etwas ängstlich waren selbstverständlich die andern auch. Sie hatten nämlich keine Ruhe gegeben, diesen Gang zu beschleunigen. Andere hatten vorgeschlagen, erst mal hintenrum zu hören, vielleicht erst einen vorzuschieben, der noch nichts Bestimmtes sagt. Aber das „gleich aufs Ganze" hatte schließlich gesiegt. Besser war es schon, gleich zu wissen, woran man ist. Sie berieten zum so und so vielten Male, wie sie sich verhalten wollten. Das Beste wäre, sagten sie anschließend, dem Mann nicht zu sehr zu widersprechen, und ihn ruhig reden zu lassen. Wir besprechen uns dann nachher unter uns, was wir daraus machen können. Und nicht mit der Tür ins Haus fallen. So einer ist im Stande und schmeißt uns schon raus aus Eigensinn und schlechter Laune. Viel wird er sowieso von uns nicht wissen wollen, dachten sie. Der Kaufmann muss den Sprecher machen und wenn Fragen gestellt werden, werden sie selbst schon antworten. Ob er wohl weiß, dass so eine Gewerkschaft über größere Gelder verfügt, als dieses ganze Land hier wert ist, meinte einer, wir wollen ja auch nichts geschenkt haben, bekräftigten sie. Der Kaufmann aber hieß sie davon stille sein. Sie mussten damit operieren, dass sie pachten wollten oder überhaupt nur die Erlaubnis ein paar Morgen Heide zu bebauen. Der kann doch froh sein, wenn das Land kultiviert wird. Und hat man ihn soweit, dann können wir schon ein anderes Mal weiter zufassen. Wir werden ja sehen, sagten sie, und damit bogen sie in den Gutshof ein.
Der alte Weißbach sah recht verdrießlich aus, wie er sie empfing. Er blieb in seinem Sorgenstuhl am Fenster sitzen, die Füße hatte er mit Tüchern umwickelt, und wie er die Eintretenden dann aufforderte Platz zu nehmen, wussten die erst nicht recht, sollten sie sich setzen oder nicht. In der Mitte dieses dunklen Zimmers, ein Baum dicht vorm Fenster nahm ihm jedes Licht, stand ein breiter Tisch, ein schweres protziges Stück Möbel. Um den setzten sie sich. Hier muss es ziemlich feucht sein, dachten sie, es riecht auch so muffig, und dabei scheint der noch die Gicht zu haben. Und ihre hellen luftigen Wohnungen, in denen die Sonne war, erschienen wieder vor ihnen. Der Kaufmann hatte in den allgemeinsten Worten das, was sie zunächst wollten, gerade auseinandergesetzt und der Alte hörte bedächtig zu. Jetzt hieß es aufpassen. Sie hatten keine Zeit mehr nachzudenken über die alte Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, ob sie wohl überhaupt noch zur Arbeit zu gebrauchen war, so krumm und klapprig hatte die ausgesehen — auch nicht über den Zustand der Baulichkeiten, die sie gerade mit dem ersten Blick überflogen hatten. Das Wohnhaus, so schmutzig und baufällig es auch von außen erscheinen mochte, war doch das protzige Herrenhaus, wie solche auf dem Lande noch stehen. Efeu und Wein rankten dran empor und haben die Fassade unter sich längst begraben. Mit dem Haus hätten sie nichts anzufangen gewusst. Der ganze Hof war so unheimlich still. Hatten denn die kein Vieh, na man wird ja hören, trösteten sie sich. Die Stille schärft das Misstrauen. Sie hörten sehr aufmerksam zu. Ein Teil hielt den Kopf vorgebeugt, als dürfe ihm auch kein Wort entgehen, als warteten sie nur auf das Zeichen loszulegen. Der andere Teil saß in sich versunken, bedächtig und weise, als ließen sie das, was der Kaufmann vorbrachte, noch einmal prüfend genau vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Und sie wogen dabei fortwährend den Stand ihrer Aussichten und gaben sich auch verstohlen manchmal einen Blick.
Aber der Alte schien seltsamerweise gar nichts dagegen zu haben. Er ließ sich erklären, wie sie das Land bebauen wollten und fragte nach Einzelheiten aus der Siedlung und sagte schließlich, man könne ja über die Benutzung des Geländes einen Vertrag ausarbeiten, verdienen wolle er daran nichts. Das ging alles besser wie man erwarten konnte. Der Alte machte sich sehr verständig. Und es trat eine kleine Pause in der Unterhaltung ein. Der Kaufmann hatte bisher bis auf wenige Zwischenbemerkungen verschiedentlich nach einem schicklichen Abgang gesucht. Der Alte kaute an seinem Schnurrbart. Man sah ordentlich, wie der Mann von Tag zu Tag verfiel und eintrocknete. Der Kaufmann sah sich nach den andern um. Er hätte vielleicht gern gesehen, die wären aufgestanden. Aber sie blieben sitzen und schienen gar nicht daran zu denken, das Feld zu räumen. So musste er das Gespräch noch einmal wieder aufnehmen. Und allmählich, man fühlte deutlich, mit welcher Unlust, nur getrieben durch die hinter ihm Sitzenden tastete er sich zu ihren eigentlichen Absichten durch. Er kam darauf, dass man den Gedanken aufnehmen könne, wieder neu zu bauen, und dass man dann vielleicht auf jene Grundstücke rechnen könne, wenn man zu einer entsprechenden Erweiterung ihres ersten Vertrags käme. Warum denn nicht, sagte der Alte, schließlich kommen Sie gerade noch zur rechten Zeit, denn ich bin die längste Zeit hier gewesen. Da erst horchten die andern auf, und sie begannen mit dreinzusprechen vom Bau und der Zusammenfassung der Kolonien, und der Kaufmann rückte mehr und mehr in den Hintergrund. Weißbach war vielleicht überhaupt froh, von seinen Dingen sprechen zu können. Er wurde jetzt ganz gesprächig. Er fing davon an, dass er noch gar nicht wisse, ob er nicht selbst bald rausgesetzt würde. Es sei schon Zwangsverwaltung beantragt, aber noch einmal abgewiesen worden. Er gäbe mehr aus für Rechtsanwälte als für die ganze Wirtschaft. Die ist auch nichts mehr wert. Ich habe es satt. Das waren immer wiederkehrende Redensarten. Und er sähe das jetzt selbst ein, das beste wäre, das ganze zu bebauen. Das Land ist durch die Stadt verpestet, sagte er, es gedeiht da nichts mehr. Aber er bekam auch andere Antworten darauf zu hören. Die Verabredung war vergessen, und sie stritten ihm ziemlich so alles ab. Der Alte nahm es aber nicht weiter übel. Jetzt erst erinnerte sich der Kaufmann.
Der Alte lebte in Unfrieden mit seinem Bruder und der war jetzt gestorben. Der Alte hatte das Gut vom Vater übernommen, und sich verpflichten müssen dem Bruder Nießbrauch zu bezahlen. Die Brüder hatten sich auch immer gut verstanden. Sie lebten zusammen auf der Wirtschaft viele Jahre lang. Der eine als gelernter Landmann arbeitete, der andere, der irgend etwas studiert hatte, aber anscheinend nicht fertig geworden war, denn er tat nichts, saß so herum. Das ging so lange, bis dieser Bruder auch noch heiratete und sich immer mehr auf dem Gut häuslich einrichtete. Der ältere blieb unverheiratet. Was Geld ausgeben hieß, da hatten sich schließlich beide nichts vorzuwerfen, denn auch der Alte hatte seine Maitressen in der Stadt und sich eine Zeit mal in den Kopf gesetzt, Pferde zu züchten. In Sportkreisen hatte er aber, wie noch das Gerücht ging, keinen guten Eingang gefunden, denn man hielt ihn für einen Bauer. Er war weder Offizier, noch hatte er studiert. Er hatte wohl nicht mal gedient aus irgend einem Grunde. So steckte er die Zuchtversuche bald auf, da sie zudem noch riesige Summen verschlangen. Da war der Bruder glücklicher gewesen. Der hatte großen Verkehr in der Stadt, und bald kamen auch die ersten Wechsel, die der ältere einlösen musste. So ging das weiter und schnell bergab. Es kam Zank und Streit und schließlich zog der Bruder mit Frau und Kindern ab nachdem er noch eine größere Abfindung erpresst hatte. Das war noch alles vor der Zeit, ehe Arbeitsfriede gegründet wurde. Das Gut verfiel immer mehr, der Alte ging nur noch selten aus dem Haus. Der größte Teil der Äcker war verpachtet, und der Pächter wohnte mit im Haus und besorgte die Wirtschaft mit. Alles verfiel. Der Pächter verlor auch die Lust, er war gleichfalls schon alt. Leute zum Arbeiten wurden immer weniger angenommen. Es wurde nur noch das Allernotwendigste gemacht. Da war jetzt der Bruder gestorben, der Kaufmann hatte es irgendwo gelesen. Und die Erben machten Schwierigkeiten, erzählte der Alte seinen Besuchern. Sie möchten ihn am liebsten entmündigen lassen. Der Antrag war schon gestellt. Dabei hat der Bruder Hunderttausende geschluckt, weit mehr als ihm überhaupt zukam. Sie spionieren mir auf Schritt und Tritt nach. Stecken sich hinter meine Leute. Sie passen auf, ob ich mir mit weißem oder gelbem Papier den Arsch wische und was ich auch mache, alles wird aufgeschrieben und spricht für irgend etwas, wie's gerade sein soll. Ich hab’s ihnen noch mal heimgezahlt, aber wer weiß, wie lange. So erzählte der Alte in einem fort. Und die Arbeiter freuten sich darüber. Sie sahen nur ihren Vorteil darin. Das Alte wurde morsch und machte den neuen Ideen Platz. Da war kein Raum für Mitleid, wenn sie auch mit ernster etwas ehrfürchtiger Miene zuhörten. Sie hätten viel lieber laut losgelacht, nicht über den Alten, aber aus Freude darüber, wie gut die Sachen standen. Auch der Kaufmann hatte jetzt wieder den Faden in der Hand. Er fand sich geschickt in die neue Lage. Er verstand sich darauf, dem Alten Mut zu machen. Er solle doch in die Stadt gehen und seinen Lebensabend in Ruhe verbringen. Die Sorgen reiben ihn auf und so weiter. Weißbach sagte darauf, daran hätte er schon lange gedacht. Es fände sich nur kein Pächter mehr. Vom Verkaufen wolle er nichts wissen, viel käme zudem nicht heraus, aber von so einer Pacht könne er vielleicht auskömmlich leben. Da antworteten die andern nicht darauf. Das Wort erstarb ihnen ordentlich im Munde. Daran hatte überhaupt niemand zu denken gewagt, und was sie jetzt bewegte, das behielten sie still für sich. Der Alte war so aufgekratzt, dass er aufstand, um ihnen die Gebäude und den Garten zu zeigen. Damit Sie sehn, dass ich nicht übertreibe, sagte er, es ist alles am Ende, nichts mehr wert. Damit humpelte er voran.
Die Ställe waren leer und wollten bald zusammenstürzen. Die Steinpflasterung wies große Löcher auf. Nun, wissen Sie, krähte Weißbach, Vieh zu halten ist jetzt unlohnend geworden. Für wen denn, ja, hält man so was — da kommen die mit ihren Verordnungen und nehmen einem alles weg. Man ist nicht mehr Herr im Hause. Dass die andern auch Fleisch wollen und Butter, Eier und Milch, daran dachte der Alte nicht. Das wäre ihm auch nie in den Sinn gekommen. Dagegen verbreitete er sich über die Landwirtschaft, die nur im Großen betrieben werden könne. Der Landwirt muss aus dem Vollen schöpfen können, meinte er. Da darf nicht alles berechnet werden, wie viel das und jenes tragen muss. Heute, wo alles abgeliefert werden soll, kommt der Landwirt nicht mehr vorwärts. Wie die Jahre sind, man kann nicht alle Jahre gleich arbeiten. Es verdirbt viel, es wächst aber auch zu. Der Landwirt muss freie Hand behalten und den Überschuss selbst verwirtschaften können. Sonst geht alles zu Grunde. Sie sehen ja. Aber die Arbeiter schwiegen dazu. Nur einer, dessen Vater noch ein kleiner Bauer gewesen war und der noch von der Landwirtschaft eine dunkle Ahnung hatte, gab hin und wieder eintönige Antworten, dass er nur merkte, sie hörten zu. Weißbach schaffte schon seit Jahren nichts mehr an. Das Ackergerät war in einem schlimmen Zustande. Die Pferde für die Frühjahrs- und Herbstbestellung lieh er aus der Stadt. Die Stadt frisst uns noch alle auf, seufzte er. Und er führte sie im Garten herum, dessen zahlreiche Obstbäume vernachlässigt waren und kaum Früchte tragen würden. Er habe keine Lust mehr, sich drum zu kümmern. Weite Reihen Gemüsebeete lagen brach. Den andern kam ordentlich die Wut. Sie mussten sich auf ihren schmalen Streifen wer weiß wie quälen und hier lag alles nutzlos und verkam. Dann verabschiedeten sie sich und gingen voneinander im besten Einvernehmen.
Kaum hatten sie den Hof indessen im Rücken, sprachen alle auf einmal. Jeder hatte schon was Bestimmtes gesehen, was in Angriff genommen werden könnte. Es war allzu klar, dass ihr erster Plan das Gut gemeinschaftlich zu bewirtschaften, der Verwirklichung nahe war. Mit einer geregelten Viehzucht könnte man jetzt anfangen, die Äcker noch in Pacht lassen, aber zu anderen Bedingungen und gegen Naturallieferung. Man sollte keinen Tag damit warten. Es kam allen vor, als hätten sie großes Glück gehabt. Wir sind noch gerade zurecht gekommen — und sie lachten über das ganze Gesicht. Das ist, was uns noch gefehlt hat. Und sie spürten die Hitze gar nicht. Sie hatten es mächtig eilig in den Ort zu kommen, denn die glückliche Botschaft, wenn sie auch nur eine Aussicht war, brannte allen auf der Zunge.
Ein paar Wochen vergingen. Der Sommer verging. Die Zeit war schon im September. Von keiner Seite war man an den Verein bisher herangetreten, der Verfallstermin war schon lange vorbei. Aber auch sonst rührte sich nichts. Die Werkstätte arbeitete zwar flott. Die Schule dehnte sich immer weiter aus. In einer gemeinschaftlichen Sitzung der Ausschüsse war die Verschmelzungsfrage der Kolonien besprochen worden. Weißbach hatte Wort gehalten und drängte selbst auf den Vertrag. Alle waren auch überzeugt, dass man den Gutshof übernehmen würde. Aber schließlich hatte doch jeder seiner eigenen Arbeit nachzugehen. Vielleicht dachten viele, es genügt, wenn man die ersten Vorbereitungen über den Berg hat, das andere entwickelt sich von selbst. Vielleicht zogen sich auch die Besprechungen mit den Organisationen so lange hin. Es ist leicht sozusagen eine grundsätzliche Bereitwilligkeit erklärt, wie aber anfassen, dass auch alles wirklich durchgeführt wird. Das ist ein schwieriger Weg. Aber man hatte weder Angst noch Misstrauen, war doch jeder, wie schon gesagt, in seinem Betriebe mit seiner eigenen Arbeit vollauf beschäftigt. Da waren die Streitigkeiten über Akkord und Lohn. Da war der Aufmarsch für den politischen Endkampf. Die Meinungen standen hart gegeneinander, auch in der Arbeiterschaft. Dabei will jede Behauptung bewiesen sein. Und ehe man sich entschließt, selbst mit Hand anzulegen und als Mitstreiter in den politischen Kampf zu treten, muss der Weg ganz klar und schon das Ziel deutlich sichtbar sein. Das gibt harte Auseinandersetzungen, die den Kopf ausfüllen. Und dann die Not, überhaupt sich durchzuschlagen, die knappen Verhältnisse zu Hause, die Familie bürdet immer neue Sorgen auf — wie soll das alles auf einmal geändert werden. Man hat gerade zu tun, dass man den Garten mit in der Hand hält. Und sie beschäftigen sich mit all diesen Dingen nur eben soweit, als sie bereits hineingesetzt worden waren. Es schien nicht vorwärts zu gehen. Der Pächter Weißbachs war zwar mal im Ort gewesen und hatte mit dem oder jenem gesprochen. Er sei zu alt; und wenn Weißbach nach der Stadt zieht, geht er auch. Er sei eigentlich von Beruf Ziegelmeister und hätte nur eine kleine Wirtschaft so nebenbei gehabt. Jetzt habe er das Wirtschaften gründlich satt, und wie er gehört hätte von dem Aufschließen des neuen Geländes und alles das, so dächte er, es wäre das beste, sie sollten die Gebäude und den Hof gleich mit übernehmen. Verwendung dafür hätten sie doch genug, ob sie daran schon gedacht hätten und so. Man sprach mit ihm hin und her und ließ ihn dann schließlich unverrichteter Sache wieder gehen. Das wird alles zu seiner Zeit schon geregelt werden, natürlich wollen wir das und jenes damit anfangen, sagte manch einer. Aber es kümmerte sich vorläufig niemand weiter drum, wie die Sachen standen. Später, dachten sie, vorläufig ist wenigstens alles schon eingeleitet. Es wird schon in Fluss kommen. Damit war die Zeit vergangen. Neue Streiks kündigten sich an. Weitere Einschränkung der Arbeit war angedroht. Der Staat schien bereits in allen Fugen zu krachen. Aber man täuscht sich nur zu oft. Der kapitalistische Staat ist zäher, als viele meinen. Er bricht nicht so ganz von sich selbst allein zusammen. Da heißt es mit anfassen, ihm den Rest zu geben. Da muss man mit stoßen. Sonst verwest er über Generationen und saugt jeweils noch die Arbeiterschaft in seinem Verfall mit hinein. Das Leichengift ist noch das gefährlichste Gift. Es zermürbt und schwächt, entblättert die Hoffnung und macht gleichgültig und müde, nur immer abzuwarten, wann wohl der Zusammenbruch kommt. Die Not allein treibt nicht. Obwohl sie allein im Augenblick alle gemeinsam umfasst. Aber, sagt ihr, was kann der einzelne schließlich tun — Wir haben doch zuerst unsere Brotarbeit, und ob ich mit Wut oder mit Gleichmut arbeite, das bleibt der Drehbank gleich. Vielleicht wenn alle so denken, ist das richtig, aber der Staat wird dadurch gerettet. Darauf baut er sich überhaupt nur allein auf. Vielleicht ist es aber auch notwendig, dass jeder über den engen Kreis seiner Hände Arbeit hinausdenkt, sich mit den andern, die eben so sind wie er, verbindet, gemeinsam denkt, gemeinsam daran arbeitet, einen Schritt weiterzukommen. Nicht warten, bis die andern einen rufen und den Karren weiter schieben, sondern jeder selber schon von vornherein mit anfassen. Die andern alle, die so wichtig sind, ehe überhaupt etwas getan wird, auf die man zählt als Vorbedingung, bis einer mittun will, fallen denn die als Block vom Himmel? — Nein, du selbst musst sie mit entstehen helfen. Jeder einzelne hat schon mit seiner Existenz seine Aufgabe. Wer sagt euch das, dass sich einer immer hinter den anderen verstecken muss? Dann ist es leicht, jeden einzelnen hervorzuholen und klein zu kriegen. Das ist nicht mal Verteidigung. Aber nur der Angriff kann uns nützen.
Aber der Staat greift an. Das ist sicher. Und so kam eines Tages der Brief in den Ort, der diese dumpfe Stille aufscheuchte. Der alles in Flammen setzte, als hätte der Blitz eingeschlagen. Die Kreisverwaltung als Hypothekengläubigerin berief sich auf eine Regierungsverordnung und die eigenen Statuten des Vereins. Sie kündigte ganz nüchtern an, dass sie von ihrem Rechte
Gebrauch mache, die Wohnungen von sich aus zu vergeben. Mit der Regierung wäre ein Abkommen bereits getroffen. Sie ersuche um Mitteilungen, wie viele Häuser zum nächsten Termin zur Verfügung gestellt werden können. Die Regierung werde die Lage der Bewohner möglichst berücksichtigen. Sie werde sich vorerst nur ein größeres Einflussrecht sichern. In der nächsten Umgebung plane die Regierung die Anlage einer militärisch-technischen Versuchsanstalt. Zum Oktober müssten für Militärbeamte und ihre Familien, die in der Anstalt beschäftigt werden, einige Wohnungen bereits frei gemacht werden. Auch etwa für fünfzig Mannschaften müsste bis auf weiteres Unterkunft geschaffen werden. Über eine spätere eingehende Regelung der Wohnungs- und Siedlungsverhältnisse könne noch später verhandelt werden. Soviel sei aber zu sagen, dass in absehbarer Zeit, etwa bis Mitte nächsten Jahres mindestens 50 Wohnungen zur Verfügung der Verwaltung stehen müssten. Das war fast die Hälfte. Der Kaufmann hatte guten Wind gehabt.
In Arbeitsfriede wollte man erst im Anfang das Ganze gar nicht glauben. Das zerstörte mit einem Schlage alle Hoffnungen. Es zeigte, wie machtlos und wie arm sie waren. Es war alles aus. Und es schien wirklich, dass die Leute sich wieder schlafen legen wollten und sich in ihr Schicksal bescheiden. Wirklich wäre es auch noch so gekommen, wenn nicht die sofortige Räumung der geforderten zehn Stellen auf Schwierigkeiten gestoßen wäre. Auch mit der Einquartierung hatte man sich schließlich abgefunden. Aber die Wohnungen kamen nicht zusammen. Es wurden nur sechs. Zwei wurden an sich frei, darunter Merkels, zwei wollten freiwillig ziehen und einige wären bereit gewesen, zusammenzuziehen, so dass noch zwei weitere frei wurden. Das hatte sich der Kaufmann, der von Haus zu Haus gelaufen war, schon überschlagen. Aber weiter kam er nicht und er fand auch keinen Ausweg, der nicht die düster gewordene Stimmung zum Explodieren kommen ließ. Und sie explodierte. Man ließ sich noch drei Tage Zeit, ehe der Bewohnerausschuss sich schlüssig machen wollte. Der Vorstand hielt sich vorsichtig im Hintergrund. Zwar hatten die Organisationen, mit denen die Verhandlungen noch schwebten und die man schnell angerufen hatte, nur einen ausweichenden Bescheid gegeben. Es stand doch fest, dass ihre Pläne verwirklicht würden, aber man braucht dafür Zeit, das ging nicht von heute auf morgen zu bestimmen. Aber sie wollten ihr Möglichstes tun. Sie sagten aber nicht bestimmt, was die Arbeitsfrieder tun sollten. Auch die Nachbarkolonien kamen zusammen und berieten. Neue Leute wurden zu Verhandlungen in die Stadt geschickt. Man hörte nichts Genaues.
Das war die Zeit, die die Arbeitsfrieder brauchten, sich zurechtzufinden. Dann brach die Wut los. Der Kaufmann hatte sie schon lange kommen sehen und sie ging auch ihm zuerst an den Kragen. Man setzte ihm schlankweg den Stuhl vor die Tür. Er solle als erster machen, dass er fortkomme. Sie ließen nicht mit sich reden. Das wurde beschlossen und ihm gedroht, er solle erst weiter keine Schwierigkeiten machen. Der verstand. Sie beschlossen in einer stumpfen Erbitterung, ohne viel Lärm, sich um den Brief nicht zu kümmern. Wer ziehen wolle, könne ja ziehen, der Regierung würden sie aber noch eine ganz andere Antwort geben. Es war ja noch drei Wochen hin. Partei und Gewerkschaften mussten in Bewegung gesetzt werden. Die schleunige Vereinigung mit den anderen Siedlungen wurde beschlossen, und für nächsten Sonntag eine große öffentliche Versammlung festgesetzt. Es stimmte niemand dagegen, aber einige enthielten sich doch der Stimme. Darauf achtete niemand. Sie hatten jetzt jeder alle Hände voll zu tun. Noch am gleichen Abend nach der Sitzung gingen einige zu den Nachbarorten, andere fuhren noch mal nach der Stadt. Es brannte.
Das Gebäude der Landesamtmannschaft, in dem dieser Fall entschieden wurde, war ein großer klobiger Steinwürfel, kahl und glatt. Und nach allen Seiten streng geschlossen. Eine gewaltige Kraft von außen musste ihn scheint’s zusammenhalten. Drinnen waren unzählige Zimmerwürfel derselben Art, die ineinander geschachtelt und aufeinander gepresst waren, und jeder dieser Büroräume glich dem andern aufs Haar. Es muss schon eine ungeheure Kraft sein, die diese Zellen unter Druck hält. Denn würde sie nachlassen, so würden die Würfel empor- und auseinanderschnellen, die steinernen Eckpfeiler sprengen und sich über das ganze Land ergießen und alles mit Papier und Tinte überschwemmen.
In solchem Zimmer saßen die jungen Schreiber an dem langen Tisch in der Mitte, vor Registratoren längs der Wand an den hohen Pulten, zu denen sie sich auf einem spitzen Sessel heraufschraubten, um dann mit hohem Buckel darüber zu hocken. Die Sekretäre dagegen saßen an den Sekretär- oder Schreibtischen und stierten sich einander feindlich und bohrend an, oder lächelten sich boshaft zu, wenn eine Schwäche, ein falscher Ton des andern offenbar wurde, oder pafften sich, wenn sie nach Büroschluss weiterarbeiteten, so um zu zeigen, wer es am längsten wohl aushalte, den Tabakrauch ins Gesicht. Aber sie hatten nur eine gleiche Miene und Kopfbewegung der Verachtung gegen das übrige Personal, wenn diese sich erfrechten, ihr Nichtwissen und ihre Interesselosigkeit dadurch zu bekunden, dass sie eine Frage stellten oder vergleichsweise beraten sein wollten. Dann zogen sie die Stirne kraus und die Nase wurde spitz und der so Angeredete merkte es sich genau, um es sofort wiederum bei seinen Untergebenen nachzumachen. Ein besonderer Mann für sich war allerdings der Bürodiener, und da niemand ihn weder prüfend noch strafend anzusehen wagte, hätte man denken können, er sei der Oberste. Aber das kam daher, weil man ihn überhaupt nicht beachtete. Außer dass man ihm ein paar freundliche Worte gab, halb scherzend, halb mahnend, so wie es das Volk liebt, wenn er das Frühstück holen sollte. Denn dafür war man ein gebildeter und anständiger Mensch. Dieser brave Mann saß auf einem Schemel an der Tür und wartete bis man ihn rufen würde, eine Feder war abgebrochen, ein Staubkorn im Tintenfass oder der Schreibsessel durchgesessen und die Rohrstangen stachen spitz empor. Dann erledigte er die Sachen, schweigend und in gebührender Hochachtung. Es war meistens schon ein älterer Mann, denn für solche Leute kamen nur erprobte altgediente Leute in Frage, auf die man sich verlassen konnte. Draußen war unser Mann aber umgewandelt. Er trug den Kopf höher und empfing etwaige Besucher, Frage- und Bittsteller, die in das Zimmer wollten, mit souveräner Verachtung. Er maß sie mit einem durchforschenden Blick von oben bis unten und hatte genügend Selbstbeherrschung in der Reihe von Dienstjahren gelernt, sie nicht von vornherein anzuschreien und rauszuwerfen. Er hörte sich ruhig an, was sie ihm vortrugen, wohin sie wollten, und alles das, und schüttelte dann nur mit dem Kopf. Während des Dienstes
sind die Herren nicht zu sprechen. Und dann hatte er eine großartig ruhige Armbewegung, damit warf er die Eindringlinge hinaus. Blieb nun einer stehen, wollte noch was erklären, nochmals dringender vorstellig werden — der Diener ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er verzog keine Miene, schweigend und von allen unberührt wies er sie hinaus. Das ist Dienst! Das ist der deutsche Beamte, treu in der Stupidität, unzugänglich in der Vernunft und gewissenlos gegen das menschliche Leben, denn der Dienst steht ihm höher. Darauf beruhte dieser Staat. So ging es auch bei den drei Arbeitsfriedern, die sich nach ihrer Sache erkundigen wollten, um persönlich der Behörde die Beschlüsse der Vollversammlung mitzuteilen. Sie hofften, damit wenigstens einen Aufschub zu gewinnen. Aber sie kamen nicht mal bis zum Vorzimmer. Schon der Sekretär empfing sie nicht. Das übrige besorgte der Diener. Den Leuten riss die Geduld. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten sich gewaltsam Einlass erzwungen. Aber sie wussten ja nicht bei der Unmenge der gleichen Büros, an wen sie sich wenden sollten, und außerdem waren sie da, um noch im guten Zeit zu gewinnen. Aber dieser letztere Gedanke verlor allmählich an Durchschlagskraft. Sie begannen laut zu schimpfen, dass es in den Korridoren nur so schallte, und manche typische Beamtenbeleidigung, für die in Deutschland der Strafrichter zuständig ist, war dabei. Aber niemand rührte sich, keine Tür tat sich auf. So gingen sie schließlich wieder. Unbefriedigt, dass sie einen von diesen Kerlen nicht unter die Finger bekommen hatten. Den meisten drinnen indessen war höchst friedlich zu Mute. Das kam jetzt alle Tage vor, dass Leute von dem aufgehetzten Volk kamen und draußen Krach schlugen. Das gab sich wieder. Sich mit solchen noch hinstellen und reden, das wäre unter ihrer Würde gewesen. Und sie zogen ein neues Aktenbündel aus dem Schrank, blätterten sorgsam und vertieften sich dann in die letzte Verordnung.
Der Sekretär, der die Sache bearbeitete, war als einziger vielleicht etwas in Aufregung. Er hatte vergessen, seinem Chef, der die erledigten Fälle unterschrieb, davon Mitteilung zu machen, dass eine Antwort von der Vereinsleitung noch nicht eingegangen war, obwohl bereits am Tage vorher die Anweisung an die Militärbehörde für die Einquartierung herausgegangen war. Er hätte doch jetzt wissen mögen, was die Leute vorzutragen beabsichtigt hatten, denn er brauchte diese Antwort in seinen Akten. Er nahm jetzt ziemlich missmutig, was sein Gegenüber lächelnd bemerkte, die Akten, und ging dann durch die Zimmer einen langen Weg von einem ins andere, um persönlich seinem Chef von dem Stand der Dinge und dem Vorgefallenen Mitteilung zu machen. Er hatte ein gewisses beklommenes Gefühl. Und nachdem er geraume Zeit gewartet hatte, wurde er vorgelassen. Er kam sehr bald mit einem roten Kopf wieder heraus. Es gelang ihm nicht, diese Röte ganz zu verbergen, als er an seinen Platz zurückkam. Der Kollege ließ sich das natürlich nicht entgehen und fing vorsichtig davon an, wie sich die Zeiten doch geändert hätten. Damit lockt man einen am besten raus, dem etwas Unangenehmes passiert ist Und der andere fing auch sogleich an, dass der Beamte heute nur eine geringe Unterstützung noch an der Regierung hätte. Die Regierung zeige nicht mehr genügend festen Willen gegen den Pöbel, der damit immer frecher werde. Die Anweisung an die Militärbehörde soll zurückgezogen werden und er hat sich wunders wie dabei angestellt und ist noch grob geworden, als ich ihm sagte, er habe sie doch gestern selber unterschrieben. Man soll sich nicht in die Sachen dieser Narren mischen, das ist mein Grundsatz jetzt, mögen sie damit selber zurechtkommen. So sprach der, und er musste einen gehässigen Anschnauzer gegeben haben. Diesmal aber verständigten sich die beiden Kollegen bald. Sie hatten zu wenig Grund, sich gegenseitig die Wut der Vorgesetzten zu gönnen. Der Fall lag ernster und solche Sachen häuften sich jetzt. Es war notwendig, auch nach außen mehr zusammenzuhalten. Die Narren von der Regierung waren nur noch eine geringe Stütze. Sie entschieden bald so, bald so, und wurden sie angegriffen in der Öffentlichkeit, die auf einmal so gehätschelt wurde wie nie zuvor, so schoben sie es auf die nächste Dienststelle ab und diese ebenfalls weiter, bis es auf dem Sekretär hängen blieb. Der bekam dann die ganze Wut zu kosten. Es war wirklich besser zusammenzuhalten, und als solcher Block die Regierung selbst erst wieder zu stützen. In diesem Sinne war eine Bewegung unter ihnen im Gange. Im Grunde genommen, war es unerhört, nie hatten sich bisher die Beamten mit Politik beschäftigt, außer dass sie gelernt hatten zu dienen und den Chef in der dritten Person anzureden. Aber die wirtschaftliche Not räumte schlimm unter ihnen auf. Man sah ordentlich, wie die Altgedienten abstarben. Als Vorläufer des Staatszusammenbruchs. Eine schwere Prüfungszeit war über die Sekretäre gekommen. Und dabei wollten sie sich nicht eingestehen, dass die Familien längst verelendet sind, dass sie selbst Volk und Pöbel geworden sind — das verlangt Treue, Diensteifer und heilige Einfalt. Und so sprachen die beiden und schüttelten sich die sorgenschweren Köpfe zu. Ja, ja sagte der eine, es sind dunkle Kräfte am Werk.
Die Kunde davon, dass etwas für die Arbeitsfrieder getan werden müsste, lief schneller durch die Fabriken als es die Wankelmütigen und wie man leider sagen muss die Erfahrungsreichen erwartet hatten. In einem größeren Eisengießerei-Betriebe traten in der Pause die Belegschaften zusammen und besprachen den Fall. Was werden unsere Organisationen dazu tun, hieß es. Und ein Gewerkschaftsbeamter, der von den Verhandlungen wusste, erstattete den Bericht, und dass die Gewerkschaften die Siedlungsfrage überhaupt zu einer politischen Frage aufrollen werden. Es muss Dampf dahinter gemacht werden, meinten einige. Wir müssen endlich anfangen damit aufzuräumen. Wir wollen bessere Wohnungen, wie das Vieh sind wir in unsere Löcher eingepfercht. Diese Siedler haben das richtig erfasst. Jetzt kommen die Beamten und wollen uns das wegnehmen. Die Polizeigarden möchten sie unterbringen, man weiß, wo das hin soll. Und eine Entschließung wurde angenommen, die zur Unterstützung der Arbeitsfrieder die Verbände mit allen Mitteln und ungesäumt aufforderte. Damit wir nicht wieder zu spät kommen, wenn die Kollegen schon auf der Straße liegen, wurde gesagt. Und als sie wieder bei den Feuern standen, war es jedem klar, dass die Arbeitsfrieder einen richtigen Weg gegangen waren. Natürlich, dachte mancher, so muss man eine Sache anfangen. Sich selbständig und kräftig machen, dann kann man besser kämpfen und dem Unternehmertum die Zähne zeigen. Nur Rückhalt muss man haben, dass man es auch aushalten kann. Die Gewerkschaftsbeamten waren auf einmal dabei die eifrigsten, sie witterten den neuen Agitationsstoff. Sie verschwiegen wohlweislich, dass sie selbst die Verhandlungen, vielleicht nur aus der Schwerfälligkeit ihrer Organisation, vielleicht weil wichtigere allgemeine politische und wirtschaftliche Fragen zu erörtern gewesen waren, so lange hinausgezogen hatten, dass es fast schon zu spät war. Es erschien allen als ein sofort zu verwirklichendes Ziel, auch für die Besserung der Wohnungsbedingungen zu kämpfen und die Siedlungsfrage von Seiten der organisierten Arbeiterschaft in die Hand zu nehmen und selbständig zu lösen. Man muss zugeben, dass bisher die Siedler unter den Kollegen nicht gerade leichten Stand gehabt hatten. Ein Teil hielt sie für Abtrünnige oder auf dem besten Wege dazu es zu werden. Man hat leicht den Eindruck, das sind Leute, die was Besseres wollen, in dem Sinne: sie gehören nicht mehr alle zueinander — eine besondere Masse für sich. Zum Teil war auch in der Siedlung viel Schwarmgeisterei, anarchistische Duselei und Querköpfigkeit. Manchem leuchtete dabei so ein spießbürgerlicher Gedanke durch wie den Leuten die Vereine gründeten gegen das Trinken, Vegetarier, Stemmathleten und sonstiges Zeug. Einer war sogar mal unter ihnen, der wollte sich nur von Körnern nähren — er sah auch danach aus. Das alles spukte in den Köpfen, und der Arbeiter hat eben wenig Zeit, sich richtig alles durchzudenken und zu überlegen. Was sie heute von Arbeitsfriede gehört hatten, das sah alles ganz anders aus. Damit ließ sich was anfangen. Sie bekamen ordentlich selber Lust, noch mal so etwas anzufangen. Und manch einer kam nach Hause und empfand jetzt das Elend doppelt schwer. Die Frau hockt in der engen Küche, vier Kinder drum herum, auf der Erde, auf und unterm Tisch, im Kohlenkasten und er muss aufpassen, dass er nicht so einen Menschenwurm zertritt. Denn daneben ist zwar noch eine Stube, da steht aber der Schrank, die beiden großen Bettstellen und zwei Kinderbetten, wer soll sich darin noch aufhalten. — Da sagt einer: Weißt Du Alte, wir werden uns draußen auch so einem Bauverein anschließen. Du bist wohl ganz verrückt, was? Na, warum denn, draußen ist mehr Platz, die Kinder können sich bewegen, und einen kleinen Garten haben wir auch dabei. Na und arbeiten, da willst Du wohl nichts mehr von wissen? Quatsch, die andern arbeiten doch auch, und schließlich auf die halbe Stunde Fahrt kommt’s nicht an, so lange brauche ich jetzt auch. Lass Dir nur nichts wieder in den Kopf setzen — die
Weiber müssen doch immer nörgeln. Wenn es zu weit wird, dann sollen sie ihre Buden weiter rauslegen. Denen ist es doch egal, wo sie stehen. Sollen sie sie da hinstellen, wo jeder von allen Richtungen bequem hinkann. Wir haben doch zu fordern, denn wir sind doch diejenigen, die arbeiten, nicht? Die Frau überlegt sich die Sache. Eigentlich hat er nicht Unrecht, wenn er bloß nicht wieder bloß Flausen macht — und sie sieht ihn von der Seite an. Der aber schlingt seinen kärglichen Fraß in den hungrigen Bauch. Ja, ja Alte, das wird gemacht. Die Verbände werden sich der Sache annehmen, höchste Zeit.
So wurde es schnell zur Selbstverständlichkeit, dass für die Arbeitsfrieder in Zusammenhang mit der gesamten Frage etwas getan werden müsse. Es traf sich auch noch besonders günstig. Die Verbände verknüpften eine besondere politische Absicht damit. Sie konnten die Regierung aus einer Position drängen, sie zwingen nachzugeben und gewannen damit die Plattform, hinter dieser Frage versteckt zu einem größeren politischen Schlage auszuholen. Es kam ihrer politischen Führung sehr gelegen. Und sie traten daher mit größerem Gewicht dafür ein, als sie vielleicht dem Fall selbst zumaßen. Es ist ja im Sinne dieser Politik nicht notwendig, dass der einzelne Arbeiter alle Fäden kennt. Und sie hetzten jene kriegerische Entschließung schnell durch alle Betriebe.
Beim Gastwirt hatte sich hoher Besuch eingefunden. Ein Feldwebel mit seiner Frau hatte den Weg aus der Stadt nicht gescheut, sich die Gegend draußen mal anzusehen und zugleich den Quartiermeister zu spielen. Er war mit bei dem Kommando und wollte der Frau zeigen, wie sie in der Lage waren, sich die beste Wohnung auszusuchen. Die älteren Militärbeamten haben immer den leisen Verdacht, sie werden von ihren Frauen verachtet. Sie sind das Befehlen gewohnt, von der Kaserne und dem Depot her, und zu Hause, hört das meist sehr schnell auf. So einfach lassen sich die Frauen nicht befehlen, besonders wenn sie an ihren Männern sehen, dass deren Macht auf sehr tönernen Füßen steht. So entsteht für diese leicht die Gefahr, sich lächerlich zu machen, und meist werden sie dann auch als aufgeblasene Scharlatane und Maulhelden entlarvt und sind froh, wenn die Frau nicht allzu schwatzhaft ist. Es ist dies ein in der Entstehungsgeschichte der früheren Militäranwärter notwendiges Missgeschick, das man bei der Mehrzahl unserer Beamten heute noch verfolgen kann. Solcher lässt natürlich keine Gelegenheit vorübergehen, seine Machtbefugnisse ins rechte Licht zu setzen. Zudem bekam die sozusagen Dienstreise den Charakter eines angenehmen Ausflugs. Der Frau gefiel die Gegend schon aus dem fahrenden Zug heraus. Der Gastwirt war auch gerade der richtige Mann für die Einholung von Erkundigungen. Nicht nur hatte er sehr bald begriffen, worum es sich handelte, sondern er behandelte die beiden als liebwerten Besuch aus der Stadt, und nicht so sehr als Gäste, wodurch der Feldwebel manches sparte und dabei doch auf seine Kosten kam. Denn jeder Polizeisoldat trinkt und insbesondere der Wachtmeister. Und wenn es nur seiner Uniform zu Ehren und für den guten Ruf ist. Niemand will Spaßverderber sein, und wer einen ausgeben will, dem sagt kein ehemaliger Feldwebel nein, sondern er sorgt lieber dafür, dass der andere dafür das rechte Verständnis bekommt. Lassen wir das es gehört schließlich nicht hierher. Jedes Volk hat die Büttel, die es sich selber bestellt. Der Wirt war mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden. Er beschrieb alles, so gut er es wusste und allzu viel war das nicht und dachte bei sich, die Hauptsache ist, dass Ruhe und Frieden bleibt, und er nahm sich selbst vor, wo es ginge den Vermittler zu spielen. Sein Lokal wäre dafür der geeignete Ort. Er vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, was dem Feldwebel auch einleuchtete. Nach einigen weiteren Schnäpsen waren sie soweit, dass der Feldwebel ein paar Prozente erhandelt hatte von dem, was die Mannschaften beim Wirt vertranken. Er wollte besondere Abende veranstalteten, denn der Wirt machte einige Schwierigkeiten. Er wusste genau, dass sich die Mannschaften nicht mehr so am Gängelbande führen lassen, wie früher. Dafür sind es jetzt aber ganz junge vom Lande, sagte der andere, und dann haben sie auch Geld genug. Wenn Sie nicht wollen, machen wir selber eine Kantine auf. Das zog schließlich. Und sie wurden wieder ein Herz und eine Seele. Die Frau hatte sich unterdessen im Hause umgesehen und war auf die Wirtin gestoßen, mit der sie sich des langen und breiten unterhielt.
Vieh unterhielten die Wirtsleute zwar nicht, auf Milch und Butter und so etwas war nicht zu rechnen; dafür hatten sie andere Quellen, und Versprechungen nach dieser Richtung wurden viele gemacht. Wenn wir Gäste genug haben, dass sich auch warme Küche lohnt, denn wissen Sie, hier draußen kann man daran etwas verdienen, denn schließlich müssen wir doch andere Preise nehmen wie in der Stadt, dann fällt schon etwas ab, verlassen Sie sich darauf — und sie schieden in bestem Einvernehmen. Ein gut Teil der Zeit, die sie zur Verfügung hatten, war schon vergangen, aber gut angebracht. Soweit war alles klar. Sie wanderten jetzt behäbig und einträchtig, gut genährt und getränkt, zufrieden mit sich und dem Herrn, der sie auf die Welt gesetzt und ihnen einen wichtigen Posten gegeben hatte, Arm in Arm die Straße entlang und der Kolonie zu. Die ersten Häuser traten ihm entgegen, die Kiefern oben am Berg verneigten sich, die Wiese lächelte ihnen freundlich zu, und ein Zicklein meckerte zum Willkommen. Das war die Welt, die ihnen offen stand.
Man muss sagen, dass es ihnen ausnehmend gut gefiel. Die Häuser schienen zwar ein wenig zu klein, doch sahen sie anders aus als ihre Baracke, in der sie zwei Zimmer hatten, Gott sei Dank haben sie keine Kinder. Die Gärten waren auch dürftig. Die Obstbäume sahen ja noch aus wie die reinen Ziersträucher. Und die Erdbeeren überall so verwildert der Boden war wohl nicht gut. Man muss halt sehen, zu tun wird es genug geben, und solcher Seufzer mehr. Die Luft war rein und frisch. Es ließ sich aushalten. Nur nicht zu viele von den Kameraden hier. Du musst sehen, dass Du die möglichst in die weitere Umgebung legst, sagte die Frau. Da gibt es ja noch mehr solche Siedlungen. Selbstverständlich, er wird sich seine Leute nicht zu nahe auf den Hals laden.
Im Verwaltungsgebäude, das ihnen genau beschrieben war, und auf das sie jetzt zuschritten, war Totenstille. Die Glocke schrillte zwar und nicht zu knapp, denn mit der Zeit lernt man wie man auftreten muss, wenn man sich gleich von Anfang an gut einführen will — aber es öffnete niemand; unter Brummen über die Lotterwirtschaft machten sie sich selbst auf. Sie blieben im Flur stehen, aber es zeigte sich keine Seele. Denn es war niemand da. Sie warteten und traten dann zur rechten Hand in den Büroraum; es sah alles sauber und aufgeräumt aus, machte einen freundlichen anheimelnden Eindruck, aber von Arbeit schienen die hier wenig zu halten — wird anders werden, brummte der Gewaltige. Und sie standen noch eine Zeit, die Frau hatte sich schon gesetzt und warteten, sprachen erst leise, dann lauter und heftig über die Art der Leute, das Haus ohne Aufsicht zu lassen. Schließlich war kein offenkundiger Grund vorhanden, jemanden besonders dafür verantwortlich zu machen. Wenn ich das gewusst hätte, würde man sich haben anmelden lassen und sie warteten noch wieder eine Zeit, denn wenn man schon einmal da ist, soll man es auch ausnützen. Vielleicht kamen ihnen andere zuvor, durchs Haus zu gehen trauten sie sich nicht. Endlich sagte die Frau, sie wird mal in die Nachbarschaft gehen und sich erkundigen, jemanden wird sie doch finden. Der Mann blieb. Es war in den frühen Nachmittagsstunden. Es konnte noch mehrere Stunden dauern, bis die Männer aus der Arbeit kamen. Das war ein verwünschtes Hindernis. Er lief missmutig auf und ab. Abends hatte er wieder Dienst, und wer weiß, ob er noch mal rauskommen konnte bis zur Übersiedlung. Ab und zu stampfte er auf, er war doch dazu hier, sich sein Haus anzusehn und Angaben für die antsprechende Herrichtung zu machen. Pech. Da kam seine Alte wie eine wütende Sau angeschossen. Sie schrie schon von weitem, sie war noch gar nicht im Hause: Friedrich, Friedrich — das sind ja hier nette Leute. So ein Pöbelvolk, um Gotteswillen, Friedrich — willst Du denn nicht herauskommen, und die Töne schraubten sich wie bei der Klarinette immer weiter nach oben. Und Friedrich stürzte aus dem Haus. Was war, was war, wer hat et cetera. Das eine Weib hatte die Tür vor ihr zugeschmissen, und eine andere, der sie sagen konnte, warum sie überhaupt hergekommen wären, hätte furchtbar angefangen zu toben und diese Ausdrücke, Friedrich — mir zittern noch die Knie, jammerte sie. Und aus dem Nachbarhaus, die hat gleich rausgeschrieen, sie wird mir einen Topf kochendes Wasser auf den Kopf gießen, und dann der Haufe Kinder, der gleich da war. — Und Friedrich, um zunächst Umschau zu halten, sich zu zeigen, trat mitten auf die Straße und sah nach den Häusern. Aber er sah noch nicht richtig, da traf ihn schon ein Ballen Pferdemist mitten ins Gesicht. Dann hagelte es nur so, auch Steine darunter und lautes Johlen. Die Frau schien zu denken, jetzt greift er ein. Ja, wie soll er das.
Er fluchte zwar und schrie wilde Drohungen, aber soll er gegen das ganze Dorf, er allein jedes Haus stürmen, wie sieht das aus. Nun, Friedrich, schrie die Frau. Friedrich aber stieß sie in die Seite, nicht zu sanft. Nu mach, dass Du weg kommst. Du siehst doch, wir können doch jetzt nichts machen. Und als sie noch den Mund vor Staunen offen hielt, vielleicht noch was sagen wollte, da hätte er sie beinahe in die Fresse gehauen. Je mehr er gegen die Jungens und den Ort, desto lauter schrieen die. Alle Morgen kam der Milchfuhrmann. Es war genug Mist da. Und im Garten Steine. Die Frau kreischte hoch auf, als ihr einer direkt an den Schädel flog. Es nutzte nichts, dass der Mann fortwährend seinen Säbel in der Hand hielt, das sah lächerlich aus. Und sie schimpften sich und stießen sich und drängten einander, bis sie außer Wurfweite waren.
Zur gleichen Zeit ereigneten sich in der Stadt die Vorfälle, deren nächstfolgenden Wirkungen nach das Schicksal von Arbeitsfriede entschieden werden sollte. Alles war so überraschend, aber das Überraschende ist zumeist das Gute. Schon seit einigen Tagen spielten sich täglich vor dem städtischen Obdachlosenasyl stürmische Auftritte ab, namentlich in den Abendstunden, wenn das Asyl wegen Überfüllung geschlossen worden war, und viele Hunderte, die vergebens anklopften, wieder umkehren mussten. Viele schickten sich aber auch an, draußen auf der Straße, vor den geschlossenen Türen ihr Lager aufzuschlagen. Denn für diese fiel am Morgen noch eine warme Suppe mit ab. Die hielt für manchen den Tag über vor. Die Polizei musste dann mehrmals in der Nacht einschreiten und die Straße säubern. Die Bewohner der umliegenden Straßen und Häuser hatten sich so daran gewöhnt, dass diese Vorfälle, die häufig nicht ohne kleine Schießereien abgingen, kaum mehr ihre Aufmerksamkeit erregten. Niemand sah deswegen auch nur zum Fenster hinaus. Es war eben etwas Alltägliches.
An diesem Tage war ein größerer Trupp Schachtarbeiter, eine besonders zusammengestellte ausgesuchte Kolonne aus dem Westen, durch die Stadt durchgekommen, um mit noch anderen Kolonnen zusammen, die hier zusammentreffen sollten, weiter rauf nach Norden zu fahren, wo umfangreiche Neuschürfungen vorgenommen werden sollten. Die Arbeit war schwer, besonders wegen der damit verbundenen Strapazen, sie schliefen in Zelten oder halbverfallenen Bretterbuden und die Verpflegung war schlecht, da sie fortwährend von einem Ort zum andern wechselten, der Unternehmer selbst die Verpflegung nicht in die Hand nehmen wollte, und die Gegenden, zu denen sie kamen, durch Schleichhändler vollkommen ausgeplündert waren. Der Lohn ging nur für das Allernotwendigste bis auf den letzten Pfennig drauf, obwohl er an sich zahlenmäßig nicht zu gering war. Es waren Arbeitslose aus den Industriezentren, Leute ohne Familie und oft ohne feste Wohnung, die diese Arbeit angenommen hatten. So dachte der Kontrakt, denn die meisten verschwiegen, dass sie daheim Frau und Kinder noch beim menschenfreundlichen Kollegen, der zufällig besser dran war, untergebracht hatten — bis sich die Verhältnisse geändert und Wohnung und Arbeit an Ort gebracht hätten. Für diesen Trupp war schon vorher Quartier belegt worden, sodass sie ohne Schwierigkeit hineingekommen waren. Die ganze Nacht hindurch hatten sie den Lärm gehört. Die Schlafsäle waren gestopft voll und die Aufseher trieben — die zerlumpten und heruntergekommenen Menschen waren so entkräftet und verhungert, so verzweifelt und stumpf — die Wärter verstanden es doch, noch die letzten Bettelpfennige aus ihnen herauszupressen. Da gab es noch, wenn man überhaupt davon sprechen kann, geringe Bequemlichkeiten, die sie sich kauften, und wer gar nichts hatte, dem konnte es blühen, dass er zuguterletzt doch noch herausgeworfen wurde, wenn hintenrum noch zahlungskräftige Bekannte kamen. Die Stimmung in solchen Sälen ist von einer den Gesunden tief niederdrückenden Hoffnungslosigkeit. Sie pressen sich alle so aneinander, als müssten sie sich gemeinsam gegen die rohe Außenwelt schützen. Aus dem Flüstern der Hunderte, die mit einem vielmals gebrochenen, deswegen aber nicht weniger lebendigen Interesse nach den Wanderungen des Tages sich nähern und Erfahrungen austauschen, wird ein gleichmäßiges Summen, das durch Mark und Bein geht, das Blut vergiftet und in wilder Wut in die Stirn treibt und das dich mit einem Gefühl der Nutzlosigkeit und Ohnmacht umgibt, das dich auf der einen Seite aus- und unterhöhlt, auf der andern aber in dir Erbitterung anschwellen lässt, die nicht explodieren kann, ein eiserner Ring legt sich um dich, der wie Feuer an die Eingeweide brennt.
So lagen die Arbeiter und grübelten und ballten die Fäuste, die Brust presste sich zusammen, und sie konnten keinen Schlaf finden. Bald werden sie auch so sein, wie diese Unglücklichen, die sich nicht mehr wehren können, ausgemergelt und verbraucht, verdammt. Und als am Morgen nach der Suppe das große Ausräumen war, wie da die Leute, die noch zu entkräftet waren, sich richtig auf die Beine zu stellen, angepackt und mit einem Stoß auf die Straße geworfen wurden, da konnten die andern nicht mehr an sich halten. Der eine riss so einen Aufseher von seinem Opfer weg, dass dieser mit einem lauten Krach an die Wand schlug. Der pfiff zwar sofort, und von allen Seiten stürzten welche zu. Diesmal hatten sie aber andere Leute vor sich. Die Kolonne war gut sechzig Mann stark und sie waren alle wie ein Mann auf den Beinen, als ob sie sich verabredet hätten. Als das Personal nun sah, dass der Kampf sehr ungleich sein würde, verlegten sie sich aufs Schimpfen, mit solchen Landstreichern und Gesindel, denn was seien sie denn anders, würde man schon fertig werden und so. Es war schon soweit, dass der Trupp auf dem Hof stand und abrücken wollte, es fehlten noch ein paar Mann, da rief einer davon noch von drinnen im Saal. Über den waren jetzt die Wärter hergefallen und bearbeiteten ihn, dass er über und über blutete. Nun ging alles nochmals rein. Die Pförtner, die sich widersetzen wollten, wurden niedergeschlagen und die Kämpfenden hatten nicht genügend Zeit auseinander zugehen, da fielen schon die ersten Hiebe. Mit Schemeln und Eisenstangen, die sie von den Pritschen rissen, hieben sie aufeinander los. Bis die Polizei erschien. Aber die zwei Wachtmeister machten bald, dass sie davonkamen, nachdem dem einen, als er das Maul auftun wollte, der Helm über die Nase weg eingetrieben worden war. Der Lärm pflanzte sich über das ganze Straßenviertel fort. Ein dicker Knäuel Menschen ballte sich vor dem Eingang zum Asyl. Die Bettler, die Zerlumpten, die Tagediebe und Strauchritter, die Blinden, Lahmen und Krüppel, alle standen sie noch davor, fiebernd und doch zu schwach an Mut, sich mitten hineinzustürzen zwischen die Kämpfenden. Aber das Leben auf der Straße ging seinen gewöhnlichen Gang. Das kam schließlich mehr oder weniger alle Tage vor, die Leute, die ihrem Geschäft nachgingen, hasteten daran vorbei.
Bis schließlich eine Hundertschaft Militär erschien und den Straßenzug absperrte. Und im Laufschritt kam eine Abteilung auf das Asyl zu und drang ein. Eine andere machte ein Maschinengewehr schussfertig, an der nächsten Straßenkreuzung. Da wurde es drinnen ruhig. Es dauerte eine ganze Weile. An den Absperrungsposten begannen sich jetzt Leute zu sammeln. Dann kam ein Trupp Militär heraus, die in ihrer Mitte etwa zehn Arbeiter gefangen abführten. Sie marschierten nach dem nächsten Polizeibüro. Dann wälzte sich in nur geringem Abstand die Masse der übrigen hinterher. Den Kern bildeten die Kollegen aus der Kolonne. Sie schoben die andern vor sich her und drängten sie beiseite. Geh, Alter, sagte einer zu einem Blinden, dessen Schild über die Brust hin und her schaukelte und der wohl die Richtung verloren hatte, mach Platz, sonst verschwinden die da nach vorn — und er wollte ihn auf die Seite ziehen. Der Blinde aber blieb hartnäckig stehen und wollte nicht weichen. Nehmt mich nur mit, stammelte er, ich will’s denen schon erzählen, wie sie’s treiben da drinnen. Und sie fassten ihn rechts und links unterm Arm, er marschierte mit. Und hinter ihm her kam all das Volk, das in Elend war, und obwohl sie eher still waren und keiner laut rief oder schrie, war doch ein Brausen in der Straße von dem dumpfen Gemurmel, dass die Leute oben an die Fenster liefen. Es lag so eine ganz andere Stimmung in der Luft.
Die Festgenommenen wurden in das Revier geführt. Das Tor wurde geschlossen. Es war ein ziemlich breites und hohes Tor, eine Torwand, wie man sie bei Gefängnissen häufig findet. An der einen Seite war das Maschinengewehr wieder in Stellung gebracht. Auf der Straße selbst, auf dem Steig vor dem Haus blieb ein Doppelposten. Die Fenster des zur ebenen Erde gelegenen Büros wurden geöffnet und Soldaten schauten heraus. Mit drohenden Mienen und bereit, von der Waffe Gebrauch zu machen.
Es sollte ein Protokoll aufgenommen werden. Wärter waren auch mit drinnen. Kamen auch noch neue nachträglich hinzu. Von den andern draußen wurde niemand mehr eingelassen. Nun lasst nur, sagten die andern, vorläufig wollen wir doch erst mal abwarten, was es drinnen gibt.
Die Soldaten hatten einfach die ersten besten rausgegriffen und mitgehen heißen. Gewiss, wollten die das, denn sie waren ja im Recht. Das ging alles sehr schnell. Da sie ihnen gleich die Gewehrläufe vor die Nase gehalten hatten, wäre ja Widerstand unnütz gewesen, und Warnung auch. Das wird sich schnell klären.
Aber die draußen standen schon einige Stunden. Es rührte sich nichts. Und die Menge schwoll an.
Die Menge schwoll ganz bedenklich an. Es waren schon viele Hundert Leute draußen vorm Revier. Viele wussten schon gar nicht mehr, worum es sich handelte. Gerüchte gingen, die von ganz anderen Dingen wissen wollten. Es zeigte sich auch von drinnen nichts. Kein Lebenszeichen kam als das Glotzen der Soldaten, die Schimpfereien der Posten, die die Leute vom Bürgersteig trieben. Der Versuch, die Straße ruhig frei zu bekommen, war misslungen. Der Aufforderung, auseinander zu gehen, war niemand nachgekommen. Sie hätten schon schießen müssen. Dazu traute sich der Offizier noch nicht. Vielleicht wurde die Aufregung nur noch größer. Er hatte auch keinen direkten Befehl. So verging noch einige Zeit.
In nächster Nachbarschaft war eine große Lampenfabrik, eine Belegschaft von mehr als 1000 Mann. Das Gerücht war schon nach oben gedrungen, dass auf der Straße was im Gange sei. Noch dachte man, es handelt sich um eine der üblichen Razzien. Es sind soviel Lumpen bei dem Auflauf, hatte man berichtet. Der Arbeiter verachtet noch diejenigen, die ohne Obdach sind. Das muss der Mensch sich doch wenigstens schaffen können, sagen sie; eine billige Lösung.
Unten die Menge schwoll an. Einige fingen schon an zu drängen. Einzelne Pfiffe. Wie Sirenen. Die Fenster wurden zugemacht.
Was geschieht denn mit den Leuten, schrieen welche. Sie sind doch in ihrem Recht. Lasst sie nur mich fragen. Die anderen Kollegen traten jetzt schon unruhig hin und her. Der Spaß wurde ernst, was soll das. Niemand zeigte sich. Die Fenster sind dicht. Kein Laut.
Am Bürgersteig kommen einige ins Puffen. Das kommt durch das Drängen. Man wird vorgeschoben und schlägt nach hinten aus. Gelächter. Die Soldaten wurden nicht minder aufgeregt. Sie waren auf verlorenen Posten, wenn es ernst wurde. Sie wussten auch nicht, worum es sich handelte. Sie mussten doch bald abgelöst werden. Sie standen da mit Furchterweckenden Mienen, aber das Zittern war ihnen näher. Johlen, Pfiffe, schrille. Laute Rufe. Gegen die Soldaten. Sie schlagen sie drin, sie sind in den Arrestzellen hinten, dort prügeln sie sie mit Gummischläuchen, schrie jemand. Von neuem stieg das Brausen hoch.
Gehen Sie weiter hier, schnauzte wieder ein Soldat. Dann: Lassen Sie los — jemand hatte ihn am Arm gepackt, hielt das Koppel, fasst nach dem Gewehr — die Menge drängt wie nach langem Ruck auf den Steigen vor — der Posten umringt. Zurück schreit er wieder. Dann knallen die Fenster. Die Fenster werden eingeworfen. Johlen. Die Posten sind in einem Knäuel verschwunden. Drängen und Schieben und Lärm, niemand kann mehr recht etwas sehen — da schießt das Maschinengewehr. Die Schüsse gehen noch hoch über die Menge weg. Wie in einem Strudel dreht sich alles durcheinander. Straße frei! Aus den Fenstern wird geschossen. Schüsse mehrere hintereinander. Noch ist alles ein schwarzer wirrer Knäuel. Da springt ein großer schlanker Mensch, noch ein junger Kerl, auf den Offizier zu und fasst ihn an die Gurgel. Es ist nur eine Sekunde. Aber jeder sieht es, wie es sich langsam entwickelt. Die Spannung steigt und fällt dann. Er hält ihn an der Gurgel und drückt die Faust zu, hebt den Körper hoch — der zappelt, schlägt um sich, zieht die Schultern mit einem Ruck hoch und hängt dann — und dann schmeißt er ihn im Bogen zur Seite. Inzwischen schießen sie, wahnsinnig vor Angst, wildgeworden in den Haufen hinein. Der stiebt auseinander, aber immer auf neue Massen. Viele geraten direkt unter die Soldaten. Und von oben runter aus den Nachbarhäusern kommen sie gestürzt. Und auch die Metallarbeiter kommen in Trupps auf die Straße, im Lauf auf das Büro zu. Das Tor heult laut auf und kreischt und gibt dann nach. Aber Berittene sind schon in den Straßen. Es ist noch alles durcheinander. Ein paar Grüne liegen wie tot im Rinnstein. Die Masse flutet in das Haus und stopft sich drinnen fest. Vor den entgegengehaltenen Revolvern. Und es kommt allmählich etwas Ordnung in den Strom. Sie schreien sich noch an. Bald wird ringsum alles von Militär starren. Aber auch die Arbeiter erhalten Zuzug. Drinnen schreit man noch gegeneinander. Da gelingt es einem höheren Polizeibeamten, der sich von draußen durchgeschlagen hat, Gehör zu finden. Man verhandelt. Die Tatsachen hellen sich auf. Es wird klar, was vorgeht. Vertrauensleute der Metallarbeiter treten auf den Plan. Die Organisationen beginnen zu arbeiten. Das Telefon ---, und die Regierung wird eingreifen. Noch sind die Parteien in einander verbissen. Aber es soll nicht weiter angegriffen werden. Versammlungen. Die Straße wimmelt von Menschen. Unaufhörlich wird neues Militär im Viertel zusammengezogen. Aber auch Betriebe der Nachbarschaft gehen auf die Straße. Die Wahrheit sickert durch. Man sieht Verwundete, Blutlachen, hört Zahlen flüstern.
Es vergeht lange Zeit. Dann marschieren die Wanderarbeiter in geschlossenem Zuge ab, die gefangen genommenen Kollegen wieder mit drunter. Man scheint sich geeinigt zu haben. Die Menge strömt allmählich aus dem Haus. Dann wird abgeschlossen. Gruppen lösen sich auf. Polizei, noch höflich, fordert zum Auseinandergehen auf. Langsam zerstreut sich alles. Doch es dauert noch viele Stunden. Immer neue kommen und gehen. Das Gerücht fließt durch die Stadt. Es hat Tote und Verwundete gegeben, heißt es.
Die Toten liegen drinnen im Hof. Eine Kommission wird erwartet, ehe man sie fortschaffen wird. Ein Soldat und ein paar Zivilisten. Darunter auch der junge Mann, der eigentlich erst alles in Fluss gebracht hatte. Er ist der Polizei als Zuhälter bekannt. Wird aber auch nicht nein gesagt haben, wenn es ein anderes dunkles Geschäft galt. Er liegt gleich voran. Wie ein Wahnsinniger hat sich der gebärdet, sagt jemand, der eine Soldat hat seinen ganzen Browning an ihn verschossen, ein zähes Aas. Das Gesicht ist noch streng gezogen, scharf durchfurcht. Noch ist das Gesicht alabasterweiß, eine schwarze Locke hängt über die Stirn, die feucht schimmert. Er hat die Lage für die Arbeiter gerettet, der Tapfere. Man wird ihn vergessen. Ein Bürger hätte gesagt, der Mann wollte sterben, denn es war Selbstmord. So fiel er, der Tapfere, als ein Opfer der allgemeinen, der großen Revolution - inmitten eines kläglichen Straßenauflaufs. Ein ungeheurer Hass hatte ihn getrieben, ungehemmt — und er ist erlöst, sagt man. Als Überlebender. Viele wollen nicht erlöst sein, sie verkriechen sich. Sie sterben im Bett. Sie schämen sich nicht, auf Krankheit zu warten, auf das Verfaulen, während draußen die Revolution der Menschheit ist. Sie furchten sich angeschossen zu werden, eingefangen und in Gefängnissen zu Tode gequält. Kameraden, dabei ist nur dieses die Form unseres Lebens, wenn es zu Ende gehen soll. Noch ist es feig und bürgerlich, an Altersschwäche zu sterben, wir Menschen, die im Zusammenprall der Zeitalter leben.
Am oberen Rande der Wiese, dort wo sie an den Wald stößt der sich dann bis zum Bahndamm und darüber hinaus hinzieht, war ein Graben gezogen, und wo die Wiese einen Knick machte und nach der Straße zu wieder abfiel, ein Stück Heide fing da an, ehemals bebautes Land, dürr und unfruchtbar — dort standen einige Sträucher und Büsche und dazwischen rieselte ein Wässerchen, das von dort in den Graben floss. Es war an der Stelle ein winziger Tümpel, der Pfad nach dem Wald ging darüber hin und man hatte aus zwei Brettern eine kleine Brücke gebaut.
Ein kleines Mädchen saß auf der Brücke, die immerhin hoch genug war, dass die hin- und herfahrenden Beine mit den Fußspitzen gerade noch nicht nass wurden, und raffte Sand und kleine Steinchen zusammen und warf sie runter ins Wasser. Das tat sehr unwillig. Es patschte etwas, runzelte die Stirn, als ob es sehr böse wäre und verschluckte den Sand, als wäre er nie gewesen. Und da ihm immer gleichmäßig der Kamm schwoll und dann wieder eben wurde, so dachte sich das Mädchen etwas anderes aus. Es nahm einen kleinen abgedorrten Zweig und warf ihn ins Wasser und siehe da, der Zweig drehte sich langsam im Kreise und schob sich dann nach einer Richtung zurecht und dann trug ihn das Wasser, durch die Länder durch und noch ein kleines Stück, dort hatte das Wasser große Falten und zwängte sich in eine Rinne, und über die Falten zog der Zweig und stieß sich ab, so dass er stolz weiter dahinfuhr. Nun war er fort, aber das Mädchen holte rasch einen neuen und dann Grashalme, die viel schneller auf die
Reise gingen und das Wasser trug sie alle. Es hob sie stolz noch einmal empor, dann drehten sie sich und verschwanden. Das Mädchen freute sich sehr. Es lief alles weiter und schwand aus dem Sinne, nichts blieb haften, dass es einem fortgesetzt vor Augen kam. Wie das Leben selbst geht alles dahin, in ewiger Bewegung. Auch die Wolken trug das Wasser fort. Dahinter aber zeigte sich nur hin und wieder der runde Kopf mit den Puschelhaaren, und die großen Augen, die man so fein hochziehen kann und die Backen so breit, und ganz lang wurde das Gesicht, wenn man sich vornüberbeugt und den Kopf unter die Brücke steckt. —
Das konnte aber Anna nicht sehen. Und dann kamen auch jetzt die Leute alle auf die Wiese, und sie müssen Platz machen; schon wenn jemand hier über die Brücke will. Sie griff das Kind am Arm. Aber die Kleine sträubte sich gewaltig. Die Mutter bat, aber es half nichts, das Mädel blieb fest. Da bat die Mutter noch dringender, und es kamen immer mehr Leute, da zog sie und zog immer stärker, und das Kind schrie jetzt und biss sich fest und wollte weinen, da zitterte die Mutter und wurde schwach.
Unterdessen hatten sich wirklich viele Menschen auf der Wiese eingefunden. Sie stürmten von allen Seiten herbei, doch die meisten kamen aus dem Verwaltungsgebäude, wo so eine Art Vorversammlung anscheinend schon abgehalten worden war. Man unterschied auch deutlich die einzelnen Gruppen nach den Kolonien, nach den Freunden, die aus der Stadt gekommen waren, und welche, die nur zufällig mit darunter waren. Der Septembertag war wundervoll mild und klar. Der leichte Wind wehte nach dem Wald zu und zog jedes Wort des Redners in die Länge, wodurch die Worte nur noch präziser wurden. Der Redner hatte an der Straße Aufstellung genommen. Man hatte aus ein paar Tonnen und Brettern darüber eine kleine Tribüne gemacht.
Die Partei hatte einen Mann geschickt, dem in solchen Fällen ein besonderer Ruf voranging. Es war ein kleiner rundlicher Mann, der alles andere als ein Volksaufrührer schien und sein volles Gesicht lächelte die Zuhörer freundlich an, wenn er zu sprechen begann. Man fühlte sich gleich wohl und war wie zu Hause. Er fing davon an, wie die Wohnungs- und Siedlungsfrage jetzt aufgerollt sei und welche Forderungen die Arbeiterschaft sich erzwingen müsste. Er sprach breit darüber, was ja im übrigen alle schon wussten, wie der Aufruhr vor dem Obdachlosen-Asyl die Dringlichkeit dieser Frage gezeigt und der Partei die Möglichkeit geboten hatte, einzugreifen und wie die Regierung gezwungen gewesen wäre, ihre Verordnungen zurückzuziehen und wie daher vorläufig auch Arbeitsfriede nichts mehr zu fürchten habe. Das hatten sie ja schon erfahren. Dann sprach der Redner über die Siedlungsfragen im besonderen, lobte den Weg, den sie da schon beschritten hatten, redete der Vereinigung das Wort und schwärmte für den Heroismus der freien gemeinschaftlichen Arbeiten, die sie übernommen hatten. Den Zuhörern wurde ordentlich warm dabei, denn alles was er da so rausstrich, das waren sie selbst, die Arbeitsfrieder und Waldheimer und Freudenthaler und sie kamen sich schon fast wie berühmte Leute vor. Die Wiese war voll Menschen, Frauen und Kinder mit drunter. Es war, als würde ihnen allen noch einmal ihre Heimat geschenkt mit dieser schönen Ansprache und sie sagten sich im stillen, der Mann spricht schön, und er hat recht, und so soll es auch weiter sein. Alle die Versuche, die bereits angefangen waren, werden gedeihen und auch die Übernahme des Gutshofes wird ins Reine kommen. Und wenn sie nur einen großen Stall mit allerhand Vieh daraus machen.
Dann aber, und dafür gerade hatte der Redner eine gewisse Berühmtheit, warf er den Schafspelz ab und schlug gang andere Töne an. Ihr Schafsköpfe, ihr Idioten, redete er sie an, glaubt ihr denn, damit sei was getan? Und er entwickelte nun die soziale Revolution, zeigte die Machtstellung der bürgerlichen Gesellschaft und dieses Staates, zeichnete ihnen scharf das Endziel vor und kam so zu den Forderungen, die eine revolutionäre Partei jeweils über den nächsten Tag aufstellt. Und er schlug die Worte ihnen wie mit einem eisernen Hammer in den Kopf. Er wies ihnen gerade an ihrem Beispiel nach, wie notwendig es sei, alle Kräfte zusammenzuschließen zu einer Partei und die ganze Energie einzusetzen für das eine Ziel, den Sturz der bürgerlichen Regierung und des kapitalistischen Staates, für die Eroberung der politischen Macht durch die
Arbeiterklasse. Nur diesen einen Gedanken dürfen wir jetzt haben, schrie er, keinen Schritt vom Wege abgehen, denn der führt uns vom Ziel ab, und der gerade Weg führt über den politischen Kampf um die Eroberung der Macht. Schließt euch fester an die Partei an, sorgt für Aufklärung in euren Reihen, kämpft mit in diesem Kampf, der schwer ist und über Niederlagen geht, dann fällt auch das andere von selbst euch in den Schoß, als Frucht des Sieges. Und immer wieder kam er darauf zurück und er nannte sie Feiglinge und Abtrünnige, dass sie sich eingebildet hätten, für sich allein hier eine Welt außerhalb der Gesamtauseinandersetzung mit der Unternehmerklasse aufbauen zu können. Je eifernder er sprach, um so mehr duckten sich die Köpfe, schuldbewusst. Sie sahen das ein, dass der Mann recht hatte. Es ist manchmal, dass man sich vor der großen Aufgabe drückt, indem man die kleinere zunächstliegende anfasst. Aber es lag auch etwas darin, das sie mit hoffnungsloser Traurigkeit erfüllte. Die Lippen stimmten ihm schließlich zu, sie sahen sich gegenseitig untereinander an, um das zu bekräftigen, was der Redner verlangt hatte, aber das Herz ging doch einen anderen Weg. In dem, was sie hier vor Augen sahen, darin fanden sie sich zurecht. Sie hatten es doch noch geschafft, ihre Forderung durchgesetzt, alles konnte jetzt in neuem großen Maße weitergehen — wenn auch alles mit Hilfe der andern, wer aber fragt danach, wenn man sich nur einmal freuen will. Einmal den ewigen Druck los sein und was anderes vor sich sehen als Not und Wut, Verzweiflung und Hass. Etwas das sich von selbst zu bewegen begann, und worin sie mit allen ihren Gedanken, mit ihrem Leben und ihrer Arbeit mit drin waren. Das Herz tut weh, sich dabei sagen zu sollen: Vielleicht sind wir doch nur solche Schwächlinge, Verräter an dem großen Werk, Flüchtlinge und Feiglinge — vielleicht, es leuchtet ein. Es ist so, dass jeder ordentlich die Faust krampft, um sich zusammenzureißen, bei der Stange zu bleiben, mehr zu tun als bisher, nichts mehr zu versäumen, immer und für alle bereit sein. Aber noch unter der Hand zerflattert wieder vieles, es löst sich gewissermaßen von selbst auf — denn die Sehnsucht nach ein klein wenig Freude, nach einem Zipfelchen Freiheit, die man schon fest in den Händen zu haben glaubt, lässt sich nicht vollends unterdrücken, sie schlüpft aus allen Ecken wieder hervor. Und sie sind bereit alle
Demütigungen dafür zu tragen, die doppelte Arbeit, die vielfache Schwere dieser kleinen und fortgesetzten Zusammenbrüche, mit ihrer tausendfältigen Not und zersplitternden Verzweiflung. Wenn die Sonne nur ein bisschen wieder scheint, ist alles vergessen und eine leise Hoffnung lächelt verstohlen. So ist es, als ob der Redner einen Gegner zu Boden wirft und den Kopf auf die Erde presst und etwas herauszwingt, presst und zwingt, aber der Unglückliche kann nur noch stöhnen: Ich will ja alles tun, was Du willst. Und er wird dann aufstehen und weitergehen, als wenn nichts gewesen wäre. Und eine neue Wunde wird er im Herzen tragen, die blutet. Er wird mit den Lippen bekennen und mit dem Herzen träumen und demütig sein, wo er das Herrschen lernen soll. Und er wird sich verwundern, warum denn der andere gar nicht begreift, dass er gar nichts tun kann. Ich will leben, fühlt er, ich will ja nur ein ganz klein wenig Glück, eine Abzahlung auf das große allgemeine Wohlergehen, das einmal sein wird. Lass mich leben -und der andere steht ohnmächtig, wie er wieder dahingeht. So standen sie sich gegenüber, und die Menschen auf der Wiese hielten den Kopf tief gesenkt. Und der Redner donnerte und fluchte, und wie schon so oft bei diesen Reden, saß ihm das Grauen an der Kehle. Er fühlte sich verzweifelt und er sah sich wirr und verstört um nach einem menschlichen Gesicht, das mit ihm fühlte und das ihn im Blut verstand. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. —
Da saß oben am äußersten Wiesenrand Anna Merkel und dicke Tränen rannen ihr über die Backen. Der Anfall der Kleinen war vorüber. Sie bekam ihn jetzt so häufig. Sobald nur etwas nicht ganz nach ihrem Willen ging, und die Mutter konnte schon längst nichts mehr recht machen. Das Kind lag jetzt mit dem Kopf auf dem Schoß der Mutter. Der Atem ging noch schwer, wie tiefe Seufzer, aber gleichmäßig. Der kleine Körper zitterte noch heftig. Der Krampf war vorüber. Anna stand vor Augen, wie sie damals, als Paul erschossen worden war und sie das Kind in den letzten Monaten trug, gegen alle sich gebäumt und gewütet hatte. Gegen Paul, dass er sich überhaupt eingelassen. Gegen die Kameraden, die für Paul nicht zur Hilfe gewesen waren, die nichts taten, den Gefallenen zu rächen. Gegen die Soldaten, die Paul verwundet hatten, gegen die Regierung und die bürgerliche Gesellschaft — und nicht zuletzt gegen sich selbst. Und als das Kind schon in der Wiege lag, konnte sie sich nicht überwinden. Sie hatte es so hasserfüllt angesehen, dass sie manchmal über sich selbst erschrocken war, und hatte es geschüttelt, das hilflose Wurm, wenn es nicht ruhig sein wollte, als wollte sie es in der Tat erwürgen. Und dann wuchs es dennoch allen zum Trotz heran. Ihre Wut fiel zusammen in nichts. Sie wurde immer stiller, und auf einmal war alle Kraft weg. Das war zu der Zeit, als sie den Merkel genommen hatte. Und es war doch gut gewesen, dass Merkel bei ihr geblieben war. Jetzt war er fort. Wird anderwärts sein Glück versuchen. Es schmerzte sie, aber nicht über alle Maßen. Sie wird sich allein durchschlagen. Vielleicht kommt er später wieder — er wird es anderswo nicht besser finden. Das tröstete sie schnell. Sie wird wieder in die Fabrik gehen. Vielleicht nimmt die alte Mutter die Kinder so lange.
Und die dicken Tränen kamen unaufhörlich. Sie hörte kaum auf die Worte, die der Fremde da sprach. Nur war es ihr, als sähe er sie dann besonders an. Und es war auch etwas in ihrer Brust, das davon zerging und sich auflöste, ein Knäuel, der sich entwirrte und in Tränen zerlief. Es war nicht dieser bohrende wühlende Schmerz, der verzweifelt — es war mehr eine stille milde Hoffnungslosigkeit. Wie kann es bei uns anders sein, wir armen Menschen, im Unglück — und sie dachte nicht mehr an den Halt, an den sich jemand in solchem Falle noch klammern kann. Ihr Leben ist wie das Wässerchen, das dahinfließt und keine Spur weiter lassen wird. Und die Steine die auf dem Wege liegen, werden darin einst nicht mehr sein. Mehr dachte sie nicht. Und der Blick des Redners lastete auf ihr und ließ sie wimmern. Wie sie eben noch wieder einmal in der Verwaltung gewesen war, vielleicht dass sich ein Aufschub ermöglichen ließe. Aber der neue Verwalter, der noch gar keinen Überblick hatte und dem die sich häufenden Neuanmeldungen über den Kopf wuchsen, hatte das barsch abgelehnt. Sie hatte doch noch keine Wohnung, und wo sollte sie denn hin — aber der ließ es nicht gelten. Das Haus war ja längst vergeben. Er wurde ungeduldig, er könne doch auch nicht dafür. Und dann hatte Anna sich an ein paar Nachbarsleute gewandt. Ob sie nicht
Fürsprache einlegen wollten. Es war nicht das erste Mal, dass sie darum gebeten hatte. Es war ihr halt immer wieder so, als ob sie noch nicht alles versucht hätte. Vielleicht wird jemand etwas tun, ein Wunder - so fühlte sie. Aber die hatten nur die Achseln gezuckt. Vielleicht hatten sie sogar eine boshafte hämische Redewendung auf der Zunge. Denn um die Merkel kann sich jetzt niemand kümmern. Aber Anna hatte doch einen Trost gefunden. Sie verstand besser, was sie sagen wollten. Sie hörte es aus sich selbst heraus und die Leute waren ja auch nicht böse zu ihr. Wenn sie nur reden hätten können, frei und ungezwungen aus dem Herzen, würden sie vielleicht gesagt haben: Für uns beide ist es besser, du gehst. Wir können es nicht ändern. Du bist hier nicht glücklich gewesen. Geh an einen andern Platz. Du wirst dort glücklicher sein. Und vergiss uns. Wir wollen dir nicht weh tun. Aber du siehst doch, wie es hier geht. Wir finden uns selbst nicht zurecht. Geh wo anders. - Und wenn Anna geschrieen hätte: Hier gerade bin ich glücklich, lasst mich hier - so hätten sie es nicht gehört. Unmöglich verstanden. Und auch Anna begann zu zweifeln, und es war, als ob die Tränen stehen blieben und sich besannen und dann schneller rollten.
Wieder gleitet die Zeit ein Stück weiter. Wie ein Gletscher, der auf seinem Rücken den Schutt der Felsengebirge zum Abgrund trägt.
Der Leser erwartet vielleicht jetzt die Fanfare. Es wäre ein Leichtes, damit zu schließen. Wir aber wollen alle Kraft darauf verwenden, den Schwall der Worte zu beseitigen und das Herz zu öffnen. Nicht von außen wird jener Koloss, der die soziale Revolution ist, in die Welt und ins Land geschoben, sondern es erwächst aus uns selbst, aus unserem Glauben und unseren Opfern. Das ist die Macht, die wir erobern. Lassen wir uns nicht täuschen von äußeren Begleiterscheinungen. Sie wechseln ständig und wir werden, sie zu fangen, immer eine Sekunde später sein. Man kann sagen, die Macht erobern ist das Zeichen geben, dass wir sie schon besitzen. Nun, wenn wir die Masse derer überschauen, die arbeiten wollen, ganz einfach tätig sein, so müssen wir begreifen: Wir besitzen die Macht bereits. Warum trauen wir uns nicht heraus mit dem Zeichen? Weil wir an die Wahrheit der einzelnen Inhalte nicht glauben, weil unser bisheriges Leben zu zersplittert, zu wenig opferbereit, zu wenig Gemeinschaft ist. Denn das Zeichen ist, dass wir gemeinsam und für die Gemeinschaft arbeiten. Wer soll dem widerstehen können? Eine Regierung? Beamte, Soldaten? Sind das steinerne Riesen oder nicht auch Menschen wie wir? Sollten wir, die wir an die Gemeinschaft glauben und in wirklichem Sinne gemeinsam handeln, nicht dagegen aufkommen können?
So lange wir uns aber vor einander verstecken, so lange wir nicht die werktätige Gemeinschaft begriffen haben, sondern gegen einander voll Misstrauen sind, so lange wir immer nur, wenn schon mit Sympathie darauf warten, was die andern tun, um uns dem vielleicht anzuschließen, so lange sind wir unfähig, das Zeichen zu geben. Und wenn uns die Macht in den Schoß fällt, weil die andern sie nicht länger halten können, (eine einfältige Hoffnung, vergesst ihr die ganze Welt) — so werden wir allzuwenig damit beginnen können, sie zu behaupten. Wir Gemeinschaftsgläubigen, die jetzt zu herrschen berufen sind, stellen uns darunter etwas anderes vor als die bürgerliche Klasse, die so lange an der Macht war. Wir meinen, die Macht zur weiteren Entfaltung des Menschlichen, zum tieferen Verständnis des Lebendigen, zur Gemeinschaft. Wir sind alle zusammen im Menschlichen klein. Kleine Menschen mit tausend kleinen Sorgen und kleinen Freuden. Wir gehen noch alle zu Grunde, nur weil wir einfältig sind und denken, es ist die Müdigkeit. Aber mögen wir auch zum Teufel gehen, unsere Spur im Leben ist ein neues Staubkorn zum Ganzen. Überschätzen wir das nicht, aber arbeiten wir unverdrossen. Wir werden dahin gelangen, ganz frei und im Glück zu sein. Unser Verstand, unser Leben ist noch eingestellt auf die Hoffnung und auf die Zuversicht. Ist das nicht schön? Ist es nicht schon Glück, härter und doppelt zu arbeiten? Und wenn du den Kameraden auf der Straße triffst, du warst mit ihm in den Versammlungen, du hast in der Partei Schulter an Schulter gestanden, vielleicht auf den Barrikaden — geh nicht einfach vorbei, sondern drück ihm die Hand und bekräftige das. Wozu lange Worte. Und richtet nicht. Viele fallen ab, werden schwach, verzweifeln, drücken sich, winden sich da oder dort, im Staub — Staubgeborene. Einmal haben alle Recht und die Wahrheit. Wer wird entscheiden — Du nicht, sondern später einmal das Leben, die Gemeinschaft. Dann wird die Zeit sein, wo man von einem Kameraden wird sagen können: Er war ein Verräter und Lump, denn er starb.
ENDE